Otto Bauer

Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie


VI. Wandlungen des Nationalitätsprinzips


§ 27. Die Wurzeln der kapitalistischen Expansionspolitik


Die auswärtige Politik der modernen kapitalistischen Staaten dient stets wirtschaftspolitischen Interessen. Freilich sucht sie konkrete wirtschaftliche Interessen zu fördern durch das Gewicht der staatlichen Macht und da die staatliche Macht unentbehrliches Mittel für ihren letzten Zweck ist, kann es sehr wohl geschehen, dass die Staaten Jahrzehntelang kein anderes politisches Ziel kennen, als ihr Machtverhältnis zu den anderen Staaten zu erhalten oder zu verbessern, und dass so Jahrzehntelang davon keine Rede ist, dass das erstrebte politische Machtverhältnis selbst doch nur Mittel für wirtschaftspolitische Zwecke ist. Ein Beispiel für eine solche zeitweilige Verselbstständigung politischer Machtbestrebungen von ihrer wirtschaftspolitischen Grundlage bietet uns jene nun halb verschwundene Zeit, in der das System des „europäischen Gleichgewichts“ als einziges Ziel aller auswärtigen Politik erschien. Seit aber vor den großen Fragen der Weltpolitik die alten Probleme des kleinen Europa verblasst sind, zeigt sich deutlicher wieder als vordem, dass sich im Machtstreben der kapitalistischen Staaten stets wirtschaftspolitische Bestrebungen verbergen.

Die Wirtschaftspolitik der kapitalistischen Staaten dient nun stets dem Zweck, dem Kapital Anlagesphären und Absatzmärkte zu sichern.

In der kapitalistischen Volkswirtschaft scheidet jederzeit ein Teil des gesellschaftlichen Geldkapitals aus der Zirkulation des industriellen Kapitals aus. Wohl strömen die freigesetzten Geld-, kapitalien in die Banken und werden von diesen wieder in die Produktionssphäre geleitet. Aber es vergeht doch stets irgend ein Zeitraum, ehe das an einer Stelle des gesellschaftlichen Produktionsprozesses freigesetzte Geldkapital an einer anderen Stelle des gesellschaftlichen Produktionsprozesses zum Ankauf von Arbeitsmitteln und Arbeitskräften verwendet wird. Ein Teil des gesellschaftlichen Geldkapitals ist also in jedem Augenblicke totgelegt, liegt in jedem Augenblicke brach.

Ist viel Geldkapital totgelegt, geht der Rückfluss der freigesetzten Kapitalssplitter in die Produktionssphäre nur langsam vor sich, dann sinkt zunächst die Nachfrage nach Produktionsmitteln und nach Arbeitskräften. Dies bedeutet unmittelbar Sinken der Preise und Profite in der Produktionsmittelindustrie, Erschwerung des gewerkschaftlichen Kampfes, Sinken der Arbeitslöhne. Beide Erscheinungen wirken aber auch auf diejenigen Industrien ein. die die Verbrauchsgüter erzeugen. Die Nachfrage nach den Gütern, die unmittelbar menschlichem Genuss dienen, sinkt, weil einerseits die Kapitalisten, die ihr Einkommen aus den Arbeitsmittelindustrien ziehen, geringere Profite erzielen, und weil andererseits die größere Arbeitslosigkeit und die sinkenden Geldlöhne die Kaufkraft der Arbeiterklasse mindern. Dadurch verringern sich auch in den Verbrauchsgütergewerben Preise, Profite, Arbeitslöhne; so bewirkt das Ausscheiden eines größeren Teiles des Geldkapitals aus dem Kreislauf des Kapitals in der gesamten Industrie sinkende Preise, Profite, Löhne, vermehrte Arbeitslosigkeit.

Setzt diese Bewegung aber erst ein, so erzeugt sie zunächst selbst die Kräfte, die das Einkommen sowohl der Kapitalisten als auch der Arbeiter noch weiter verringern. Denn wenn sich die Absatzmöglichkeit für alle Waren verringert, so wird zunächst die Umschlagszeit des Kapitals verlängert; es dauert lange, ehe die fertige Ware ihren Käufer findet und sich für den Kapitalisten dadurch wiederum in Geld verwandelt. Ein größerer Teil des gesellschaftlichen Gesamtkapitals nimmt dadurch die Gestalt des Warenkapitals an, ein geringerer Teil hat die Gestalt des produktiven Kapitals. Anders ausgedrückt: innerhalb der Umschlagszeit des Kapitals bildet die Produktionszeit einen kleineren, die Umlaufszeit einen größeren Teil. [1] Die Verlängerung der Umschlagszeit bewirkt nun, dass dasselbe Kapital weniger oft umschlägt, dass es weniger Arme bewegt, daher weniger Werte und bei gleichbleibender Mehrwertrate, unveränderter Ausbeutung der Arbeiter, eine geringere Masse des Mehrwertes erzeugt; also Sinken der Profitrate. Hierdurch wird auch die Nachfrage nach Arbeitskräften verringert – denn nur das produktive Kapital, nicht das Warenkapital kauft Arbeitskräfte ; nur während der Produktionszeit, nicht während der Umlaufszeit bedarf das Kapital menschlicher Arbeitskraft.

