Karl Kautsky

Karl Marx’
Oekonomische Lehren


I. Abschnitt
Waare, Geld, Kapital

Erstes Kapitel
Die Waare


1. Der Charakter der Waarenproduktion

Was Marx in seinem Kapital zu erforschen sich vornahm, war die kapitalistische Produktionsweise, welche die heute herrschende ist. Er beschäftigt sich in dem Werk nicht mit den Naturgesetzen, die dem Vorgang des Produzirens zu Grunde liegen; deren Erforschung ist eine der Aufgaben der Mechanik und Chemie, nicht der politischen Oekonomie. Er stellt sich andererseits nicht die Aufgabe, nur die Formen der Produktion zu erforschen, die allen Völkern gemein, da eine solche Untersuchung zum großen Theil nur Gemeinplätze zu Tage fördern kann, wie etwa den, daß der Mensch, um produziren zu können, stets Werkzeuge, Boden und Lebensmittel braucht. Marx untersuchte vielmehr die Bewegungsgesetze einer bestimmten Form des gesellschaftlichen Produzirens, die einer bestimmten Zeit (den letzten Jahrhunderten) und bestimmten Nationen eigenthümlich ist (den europäischen oder aus Europa stammenden; in letzter Zeit beginnt sich diese unsere Produktionsweise auch bei anderen Nationen einzubürgern, z. B. bei den Japanesen und Hindus). Diese, heute herrschende Produktionsweise, die kapitalistische, deren Eigenthümlichkeiten wir noch näher kennen lernen werden, ist von anderen Produktionsweisen streng geschieden, z. B. der feudalen, wie sie in Europa im Mittelalter herrschte, oder der urwüchsigen kommunistischen, wie sie an der Schwelle der Entwicklung aller Völker steht.

Betrachten wir die heutige Gesellschaft, so finden wir, daß ihr Reichthum aus Waaren besteht. Eine Waare ist ein Arbeitsprodukt, das nicht für den eigenen Gebrauch, sei es des Produzenten oder mit ihm verbundener Menschen, sondern zum Zeit des Austausches mit anderen Produkten erzeugt worden. Es sind also nicht natürliche, sondern gesellschaftliche Eigenthümlichkeiten, welche ein Produkt zur Waare machen. Ein Beispiel wird das klar machen. Das Garn, das ein Mädchen in einer urwüchsigen Bauernfamilie aus Flachs spinnt, damit aus ihm Leinwand gewebt werde, welche in der Familie selbst verbraucht wird, ist ein Gebrauchsgegenstand, aber keine Waare. Wenn aber ein Spinner Flachs verspinnt, um vom Nachbar Bauer Weizen gegen das Leinengarn einzutauschen, oder wenn gar ein Fabrikant tagaus tagein viele Zentner von Flachs verspinnen läßt, um das Produkt zu verkaufen, so ist dieses eine Waare. Es ist wohl auch Gebrauchsgegenstand, aber Gebrauchsgegenstand, der eine besondere gesellschaftliche Rolle zu spielen hat, d. h. der ausgetauscht werden soll. Man sieht es dem Leinengarn nicht an, ob es eine Waare ist oder nicht. Seine Naturalform kann ganz dieselbe sein, ob es in einer Bauernhütte zur Aussteuer der Spinnerin von dieser selbst gesponnen worden, oder in einer Fabrik von einem Fabrikmädchen, das vielleicht nie auch nur einen Faden davon selbst benutzen wird. Erst an der gesellschaftlichen Rolle, der gesellschaftlichen Funktion, in der das Leinengarn thätig ist, kann man erkennen, ob es Waare ist oder nicht.

In der kapitalistischen Gesellschaft nehmen nun in immer steigendem Maße die Arbeitsprodukte die Form von Waaren an; wenn heute noch nicht alle Arbeitsprodukte bei uns Waaren sind, so deswegen, weil noch Reste früherer Produktionsweisen in die jetzige hineinragen. Sieht man von diesen ab, die ganz unbedeutend find, so kann man sagen, daß heute alle Arbeitsprodukte die Form von Waaren annehmen. Wir können die heutige Produktionsweise nicht verstehen, wenn wir uns über den Charakter der Waare nicht klar geworden. Wir haben daher mit einer Untersuchung der Waare zu beginnen.

Das Verständniß dieser Untersuchung wird jedoch unseres Erachtens sehr gefördert, wenn wir vor Allem die charakteristischen Eigenthümlichkeiten der Waarenproduktion im Gegensatz zu anderen Arten der Produktion darlegen. Wir gelangen dadurch am leichtesten zum Verständniß des Standpunktes, den Marx bei seiner Untersuchung der Waare eingenommen.

Soweit wir in der Geschichte des Menschengeschlechts zurücksehen können, immer finden wir, daß die Menschen in kleineren oder größeren Gesellschaften ihren Lebensunterhalt erworben haben, daß die Produktion stets einen gesellschaftlichen Charakter hatte. Marx hat diesen bereits in seinen Artikeln über Lohnarbeit und Kapital in der Neuen Rheinischen Zeitung (1849) [1] klar dargethan.

„In der Produktion beziehen sich die Menschen nicht allein auf die Natur,“ heißt es da. „Sie produziren, indem sie auf eine bestimmte Weise zusammenwirken und ihre Thätigkeiten gegen einander austauschen. Um zu produziren, treten sie in bestimmte Beziehungen und Verhältnisse zu einander, und nur innerhalb dieser gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse findet ihre Beziehung zur Natur, findet die Produktion statt.

„Je nach dem Charakter der Produktionsmittel werden natürlich diese gesellschaftlichen Verhältnisse, worin die Produzenten zu einander treten, die Bedingungen, unter welchen sie ihre Thätigkeiten austauschen und an dem Gesammtakt der Produktion theilnehmen, verschieden sein. Mit der Erfindung eines neuen Kriegsinstruments, des Feuergewehrs, änderte sich nothwendig die ganze innere Organisation der Armee, verwandelten sich die Verhältnisse, innerhalb deren Individuen eine Armee bilden und als Armee wirken können, änderte sich auch das Verhältniß verschiedener Armeen zu einander.

„Die gesellschaftlichen Verhältnisse, worin die Individuen produziren, die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse, ändern sich also, verwandeln sich mit der Veränderung und Entwicklung der Produktionsmittel, der Produktionskräfte. Die Produktionsverhältnisse in ihrer Gesammtheit bilden das, was man die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Gesellschaft nennt, und zwar eine Gesellschaft auf bestimmter, geschichtlicher Entwicklungsstufe, eine Gesellschaft mit eigenthümlichem, unterscheidendem Charakter.“

Einige Beispiele mögen das Gesagte illustriren. Nehmen wir irgend ein urwüchsiges Volk, das auf einer niederen Stufe der Produktion steht, bei dem Jagd einen Hauptzweig der Erwerbung von Nahrungsmitteln bildet, wie die Indianer. Dodge berichtet in seinem Buch Ueber die heutigen Indianer des fernen Westens folgendes über deren Art und Weise, zu jagen:

„Da Kopf und Herz nur gelegentlich zu Hilfe gerufen werden, die Anforderungen des Magens aber unaufhörlich sind, so steht der Stamm gewöhnlich unter der Herrschaft des ‚dritten Standes.‘ Diese Macht besteht aus sämmtlichen Jägern des Stammes, welche eine Art Zunft oder Gilde bilden, von deren Entscheidungen in ihrem eigenen besonderen Bereich es keine Appellation giebt. Unter den Cheyennes heißen diese Männer ‚Hundesoldaten.‘ Die jüngeren und rührigeren Häuptlinge gehören stets diesen ‚Hundesoldaten‘ an, befehligen dieselben aber nicht nothgedrungen. Die ‚Soldaten‘ selbst verfügen durch mündlichen Entschluß über allgemeine Angelegenheiten, deren Einzelheiten dann den unter ihnen ausgewählten berühmtesten und scharfsinnigsten Jägern überlassen bleiben. Unter diesen ‚Hundesoldaten‘ befinden sich viele Jungen, welche die einweihende Probe als Krieger noch nicht bestanden haben. Mit einem Wort, diese Jägerzunft umfaßt die ganze Arbeitskraft der Bande und ist diejenige Macht, welche die Weiber und Kinder beschützt und mit Nahrung versieht.

