Joseph Dietzgen

Das Wesen der Menschlichen Kopfarbeit

 

IV. Die Praxis der Vernunft in der Physischen Wissenschaft

a) Ursache und Wirkung

„Das Wesen der Naturlehre“, sagt F. W. Bessel, „be­steht darin, dass sie die Erscheinungen nicht als für sich be­stehende Tatsachen betrachtet, sondern die Ursachen auf­sucht, deren Folgen die Erscheinungen sind. Hierdurch wird die Kenntnis der Natur auf die kleinste Zahl der Tatsachen zurückgebracht.“ Aber auch schon vor dem Zeitalter der Naturwissenschaft hatte man für die Erscheinungen der Natur Ursachen aufgesucht. Das Charakteristische der Naturwissenschaft besteht nicht sowohl in der Forschung nach Ursachen als in der eigentümlichen Beschaffenheit, in der Qualität der Ursachen, welche sie erforscht.

Die induktive Wissenschaft hat den Begriff der Ursache wesentlich verändert. Das Wort hat sie behalten, aber ver­steht darunter ganz eine andere Sache als die Spekulation. Der Naturforscher versteht innerhalb seines Fachs die Ur­sache ganz anders als außerhalb, wo er vielfältig speku­liert, weil er die Wissenschaft und ihre Ursache nur noch im Besonderen, aber nicht im Generellen kennt. Die unwissen­schaftlichen Ursachen sind supranaturalistischer Art, sind außernatürliche Geister, Götter, Kräfte, große oder kleine Kobolde. Der ursprüngliche Begriff der Ursache ist ein anthropomorphistischer Begriff. Im Stande der Unerfahren­heit mißt der Mensch das Objektive mit subjektivem Maß­stabe, beurteilt die Welt nach seinem Selbst. So wie er Dinge mit Vorbedacht schafft, so überträgt er der Natur seine menschliche Manier, denkt sich von den Erschei­nungen der Sinnlichkeit eine so äußerliche, schöpferische Ursache, wie er selbst die separate Ursache seiner eigenen Schöpfungen ist. Diese subjektive Art verschuldet es, dass man so lange vergeblich nach objektiver Erkenntnis strebte. Die unwissenschaftliche Ursache ist eine Spekulation, eine Wissenschaft a priori.

Will man der subjektiven Erkenntnis den Namen Er­kenntnis belassen, dann unterscheidet sich von ihr die ob­jektive wissenschaftliche Erkenntnis dadurch, dass sie ihre Ursachen nicht durch Glauben, oder Spekulation, sondern durch Erfahrung, durch Induktion, nicht a priori, sondern a posteriori gewahr wird. Die Naturwissenschaft sieht ihre Ursachen nicht außer oder hinter den Erscheinungen, son­dern in oder mittelst derselben. Die moderne Forschung sucht in ihren Ursachen keinen äußerlichen Schöpfer, son­dern das immanente System, die Methode oder allgemeine Art und Weise der in zeitlicher Nacheinanderfolge gegebenen Er­scheinungen. Die unwissenschaftliche Ursache ist ein „Ding an sich“, ein kleiner Herrgott, welcher die Wirkungen selb­ständig zeugt und sich dahinter versteckt. Der wissen­schaftliche Begriff der Ursache dagegen will nur die Theorie der Wirkungen, das Generelle der Erscheinung. Eine Ursache erforschen heißt nunmehr, die betreffenden Erscheinungen generalisieren, die Vielfältigkeit der Empirie in eine wissen­schaftliche Regel zusammenpacken. „Hierdurch wird die Kenntnis der Natur auf die kleinste Zahl der Tatsachen be­schränkt.“

