O. B.

Rundschau

Parteipresse und Parteiliteratur

(1. Februar 1911)


Der Kampf, Jg. 4 4. Heft, 1. Februar 1911, S. 236.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Von dem Büchlein des Genossen Danneberg über das sozialdemokratische Programm und von den Vortragsdispositionen des Genossen Braun über die Gewerkschaften musste schon wenige Wochen nach der ersten, für österreichische Verhältnisse ungewöhnlich grossen Auflage eine zweite Auflage hergestellt werden. Diese Tatsache beweist, wie sehr das Interesse an der theoretischen Vertiefung unserer Bewegung in den letzten Jahren erstarkt ist. Doch ist es nicht unsere Gewohnheit, mit dem Erreichten zu-frieden zu sein. Noch ist für die sozialistische Erziehung der Massen sehr viel zu tun. Und wie nützlich Vorträge und Unterrichtskurse auch sind, so bleibt doch das Buch das wichtigste Bildungsmittel.

Die Sorge für die Verbreitung unserer Parteiliteratur obliegt vorerst unseren Organisationen. Ihre Sache ist es, die Kolportage zu organisieren und zu beaufsichtigen. Aber auch unsere Parteipresse kann auf diesem Gebiet sehr viel leisten.

Einzelne unserer Parteiblätter schenken leider unserer Parteiliteratur – wenn ich von unserer Parteiliteratur spreche, meine ich natürlich die gemeindeutsche Parteiliteratur, also nicht nur die in Deutsch-Oesterreich, sondern auch die von unseren Parteibuchhandlungen im Deutschen Reich und in der Schweiz herausgegebenen Schriften – überhaupt keine Aufmerksamkeit. In ihren Spalten wird so mancher neue Roman, so manches neue Buch über die Persönlichkeit Jesu besprochen, obwohl kein Arbeiter Geld und Zeit hat, diese Bücher zu erwerben und zu lesen. Aber gute billige Broschüren, die für die Arbeiter bestimmt sind, werden selten erwähnt.

Andere Parteiblätter begnügen sich damit, die „Waschzettel“ der Verleger zu drucken. Da geht nun alles kunterbunt durcheinander: bürgerliche und sozialistische Literatur, teure Bücher und billige Broschüren, wissenschaftliche Werke und volkstümliche Flugschriften. Damit ist dem Arbeiter nicht gedient. Wer ihm raten will, muss eine Auswahl treffen. Die Zeit des Arbeiters ist kostbar. Wir dürfen ihm nur solche Bücher empfehlen, die gut, nützlich, seiner Vorbildung angepasst, ihm erreichbar sind.

Wir wissen sehr wohl, dass unsere Redakteure mit schwerer Arbeit überlastet sind. Wir hoffen aber, dass es ihnen trotzdem gelingen wird, ihre Kräfte auch in den Dienst dieser Arbeit zu stellen. Es ist nicht zu verlangen, ist gar nicht zu empfehlen, dass umfangreiche wissenschaftliche Werke in unserer Parteipresse besprochen werden ; aber notwendig ist, dass die Redakteure unserer Parteiblätter aus unserer grossen, von Jahr zu Jahr wachsenden Broschürenliteratur die Schriften auswählen, die für die Arbeiterschaft ihres Verbreitungsgebietes geeignet sind, und ihnen Leser zu werben suchen.

Unsere Parteipresse hat ihre Kraft in den letzten Jahren in viel höherem Masse als früher in den Dienst der prinzipiellen sozialistischen Bildungsarbeit gestellt. Auch an der Verbreitung unserer Parteiliteratur hat sie mitgearbeitet: ein so grosser Erfolg wie der, den Dannebergs Programm-Broschüre erreicht hat, wäre ohne die Unterstützung der Parteipresse unmöglich gewesen. Das Gute, dessen wir uns freuen dürfen, muss uns ermutigen, nach dem Besseren zu streben.

 


Leztztes Update: 6. April 2024