„Jedes Jahr finden die großen Herbstjagden statt, um möglichst viel Wild zu erlegen und einen bedeutenden Fleischvorrath für den Winter einzuthun und zu dörren. Jetzt sind die ‚Hundesoldaten‘ die Herren des Tages, und wehe dem Unglücklichen, der auch die unbedeutendsten ihrer willkürlichen oder demokratischen Bestimmungen ungehorsam zu mißachten wagt! Wenn alles fertig ist, so ziehen die besten Jäger Morgens lange vor Tagesanbruch aus. Werden mehrere Büffelherden entdeckt, so wird diejenige zum Schlachten ausersehen, deren Stellung so ist, daß die einleitenden Vorkehrungen und Manöver zum Umzingeln derselben und das Geschrei und Schießen beim Anreiten am wenigsten im Stande ist, die übrigen Herden zu beunruhigen ... Während dieser ganzen Zeit hält der gesammte männliche Theil der Bande, welcher bei der bevorstehenden Niedermetzlung der Büffel mitzuwirken im Stande ist, zu Pferde auf einem Haufen in irgend einer benachbarten Schlucht, außerhalb des Gesichtskreises der Büffel, schweigend und vor Aufregung zitternd. Ist die Herde in einer für die Jagd günstigen Stellung, so zählen die leitenden Jäger ihre Leute ab und schicken sie unter zeitweiligen Anführern nach den vorbezeichneten Oertlichkeiten. Wenn der leitende Jäger dann sieht, daß jeder Mann an seiner richtigen Stelle und Alles bereit ist, so sucht er mit einer Abtheilung Reiter die Herde zu umflügeln und die offene Seite zu schließen, giebt dann das Zeichen und nun sprengt die ganze Schaar mit einem gellenden Geschrei, das beinahe die Todten auferwecken könnte, voran und dringt dicht auf das Wild ein. Binnen wenigen Minuten ist das Gemetzel in vollem Gange; einige wenige mögen den Kordon durchbrochen haben und entkommen sein, diese werden aber nicht verfolgt, wenn andere Herden in der Nähe sind.

„Als noch Bogen und Pfeile allein gebraucht wurden, kannte jeder Krieger seine Pfeile und hatte keine Schwierigkeit, die von ihm getödteten Büffel positiv zu erkennen. Diese waren ganz sein individuelles Eigenthum, ausgenommen, daß er um einen gewissen Theil desselben besteuert wurde zum Besten der Witwen oder der Familien, welche keinen Krieger als Versorger für sich hatten. Fanden sich Pfeile von verschiedenen Männern in demselben todten Büffel, so wurden die Eigenthumsansprüche je nach deren Lage entschieden. Wenn jeder Pfeil eine tödtliche Wunde verursachte, so wurde der Büffel getheilt, oder nicht selten auch irgend einer Witwe zugeschieden. Der oberste Jäger entschied alle derartigen Fragen, allein gegen seine Entscheidung konnte noch eine Berufung an das allgemeine Urtheil der ‚Hundesoldaten‘ eingelegt werden. Seit aber der allgemeine Gebrauch der Feuerwaffen die Identifizirung der todten Büffel unmöglich gemacht hat, sind die Indianer in ihren Ansichten kommunistischer geworden [2], und die gesammte Masse von Fleisch und Häuten wird nach irgend einem Maßstab der gleichen verhältnißmäßigen Vertheilung nach ihrer eigenen Erfindung ausgetheilt.“ (S. 206–211)

Wir sehen, bei diesem Jägervolke wird gesellschaftlich produzirt; es wirken verschiedene Arten von Arbeit zusammen, um ein Gesammtresultat zu erzielen.

Wir finden hier bereits Anfänge der Arbeitstheilung und des planmäßigen Zusammenarbeitens (der Kooperation [3]). Je nach den verschiedenen Fähigkeiten verrichten die Jäger verschiedene Arbeiten, aber nach gemeinsamem Plane. Das Ergebniß des Zusammenwirkens der verschiedenen Arbeiten, „des Austausches der Thätigkeiten,“ wie Marx sich in Lohnarbeit und Kapital ausdrückt, die Jagdbeute, wird nicht ausgetauscht, sondern vertheilt.

Nur nebenbei sei darauf hingewiesen, wie die Aenderung in den Produktionsmitteln – Ersetzung von Bogen und Pfeil durch das Feuergewehr – eine Aenderung des Vertheilungsmodus zur Folge hat.

Betrachten wir nun eine andere, höhere Art einer gesellschaftlichen Produktionsweise, z. B. die auf dem Ackerbau beruhende indische Dorfgemeinde. Von dem urwüchsigen Kommunismus, der in derselben herrschte, finden sich in Indien nur noch einige kümmerliche Reste. Aber Nearch, der Admiral des makedonischen Alexander des Großen, berichtete noch, nach Strabo, XV, I, 66, von Gegenden Indiens, wo das Land Gemeineigeuthum war, gemeinsam bebaut und nach der Ernte der Ertrag des Bodens unter die Dorfgenossen vertheilt wurde. Nach Elphinstone hat diese Gemeinschaft noch im Anfang unseres Jahrhunderts in einigen Theilen Indiens bestanden. Auf Java besteht der Dorfkommunismus in der Weise fort, daß das Ackerland von Zeit zu Zeit von Neuem unter die Dorfgenossen vertheilt wird, welche ihre Antheile nicht als Privateigenthum, sondern nur zur Nutznießung für eine bestimmte Periode erhalten.

In Vorderindien ist das Ackerland meist schon in das Privateigenthum der einzelnen Dorfgenossen übergegangen, Wald, Weide und unbebauter Boden sind jedoch vielfach noch Gemeineigenthum, an dem alle Gemeindemitglieder das Nutzungsrecht haben.

Was uns an einer solchen Dorfgemeinde interessirt, die noch nicht dem zersetzenden Einfluß der englischen Herrschaft, namentlich der durch diese eingeführten Steuersysteme, zum Opfer gefallen, ist der Charakter, den die Arbeitstheilung in derselben annimmt. Wir fanden bereits bei den Indianern eine solche; eine viel höhere jedoch bietet die indische Dorfgemeinde.

Neben dem Gemeindevorstand, der Pateel heißt, wenn er aus einer einzelnen Person besteht, Pantsch dagegen, wenn er ein Kollegium von meist fünf Mitgliedern bildet, finden wir in der indischen Wirthschaftskommune noch eine Reihe von Beamten: den Karnam oder Matsaddi, den Rechnungsführer, der die finanziellen Verhältnisse der Gemeinde zu ihren einzelnen Mitgliedern und zu anderen Gemeinden und zum Staate zu überwachen und zu leiten hat; den Tallier für die Erforschung von Verbrechen und Uebertretungen, dem zugleich der Schuß der Reisenden und deren sicheres Geleit über die Gemeindegrenze in die nächste Gemeinde obliegt; den Toti, den Flurschütz und Landvermesser, der darauf zu sehen hat, daß nicht benachbarte Gemeinden die Grenzen der Flur verrücken, ein Umstand, der sich namentlich beim Reisbau leicht ereignen kann; den Aufseher über die Wasserläufe, der sie im Stand zu halten und dafür zu sorgen hat, daß sie gehörig geöffnet und geschlossen werden und jedes Feld genügend Wasser erhalte, was insbesonders beim Reisbau von großer Wichtigkeit; den Brahmanen zur Vollziehung der nothwendigen Gottesdienste; den Schullehrer, der die Kinder im Lesen und Schreiben unterrichtet; den Kalender-Brahmanen oder Astrologen, der die glücklichen oder unglücklichen Tage für Säen, Ernten, Dreschen und andere wichtigen Arbeiten auszuforschen hat; den Schmied, den Zimmermann und Rademacher; den Töpfer; den Wäscher; den Barbier; den Kuhhirten; den Arzt; die Devadaschi (das Tanzmädchen); mitunter sogar einen Sänger.

Alle diese haben für die ganze Gemeinde und deren Mitglieder zu arbeiten und werden dafür entweder durch Antheile an der Feldmark, oder durch Antheile an den Ernteerträgen entschädigt. Auch hier bei dieser hochentwickelten Arbeitstheilung sehen wir Zusammenwirken der Arbeiten, Vertheilung der Produkte.

Nehmen wir noch ein Beispiel, das Jedermann bekannt sein dürfte: das einer patriarchalischen Bauernfamilie, die ihren Bedarf selbst befriedigt; ein gesellschaftliches Gebilde, das sich aus einer Produktionsweise herausentwickelt hat, wie wir sie eben in der indischen Wirthschaftskommune geschildert haben, einer Produktionsweise, die sich im Anfang der Entwicklung aller näher bekannten Kulturvölker nachweisen läßt.

