Karl Kautsky

Die Vorläufer des neueren Sozialismus

Erster Band, erster Theil


Dritter Abschnitt
Der Kommunismus im Mittelalter und im Zeitalter der Reformation

Achtes Kapitel
Die deutsche Reformation und Thomas Münzer


I. Die deutsche Reformation

Der von uns bereits öfters zitirte Aeneas Sylvius Piccolomini, ehedem ein Vorkämpfer für Kirchenreform, hatte seinen Frieden mit dem römischen Papst gemacht und war dafür mit dem Kardinalshut belohnt worden, 1456. [1] An den neugebackenen Kardinal richtete Martin Mayer, ein geborner Heidelberger, Kanzler des Mainzer Erzbischofs, Ditrich’s von Erbach, einen Brief, in dem es u. A. heißt:

„Tausend Manieren (sie sind vorher zum Theil aufgezählt) werden ausgedacht, unter denen der römische Stuhl uns, die Barbaren, auf seine Manier unser Gold wegnimmt. Dadurch ist es geschehen, daß unsere Nation, die, einst so berühmt, mit ihrem Muth und Blut das römische Reich erworben hat und die Herrin und Königin der Welt war, jetzt in Armuth versinken, dienend und tributpflichtig geworden ist und, im Schmutze liegend, schon viele Jahre her ihr Unglück und ihre Armuth beweint. Nun aber sind unsere Fürsten aus dem Schafe erwacht und haben zu bedenken angefangen, wie sie diesem Unheil begegnen möchten, ja sie haben beschlossen, das Joch völlig abzuschütteln und sich die alte Freiheit wieder zu gewinnen. Und es wird ein nicht geringer Fall der römischen Kurie sein, wenn die Fürsten des römischen Reiches wirklich vollbringen, was sie im Sinne führen.“ [2]

Aeneas Sylvius hielt es für nothwendig, zur Widerlegung Mayer’s ein eigenes Buch über die Lage Deutschlands zu schreiben, das 1458, kurz vor seiner Erwählung zum Papst, erschien. [3] „Arm am Geiste war Derjenige,“ erklärt er darin, „der behauptete, Deutschland sei arm.“ Er sucht dies zu beweisen, indem er auf den Handel und den Bergbau hinweist, die damals in Deutschland blühten und große Reichthümer brachten.

„Wenn es wahr ist,“ rief er, „daß, wo Kaufleute, auch Reichthümer zu finden sind, dann muß man gestehen, daß die Deutschen die reichste Nation sind, da ihr größter Theil, lüstern nach Handelsprofiten, weithin alle Länder durchstreift ... Und dann bedenke man die Gold- und Silberadern, die, früher unbekannt, bei Euch entdeckt wurden. In Böhmen besitzt Kuttenberg, in Sachsen Raukberg, in Meißen Freiberg auf schwindelnden Höhen unerschöpfliche Silberminen.“

Er weist dann auf die Gold- und Silberberge im Inn- und Ennsthal hin, auf die Goldwäschereien am Rhein und in Böhmen, und fragt endlich:

„Wo giebt es bei Euch ein Wirthshaus (diversorium), wo man nicht aus Silber tränke? Welches Weib, nicht blos unter den Edlen, sondern auch unter den Plebejern, glänzt nicht von Gold? Soll ich hinweisen auf die Halsketten der Ritter und die aus reinsten Golde gewirkten Zügel der Pferde, auf die Sporen und Schwertscheiden, die mit Edelsteinen besät sind, auf die Fingerringe und Wehrgehänge, die Panzer und Helme, die von Gold funkeln? Und wie prächtig sind die Geräthe der Kirchen, wie viele Reliquien finden wir da mit Perlen und Gold eingerahmt, wie reich ist der Schmuck der Altäre und der Priester!“

Deutschland sei also wohl in der Lage, dem römischen Stuhle Abgaben zu entrichten. Wohin käme aber dieser, wenn Deutschland seine Sendungen einstellte? Er würde arm und elend werden, unfähig, seine großen Pflichten zu erfüllen. Denn die geringen, unsicheren Einnahmen aus dem Kirchenstaat reichten dazu nicht aus. Ohne Reichthum könne man nicht intelligent und angesehen sein. Die Priester waren auch unter allen Gesellschaftsordnungen (in omni lege) reich.

Es kann keinen größeren Widerspruch zwischen zwei Schriften geben als diese beiden aufweisen. Man möchte sagen: nur die eine kann richtig sein, die andere muß lügen. Und doch sind beide richtig, wenn auch nicht ohne Uebertreibungen. Jede für sich allein gäbe nur ein unvollkommenes Bild von der Lage Deutschlands in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Sie sind beide richtig, gerade, weil sie in unversöhnlichem Gegensatze zueinander stehen, denn dieser spiegelt getreulich den großen Gegensatz in den Dingen wieder, der damals bestand, und der, eben weil er unversöhnlich war, nur durch den Kampf der beiden und den Sieg des einen über den anderen aufzuheben war.

Der Brief Mayer’s und die Erwiderung des Aeneas Sylvius zeigen uns aufs deutlichste den Kernpunkt, um den die Reformation sich drehte, losgelöst von dem Wust theologischer Zänkereien über Prädestination und Abendmahl &c., den die kirchlichen Reformatoren der verschiedenen Parteien später darüber gelagert. Aeneas Sylvius hatte Recht: Deutschland war im 15. Jahrhundert reich und blühend durch seinen Bergbau und seinen Handel. Er hatte auch darin Recht, daß der römische Stuhl vornehmlich aus die Einnahmen aus Deutschland angewiesen war. Denn die anderen großen Kulturnationen Europas hatten sich damals bereits von der päpstlichen Ausbeutung in hohem Grade frei gemacht. Umsomehr warf sich die Kurie mit der ganzen Kraft ihrer ausbeuterischen Fähigkeiten auf die deutsche Nation und um so hartnäckiger verweigerte sie dieser jede, wenn auch noch so geringe Konzession. Eine Milderung der päpstlichen Ausbeutung war nicht zu erwarten. Deutschland mußte sie entweder widerstandslos dulden oder sich völlig losreißen von Rom.

Und dieser Gedanke faßte immer festeren Fuß, denn Martin Mayer hatte auch Recht. So sehr auch der Reichthum in Deutschland zunahm, so bedeutete doch die päpstliche Ausbeutung eine höchst drückende Last und ein Hemmniß der ökonomischen Entwickelung.

Schon der Umstand benachtheiligte Deutschland, daß es eine Last zu tragen hatte, von der die übrigen Kulturnationen frei waren. Auch in Frankreich, in England, in Spanien beutete die Kirche die Volksmassen aus. Aber der wesentlichste Theil des Ertrages der Ausbeutung blieb im Lande, fiel den herrschenden Klassen zu, die alle fetten Pfründen theils mit eigenen Mitgliedern, theils mit Kreaturen und Schmarotzern aus anderen besetzten. In Deutschland dagegen fielen viele Pfründen Ausländern zu, Kreaturen des Papstes, nicht der deutschen Fürsten. und alle einträglichen kirchlichen Stellen in Deutschland waren Handelsartikel, die der Papst an den Meistbietenden verkaufte. [4] Ungeheuere Summen flossen dafür jahraus, jahrein nach Rom und entgingen den großen Ausbeutern in Deutschland, seinen Fürsten und Kaufherren. Und so groß auch die Profite waren, die Handel und Bergbali abwarfen, so rasch Deutschlands Reichthum steigen mochte, die Geldbedürfnisse und die Geldgier der Ausbeuter stiegen noch rascher.

Im 15. Jahrhundert hatten Waarenproduktion und Waarenhandel, also die sogenannte Geldwirthschaft, in Deutschland bereits eine namhafte Ausdehnung erreicht. Die Produktion für den Selbstgebrauch, die Naturalwirthschaft, war, als ausschließliche Form der Produktion, selbst auf dem Lande in raschem Rückgang begriffen. Immer größer wurde allenthalben das Bedürfniß nach Geld, am größten bei den herrschenden Klassen. Nicht nur, weil deren Lebenshaltung am raschesten zu einem ausschweifenden Luxus sich steigerte, sondern auch, weil die Anforderungen an sie wuchsen, die nur mit Geld befriedigt werden konnten. Das absolute Fürstenthum, das sich damals entwickelte, brauchte Geld, um seine Söldner und seine Beamten zu bezahlen, es brauchte Geld, um den unbotmäßigen Adel an seinen Hof zu ziehen und sich dienstbar zu machen, es brauchte endlich Geld, um die Werkzeuge seiner Gegner zu bestechen. Da hieß es, Steuern erfinden, Bürger und Bauern schinden und schaben, ihnen auspressen, was erpreßt werden konnte. Aber nur selten genügten die regelmäßigen Einnahmen, und dann hieß es Schulden machen – Schulden, die wieder neue Ausgaben an Zinsen erforderten.

Trotz aller Erpressungen und allen Pumpens kamen die wenigsten Fürsten damals mit ihren Finanzen zurecht, und so empfanden sie – und mit ihnen die Unterthanen, auf denen diese und noch andere Lasten ruhten –, daß sie verarmen, trotz des steigenden Reichthums Deutschlands, und daß es unerträglich sei, ruhig zuzusehen, wie der Papst für nichts und wieder nichts den Rahm abschöpfe und ihnen nur die Magermilch lasse.

Aber es war keine so einfache Sache, sich von der päpstlichen Ausbeutung zu befreien. Allerdings gleich den Fürsten, ja noch weit mehr als diese, litt die Masse der Nation, litten ihre unteren Klassen, die Bauern, die städtischen Proletarier und die unmittelbar darüber liegenden Volksschichten, das Bürgerthum und der niedere Adel, unter der Herrschaft Roms. Schon vor Wiclif und Huß, unter Ludwig dem Bauern, hatten sie sich geneigt gezeigt, den Kampf gegen die Kurie aufzunehmen. Aber nicht minder litten sie unter der steigenden Ausbeutung durch den hohen Adel, die großen Kaufleute und die Fürsten, und England wie Böhmen hatten gezeigt, wie gefährlich es für diese Klassen sei, eine der großen Autoritäten in der Gesellschaft zu untergraben. Wie die Revolutionskriege Frankreichs zu Ende des vorigen und zu Beginn des jetzigen Jahrhunderts eine Periode der Reaktion in Europa hervorriefen und der allenthalben aufstrebenden Bourgeoisie für lange Zeit die Lust nahmen, auf revolutionäre Weise, im Bunde mit Kleinbürgern und Proletariern, gegen den fürstlichen Absolutismus und den aristokratischen Grundbesitz zu kämpfen, so erzeugten auch die Hussitenkriege eine Periode der Reaktion nicht blos in Böhmen, sondern auch in Deutschland, und es brauchte lange, bis unter den herrschenden Klassen des Reichs die Ideen der Losreißung von Rom die Oberhand gewannen.

Dazu kam, daß die Allianz zwischen Kaiser und Papst, Welche die Luxemburger unter Karl IV. und Sigismund begründet, unter deren Nachfolgern auf dem kaiserlichen Thron, den Habsburgern, ihre Fortsetzung fand. Zu den Gründen, welche die Luxemburger zu Freunden des Papstthums gemacht, gesellte sich für die Habsburger noch die Türkengefahr, die gerade die Habsburgischen Lande bedrohte, und die anscheinend nur durch einen von Papst organisirten Kreuzzug beschworen werden konnte.

Der schläfrige Friedrich III. war in den wichtigsten Fragen der Kirchenpolitik nur ein Werkzeug des schlauen Renegaten Aeneas Sylvius; Maximilian, der „letzte Ritter,“ dieser pedantische Romantiker auf dem Thron, zeigte sich höchst unstet und haltlos. Aber wie eng ihm die kaiserlichen und päpstlichen Interessen verknüpft erschienen, kann man daraus ersehen, daß er den Plan fassen konnte, die kaiserliche Thron mit der päpstlichen Tiara auf demselben Haupte zu vereinigen. Und Karl V., so energisch er den Papst als Herr der Habsburgischen Erblande bekämpfte, so oft dieser seine Pläne kreuzte, so wenig er sich scheute, seine Landsknechte gegen Rom selbst zu senden und dieses verwüsten zu lassen, so energisch trat er als Kaiser in Deutschland für die bedrohte päpstliche Autorität ein – so energisch, wie ein deutscher Kaiser als solcher damals überhaupt doch auftreten konnte.

Nimmt man zu alledem die heillose Zerklüftung Deutschlands, die allerdings die Macht des Kaisers auf ein Minimum, reduzirte, aber auch die Zusammenfassung der Gegner von Kaiser und Papst zu einheitlichem Vorgehen sehr erschwerte, dann ist es begreiflich, daß die Reformation in Deutschland erst ein Jahrhundert nach dem Beginn der Hussitenkriege in Fluß kam.

