Tony Cliff

 

Staatskapitalismus in Rußland

 

3. Kapitel:
Das Wirtschaftssystem eines Arbeiterstaates

 

 

Bevor die grundlegenden Merkmale der Wirtschaft eines Arbeiterstaates untersucht werden, ist es notwendig, einen sehr wichtigen Punkt hervorzuheben. Marx und Engels erwarteten, daß die Revolution in den entwickelten Ländern beginnen würde. Sie nahmen folglich an, daß die neue Gesellschaft von Anfang an materiell und kulturell weiter fortgeschritten sein würde als die entwickeltesten kapitalistischen Länder. Jede Prognose basiert jedoch auf bestimmten Bedingungen. Die Geschichte entwickelte sich nicht genau so, wie Marx und Engels erwartet hatten. Es war in Rußland einem der rückständigsten kapitalistischen Länder, wo die Revolution zuerst ausbrach und die Arbeiter die Macht übernahmen, während die Revolutionen, die in den entwickelteren Ländern folgten, fehlschlugen.

 

Die Transformation der kapitalistischen in sozialistische Produktionsverhältnisse

Es gibt zwei Arten von Produktivkräften: die Produktionsmittel und die Arbeitskraft. Die Entwicklung dieser Produktivkräfte innerhalb des Kapitalismus – die Zentralisation des Kapitals auf der einen Seite und die Vergesellschaftung des Arbeitsprozesses auf der anderen – schafft die materiellen Bedingungen, die für den Sozialismus notwendig sind. Von all den Produktionsbeziehungen, die im Kapitalismus existieren – Beziehungen zwischen einzelnen Kapitalisten, zwischen Kapitalisten und Arbeitern, zwischen den Arbeitern selbst, zwischen Technikern und Arbeitern, Technikern und Kapitalisten usw. –, wird nur ein Teil in der sozialistischen Gesellschaft fortbestehen, namentlich die zwischen den Arbeitern innerhalb des Arbeitsprozesses entstandenen Beziehungen; die durch die vergesellschaftete Poduktion vereinte Arbeiterklasse wird zum Träger neuer Produktionsverhältnisse. Einige Elemente der im Kapitalismus existierenden Produktionsbeziehungen werden im Sozialismus durch die Beseitigung der Kapitalisten gänzlich abgelöst, während andere, wie die „neue Mittelklasse“ (Techniker, Buchhalter usw.), in einen neuen Zusammenhang gestellt werden.

Diese „neue Mittelklasse“ bildet einen Teil der Produktivkräfte und ist folglich ein notwendiges Moment der Produktion. Dennoch ist ihre Position in der Hierarchie der kapitalistischen Gesellschaft eine vorübergehende, ebenso vorübergehend wie der Kapitalismus. Der Sozialismus wird diese hierarchische Position über der des Proletariats vollständig beseitigen. Zwischen den verschiedenen, für die sozialistische Produktionsweise notwendigen Elementen – zwischen Hand- und Kopfarbeit – wird ein neues Verhältnis geschaffen werden. Das neue Verhältnis (das vollständiger weiter unten behandelt werden soll) beginnt in der Übergangsperiode Gestalt anzunehmen.

Die Arbeiterklasse, die ebenso einen Teil der Produktivkräfte wie der kapitalistischen Produktionsverhältnisse bildet, wird die Basis für neue Produktionsbeziehungen und der Ausgangspunkt für die Entwicklung der Produktivkräfte auf der Grundlage dieser Beziehungen. Mit den Worten von Marx:

Von allen Produktionsinstrumenten ist die größte Produktivkraft die revolutionäre Klasse selbst. Die Organisation der revolutionären Elemente als Klasse setzt die fertige Existenz aller Produktivkräfte voraus, die sich überhaupt im Schoß der alten Gesellschaft entwickeln konnten. [312]

 

 

Die Teilung der Arbeit und die Teilung in Klassen

Engels schreibt:

In jeder Gesellschaft mit naturwüchsiger Produktionsentwicklung – und die heutige gehört dazu – beherrschen nicht die Produzenten die Produktionsmittel, sondern die Produktionsmittel beherrschen die Produzenten. In einer solchen Gesellschaft schlägt jeder neue Hebel der Produktion notwendig um in ein neues Mittel zur Knechtung der Produzenten unter die Produktionsmittel. Das gilt vor allem von demjenigen Hebel der Produktion, der bis zur Einführung der großen Industrie weitaus der mächtigste war – von der Teilung der Arbeit. [313]

Die Arbeitsteilung, wie sie sich in der Teilung von geistiger und körperlicher Arbeit darstellt, hat historisch vorübergehenden Charakter; sie hat ihre Wurzeln in der Trennung der Arbeiter von den Produktionsmitteln und in dem daraus resultierenden Antagonismus dieser beiden Elemente.