Jede Veränderung des Verhältnisses zwischen totgelegtem und angelegtem Kapital, produktivem Kapital und Zirkulationskapital, zwischen Produktionszeit und Umlaufszeit verändert also vollständig das Bild der kapitalistischen Gesellschaft. Die Arbeit ist die Schöpferin aller Werte. Aber die kapitalistische Gesellschaft verringert zeitweilig die Menge der in der Gesellschaft geleisteten Arbeit, indem sie Kapital brach legt, statt es zum Ankauf von Arbeitskräften zu verwenden. Sie sammelt totliegendes Kapital auf der einen, eine Armee von Arbeitslosen auf der anderen Seite an. Sie kann den Arbeitslosen zeitweilig keine Beschäftigung geben, weil sie ihr Kapital brach liegen lässt; und sie kann ihr Kapital nicht verwerten, weil sie arbeitsfähige und arbeitswillige Menschen müßig gehen lässt, sie aus dem Produktionsprozess und dadurch auch aus dem Zirkulationsprozess ausschaltet und indem sie sie von den Gütern dieser Welt ausschließt, sich selbst die Möglichkeit nimmt, ihren Reichtum zu verwerten. [2]

Diese Erkenntnis ist nun für unseren Zweck sehr wichtig, denn jetzt erst können wir die Zwecke der kapitalistischen Wirtschaftspolitik verstehen. Sie strebt nach Anlagesphären für das Kapital und nach Absatzmärkten für ihre Waren. Nun verstehen wir, dass dies nicht gesonderte Aufgaben sind, sondern im Grunde ein und dieselbe Aufgabe. Wenn ich dem totliegenden Kapital eine Anlagesphäre eröffne, es durch Extraprofite in die Produktionssphäre locke, so schaffe ich dadurch Absatz für die Waren: denn nicht das totliegende Geldkapital, wohl aber das produktive Kapital kauft Waren; es kauft zunächst Arbeitsmittel und Arbeitskräfte; es gibt Arbeitern Beschäftigung und vermehrt dadurch die Nachfrage nach Verbrauchsgütern; es eignet seinem Eigentümer den Mehrwert zu, erhöht dadurch seine Kaufkraft und vermehrt neuerlich die Nachfrage nach Waren. Wenn ich dem Kapital Anlagesphären eröffne, so gebe ich dadurch den Waren einen neuen Absatzmarkt. Und umgekehrt! Wenn ich den Waren einen neuen Absatzmarkt erschließe, so verkürzt sich die Umschlagszeit des Kapitals, so mehren sich die Profite, so entsteht gesteigerte Nachfrage nach verfügbaren Kapitalien, so fließen die totgelegten Kapitahen der Produktionssphäre zu. Wenn ich den Waren einen neuen Markt erschließe, so schaffe ich dadurch auch dem Kapital neue Anlagesphären.

Ein wichtiges Mittel zu diesem Zwecke ist zunächst der Schutzzoll. Soll der Zoll eine schon bestehende Industrie gegen den ausländischen Wettbewerb schützen, so ist sein unmittelbarer Zweck zunächst die Sicherung des Warenabsatzes. Aber mittelbar bedeutet er auch in diesem Falle Sicherung der Anlagesphären für das Kapital; würde nämlich die heimische Industrie von der ausländischen Konkurrenz auf dem Markte geschlagen werden und ihren Absatz verlieren, so müsste ein Teil des Kapitals aus der bedrohten Industrie abströmen, das totgelegte Kapital würde zunehmen. Soll also ein Zoll eine schon bestehende Industrie schützen, so strebt er unmittelbar Sicherung des Absatzmarktes, mittelbar Sicherung der Anlagesphären des Kapitals an. Umgekehrt ist es, wenn durch einen Schutzzoll eine neue Industrie im Lande geschaffen werden soll. Dann wird zunächst Kapital durch die hohen Extraprofite, die der Zoll ihm sichert, in die Produktionssphäre gelockt. Hat aber erst ein Teil des totgelegten Kapitals produktive Anlage gefunden, so wächst dadurch die Nachfrage auf dem Warenmarkte, unmittelbar die Nachfrage nach Arbeitsmitteln, schließlich aber auch, da die Kaufkraft sowohl der Kapitalisten als auch der Arbeiterschaft gewachsen ist, die Nachfrage nach Verbrauchsgütern. So dient der Schutzzoll in Jedem Falle, sowohl der Erschließung von Anlagesphären als auch der Sicherung von Absatzmärkten; sein letzter Zweck ist es, das Verhältnis zwischen totgelegtem und produktivem Kapital, zwischen der Produktionszeit und der Umlaufszeit des Kapitals günstiger zu gestalten.

Nun hat aber der Schutzzoll auf der Stufe der kapitalistischen Entwicklung, die die Staaten des europäischen Kulturkreises in den letzten beiden Jahrzehnten erreicht haben, seine alte Funktion nicht unwesentlich verändert. [3] Der moderne Schutzzoll ist zunächst Kartellschutzzoll: er soll es den Kapitalisten des Wirtschaftsgebietes ermöglichen, sich, gegen den Wettbewerb des Auslandes durch Zölle geschützt, zu einem Kartell zusammenzuschließen. Sobald dies gelungen ist, erweitern sich neuerdings die Aufgaben des Schutzzolles. Er dient nun nicht mehr dem Schutze des heimischen Marktes gegen die fremde Konkurrenz, sondern der Förderung der Ausfuhr, dem Kampfe um den Weltmarkt. Versuchen wir es, diese merkwürdige Erscheinung zu verstehen!