Inzwischen war aber die Entwickelung auf allen Gebieten weit vorgeschritten. Wie sehr hatten sich die Mittel des geistigen und militärischen Kampfes vervollkommnet! Die Buchdruckerkunst war erfunden m das Geschützwesen ausgebildet worden. Die Mittel des Verkehrs, namentlich des Seeverkehrs, waren hoch entwickelt. Kurz vor der Reformation hatten zum ersten Mal in der Weltgeschichte kühne Seefahrer den Atlantischen Ozean direkt quer durchschifft. [5]

Den Anlaß zu diesen Fahrten gab das Vordringen der Türken und anderer zentralasiatischer Völkerschaften im 15. Jahrhundert, welche die alten Handelswege nach dem Orient sperrten. Dank der Höhen, welche die europäische Schifffahrt damals erlangt hatte, führte dies nicht zur Unterbrechung des Handels zwischen Ostasien und Europa, sondern dazu, daß einestheils längs der Küste Afrikas, andererseits quer über den Ozean neue Straßen nach Indien gesucht wurden. Das Zeitalter der Entdeckungen begann, die moderne Kolonialpolitik nahm ihren Anfang.

Dadurch wurde nicht nur der Gesichtskreis der Menschen plötzlich ungeheuer erweitert und eine völlige Revolution des menschlichen Wissens angebahnt, sondern auch eine ökonomische Revolution eingeleitet. Der wirthschaftliche Schwerpunkt Europas wurde vom Becken des Mittelmeeres an die Küsten des Atlantischen Ozeans verlegt. Die ökonomische Entwickelung Italiens und des Ostens von Europa wurde unterbunden und gehemmt, die von Westeuropa dagegen durch einen gewaltsamen Stoß plötzlich nach vorwärts gedrängt. Bestehende Gegensätze, sowohl solche zwischen den Klassen ah auch solche zwischen den Staaten, wurden aufs Aeußerste verschärft und auf die Spitze getrieben, neue Gegensätze wurden geschaffen, alle die Leidenschaften entfesselt, die der neuen kapitalistischen Form der Ausbeutung eigenthümlich sind, und mit der ganzen Kraft und Rücksichtslosigkeit des Mittelalters, dessen Barbarei man kaum verlassen, zur Geltung gebracht. Alle überkommenen sozialen und politischen Verhältnisse stürzten zusammen, alle herkömmliche Moral erwies sich als haltlos. Eine Reihe ungeheuerer Kämpfe durchtobte Europa ein Jahrhundert lang, in denen Habgier und Mordlust und die Raserei der Verzweiflung die grauenhaftesten Orgien feierten. Wer kennt nicht die Bartholomäusnacht, wer weiß nicht, wie die Helden des dreißigjährigen Krieges in Deutschland, wie Alba in den Niederlanden, Cromwell in Irland gehauft haben – ganz abgesehen von den Gräueln der gleichzeitigen Kolonialpolitik!

Diese riesenhafte Umwälzung, die größte, welche Europa seit der Völkerwanderung gesehen, fand erst (außer für England) im westfälischen Frieden, 1648, einigermaßen einen Abschluß. Sie ging hervor aus der deutschen Reformation, welche ganz Europa erregte und die Stichworte und Argumente für die Kämpfenden bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts lieferte, so daß der oberflächliche Beschauer meint, in allen diesen Kämpfen habe es sich nur um Fragen der Religion gehandelt. Man nennt sie in der That Religionskriege.

Angesichts alles dessen ist es kein Wunder, daß die deutsche Reformationsbewegung alle früheren Bewegungen dieser Art au welthistorischer Bedeutung thurmhoch überragt, daß sie die Reformation überhaupt geworden ist, daß die Deutschen, trotzdem sie den anderen Kulturnationen Europas in der Empörung gegen Rom so spät nachhinkten, als das auserkorene Volk der Geistesfreiheit gelten konnten, das bestimmt war, sie den anderen Völkern zu bringen.
 

II. Martin Luther

Der Mann, der den Funken in das Pulverfaß werfen sollte, an welchem der ungeheuere Weltbrand sich entzündete, der Mann, der anscheinend der Urheber aller dieser Umwälzungen geworden ist, vergöttert von den Einen, verflucht von den Anderen, war der Augustinermönch Dr. Martin Luther.

Wenn er in den Mittelpunkt der Bewegung gerieth, so verdankte er dies nicht überlegener Einsicht, nicht originellem und kühnem Denken. Darin waren ihm gar manche seiner Zeitgenossen weit voraus. Nicht nur in Frankreich und Italien, sondern auch in Deutschland waren viele Mitglieder der höheren Klasseen bereits dahin gelangt, die Formen des kirchlichen Denkens völlig abzustreifen, ja, ihrer zu spotten, dank der neueren Bildung des sogenannten Humanismus, der sich zuerst in Italien im 14. Jahrhundert entwickelte, anknüpfend an die Antike, deren Wiedergeburt (Renaissance) er gewissermaßen bedeutete. In Deutschland sind hier namentlich die jüngeren Erfurter Humanisten zu nennen, unter der Führung Mutian’s, der der Kirche die Wissenschaft entgegenstellte und die Gottheit Christi leugnete. Luther trat in den Kreis dieser Humanisten während seiner Erfurter Studienjahre ein (1501). Aber es scheint, daß mehr ihr fröhliches Leben als ihr Geist ihn anzog; wenigstens war von diesem nicht viel mehr zu merken, als nach der Fröhlichkeit der Katzenjammer sich einstellte, und Martin den Entschluß faßte, ins Kloster zu gehen (1505).

Aber auch unter Denen, die der christlichen Lehre treu blieben, fanden sich Viele, die sich in wesentlichen Punkten von der katholischen Lehre emanzipirten. Wir wollen nur auf einen verweisen, Johann Wesel, Professor an der Erfurter Universität, der 1481 starb, zwei Jahre, ehe Luther geboren wurde. Mit welcher Kraft zog dieser gegen den Papst los, den „bepurpurten Affen, “ gegen die Lehren vom Ablaß und der Heiligenverehrung, die Beichte, das heilige Abendmahl, die letzte Oelung, das Fasten! „Wenn der heilige Petrus das Fasten eingesetzt hätte,“ sagte er einmal in einer Predigt, „so hätte er es wohl gethan, um seine Fische besser zu verkaufen.“

Ullmann, dessen Schrift: Reformatoren vor der Reformation, I., S. 333, wir dies Zitat entnehmen, hat eingehend über Johann von Wesel gehandelt.

„Ob Wesel’s Schrift und Lehre über den Ablaß,“ sagt er, „auf die Entwickelung der Ueberzeugungen Luther’s einen Einfluß übte, ist nicht sicher zu entscheiden. Möglich ist es, ja selbst wahrscheinlich, da Luther in Erfurt Wesel’s Schriften studirte und auch unabhängig von den Schriften die Lehren Wesel’s auf dieser Universität gewiß fortwirkten. Bei allem dem aber war Wedel bei der Abfassung seiner Schrift gegen den Ablaß theoretisch schon weiter vorgeschritten, als Luher im Stadium der Thesenherausgabe; Wesel’s Polemik war klarer, bewußtvoller und umfassender, sie ging mehr auf das ganze Institut und dessen letzte Gründe, als die, wenn auch kräftige, tiefe und kühne, so doch zugleich in der Erkenntniß noch etwas unsichere, mehr gegen augenblickliche Uebelstände gerichtete Polemik Luther’s.“ (A. a. O., I., S. 307.)

Luther, seit 1508 Professor der Theologie in Wittenberg, seit 1515 Stadtpfarrer daselbst, erboste sich über den Ablaßhandel, den um 1517 Tetzel in Sachsen trieb, das Geld aus den Taschen Jener, die nie alle werden, n die unergründliche Schatzkammer des Papstes Leo X. zu eskamotiren. Erbittert darüber, gleich so vielen Anderen, entschloß er sich, dagegen aufzutreten. Die Form, in der er dies that, war keine ungewöhnliche; er schlug, wie das Universitätsprofessoren damals zu thun pflegten, 95 Thesen (Lehrsätze) über den Ablaß an die Thür einer Wittenberger Kirche an (am 31. Oktober 1517) und erbot sich, darüber zu disputiren. Auch der Inhalt dieser Thesen war kein revolutionärer; sie behandelten blos Punkte, über die in der Kirche selbst bisher Einigkeit nicht geherrscht hatte. An dem Ablaß selbst zu rühren, wie Wesel es gethan, fiel ihm nicht ein. Sagt doch die 71. These: „Wer wider die Wahrheit des päpstlichen Ablasses redet, der sei im Fluch und vermaledeiet. “ Luther selbst erzählte von sich später

„Da ich die Sache wider den Ablaß anfing, war ich so voll und trunken, ja so ersoffen in des Papstes Lehre, daß ich vor großem Eifer bereit wäre gewesen, wenns in meiner Macht gestanden, zu ermorden, oder hätte zum Wenigsten Gefallen daran gehabt und dazu geholfen, daß ermordet worden wären alle die, so dem Papste nicht hätten wollen gehorsam sein.“

Der Streit zwischen Luther und Tetzel war, wie Zeitgenossen der Beiden richtig bemerkten, ein bloßes Mönchsgezänk. Aber ein Gezänk, bei dem es sich nicht um bloße Dogmen handelte, sondern um den Geldbeutel, und in dem Punkt war die Kurie stets besonders kitzlich. Und dieses Gezänk fiel in eine höchst unruhige, bedenkliche Zeit. Ganz Deutschland war damals voll Kampfeslust gegen den Papst und seine Kirche. Unter den „Pfeilen gegen die Schurken,“ wie Hutten sich ausdruckt, welch aus Deutschland dem Pfaffenthum um die Ohren schwirrten, waren die wichtigsten und wirksamsten die Briefe unberühmter Männer [6], eine Reihe von Briefen, die 1515–1517 von Freunden Mutian’s, namentlich Crotus Rubianus und Hutten, herausgegeben wurden, Satiren und Karrikaturen, „die aus den Vertretern der kirchlichen Wissenschaft eine Bande von lauter Idioten und Lumpen machten.“ (Bezold)

Der Ablaßschacher hatte lebhafte Proteste allenthalben in Deutschland hervorgerufen; angesichts einer solchen Situation mußte es der Kurie doppelt unerwünscht sein, wenn ein Mann der Kirche selbst, ein Professor der Theologie, einen Streit über eine so heikle Angelegenheit wie den Ablaß entfachte. Nicht lange, und sie mengte sich selbst in den Streit, um Ruhe zu schaffen, bewirkte aber gerade dadurch das Gegentheil dessen, was sie beabsichtigte. Auf der einen Seite bewies sie, wie ohnmächtig sie bereits in Deutschland geworden war, denn es gelang ihr nicht, die kirchlichen und weltlichen Oberen Lnther’s zu veranlassen, daß sie ihm Schweigen geboten. Dagegen bewirkte das Eingreifen des Papstes, daß alle die zahlreichen Gegner des Papstthums jetzt auf Luther aufmerksam wurden, sich um ihn schaarten und ihn vorwärts drängten. Dadurch, daß das Duell zwischen Luther und Tetzel zu einem Duell zwischen Luther und dem Papste wurde, wurde es auch eines zwischen diesem und der deutschen Nation.

Ohne rechte eigene Initiative wurde Luther vorwärts geschoben von Freund und Feind, zum Bruch mit dem Papstthum. Wenn er 1519 verfluchte, was er noch 1518 gesegnet, für alleinseligmachend erklärte, was er eben noch verdammt, so war dies nicht Folge einer Erneuerung seiner Erkenntniß, soüdern die Folge der Wirkung rein äußerer Einflüsse, von denen er sich tragen und leiten ließ.

Die Bannbulle, welche der Papst 1520 gegen Luther erließ, war ein schlag ins Wasser; sie wurde in Deutschland nur so weit beachtet, daß sie Luther’s Popularität vermehrte und ihn drängte, auf dem einmal betretenen Wege fortzuschreiten.

Der neu gewählte Kaiser Karl V., der 1519 auf Maximilian gefolgt war, berief Luther nach Worms zum Reichstag (1321), in der Hoffnung, es werde ihm genügen, den streitbaren Professor einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen.

Man hat Luther’s Anwesenheit in Worms mit der Hussen’s in Konstanz verglichen. Aber die Situation war eine ganz andere. Huß hatte sein Vaterland verlassen, um vor einer Kirchenversammlung, einer Versammlung seiner geschworenen Feinde zu erscheinen. Luther erschien auf einem deutschen Reichstage, dessen Stände in ihrer Mehrheit ihm günstig gestimmt waren. Es ist richtig, er hielt sich tapfer, aber er hatte bereits die Brücken hinter sich abgebrochen, er konnte nicht mehr zurück, ohne einen Akt der Feigheit und Ehrlosigkeit zu begehen. und er folgte vielleicht in Worms nicht nur den Forderungen der Mannhaftigkeit, sondern auch, und mehr noch, den Geboten der Klugheit, wenn er erklärte: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen.“ Denn durch Unterwerfung hätte er seine Feinde nicht versöhnt, seine Freunde aber gegen sich erbittert. Von der Unterwerfung drohte ihm größere Gefahr als von der Standhaftigkeit. Es war sicher, daß die Fürsten und Ritter in Worms nicht duldeten, daß ihm auch nur ein Haar gekrümmt werde. Ungeschädigt verließ er den Reichstag.

