Antonio Gramsci


Einführung in den ersten Kurs
der internen Parteischule [1]

Einleitung zum ersten Heft der Parteischule [gekürzt]

(April/Mai 1925)


Unterzeichnet: Abteilung für Agitation und Propaganda der KP. Archiv der IKP.
In: Antonio Gramsci, La Costruzione del Partito Comunista 1923–1926, Turin 1971, S. 50–57.
Ins Deutsche übersetzt von Maria-Louise Döring.
in: Antonio Gramsci: Zur Politik, Geschichte und Kultur, Verlag Phillipp Reclam jun., Leipzig 1980, S. 113–121.
Transkription: Achim Bigus.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Durch welches spezifische Bedürfnis der Arbeiterklasse und ihrer Partei, der Kommunistischen Partei, ist die Initiative des Fernstudiums hervorgerufen worden, das nun endlich mit der Veröffentlichung des vorliegenden Heftes begonnen wird?

Seit fast fünf Jahren befindet sich die italienische revolutionäre Arbeiterbewegung in der Illegalität oder Halblegalität. Die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht, das Recht auf Vereinigung und Propaganda sind praktisch aufgehoben. Die Ausbildung der leitenden Kader des Proletariats kann also nicht mehr in der bisherigen Art und Weise und mit den bis 1921 in Italien üblichen Methoden erfolgen. Die aktivsten Arbeiterelemente werden verfolgt, und jede ihrer Bewegungen, jede Lektüre wird kontrolliert; die Arbeiterbibliotheken sind entweder verbrannt oder sonst irgendwie auseinandergerissen worden; die großen Organisationen existieren nicht mehr, und große Massenaktionen können nicht mehr durchgeführt werden. Die Mitglieder nehmen entweder überhaupt nicht oder nur in ganz beschränktem Maße an den Diskussionen und am Meinungsstreit teil; die Isolierung oder die nur gelegentlich stattfindenden Versammlungen kleiner, abgeschlossener Gruppen sowie die Möglichkeit, sich an ein solches politisches Leben zu gewöhnen, das früher als Ausnahme galt, lassen Gefühle, Seelenzustände und Ansichten entstehen, die oft falsch und manchmal sogar krankhaft sind.

Die neuen Mitglieder, die die Partei in einer solchen Situation aufnimmt, sind zweifellos ehrliche Menschen mit einem starken revolutionären Glauben, aber sie können nicht zu unseren Methoden erzogen werden, die in breiter Aktivität, ausgedehnten Diskussionen und in der gegenseitigen Kontrolle bestehen und für die Zeit der Demokratie und der offenen Legalität typisch sind. Auf diese Weise wird eine sehr große Gefahr heraufbeschworen: Die Masse der Partei, die sich in der Illegalität daran gewöhnt hat, an nichts anderes zu denken als daran, wie man den überraschenden Angriffen des Feindes entgehen kann, die sich daran gewöhnt hat, nur Aktionen kleiner Gruppen für möglich und sofort organisierbar zu halten, und die sieht, wie die Herrschenden scheinbar gesiegt haben und die Macht durch bewaffnete und militärisch organisierte Minderheiten aufrechterhalten – diese Masse entfernt sich unmerklich von der marxistischen Auffassung über die revolutionäre Aktivität des Proletariats; und während es so aussieht, als ob sie immer radikaler würde, weil man häufig von linksradikalen Vorhaben hört und blutrünstige Äußerungen vernimmt, wird sie in Wirklichkeit unfähig, den Feind zu besiegen. Vor allem in der Epoche, in der wir leben, zeigt die Geschichte der Arbeiterklasse, dass diese Gefahr keine Einbildung ist. Nach einer Zeit der Illegalität wird der Prozess des Wiederauflebens der revolutionären Parteien oft durch einen unaufhaltsamen Impuls zur Aktion um der Aktion willen, durch die Nichtbeachtung des realen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses, der Stimmung der großen Massen der Arbeiter und Bauern, der Voraussetzungen ihrer Bewaffnung usw. gekennzeichnet. So ist es allzu oft vorgekommen, dass die revolutionäre Partei sich von der noch nicht geschlagenen Reaktion, deren Reserven falsch eingeschätzt worden waren, hat niedermetzeln lassen, während die Massen gleichgültig und passiv blieben, sie, die nach jeder reaktionären Herrschaft sehr vorsichtig werden und jedes Mal, wenn eine Situation, der sie gerade entronnen sind, wiederzukehren droht, leicht von Panik ergriffen werden.