Denken wir uns in einem Lande einen Trust, der hinter dem Schutz der Zollmauer den Markt vollständig beherrscht. Wie wird ein solcher Trust die Preise seiner Waren festsetzen? Er wird die Waren nicht zu dem höchsten, überhaupt noch erzielbaren Preis verkaufen, vielmehr zu jenem Preis, bei dem er den höchsten Profit erzielt. Der Profit, den er an einem Zentner seiner Ware erzielt, ist gleich der Differenz zwischen dem Preis des Zentners und den Produktionskosten des Zentners der Ware. Der gesamte Profit ist also gleich dem Produkt aus der Menge der abgesetzten Ware und der Differenz des Preises und der Kosten der Gewichtseinheit. Nennen wir die Zahl der abgesetzten Gewichtseinheiten q, den Preis der Gewichtseinheit p, die Kosten der Gewichtseinheit k, so ist der gesamte Profit P = q (p − k). Je höher nun der Preis der Gewichtseinheit ist, desto geringer wird die absetzbare Menge der Waren; und je geringer die Warenmenge ist, die produziert werden kann, desto höher sind die auf die Gewichtseinheit entfallenden Kosten. Je größer p ist, desto kleiner wird q, desto mehr steigt aber k. Der Trust wird also den Preis p so festzusetzen suchen, dass das Produkt q (p − k) möglichst groß ist. Er darf p nicht zu hoch ansetzen, weil sonst die Verringerung von q und das Steigen von k seinen Profit schmälern würde, ebenso auch nicht zu niedrig, weil bei niedrigem Preise der Gewichtseinheit auch der Profit per Gewichtseinheit gering ist und daher auch trotz der steigenden Menge der abgesetzten Waren die Masse des Profites nicht hoch genug wäre.

Denken wir uns an die Stelle eines Trust ein aus selbständigen Unternehmungen zusammengesetztes Kartell, so ist die Preisbestimmung viel komplizierter. Da werden beispielsweise die größeren und modern eingerichteten Werke den Preis niedriger festsetzen wollen, weil sie bei niedrigem Preis die abgesetzte Warenmenge schnell steigern, die Kosten schnell herabsetzen können, durch einen nicht allzu hohen Preis also für sie das Produkt q (p − k) sehr hoch wird. Dagegen werden kleinere oder technisch zurückgebliebene Werke auf einen hohen Kartellpreis dringen, weil sie ihre Produktion nicht wesentlich zu steigern, ihre Kosten nicht beträchtlich herabzusetzen vermögen, also nur durch hohen Preis der Gewichtseinheit ihren Profit steigern können. Es entstehen daher bei der Preisfestsetzung Interessenkämpfe innerhalb des Kartells; der festgesetzte Preis ist ein Ergebnis von Machtkämpfen. Der Kartellpreis ist hier eine Resultante der bei der Preisbestimmung von den einzelnen Unternehmungen eingesetzten Kräfte, wobei die Kraft Jeder einzelnen Unternehmung darauf gerichtet ist, p so festzusetzen, dass das Produkt q (p − k) für sie möglichst hoch ist. So steht auch das Kartell vor dem Problem: Wie kann ich den Preis möglichst hoch halten, ohne doch den Absatz zu verringern und meine Kosten zu steigern?

Dieses Problem löst nun das Kartell, indem es seine Waren im Ausland zu einem billigeren Preis verkauft als im Inland. Nehmen wir an, das Kartell entschließe sich, im Ausland seine Erzeugnisse zum Selbstkostenpreis abzusetzen. Es erzielt dann im Ausland selbst keinen Profit. Aber die Auslandsverkäufe erlauben ihm, in größerem Umfang zu produzieren, wodurch seine Kosten per Gewichtseinheit sinken. Dadurch ist es auch möglich, den Preis im Inland höher zu halten. Denn der Erhöhung der Preise widerstreiten, wie wir wissen, stets einerseits die Rücksicht auf die Absatzmenge, andererseits die Rücksicht auf die Kosten. Sobald es möglich ist, durch billige Auslandsverkäufe die Produktionskosten niedrig zu halten, obwohl der Inlandspreis hoch und daher die im Inland absetzbare Warenmenge verhältnismäßig gering ist, fällt der eine der beiden Faktoren, die die Preiserhöhung hemmen, nämlich die Rücksicht auf die Kosten, weg und es bleibt nur noch die Rücksicht auf die im Inland bei hohem Preis verkäufliche Warenmenge übrig. Die billigen Auslandsverkäufe erlauben es also, den Preis im Inland höher anzusetzen, als dies sonst der Fall wäre, während sie gleichzeitig die Kosten herabdrücken: der billige Auslandsverkauf ist also ein Mittel, die Profite auf dem inneren Markt zu steigern. Noch vorteilhafter ist diese Praxis natürlich, wenn es möglich ist, auch die im Ausland abgesetzten Waren mit einem Profit, sei es auch mit einem geringeren als im Inland, zu verkaufen. Wenn aber die Ausdehnung der Produktion die Kosten schnell herabsetzt, dann ist es für das Kartell vorteilhaft, im Ausland selbst unter dem Selbstkostenpreis zu verkaufen, da der Verlust auf dem ausländischen Markt, durch die höheren Gewinne, die diese Ausfuhrpraxis im Inland ermöglicht, weitaus aufgewogen wird. Diese Erwägungen führen die durch Zölle geschützten Kartelle überall dazu, auf dem ausländischen Markte billiger zu verkaufen als im Inland. Diese Praxis hat weniger Bedeutung während der Zeit günstigen Geschäftsganges, sie nimmt dagegen in den Zeiten der Depression stets breiten Umfang an. Bricht eine Krise herein, so müsste das Kartell, wäre es auf den Inlandsmarkt beschränkt, die Preise herabsetzen: denn bei dem hohen Preis der Hochkonjunktur wären allzuwenig Waren absetzbar, der geringe Umfang der Produktion würde auch die Kosten steigern und dadurch den Profit der kartellierten Unternehmungen herabsetzen. Die Möglichkeit billiger Auslandsverkäufe verhindert die Herabsetzung des Kartellpreises im Inland: das Kartell stößt einen Teil seines Produktes zu billigem Preis in das Ausland ab, vermag durch diese Auslandsverkäufe im großen Umfang weiter zu produzieren, so dass seine Kosten nicht steigen. Dadurch kann es ohne wesentliche Kostensteigerung den Preis im Inland fast in der vollen Höhe der Hochkonjunktur aufrecht erhalten. So ist der Schleuderexport der Kartelle, das berüchtigte „dumping“, ein unvermeidliches Mittel der Preispolitik der durch Zölle geschützten Kartelle.