Münzer höhnte auch später Luther, weil dieser sich mit seinem Heldenthum in Worms so brüstete:

„Ueber Deinem Rühmen möchte einer wohl entschlafen vor Deiner unsinnigen Thorheit, daß Du zu Worms vor dem Reich gestanden bist, Dank hab’ der deutsche Adel, dem Du das Maul also wohl bestrichen hast und Honig gegeben; denn er wähnte nicht anders, Du würdest mit Deinem Predigen behaimische (böhmische) Geschenke geben, Klöster und Stifte, welche Du jetzt den Fürsten verheißest. So Du zu Worms hättest gewankt, wärest Du eher erstochen vom Adel worden als losgegeben; weiß es doch ein Jeder.“ [7]

Es waren weder außergewöhnliche Einsicht, noch auch außergewöhnliche Kühnheit, die Luther zum Mittelpunkt der Reformationsbewegung machten. Seine außergewöhnlichen Eigenschaften lagen in anderer Richtung. Nicht als Denker, nicht als Märtyrer zeichnete Luther sich aus, sondern als Agitator, durch eine Vereinigung von Eigenschaften, die nur selten in einem Manne vereinigt sind.

Ueber dem Doktor und Professor der Theologie vergaß er nie den Bauernsohn. Ein Gelehrter, verstand er doch das Bedürfen, das Fühlen und Denken der niederen Volksklassen, und er wußte ihre Sprache zu handhaben, wie keiner seiner Zeitgenossen, wie nur Wenige nach ihm. Ein Meister der Polemik, gleich Lessing, verstand er die seltene Kunst – und darin berührt er sich mit Lassalle, mit dem er sonst nicht viel Aehnlichkeit aufweist –, gleichzeitig die Massen fortzureißen und den herrschenden Klassen zu imponiren.

Das hatte in Deutschland keiner der Gegner des Papstthums vor ihm verstanden. Jeder von ihnen wendete sich in Wirklichkeit, wenn auch nicht immer absichtlich, blos an eine Klasse. Die Einen an die untere, wie zum Beispiel der Verfasser der Reformation Kaiser Sigismund’s, welche „das erste revolutionäre Schriftstück in deutscher Sprache“ ist (Bezold). Diese geriethen, und mit Recht bei den höheren Klassen in den Verdacht taboritischer Tendenzen. Die Herrschenden fühlten sich von ihnen nicht nur abgestoßen, sondern oft zu direkter Verfolgung derselben veranlaßt. Jene Mitglieder der höheren Klassen aber, die sich gegen die päpstliche Gewalt wandten, schrieben nicht für die Masse. So zum Beispiel Gregor von Heimburg, um die Mitte des 15. Jahrhunderts Stadtsyndikus von Nürnberg, „der bürgerliche Luther vor Luther“ (Ullmann), der in einer Reihe ebenso gelehrter wie scharfer Schriften von 1440–1465 das Papstthum auf das Entschiedenste bekämpfte. In den Bann gethan, von den Nürnbergern und sonstigen Schnitzern im Stiche gelassen, mußte er nach Böhmen zu Podiebrad flüchten. Nach dessen Tode (1471) ging er nach Sachsen, wo er 1472 sein kampfreiches Leben beschloß.

Ein so tapferer und gewandter Kämpfer er gewesen war, er hatte die Massen kalt gelassen, denn er hatte nicht für sie geschrieben.

Dasselbe gilt von Hutten. Auch er wandte sich anfangs blos an die oberen Klassen. Selbst als die lutherische Bewegung schon ganz Deutschland ergriffen hatte, als Hutten es für nothwendig fand, ein Sendschreiben an die Deutschen aller Stände zu erlassen [8] (Ende September 1520), da schrieb er es lateinisch, und er berief sich darauf, er habe nur lateinisch geschrieben, „um die zu reformirenden Kirchenhäupter erst gleichsam unter vier Augen zu warnen und nicht gleich das gemeine Volk in Mitwissenschaft zu ziehen.“

Allerdings, unmittelbar darauf, im Drzember desselben Jahres, sah er sich schon getrieben, an dies „gemeine Volt“ zu appelliren, um dessen Kraft für seine Sache zu gewinnen. Seine nächste Schrift erschien deutsch, die Klag und Vermahnung gegen den unchristlichen Gewalt des Papstes und der ungeistlichen Geistlichen.

Er sagt in dieser Schrift, die in Reimen verfaßt ist:

„Latein ich vor geschrieben hab,
Das war ein Jeden nit bekannt;
Jetzt schreib ich an das Vaterland,
Deutsch Nation in ihrer Sprach,
Zu bringen diesen Dingen Rach.“

Aber als deutscher Schriftsteller hinkte Hutten hinter Luther einher, der schon vor ihm, namentlich in dem Sendschreiben „an den christlichen Adel deutscher Nation,“ und viel wirksamer als Hutten, seine Agitation in deutscher Sprache eröffnet hatte.

Die Verbindung von Gelehrsamkeit und eindringlicher und packender Volksthümlichkeit wurde bei Luther aber noch verstärkt durch die Verbindung von Eigenschaften, die noch seltener als jene vereinigt gefunden werden: die Vereinigung der Schmiegsamkeit, der charakterlosen Anpassungsfähigkeit des Höflings mit der urwüchsigen Kraft, ja Grobheit des Bauern und der wilden Leidenschaft, die mitunter bis zu blinder Tollwuth ausartete, des Fanatikers.

In der Hitze des Kampfes mit Rom wurde Luther aufs Aeußerste getrieben. Freudig nahm er die Hülfe aller Revolutionäre an, die ihm zueilten und stimmte in ihren Ton ein. In dem schon erwähnten Sendschreiben an den christlichen Adel deutscher Nation predigte er geradezu die Revolution. Er tritt ein für Ritter und Bauern, er brandmarkt die Ausbeuter, nicht blos die Kirchenfürsten, sondern auch die Kaufleute. Er verlangt eine demokratische Organisation der kirchlichen Gemeinde.

Und diese Revolution sollte auf gewaltsame Weise durchgesetzt werden. Gleichzeitig mit dem Sendschreiben an den deutschen Adel gab Luther eine gegen ihn erschienene Schrift des Sylvester Prierias Ueber das unfehlbare päpstliche Lehramt mit Randglossen heraus. Da erklärte er im Nachwort:

„Wenn die Raserei der Romanisten so fortfährt, so scheint mir kein anderes Heilmittel übrig zu bleiben, ah daß der Kaiser, die Könige und Fürsten mit Gewalt der Waffen dazu thun, sich rüsten, diese Pest des Erdkreises angreifen und diese Sache zur Entscheidung bringen, nicht mehr mit Worten, sondern mit Eisen. Wenn wir Diebe mit dem Strang, Mörder mit dem Schwert, Ketzer mit dem Feuer bestrafen, warum greifen wir nicht vielmehr mit allen Waffen diese Lehrer des Verderbens an, diese Kardinäle, diese Päpste und das ganze Geschwür des römischen Sodom, welche die Kirche Gottes ohne Unterlaß verderben, und waschen unsere Hände in ihrem Blute.“

Selbst gegen die Fürsten zog er los, wenn sie nicht in sein Horn bliesen, und wir möchten Niemand rathen, sich über lebende deutsche Fürsten heute so zu äußern, wie es der „theure Mann Gottes“ that. Den Kaiser nannte er öffentlich einen Tyrannen. Vom Herzog Georg von Sachsen sprach er einfach als von dem „Dresdner Schwein.“

„Fahren die Fürsten fort,“ schrieb er einmal, „auf jenes dumme Hirn des Herzogs Georg zu hören, so befürchte ich sehr, es stehe ein Aufruhr bevor, welcher in ganz Deutschland Fürsten und Magistrate vernichten und zugleich den ganzen Klerus mit einwickeln wird. So nämlich erscheint mir die Lage der Dinge. Das Volk ist überall aufgeregt und hat Augen, will und kann nicht durch die Gewalt gedrückt werden. Dieser Herr ist es, der dies thut, und die Drohungen und vorhandenen Gefahren vor den Augen der Fürsten verbirgt, ja er wird durch deren Blindheit und Gewaltthätigkeit solches vollbringen, so daß es mir vorkommt, als sähe ich Deutschland schwimmen im Blut.“

Er sei weit entfernt, dies zu fürchten. Das Verderben stehe nicht ihm, sondern den Fürsten bevor.

Noch 1523, als sich schon Sickingen gegen die Fürsten erhoben hatte, und ein allgemeiner Aufruhr drohte, veröffentlichte Luther eine Schrift am 1. Januar: Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei, gegen die katholischen, nicht blos geistlichen sondern auch weltlichen Fürsten.

„Gott, der Allmächtige,“ schreibt er da, „hat unsere Fürsten toll gemacht, daß sie nit anders meinen, sie mögen thun und gebieten ihren Unterthanen, was sie nur wollen.“

„Gott hat sie in verkehrten Sinn geben und will ein Ende mit ihnen machen, gleichwie mit den geistlichen Junkern.“

„Sie konnten nicht mehr, denn schinden und schaben, einen Zoll auf den andern, eine Zinse über die andere zu setzen; da einen Bären, hie einen Wolf auslassen, dazu kein Recht, Treu noch Wahrheit bei ihnen lassen funden werden, und handeln, daß Räuber und Buben zuviel wäre, und ihr weltlich Regiment ja so tief darniederliegt, wie der geistlichen Tyrannen Regiment.“

Von Anbeginn der Welt an, meint er, sei ein kluger Fürst ein seltener Vogel gewesen; noch viel seltener sei ein frommer zu finden.

„Sie sind gemeiniglich die größten Narren und die ärgsten Buben auf Erden.“

„Man wird nicht, man kann nicht, man will nicht Eure Tyrannei und Muthwillen die Länge leiden. Liebe Fürsten und Herren, da wisset Euch nach zu richten, Gott wills nicht länger haben. Es ist nicht mehr eine Welt, wie vor Zeiten, da Ihr die Leute wie das Wild jagtet und triebet.“

Wenn wir bei der Wiedergabe dieser Stellen etwas ausführlich geworden sind, so geschah es nicht nur zur Charakterisirung Luther’s. Eben jetzt, wo gerade die Stützen der lutheranischen Kirchen am lautesten nach einem Sozialistengesetz schreien, wegen der „maßlosen Heftigkeit und Rohheit“ der sozialdemokratischen Agitation, scheint es angezeigt, darauf hinzuweisen, welche Sprache der Mann ungestraft führte, dessen Lehre zu einer der Stützen der heutigen Gesellschaft geworden ist. [9]

Aber während Luther eine solche Sprache führte, hütete er sich wohl, ihr eine entsprechende That folgen zu lassen. Bei allem revolutionären Gebahren überschritt er nie die Schranken, welche ihm die Rücksicht auf die Gunst seines Herrn und Schützers, des Kurfürsten Friedrich von Sachsen zog. Als die Reformation weiter ging, als in dem nationalen Kampf gegen Rom in Deutschland ebenso wie ehedem in England und Böhmen die Klasseninteressen und Klassengegensätze hervortraten, als es zu einem Bürgerkrieg kam, in dem ein Hüben und Drüben nur galt, da zeigte sich Luther als kein Cato; er schlug sich auf die siegreiche Seite, nachdem er so lange als möglich auf beiden Achseln getragen. Nachdem er von 1517–22 die Hülfe aller demokratisch-revolutionären Elemente angenommen, mit ihnen allen geliebäugelt hatte, hat er sie von 1523–25 alle nacheinander im Stich gelassen und verrathen, zuerst die ritterliche Opposition unter Sickingen und Hutten, dann die bäuerlich-kleinbürgerliche Opposition im großen Bauernkrieg.

Man geht jedoch zu weit, wenn man behauptet, durch seinen Verrath habe er die Niederlage der einen wie der anderen verschuldet. Kein Einzelner, und sei er noch so gewaltig, kann die Machtverhältnisse der Klassen nach Belieben gestalten. Die Elemente der demokratischen Opposition, die damals in Deutschland scheiterten, waren trotz aller militärischen Erfolge schon fast ein Jahrhundert früher in Böhmen gescheitert; sie waren im 16. Jahrhundert allenthalben in Europa im Niedergang begreifen.

Luther machte nicht die Sache der Fürsten dadurch siegreich, daß er auf ihre Seite trat; sondern dadurch, daß er auf die siegreiche Seite der Fürsten trat, erschien er als Sieger und gewann alle die Belohnungen und Ehren für seine Person und sein Andenken, die der Sieg mit sich bringt. Dadurch aber, daß er vorher fünf Jahre lang mit flammenden Worten die Hülfe aller Revolutionäre aufgerufen, seine Sache als die ihre hingestellt hatte, gewann er die Liebe und Bewunderung aller Ausgebeuteten.

Dieser seltenen Mischung von revolutionärer Leidenschaft und Rücksichtslosigkeit mit charakterlosem Opportunismus schreiben wir es zu, daß Luther während des gewaltigen Sturmes, der im Beginn des 16. Jahrhunderts über Deutschland dahinbrauste, eine Zeit lang gleichzeitig der populärste und der mächtigste Mann war, anscheinend der Schöpfer und Lenker der ganzen Bewegung. Aber daß er diese Rolle spielen konnte, verdankte er nicht bloß seinen persönlichen Eigenschaften, sondern, und vielleicht in noch höherem Grade, den Verhältnissen des Landes, dessen Fürst ihn schützte.
 