Eine solche Bauernfamilie zeigt uns ebenfalls keine isolirten Menschen, sondern ein gesellschaftliches Zusammenarbeiten und ein Zusammenwirken verschiedener Arbeiten, die nach Alter, Geschlecht und Jahreszeit wechseln. Da wird gepflügt, gemäht, das Vieh gewartet, gemolken, Holz gesammelt, gesponnen, gewebt, genäht, gestrickt, geschnitzt, gezimmert &c. &c. Die verschiedensten Arbeiten wirken da zusammen, beziehen sich aufeinander; die Produkte werden hier ebensowenig wie in den früheren Beispielen von den einzelnen Arbeitern ausgetauscht, sondern unter diese den Verhältnissen entsprechend vertheilt.

Nehmen wir nun an [4], die Produktionsmittel einer Ackerbaugemeinde, wie wir sie geschildert, vervollkommneten sich so sehr, daß weniger Arbeit als bisher dem Ackerbau zu widmen ist. Arbeitskräfte werden frei, die vielleicht, wenn die technischen Hilfsmittel so weit entwickelt, dazu verwendet werden, ein auf dem Gemeindegebiet gelegenes Lager von Feuerstein auszubeuten, Feuersteinwerkzeuge und Waffen zu fabriziren. Die Produktivität der Arbeit ist so groß, daß weit mehr Werkzeuge und Waffen erzeugt werden, als die Gemeinde braucht.

Ein Stamm nomadischer Hirten kommt auf seinen Wanderungen in Berührung mit dieser Gemeinde. Die Produktivität der Arbeit ist in diesem Stamm auch gestiegen, er ist dahin gekommen, mehr Vieh zu züchten, als er bedarf. Es liegt nahe, daß dieser Stamm gern seinen Ueberschuß an Vieh gegen überschüssige Werkzeuge und Waffen der Ackerbaugemeinde austauschen wird. Das überschüssige Vieh und die überschüssigen Werkzeuge werden durch diesen Austausch zu Waaren.

Der Waarenaustausch ist die natürliche Folge der Entwicklung der Produktivkräfte über die engen Bedürfnisse der urwüchsigen Gemeinwesen hinaus. Der ursprüngliche Kommunismus wird, von einer gewissen Höhe der technischen Entwicklung an, zu einer Schranke für deren Fortschreiten. Die Produktionsweise fordert eine Erweiterung des Kreises der gesellschaftlichen Arbeit; da aber die einzelnen Gemeinwesen einander fremd und unabhängig gegenüber standen, war diese Erweiterung nicht möglich durch Erweiterung der kommunistischen planmäßigen Arbeit, sondern nur durch gegenseitigen Austausch der Ueberschüsse der Arbeit der Gemeinwesen.

Wie der Waarenaustausch auf die Produktionsweise innerhalb der Gemeinwesen zurückwirkte, bis die Waarenproduktion die Produktion von einander unabhängiger Privatarbeiter wurde, denen die Produktionsmittel und die Produkte ihrer Arbeiten privateigenthümlich gehören, haben wir nicht zu untersuchen. Was wir zeigen wollen, ist Folgendes: Die Waarenproduktion ist eine gesellschaftliche Art der Produktion; sie ist außerhalb des gesellschaftlichen Zusammenhanges undenkbar, ja sie bedeutet eine Ausdehnung der gesellschaftlichen Produktion über die Grenzen der ihr vorhergehenden kommunistischen (im Stamm, der Gemeinde oder der patriarchalischen Familie) hinaus. Aber der gesellschaftliche Charakter tritt bei ihr nicht offen zu Tage.

Nehmen wir einen Töpfer und einen Ackerbauer, einmal als Mitglieder einer indischen kommunistischen Dorfgemeinde, das anderemal als zwei Waarenproduzenten. In dem ersteren Falle arbeiten beide in gleicher Weise für die Gemeinde; der eine liefert ihr seine Töpfe, der andere seine Feldfrucht ab; der eine erhält seinen Antheil an Feldfrüchten, der andere an Töpfen. Im zweiten Falle betreibt jeder unabhängig für sich seine Privatarbeit, aber Jeder arbeitet (vielleicht in demselben Maße, wie früher) nicht nur für sich, sondern auch für den Anderen. Hierauf tauschen sie ihre Produkte aus, und möglicherweise erhält der Eine eben so viel Feldfrüchte, der Andere eben so viel Töpfe, als er früher erhalten. Es scheint sich wesentlich nichts geändert zu haben, und doch sind beide Prozesse von einander grundverschieden.

In dem ersteren Falle sieht Jeder sofort, daß es die Gesellschaft ist, welche die verschiedenen Arbeiten in Zusammenhang bringt, welche den Einen für den Anderen arbeiten läßt und Jedem seinen Antheil an dem Arbeitsprodukt des Anderen direkt zuweist. Im zweiten Falle arbeitet Jeder anscheinend für sich, und die Art und Weise, wie Jeder zu dem Produkt des Anderen gelangt, scheint nicht dem gesellschaftlichen Charakter ihrer Arbeit geschuldet, sondern den Eigenthümlichkeiten des Produkts selbst. Es scheint jetzt, daß nicht der Töpfer und der Feldarbeiter für einander arbeiten, daß also die Töpferarbeit und die Feldarbeit für die Gesellschaft nothwendige Arbeiten sind, sondern daß den Töpfen und den Feldfrüchten mystische Eigenschaften inne wohnen, die ihren Austausch in gewissen Verhältnissen bewirken. Die Verhältnisse der Personen unter einander, wie sie der gesellschaftliche Charakter der Arbeit bedingt, erhalten unter der Herrschaft der Waarenproduktion den Anschein von Verhältnissen von Dingen, nämlich von Produkten, unter einander. So lange die Produktion direkt vergesellschaftet war, unterlag sie der Bestimmung und Leitung der Gesellschaft und lagen die Verhältnisse der Produzenten zu einander klar zu Tage. Sobald aber die Arbeiten zu Privatarbeiten wurden, die unabhängig von einander betrieben wurden, sobald die Produktion damit eine planlose wurde, erschienen die Verhältnisse der Produzenten zu einander als Verhältnisse der Produkte. Fortan lag die Bestimmung der Verhältnisse der Produzenten zu einander nicht mehr bei diesen selbst; diese Verhältnisse entwickelten sich unabhängig vom Willen der Menschen, die gesellschaftlichen Mächte wuchsen ihnen über den Kopf, sie erschienen der naiven Anschauung vergangener Jahrhunderte als göttliche Mächte, sie erscheinen späteren „aufgeklärteren“ Jahrhunderten als Mächte der Natur.

Den Naturalformen der Waaren werden jetzt Eigenschaften zugeschrieben, die mystisch erscheinen, so lange sie nicht aus den Verhältnissen der Produzenten zu einander erklärt werden. Wie der Fetischanbeter seinem Fetisch Eigenschaften andichtet, die nicht in seiner natürlichen Beschaffenheit begründet sind, so erscheint dem bürgerlichen Oekonomen die Waare als ein sinnliches Ding, das mit übersinnlichen Eigenschaften begabt. Marx nennt dies „den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waaren produzirt werden, und daher von der Waarenproduktion unzertrennlich ist.“

Diesen Fetischcharakter der Waare – und, wie wir später sehen werden, auch des Kapitals – hat Marx zuerst erkannt. Der Fetischismus ist es, der die Erkeuntniß der Eigenthümlichteiten der Waare erschwert, ja unmöglich macht, so lange er nicht überwunden ist; es ist unmöglich, zum vollen Verständniß des Waarenwerthes zu gelangen, ohne sich des Fetischcharakters der Waare bewußt zu werden. Das Kapitel über den Fetischcharakter der Waare und sein Geheimniß erscheint uns daher als eines der wichtigsten des Kapital, dem jeder Leser dieses Buches besondere Aufmerksamkeit schenken sollte. Und doch wird gerade dieses Kapitel von den Gegnern, ja vielfach selbst von Anhängern der Marx’schen Lehren fast gar nicht beachtet.
 

2. Der Werth

Sind wir uns über den Fetischcharakter der Waare klar geworden, dann bietet ihre Untersuchung nur noch verhältnißmäßig geringe Schwierigkeiten.