Wie irgendein kleinlicher, weibischer Aberglaube sich von dem historischen Aberglauben eines ganzen Zeitalters, nicht mehr und nicht minder unterscheidet sich das täglichste, hausbackenste, platteste Wissen von der höchsten, selten­sten, neu entdecktesten Wissenschaft. Wir dürfen deshalb – nebenbei gesagt – wohl auch unsere Beispiele dem täg­lichen Kreise entnehmen, statt sie in der sogenannten höheren Region einer entlegenen Wissenschaft aufzusuchen. Der gemeine Menschenverstand hat längst induktive natur­wissenschaftliche Ursachen praktiziert, bevor noch die Wissenschaft zu der Entdeckung gelangt war, dass sie ihre höheren Ziele in derselben Art zu verfolgen habe. Nur wenn der gemeine Menschenverstand sich über das Feld seiner nächsten Umgebung erheben will, gelangt er, ganz wie der Naturforscher, zu dem Glauben an die geheimnisvolle Ur­sache der spekulativen Vernunft. Um auf dem Boden des realen Wissens festzustehen, bedarf es für alle der Erkenntnis, in welcher Art und Weise die induktive Vernunft ihre Ur­sachen ermittelt.

Werfen wir zu diesem Zwecke einen kurzen Rückblick auf das gewonnene Resultat vom Wesen der Vernunft. Wir wissen, das Erkenntnisvermögen ist kein Ding, keine Er­scheinung an oder für sich, weil dasselbe nur in Kontakt mit anderem, mit einem Gegenstande wirklich wird. Was immer jedoch vom Gegenstand gewußt wird, ist nicht nur durch den Gegenstand, sondern zugleich auch durch die Vernunft ermittelt. Das Bewußtsein ist, wie alles Sein, relativ. Wissen ist Kontakt einer Verschiedenheit. Mit dem Wissen ist Trennung, ist Subjekt und Objekt, ist Mannigfaltigkeit in der Einheit gegeben. Da wird eines am anderen zur Ur­sache, eines am anderen zur Wirkung. Die gesamte Welt der Erscheinung, wovon das Denken nur ein besonderes Quan­tum, eine Form, ist absoluter Kreis, wo überall und nirgends Anfang und Ende, Wesen und Erscheinung, Ursache und Wirkung, Allgemeines und Besonderes ist. Wie die gesamte Natur in letzter Instanz die einzige generelle Einheit ist, der gegenüber alle besonderen Einheiten zur Vielheit werden, so ist dieselbe Natur die Objektivität, die Sinnlich­keit, oder wie sonst wir die Summe aller Erscheinung oder Wirkung zu nennen belieben, Ursache in letzter Instanz, der gegenüber alle anderen Ursachen zu Wirkungen herabsinken. Hierbei jedoch dürfen wir nicht verkennen, dass diese Ur­sache aller Ursachen nur die Summe aller Wirkungen, nichts anderes oder höheres ist. Jede Ursache wirkt, jede Wir­kung ursacht.

Eine Ursache ist leiblich sowenig von ihrer Wirkung zu trennen wie das Sichtbare vom Gesicht, wie der Geschmack von der Zunge, wie überhaupt das Allgemeine vom Be­sonderen. Gleichwohl trennt das Denkvermögen eines vom anderen. Wir sollen nun wissen, dass diese Trennung eine bloße Formalität der Vernunft ist, eine Formalität jedoch, welche nötig ist, um vernünftig oder bewußt zu sein, um wissenschaftlich zu agieren. Die Praxis des Wissens oder die wissenschaftliche Praxis leitet das Besondere aus dem All­gemeinen her, die natürlichen Dinge aus der Natur. Wer jedoch dem Denkvermögen hinter die Kulissen gesehen, weiß, dass umgekehrt das Allgemeine aus dem Besonderen, der Naturbegriff von den natürlichen Dingen abgeleitet ist. Die Theorie des Wissens oder der Wissenschaft lehrt uns, dass das Vorhergehende aus dem Nachfolgenden, die Ursache aus der Wirkung erkannt ist, obgleich unserem praktischen Wissen das Nach eine Folge des Vorgangs, die Wirkung eine Folge der Ursache ist. Dem Denkvermögen, dem Organ des Allgemeinen ist das Gegenteil, das Besondere, Gegebene, Andere sekundär; aber dem Denkvermögen, das sich selbst begreift, ist es primär. Die Praxis des Erkennens soll und kann jedoch durch ihre Theorie nicht verändert werden, sondern nur das Bewußtsein den sicheren Schritt empfangen. Der wissenschaftliche Landwirt unterscheidet sich vom praktischen nicht dadurch, dass er Theorie, dass er Methode hat – davon besitzen beide —, sondern da­durch, dass er von seiner Theorie weiß, während der andere instinktiv theoretisiert.