Im allgemeinen ist es schwierig zu vermeiden, dass solche Fehler gemacht werden; es ist jedoch Pflicht der Partei, sich darum zu kümmern und eine bestimmte Aktivität auszuüben, die vor allem darauf abzielen muss, die Situation und die eigene Organisation zu verbessern und das intellektuelle Niveau der Mitglieder zu heben, die sich in der Zeit des weißen Terrors in ihren Reihen befinden und die dazu ausersehen sind, zum zentralen und jeder Prüfung und jedem Opfer gewachsenen Kern jener Partei zu werden, die die Revolution leiten und den proletarischen Staat führen wird.

So scheint das Problem umfangreicher und komplexer zu sein. Das Wiederaufleben der revolutionären Bewegung und vor allem ihr Sieg lassen eine Vielzahl neuer Elemente zur Partei stoßen. Sie können – besonders, wenn sie proletarischer Herkunft sind – nicht abgewiesen werden, weil gerade ihr Beitritt eines der charakteristischsten Zeichen für die sich vollziehende Revolution ist; aber es entsteht das Problem, wie verhindert werden kann, dass der zentrale Kern der Partei von der neuen mächtigen Welle überflutet und zersetzt wird. Wir erinnern uns alle an das, was nach dem Krieg in der Sozialistischen Partei in Italien geschehen ist. Der zentrale Kern, der sich aus den Genossen zusammensetzte, die während der Katastrophe des Krieges der Sache treu geblieben waren, schrumpfte immer mehr zusammen, bis er nur noch aus ungefähr 16.000 Mitgliedern bestand. Auf dem Parteitag in Livorno waren 220.000 Mitglieder vertreten, das heißt, es gab in der Partei 200.000 Mitglieder aus der Nachkriegszeit, ohne eine politische Ausbildung, die entweder überhaupt keine oder sehr wenig Ahnung von der marxistischen Lehre hatten und somit eine leichte Beute der phrasendreschenden und großsprecherischen Kleinbürger wurden, die in den Jahren 1919 und 1920 den Maximalismus [2] verkörperten. Es ist nicht unwichtig, dass der jetzige Chef der Sozialistischen Partei und Direktor des Avanti gerade Pietro Nenni [3] ist, der nach Livorno in die Sozialistische Partei eingetreten ist und der alle ideologischen Schwächen und charakteristischen Eigenschaften des Maximalismus der Nachkriegszeit zusammengenommen in sich vereint. Es wäre wahrhaftig ein Verbrechen, wenn in der Kommunistischen Partei in Bezug auf die faschistische Zeit das geschehen würde, was in der Sozialistischen Partei in Bezug auf die Kriegszeit geschah; aber das wäre nicht zu vermeiden, wenn unsere Partei nicht auch auf diesem Gebiet eine Richtlinie hätte, wenn sie nicht rechtzeitig dafür sorgen würde, ihre jetzigen Kader und Mitglieder ideologisch und politisch zu festigen, um es ihnen zu ermöglichen, noch breitere Massen aufzunehmen und einzugliedern, ohne dass die Organisation zu große Erschütterungen erleidet und ohne dass das Bild der Partei dadurch verändert würde.

Wir haben das Problem in seinen wichtigsten praktischen Zusammenhängen umrissen. Aber es hat eine Grundlage, die seine unmittelbare, augenblickliche Bedeutung noch übertrifft.