Wie wir gesehen, hat die Waare den Zweck, ausgetauscht zu werden. Dies bedingt aber, daß sie ein menschliches Bedürfniß befriedigt, sei es nun ein wirkliches oder blos eingebildetes. Niemand wird ein anderes Produkt gegen sein Produkt eintauschen, wenn jenes für ihn nutzlos ist. Die Waare muß also ein nützliches Ding sein, sie muß Gebrauchswerth besitzen. Der Gebrauchswerth wird bestimmt durch die physischen Eigenschaften des Waarenkörpers. Gebrauchswerthe bilden den stofflichen Inhalt des Reichthums, welches immer seine gesellschaftliche Form sein mag. Der Gebrauchswerth ist also keine der Waare allein eigenthümliche Eigenschaft. Es giebt Gebrauchswerthe, die keine Waaren sind, z. B., wie wir oben gesehen, die Produkte eines kommunistischen Gemeinwesens; ja, es giebt Gebrauchswerthe, die nicht einmal Arbeitsprodukte sind, z. B. Früchte im Urwald, Wasser im Fluß. Dagegen giebt es keine Waare, die nicht Gebrauchswerth besäße.

Sobald Gebrauchswerthe Waaren werden, d. h. sich gegenseitig austauschen, bemerken wir, daß dies stets in einem bestimmten Zahlenverhältniß geschieht. Das Verhältniß, in welchem sich eine Waare mit einer anderen austauscht, nennt man ihren Tauschwerth. Dies Verhältniß mag nach Zeit und Ort wechseln; für einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit ist es jedoch eine bestimmte Größe. Wenn wir 20 Ellen Leinwand gegen 1 Rock austauschen, und gleichzeitig 20 Ellen Leinwand gegen 40 Pfund Kaffee, so können wir sicher sein, daß gleichzeitig 1 Rock sich gegen 40 Pfund Kaffee austauschen würde, wenn es zum Austausch käme. Der Tauschwerth des Rockes hat ein ganz anderes Gesicht, wenn ich ihn mit Leinwand, als wenn ich ihn mit Kaffee austausche. Aber wie verschieden der Tauschwerth einer Waare auch aussehen mag, es liegt ihm zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort stets der gleiche Gehalt zu Grunde. Zur Erläuterung dieser gesellschaftlichen Erscheinung diene eine ähnliche aus der Körperwelt. Wenn ich sage, ein Körper wiege 16 Kilogramm oder 32 Pfund oder ein russisches Pud, so weiß ich, daß allen diesen verschiedenen Ausdrücken ein bestimmter Gehalt zu Grunde liegt, eine bestimmte Schwere des Körpers. So liegt auch den verschiedenen Tauschwerthausdrücken einer Waare ein bestimmter Gehalt zu Grunde, und diesen nennen wir ihren Werth.

Damit sind wir bei der wichtigsten grundlegenden Kategorie der politischen Oekonomie angelangt, bei derjenigen, ohne die das Getriebe der herrschenden Produktionsweise nicht richtig verstanden werden kann.

Was bildet den Werth der Waaren? das ist die Frage, die zu beantworten.

Nehmen wir zwei Waaren, z. B. Weizen und Eisen. Welches auch immer ihr Austauschverhältniß, es ist stets darstellbar in einer mathematischen Gleichung, z. B. 1 Hektoliter Weizen = 2 Zentner Eisen. Aber es ist ein bekannter Satz, den man schon in der Volksschule lernt, daß mathematische Operationen nur mit gleichartigen Größen ausgeführt werden können; ich kann z. B. von 10 Aepfeln 2 Aepfel, nie aber 2 Nüsse abziehen. Es muß demnach in den Waaren Weizen und Eisen etwas Gemeinsames sein, welches ihre Vergleichung ermöglicht: das ist eben ihr Werth. Ist dieses Gemeinsame mm eine natürliche Eigenschaft der Waaren? Als Gebrauchswerthe werden sie nur ausgetauscht, weil sie verschiedene, nicht gemeinsame natürliche Eigenschaften haben. Diese Eigenschaften bilden den Beweggrund des Austausches, können aber nicht das Verhältniß bestimmen, in dem er stattfindet.

Sieht man vom Gebrauchswerth der Waarenkörper ab, dann bleibt ihnen nur noch eine Eigenschaft, die von Arbeitsprodukten.

Sieht man aber vom Gebrauchswerth der Produkte ab, dann sieht man auch ab von den verschiedenen bestimmten Formen der Arbeit, welche sie erzeugt hat; dann sind sie nicht mehr Produkte von Tischlerarbeit oder Spinnarbeit &c., sondern nur Produkte menschlicher Arbeit überhaupt. Und als solche sind sie Werthe.

Eine Waare hat also nur einen Werth, weil menschliche Arbeit überhaupt in ihr vergegenständlicht ist. Wie nun die Größe des Werthes messen? Durch die Menge des in ihr enthaltenen Werthbildners, der Arbeit. Die Menge der Arbeit hat wieder ihren Maßstab in der Zeit.

Es könnte scheinen, daß, wenn die zur Verfertigung einer Waare verausgabte Zeit deren Werth bestimmt, je fauler und ungeschickter ein Mann, desto werthvoller seine Waare. Es handelt sich hier jedoch nicht um individuelle, sondern um gesellschaftliche Arbeit.

Erinnern wir uns, daß die Waarenproduktion ein System von Arbeiten darstellt, die, wenn auch unabhängig von einander, so doch in einem gesellschaftlichen Zusammenhang betrieben werden. „Die gesammte Arbeitskraft der Gesellschaft, die sich in den Werthen der Waarenwelt darstellt, gilt hier als eine und dieselbe menschliche Arbeitskraft, obgleich sie aus zahllosen individuellen Arbeitskräften besteht. Jede dieser individuellen Arbeitskräfte ist dieselbe menschliche Arbeitskraft, wie die andere, soweit sie den Charakter einer gesellschaftlichen Durchschnittsarbeitskraft besitzt und als solche gesellschaftliche Durchschnittsarbeitskraft wirkt, also in der Produktion einer Waare auch nur die im Durchschnitt nothwendige oder gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit braucht. Gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit ist Arbeitszeit, erheischt, um irgend einen Gebrauchswerth mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensivität der Arbeit darzustellen.“ Wechselt die Produktivkraft der Arbeit, so wechselt auch die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit, so wechselt der Werth.

Die Zeit, die nothwendig ist, ein bestimmtes Produkt herzustellen, muß natürlich für den Menschen immer, unter jeder Produktionsweise von Interesse sein; ebenso muß sie immer, auch bei kommunistischen Produktionsweisen von Einfluß sein auf das Maß des Verhältnisses, in dem die verschiedenen Arten von Arbeit zusammenwirken.

Nehmen wir wieder das Beispiel einer indischen kommunistischen Dorfgemeinde. Sie beschäftige zwei Schmiede zur Herstellung ihrer Ackerbaugeräthe. Eine Erfindung steigere die Produktivität der Arbeit so, daß nur noch ein Schmied nöthig, um in einer gegebenen Zeit die erforderlichen Feldgeräthe herzustellen. Jetzt wird man nicht mehr zwei Schmiede mit dieser Arbeit betrauen, sondern nur einen; den anderen vielleicht zur Anfertigung von Waffen oder Zierrathen verwenden. Die Produktivität der Feldarbeit dagegen bleibe die gleiche. Es muß ebensoviel Arbeitszeit, wie bisher, aufgewendet werden, um den Bedarf der Gemeinde an Feldfrüchten zu befriedigen, wie bisher.

Jedes Mitglied der Gemeinde wird unter diesen Umständen denselben Antheil an Feldfrüchten erhalten, wie bisher; aber ein Unterschied waltet jetzt ob: die Produktivität der Schmiedearbeit hat sich verdoppelt; für die Verfertigung der Ackerbaugeräthschaften entfällt jetzt nur noch ein Antheil, nicht zwei, an Feldfrüchten. Der Wechsel in der Beziehung der verschiedenen Arbeiten ist hier ein sehr einfacher, durchsichtiger. Er wird mystisch, sobald nicht Schmiedearbeit und Feldarbeit direkt zusammenwirken, sondern erst in ihren Produkten in Beziehung zu einander gebracht werden. Der Wechsel in der Produktivität der Schmiedearbeit erscheint dann als Wechsel im Austauschverhältniß des Produkts der Schmiedearbeit mit anderen Produkten, als Wechsel ihres Werthes.

Bereits Ricardo hatte erkannt, daß die Größe des Werthes einer Waare durch die auf ihre Herstellung verwendete Menge Arbeit bestimmt wird. Aber er durchschaute nicht den gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, der in der Werthform der Waare versteckt ist, d. h. den Fetischismus der Waare. Ebensowenig schied er ausdrücklich und mit klarem Bewußtsein die Waarenwerth bildende Seite der Arbeit von ihrer Gebrauchswerth bildenden Seite. Den Fetischcharakter der Waare haben wir bereits dargelegt. Folgen wir jetzt Marx bei seiner Untersuchung des zwieschlächtigen Charakters der in den Waaren enthaltenen Arbeit.