Doch zur Sache: aus der gegebenen Mannigfaltigkeit überhaupt erzeugt die Vernunft die Wahrheit im Allgemeinen, aus der zeitlichen Mannigfaltigkeit, aus Veränderungen die wahre Ursache. Wie absolute Mannigfaltigkeit die Natur des Raumes, so ist absolute Veränderlichkeit die Natur der Zeit. Jeder Teil der Zeit ist wie jeder Teil des Raumes neu, original, nie dagewesen. In dieser absoluten Veränderlich­keit uns zurechtfinden hilft das Denkvermögen, indem es, wie die Mannigfaltigkeit des Raumes durch namhafte Dinge, so die Veränderungen der Zeit durch namhafte Ur­sachen generalisiert. Das Sinnliche zu generalisieren, im Besonderen das Allgemeine zu gewahren, darin besteht das ganze Wesen der Vernunft. Wer mittels der Erkenntnis, dass die Vernunft Organ des Allgemeinen, dieselbe nicht völlig begreift, vergißt, dass zum Begreifen ein gegebenes Objekt gehört, was außerhalb des Begriffs bleibt. Das Sein dieses Vermögens ist sowenig zu begreifen wie das Sein überhaupt. Oder vielmehr, das Sein ist begriffen, wenn wir es in seiner Generalität nehmen. Nicht das Dasein, son­dern das Generelle des Daseins ist durch die Vernunft wahr­zunehmen.

Vergegenwärtigen wir uns beispielsweise den Prozeß, den die Vernunft ausführt, wenn sie eine unverstandene Sache begreift. Unterstelle eine sonderbare, d. h. un­erwartete, unerfahrene chemische Veränderung, die mit irgendeinem Gemisch plötzlich und ohne weiteres Zutun vorgeht. Unterstelle ferner, dass diese Veränderung dem­nach öfter passiert, bis uns die Erfahrung zu der Erkenntnis bringt, dass dem unerklärlichen Wechsel des Gemisches jedesmal eine Berührung mit Sonnenlicht vorhergeht. Da­mit ist schon der Vorgang begriffen. Unterstelle noch ferner, dass weitere Erfahrung lehrt, wie noch mehrere andere Stoffe die Eigenschaft besitzen, in Berührung mit Sonnen­licht die betreffende Veränderung einzugehen, so ist damit die unbekannte Erscheinung einer größeren Anzahl von Erscheinungen derselben Art angereiht, d. h. weiter, tiefer, vollständiger begriffen. Finden wir nun schließlich noch einen Teil des Sonnenlichts oder ein besonderes Element der Mischung, welche miteinander die Veränderung eingehen, so ist die Erfahrung rein generalisiert, oder die Generali­sation rein erfahren, d. h., die Theorie ist komplett, die Ver­nunft hat ihre Aufgabe gelöst und hat doch nur dasselbe getan, als wenn sie Tier- oder Pflanzenreich in Gattungen, Familien, Arten usw. verteilt. Die Art, das Genus, das Ge­schlecht einer Sache ermitteln, heißt sie begreifen.

In derselben Weise verfährt die Vernunft, indem sie die Ursachen gegebener Veränderungen ermittelt. Ursachen werden wir nicht durch Sehen, Hören, Fühlen, nicht sinn­lich gewahr. Ursachen sind Produkte des Denkvermögens. Sie sind allerdings nicht dessen reine Produkte, sondern sind gezeugt vom Denkvermögen in Verbindung mit sinn­lichem Material. Dies sinnliche Material gibt der also er­zeugten Ursache ihre objektive Existenz. Wie wir von der Wahrheit verlangen, dass sie Wahrheit einer objektiven Er­scheinung, so verlangen wir von der Ursache, dass sie wirklich, dass sie Ursache einer objektiv gegebenen Wirkung sei.