Auch diese Preispolitik erscheint nun, wenn wir das Verhältnis des totgelegten zum produktiv angelegten Kapital im Auge haben, der Gesamtwirtschaft nützlich. Die billigen Auslandsverkäufe schaffen einen Markt für die Produktion, Absatz für ihre Waren; es kann in großem Umfang produziert werden, das Kapital bleibt also an die Produktionssphäre gebunden: die billigen Auslandsverkäufe bedeuten also auch eine Anlagesphäre für inländisches Kapital. Die Verminderung des totgelegten Kapitals bedeutet aber hier wie überall vermehrte Nachfrage nach allen Waren einschließlich der Arbeitskraft, also höhere Profite, Preise, Löhne. So kommen wir zu dem unerwarteten Ergebnis, dass es für die Gesamtwirtschaft des Inlandes vorteilhaft ist, wenn wir unsere Kohle, unser Eisen, unseren Zucker dem Ausland billiger verkaufen als dem inländischen Verbraucher.

Diese Tatsache gewinnt nun ungeheure weltwirtschaftliche Bedeutung. In den Staaten, die bereits Schutzzölle haben, ist von einer Herabsetzung der Zölle keine Rede mehr; die mächtigsten Kapitalistengruppen, die in den großen Kartellen vereinigten Kapitalien, die großen Banken, die diese Kartelle beherrschen, haben am Schutzzoll jetzt ein wesentlich stärkeres Interesse als früher. Das Opfer dieser Preispolitik sind aber die Freihandelsländer. Der Preis des Stahls in England und daher auch die Konkurrenzbedingungen der englischen Stahlindustrie hängen gar nicht mehr von den inneren Produktionsbedingungen ab, sondern davon, ob der amerikanische Stahltrust oder der deutsche Stahlwerksverband es für nötig findet, auf dem Weltmarkt seine Waren billig abzugeben, um dadurch seine Profite auf dem durch Zölle geschützten inländischen Markt zu steigern. Das bedeutet in England schnelle und plötzliche Veränderungen der Eisen- und Stahlpreise, schnelle Veränderungen in den Konkurrenzbedingungen der englischen Industrie, Vernichtung von beträchtlichen Wertsummen. So entsteht auch in den Freihandelsländern die Tendenz zum Schutzzoll, der zunächst den heimischen Markt gegen die Wirkungen des ausländischen Schleuderexportes schützen, dann aber den heimischen Kapitalisten gleichfalls die Möglichkeit geben soll, sich zu Kartellen zusammenzuschließen und nun selbst das Mittel des Schleuderexportes auf dem Weltmarkt zur Mehrung ihrer Profite zu benützen.

So wird die Konkurrenz auf dem Weltmarkt immer erbitterter, die Verschiebungen in den Konkurrenzbedingungen gehen plötzlich, ruckhaft vor sich. Jedes Wirtschaftsgebiet sucht sich daher auf dem Weltmarkt Absatzgebiete zu sichern, die diesem Konkurrenzkampfe entzogen sind. Die dem Kapitalismus angeborene Tendenz zur fortwährenden Expansion, fortwährendem Streben nach Erschliessung neuer Absatzgebiete und Anlagesphären gewinnt dadurch neue Kraft. Die staatlichen Machtmittel werden in verschiedener Weise in den Dienst dieser Tendenz gestellt, von der förmlichen Einbeziehung von Kolonien in das heimische Zollgebiet bis zur „pénétration pacifique“.

In den Dienst dieses Strebens werden zunächst die militärischen Machtmittel gestellt. Heer und Flotte sichern einerseits das heimische Kapital gegen die Völker, deren Gebiet der Ausbeutung des Kapitals der hochentwickelten kapitalistischen Nationen unterworfen wird; Heer und Flotte sichern andererseits das herrschende kapitalistische Land gegen den Wettbewerb der anderen kapitalistischen Länder.