Die Waare erschien uns als Gebrauchswerth und Werth. Ihr Stoff wird von der Natur geliefert. Ihr Werth wird durch Arbeit gebildet; aber ebenso ihr Gebrauchswerth. In welcher Weise bildet nun die Arbeit Werth, in welcher Gebrauchswerth?

Auf der einen Seite erscheint uns die Arbeit als produktive Ausgabe menschlicher Arbeitskraft überhaupt; auf der anderen Seite als bestimmte, menschliche Thätigkeit zur Erreichung eines besonderen Zweckes. Die erstere Seite der Arbeit bildet das Gemeinsame jeder produktiven Thätigkeit des Menschen. Die zweite Seite ist bei den verschiedenen produktiven Thätigkeiten verschieden. Nehmen wir Feldarbeit und Schmiedearbeit, so ist es beiden gemein, daß sie Verausgabungen menschlicher Arbeitskraft überhaupt sind. Aber jede von ihnen ist verschieden in ihrem Zweck, ihrer Operationsweise, ihrem Gegenstand, ihren Mitteln, ihrem Ergebniß.

Die bestimmte, zweckgemäße menschliche Thätigkeit bildet den Gebrauchswerth. Ihre Verschiedenheit bildet die Grundlage der Waarenproduktion. Waaren werden nur ausgetauscht, wenn sie verschieden sind; Niemand wird Weizen gegen Weizen oder Semsen gegen Sensen austauschen; wohl aber Weizen gegen Sensen. Gebrauchswerthe können sich als Waaren nur gegenübertreten, wenn qualitativ (den Eigenschaften nach) verschiedene nützliche Arbeiten in ihnen stecken.

Als Werthe sind jedoch die Waaren nicht qualitativ, sondern quantitativ (der Zahl nach) verschieden. Sie werden ausgetauscht, weil sie verschieden sind als Gebrauchswerthe; sie werden beim Tausch verglichen und in ein gewisses Verhältniß miteinander gesetzt, weil sie gleich sind als Werthe. Nicht die Arbeit als bestimmte, zweckgemäße Thätigkeit in ihrer qualitativen Verschiedenheit kann den Werth bilden, sondern nur die Arbeit in ihrem in allen Arbeitszweigen gleichen Charakter als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft überhaupt. Als solche Verausgabungen von Arbeitskraft sind die verschiedenen Arbeiten, wie die Werthe, nicht qualitativ, sondern nur quantitativ verschieden. Das heißt, in Bezug auf die Werthbildung wird jede Arbeit als einfache Durchschnittsarbeit betrachtet, als Verausgabung einfacher Arbeitskraft, wie sie im Durchschnitt jeder Mensch in seinem Organismus besitzt. Komplizirte Arbeit gilt in dieser Beziehung nur als vervielfachte einfache Arbeit. Ein kleines Quantum komplizirter Arbeit wird einem größeren Quantum einfacher Arbeit gleichgesetzt. Entsprechend dem Charakter der Waarenproduktion ist der Vorgang eiu gesellschaftlicher, aber gleichzeitig unbewußter, der die Verhältnisse der verschiedenen Arbeitsarten, jede auf einfache Arbeit zurückgeführt, zu einander feststellt. Es scheinen jedoch dem im Fetischismus der Waarenwelt Befangenen nicht gesellschaftliche, sondern natürliche Ursachen zu sein, welche die verschiedenen Arten der komplizirten Arbeit als vielfache der einfachen Arbeit erscheinen lassen. Eine Reihe kleinbürgerlicher Sozialisten, die den Werth „konstituiren,“ d. h. ein für allemal festsetzen wollten, um die Waarenproduktion von ihren „Schlacken zu reinigen“ und zu verewigen, versuchten es, diese vermeintlich natürlichen Ursachen festzustellen und bei jeder Arbeit zu bestimmen, in welchem Maße sie Werth schaffe. (Vgl. Rodbertus’ Normalwerkarbeitstag.) In Wirklichkeit sind diese Ursachen gesellschaftliche, die sich ununterbrochen ändern.

Es giebt wenige Gebiete, auf denen so viele irrthümliche Ansichten zu Tage traten, wie auf dem des Werthes. Einige hat Marx selbst richtig gestellt.

Namentlich ein Irrthum wird von Anhängern wie Gegnern der Marx’schen Theorien sehr gerne begangen; die Verwechslung von Werth und Reichthum. Man legt Marx sehr häufig den Ausspruch in den Mund: „Die Arbeit ist die Quelle alles Reichthums.“ Wer den bisherigen Ausführungen gefolgt ist, wird leicht einsehen, daß dieser Ausspruch in geradem Widerspruch zu den Grundlagen der Marx’schen Auschauungen steht und die Befangenheit im Fetischismus der Waarenwelt voraussetzt. Der Werth ist eine historische Kategorie, nur für die Periode der Waarenproduktion geltend; er ist ein gesellschaftliches Verhältniß. Der Reichthum ist dagegen etwas Stoffliches, setzt sich zusammen aus Gebrauchswerthen. Reichthum wird in allen Produktionsweisen produzirt; es giebt einen Reichthum, der nur von der Natur geliefert ist, in dem gar keine Arbeit enthalten ist; es giebt keinen Reichthum, welcher durch die Wirksamkeit der menschlichen Arbeit allein entstanden wäre. „Arbeit ist nicht die einzige Quelle der von ihr produzirten Gebrauchswerthe,“ sagt Marx, „des stofflichen Reichthums. Die Arbeit ist sein Vater, wie William Petty sagt, und die Erde seine Mutter.“

Mit dem Wachsthum der Produktivität der Arbeit wächst unter sonst gleichen Umständen der stoffliche Reichthum eines Landes; er nimmt mit ihr ab. Die Summe der vorhandenen Werthe kann gleichzeitig dieselbe bleiben, wenn die Menge der aufgewendeten Arbeit dieselbe ist. Eine günstige Ernte vermehrt den Reichthum eines Landes; die Summe der Waarenwerthe, welche diese Ernte repräsentirt, kann dieselbe sein, wie im Vorjahre, wenn die Menge der aufgewendeten gesellschaftlich nothwendigen Arbeit dieselbe geblieben.

Wenn Marx nicht gesagt hat, daß die Arbeit die Quelle alles Reichthums; wenn dieser Satz auf einer Vermengung von Gebrauchswerth und Waarenwerth beruht, dann werden alle Konsequenzen hinfällig, die man mit Bezug auf Marx an diesen Satz geknüpft. Man sieht jetzt aber auch, wie gänzlich unbegründet es ist, wenn manche Gegner von Marx ihm entgegenhalten, daß er die Rolle der Natur bei der Produktion übersehen habe. Wohl aber haben diese Gegner etwas übersehen, nämlich den Unterschied zwischen dem Waarenkörper und dem durch ihn repräsentirten gesellschaftlichen Verhältniß. „Wie sehr ein Theil der Oekonomen von dem der Waarenwelt anklebenden Fetischismus oder dem gegenständlichen Schein der gesellschaftlichen Arbeitsbestimmungen getäuscht wird, beweist u.A. der langweilig abgeschmackte Streit über die Rolle der Natur in der Bildung des Tauschwerthes. Da Tauschwerth eine bestimmte gesellschaftliche Manier ist, die auf ein Ding verwandte Arbeit auszudrücken, kann er nicht mehr Naturstoff enthalten, als etwa der Wechselkurs.“

Man sieht, Marx hat die Rolle der Natur bei der Produktion von Gebrauchswerthen nicht „übersehen.“ Wenn er sie aus der Werthbestimmung ausschied, so beruhte das nicht auf Vergeßlichkeit, sondern geschah auf Grund einer Einsicht in den gesellschaftlichen Charakter der Waarenproduktion, die denjenigen Oekonomen noch immer abgeht, welche die Gesetze der Gesellschaft aus einem Zustand der Gesellschaftslosigkeit, dem isolirten Menschen, ableiten.

Ein weiterer Irrthum, der in Bezug auf die Marx’sche Werththeorie ziemlich verbreitet ist, besteht in der Verwechslung der werthbildenden Kraft der Arbeit mit dem Werth der Arbeitskraft. Man muß diese beiden streng auseinanderhalten. Die Arbeit als die Quelle des Werthes, kann ebensowenig einen Werth haben, als die Schwere ein Gewicht, die Wärme eine Temperatur. Wir haben bisher nur von dem Werth gehandelt, den einfache oder komplizirte Arbeit bildet, nicht von dem Werth, den die Arbeitskraft besitzt, und der im Lohn des Arbeiters – des Trägers der Arbeitskraft – zum Ausdruck kommt.