Mit den Worten von Marx:

Die geistigen Potenzen der Produktion erweitern ihren Maßstab auf der einen Seite, weil sie auf vielen Seiten verschwinden. Was die Teilarbeiter verlieren, konzentriert sich ihnen gegenüber im Kapital. Es ist ein Produkt der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit, ihnen die geistigen Potenzen des materiellen Produktionsprozesses als fremdes Eigentum und sie beherrschende Macht gegenüberzustellen. Dieser Scheidungsprozeß beginnt in der einfachen Kooperation, wo der Kapitalist den einzelnen Arbeitern gegenüber die Einheit und den Willen des gesellschaftlichen Arbeitskörpers vertritt. Er entwickelt sich in der Manufaktur, die den Arbeiter zum Teilarbeiter verstümmelt. Er vollendet sich in der großen Industrie, welche die Wissenschaft als selbständige Produktionspotenz von der Arbeit trennt und in den Dienst des Kapitals preßt. [314]

Der vollständige Sieg des Sozialismus bedeutet die vollständige Beseitigung der Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit. Offensichtlich wäre es unmöglich, diese Trennung unmittelbar nach der sozialistischen Revolution zu beseitigen, aber die Arbeiterkontrolle über die Produktion wird zu einer direkten Brücke zwischen körperlicher und geistiger Arbeit werden sowie der Ausgangspunkt ihrer künftigen Einheit, der vollständigen Beseitigung der Klassen.

 

 

Arbeiter und technische Intelligenz

Die technische Intelligenz bildet einen notwendigen Bestandteil des Produktionsprozesses, einen wichtigen Teil der Produktivkräfte der Gesellschaft – gleichgültig ob einer kommunistischen oder kapitalistischen. Zugleich aber bilden sie – wie wir schon gesagt haben – innerhalb des Kapitalismus eine Schicht innerhalb der Produktionshierarchie. Sie tritt als ein Teil dieser Hierarchie ins Dasein. Ihre monopolistische Position im Hinblick auf die „intellektuellen Produktionsmittel“ (wie Bucharin sie nennt) ist das Ergebnis der Trennung der Arbeiter von den Produktionsmitteln auf der einen und der Vergesellschaftung der Arbeit auf der anderen Seite. Der Sozialismus wird diese Hierarchie beseitigen. In der Übergangsperiode wird sie in einem bestimmten Sinne weiter existieren, in einem anderen jedoch abgeschafft werden. Insoweit geistige Arbeit das Privileg einiger weniger bleibt, werden die hierarchischen Beziehungen in den Fabriken, Eisenbahnen usw. sogar nach der proletarischen Revolution weiter existieren. Aber von der Seite her betrachtet, daß die Position des Kapitalisten in der Hierarchie durch den Arbeiterstaat übernommen wird, d.h. durch die Arbeiter als Kollektiv, das sich die Techniker unterordnet, verschwindet die intellektuelle Hierarchie. Die Arbeiterkontrolle über die technische Intelligenz bedeutet die Unterwerfung kapitalistischer unter sozialistische Formen. je wirksamer die Arbeiterkontrolle, das materielle und kulturelle Niveau der Massen, desto mehr wird die monopolistische Position der Intelligenz untergraben, bis sie schließlich vollständig abgeschafft und die völlige Einheit von geistiger und körperlicher Arbeit hergestellt wird.

Wegen dieser zwiespältigen Rolle der Techniker in ihrem Verhältnis zu den Produktionsarbeitern wiesen die Begründer des Marxismus darauf hin, daß die Unterordnung der technischen Intelligenz unter die Interessen der Gesellschaft als Ganzes sich als eine der größten Schwierigkeiten für die neue Gesellschaft erweisen würde. So schrieb Engels:

Falls ein Krieg uns vorzeitig zur Macht bringt, werden die Techniker unsere Hauptfeinde sein; sie werden uns täuschen und betrügen, wo sie können, und wir werden Terror gegen sie gebrauchen müssen, aber werden ebenso hintergangen werden.

 

 

Arbeitsdisziplin

Jede Form gesellschaftlicher Arbeit erfordert eine Koordinierung zwischen den Personen, die an ihr teilnehmen; mit anderen Worten, jede Form gesellschaftlicher Arbeit erfordert Disziplin. Unter dem Kapitalismus tritt diese Disziplin dem Arbeiter als eine äußere Zwangsgewalt entgegen, als die Gewalt, die das Kapital über ihn hat. Unter dem Sozialismus wird die Disziplin aus dem Bewußtsein resultieren, sie wird zur Gewohnheit eines freien Volkes werden. In der Übergangsperiode wird sie das Ergebnis der Einheit der beiden Elemente sein – Bewußtsein und Zwang. Die staatlichen Institutionen werden die Organisation der Massen als bewußte Kraft sein. Gesellschaftliches Eigentum der Arbeiter an den Produktionsmitteln, d.h. das Eigentum des Arbeiterstaates über die Produktionsmittel, wird die Grundlage des bewußten Elementes der Arbeitsdisziplin sein. Zur gleichen Zeit wird die Arbeiterklasse als Kollektiv, durch ihre Institutionen - Arbeiterräte, Gewerkschaften usw. – als eine Zwangsgewalt im Hinblick auf die Disziplinierung der einzelnen Arbeiter in der Produktion auftreten. Individuelle Konsumtion, das „bürgerliche Recht“ im Hinblick auf die Distribution, wird als ein Mittel der zwangsweisen Disziplinierung dienen. Die Techniker, Aufseher usw. haben eine spezielle Rolle bei der Sicherung der Arbeitsdisziplin. Im Kapitalismus ist der Aufseher der „Transmissionsriemen“, über den die kapitalistische Zwangsgewalt über den Arbeiter ausgeübt wird. Im Kommunismus wird ein Aufseher keinerlei Zwangsfunktionen erfüllen. Sein Verhältnis zu den Arbeitern wird dem eines Dirigenten zu seinem Orchester analog sein, weil die Arbeitsdisziplin dann auf Gewohnheit und Bewußtsein basieren wird. In der Übergangsperiode, wo die Arbeiter, was sie selbst betrifft, sowohl eine disziplinierende als auch eine disziplinierte Kraft sein werden, Subjekt wie Objekt, werden die Techniker faktisch nur als ein „Transmissionsriemen“ fungieren, diesmal des Arbeiterstaates, obwohl sie formell die Vorgesetzten der Arbeiter bleiben.