Durch die staatlichen Machtmittel geschützt, strömt nun zunächst das Kapital des herrschenden Landes in diese Kolonialgebiete ab. Es baut dort Eisenbahnen, Straßen, Kanäle, es gründet dort Banken und Handelsgesellschaften, es erschließt Bergwerke, es gewährt der landwirtschaftlichen Produktion dieser Länder Kredit. So werden dem Kapital zunächst neue Anlagesphären erschlossen. Dies bedeutet zugleich die Eröffnung neuer“ Absatzwege, denn es versteht sich, dass beispielsweise das englische Kapital, das in Ägypten Anlage gefunden hat, in erster Linie englische Waren kauft: englische Schienen, Eisenbahnwaggons und Lokomotiven, Maschinen u.s.w. Diese Erschließung neuer Absatzwege bedeutet aber nun wiederum neue Anlagesphären für das Kapital: wenn die englische Eisen-, Maschinen-, Waggon-Industrie durch die Ausfuhr nach den Kolonialgebieten gefördert wird, so finden neue Mengen Geldkapitals in diesen Industrien in England selbst Anlage. Die Erweiterung des Produktionsapparates dieser Industrien, die Steigerung ihrer Arbeiterzahl, die Mehrung ihrer Profite gibt nun auch den Waren der anderen englischen Industrien im eigenen Lande vermehrten Absatz, schafft also auch in den anderen Industrien vermehrte Arbeitsgelegenheit, auch dort neue Anlagesphären für Kapital. So hat also die Unterwerfung wirtschaftlich rückständiger Länder unter die Ausbeutung der Kapitalistenklasse eines europäischen Landes zwei Reihen von Wirkungen: unmittelbar Anlagesphären für das Kapital im Kolonialland und dadurch auch vermehrte Absatzgelegenheit für die Industrie des herrschenden Landes; mittelbar auch im herrschenden Lande selbst neue Anlagesphären für das Kapital und vermehrte Absatzgelegenheit für alle Industrien. Dadurch wird die Menge des in Jedem Augenblick totgelegten Kapitals im Lande verringert; es steigen im Lande die Preise, Profite, Löhne; so erscheint also auch die kapitalistische Expansionspolitik als ein gesamtwirtschaftliches Interesse.

Diese Politik hat aber noch eine weitere Bedeutung. Die Profitrate ist in den wenig entwickelten Ländern, die das Objekt kapitalistischer Expansionspolitik sind, zunächst höher als in Europa. Nun strebt die kapitalistische Konkurrenz stets nach Ausgleichung der Profitraten; das Kapital strömt stets dorthin ab, wo die Proritrate am höchsten ist. In Europa ist diese Ausgleichung der Prorite erst möglich geworden, seit durch eine geordnete Verwaltung und Rechtspflege große Wirtschaftsgebiete geschaffen wurden, innerhalb deren das Kapital Freizügigkeit genießt. Durch die modernen Heere und Kriegsflotten werden nun auch in den dem Kapitalismus noch nicht unterworfenen Ländern solche Rechtszustände geschaffen, dass das Kapital auch dort sich seine Anlagesphären suchen kann. Dadurch erst wird die ganze Erde der Tendenz zur Ausgleichung der Profitraten unterworfen. Was die Herstellung einer geordneten Rechtspflege und Verwaltung innerhalb der europäischen Länder bewirkt hat, jdas schafft nun der moderne Mihtarismus und Marinismus allerwärts. Die Kriegsflotten der europäischen Staaten sind gleichsam die Weltpolizei, die überall solche Rechtszustände herstellt, dass das europäische Kapital dort Anlage suchen kann. Wiederum erscheint hier die kapitalistische Expansionspolitik als Interesse der gesamten Bevölkerung des herrschenden kapitalistischen Landes? Denn da die Proritrate in den unterworfenen Ländern fremder Erdteile höher ist als in den kapitalistisch hochentwickelten Gebieten Europas, strömen von dort dem europäischen Kapital alljährlich größere Summen Mehrwert zu, als es jemals sich hätte aneignen können, wenn es im eigenen Lande in Europa angelegt worden wäre. Der Reichtum der europäischen Nationen an Werten wird also durch diese Expansionspolitik wesentlich vermehrt.

Nun verstehen wir auch die von den Freunden dieser Expansionspolitik immer wieder wiederholte Behauptung, dass die kapitalistischen Länder des europäischen Kulturkreises die Expansionspolitik darum brauchen, weil sie sonst ihre wachsende Bevölkerung auf ihrem engen Boden nicht zu ernähren vermöchten. Wo das Kolonialland den Mehrwert, den es dem herrschenden Lande entrichten muss, in der Form von Lebens- und Genussmitteln zahlt, wo es beispielsweise Getreide, Fleisch, Kaffee, Baumwolle, Gewürze in das herrschende Land ausführt, ist dies unmittelbar verständlich: die Expansionspolitik vermehrt hier ganz unmittelbar den Reichtum des herrschenden kapitalistischen Landes an jenen Gütern, die zur Ernährung und Kleidung der Massen seiner Bevölkerung dienen. Aber auch dort, wo das unterworfene Land keine solchen Güter produziert, scheint doch die Expansionspolitik mittelbar demselben Zwecke zu dienen. Denn sie vermehrt den Reichtum des herrschenden Landes an Werten, stärkt dadurch seine Kaufkraft und erlaubt ihm. von anderen Ländern jene Güter zu kaufen, deren es zur Ernährung seiner Bevölkerung bedarf.