III. Der sächsische Bergsegen

Wir haben bei unserer Darstellung der Wurzeln der taboritischen Bewegung gesehen, welche Bedeutung die Silberbergwerke im 14. Jahrhundert für Böhmen besaßen, wie die sozialen Gegensätze dadurch gesteigert wurden, welche Macht das Land und dessen Beherrscher erlangten. Im 15. Jahrhundert ging der Ertrag der böhmischen Bergwerke zurück, dagegen kamen damals die Bergwerke Sachsens, namentlich Meißens und Thüringens, gewaltig in Aufschwung. Das Silberreichthum Freibergs war schon seit 1171 bekannt, das Freiberger Bergrecht ist die Grundlage des Bergrechts für ganz Deutschland geworden. Zu Ende des 15. Jahrhunderts wude es aber überholt durch Schneeberg, wo 1471 neue Erzadern entdeckt wurden, die es für einige Zeit zum ergiebigsten aller deutschen Silberbergwerke machten. 1492 wurde am Schreckenstein eingeschlagen und 1496 daselbst der Grundstein zur Bergstadt Annaberg gelegt. 1516 kam das Joachimsthaler Bergwerk in Aufschwung, das halb böhmisch, halb sächsisch war, 1519 das Marienberger.

In Thüringen war das bedeutendste Bergwerk das Mansfeldische. Seit dem 12. Jahrhundert in Betrieb, lieferte es neben Kupfer auch Silber und Gold. Der Mansfeldische Kupferschiefer wurde bis nach Venedig transportirt, wo man sich auf das Ausscheiden des Goldes besser verstand als in Deutschland.

Der rasch wachsende Reichthum an edlen Metallen förderte Waarenproduktion und Waarenhandel in den sächsischen Städten. Erfurt wurde eine reiche und mächtige Stadt als Stapelplatz Sachsens für den Handel nach dem Süden (Venedig); Halle, später Leipzig, wurden die Hauptstapelpläte für den nordischen Handel. Nach beiden Seiten entwickelte sich der Handel auf das Lebhafteste. Der Handelsweg von Sachsen nach Italien ging über Nürnberg und Augsburg und trug viel bei zu der mächtigen Stellung, welche diese beiden Städte vom 14. bis in das 16. Jahrhundert einnahmen.

Mit dem Handel entwickelte sich auch die Produktion. Kunst und Handwerk gediehen in den genannten Städten.

Aber nicht nur das städtische Leben wurde durch den sächsischen „Bergsegen“ tief beeinflußt. Vielleicht noch tiefer war seine Wirkung auf dem Lande.

Der Bedarf der Bergwerke an Holz war ein bedeutender; theils an Bauholz, zum Auszimmern der Schachte, zur Anlegung von Geleisebahnen (mit Holzgeleisen, wie wir sie in Agricola’s Buch Vom Bergwerk dargestellt sehen) u. s. w., theils und besonders an Brennholz zum Schmelzen der Erze. Ursprünglich mochten die Wälder der Markgenossenschaft, in deren Gebiet ein Bergwerk lag, genügt haben, den Bedarf an Holz und Holzkohle zu befriedigen. Je größer aber die Bergwerke wurden, desto weiter mußte man zur Deckung des Holzbedarfs über das Gebiet der Mark hinausgreifen, desto mehr Holz mußte man kaufen. Die Ausscheidung des Bergwerks aus der Mark machte vollends einen geregelten Holzhandel nöthig. Wir finden diesen denn auch in Sachsen im Anfang den 16. Jahrhunderts hoch entwickelt, bereits das Objekt mehrfacher Handelsverträge.

So erfahren wir z. B. über das Mansfeldische Bergwerk:

„1510 haben die Grafen von Mansfeld mit Graf Botho zu Stolberg der (Holz) Kohlen und des Flosses (geflößten Holzes) halber sich dergestalt verglichen, daß der Graf von Stolberg und seine Uuterthanen keinen höheren Preis auf die Kohlen machen sollten, sondern diesen für die Hüttenmeister zu Herkstädt und Mansfeld 9 Kübel und denen zu Eisleben 8 Kübel für einen Gulden geben und ausfolgen lassen sollen.“ [10]

In den Bergwerksbezirken bedurfte man aber noch anderer ländlicher Produkte. Diese Bezirke lagen in der Regel in unfruchtbaren, hochgelegenen bergigen Gemeinden, wo wenig Getreide wuchs, viel zu wenig, um die Menschenmassen zu ernähren, die sich um ein größeres Bergwerk sammelten. Die Bergleute konnten ihr Getreide nicht selbst bauen, sie mußten es kaufen. Je mehr der Bergbau sich entwickelte, desto mehr trat neben dem Holzhandel der Getreidehandel in den Vordergrund. Er bildete zum Beispiel eine der Haupteinnahmequellen Zwickaus, das an der Straße aus den sächsischen „Niederlanden“ in das „Hochland“ lag.

Bauern und Grundherren wurden so in vielen Gegenden Sachsens frühzeitig zu Waarenproduzenten. Sobald sie aber einmal zum Verkauf produzirten, war es ihnen gleich, was sie produzirten, wenn das Produkt nur verkäuflich war. Es mußte nicht just Getreide sein. Der Markt dafür war doch ein beschränkter, viel weiter der für Handelspflanzen. Nirgends in Deutschland war deren Kultur so weit entwickelt wie in Sachsen, namentlich in Thüringen. Den Mittelpunkt ihres Aubanes bildete Erfurt.

„In und um Erfurt stand insbesondere der Waid-, Saflor-, Anis-, Koriander-, Korten- und Gemüsebau in Blüthe. Die Kultur des Waids, der die Stelle des jetzigen Indigo vertrat, war dort von solcher Wichtigkeit, daß manches Dorf in der Umgebung bei gesegneter Ernte in einem Jahr nach gegenwärtigen Geldwerthe für mehr als 100.000 Thaler Waid verkaufte.“ [11]

Erfurts Handel versorgte die meisten Färbereien Deutschlands mit Waid und Safran. [12] Auch Gotha verdankte seinen Reichthum zum großen Theil seinem Handel mit landwirthschaftlichen Produkten, namentlich Getreide, Holz und Waid. [13]

Noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts solle über 300 thüringische Dörfer Waid gebaut haben, trotzdem damals die Konkurrenz des Indigo bereits sehr stark war. [14]

Die Gegensätze zwischen Grundherren und Bauern, die durch die Entwickelung der Waarenproduktion erzeugt werden und auf die wir schon wiederholt zu sprechen gekommen sind, mußten demnach zu Beginn der Reformation in Sachsen besonders stark entwickelt sein; besonders hoch der Werth des Landes und die Gier der Grundherren darnach; besonders ausgebildet das System der Geldabgaben und die Geldgier der Fürsten und Grundherren; und besonders groß die Abhängigkeit der Bauern von Kaufleuten und Wucherern. Diese Klassen, die Kapitalisten, die Fürsten, die Grundherren waren es die den ganzen Gewinn aus dem wirthschaftlichen Aufschwung zogen. Dank der raschen Vermehrung des Geldmetalles und dem Sinken seiner Produktionskosten, stiegen damals die Preise der landwirthschaftlichen Produkte enorm. „Alle Menschen auf Erden,“ sagt Aventin in seiner Chronik, „schreien und klagen, warum doch das Getreide so überschwänglich und je länger je mehr täglich theurer wird, und sind doch allenthalben in Städten, Märkten und Dörfern Bauersleute genug.“ In Sachsen, dem Mittelpunkt des Bergsegens, muß die Preissteigerung besonders arg gewesen sein. Aber sie half den Bauern nichts. In den Städten dagegen veranlaßte sie die heftigsten Lohnkämpfe.

So finden wir zu Beginn der Reformation die Klassengegensätze in Sachsen besonders schroff zugespitzt. Aehnlich wie hundert Jahre vorher im benachbarten Böhmen. Aber dort hatten die Bergarbeiter noch eine konservative Macht dargestellt. Ihre Proletarisirung war erst in den Anfängen; sie zählten zu den privilegirten Klassen und waren als Deutsche bei der allgemeinen Lage in Böhmen von vornherein darauf angewiesen, für die überlieferte Ordnung, für den Landesfürsten und den Papst einzutreten.

Seitdem hatte die Proletarisirung der Bergleute und ihre kapitalistische Ausbeutung enorme Fortschritte gemacht. Und in Sachsen waren sie nicht Landesfremde, sie besaßen keine Privilegien, die der Umsturz der bestehenden Ordnung bedrohen konnte. Sie waren, wie wir im zweiten Abschnitt gesehen haben (S. 93 ff.), mit dieser Ordnung in den letzten Jahrzehnten vor der Reformation in immer heftigere Konflikte gekommen. Weit entfernt, einer revolutionären Bewegung entgegenzutreten, waren sie vielmehr stets bereit, wo eine solche ausbrach, sich ihr anzuschließen. und ihre Zahl, ihre Wehrhaftigkeit und die ökonomische Bedeutung ihres Gewerbes gaben ihnen eine Macht, mit der die Staatsmänner rechnen mußten.

Den größten Machtzuwachs durch den „Bergsegen“ erhielt aber die revolutionärste der damaligen Klassen, diejenige, die durch alle Tendenzen der Zeit am meisten begünstigt wurde, das absolute Fürstenthum.

Der Besitz von Gold und Silber hat seit den Anfängen der Waarenproduktion stets besondere Macht verliehen, vielleicht niemals aber mehr als im 16. Jahrhundert, wo die Machtquellen bereits sehr stark versiegten, die aus der Naturalwirthschaft flossen und die Machtmittel des Kreditsystems noch wenig entwickelt waren. Nach Gold und Silber drängte daher damals Alles. Aber nur mühsam deckten die meisten Fürsten ihre Geldbedürfnisse durch Zölle und Auflagen. Anders die Fürsten, in deren Gebiet gold- oder silberreiche Bergwerke lagen.

Ohne jedes Risiko, wenigstens dort, wo sie den Bergbau nicht selbst betrieben, erwarben sie große Schätze; denn die Gewerken, die Ausbeuter des Bergwerks, mußten die Bergbauberechtigung theuer bezahlen, namentlich in Bergwerken auf edle Metalle, wo zu dem Bergzehnten noch der Schlagschatz kam. Dazu gesellten sich oft noch andere Abgaben, Stollenneuntel, Hüttenzins u. s. w. Die Gewerken wurden dabei oft arm, namentlich, wenn es kleinere Leute waren, aber die Fürsten reich, reich an baarem Gelde.

Die bestgefüllte Geldkiste unter den deutschen Fürsten zu Ende des 15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts besaßen die Herren von Sachsen. Seit der Erbtheilung der Brüder Ernst und Albrecht (1485) zerfiel das Kurfürstenthum Sachsen in zwei Theile: Ernst erhielt als Haupttheil Thüringen, Albrecht Meißen. Die Silberbergwerke im Erzgebirge waren jedoch nicht getheilt worden. Sie blieben gemeinsames Eigenthum der beiden Häuser, blos der Ertrag wurde getheilt. Dank diesen Erträgen spielten im 16. Jahrhundert die sächsischen Fürsten eine hervorragende Rolle in Deutschland, die erste neben dem Kaiser.

Der Rest kaiserlicher Macht beruhte damals zum großen Theil nur noch auf der Geldnoth und der Habgier der deutschen Fürsten, namentlich der Kurfürsten. Dieselben waren thatsächlich zu selbständigen Herren geworden; wenn sie sich die kaiserliche Würde gefallen ließen, so vornehmlich deswegen, um einen Käufer zu finden, dem sie einen, in Wirklichkeit recht unerheblichen, Theil ihrer Souveränetätsrechte verschachern konnteu. Dieselbe Rolle, die ehedem zu Ende der altrömischen Republik die Lumpenproletarier der Hauptstadt und dann das Prätorianergesindel gespielt, spielten im 15. und 16. Jahrhundert die Kurfürsten. Jede Kaiserwahl wurde für sie ein gutes Geschäft. Von allen Kandidaten nahmen die edlen Herren Bestechungsgelder, um schließlich dem Meistbietenden ihre Stimmen zu geben.

Vielleicht am schamlosesten ging es bei dem Wahlgeschäft zu, das die Ernennung eines Nachfolgers Maximilian’s I. bezweckte, noch bei dessen Lebenszeit begann und von 1516 bis 1519 dauerte. Dieselben Dynastien, die damals um die Vorherrschaft in Europa stritten und abwechselnd das Papstthum zu ihrem Werkzeug machten, bewarben sich auch um die Kaiserkrone: die französische der Valois und die der Habsburger, deren Machtzentrum damals aus Deutschland nach Spanien glitt.

Fast alle Kurfürsten nahmen von beiden Seiten Geld – von Franz von Frankreich und auch von Spanien. Namentlich die beiden Hohenzollern, Joachim I. von Brandenburg und sein Bruder Albrecht, Erzbischof von Mainz und Magdeburg, entwickelten eine Geldgier und einen Schachergeist, wie sie unsere „Arier“ nur bei dem unverfälschtesten Judenthum suchen.

