O. B.

Rundschau

Die Prager Konferenz

(1. Oktober 1910)


Der Kampf, Jg. 4 1. Heft, 1. Oktober 1910, S. 45–46.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Am 25. September hielt die tschechische Sozialdemokratie in Prag eine Konferenz ab, in der über die Ergebnisse des Kopenhagener Kongresses verhandelt wurde. Ueber den Konflikt selbst sprechen wir an anderer Stelle. Hier nur einige Einzelheiten zur Ergänzung.

Genosse Soukup erzählte, dass die tschechischen Zentralisten in Kopenhagen im Namen von 118.000 tschechischen Arbeitern gesprochen haben. Er fügte hinzu: „Ich weiss nicht, woher diese Zahl genommen wurde. Es ist aber eine Tatsache, dass, wenn wir früher eine solche Statistik forderten, sie uns verweigert wurde. Wir haben es also wenigstens in Kopenhagen erfahren.“ Wir wollen dem Genossen Soukup verraten, dass diese Zahl, – die Auflage der tschechischen Fachblätter der Reichsgewerkschaften – dem offiziellen Bericht der Gewerkschaftskommission über das Jahr 1909 entnommen ist. Der Genosse Soukup sollte doch die Gewerkschaftsberichte lesen!

Genosse Nĕmec erzählte: „Wir haben schon 1893 in Budweis erklärt, dass wir eine selbständige Partei sind. Wir haben erklärt, dass wir zwar ein gemeinsames Programm mit den deutschen Genossen haben, dass wir immer bereit sind, in grossen Sachen gemeinsam vorzugehen, dass aber im übrigen die tschechische Partei vollkommen selbständig ist und über ihre Angelegenheiten vollkommen selbständig entscheidet.“ Diese Erklärung wurde mit Händeklatschen begrüsst. Gibt es in Oesterreich noch eine internationale sozialdemokratische Gesamtpartei? Unterwerfen sich die tschechischen Genossen noch der Mehrheitsentscheidung eines Gesamtparteitages? Das muss festgestellt werden.

Genosse Nĕmec hat in Prag die heftigsten Angriffe gegen Viktor Adler gerichtet. Jahrelang haben die Herren Klofač, Choc und Fresl die tschechischen Genossen verhöhnt, dass sie sich von Adler „kommandieren“ lassen. Nun beschimpfen die tschechischen Genössen Adler, um sich von diesem Vorwurf zu reinigen. An einen Mann von der historischen Bedeutung Adlers reichen diese Angriffe natürlich nicht hinan; aber sie verletzen die Empfindungen vieler anderer Genossen. Wir haben an den sachlichen Differenzen genug: wollen die tschechischen Genossen die Schwierigkeiten noch durch persönliche Erbitterung steigern ?

Für die Qualität dieser Angriffe nur ein Beispiel: Zu den Sitzungen des Internationalen Bureaus hatten alle Vertreter der sozialistischen Tagespresse Zutritt. Genosse Nadvornik, der als Vertreter des Brünner zentralistischen Blattes Proletář in Kopenhagen war, sah, dass viele Journalisten das Beratungszimmer des Bureaus betraten; er glaubte sich daher gleichfalls dazu berechtigt und wollte auch an einer Sitzung teilnehmen. Er betrat, natürlich ganz allein, den Sitzungssaal. Sofort ging Adler, von Soukup darauf aufmerksam gemacht, auf ihn zu und klärte ihn über seinen Irrtum auf; nur die Vertreter der Tagespresse, nicht er, der ein nur zweimal wöchentlich erscheinendes Blatt vertrete, dürfe den Beratungen beiwohnen. Nadvornik verliess hierauf den Saal. Genosse Nĕmec war bei dieser Szene, die übrigens vollständig unbeachtet geblieben ist, ebenso anwesend wie ich; dies hindert ihn nicht, in Prag im Tone höchster Entrüstung zu erzählen, „dass Adler sich erdreistet habe, den aus unserer Partei hinausgeworfenen Menschen ostentativ in das internationale Sekretariat hineinzuführen“.

Nach dieser Probe wird man es uns wohl ersparen, andere Beispiele separatistischer Argumentation anzuführen. Wir wollen den tschechischen Genossen nur sagen: Wer den Frieden will, darf die Stimmung nicht durch den Gebrauch solcher Kampfmittel verbittern.

 


Leztztes Update: 6. April 2024