 

 

Die Arbeiter und die Produktionsmittel

Das Kommunistische Manifest sagt:

In der bürgerlichen Gesellschaft ist die lebendige Arbeit nur ein Mittel, um die aufgehäufte Arbeit zu vermehren. In der kommunistischen Gesellschaft ist die aufgehäufte Arbeit nur ein Mittel, um den Lebensprozeß der Arbeiter zu erweitern, zu bereichern, zu befördern. In der bürgerlichen Gesellschaft herrscht also die Vergangenheit über die Gegenwart, in der kommunistischen Gesellschaft ist das Kapital selbständig und persönlich. [315]

In der kommunistischen Gesellschaft wird die Akkumulation durch die Konsumbedürfnisse des Volkes bedingt sein. In der kapitalistischen Gesellschaft determiniert die Akkumulation das Ausmaß der Beschäftigung und die Lohnrate, d.h. die Rate des Konsums der arbeitenden Bevölkerung. Sogar was den Kapitalismus selbst betrifft, ist das, was ihn zum Kapitalisten macht, nicht der Konsum, sondern die Akkumulation. Wie Marx sagte:

Akkumulation um der Akkumulation, Produktion um der Produktion willen, in dieser Formel sprach die klassische Ökonomie den historischen Beruf der Bourgeoisperiode aus. Sie täuschte sich keinen Augenblick über die Geburtswehen des Reichtums. [316]

Weil der Arbeiter von dem Produkt seiner Arbeit beherrscht wird, bestimmt, begrenzt und untergräbt der Prozeß der kapitalistischen Akkumulation den Konsum. Weil der Arbeiter sein Produkt kontrollieren wird, wird der Konsum im Kommunismus die Akkumulation der Produktionsmittel bestimmen.

In jeder Gesellschaft, welche Form auch immer die Produktionsbeziehungen annehmen, impliziert eine Rationalisierung der Produktion stets den Übergang zur „Umwegproduktion“, d.h. ein Anwachsen des Teils der gesellschaftlichen Arbeit, der auf die Produktion von Produktionsmitteln gerichtet ist. Das bedeutet ein Anwachsen der Rate der „Akkumulation“ relativ zu der Rate des Konsums. Im Kommunismus würde dieses Wachstum der „Akkumulationsrate“ gegenüber der Konsumrate zur gleichen Zeit einen beträchtlichen absoluten Zuwachs des Konsums der Arbeiter bedeuten. Im Kapitalismus wächst dagegen infolge der antagonistischen Distributionsweise die Mehrwertrate und infolgedessen die Akkumulationsrate, während die Konsumrate der Massen unter ihr bleibt.

Akkumulation um der Akkumulation willen ist im Kapitalismus das Ergebnis zweier Faktoren; eines, der Trennung der Arbeiter von den Produktionsmitteln, des anderen, des Bestehens von Konkurrenzbeziehungen zwischen den Kapitalisten, gleichgültig, ob es sich um individuelle monopolistische Kapitalisten oder um Staatskapitalisten handelt. Der Sozialismus schafft diese beiden Aspekte der Produktionsbeziehungen ab. Arbeiterkontrolle über die Produktion und die Abschaffung nationaler Grenzen – dies sind die beiden Bedingungen für die volle Unterordnung der Akkumulation unter den Konsum. Unter solchen Bedingungen wird die Gesellschaft akkumulieren um zu konsumieren. Diese Unterordnung der Akkumulation unter den Konsum wird, indem sie den materiellen und kulturellen Lebensstandard der Massen hebt, zugleich das Monopol der Techniker über die „intellektuellen Produktionsmittel“ schwächen und so die Arbeiterkontrolle über die Produktion stärken.

 

 

Die Distributionsverhältnisse in der Übergangsperiode

Die klarste und exakteste Analyse dieser Frage wurde von Marx in seiner Kritik des Gothaer Programms, gegeben:

Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eigenen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht; die also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie hervorkommt. Demgemäß erhält der einzelne Produzent – nach den Abzügen – exakt zurück, was er ihr gibt. Was er ihr gegeben hat, ist sein individuelles Arbeitsquantum. Z.B. der gesellschaftliche Arbeitstag besteht aus der Summe der individuellen Arbeitsstunden; die individuelle Arbeitszeit des einzelnen Produzenten ist der von ihm gelieferte Anteil des gesellschaftlichen Arbeitstages, sein Anteil daran. Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, daß er soundsoviel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds) und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumtionsmitteln soviel heraus, als gleich viel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der anderen zurück.