Der einzige der Kurfürsten, der kein nahm, war Kurfürst Friedrich von Sachsen (von der Ernestinischen Linie, der Thüringen zugefallen war). Ihm selbst hatten die anderen Kurfürsten, lüstern nach den Schätzen des Mitbesitzers der Silberbergwerke Meißens, die Kaiserkrone angeboten natürlich gegen entsprechendes Trinkgeld. Allein Friedrich wies sie zurück. Er wußte, sie sei der Preis nicht werth, und er lenkte die Wahl auf den Habsburger, der ihm trotz seiner Tyroler Bergwerke, der Handelsblüthe der damals Habsburgischen Niederlande und der Macht Spaniens für die Selbständigkeit der deutschen Fürsten weniger bedrohlich erschien als Franz I., der Besitzer des damals schon wohlorganisirten und kompakten Frankreich.

Auf weitere Erwägungen, welche die Wahl Karl’s förderten, so die Türkengefahr, wollen wir hier nicht eingehen.

Durch seinen Reichthum und seine Macht wurde der Kurfürst von Sachsen der Kaisermacher. Aber er wurde dadurch auch der Mittelpunkt der Opposition, welche die nach Selbständigkeit strebenden deutschen Fürsten dem Kaiser und dem Papst bereiteten. Zu Beginn der Reformation spielte Sachsen in Deutschland eine ähnliche Rolle wie später Preußen.

Die 1502 von Friedrich gegründete Universität Wittenberg erhielt die geistige Leitung der romfeindlichen und gleichzeitig fürstenfreundlichen Bewegung. Luther, seit 1508 Professor an dieser Schule, gerieth unter ihren Einfluß, wurde schließlich ihr Wortführer und der Vertrauensmann und Schützling des Kurfürsten. Und der Monarch, in dessen Reich die Sonne nicht unterging, wagte sich an Friedrich nicht heran und mußte ihn und seine Leute gewähren lassen.

Sachsen ist aber der geistige Mittelpunkt nicht blos der absolutistische, siegreichen, sondern auch der demokratischen, unterliegenden Opposition gegen Rom geworden. In Thüringen war es noch einer Reihe kleinerer Städte gelungen, ihre Reichsunmittelbarkeit, das heißt die Freiheit von fürstlicher Herrschaft, zu wahren, so Mülhausen, Nordhausen und andere. Erfurt stand unter der Oberhoheit des Erzbischofs von Mainz; es wußte jedoch die Herzöge von Sachsen auf das Geschickteste gegen diesen auszuspielen. Das ganze 15. Jahrhundert hindurch dauerten die Streitigkeiten um Erfurt zwischen den Erzbischöfen von Mainz und dem Hause Sachsen. Nur die Stadt selbst zog Vortheil aus dieser gegenseitigen Eifersüchtelei; sie entzog sich der Oberherrschaft der Erzbischöfe, ohne der sächsischem Herrschaft anheimzufallen; sie konnte sich zu den Reichsstädten zählen. Erfurt war zu Beginn der Reformation die erste Handelsstadt Mitteldeutschlands, die allerdings bald ihren Platz an das aufstrebende Leipzig abgeben sollte, welches bereits die alte Handelsstadt Halle überflügelt hatte. Erfurts Universität galt im 15. Jahrhundert als die vornehmste Deutschlands. Sie wurde der Sitz des jüngeren deutschen Humanismus, der sich du gleichgesinnten Bewegungen Italiens und Frankreichs anschloß und mit ihnen in genialer und übermüthiger Verhöhnung des überlieferten Glaubens zu wetteifern suchte. Wir haben dieses Kreises bereits gedacht, der sich um Mutian bildete, dem Hutten und eine Zeitlang auch Luther angehörte, und der auf rein geistigem Gebiete die entschiedenste Lossagung von den überkommenen kirchlichen Anschauungen bedeutete.

Aber nicht blos die gelehrte und bürgerliche Opposition fand in sächsischen Städten ihre besondere Förderung, sondern auch die kommunistische.
 

IV. Die Schwärmer von Zwickau

Wir haben die kommunistische Bewegung in Deutschland zur Zeit der katholischen Reaktion Karl IV. verlassen. Den blutigsten Verfolgungen gelang es nicht, die Bewegung gänzlich auszurotten, die aus dem innersten Bedürfen einer stets sich ergänzenden und stets wachsenden Volksschicht, des Proletariats, ihre Nahrung zog. Aber es gelang dieser Bewegung auch nicht vor der Reformation größere Bedeutung zu erlangen, denn die Klasse, auf welche sie sich stützte, das Proletariat, war zwar unausrottbar, aber viel zu schwach und unbedeutend für das gesellschaftliche Leben, um sich hervorwagen zu können, so lange die herrschenden Gewalten alle festsaßen und sich nicht durch gegenseitigen Kampf erschütterten.

Die Hussitenkriege blieben auf die deutsche Bewegung nicht ohne Einfluß. Eiferten sie auf der einen Seite die herrschenden Klassen zu besonderem Mißtrauen und besonderer Strenge gegenüber allen verdächtigen Regungen in den unteren Klassen an, so wurde andererseits durch sie Böhmen ein Asyl, von dem aus deutsche Emigranten auf Deutschland wirken konnten. Die tschechischen Taboriten unterstützten eifrig die Propaganda im Ausland.

„Was uns von Hussitischer Propaganda in Deutschland überliefert ist, weist fast durchgängig auf taboritischen Ursprung zurück. In den Heeren der ,Brüder“ erhob sich der Hussitische Geist zu universalen Entwürfen; hier wurde mehr als einmal der kühne Gedanke laut, man werde und müsse die ganze Christenheit mit den Waffen oder auf dem Weg friedlicher Belehrung zur Annahme der Wahrheit bringen. Die Ketzerbriefe, die volksthümlichen Manifeste der Taboriten, worin sie alle Christen ohne Unterschied der Nation oder des Standes zur Befreiung von der Pfaffenherrschaft und azur Einziehung der geistlichen Güter aufriefen, wurden bis nach England und Spanien getragen; im Dauphiné schickte das Volk Geldbeiträge nach Böhmen und begann auf gut taboritisch die Herren todtzuschlagen. Vor Allem in Süddeutschland finden wir taboritische Emissäre thätig. Zwei wesentliche Momente kamen hier der böhmischen Propaganda zu Statten, einmal das Vorhandensein zahlreicher Waldensergemeinden, dann ein starker sozialistischer Zug, der sich namentlich in den unteren Schichten des Stadtvolkes bemerklich machte und neben den Juden in erster Linie die reiche Hierarchie bedrohte.“ [15]

Ein anderes sichtbares Ergebniß hatte diese Propaganda von Böhmen aus freilich nicht, als eine Reihe von Märtyrern zu liefern.

Den Einfluß des Taboritenthums empfanden natürlich vornehmlich die Nachbarländer Böhmens, darunter wieder in erster Linie die ökonomisch entwickeltsten, Franken und Sachsen. Bereits 1425 wurde in Worms ein „Hussitischer Missionar“ verbrannt, der sächsische Edelmann Johann von Schlieben, genannt Drändorf, der sich allerdings schon vor dem Ausbruch der Hussitenkriege, 1416, einer kommunistischen Sekte angeschlossenund sein Vermögen an seine armen Mitbrüder vertheilt hatte. Er wurde, nachdem er lange in Sachsen, am Rhein und in Franken gewirkt, ergriffen, als er versucht hatte, die zwei vom Kirchenbann betroffenen Städte Heilbronn und Weinsberg anfzuwiegeln.

Besonders bemerkenswerth ist aber Friedrich Reiser, der aus einer schwäbischen Waldenserfamilie stammte, jedoch in Nürnberg (von 1418–20) seine Ausbildung erhielt, wo damals das beghardisch-waldensische Sektirerthum sehr stark war. Als wandernder Agitator (Apostel) durchzog er Deutschland, die Schweiz, Oesterreich, um endlich in Prag seine Zuflucht zu suchen. Dort ließ er sich von einem taboritischen Geistlichen zum Priester weihen (1433); im Jahre darauf verließ er aber wieder Böhmen, um seine Agitationsfahrten durch Deutschland fortzusetzen. Er wirkte nun vornehmlich in Franken, in Nürnberg, Würzburg, Heilbronn. 1447 nimmt er an einem Kongreß (Apostelsynode) der Brüder zu Heroldsberg bei Nürnberg Theil, wo er zum Bischof gewählt wird; einige Jahre später finden wir ihn als Theilnehmer an einem Kongreß deutscher Waldenser in Tabor, auf den die erschütterte Organisation der Gemeinden wieder hergestellt wurde. Reiser wurde Oberdeutschland als Provinz zugewiesen, er ließ sich in Straßburg nieder. 1458 wurde er dort den Dominikanern denunzirt und nach einem martervollen Prozeß verbrannt. [16]

Reiser’s Lebenslauf ist charakteristisch; er zeigt uns, welch enge Verbindung trotz des damals wüthenden nationalen Kampfes zwischen den tschechischen Taboriten und den deutschen „Brüdern“ bestand.

Auch nach dem Sturze Tabors hörte die Verbindung mit Böhmen nicht gänzlich auf. Erinnern wir uns der Verhandlungen zwischen den böhmischen Brüdern und den Waldensern, welche eine Vereinigung der beiden Sekten bezweckten, schließlich aber scheiterten.

Auch das Auftreten des Pfeifers von Niklashausen scheint noch auf ein Fortwirken taboritischer Einflüsse hinzudeuten. In Niklashausen, einem ostfränkischen Dorf an der Tauber, trat 1476 ein Jüngling auf, Johann, „wahrscheinlich nach seinem Geburtslande, vielleicht auch nach seinen Meinungen Behem, Böheim, Böhme genannt.“ [17] Er war ein Musikant, „wie noch heute viele unserer Musikanten aus Böhmen zu kommen pflegen,“ und hieß nach seinem Beruf der Pauker oder Pfeifer. Aber 1476 verbrannte er seine Pauke, und fing an, das Evangelium der Gleichheit und der Revolution zu predigen, aufgefordert von der heiligen Jungfrau, wie er selbst sagte, aufgestachelt von einem Anderen, wie seine Gegner behaupteten, welcher Andere nach den Einen ein „Jünger Hussens,“ nach Anderen einer der strengen Franziskaner, nach einer dritten Quelle, der ältesten, ein Begharde gewesen sein soll. Eine alte, wahrscheinlich gleichzeitige Urkunde (vollinhaltlich abgedruckt bei Ullmann, S. 441 ff.) giebt an, er habe erklärt:

„Der Kaiser ist ein Bösewicht, und mit dem Papst ist es nichts. Der Kaiser giebt den geistlichen und weltlichen Fürsten, Grafen und Rittern Zoll und Auflegung über das gemeine Volk: Ach weh, Ihr armen Teufel!“

„Die Geistlichen haben viel Pfründen, das soll nicht sein; sie sollen nicht mehr haben, als von einem Mal zum anderen reicht. Man wird sie erschlagen und in Kurzem wird es dahin kommen, daß die Priester gern ihre Platten bedecken möchten, um nicht erkannt zu werden. Eher wolle er einen Juden bessern, denn einen Geistlichen und Schriftgelehrten.

„Die Fische im Wasser und das Wild auf den Feld sollen gemein sein. Würden die geistlichen und weltlichen Fürsten, Grafen und Ritter nicht mehr haben wie die Gemeinen, so hätten wir Alle genug, was denn auch geschehen soll. Es wird dahin kommen, daß die Fürsten und Herren noch um einen Tagelohn arbeiten müssen.“

Der Erfolg des kühnen Agitators war groß, massenhaft strömten ihm Bauern und Proletarier zu.

„Die Handwerksgesellen, wie es uns ein Chronist anschaulich berichtet, liefen aus den Werkstätten, die Bauernknechte vom Pflug, die Grasemägde mit ihren Sicheln, alle ohne Urlaub ihrer Meister und Herrn, und wanderten in den Kleidern, darin sie die Tobsucht ergriffen hatte; die Wenigsten hatten genug, aber die, bei denen sie einkehrten, versahen sie mit Essen und Trinken und war der Gruß unter ihnen nicht anders, denn Bruder und Schwester.“ [18]

Zehntausende kamen zusammen bei kommunistisch-enthusiastischen Picknicks, ähnlich denen, die wir in den Anfängen Tabors kennen gelernt haben. Schließlich soll man noch weiter gegangen sein und eine bewaffnete Erhebung geplant haben. Ob diese wirklicher Grund oder bloßer Vorwand des Einschreitens war, ist heute nicht mehr festzustellen. Genug, der Bischof Rudolf von Würzburg schickte seine Reiter aus, die den Pfeifer im Schlaf überfielen und gefangen nahmen, seinen Anhang, der ihn schützen wollte, mit leichter Mühe zersprengten. Den Unglücklichen erwartete mit zweien seiner Genossen das gewöhnliche Widerlegungsmittel jener Zeit, der Scheiterhaufen.