Wir wissen, dass der Kampf des Proletariats gegen den Kapitalismus an drei Fronten erfolgt: an der ökonomischen, der politischen und der ideologischen Front. Der ökonomische Kampf hat drei Phasen: den Widerstand gegen den Kapitalismus, das heißt die elementare gewerkschaftliche Phase; die Offensive gegen den Kapitalismus für die Kontrolle der Produktion durch die Arbeiter; den Kampf um die Beseitigung des Kapitalismus durch die Sozialisierung. Auch der politische Kampf hat drei Hauptphasen: den Kampf um die Einschränkung der Macht der Bourgeoisie im parlamentarischen Staat, das heißt die Erhaltung oder Schaffung einer demokratischen und auf dem Gleichgewicht der Klassen beruhenden Situation, die es dem Proletariat ermöglicht, sich zu organisieren; den Kampf um die Machtergreifung und die Schaffung des Arbeiterstaates, das heißt eine komplexe politische Aktion, durch die das Proletariat alle antikapitalistischen gesellschaftlichen Kräfte (vor allem die Klasse der Bauern) um sich schart und sie zum Sieg führt; die Phase der Diktatur des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, um alle technischen und sozialen Hindernisse, die sich der Verwirklichung des Kommunismus entgegenstellen, zu beseitigen.

Der ökonomische Kampf kann nicht vom politischen Kampf getrennt werden, und weder der eine noch der andere können vom ideologischen Kampf getrennt werden.

In seiner ersten, der gewerkschaftlichen, Phase ist der ökonomische Kampf spontan, das heißt, er entsteht unvermeidlich aus eben der Situation, in der sich das Proletariat im bürgerlichen Regime befindet, aber er ist nicht an sich revolutionär, weil er nicht notwendigerweise zur Zerschlagung des Kapitalismus führt, wie es die Syndikalisten, allerdings mit immer weniger Erfolg, behaupteten und noch behaupten. Darum akzeptieren auch die Reformisten und selbst die Faschisten den elementaren gewerkschaftlichen Kampf, ja, sie behaupten sogar, dass das Proletariat als Klasse nur den gewerkschaftlichen Kampf führen dürfe. Die Reformisten unterscheiden sich von den Faschisten nur dadurch, dass sie behaupten, dass – wenn auch nicht das Proletariat als Klasse – doch wenigstens die Proletarier als Individuen, als Bürger, auch für die „allgemeine Demokratie“, das heißt für die bürgerliche Demokratie, kämpfen; mit anderen Worten, dass sie nur kämpfen, um die politischen Bedingungen des reinen gewerkschaftlichen Widerstandskampfes zu erhalten oder zu schaffen.

Damit der Gewerkschaftskampf zu einem revolutionären Faktor wird, ist es notwendig, dass das Proletariat ihn durch den politischen Kampf unterstützt, das heißt, dass das Proletariat sich der Tatsache bewusst werden muss, dass es Protagonist eines allgemeinen Kampfes ist, der alle Lebensfragen der gesellschaftlichen Organisation betrifft; das bedeutet, es muss sich bewusst sein, dass es für den Sozialismus kämpft. Das Element der „Spontaneität“ genügt für den revolutionären Kampf nicht; es führt die Arbeiterklasse niemals über die Grenzen der jetzigen bürgerlichen Demokratie hinaus. Dafür ist das Element des Bewusstseins notwendig, das ‚ideologische“ Element, das heißt das Verstehen der Bedingungen, unter denen der Kampf geführt wird, der sozialen Verhältnisse, in denen der Arbeiter lebt, der grundlegenden Tendenzen, die im System dieser Verhältnisse wirken, des Entwicklungsprozesses, den die Gesellschaft durch die in ihrem Schoß vorhandenen unlösbaren Widersprüche durchmacht usw.