So verstehen wir denn jetzt erst den vollen Sinn kapitalistischer Expansionspolitik. Das Streben nach neuen Anlagesphären und neuen Absatzmärkten ist so alt wie der Kapitalismus selbst; es lebte in den kapitalistischen Stadtrepubliken Italiens während der Renaissance so gut wie heute in England und Deutschland. Aber die Kraft dieser Tendenz ist in den letzten Jahrzehnten ungeheuer gestiegen. Einmal dadurch, dass die fortgeschrittene Konzentration des industriellen Kapitals, die Bildung der modernen Kartelle und Trusts, den Schutzzoll aus einem Mittel der Verteidigung zu einem Mittel des Angriffes gemacht und dadurch die Konkurrenz auf dem Weltmarkt ungeheuer verschärft und verbittert bat. Dann auch deshalb, weil die Konzentration des Kapitals in den modernen Großbanken gewaltig fortgeschritten ist. Die Banken aber empfinden das Verhältnis des totgelegten zum angelegten Kapital, den Aufbau der Umschlagszeit des Kapitals ganz unmittelbar in der Bewegung des Zinsfußes; sie machen ganz bewusst die günstigere Gestaltung jenes Verhältnisses zum Zwecke aller Wirtschaftspolitik. Sie können als größte Steuerträger, größte Staatsgläubiger, als Beherrscher der einflussreichsten Industriezweige ihren Willen leicht durchsetzen. Sie machen aber auch die Expansionspolitik erst möglich, indem sie, dank der Größe der ihnen in jedem Augenblick zur Verfügung stehenden Kapitalien, die Auswanderung des Kapitals in die unterworfenen Gebiete planmässig zu leiten vermögen. Die Kratt der modernen kapitalistischen Expansionspolitik wurzelt in jener Veränderung der Produktivkräfte, die in der Zentralisation des Kapitals – in der Zentralisation des industriellen Kapitals in den Kartellen und Trusts, in der Zentralisation des Geldkapitals in den modernen Großbanken – ihren ökonomischen Ausdruck findet.

Die Anhänger der kapitalistischen Expansionspohtik werten der Arbeiterklasse, die diese Politik überall bekämpft, vor, dass sie unfähig sei, ihr wahres Interesse zu erkennen. Die Erschließung neuer Absatzwege und Anlagesphären für das Kapital vermehre auch die Nachfrage nach Arbeitskräften, fördere also die Interessen der Arbeiterklasse. Wenn die Arbeiterschaft den modernen Imperialismus bekämpft, so tue sie das nicht, weil diese Politik ihrem Klasseninteresse widerstreite, sondern weil sie sich von der Ideologie einer vergangenen Zeit beherrschen lasse. Diese Ideologie sei aber nicht einmal proletarisch, sondern sie sei bürgerlich: es sei die Gedankenwelt des alten bürgerlichen und arbeiterfeindlichen Manchesterliberalismus. Indessen kann nur derjenige den Kampf der Arbeiterklasse gegen den Imperialismus mit dem Kampfe der Liberalen gegen den Merkantilismus verwechseln, der bloß die Technik, die Mittel, nicht aber die Zwecke eines wirtschaftspolitischen Svstems zu sehen gewohnt ist. Fassen wir die Zwecke ins Auge, so erscheint uns vielmehr die moderne kapitalistische Expansionspolitik als die Erbin des alten Liberalismus. Als der Freihandel in England siegte, war England der weitaus höchst entwickelte Industriestaat der Erde. Der Fall der Zollgrenzen sollte den englischen Export fördern, den englischen Kapitalien neue Absatzwege erschließen. Er sollte aber auch dem englischen Kapital Anlage im Ausland erlauben und hat dies in der Tat in nicht geringem Umfange getan. Neue Absatzwege und neue Anlagesphären, schneller Abfluss des totliegenden Geldkapitals in die Produktionssphäre. Ausdehnung der Produktionszeit innerhalb der gesellschaftlichen Umschlagszeit des Kapitals, internationale Ausgleichung der Protitraten, Vermehrung der dem englischen Kapital zuströmenden Werte durch Anlage im Ausland – alle diese Zwecke suchte England durch den Freihandel zu erreichen. Die Zwecke sind dieselben geblieben, nur die Mittel haben sich geändert. Seitdem haben die anderen Staaten hinter dem Schutze einer Zollmauer ihre Industrie entwickelt. Der ursprüngliche Erziehungszoll ist schließlich zum Kartellschutzzoll geworden. Dieser Zoll soll nicht mehr die englischen Waren vom inländischen Markt fern halten, sondern er ist zum Mittel geworden, die englischen Waren auf dem britischen Markt selbst und auf dem Weltmarkt zu bekämpfen. Wo immer das englische Kapital Absatzwege, wo immer es Anlagesphären sucht, stößt es auf den Wettbewerb der anderen kapitalistischen Staaten. So muss denn England, wie jeder andere Staat, heute andere Wege gehen, um das alte Ziel zu erreichen.