Es herrscht hier offenbar dasselbe Prinzip, das den Warenaustausch regelt, soweit der Austausch gleichwertiger ist. Inhalt und Form sind verändert, weil unter den verminderten Umständen niemand etwas geben kann, außer seiner Arbeit, und weil andererseits nichts in das Eigentum der einzelnen übergehen kann, außer individuellen Konsumtionsmitteln. Was aber die Verteilung der letzteren unter die einzelnen Produzenten betrifft, herrscht dasselbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten, es wird gleich viel Arbeit in einer Form gegen gleich viel Arbeit in einer anderen umgetauscht.

Das gleiche Recht ist hier daher immer noch dem Prinzip nach das bürgerliche Recht, obgleich Prinzip und Praxis sich hier nicht mehr in den Haaren liegen, während der Austausch von Äquivalenten beim Warenaustausch nur im Durchschnitt, nicht für den einzelnen Fall existiert.

Trotz dieses Fortschritts ist dieses gleiche Recht stets noch mit einer bürgerlichen Schranke behaftet. Das Recht der Produzenten ist ihren Arbeitslieferungen proportional; die Gleichheit besteht darin, daß an gleichem Maßstab, der Arbeit, gemessen wird.

Der eine ist aber physisch oder geistig dem anderen überlegen, liefert also in derselben Zeit mehr Arbeit oder kann während mehr Zeit arbeiten; und die Arbeit, um als Maß zu dienen, muß der Ausdehnung oder der Intensität nach bestimmt werden, sonst hört sie auf, Maßstab zu sein. Dies gleiche Recht ist ungleiches Recht für ungleiche Arbeit. Es erkennt keine Klassenunterschiede an, weil jeder nur Arbeiter ist wie jeder andere; aber es erkennt stillschweigend die ungleiche individuelle Begabung und daher Leistungsfähigkeit als natürliche Privilegien an. Es ist daher ein Recht der Ungleichheit, seinem Inhalt nach, wie alles Recht.

Das Recht kann seiner Natur nach nur in Anwendung von gleichem Maßstab bestehen; aber die ungleichen Individuen (und sie wären nicht verschiedene Individuen, wenn sie nicht ungleiche wären) sind nur an gleichem Maßstab meßbar, soweit man sie unter einen gleichen Gesichtspunkt bringt, sie nur von einer bestimmten Seite faßt, z.B. im gegebenen Fall sie nur als Arbeiter betrachtet; und weiter nichts in ihnen sieht, von allem anderen absieht. Ferner: Ein Arbeiter ist verheiratet, der andere nicht; einer hat mehr Kinder als der andere usw. Bei gleicher Arbeitsleistung und daher gleichem Anteil in dem gesellschaftlichen Konsumtionsfonds erhält also der eine faktisch mehr als der andere, ist der eine reicher als der andere usw. Um alle diese Mißstände zu vermeiden, müßte das Recht, statt gleich, ungleich sein. Aber alle diese Mißstände sind unvermeidbar in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft nach langen Geburtswehen hervorgegangen ist. Das Recht kann nie höher sein als die ökonomische Gestaltung und dadurch bedingte Kulturentwicklung der Gesellschaft.

In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch die Produktionskräfte gewachsen sind und alle Springkräfte des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen! [317]

Auch wenn die Arbeiter sich voneinander in ihrer Geschicklichkeit, in ihren Bedürfnissen und in denen ihrer Familien unterscheiden: In einer Hinsicht müssen sie absolut gleich sein, damit die gleiche Menge Arbeit, die jeder Arbeiter der Gesellschaft in der einen Form gibt, ihm in einer anderen zurückgegeben werden kann – in dem Eigentum an den Produktionsmitteln. Das Wachstum der Produktion, der Zuwachs der der Gesellschaft gehörenden Produktionsmittel, d.h. der gleich allen Arbeitern gehörenden, wird zunehmend das gleiche Recht in der Verteilung der Produkte untergraben. Dies wird umgekehrt die Gleichheit zwischen den Individuen fördern. Und so schließt das bürgerliche Recht der Übergangsperiode seine eigene Negation ein.

Das bürgerliche Recht in der Übergangsperiode, das besagt, daß jeder Arbeiter Konsumgüter von der Gesellschaft in dem Maße bekommt, wie er ihr Arbeit gibt, beruht auf sozialer Gleichheit im Hinblick auf die Produktionsmittel und wird infolgedessen von selbst verschwinden.