Die drei Fronten des proletarischen Kampfes werden für die Partei der Arbeiterklasse zu einer einzigen, gerade weil sie alle Erfordernisse des allgemeinen Kampfes zusammenfasst und verkörpert. Man kann gewiss nicht von jedem Arbeiter aus der Masse verlangen, dass er eine vollständige Vorstellung von der Funktion hat, die seine Klasse im Entwicklungsprozess der Menschheit zu erfüllen hat; aber von den Mitgliedern der Partei muss man das verlangen. Vor der Machtergreifung im Staat kann man sich nicht vornehmen, das Bewusstsein der gesamten Arbeiterklasse vollständig zu verändern; das wäre eine Utopie, denn das Klassenbewusstsein als solches verändert sich nur, wenn die Lebensweise der Klasse selbst verändert wurde, das heißt, wenn das Proletariat zur herrschenden Klasse geworden ist und den Produktions- und ökonomischen Austauschapparat sowie die Staatsmacht zur Verfügung hat. Aber die Partei kann und muss dieses höhere Bewusstsein in ihrer Gesamtheit verkörpern; sonst wird sie sich nicht an der Spitze, sondern im Nachtrab der Massen befinden, dann wird sie sie nicht anführen, sondern von ihnen mitgezogen werden. Deshalb muss sich die Partei den Marxismus zu eigen machen, und zwar in seiner jetzigen Form, dem Leninismus.

Die theoretische Arbeit, also der Kampf an der ideologischen Front, ist von der italienischen Arbeiterbewegung immer vernachlässigt worden. In Italien ist der Marxismus (von Antonio Labriola [4] abgesehen) mehr von den bürgerlichen Intellektuellen als von den Revolutionären studiert worden, um ihn zu entstellen und ihn für die bürgerliche Politik zu benutzen. Wir haben deshalb in der Italienischen Sozialistischen Partei die verschiedensten Tendenzen friedlich nebeneinander existieren sehen; wir haben gesehen, wie die widersprüchlichsten Auffassungen zu offiziellen Ansichten der Partei wurden. Die Parteileitungen hatten niemals daran gedacht, dass es im Kampf gegen die bürgerliche Ideologie, das heißt zur Befreiung der Massen vom Einfluss des Kapitalismus, notwendig ist, vorher in der Partei selbst die marxistische Lehre zu verbreiten und sie gegen jede Verfälschung zu verteidigen. Diese Tradition ist von unserer Partei nicht, oder wenigstens noch nicht, aufgehoben worden, aufgehoben auf systematische Weise und durch eine merkbare und kontinuierliche Arbeit.

Man sagt jedoch, dass der Marxismus in Italien viel Erfolg gehabt habe, und in gewissem Sinne ist das wahr. Aber es stimmt auch, dass dieser Erfolg dem Proletariat nicht genützt hat; er hat nicht dazu gedient, neue Mittel des Kampfes zu finden, er war kein revolutionäres Phänomen. Der Marxismus, das heißt einige den Schriften von Marx entnommene Äußerungen, haben der italienischen Bourgeoisie dazu gedient, zu beweisen, dass es für ihre Entwicklung notwendig war, auf die Demokratie zu verzichten, dass es notwendig war, die Gesetze mit Füßen zu treten, dass es notwendig war, Freiheit und Gerechtigkeit zu verlachen; das bedeutet, von den Philosophen der italienischen Bourgeoisie wurde Marxismus das genannt, was Marx über Systeme gesagt hat, die von der Bourgeoisie angewendet werden, ohne dass sie es eigentlich nötig hat, sich in ihrem Kampf gegen die Werktätigen marxistischer Rechtfertigungen zu bedienen. Um diese betrügerische Interpretation zu korrigieren, sind die Reformisten zu Demokraten geworden, haben sie alle Heiligen des Kapitalismus beweihräuchert. Die Theoretiker der italienischen Bourgeoisie waren so geschickt, den Begriff der „proletarischen Nation“ zu schaffen, das heißt, zu behaupten, dass ganz Italien ein „Proletarierland“ sei und dass man die Auffassung von Marx auf den Kampf Italiens gegen die anderen kapitalistischen Staaten und nicht auf den Kampf des italienischen Proletariats gegen den italienischen Kapitalismus beziehen müsse. Diese Verfälschungen wurden von Enrico Ferri akzeptiert, einem Mann, der als einer der großen Theoretiker des Sozialismus galt, und die „Marxisten“ der Sozialistischen Partei haben das kampflos durchgehen lassen. Das war also der Erfolg des Marxismus in Italien, dass er nämlich als Würze für die unverdaulichsten Soßen diente, die die frechsten Abenteurer der Feder zum Verkauf anbieten wollten. Marxisten dieser Art waren Enrico Ferri, Guglielmo Ferrero, Achille Loria, Paolo Orano, Benito Mussolini. [5]