Die Erkenntnis irgendeiner besonderen Ursache ist be­dingt durch die empirische Beobachtung ihres Materials, dagegen die Erkenntnis der Ursache im allgemeinen durch die Beobachtung der Vernunft. Bei der Erkenntnis be­sonderer Ursachen wechselt jedesmal das Material, das Objekt; aber die Vernunft ist beständig oder allgemein da­bei. Die Ursache im allgemeinen ist ein reiner Begriff, welchem die Mannigfaltigkeit der besonderen Ursachen­erkenntnis oder die mannigfaltigen Erkenntnisse be­sonderer Ursachen als Material gedient hat. Um also diesen Begriff zu analysieren, sind wir genötigt, zu seinem Material, zur Ursachenerkenntnis im besonderen, zurück­zukehren.

Wenn der ins Wasser gefallene Stein Kreiswellen zeugt, ist doch der Stein nicht mehr Ursache daran als anderer­seits die flüssige Beschaffenheit des Wassers. Wo der Stein auf festes Material fällt, erzeugt er keine Wellen. Der fallende Stein im Kontakt mit der Flüssigkeit, die Zu­sammenwirkung beider ursacht die Kreiswellen. Die Ursache ist selbst Wirkung, und die Wirkung, die Wellen­bewegung wird zur Ursache — indem sie den schwimmen­den Kork aufs Trockene setzt. Doch auch diesmal, wie anderswo, ist die Ursache nur eine gemeinschaftliche Wir­kung, eine Zusammenwirkung der Wellen mit der leichten Beschaffenheit des Korks.

Der ins Wasser gefallene Stein ist nicht Ursache über­haupt oder an sich. Zu dieser Ursache gelangen wir nur, wie gesagt, indem das Denkvermögen die besonderen Ursachen als Material nimmt und daraus den reinen Begriff der Ur­sache überhaupt erzeugt. Der ins Wasser gefallene Stein ist nur Ursache gegenüber der folgenden Wellenbewegung, und ist das auf Grund der Erfahrung, dass ihm die Wellen­bewegung allgemein nachfolgt.

Ursache nennt man, was einer gegebenen Erscheinung allgemein vorhergeht, Wirkung, was allgemein nachfolgt. Nur weil überall oder generell dem ins Wasser gefallenen Steine Wellenbewegung folgt, wissen wir ihn als ihre Ursache. Da nun umgekehrt der Wellenbewegung nicht immer ein ge­fallener Stein vorhergeht, hat sie generaliter eine andere Ursache. Die Elastizität des Wassers ist, insofern sie das Allgemeine ist, was der Wellenbewegung überhaupt voraus­geht, Ursache derselben. Den Kreiswellen, einem be­sonderen Teile, einer Art der Wellenbewegung geht all­gemein vielleicht ein gefallener Körper vorauf, der ihnen dadurch zur Ursache wird. Immer wechselt die Ursache mit dem Quantum der Erscheinung, welches in Betracht kommt.

Ursachen können wir nicht mit der Vernunft allein er­mitteln, sie sind nicht aus dem Kopf zu ziehen. Stoff, Material, sinnliche Erscheinung muss dazu gegeben sein. Und zu einer bestimmten Ursache auch ein bestimmter Stoff, d. h. ein bestimmtes Quantum der sinnlichen Er­scheinung. Die Verschiedenheit der Stoffe wird in der abstrakten Einheit der Natur zur Verschiedenheit natür­licher Quanta. Ein solches Quantum ist zeitlich, vor und nach, oder als Vorgang und Nachfolge gegeben. Das All­gemeine des Vorgangs heißt Ursache, das Allgemeine der Nachfolge Wirkung.