Der alte englische Freihandel war kosmopolitisch: er reißt die Zollgrenzen nieder, will die ganze Welt zu einem Wirtschaftsgebiet zusammenschließen. Die internationale Arbeitsteilung soll alle Völker vereinen; nicht mehr im blutigen Streit der Watfen, sondern im friedlichen Wettbewerb sollen die Völker ihre Kräfte messen. [4]

Ganz anders der moderne Imperialismus. Er will nicht aus allen Ländern ein einheitliches Wirtschaftsgebiet bilden, sondern hegt das eigene Wirtschaftsgebiet mit einer Zollgrenze ein; er erschließt minder entwickelte Länder und sichert dort den Kapitalisten seines Landes Anlagesphären und Absatzgebiete, von denen er die Kapitalisten der anderen Länder ausschließt. Er träumt nicht Frieden, sondern bereitet den Krieg vor. Er glaubt nicht die ganze Menschheit zu freiem friedlichen Austausch und Wettbewerb vereinen zu können, sondern sucht dem eigenen Lande auf Kosten der anderen zu nützen, indem er mit Zöllen, mit Kriegsflotten und Soldaten sich gegen das Ausland waffnet. Und die Interessen, die er verficht, erscheinen ihm, wie wir gesehen haben, notwendig als gesamtwirtschaftliche, gesamtstaatliche Interessen, in den Nationalstaaten des Westens also als nationale Interessen. Die wirtschaftspolitischen Zwecke haben sich nicht geändert seit den Tagen der Cobden und Bright; aber indem die Mittel der kapitalistischen Wirtschaftspolitik sich veränderten, wurden aus kosmopolitischen Liberalen nationale Imperialisten.

Aber gerade der kosmopolitische Liberalismus hatte das Nationalitätsprinzip auf seine Fahne geschrieben. Gerade er wünschte den Griechen, den Völkern Südamerikas, den Italienern und Magyaren staatliche Selbstständigkeit. Kein Wunder, wurde doch jedes Land, das die Fesseln absolutistischer und feudaler Knechtschaft abgeworfen hat, zum Markt für seine Waren, zur Anlagesphäre für seine Kapitalien. So schwärmten die englischen Liberalen, wie Grillparzer boshaft spottet, mit verzückten Blicken „für die Freiheit der Länder, die – ohne Fabriken“. Auch hier ein völlig verändertes Bild! Heute sichert dem Kapitalismus der entwickelten Industriestaaten nicht mehr die Freiheit, sondern nur die Unterwerfung der minder entwickelten Gebiete Absatzwege und Anlagesphären. Das Ideal des modernen Kapitalismus ist darum gar nicht mehr der Nationalstaat, sondern der Nationalitätenstaat, aber ein Nationalitätenstaat, in dem nur das Staatsvolk des herrschenden Landes gebietet und ausbeutet, die anderen Völker ihm wehrlos ausgeliefert sind. Sein Vorbild ist nicht mehr der englische Nationalstaat, sondern das britische Weltreich.

Diese Veränderung wird um so bedeutsamer, als mit den neuen Methoden kapitalistischer Expansion auch die ganze Ideologie der Kapitalistenklasse sich verändert. Das liberale Bürgertum, das gegen absolutistische Unterdrückung, gegen feudale Ausbeutung, gegen merkantilistischen Zwang kämpfte, liebte die Freiheit. Es machte die Maxime seines durch seine Klassenbedürfnisse bestimmten Handelns zum allgemeinen Gesetz, wenn es den Nationen die Freiheit verhieß, die es den Staatsbürgern erkämpfte. Anders die moderne Bourgeoisie. Sie fürchtet die Arbeiterklasse des eigenen Landes und ist entschlossen, ihr Eigentum und ihre Herrschaft zu verteidigen – wenn nötig, auch mit Gewalt. Die Machtmittel, die sie als unterdrückte Klasse gehasst, sind ihr lieb und wert geworden, seit sie ihre eigene Herrschaft stützen. Nun wird ihr die Freiheit ein kindlicher Traum, der Wille zur Macht sittliche Pflicht. Und diese Stimmung, die schon aus dem Bewusstsein des Klassengegensatzes innerhalb der Nationen fließt, wird ungeheuer verstärkt durch die tägliche Praxis kapitalistischer Expansionspolitik. Berauscht von den Reichtümern, die ihm aus den Kolonien zufließen, spottet das Bürgertum der sittlichen Ideale seiner Vergangenheit. Millionen politisch zu knechten, ihres Landes zu berauben, zu maßloser Überarbeit zu zwingen – das dünkt ihm erst Recht, bald gar Pflicht der „höheren Kultur“, der „höheren Rasse“. Das ist die Stimmung, die sich in Kiplings farbenprächtigen Dichtungen malt, die aus den Reden eines Cecil Rhodes, eines Josef Chamberlain spricht, die sich an den kraftvollen ungebundenen Persönlichkeiten der Renaissance begeistert, die die Weltgeschichte zum Drama des Rassenkampfes umdichtet. In diesem Boden verdorrt das Ideal der Einheit und Freiheit der Nationen. Die Herrschaft einer kapitalistischen Herrennation über Millionen Unterworfene ist das Staatsideal des reifen Kapitalismus.