Die Thätigkeit Drändorf’s (Schlieben’s) wie die Reiser’s und des Pfeifers Johann Böhme deutet ebenso wie zahlreiche andere Thatsachen darauf hin, daß Franken im 15. Jahrhundert ein Hauptherd der waldensisch-beghardischen Bewegung in Deutschland wurde, wie es früher schon das Rheinthal geworden war, die große Verkehrsstraße zwischen Italien und den Niederlanden, die von Süden her Waldenser, von den Niederlanden her Begharden nach Deutschland gebracht hatte, welche gerade an dieser Verkehrsstraße die ökonomisch höchststehenden Theile des Reiches fanden. Köln, Straßburg, Basel waren im 14. Jahrhundert Hauptorte der Bewegung gewesen, zu ihnen gesellte sich nun Nürnberg.

Ein weiterer Hauptherd bildete sich in Sachsen. Neben Böhmen und Franken gehörte ihn 15. Jahrhundert Meißen zu den Gegenden, in denen Kongresse der „Brüder“ abgehalten wurden – z. B. eine allgemeine Synode drei Jahre nach der Taborer, von der wir oben gesprochen, in Engelsdorf –, was unmöglich gewesen wäre ohne eine erhebliche Ausdehnung der Bewegung in jener Gegend.

Natürlich konnten die kommunistischen Sekten nur in der Form geheimer Verbindungen existiren.

„Abgelegene Mühlen, Weiler, Höfe wurden die gewöhnlichen Sitze der ‚Brüder‘ und im kleinsten Kreise sammelten sie sich, wenn sie ihren Gottesdienst hielten, um jedes Aufsehen zu vermeiden.

„Dies sind die Versammlungen, welche in Tritheim’s Sponheimer Chronik zum Jahre 1501 beschrieben werden. ‚Sie kommen zusammen,‘ sagt Tritheim, ‚in Gruben und verborgenen Höhlen zur Nachtzeit; hier treiben sie wie Bestien schändliche Unzucht. Dieses niederträchtige Geschlecht wächst und mehrt sich täglich auf wunderbare Weise.‘“ [19]

Wie andere rebellische Richtungen, bekamen auch die „Grubenheimer“ seit dem erfolglosen Auftreten von Papst und Kaiser gegen Luther, seit der Verbrennung der Bannbulle (1520) und noch mehr seit dem Wormser Reichstag von 1521 den Muth, offen hervorzutreten. Dieser Reichstag war die Katastrophe für Kaiser und Papst in Deutschland.

Die beste Stütze von gesellschaftlichen oder politischen Mächten, welche ihre materielle Grundlage verloren haben, ist ihr traditionelles Ansehen, ihr Prestige. Kraft dessen können sie sich unter Umständen lange auch gegen überlegene Gegner halten – je länger, um so rascher freilich dann der Zusammenbruch, wenn dieses Prestige in einer Kraftprobe als hohler Schein sich erweist.

Für Kaiser und Papst bewirkten dies die Ereignisse von 1520 und 1521. Noch Niemand in Deutschland hatte bisher den Beiden vereint ungestraft getrotzt. Nun erhob sich ein einfacher Mönch, ihnen entgegenzutreten, und sie wagten es nicht ihn niederzuschlagen. Die Bannbulle blieb völlig wirkungslos und triumphirend verließ Luther den Reichstag, wenig bedroht durch die lahme Reichsacht, die ihm nachhinkte. Je weniger die unteren Schichten des Volkes die Fürsten und Ritter bemerkten, die hinter Luther in Worms gestanden hatten, je isolirter dieser für das Volksbewußtsein dort erschienen war, desto mächtiger mußte der Ausgang des Reichstages auf die große Masse wirken. Erwies sich die Wahrheit so stark, daß ein simples Mönchlein sie den größten Beherrschern der Christenheit gegenüber unverzagt und ungestraft vertreten konnte, dann durften Alle ungescheut sich hervorwagen, die eine gute Sache zu vertreten hatten.

In Sachsen gings zunächst los. Wenige Wochen nach der Erklärung der Reichsacht gegen Luther und seine Freunde, im Juni 1521, erhob sich das Volk von Erfurt und machte in eitler Reihe von Aufständen dem katholischen Kirchenregiment ein Ende. Auch in Wittenberg kam es zu Unruhen, für uns besonders wichtig sind aber die Bewegungen zu Zwickau, deren Anfänge in das Jahr 1520 zurückreichen.

Wir haben bereits oben gesehen, daß diese Stadt Bedeutung hatte als Vermittlerin des Getreidehandels zwischen dem sächsischen Tiefland und den Bergwerksgegenden. Je mehr der Bergbau sich entwickelte, desto mehr blühten Zwickaus Handel und Indnstrie auf. Namentlich als 1470 die Silberschätze des benachbarten Schneeberg entdeckt worden, wuchs der Reichthum in Zwickau rasch.

„Erst nach dem Anbruche der Schneeberger Bergwerke erhielt unsere Stadt ihre noch jetzt sichtbare Verbesserung hinsichtlich der Gebäude. Viele Bürger, z. B. Mich. Pomer, Joh. Federangel, Andr. und Nik. Gaulenhöfer, Clem. Schicker (meist Tuchmacher) und besonders die beiden nachher in den Adelsstand erhobenen Brüder Martin und Nikolaus Römer wurden dadurch reich, und Nahrung und Verdienst der Uebrigen verbesserte sich durch die verbesserte Geldmenge.“ [20]

Die reichsten Leute Zwickaus waren Tuchmacher.

„Vor dem dreißigjährigen Kriege war seit den ältesten Zeiten das Hauptgewerbe die Tuchweberei. Bereits 1348, wo sie Statuten erhielten, bildeten die Tuchmacher eine Innung, die vornehmste und wahrscheinlich die älteste des Ortes, und in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts lieferte Zwickau nebst Oschatz die meisten und besten Tuche im Meißnerland, obgleich dieselben immer noch nicht den beliebten lündischen (Londoner) und niederländischen gleichkamen. 1540 zahlte man unter den Hausbesitzern 280 Tuchmacher, ja, einer alten, wohl nicht unbegründeten Sage nach soll deren Zahl in den blühendsten Zeiten bis auf 600 gestiegen sei.“ [21]

Diese „blühendste Zeit“ war gerade jene, von der wir hier handeln. Im Jahrzehnt des Bauernkrieges wurden jährlich durchschnittlich 15–20.000 Stein Wolle verarbeitet und 10–20.000 Stücke Tuch produzirt.

Die Tuchmacher bildeten nicht nur der ökonomischen Bedeutung, sondern auch der Zahl nach einen wichtigen Theil der Bevölkerung der Stadt. Sie zählte damals ungefähr 1.000 Häuser; davon war in der blühendsten Zeit ein Viertel bis die Hälfte im Besitz von Tuchmachermeistern (jedenfalls mehr als 230, vielleicht annähernd 600).

Die Tuchmacherei war Exportgewerbe, sie wurde kapitalistisch von großen Kaufleuten ausgebeutet. Es war damals nichts Ungewöhnliches, das reiche Kaufleute mit der Ausbeutung der Konsumenten durch den Handel die Ausbeutung der Arbeiter in den zwei großen kapitalistischen Industrien jener Zeit verbanden, der Weberei und dem Bergbau. Das bekannteste Beispiel davon sind die Fugger, die ihren Reichthum nicht nur aus dem Handel mit allem Möglichen zogen (auch mit kirchlichen Stellen, wie wir gesehen haben), sondern auch aus der Ausbeutung der Augsburger Weber und der Tiroler Bergleute. Etwas Aehnliches vollzog sich in Zwickau. Die Gewerken in Schneeberg waren zum großen Theil Zwickauer Tuchmachermeister und Tuchhändler, darunter vornehmlich der schon erwähnte Kaufmann Martin Römer, der sächsische Fugger, der 1483 mit Hinterlassung eines großen Vermögens starb. [22]

Aber die Bergleute, welche durch die Fugger ausgebeutet wurden, waren von den Augsburger Webern räumlich weit entfernt. In Zwickau dagegen saßen die ausgebeuteten Webergesellen, die „Tuchknappen,“ ganz nahe bei den von denselben Kapitalisten ausgebeuteten Bergleuten. Es war dies eine ganz eigenartige Situation. Der rebellische, trotzige Sinn der Bergleute mußte den Tuchknappen Kourage machen. Der kommunistische Enthusiasmus dieser mußte auch jene anstecken. Da dürfen wir nicht wundern, daß die Kommunisten in und um Zwickau die ersten waren, die in Deutschland während der Reformation es wagten, offen ihr Haupt zu erheben.

Schon 1520 finden wir daselbst eine organisirte Gemeinde mit Vorstehern, die Apostel hießen, wie bei den Waldensern. Das langersehnte, tausendjährige Reich schien ihnen jetzt zu kommen durch ein furchtbares blutiges Strafgericht Gottes, eine gewaltsame Revolution. Ihr Hauptanhang waren die Tuchknappen der Stadt; aber sie gewannen Genossen auch unter den Bergleuten und unter manchen Gebildeten; unter den letzteren wird genannt Max Stübner, der in Wittenberg studirt hatte, einer der „ Apostel.“ Ihr Führer war der Weber Nikolaus Storch.

Auch außerhalb Zwickaus gewannen sie Einfluß, sogar zu Wittenberg selbst. Neben den niederen Volksklassen waren es dort ebenfalls gebildete Ideologen, die sich ihnen zuwandten. Noch waren damals die Klassengegensätze in der Reformationsbewegung nicht hervorgetreten, noch erschien diese einerseits als eine nationale, die ganze Nation ohne Unterschied der Klasse in gleichem Sinn umfassende, und andererseits als eine rein religiöse Bewegung zur Reinigung der Kirche, zur Wiederherstellung des evangelischen Christenthums.

Wir haben bereits im zweiten Kapitel dieses Abschnittes darauf hingewiesen, wie leicht in diesem Stadium der Bewegung Ideologen, die nicht direkt an der Ausbeutung der unteren Volksmassen interessirt waren, dazu kommen konnten, der kommunistischen, auf die urchristliche Tradition gestützte Bewegung sympathisch entgegenzutreten.

Selbst auf Melanchthon, Luther’s Freund und Mitarbeiter, machten die Zwickauer Schwärmer tiefen Eindruck. Man sehe aus vielen Zeichen, meinte er, daß gewisse Geister in ihnen wohnten. Ueber Nikolaus Storch schrieb er an den Kurfürsten Friedrich: „Hab so viel von ihm vermerkt, daß er der Schrift Sinn recht hat, in den höchsten und vornehmsten Artikeln des Glaubens, wiewohl er eine sonderliche Weise zu reden führt.“ Friedrich selbst wußte infolge der Haltung seiner Theologen nicht recht, was er von den Schwärmern denken solle. Melanchthon war klug genug, sich nicht zu kompromittiren und Luther die Entscheidung über die Natur dieser Schwärmgeister zu überlassen; aber er fühlte sich so sehr zu ihnen hingezogen, daß er einen der „Apostel,“ den schon genannten Stübner, in sein Haus annahm. Luther konnte ihm über die Zwickauer anfangs nicht viel sagen; er wohnte auf der Wartburg, wo er abwartete, welchen Erfolg die gegen ihn ausgesprochene Reichsacht haben werde. Bald freilich wurde es Luther klar, wohin die „Brüder“ hinauswollten und dann trat er energisch gegen sie auf.

Viel entschiedener als Melanchthon wandte sich den Schwärmern Luther’s Freund und Kollege Karlstadt zu, für dessen revolutionäres ungestüm die Luther’sche Bewegung viel zu langsam voranging. Viel früher als Luther, ihm später mir zögernd folgte, nahm er den Kampf gegen das Priesterzölibat und die lateinische Messe auf. Er eiferte auch gegen die Heiligenbilder und das Fasten, aber er ging noch weiter. Ganz in taboritisch-beghardischer Weise verurtheilte der gelehrte Professor jegliche Gelehrsamkeit. Nicht die Gelehrten, sondern die Handwerker sollten das Evangelium predigen, jene von diesen lernen, die hohen Schulen geschlossen werden.

Der weitaus hervorragendste unter den Anhängern der Zwickauer Apostel war aber Thomas Münzer. Er bildet von 1521 bis 1525 den Mittelpunkt der ganzen kommunistischen Bewegung in Deutschland. Sein Gestalt ragt so mächtig daraus hervor, seine Geschichte ist mit der ihren so eng verflochten, und alle zeitgenössischen Zeugnisse darüber beziehen sich so ausschließlich auf ihn, daß auch wir dem allgemeinen Beispiel folgen und als Geschichte der kommunistischen Bewegung der ersten Jahre der Reformation eine Geschichte Münzer’s geben müssen.
 

V. Münzer’s Biographen

Wie über manchen Revolutionär vor und nach ihm, dessen Sache unterlegen ist, sind wir auch über Münzer schlecht unterrichtet. Nicht, daß es an Nachrichteu über ihn fehlte, aber sie stammen meist von seinen Gegnern her, sind gehässig und unzuverlässig. Die bekannteste Quelle über Münzer sind die Mittheilungen Melanchthon’s in dessen Historie Thome Müntzers, des anfengers der doringischen vffrur, sehr nützlich zu lesen &c., die wahrscheinlich unmittelbar nach der Niederschlagung des Aufstandes, noch im Jahre 1525 selbst, erschien (sie ist fast in allen Gesammtausgaben der Werke Luther’s abgedruckt). Wie objektiv ein Fürstenknecht in jenem Zeitpunkt über den gefährlichsten Feind der Fürsten schreiben konnte, bedarf keiner Auseinandersetzung. Melanchthon hatte besondere Ursache zur Gehässigkeit, denn er hatte eine Zeit lang mit den Genossen Münzer’s geliebäugelt, wie wir gesehen, von diesen selbst Briefe erhalten, wohl auch beantwortet. [23] Er mußte dies Verbrechen durch verdoppeltes Wüthen sühnen.