Wenn der Wind den Wald bewegt, ist dabei die schwanke Beschaffenheit des Waldes soviel Ursache wie die beugende Kraft des Windes. Die Ursache einer Sache ist ihr Zu­sammenhang. Dass derselbe Wind, der die Bäume schwankt, Felsen und Mauern stehen läßt, beweist, dass die Ursache von der Wirkung nicht qualitativ verschieden, sondern nur Gesamtwirkung ist. Wenn gleichwohl das Wissen oder die Wissenschaft an einer Veränderung, d. h. an einer nach­einanderfolgenden Erscheinung, etwas Besonderes als Ur­sache ermittelt, so ist letztere doch nicht mehr der äußer­liche Schöpfer, sondern nur die allgemeine Art und Weise, die immanente Methode der Nacheinanderfolge. Eine be­stimmte Ursache läßt sich nur dann ermitteln, wenn der Kreis, die Reihe oder Zahl der Veränderungen, deren Ur­sache ermittelt werden soll, wenn das Quantum begrenzt oder bestimmt ist. Innerhalb eines gegebenen Kreises nach­einanderfolgender Erscheinungen ist das allgemein Vorher­gehende Ursache.

Wo der Wind den Wald bewegt, unterscheidet er sich als Ursache von dieser seiner Wirkung nur insofern, als er eine allgemeinere Wirkung ist, die hier braust, dort staubt, hier so, dort anders agiert, speziell die Bäume schüttelt. Der Wind ist hier nur insoweit Ursache, als seine Erscheinung im allgemeinen der Waldbewegung vorangeht. Weil aber umgekehrt die Festigkeit der Felsen und Mauern dem Winde allgemein vorangeht, ist sie Ursache der Stetigkeit der­selben; obgleich in einem weiteren Kreise von Sturm­erscheinungen auch der schwache Wind am Bestande ge­nannter Objekte zur Ursache wird.

Die Quantität oder Zahl des Gegebenen variiert den Namen der Ursache. Wenn irgendeine Gesellschaft von einem Spaziergange ermüdet zurückkehrt, dann ist an der geschehenen Veränderung der Gang nicht mehr Ursache wie die Schwächlinge, welche ihn getan. D. h. die Erschei­nung hat an sich keine von der Erscheinung separierte Ur­sache. Alles, was in der Erscheinung erschienen, hat zur Erscheinung beigetragen: sowohl die Art und Beschaffen­heit, die Konstitution der Gänger wie die Art und Be­schaffenheit des Ganges oder Weges. Wenn es dennoch der Vernunft zur Aufgabe gemacht ist, die Ursache der quästio­nierten Veränderung im Besonderen zu bestimmen, so wird damit nur gefordert, von den Faktoren denjenigen zu er­mitteln, welcher am meisten zur Ermüdung beigetragen hat. Wie überhaupt, so wird auch bei vorliegendem Exempel die Arbeit der Vernunft in der Entwicklung des Allgemeinen aus dem Besonderen bestehen, speziell: aus der gegebenen Zahl von Ermüdungen das herauszuzählen, was im Allgemeinen der Ermüdung vorhergeht. Wo die meisten oder gar alle sich ermüdet finden, wird der Gang, wo nur einzelne die Ermüdung fühlen, wird die schwache Konstitution der Gänger die Sache oder Ursache sein, welche der Erscheinung allgemein vorhergeht.

Wenn, um ein anderes Beispiel zu wählen, der Schuß die Vögel jagt, ist das eine Gesamtwirkung von Schuß und Schreckbarkeit. Beim Abflug der Majorität wird der Schuß, beim Abflug der Minorität die Schreckbarkeit Ur­sache heißen.