 

 

Bauern und Arbeiter

Die Oktoberrevolution war die Verschmelzung von zwei Revolutionen: die der sozialistischen Arbeiterklasse, als Resultat des reifen Kapitalismus, und der der Bauern, als Ergebnis des Konflikts zwischen dem entstehenden Kapitalismus und den alten feudalen Institutionen. Zu allen Zeiten waren die Bauern bereit, das Privateigentum der Großgrundbesitzer zu enteignen, aber sie wollten ihr eigenes, kleines Privateigentum. Während sie bereit waren, gegen den Feudalismus zu rebellieren, waren sie es aus diesem Grunde nicht für den Sozialismus. Die französische Geschichte zeigt das gleiche Verhalten bei den französischen Bauern. Nach 1789 unterstützten sie stets reaktionäre Regierungen gegen die „rote Gefahr“ der Pariser Arbeiterklasse. Sie waren es, die das solide Rückgrat Bonapartes und später für seinen Neffen Napoleon III. und für Thiers bildeten. In Westeuropa (abgesehen von Spanien und Italien), wo große Güter abgeschafft worden sind, wählen die Dörfer selten einen sozialistischen oder kommunistischen Abgeordneten ins Parlament. Folglich überrascht es nicht, daß sich sofort nach der Oktoberrevolution starke Risse in der siegreichen Allianz von Arbeitern und Bauern zeigten. Als erst einmal die weißen konterrevolutionären Armeen und mit ihnen die Gefahr der Restauration des Großgrundbesitzes vernichtet waren, blieb von der ursprünglichen Loyalität der Bauern gegenüber den Arbeitern wenig übrig. Für die Bauern war es eine Sache, einer

Regierung ihre Unterstützung zu geben, die das Land verteilte, aber es war etwas ganz anderes, als dieselbe Regierung begann, ihre Produkte zu beschlagnahmen, um die hungrige Bevölkerung in den Städten zu ernähren. Dieser Zwiespältigkeit in dem Verhalten der Bauern gegenüber der Sowjetregierung gab eine Reihe von Provinzdelegierten auf dem Zwölften Kongreß der Kommunistischen Partei im April 1923 Ausdruck. Ihre Berichte zeigten, daß die Bauern die Bolschewiki und die Kommunisten als zwei verschiedene Sorten von Menschen betrachteten: Erstere gaben ihnen Land, letztere legten ihnen das Joch des Staates auf. (Dieses Mißverständnis wurde durch die Tatsache begünstigt daß erst auf dem 7. Kongreß der Partei – 1918 – der Name „Kommunistische Partei“. angenommen wurde.)

Sozialistische Arbeiter treten für vergesellschaftete Arbeit, Staatseigentum und sozialistische Planung ein, die Bauern für individuelle Kleinproduktion, Privateigentum und Handelsfreiheit. Es ist unmöglich, einen permanenten Konflikt zwischen diesen beiden Produktionssystemen zu vermeiden.

Die Kleinproduktion aber erzeugt unausgesetzt, täglich, stündlich, elementar und im Massenumfang Kapitalismus und Bourgeoisie. [318]

Die Rückständigkeit der landwirtschaftlichen Produktion und ihr individueller Charakter bedeuten ein ernsthaftes Hindernis für die Entwicklung geplanter industrieller Produktion. Um Abraham Lincoln zu zitieren: „Ihr könnt Euer Haus nicht zur Hälfte auf kollektiver, geplanter und auf der anderen Hälfte auf anarchischer und individualistischer Arbeit begründen.“

Die konservative Haltung der russischen Bauernschaft wurde nach der Oktoberrevolution nicht nur dadurch bestärkt, daß die Agrarrevolution durch die Beseitigung des feudalen Grundbesitzes die revolutionäre Flut bei den Bauern verebben ließ, sondern auch dadurch, daß sie die Klassendifferenzen innerhalb der Bauernschaft selbst stark verringerte. Die Zahl der proletarischen und halbproletarischen Landarbeiter, die natürlichen Verbündeten der städtischen Arbeiterklasse, wurde durch die Agrarrevolution drastisch reduziert, die noch eindeutiger demokratisch war und in Rußland viel weiter ging als in Frankreich 1789. In der Französischen Revolution wurden die großen Güter generell verkauft und fielen so in die Hand der Leute, die Geld hatten – die Reichen in der Stadt und auf dem Lande. In Rußland wurden nicht nur die großen Güter, sondern auch viele Höfe der reichen Bauern besetzt und das Land frei verteilt.

Es ist äußerst schwierig, die Methoden der vergesellschafteten Produktion auf die Landwirtschaft anzuwenden. Anders als die Industrie ist die Landwirtschaft sogar in den fortgeschrittensten Ländern vorwiegend in kleinen Produktionseinheiten organisiert. Viele industrielle Fabriken beschäftigen Hunderte und Tausende von Arbeitern, aber sogar in den Vereinigten Staaten herrscht die kleine Farm vor. So war von der gesamten, 1944 in der US-Landwirtschaft aufgewendeten Arbeit 77% Familienarbeit. [319]

Die Tatsache, daß das Überleben der kleinen Farm in vielen Fällen darauf zurückzuführen ist, daß der kleine Farmer, der Arbeiter, Kapitalist und Grundbesitzer in einer Person ist, in der Tat bereit ist, sehr hart zu arbeiten – unter Verzicht auf Rente und Profit und bei sogar niedrigerem Einkommen als der städtische Arbeiter –, ist für unser Argument irrelevant.