Um gegen diese auf solche Art und Weise hervorgerufene Verwirrung zu kämpfen, ist es notwendig, dass die Partei ihre Arbeit auf ideologischem Gebiet intensiver gestaltet und systematisiert, dass sie die Kenntnis der Lehre des Marxismus-Leninismus wenigstens in ihren allgemeinen Grundsätzen zur Pflicht eines jeden Mitglieds macht.

Unsere Partei ist keine demokratische Partei, zumindest nicht in dem Sinn, den man diesem Wort gewöhnlich unterlegt. Sie ist eine zentralisierte Partei auf nationaler und internationaler Ebene. Auf internationaler Ebene ist unsere Partei die einfache Sektion einer größeren Partei, einer Weltpartei. Welche Auswirkungen kann diese Art von Organisation, die doch eine unumstößliche Notwendigkeit der Revolution ist, haben und hat sie schon gehabt? Italien selbst gibt uns eine Antwort auf diese Frage. Als Reaktion auf die übliche Unsitte in der Sozialistischen Partei, in der viel diskutiert, aber wenig erreicht wurde, deren Einheit durch das ständige Aufeinanderprallen der Fraktionen, der Tendenzen und oft auch der persönlichen Cliquen in unendlich viele zusammenhanglose Teile zersplittert war, war man in unserer Partei dahin gelangt, überhaupt nicht mehr zu diskutieren. Die Zentralisierung sowie die Einheitlichkeit der Richtung und der Konzeption hatten zu einer intellektuellen Stagnation geführt. Dazu trug noch die Notwendigkeit des ständigen Kampfes gegen den Faschismus bei, der gerade zum Zeitpunkt der Gründung unserer Partei schon in seine erste aktive und offensive Phase eingetreten war; aber dazu trug auch die falsche Auffassung der Partei bei, wie sie in den Thesen über die Taktik ausgeführt wurde, die auf dem Parteitag in Rom vorgelegt wurden. [6] Die Zentralisierung und die Einheit waren zu mechanisch aufgefasst worden: Danach stellte das Zentralkomitee, ja eigentlich nur das Exekutivkomitee, die gesamte Partei dar, anstatt sie zu vertreten und zu führen. Wenn man an dieser Auffassung festhielte, würde die Partei ihre politischen Eigenschaften verlieren, die sie von anderen unterscheiden, und würde bestenfalls zu einer Armee werden (und zwar zu einer Armee bürgerlichen Typs), das heißt, sie würde ihre Anziehungskraft verlieren und sich von den Massen loslösen. Damit die Partei lebt und Kontakt zu den Massen hat, ist es nötig, dass jedes Parteimitglied ein aktives politisches Element, ein Führungselement wird. Gerade weil die Partei stark zentralisiert ist, ist eine breite propagandistische und organisatorische Arbeit in ihren Reihen erforderlich, ist es notwendig, dass die Partei ihre Mitglieder in organisierter Weise erzieht und ihr ideologisches Niveau hebt. Zentralisierung heißt vor allem, dass alle Mitglieder der Partei in jeder Situation – auch im verstärkten Belagerungszustand und auch, wenn die leitenden Komitees für eine bestimmte Zeit nicht funktionieren oder nicht mit der gesamten Peripherie der Partei verbunden sein sollten – in ihrer Umgebung in der Lage sein müssen, sich zu orientieren und aus der Realität die notwendigen Elemente zu entnehmen, um eine Richtlinie zu erarbeiten, damit die Arbeiterklasse nicht entmutigt wird, sondern spürt, dass sie geführt wird und noch kämpfen kann. Die Ausbildung der Massen auf ideologischem Gebiet ist also eine Notwendigkeit des revolutionären Kampfes, sie ist eine der unumgänglichen Voraussetzungen für den Sieg.