Wir setzen bisher nur einfache Waarenproduktion und einfachen Waarentausch voraus. Die Arbeitskraft als Waare existirt bisher für uns noch nicht.

Von der menschlichen Arbeitskraft und ihrem Werth werden wir später noch ausführlicher handeln. Hier genüge der Fingerzeig, um vor einem Irrthum zu bewahren.

Die meisten Einwendungen gegen die Marx’sche Werththeorie beruhen auf solchen Irrthümern, soweit sie nicht Behauptungen widerlegen, die Marx nie aufgestellt, oder gar nur bloße Verdächtigungen sind, wie der beliebte Vorwurf des Marx’schen Dogmatismus.

Um sich vor solchen irrthümlichen Auffassungen zu bewahren, muß man sich stets den Charakter eines Gesetzes, wie das Werthgesetz eines ist, vor Augen halten.

Ein jedes naturwissenschaftliche oder gesellschaftliche Gesetz ist ein Versuch, Vorgänge in der Natur oder der Gesellschaft zu erklären. Aber kaum einer dieser Vorgänge wird durch eine einzige Ursache bedingt. Die verschiedensten und verwickeltsten Ursachen liegen den verschiedenen Vorgängen zu Grunde und diese Vorgänge selbst spielen sich nicht unabhängig von einander ab, sondern durchkreuzen sich in den verschiedensten Richtungen. Der Erforscher der Zusammenhänge in der Natur oder der Gesellschaft hat daher eine doppelte Aufgabe. Er muß erstens die verschiedenen Vorgänge von einander sondern, sie isoliren; er muß zweitens die Ursachen, welche diesen Vorgängen zu Grunde liegen, von einander sondern, die wesentlichen von den unwesentlichen, die regelmäßigen von den zufälligen. Beide Arten der Forschung sind nur möglich durch die Abstraktion. Der Naturforscher wird hierbei unterstützt durch eine Reihe unendlich vervollkommneter Instrumente und Methoden der Beobachtung und des Experiments. Der Erforscher der Gesellschaftsgesetze muß auf die letzteren ganz verzichten, und in Bezug auf die ersteren mit sehr unvollkommenen Hilfsmitteln vorlieb nehmen.

Durch die Abstraktion gelangt der Forscher zur Erkenntniß eines Gesetzes, das den Erscheinungen, die er erklären will, zu Grunde liegt. Ohne dessen Kenntniß können die betreffenden Erscheinungen nicht erklärt werden; aber keineswegs genügt dies eine Gesetz allein, um diese Erscheinungen völlig zu erklären. Eine Ursache kann durch eine andere geschwächt, ja in ihrer Wirkung völlig aufgehoben werden; es wäre jedoch falsch, aus einem solchen Fall schließen zu wollen, daß die Ursache überhaupt nicht bestehe. Die Gesetze des Falles gelten z. B. nur im luftleeren Raum: hier fallen ein Stück Blei und eine Feder gleich schnell zu Boden. Im mit Luft erfüllten Raum ist das Ergebniß ein anderes, wegen des Widerstandes der Luft. Trotzdem ist das Fallgesetz richtig.

So ist es auch mit dem Werth. Sobald die Waarenproduktion zur herrschenden Form der Produktion geworden, mußte den bei dieser Produktionsweise Betheiligten die Gesetzmäßigkeit der Waarenpreise auffallen und dahin führen, daß man die Ursachen zu erforschen suchte, welche ihr zu Grunde lagen. Die Untersuchung der Waarenpreise führte zur Bestimmung der Werthgröße. Aber ebensowenig, als die Schwerkraft die einzig bestimmende Ursache der Erscheinungen des Falles ist, ebensowenig ist der Werth einer Waare die einzige Ursache ihres Preises. Marx weist selbst darauf hin, daß es Waaren giebt, deren Preis nicht nur zeitweilig, sondern stets unter ihrem Werth stehen kann. So sind z. B. Gold und Diamanten wahrscheinlich noch niemals zu ihrem vollen Werthe bezahlt worden. Auch die Waare Arbeitskraft kann unter gewissen Umständen dauernd unter ihrem Werth bezahlt werden.

Ja, Marx hat sogar nachgewiesen, daß in der kapitalistischen Produktionsweise, unter dem Einfluß des Profits, das Werthgesetz so beeinflußt wird, daß die Preise der meisten Waaren dauernd über oder unter ihrem Werth nicht blos stehen können, sondern stehen müssen. Trotzdem bleibt auch da das Werthgesetz in Kraft, ja, diese Abweichungeu der Preise vom Werth können selbst wieder nur mit Hilfe des Werthgesetzes erklärt werden. Wir können hier darauf blos hinweisen, nicht es näher auseinandersetzen. Dazu gehört die Kenntniß der Gesetze des Kapitals und des Profits. Wir kommen später noch einmal darauf zurück.

Ein großer Theil der Einwendungen gegen die Marx’sche Werththeorie beruht auf der Verwechslung von Preis und Werth. Beide müssen streng auseinander gehalten werden.

Vor Allem aber darf man, wie schon ausgeführt, sich nicht vom Fetischcharakter der Waare blenden lassen; nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse, die im Waarenkörper zum Ausdruck gelangen, für dessen natürliche Eigenschaften halten. Wenn man nie aus den Augen verliert, daß die Waarenproduktion eine Art gesellschaftlicher Produktton ist, bei der von den einzelnen Wirthschaftsbetrieben füreinander, wenn auch nicht miteinander produzirt wird, und daß der Werth der Waaren nicht ein Verhältniß von Dingen, sondern ein unter dinglicher Hülle verstecktes Verhältuiß von Menschen zu einander darstellt, dann wird man auch wissen, wie man den Marx’schen Satz aufzufassen hat, der die Grundlage der Untersuchungen des Kapital bildet: „Es ist nur das Quantum gesellschaftlich nothwendiger Arbeit oder die zur Herstellung eines Gebrauchswerthes gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit, welche seine Werthgröße bestimmt.“
 

3. Der Tauschwerth

Die Größe des Werthes einer Waare wird bestimmt durch die zu ihrer Herstellung gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit. Aber die Werthgröße wird nicht dementsprechend ausgedrückt. Man sagt nicht: „Dieser Rock ist vierzig Arbeitsstunden werth,“ sondern sagt etwa: „Er ist so viel werth, wie 20 Ellen Leinwand oder 10 Gramm Gold.“

Der Rock ist eben, für sich allein betrachtet, noch keine Waare; er wird erst eine solche, wenn ich ihn austauschen will. Es tritt demnach auch der Werth einer Waare nicht zu Tage, wenn ich ihn nicht mit dem einer anderen vergleiche, mit der ich jene auszutauschen gedenke. Die Werthgröße einer Waare wird wohl bestimmt durch die Menge der zu ihrer Herstellung gesellschaftlich nochwendigen Arbeit; aber sie wird ausgedrückt durch ihr Verhältniß zu der oder den Werthgrößen einer oder mehrerer anderen Waaren, durch ihr Austauschverhältniß. Die bürgerliche Oekonomie nimmt jedoch vielfach an, daß es das Austauschverhältniß einer Waare sei, welches ihre Werthgröße bestimme.

Ein Beispiel wird den Widersinn dieser Auschauung klar machen. Nehmen wir einen Zuckerhut. Sein Gewicht ist von vorneherein gegeben, aber ich kann es nur ausdrücken durch Vergleichung mit dem Gewicht eines anderen Körpers, z. B. Eisen. Ich lege den Zuckerhut in die eine Wagschale einer Wage und in die andere eine entsprechende Anzahl von Stücken Eisen, jedes von einem bestimmten Gewicht, das wir z. B. ein Pfund nennen. Die Anzahl der Eisenstücke lehrt uns das Gewicht des Zuckers kennen; aber es wäre abgeschmackt, annehmen zu wollen, der Zucker sei z. B. deshalb zehn Pfund schwer, weil ich zehn Pfundgewichte in die andere Wagschale legte. Ich mußte vielmehr zehn solcher Gewichte in die Wagschale legen, weil der Zucker zehn Pfund schwer ist. Hier liegt der Sachverhalt klar zu Tage. Aber es verhält sich ebenso mit der Werthgröße und der Werthform.

Der Ausdruck für das Gewicht eines Körpers bietet manche Aehnlichkeit mit dem Werthausdruck einer Waare, d. h. der Form, in der wir ihre Werthgröße ausdrücken. Ein Hut Zucker ist zehn Pfund schwer, heißt eigentlich streng genommen, wenn wir unser Beispiel weiter führen, daß ein Hut Zucker ebenso schwer ist, wie die zehn bestimmten Stücke Eisen; ähnlich können wir von einem Rock sagen, er sei ebensoviel werth, als z. B. 20 Ellen Leinwand.