Der entscheidende Faktor ist, daß die technologische Überlegenheit der Produktion auf großer Stufenleiter gegenüber der Kleinproduktion in der Landwirtschaft unvergleichlich geringer ist als in der Industrie. Das gilt noch mehr für die intensive gemischte landwirtschaftliche Produktion als für den Getreideanbau. (Und nebenbei dürfen wir nicht vergessen) daß in dem Maße, wie die Bevölkerung in den Städten wächst und der Lebensstandard steigt, die Bedeutung des Getreideanbaus relativ zur intensiven Landwirtschaft sinkt – zur Produktion von Milch, Gemüse, Früchten, Fleisch usw.) In vielen Ländern entstanden große Farmen nicht als Resultat des Untergangs kleiner Farmen im freien Wettbewerb, sondern als Ergebnis außerökonomischer Faktoren – Einhegungen, Übernahme feudaler Güter und ähnlichem.

Engels Ansicht über die Haltung, die nach der sozialistischen Revolution den Bauern gegenüber eingenommen werden müsse, war wie folgt:

Es ist ... handgreiflich, daß, wenn wir im Besitz der Staatsmacht sind, wir nicht daran denken können, die Kleinbauern gewaltsam zu expropriieren ... Unsere Aufgabe gegenüber dem Kleinbauern besteht zunächst darin, schien Privatbetrieb und Privatbesitz in einen genossenschaftlichen überzuleiten, nicht mit Gewalt, sondern durch Beispiel und Darbietung von gesellschaftlicher Hilfe zu diesem Zweck. Und da haben wir allerdings Mittel genug, um dem Kleinbauern Vorteile in Aussicht zu stellen, die ihm schon jetzt einleuchten müssen ...

Und wir stehn ja entschieden auf der Seite des Kleinbauern: wir werden alles nur irgend zulässige tun, um sein Los erträglicher zu machen, um ihm den Übergang zur Genossenschaft zu erleichtern, falls er sich dazu entschließt, ja sogar, um ihm, falls er diesen Entschluß noch nicht fassen kann, eine verlängerte Bedenkzeit auf seiner Parzelle zu ermöglichen. [320]

Er glaubte, daß für die Bauernschaft in Mittel- und Westeuropa Generationen für den freiwilligen Zusammenschluß zu Kooperativfarmen brauchen würde. Offensichtlich sind in einem Land, wo die große Mehrheit der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt ist und wo die Industrie noch viel weniger in der Lage ist, die Bedürfnisse der Bauern zu befriedigen und so einen Anreiz zur Kollektivproduktion zu geben – wie in Rußland 1917 –, die Hindernisse für einen freiwilligen Zusammenschluß der Bauern in Produktionskooperativen noch größer. Freiwillige Zusammenarbeit setzt eine hochmechanisierte Landwirtschaft voraus, gute, vom Staat bezahlte Preise für landwirtschaftliche Produkte, ein reichliches Angebot an billigen Industriegütern für die Bauernschaft und sehr niedrige Steuern für sie. Kurzum: allgemeinen Überfluß.

Kurz nach der Revolution wurde es einer Reihe bolschewistischer Theoretiker – vor allem dem Ökonomen Eugen Preobaschensky - klar, daß das in der Industrie erzeugte Mehrprodukt allein nicht für die Kapitalakkumulation ausreichen würde, vor allem weil „von dem Augenblick ihres Sieges an die Arbeiterklasse ... gegenüber ihrer eigenen Arbeitskraft, Gesundheit und ihren Arbeitsbedingungen nicht dieselbe Haltung einnehmen (kann), wie es der Kapitalist getan hat. Dies stellt ein entscheidendes Hindernis für das Tempo der sozialistischen Akkumulation dar, ein Hindernis, das die kapitalistische Industrie in der Zeit ihrer ersten Entwicklung nicht kannte. [321]

Im Gegensatz zur „Sozialistischen Akkumulation“ postulierte Preobaschensky die „ursprüngliche sozialistische Akkumulation“ [322] , die er als die „Akkumulation materieller Hilfsquellen in den Händen des Staates, aus Quellen, die teilweise oder hauptsächlich außerhalb der Staatswirtschaft liegen“, definiert. „Diese Akkumulation muß in einem rückständigen bäuerlichen Land eine außerordentlich große Rolle spielen ... Zweitens herrscht Akkumulation der anderen Art, d.h. auf Kosten des nichtstaatlichen Milieus in der Periode [der Industrialisierung], stark vor. Aus diesem Grund sollten wir diesen ganzen Zeitraum die Periode der ursprünglichen oder vorläufigen sozialistischen Akkumulation nennen.“ [323]