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[Gramsci erläutert am Schluss dieser Einführung, wie das Fernstudium organisiert werden soll, indem er eine Disposition für die Unterrichtshefte gibt. Der erste Teil sollte den historischen Materialismus behandeln, der zweite Teil sollte elementare Kenntnisse allgemein-politischen Charakters vermitteln; politische Ökonomie, Entwicklung des Kapitalismus bis zur Epoche des Finanzkapitals, der Krieg und die Krise des Kapitalismus, Entwicklung der Wirtschaftsformen, die kommunistische Gesellschaft und das Übergangsregime, die kommunistische Lehre vom Staat, die I. und die II. Internationale, die III. Internationale, die Geschichte der KPdSU, die Geschichte der KPI, die Sowjetmacht und die Struktur der Sowjetrepublik, die Wirtschaftspolitik der Sowjetmacht in der Zeit des Kriegskommunismus, Ursprung und Grundlagen der NÖP, die Industrie, die. Agrarpolitik und die Politik in Bezug auf die Bauernschaft, Handel und Genossenschaftswesen, die Gewerkschaften, ihre Funktion und Aufgaben, die nationale Frage. Der dritte Teil sollte die Lehre von der Partei und die Grundsätze der revolutionären Organisation darlegen, wie sie in den Direktiven der Kommunistischen Internationale entwickelt wurden und wie sie von der Organisationskonferenz vom März 1925 in Moskau festgelegt wurden.]

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Fußnoten

1. Diese Schrift war lange nur in der Form bekannt, wie sie in der theoretischen Zeitschrift der KPI Stato operaio (Paris, März/ April 1931, V. Jg., Nr. 3/4) unter dem Titel Per una preparazione ideologica di massa (Für eine ideologische Massenbildung) veröffentlicht worden war. Nachdem im Archiv der KPI die beiden ersten und einzigen Hefte für die Parteischule im Fernstudium aufgefunden wurden, die gänzlich von Gramsci ausgearbeitet worden sind, konnte man die Arbeit vervollständigen, denn sie war die Einführung des ersten Heftes, das im April/Mai 1925 herauskam und innerhalb der Partei verbreitet wurde.

2. Das Wort „Maximalisten“ hat doppelte Bedeutung: Einerseits wurden nach der Februarrevolution in der westlichen Presse (...) die Bolschewiki so bezeichnet; andererseits verstand man darunter in Italien die Zentristen innerhalb der Sozialistischen Partei, die hinter revolutionären Phrasen – „maximale“ Forderungen – ihren Opportunismus verbargen.

3. Pietro Nenni (geb. 1891) trat, von der Republikanischen Partei kommend, 1921, nach dem Kongress von Livorno, in die ISP ein; wandte sich als Chefredakteur des Avanti gegen den Zusammenschluss der ISP mit der KPI und befürwortete die Wiedervereinigung mit den Sozialdemokraten; nahm an der Verteidigung der spanischen Republik als Politischer Kommissar teil; wurde nach deren Zusammenbruch in Italien interniert; nach der Befreiung Italiens Chefredakteur des Avanti und Sekretär der ISP; betrieb nach der Auflösung des 1934 in Paris abgeschlossenen Paktes der Aktionseinheit mit der KPI wieder die Vereinigung mit den Sozialdemokraten, die er 1966 durchsetzte, und wurde – solange die vereinigte ISP bestand – ihr Vorsitzender; Minister in den ersten Koalitionsregierungen 1945 bis 1947; Außenminister in der Links-Mitte-Regierung unter christlich-demokratischer Führung (1968–1970).

4. Antonio Labriola (1843–1904): Professor der Philosophie an der Universität in Rom; legte die Grundlagen für die Verbreitung des historischen Materialismus in Italien, korrespondierte mit Friedrich Engels.