So sehen wir hier schon, wenn auch erst in grobem Umriss, wie das alte bürgerliche Nationalitätsprinzip von einem neuen imperialistisch-nationalistischen Prinzip der Staatsbildung verdrängt wird. Nicht mehr Freiheit, Einheit und staatliche Selbständigkeit jeder Nation ist das Ideal des späten Kapitalismus, sondern die Unterwerfung der Millionen fremder Völker unter die Herrschaft der eigenen Nation; nicht mehr sollen die Nationen friedlich im freien Warenaustausch wetteifern, sondern jede Nation soll sich bis an die Zähne bewaffnen, um in jedem Augenblicke die unterworfenen Völker niederhalten, die fremden Nebenbuhler von der eigenen Ausbeutungssphäre fernhalten zu können. Diese völlige Wandlung des Prinzips der Staatsbildung in der kapitalistischen Gesellschaft entspringt im letzten Grunde der Tatsache, dass mit der Konzentration des Kapitals die Methoden der kapitalistischen Wirtschaftspolitik sich verändert haben.

Wollen wir aber diese neue Stellung der Kapitalistenklasse zum Nationalitätsprinzip völlig verstehen, so müssen wir das Trugbild zerreißen, dass die kapitalistische Expansionspolitik einem einheitlichen, gesamtwirtschaftlichen und gesamtstaatlichen Interesse dient. Wir müssen zeigen, wie gerade die kapitalistische Expansionspolitik innere Gegensätze innerhalb der Nation schafft, wie der Kampf um den Imperialismus zum Klassenkampfe wird. Dann erst werden wir verstehen, wie der innere Klassengegensatz innerhalb der Nation zum äußeren Gegensatz der Nationen gegen einander, zur Herrschaft einer Nation über die anderen Völker treibt.

Fußnote

1. Produktionskapital ist das im Produktionsprozess wirkende Kapital, also das in den Arbeitsmitteln, den Roh- und Hilfsstoffen der Produktion angelegte und zum Kauf von Arbeitskräften verwendete Kapital. Warenkapital ist jenes Kapital, das sich in der Gestalt fertiger Warenvorräte verkörpert, die ihres Käufers harren. Die Umschlagszeit des Kapitals ist die gesamte Dauer des Kreislaufes des Kapitals vom Augenblicke, in dem der Kapitalist sein Geld „vorschießt“ bis zum Zeitpunkt, in dem das für die fertige Ware gelöste Geld ihm wieder zuströmt. Sie zerfällt in die Produktionszeit, während deren das Kapital in der Produktion tätig ist, und in die Umlaufszeit. Die Umlaufszeit setzt sich wieder zusammen aus der Verkaufszeit (vom Augenblicke, in dem die Ware fertiggestellt wird, bis zu jenem, in dem sie sich in Geld verwandelt) und der Einkaufszeit (vom Augenblick, in dem dem Kapitalisten das eingesetzte Kapital wieder in Geldesform zurückgeströmt ist, bis zum Zeitpunkt, in dem er es wieder zum Kauf von Arbeitsmitteln und Arbeitskräften verwendet). Vergleiche Marx, Kapital, II. Erster Abschnitt.

2. Folgende Begriffe sind äquipollent: Einschränkung der Produktion (technisch); Verminderung der Menge der geleisteten gesellschaftlichen Arbeit (ökonomisch vom Standpunkt der Produktionssphäre); Verlängerung der Einkaufszeit des industriellen Kapitals, Vermehrung des totliegenden Geldkapitals (ökonomisch vom Standpunkt der Zirkulationssphäre).

3. Hilferding, Der Funktionswechsel des Schutzzolles, Neue Zeit, XXI. 2., S.274ff.

4. Es ist hier vielleicht die Stelle, die verschiedenen Bedeutungen des Wortes Kosmopolitismus anzuführen, die wir kennen gelernt haben. An erster Stelle ist hier der kulturelle Kosmopolitismus zu nennen: jede Nation soll die überlieferte Beschränktheit ihrer nationalen Eigenart überwinden und von allen Völkern lernen, was wahr, gut und schön ist. Der kulturelle Kosmopolitismus setzt also der nationalen die rationalistische Wertungsweise entgegen. Wir wissen bereits, dass diese Grundstimmung im Wesen des Menschen begründet ist. Sie erstarkt überall dort, wo die alten Werte einer Nation durch eine revolutionäre Entwicklung untergraben werden: so in Hellas im Zeitalter der Sophisten, in Rom in der Zeit der Stoa und des Christentums, in Italien im Zeitalter der Renaissance, schließlich überall, sobald der moderne Kapitalismus die alte Gesellschaft umwälzt. Heute ist die Arbeiterklasse die Trägerin dieses kulturellen Kosmopolitismus. Von ihm sehr verschieden ist der ökonomische Kosmopolitismus der freihändlerischen Kapitalistenklasse, der dem Expansionsstreben des Kapitals dient. Mit ihm hat die Arbeiterklasse nichts zu tun. Ganz anderer Natur wieder ist der naive Kosmopolitismus des jugendlichen Proletariats der historischen Nationen, den wir im § 20 kennen gelernt haben. Diese drei verschiedenen Begriffe des Kosmopolitismus sind nicht nur untereinander scharf zu scheiden, sie dürfen auch nicht mit dem Internationalismus verwechselt werden, dessen Bedeutung wir noch kennen lernen werden.


Zuletzt aktualisiert am 4.8.2008