Diese „Quelle außerhalb der Staatswirtschaft“ war die Landwirtschaft. Ebenso wie das Handelskapital in Westeuropa in der merkantilistischen Periode Reichtum durch koloniale Ausbeutung aufhäufte, so würde die Sowjetindustrie auf interne „Kolonien“, (um einen Ausdruck zu gebrauchen, den Preobaschensky heftig bekämpfte) zurückgreifen – die kleine, individualistische Landwirtschaft. Preobaschensky trat weder dafür ein, den merkantilistischen Kaufleuten in der Gewaltanwendung gegen die Bauern zu folgen, noch dafür, irgendeine Klasse – in diesem Fall die Arbeiterklasse – in die Position einer ausbeutenden Klasse zu erheben. Er schlug Maßnahmen vor, die weit milder waren als die, die die merkantilistische Bourgeoisie gebraucht hatte. Er trat für eine teilweise Aufhebung des Wertgesetzes durch eine Veränderung der Austauschverhältnisse zwischen Industrie und Landwirtschaft zugunsten der ersteren und gegen die letztere ein, so daß eine Arbeitseinheit in der Staatsindustrie gegen mehr als eine Arbeitseinheit in der Landwirtschaft ausgetauscht werden würde. Er nahm an, daß diese Austauschverhältnisse bald zu einem so schnellen Anstieg des allgemeinen Produktionsniveaus der Gesellschaft führen würden, daß nicht nur das Einkommen der Gesellschaft als Ganzes anstiege, sondern auch absolut gesehen – das Einkommen der Bauernschaft.

Tatsächlich hätte die Ausführung von Preobaschenskys „Gesetz der ursprünglichen sozialistischen Akkumulation“ logischerweise zu einem ganz anderen Zustand geführt, als er vorausgesehen hatte. Jeder Versuch, die Bauern zu „schröpfen“, wäre wahrscheinlich mit einer absichtlichen Reduzierung der Produktion beantwortet worden, so daß das Handelsvolumen gefallen wäre, sobald sich die Austauschverhältnisse zwischen Industrie und Landwirtschaft zuungunsten der letzteren verschoben hätten. Es hätte nur einen Weg gegeben, mit einem solchen „Streik“ fertigzuwerden: die Anwendung von Gewalt gegen die Bauern, ihre Enteignung und Konzentration auf so große Farmen, daß es dem Staat möglich wäre, ihre Arbeit und ihre Produktion zu kontrollieren. Würde der Staat diese Methoden anwenden, sähe er sich außerdem mit einer ernsthaften Opposition von seiten der Arbeiter konfrontiert. Von diesen waren ja viele, wie gewöhnlich einem rückständigen Land, gerade neu in die Industrie eingetreten und hatten deshalb natürlich noch enge Familienbindungen zu den Dörfern. Schließlich: Wenn der Staat bei der Durchsetzung der „ursprünglichen sozialistischen Akkumulation“ zu Unterdrückungsmethoden griffe; was würde ihn daran hindern, das gleiche bei der „sozialistischen Akkumulation“ zu tun, bezüglich der Auspressung von Mehrarbeit von den Arbeitern in der Staatsindustrie selbst?

Eine Lösung des Konflikts zwischen der Staatsindustrie und der individualistischen Landwirtschaft in einem rückständigen Lande hätte darin bestehen können, das Entwicklungstempo der Industrie von der Rate der Entwicklung des landwirtschaftlichen Überschusses abhängig zu machen. Als Folge der Agrarrevolution ergab sich ein beträchtlicher Rückgang bei den auf den Markt gelangenden Überschüssen der Landwirtschaft, weil die großen Grundbesitzer und die Kulaken am meisten zu diesen Überschüssen beigetragen hatten. Die Landverteilung reduzierte die Quellen der auf dem Markt verkauften landwirtschaftlichen Produkte, indem sie den Anteil des mittleren Bauern, der vor allem für seinen eigenen Unterhalt arbeitete, vergrößerte.

Größere Überschüsse hätten sicherlich durch eine Vergrößerung des Landanteils der reichen Bauern, die im Russischen „Kulaken“ genannt werden, erreicht werden können. Aber um die Entwicklung der Staatsindustrie von der der Kulakenwirtschaft abhängig zu machen, wäre eine Beschränkung des industriellen Entwicklungstempos auf einen Schneckengang und so eine Schwächung der industriellen Arbeiterklasse gegenüber den Kulaken notwendig gewesen. Das hätte unvermeidlich zu einem Sieg des Privatkapitalismus in der gesamten Wirtschaft geführt.

Alternativ dazu hätte der Konflikt zwischen Industrie und Landwirtschaft durch eine schnelle Industrialisierung auf der Grundlage der „ursprünglichen Akkumulation“ gelöst werden können – indem die Bauern enteignet, in große, mechanisierte Farmen gepreßt und dadurch Arbeitskraft für die Industrie und für die Stadtbevölkerung verfügbare Überschüsse freigesetzt werden würden. Diese Methode der „ursprünglichen Akkumulation“ muß ebenfalls letzten Endes zu der Unterordnung der Industriearbeiter unter die Erfordernisse der Kapitalakkumulation führen. Das ist der Weg der Einordnung der individuellen landwirtschaftlichen Produktion in eine staatskapitalistische Wirtschaft.

In beiden Fällen ist es lächerlich, ein Aufblühen der sozialistischen Demokratie zu erwarten. Im Gegenteil: Im ersten Fall gerät der Staat notwendigerweise unter wachsenden Druck von seiten der Kulaken und muß sich deshalb mehr und mehr von den Arbeitern trennen. Im zweiten Fall muß der Staat allmächtig werden, und folglich müssen seine Beamten autokratisch sowohl gegenüber Arbeitern wie Bauern auftreten.