5. Enrico Ferri (1856–1929): Universitätsprofessor der Rechtswissenschaft, Gründer der positivistischen Strafrechtschule; als Mitglied der ISP ursprünglich dem revolutionären Flügel angehörend, schloss er sich auf dem Parteitag von Rom (1906) mit der Gruppe der „Integralisten“ (die die Partei als Ganzes einschließlich der Reformisten erhalten wollten) den Reformisten an; betrachtete den Sozialismus als Folge einer natürlichen Entwicklung auf Grund der Darwinschen Theorien und lehnte Marx ab; endete als Senator Mussolinis. – Guglielmo Ferrero (1871–1942): Historiker und Soziologe. – Achille Loria (1857–1943): Universitätsprofessor für Ökonomie, bekannt durch seine positivistische Verballhornung des Marxismus („naturalistischer“ Sozialismus). Mit seinen Verdrehungen der Marxschen Theorien hat sich Friedrich Engels im Vorwort zum dritten Band des Kapitals auseinandergesetzt und ihn dabei einen „bewussten Sophisten, Paralogisten, Aufschneider und Marktschreier“ genannt. – Paolo Orano (1875–1945): Redakteur des Avanti von 1903 bis 1906, ging zum Syndikalismus und später zum Faschismus über, wurde 1939 Senator. – Benito Mussolini (1883–1945): typischer Vertreter der anarchistisch-individualistischen Einflüsse Stirners, Sorels und Nietzsches innerhalb der ISP; seit 1912 Chefredakteur des Avanti und Führer des revolutionären Flügels in der ISP, bis er sich 1915 im Dienst des Entente-Imperialismus für den Eintritt Italiens in den Krieg an der Seite der Entente einsetzte. Führer der faschistischen Bewegung, Ministerpräsident auf Grund des Staatsstreiches von 1922; 1945 von italienischen Partisanen erschossen.

6. Der II. Parteitag der KPI fand im Januar 1922 in Rom statt. Die Thesen über die Taktik, die von Amadeo Bordiga und Umberto Terracini vorgelegt wurden, waren vom Geiste eines starren Sektierertums getragen. Sie legten die Betonung auf die Einheit und die Disziplin in der Partei, doch war der darauf aufgebaute Zentralismus mehr ein militärisch-bürokratischer als ein demokratischer. – Amadeo Bordiga (1899–1970), Ingenieur, war das Haupt der ultralinken Strömung in der ISP, die die Beteiligung an Parlamentswahlen ablehnte und deshalb Astensionisten (von astenere – sich enthalten) genannt wurden. Da er als hervorragender Organisator über Oppositionsgruppen in ganz Italien verfügte, hatte er nach dem Parteitag von Livorno die Mehrheit in der KPI hinter sich und wurde deren Generalsekretär. Er stand jedoch mit seinen sektiererischen Ansichten stets im Gegensatz zu Lenin und zum führenden Gremium der III. Internationale. Mehrmals versuchte er zusammen mit anderen ultralinken Gruppen in der europäischen Arbeiterbewegung eine internationale ultralinke Fraktion zu bilden; nach seinem Ausschluss aus der KPI (1926) lebte er unter dem Faschismus unbehelligt in Italien, ohne an der Widerstandsbewegung teilzunehmen. – Umberto Terracini (geb. 1895), hervorgegangen aus der sozialistischen Jugendbewegung, gehörte zur Gruppe des Ordine Nuovo um Gramsci und Togliatti in Turin; wurde bei der Gründung der KPI in das erste Exekutivkomitee der Partei gewählt; war 1926 Mitangeklagter im Prozess vor dem Sondergerichtshof gegen die Leitung der Partei, zusammen mit Gramsci; zu 23 Jahren Kerker verurteilt, wurde er erst nach dem Sturz Mussolinis im August 1943 befreit; von März 1947 bis Mai 1948 Präsident der Verfassunggebenden Versammlung; Senator auf Lebenszeit.


Zuletzt aktualisiert am 20. April 2020