Wirkungen sind Folgen. Da nun in der Natur alles nach­einander folgt, alles einen Vorgänger hat oder Folge ist, mögen wir das Natürliche, Sinnliche, Wirkliche absolute Wirkung nennen, wo an sich nirgends eine Ursache zu finden ist, es sei denn, dass unser Denkvermögen dies ge­gebene Material durch Ursachenermittlung systematisiert. Ursachen sind geistige Allgemeinheiten sinnlicher Ver­änderungen. Das vermeintliche Verhältnis von Ursache und Wirkung ist ein Wunder, eine Schöpfung aus Nichts. Es war und ist deshalb noch immer ein Gegenstand der Spekulation. Die spekulative Ursache erschafft ihre Wir­kungen. Tatsächlich jedoch sind die Wirkungen Material, aus welchem der Kopf oder die Wissenschaft Ursachen formt. Die Ursache ist ein Produkt des Geistes, aber nicht des reinen, sondern des mit der Sinnlichkeit verehelichten Geistes.

Wenn Kant behauptet, dass der Satz: Jede Veränderung hat ihre Ursache – eine Wissenschaft a priori ist, die wir nicht erfahren können, weil jemand unmöglich alle Ver­änderungen erfahren kann und jeder doch der notwendigen und allgemeinen Wahrheit des Satzes apodiktisch sicher ist, so begreifen wir jetzt, wie mit diesen Worten nur die Erfahrung ausgesprochen ist, dass die Erscheinung dessen, was wir Vernunft nennen, in jeder Mannigfaltigkeit Ein­heit erkennt; oder besser: dass die Entwicklung des All­gemeinen aus dem Besonderen Vernunft, Denken oder Geist genannt wird. Die Gewißheit, dass jede Veränderung ihre Ursache hat, ist nichts weiter als die Gewißheit, dass wir denkende Menschen sind. Cogito, ergo sum. Wir haben das Wesen unserer Vernunft, wo es auch nicht wissen­schaftlich analysiert ist, doch instinktiv erfahren. Wir sind uns ihrer Fähigkeit, aus jeder gegebenen Veränderung eine Ursache zu ermitteln, ebenso sicher bewußt, wie uns be­wußt ist, dass jeder Kreis rund, dass a = a ist. Wir wissen, das Allgemeine ist Produkt der Vernunft, welches sie mit irgendeinem d. h. mit jedem gegebenen Objekt zeugt. Da nun alle Objekte vor und nach, zeitlich oder Veränderungen sind, so müssen wohl auch alle Veränderungen, welche uns, die wir vernünftige Wesen sind, vorkommen, einen allgemeinen Vorgang, d. h. eine Ursache haben.

Schon der englische Skeptiker Hume hatte empfunden, dass die wahre von der vermeintlichen Ursache wesentlich verschieden sei. Nach ihm enthält der Begriff der Ursache nichts weiter als die Erfahrung dessen, was einer Erschei­nung gemeinlich vorhergeht. Mit Recht macht Kant da­gegen geltend, dass der Begriff von Ursache und Wirkung ein viel intimeres Verhältnis ausdrücke als das loser, zu­fälliger Nacheinanderfolge, dass vielmehr im Begriff der Ursache die betreffende Wirkung als Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit enthalten sei; – also etwas, was gar nicht erfahren werden kann, was sogar über alle Er­fahrung hinausgeht, a priori im Verstande müsse ent­halten sein.

Den Materialisten,die alle Autonomie des Geistes leugnen, die durch Erfahrung Ursachen zu finden meinen, ist zu entgegnen, dass die Notwendigkeit und Allgemeinheit, welche das Verhältnis von Ursache und Wirkung voraussetzt, eine unmögliche Erfahrung darstellt. Den Idealisten ist dagegen andererseits zu bedeuten, dass, ob auch der Verstand Ursachen erforscht, die nicht zu erfahren sind, diese Forschung doch nicht a priori, sondern nur a poste­riori, auf Grund empirisch gegebener Wirkungen statt­haben kann. Wohl entdeckt allein der Geist die unsinnliche abstrakte Allgemeinheit; – aber nur innerhalb eines ge­gebenen Kreises sinnlicher Erscheinungen.

 


Zuletzt aktualisiert am 17.10.2007