Wir könnten Eisen und Zucker nicht als Körper in ein gewisses Verhältniß zu einander setzen, wenn ihnen nicht eine natürliche Eigenschaft gemeinsam wäre: die Schwere; ebenso könnten wir Rock und Leinwand nicht als Waaren in ein Verhältniß zu einander bringen, wenn sie nicht eine gemeinsame gesellschaftliche Eigenschaft besäßen: die, Produkte allgemein menschlicher Arbeit zu sein, Werthe.

Eisen und Zucker spielen in der ersten Gleichung zwei verschiedene Rollen: ein Hut Zucker ist so schwer wie zehn Pfund Eisen. Der Zucker tritt hier als Zucker auf, das Eisen aber nicht als Eisen, sondern als Verkörperung der Schwere, als ihre Erscheinungsform. Wir sehen in dieser Gleichung nicht von den besonderen körperlichen Eigenschaften des Zuckers ab, wohl aber von denen des Eisens.

Eine ähnliche Erscheinung bietet uns die Gleichung: ein Rock = 20 Ellen Leinwand.

Beide, Rock wie Leinwand, sind Waaren, also Gebrauchswerthe und Werthe. Aber in der Werthform, im Tauschverhältniß tritt hier nur der Rock als Gebrauchswerth auf, die Leinwand dagegen nur als Erscheinungsform von Werth.

Ich kann das Gewicht des Zuckers nicht blos mit Eisengewichten abwiegen, sondern auch mit Messing- oder Bleigewichten &c. So kann ich den Werth des Rockes nicht nur in Leinwand ausdrücken, sondern auch in jeder anderen Waare. In der Gleichung: ein Rock = 20 Ellen Leinwand, sehe ich daher von der besonderen Naturalform der Leinwand ganz ab, sie gilt, in diesem Verhältniß, wie schon gesagt, nur als Werth, als Verkörperung allgemein menschlicher Arbeit. Die Leinwand wird Erscheinungsform des Werthes des Rockes im Gegensatz zum Körper des Rockes. Der dem Rock, wie jeder anderen Waare innewohnende Gegensatz von Gebrauchswerth und Waarenwerth spiegelt sich im Werthausdruck wieder, innerhalb dessen seine Körperform als Rock nur als Gestalt von Gebrauchswerth, die Körperform der Waare Leinwand nur als Gestalt von Waarenwerth, als Werthform, gilt.

Aber dennoch ist der Gebrauchswerth der Waare, in der der Werth der anderen Waare ausgedrückt wird, – Marx nennt sie das Aequivalent [5] – nicht gleichgiltig. Beide Waaren müssen verschieden sein. Die Gleichung ein Rock = ein Rock ist sinnlos.

Ich kann den Werth des Rockes nicht nur in Leinwand ausdrücken, sondern in jeder anderen von ihm verschiedenen Waare. Aber ich kann auch die Gleichung umdrehen, und den Werth der Leinwand, sowie auch den jeder anderen Waare, in Röcken ausdrücken. Ich kann die Gleichung aufstellen:

1 Rock =

 

20 Ellen Leinwand
10 Pfund Thee
40 Pfund Kaffee
  5 Zentner Eisen
  2 Scheffel Weizen
          u. s. w.

Ich kann sie aber auch umdrehen und sagen:

20 Ellen Leinwand
10 Pfund Thee
40 Pfund Kaffee
  5 Zentner Eisen
  2 Scheffel Weizen
          u. s. w.

 

= 1 Rock

Beide Gleichungen scheinen dasselbe zu sagen; sie sagen dasselbe, als blos mathematische Gleichungen betrachtet; als unterschiedene Ausdrucksformen des Werthes haben sie jedoch eine logisch und historisch verschiedene Bedeutung.

In den Anfängen der Waarenproduktion wurden nur hie und da gelegentlich und zufällig Produkte ausgetauscht. Diese Periode kann bezeichnet werden durch eine einfache Werthgleichung, in der eine Waare nur mit einer anderen in ein gewisses Verhältniß gesetzt wird, z. B. ein Bronzehammer = 20 Pfund Steinsalz; diese Form nennt Marx die einfache oder einzelne Werthform. Sobald dagegen ein Arbeitsprodukt, z. B. sich, nicht mehr ausnahmsweise, sondern gewohnheitsmäßig mit anderen Arbeitsprodukten ausgetauscht wird, nimmt der Werthausdruck die Form der ersten der zwei eben angeführten Gleichungen an, also z. B.

1 Kuh =

 

  2 Mäntel
  1 Schwert
  1 Gürtel
10 Sandalen
  3 Becher
      u. s. w.

Diese Werthform, für die wir noch bei Homer Beispiele finden, nennt Marx die totale oder entfaltete Werthform.

Aber die Waarenproduktion entwickelt sich noch weiter. Es wächst die Zahl der Arbeitsprodukte, die zum Austausch, also als Waaren hergestellt werden, und der gewohnheitsmäßige Tausch erstreckt sich auf eine immer größere Anzahl der verschiedensten Waaren. Nicht nur Vieh, auch Schwerter, Gürtel, Becher &c. werden jetzt gewohnheitsmäßig ausgetauscht. Der gangbarste dieser Artikel, z. B. Vieh, wird derjenige, in dem die Werthe der Waaren am häufigsten ausgedrückt werden, bis er die einzige ist. Damit ist der Punkt erreicht, in welchem die zweite der oben angeführten Formeln in Wirksamkeit tritt, die allgemeine Werthform.

Betrachten wir die Aequivalentform in dieser Gleichung jetzt näher. Wie wir schon oben gesehen, erscheint die Aequivalentform als die Verkörperung menschlicher Arbeit überhaupt. Aber es war in den früheren Ausdrucksformen nur zufällig und vorübergehend, daß eine Waare so erschien. In der Gleichung 1 Rock = 20 Ellen Leinwand, gilt die Leinwand allerdings nur als Erscheinungsform von Werth. Aber wenn 20 Ellen Leinwand mit 1 Scheffel Weizen oder wieder mit einem Rock gleichgesetzt werden, so ist es jetzt Weizen oder ein Rock, der als Verkörperung allgemein menschlicher Arbeit auftritt, indeß die Leinwand wieder als Gebrauchswerth figurirt. Anders bei der allgemeinen Werthform. Jetzt dient eine einzige Waare als Aequivalent; diese ist allgemeines Aequivalent. Sie, wie alle anderen Waaren, ist nach wie vor Gebrauchswerth und Waarenwerth. Aber alle anderen Waaren treten ihr jetzt anscheinend nur als Gebrauchswerthe gegenüber, sie selbst gilt als die allgemeine und einzige Erscheinungsform des Werthes, als die allgemeine gesellschaftliche Verkörperung menschlicher Arbeit überhaupt. Sie selbst ist jetzt die Waare, die mit allen anderen Waaren unmittelbar austauschbar ist, und die deshalb auch Jeder nimmt. Auf der anderen Seite verlieren dadurch alle anderen Waaren die Fähigkeit und Möglichkeit, sich unmittelbar gegeneinander auszutauschen. Jeder Tausch zweier Waaren kann nur noch durch Vermittlung des allgemeinen Aequivalents vor sich gehen, in dem sich alle anderen Waarenwerthe spiegeln.
 

4. Der Waarenaustausch

Soll ein Waarenaustausch vor sich gehen können, so müssen zwei Bedingungen eintreten: 1. Die auszutauschenden Produkte müssen Gebrauchswerthe sein für solche, die sie nicht besitzen, Nichtgebrauchswerthe für ihre Besitzer. 2. Die Austauschenden müssen sich gegenseitig als Privateigenthümer der auszutauschenden Waaren anerkennen. Das Rechtsverhältniß des Privateigenthums ist nur der Spiegel der Willensverhältnisse der austauschenden Personen, die durch die ökonomischen Verhältnisse bedingt werden. Die Menschen fingen nicht an, Waaren auszutauschen, weil sie sich gegeuseitig als Privateigenthümer der veräußerlichen Dinge ansahen, sondern sie begannen sich gegenseitig als Privateigenthümer anzuerkennen, als sie in den Fall kamen, Waaren miteinander auszutauschen.