Auf das Schlechtmachen kommt es dem „sanften“ Melanchthon allein an, nicht auf die Richtigkeit. Auch in ganz gleichgültigen Fragen zeigt sich seine Darstellung völlig unzuverlässig und lüderlich. [24]

Sleidan und Gnodalius haben diese Darstellung einfach abgeschrieben [25], von ihnen ist sie in die späteren Geschichten der Zeit übergegangen. Erst die französische Revolution verhalf Münzer einigermaßen zu seinem Rechte. Den Pastor G. Th. Strobel in Wöhrdt (Bayern ?) regte sie zum Studium des Bauernkrieges, namentlich des Münzer’schen Aufruhrs an, er entdeckte die Lücken und Widersprüche der Melanchthon’schen Darstellung und suchte ihnen möglichst abzuhelfen in seiner Schrift: Leben, Schriften und Lehren Thomäe Müntzers, des Urhebers des Bauernaufstandes in Thüringen, Nürnberg und Altorf 1795. Es ist die erste wissenschaftliche Monographie über Münzer, und mit ihr kann sich nur noch eine messen, die des Pastor Seidemann, der 1842 eine Schrift herausgab: Thomas Münzer, eine Biographie, nach den im königlich sächsischen Hauptstaatsarchiv zu Dresden vorhandenen Quellen bearbeitet, Dresden und Leipzig. Seidemann hat eine Reihe neuer Dokumente beigebracht, aber er verspricht im Titel seiner Arbeit mehr als er leistet, denn in den meisten Punkten stützt er sich einfach auf Strobel, den er oft abschreibt, ohne ihn zu nennen.

Die jüngste Arbeit über Münzer ist von O. Merx geliefert, Thomas Münzer und Heinrich Pfeifer, 1523–1525, Göttingen 1889, eine Doktors-Dissertation, deren Verfasser keine Gelegenheit versäumt, seine gute, fürstentreue Gesinnung au den Tag zu legen. Das Schriftchen bringt einige Einzelheiten und chronologische Richtigstellungen, die auf Quellen, in Zeitschriften und Sammlungen verstreuten Materialien beruhen. Aber es bleibt am Aeußerlichsten haften, und zeigt nicht das mindeste Verständniß für die Ideen und das Wirken Münzer’s.

Alle anderen Monographien über Münzer, die uns zu Gesicht gekommen, sind wissenschaftlich ohne Werth. [26]

Aus ihnen allen spricht der Geist des Melanchthon’schen Machwerks, und ebenso aus den allgemeinen Darstellungen jener Zeit bis auf Janssen und Lamprecht herab.

Wir kennen unter den selbständigen Darstellungen Münzer’s nur eine, die der historischen Bedeutung des Mannes und seiner Persönlichkeit gerecht geworden ist: diejenige, die uns W. Zimmermann in seiner Geschichte des großen Bauernkrieges giebt, welches Werk, trotzdem seit seiner ersten Auflage mehr als ein halbes Jahrhundert verflossen ist, immer noch nicht erreicht, geschweige denn übertroffen wurde, wenn auch einzelne seiner Details veraltet sind. [27]

Nur in einem, allerdings sehr wesentlichen Punkte können wir Zimmermann nicht zustimmen: er faßt Münzer auf als außerhalb seiner Zeit und über ihr stehend: „Münzer eilte auch mit seinen religiösen Ansichten, nicht nur mit seinen politischen, um drei Jahrhunderte voraus.“ [28]

Zimmermann konnte zu dieser Anschauung durch Vergleichung der Münzer’schen Gedanken mit denen späterer Denker und Neuerer: Penn, Zinzendorf, Rousseau &c. Hätte er sie dagegen mit denen der früheren kommunistischen Sekten verglichen, so würde er gefunden haben, daß Münzer sich ganz in deren Gedaukenkreise bewegte. Es ist uns nicht gelungen, einen neuen Gedanken bei Münzer zu entdecken.

Auch die organisatorische und propagandistische Bedeutung des Mannes ist unseres Erachtens bisher überschätzt worden. Die Verfolgungen von Begharden und Waldensern, die nicht aufhören, weisen daranf hin, daß nicht nur die Ideen, sondern auch die Organisationen kommunistischer Sekten sich bis in die Reformationszeit hinein erhalten haben. Wir dürfen annehmen, daß gleichzeitig mit Münzer, ja vor ihm, wie das in Zwickau offenkundig geworden, zahlreiche Agitatoren und Organisatoren in gleichem Sinne thätig waren und daß bereits an manchen Orten geheime Organisationen vorhanden waren, auf die sie sich stützen konnten.

Worin Münzer seine kommunistischen Genossen überragte, das waren nicht philosophischer Sinn und Organisationstalent, sondern das war seine revolutionäre Thatkraft und vor Allem sein staatsmännischer Blick. Die Kommunisten des Mittelalters waren, wie wir schon wiederholt gesehen haben, im Allgemeinen friedfertiger Natur. In revolutionären Zeiten wurden sie freilich leicht von dem revolutionären Feuer fortgerissen. Als die Reformation ganz Deutschland in gewaltige Gährung versetzte, blieben auch die Kommunisten davon nicht unberührt. Aber viele von ihnen scheinen an der Wirksamkeit des gewaltsamen Weges gezweifelt zu haben, namentlich die Süddeutschen, die von den schweizerischen Wiedertäufern beeinflußt wurden, welche entschieden gegen die Münzer’sche Anschauung auftraten, daß nur die Gewalt dem Evangelium zum Durchbrnch verhelfen könne. Sie wollten nur vom „Kampf mit den geistigen Waffen“ etwas wissen, nur „um dem Wort Gottes die Welt besiegen,“ wie man damals sich ausdrückte. Wir kommen darauf in der Geschichte der Wiedertäufer zurück.

Von dieser Friedfertigkeit war Münzer weit entfernt. Sein Ungestüm, seine Thatkraft konnten nicht übertroffen werden. Daneben war er aber nichts weniger als ein Wirrkopf und auch kein beschränkter Sektirer. Er kannte die bestehenden Machtverhältnisse in Staat und Gesellschaft, und bei allem mystischen Enthusiasmus rechnete er mit diesen Verhältnissen. und weit entfernt, seine Wirksamkeit auf eine kleine Gemeinde Rechtgläubiger zu beschränken, appellirte er an alle revolutionären Elemente jener Zeit, suchte er sie alle seiner Sache dienstbar zu machen.

Wenn er scheiterte, so lag dies in Verhältnisse begründet, die er nicht ändern konnte. Was aber mit den vorhandenen Machtmitteln geleistet werden konnte, das hat er geleistet, und wenn 1525 in Thüringen ein Aufstand der dort so wehrlosen Bauern eine Zeit lang die Ausbeutergesellschaft in ihren Wurzeln bedrohen konnte, so ist dies nicht zum Wenigsten Thomas Münzer zu verdanken, seiner Verbindung überschwänglicher kommunistischer Schwärmerei mit eiserner Willenskraft, mit leidenschaftlichem Ungestüm – aber auch mit staatsmännischer Einsicht.
 

VI. Münzer’s Anfänge

Münzer wurde zu Stolberg am Fuße des Harz geboren, 1490 oder 1493. [29] Ueber seine Jugend und seine ersten Studien fehlen alle Nachrichten. Sicher ist, daß er gelehrte Studien mit Erfolg betrieb, denn er erhielt den Doktorgrad. Er wurde Geistlicher, aber er fühlte sich nicht als „schwarzer Gendarm.“ Seine rebellische Natur kam frühzeitig zur Geltung, denn in Halle, wo er als Lehrer wirkte, stiftete er bereits einen Geheimbund wider Ernst II., Erzbischof von Magdeburg und Primas von Deutschland; da dieser 1513 starb, kann Münzer damals höchstens 23 Jahre alt gewesen sein. 1515 finden wir ihn als Propst in Frohsa bei Aschersleben, wahrscheinlich im dortigen Nonnenkloster. Aber nicht lange. Nach verschiedenen Kreuz- und Querfahrten landete er schließlich wieder in einem Nonnenkloster, in Beutitz bei Weißenfels, wo er Beichtvater wurde. Aber auch dort scheint es ihn nicht geduldet zu haben, 1520 ist er Prediger in Zwickau, im Einvernehmen mit Luther, dessen Sache im Kampfe mit Rom der junge Stürmer und Dränger mit Leidenschaft ergriffen hatte. Zwickau wurde für seine weitere Laufbahn entscheidend.

Aufangs war er Prediger an der Marienkirche, dann aber wurde er Prediger an der Katharinenkirche, in die er sich, wie Seidemann sagt, „eindrängte.“ Diese Thatsache erschien bisher als sehr unwichtig, uns erscheint sie anders. Denn die Katharinenkirche war gewissermaßen das Gewerkschaftslokal der Tuchknappen. 1475 hatten diese dort ihren eigenen Altar, den „Knappenaltar,“ gestiftet, den die Zunft (Gesellenschaft ?) mit einem Wohnhaus und 35 fl. jährlich für den Priester dotirte. Auf dem Kirchhof hielten die Weber ihre Versammlungen (Morgensprachen). Die Marienkirche scheint dagegen das Versammlungslokal der Geldprotzen gewesen zu sein. Sie war 1473 von Martin Römer mit einer Stiftung von 10.000 rheinischen Gulden, die in Nürnberg zu vier Prozent angelegt waren, zu seinem „Seelgeräth“ bedacht worden. Dafür sollten dort täglich für den reichen Sünder sieben Seelenmessen gehalten werden. [30] dies nebenbei ein Beispiel dafür, wie einträglich für die Kirche die Lehre vom Fegefeuer geworden war.

Ob Zuneigung zu den Tuchknappen Münzer veranlaßte, sich die Predigtstelle in ihrer Kirche zu bewerben oder ob seine Annäherung an sie erst die Folge dieses Schrittes war, ist heute nicht mehr zu entscheiden. Sicher ist es, daß er als ihr Prediger in engste Berührung mit ihnen gerieth, ihre Auschauungen kennen lerute, und sofort auf das Mächtigste davon ergriffen wurde. Eine Zwickauer Schrift aus dem Jahre 1523 [31] berichtet über seine Verbindung mit den Tuchknappeu, daß

„die Knapperei sich zu ihm gehalten und er mit ihnen mehr Konventikel gehalten, denn mit würdiger Priesterschaft. Dadurch kam es, daß Magister Thomas die Knapperei vorgezogen hat, vornehmlich einen mit Namen Nikolaus Storch. Welchen er so groß auf der Kanzel gerühmt und schön ausgemalt (ausplesenirt) und ihn vor allen Priestern erhoben als den einzigen, der in der Bibel Bescheid wisse und sie hoch erkannt im Geist. Zugleich aber rühmte Magister Thomas sich auch, er wisse fürwahr, er habe den heiligen Geist. Aus dieser Unart ist es erwachsen, daß Storch sich unterstanden, neben Thomas Winkelpredigten aufzurichten, wie es Gewohnheit ist bei den Begharden (Pickarden), die da aufwerfen einen Schuster oder Schneider, zu predigen. Also ist durch Magister Thomas vorgezogen worden dieser Nikolaus Storch, und er billigte (approbirte) es auf der Kanzel, daß die Laien müssen unsere Prälaten und Pfarrer werden und Rechenschaft des Glaubens nehmen. Daraus entsprang und wurde zum Sprichwort die Sekte der Storchitaner. Und sie nahm unter ihnen so zu, daß öffentlich geredet wurde, sie hätten konspirirt und kongregirt zwölf Apostel und zweiundsiebzig Jünger.“

Dies kühne Vorgehen der Kommunisten führte nothwendiger Weise zu einem Konflikt. So lange Münzer blos gegen die reichen Pfaffen gewettert, hatte er den Beifall vob Rath und Bürgerschaft gewonnen. Das änderte sich jetzt.

Der Konflikt äußerte sich zunächst als geistlicher Konflikt zweier Kirchen, der Weberkirche zu St. Katharina und der Protzenkirche zu St. Marien, beziehungsweise als Konflikt ihrer Prediger, Münzer hier, Johann Wildenau von Eger (Egranus) dort. Schon 1520 war der Kampf zwischen Beiden im Gange. Entweder war Wildenau wirklich das verkommene Sübjekt, als das ihn seine Gegner schilderten, oder fand er in der Bürgerschaft nicht genügende Unterstützung; genug, er mußte vor Münzer weichen (Frühjahr 1521).