(Diese beiden Methoden, das Problem zu lösen, wurden tatsächlich ausprobiert, die erste während der Periode der „Neuen ökonomischen Politik“ (NEP) – 1921-1928 – und die zweite mit den Fünf-Jahres-Plänen.)

 

 

Schlußfolgerung

Die Wirtschaft eines Arbeiterstaates und eine kapitalistische Wirtschaft haben viele gemeinsame Merkmale. Der Arbeiterstaat – eine Übergangsstufe zwischen Kapitalismus und Kommunismus – enthält unvermeidlich noch einige Merkmale der Gesellschaft, aus deren Niedergang er entsteht, und einige Keime der zukünftigen Gesellschaft. Diese antagonistischen Elemente sind jedoch in der Übergangsperiode zusammengeschlossen, wobei das erstere dem letzteren, die Vergangenheit der Zukunft untergeordnet ist. Gemeinsam ist dem Arbeiterstaat wie dem Kapitalismus die Teilung der Arbeit, in erster Linie die Teilung zwischen geistiger und körperlicher Arbeit. Das unterscheidende Merkmal ist das Bestehen oder Nichtbestehen von Arbeiterkontrolle über die Produktion. Die Arbeiterkontrolle bildet die Brücke, wenn auch eine schmale Brücke, für die Beseitigung der Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit, die vollständig mit der Errichtung der kommunistischen Gesellschaft verwirklicht sein wird. Gemeinsam sowohl dem Arbeiterstaat wie dem Kapitalismus ist die Tatsache, daß die technische Intelligenz eine Hierarchie über den Arbeitern bildet (obwohl sie in einem Arbeiterstaat nicht in ihrem Wesen eine Hierarchie ist). Das unterscheidende Merkmal liegt in der Tatsache, daß in dem Arbeiterstaat die Techniker nicht dem Kapital, sondern dem Willen des Arbeiterstaates untergeordnet sind, dem Kollektiv der Produzenten. Dies ist der Ausgangspunkt der Abschaffung oder sozialen Hierarchie in der Produktion. Elemente einer zwangsweisen Arbeitsdisziplin werden in dem Arbeiterstaat existieren, ebenso wie im Kapitalismus. Aber im Gegensatz zum Kapitalismus werden sie keine zentrale Rolle spielen und werden mehr und mehr der bewußten Einsicht untergeordnet, bis zu der Zeit, in der soziale Solidarität, harmonische Beziehungen zwischen den Individuen und Erziehung Zwang im Produktionsprozeß schließlich völlig überflüssig machen werden. In dem Arbeiterstaat werden ebenso wie im Kapitalismus Äquivalente ausgetauscht: Ein Produkt, das eine bestimmte Menge gesellschaftlich notwendiger Arbeit enthält, wird gegen ein anderes ausgetauscht, das die gleiche Menge enthält. Aber in einem Arbeiterstaat wird dieses Resultat in erster Linie durch bewußte Lenkung der Wirtschaft und nicht durch das Spiel blinder Kräfte erreicht, und zweitens – und dies ist von fundamentaler Bedeutung – basiert der Austausch von Äquivalenten auf der Gleichheit der Rechte aller direkten Produzenten im Hinblick auf die Produktionsmittel. Bürgerliches Recht unter der Bourgeoisie bedeutet Ausbeutung: Das bürgerliche Recht der Verteilung in einem Arbeiterstaat „erkennt stillschweigend die ungleiche individuelle Begabung und folglich Arbeitsfähigkeit als natürliche Privilegien an“ aber erklärt die Gleichheit der Produzenten im Hinblick auf die Produktionsmittel. Die Vorbedingungen für das bürgerliche Recht der Distribution in einem Arbeiterstaat sind das Fehlen jeder Ausbeutung und die Entwicklung hin zur vollständigen Abschaffung jeder ökonomischen Ungleichheit, einschließlich der, die aus der natürlichen individuellen Begabung resultiert.

 

 

Anmerkungen

312. K. Marx: Das Elend der Philosophie, hrsg. v.S. Landshut, Stuttgart 1964, S.523.

313. F. Engels: Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, Berlin 1968, MEW, Bd.20, S.271.

314. K. Marx: Das Kapital, Bd.I, Berlin 1968, S.382.

315. K. Marx: Das Kommunistische Manifest, a.a.O., S.60.

316. K. Marx: Das Kapital, Bd.I, a.a.O., S.621.

317. K. Marx: Kritik des Gothaer Programms, in Marx-Engels, Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Berlin 1953, S.15-16.

318. W.I. Lenin: Der linke Radikalismus, in Ausgewählte Werke, Bd.II, Moskau 1947.

319. C. Clark: The Conditions of Economic Progress, Zweite Auflage, London 1951, S.238.

320. F. Engels: Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland, MEW, Bd.22, S.499-501.

321. Vgl. Trotzkis Rede auf dem 12. Parteitag, 12. Kongreß der Russischen Kommunistischen Partei (Bolschewiki), Stenographischer Bericht, Moskau 1923, S.321.

322. Der erste, der diesen Begriff prägte, scheint der bolschewistische Ökonom V.M. Smirnow gewesen zu sein. (12)

323. E. Preobaschenski, a.a.O., S.108.

 


Zuletzt aktualisiert am 18.9.2002