Die ursprünglichste Form, in der ein Arbeitsprodukt Nichtgebrauchswerth für seinen Besitzer wird, also die erste Form der Waare, ist die des Ueberschusses der Arbeitsprodukte über die Bedürfnisse ihres Besitzers. Diese Produkte werden noch nicht von vorneherein für den Tausch, sondern für den Selbstgebrauch produzirt. Sie werden erst Waaren durch den Tausch.

Was den zweiten Punkt anbelangt, die gegenseitige Anerkennung der Besitzer der veräußerlichen Dinge als ihrer Privateigenthümer, so ist diese nur möglich dort, wo sich von einander unabhängige Personen gegenübertreten. „Solch’ ein Verhältniß wechselseitiger Fremdheit existirt jedoch nicht für die Glieder eines naturwüchsigen Gemeinwesens, habe es nun die Form einer patriarchalischen Familie, einer altindischen Gemeinde, eines Inkastaates u. s. w. Der Waarenaustausch beginnt, wo die Gemeinwesen enden, an den Punkten ihrer Berührung mit fremden Gemeinwesen oder Gliedern fremder Gemeinwesen. Sobald Dinge aber einmal im auswärtigen, werden sie auch (mit der Zeit) rückschlagend im inneren Gemeinleben zu Waaren.“

Iu den Anfängen des Tausches zeigen sich Werthgröße und Werthform noch sehr wenig entwickelt. Das Verhältniß der Größen oder Mengen, in dem sich die Produkte austauschen, ist zunächst noch ein zufälliges und ungemein schwankendes. Aber der Produktenaustausch wird immer mehr ein regelmäßiger gesellschaftlicher Vorgang. Man beginnt nicht blos den Ueberschuß von Gebrauchswerthen über das eigene Bedürfniß hinaus zu vertauschen, sondern Gebrauchswerthe eigens zum Zweck des Austausches zu produziren. Damit wird das Verhältniß, in dem sie sich austauschen, immer mehr abhängig von ihren Produktionsbedingungen. Die Werthgröße einer Waare beginnt eine Größe zu werden, die bestimmt ist von der zu ihrer Herstellung nothwendigen Arbeitszeit.

Sobald man aber Arbeitsprodukte eigens zum Zweck des Austausches herstellt, muß auch der in der Waarennatur schlummernde Gegensatz von Gebrauchswerth und Werth deutlich zmn Vorschein kommen.

Dieser jeder Waare innewohnende Gegensatz findet, wie wir wissen, seinen Ausdruck in der Werthform. Im Ausdruck 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, sagt uns die Leinwand selbst, daß sie Gebrauchswerth (Leinwand) und Werth (Rockgleiches) ist. Aber in der einfachen Werthform ist es noch schwierig, diesen Gegensatz festzuhalten, da die Waare, welche hier als Aequivalent, als Verkörperung menschlicher Arbeit überhaupt dient, diese Rolle nur vorübergehend einnimmt. In der entfalteten Werthform tritt der Gegensatz schon deutlicher zu Tage, da jetzt mehrere Waaren als Aequivalent dienen und dienen können, weil ihnen eines gemeinsam: die Eigenschaft von Arbeitsprodukten oder Werthen.

Aber je mehr der Waarenaustausch sich entwickelt, je mehr Arbeitsprodukte zu Waaren werden, desto nothwendiger wird ein allgemeines Aequivalent. In den Anfängen des Tausches tauscht jeder das, was er nicht braucht, unmittelbar gegen das aus, was er braucht. Das wird immer schwieriger, je mehr die Waarenproduktion die allgemeine Form gesellschaftlicher Produktion wird. Nehmen wir z. B. an, die Waarenproduktion sei bereits so weit entwickelt, daß die Schneiderei, Bäckerei, Fleischerei, Schreinerei selbstständige Gewerbe bilden. Der Schneider veräußert einen Rock an den Schreiner. Für den Schneider ist der Rock Nichtgebrauchswerth, für den Schreiner Gebrauchswerth. Aber der Schneider bedarf der Schreinerarbeit nicht. Er besitzt schon genügend Möbel. Die Stühle und Tische sind Nichtgebrauchswerthe für den Schreiner, aber auch für den Schneider. Andererseits braucht der Schneider Brot vom Bäcker, Fleisch vom Fleischer, denn die Zeiten sind vorbei, wo er zu Hause backte und Schweine mästete. Das Fleisch und Brot, die der Schneider bedarf, sind für Fleischer und Bäcker Nichtgebrauchswerthe, aber Bäcker und Fleischer brauchen im Augenblick keinen Rock; der Schneider steht also vor der Gefahr zu verhungern, trotzdem er einen Abnehmer für seinen Rock gefunden hat. Was er braucht, ist eine Waare, die als allgemeines Aequivalent dient, die, als unmittelbare Verkörperung des Werthes, von vornherein Gebrauchswerth für Jedermann hat.

Dieselbe Entwicklung, welche dieses Aequivalent nothwendig macht, führt dessen Entstehung auch mit sich. Sobald verschiedene Waarenbesitzer verschiedene Artikel mit einander austauschten, mußte der Fall eintreten, daß mehrere der letzteren mit einer gemeinsamen Waarenart als Werthe verglichen wurden, daß sich also für sie ein gemeinsames Aequivalent fand. Anfangs diente eine Waare nur vorübergehend und zufällig als solches. Sobald es aber von Vortheil war, daß eine besondere Waare die allgemeine Aequivalentform annahm, mußte sich die Verbindung der Aequivalentform mit dieser Waare immer mehr befestigen. An welcher Waarenart die allgemeine Aequivalentform kleben blieb, das wurde durch die verschiedensten Umstände bestimmt. Schließlich sind es aber die edlen Metalle gewesen, die das Monopol errangen, als allgemeine Aequivalentform zu dienen, die Geld wurden. Zum Theil mag dies dadurch bewirkt worden sein, daß Schmuck und Schmuckmaterial von Anfang an wichtige Tauschartikel waren; hauptsächlich aber war dafür der Umstand entscheidend, daß die natürlichen Eigenschaften von Gold und Silber den gesellschaftlichen Funktionen (Verrichtungen) entsprechen, welche ein allgemeines Aequivalent zu versehen hat. Es sei hier nur auf die beiden Thatsachen hingewiesen, daß die edlen Metalle stets von gleicher Qualität sind und sich weder in der Luft noch im Wasser verändern, also praktisch unveränderlich sind, und daß sie nach Willkür getheilt und zusammengesetzt werden können. Sie einen sich daher sehr gut zur Verkörperung unterschiedsloser, allgemein menschlicher Arbeit, zur Darstellung von Werthgrößen, deren Unterschiede nur solche der Zahl (quantitative), nicht der Eigenschaften (qualitative) sind.

Gold und Silber konnten das Monopol, als allgemeines Aequivalent zu dienen, nur erringen, weil sie den anderen Waaren als Waaren gegenübertraten. Sie konnten nur Geld werden, weil sie Waare waren. Das Geld ist weder die Erfindung eines oder mehrerer Menschen, noch ist es ein bloßes Werthzeichen. Der Werth des Geldes und seine bestimmten gesellschaftlichen Funktionen sind nicht etwas willkürlich Gemachtes. Die edlen Metalle wurden zur Geldwaare durch die Rolle, die sie als Waaren im Austauschprozeß spielten.


Fußnoten

1. Diese sind neuerdings auch in Broschürenform erschienen.

2. Richtiger hieße es wohl: sie sind in ihren Ansichten wieder kommunistisch geworden. Ursprünglich war die Haushaltung der Indianer eine kommunistische, also auch die Vertheilung des Ertrages der Jagd kommunistisch.

3. „Die Form der Arbeit Vieler, die in demselben Produktionsprozeß oder in verschiedenen, aber zusammenhängenden Produktionsprozessen, planmäßig neben und mit einander arbeiten, heißt Kooperation“ (S. 823). Zehn Seiten später sagt Marx in einer Anmerkung: „Linguet in seiner Théorie des Lois civiles hat vielleicht nicht unrecht, wenn er die Jagd für die erste Form der Kooperation erklärt.“

4. Eine Reihe von Thatsachen beweist, daß die erste Entwicklung der Waarenproduktion thatsächlich in ähnlicher Weise vor sich gegangen, wie wir sie in den folgenden Zeilen schildern. Natürlich ist sie nicht so einfach erfolgt, wie hier angegeben, aber unsere Darstellung hat nicht den Zweck, die Geschichte der Waarenproduktion, sondern nur ihre besonderen Eigenthümlichkeiten zu zeigen, die am leichtesten erkannt werden durch Vergleichung mit anderen Produktionsweisen.

5. Aequus (lateinisch) = gleich, valere = gelten, werth sein.


Zuletzt aktualisiert am 14.1.2011