Machte dieser Erfolg die Tuchknappen kühner, so mußte er den Rath und die wohlhabende Bürgerschaft ängstlicher und zu Gewaltmaßregeln geneigter machen. Eine Veranlassung war bald gefunden in einem Weberkrawall, an dem Münzer, wie er noch am 9. Juli 1523 an Luther schrieb, ganz unbetheiligt war. 56 Tuchkuappen wurden „in die Thürme gesetzt,“ die am meisten Belasteten entflohen, Münzer wurde ausgewiesen. Auch Nikolaus Storch und Andere verließen damals oder bald darnach Zwickau, dessen Boden ihnen zu heiß geworden war. Sie gingen nach Wittenberg, wo sie im Dezember 1521 eintrafen und mit Melanchthon und Karlstadt in Verbindung traten, wie wir gesehen. Münzer dagegen wendete sich nach Prag. Im Lande der Taboriten hoffte er Genossen und einen fruchtbaren Boden für seine Wirksamkeit zu finden.

Aber die Zeiten hatten sich geändert. Böhmen war ein schlechterer Boden für taboritische Lehren geworden als Sachsen. Die streitbare Demokratie war längst im entscheidenden Kampfe gegen die großen Aristokraten unterlegen, und der letzte Rest von demokratischem Kommunismus, der in den böhmischen Brüdern fortgewirkt hatte, war bis zur Unkenntlichkeit entstellt, seitdem bei ihnen die bürgerliche Richtung die proletarische überwunden hatte.

Am allerwenigsten konnte Prag der richtige Ort für einen Mann wie Münzer sein. Diese Stadt war selbst zur Zeit des Höhepunktes der taboritischen Macht im besten Fall nur eine laue Freundin, meist aber eine entschiedene Feindin derselben geweseb. Jetzt war es eine feste Stütze der „großen Hausen“ geworden.

Münzer predigte in Prag, wo er in, Spätherbst eintraf, mit Hülfe eines Dolmetschers, nachdem er einen böhmischen Aufruf hatte anschlagen lassen, in dem er seinen Namen tschechisirte: „Ja Thomass Minczierz s Stolbergu“, beginnt derselbe. Aber kaum war man auf ihn aufmerksam geworden, da nahm auch schon die Freiheit des Predigens für ihn ein Ende. Er wurde unter Polizeiaufsicht gestellt (man gesellte ihm gleich vier Wächter bei) und bald darauf ausgewiesen. Am 25. Januar 1522 hatte er Prag bereits verlassen. Zwickau – Prag: man sieht, die heutige Polizeipraxis in Böhmen und Sachsen beruht auf ehrwürdigen Traditionen. Sie ist durch ihr Alter geheiligt.
 

VII. Münzer in Allstätt

Von Böhmen wendete sich Münzer wieder nach Sachsen, zunächst nach Nordhausen, wo er einige Zeit blieb, dann nach Allstätt. [32] Wie Zwickau, war auch diese Stadt dicht an einem großen Bergwerk gelegen, dem Mansfeldischen Kupfer-, Silber- und Goldbergwerk, dessen wir schon gedacht. Wir dürfen wohl annehmen, daß die wehrhafte und trotzige Bergbevölkerung den proletarischen Tendenzen in Anstätt zu Gute kam, und daß Münzer’s Agitation dadurch begünstigt wurde. Sicher ist es, daß der von Ort zu Ort gehetzte Agitator endlich in Allstätt eine Stätte seines Wirkens fand, die ihm die günstigsten Aussichten bot. Bald hatte er als Prediger festen Fuß gefaßt, und wir dürfen es als Zeichen seiner Zuversicht in die Zukuuft betrachten, daß er heirathete (Ostern 1523), eine aus dem Kloster ausgetretene Nonne, Namens Ottilie von Gersen. [33] Auf Mißverständniß beruht die Nachricht, er habe eine Pfarrersköchin geheirathet [34], was übrigens auch kein Unglück gewesen wäre.

Aber über diesen persönlichen Angelegenheiten vergaß Münzer nicht die Sache, der er sich geweiht. Er richtete – der erste unter den deutschen Reformatoren – einen durchaus deutschen Gottesdienst ein und ließ, statt blos über das neue Testament, über alle biblischen Bücher predigen und sie vorlesen. Es ist charakteristisch. Wir haben bereits im zweiten Kapitel dieses Abschnitts darauf hingewiesen, daß den demokratischen Sekten das vielfach republikanische alte Testament besser behagte, als das neue Testament, dies Produkt der zäsaristischen Gesellschaft. Von den Taboriten bis zu den Puritanern kann man diese Vorliebe für das alte Testament verfolgen.

Die „päpstliche heuchlerische Beichte“ wurde abgeschaffen, das Abendmahl unter beiden Gestalten gereicht. Die ganze Gemeinde hatte am Gottesdienst mitzuwirken, die privilegirte Stellung des Geistlichen hörte auf, daher auch, wie Münzer selbst mittheilt, „unsere Widersacher sagen, wir lehren die Roßbuben auf dem Feld auch Meß halten.“

Er bemerkt dies in seiner ersten Schrift, die uns von ihm erhalten ist und die sich mit der eben erwähnten Neuordnung des Gottesdienstes beschäftigt: „Ordnung und Berechnung des Teutschen ampts zu Alstädt durch Tomam Münzer, seelwarters ym vergaugenen Ostern auffgericht, 1523. Alstedt 1524. Gedruckt tzu Eylenburgk durch Nikolaum Widemar.“

Davon handelt auch die Schrift: Deutsch Evangelisch Mesße etwan durch die Bebstischen pfaffen in Latein zu grossem nachteyl des Christenglaubens vor ein opfer gehandelt, vud jetzt verordnet im dieser hehrlichen Zeyt zu entdecken den grewel aller abgötterey durch solche mißbreuche der Messen lange Zeit getriben. Thomas Münzer, Alstedt 1524.

In der Vorrede bemerkt er, die lateinischen Worte erzeugen Schwindel und Unwissenheit, „drum hab ich zur Besserung nach deutscher Art und Musterung ... verdolmetscht die Psalmen mehr nach den Sinn als nach den Worten.“ [35]

Den Inhalt der Schrift bildet die verdeutschte Messe selbst. Als deren zweiten Theil kann man das Buch betrachten: Deutzsch Kirchenampt, verordnet, aufzuheben den hinterlistigeb Deckel, vuder welchem das Liecht der welt vorhalten war, welchs yetzt widerumb erscheynt mit dysen Lobgesängen vnd Göttlichen Psalmen, die do erbawen die zunemende Christenheyt, nach gottis vnwandelbarem willen, zum vntergang aller prechtigen geperde der gotlosen, Alstedt, vermuthlich 1524, 18 Bogen in Quart. Wie Strobel mittheilt, findet man darin die lateinischen Gesänge von fünf Aemtern (Messen) ins Deutsche übersetzt.

Außerdem veröffentlichte Münzer in Allstätt noch zwei Agitatonsbroschüren: die Protestation, und die Schrift vom Erdichteten Glauben. [36]

Neben diesen Schriften sind noch zu nennen zwei Briefe aus jener Zeit. Einer, vom 18. Juni 1523, „ein ernster Sendebrief an seinen lieben Bruder zu Stolberg, unfüglichem Aufruhr zu meiden,“ ein Mahnbrief an die dortigen Bundesbrüder zur Geduld. Die richtige Stimmung sei noch nicht da. „Es ist eine überschwengliche Thorheit, daß viele der auserwählten Freunde Gottes meinen, Gott solls in der Christenheit eilend gut machen und ihnen geschwind zu Hülfe kommen, so doch Niemand sich danach sehnet oder heftig ist im Leiden und Verharren, arm im Geiste zu werden.“ Es geht den Leuten noch zu gut. Es muß schlechter werden, ehe es besser wird. „Gott verhängt es daher immer mehr, den Tyrannen zu wüthen, damit die Auserwählten von dem Drang erfüllt werden, Gott zu suchen. Die Menschen, die nicht wider den Glauben geglaubt, leider die Hoffnung gehofft, wider die Liebe Gottes gehaßt haben, die wissen nicht, daß Gott den Menschen selbst sagt, was ihnen nothwendig ist.“ Zum Schluss tadelt er die Haltlosigkeit und das Wohlleben der Brüder:

„So vernehme ich, daß ihr gleich ruhmredig seid und studirt nichts und seit hinterlässig. Wenn ihr trinkt, sagt ihr viel von der Sache, wenn ihr nüchtern seid, fürchtet ihr euch wie die Memmen. Darum bessert, allerliebste Brüder, euer Leben; hütet euch vor Schlemmerei (Luc. 21, Petr. 5), fliehet die Lüste mit ihren Liebhabern (2. Timotheus 3), stellt euch kecker, denn ihr noch than habt und schreibt mir, wie ihr mit eurem Pfund habt gewuchert.“

Den anderen Brief, die Auslegung des 19. Psalms, schrieb er im Mai 1524 an einen seiner Anhänger, 1625 gab ihn Johannes Agricola aus Eisleben heraus, um gegen Münzer Stimmung zu machen, „auf daß alle Welt greifen möge, wie sich der Teufel Gott gedenk gleich zu machen.“ [37] Er enthält keinen bemerkenswerthen Gedanken, den wir nicht in anderem Zusammenhange in Münzer’s Schriften jener Zeit wiederfänden.

Die Auslegung des zweiten Kapitels Daniels, die auch in Allstätt erschien, ist später zu erwähnen.

Die erste dieser Schriften, die Ordnung des deutschem Amts enthält allein schon alle wesentlichen Kennzeichen der Münzer’schen Philosophie, seinen Mystizismus, seine Verachtung der Bibel, soweit sie nicht durch die Stimme der unseren Offenbarung gestützt wird, die nur durch Askese, durch das Leiden, gewonnen werden kann, seine Verachtung der Gelehrten, endlich seinen Pantheismus und seine religiöse Toleranz.

Für die ersteren Anschauungen haben wir Beispiele bereits im zweiten Kapitel diesen Abschnitts gegeben. (S. 127 ff.) Hier sei mir noch eine Stelle der erwähnten Schrift wiedergegeben: Aus der Bibel allein, sagt Münzer, kann man nicht wissen, was recht ist, Gott muß es in unserem Innemh erwecken. „Ob Du auch schon die Biblien gefressen hast, hilft’s Dich nicht, Du mußt den scharfen Pflugschaar leiden, mit dem Gott das Unkraut aus Deinem Herzen ansrottet.“ [38]

Ein klares Zeugniß seines pantheistisch angehauchten Mystizismus ist folgende Stelle:

„Nämlich, er (der Mensch) soll und muß wissen, daß Gott in ihm sei, daß er ihn nicht ausdichte, aussinne, wie er tausend Meilen von ihm sei, sondern wie Himmel und Erde voll, voll Gottes sind und wie der Vater den Sohn ohne Unterlaß in uns gebärt und der heilige Geist nicht anders denn den Gekreuzigten in uns durch herzliche Betrübniß erklärt.“

Münzer’s religiöse Toleranz endlich erhellt aus folgenden Ausführungen: „Es soll sich Niemand verwundern, daß wir zu Allstätt deutsche Messe halten. Es ist auch nicht allein unser Brauch, eine andere Weise zu halten, denn die Römer, weil auch die zu Mediolan (Mailand) in Lombardia viel eine andere Weise haben, Messe zu halten, denn in Rom.“ Die „Crabaten,“ Böhmen, Armenier u. s. w. halten Messe in ihrer Sprache, die Russen haben „viel andere Gebärden und sind darum doch keine Teufel. Ach, wie blinde, unwissende Menschen sein wir, daß wir vermessen, allein Christen zu sein in äußerlichem Gepränge und uns darüber zanken, wie wahnsinnige viehische Menschen.“ Türken sind nicht schlechter als die Christen. Er will „unsere hinterstelligen langsamen römischen Brüder auch nicht verachten.“

Das sind sicher für jene Zeit große und tiefe Gedanken. Aber sie sind nicht Münzer eigenthümlich. Den pantheistischen Mystizismus haben wir schon bei den Brüdern und Schwestern vom freien Geist gefunden.

Ebenso hat auch die religiöse Toleranz Münzer’s ihre Vorgänger. Wie wir wissen, fiel sie bereits Aeneas Sylvius bei den Taboriten auf. Auch die böhmischen Brüder praktizirten sie. Diese religiöse Toleranz ist jedoch in einem sehr beschränkten Sinne aufzufassen. Sie konnte sich nicht auf alle Fragen der Religion erstrecken in einer Zeit, wo alle großen Gegensätze in Staat und Gesellschaft unter religiöser Hülle auftraten. Münzer haßte den auch alle Toleranzheuchelei, hinter der sich Feigheit und Charakterlosigkeit barg.

„Es hat kein Ding auf Erden,“ rief er, „eine bessere Gestalt und Larve, denn die gedichtete Güte, darum sind alle Winkel voll eitel Heuchler, unter welchen keiner so kühn ist, daß er die rechte Wahrheit möchte sagen. Darum, daß die Wahrheit möchte recht an den Tag gebracht werden, da müßt Ihr Regenten (Gott gebe, Ihr thuts gerne, oder nicht) Euch halten nach dem Beschluß des Kapitels, daß der Nebukadnezar hat den heiligen Daniel gesetzt zum Amtmann, auf daß er möchte gute, gerechte Urtheile vollführen, wie der heilige Geist saget, Psalm 5. Die Gottlosen haben kein Recht zu leben, außer so weit es ihnen die Auserwählten gönnen.“ [39]

Diese stelle steht in anscheinendem Widerspruch zu den anderen, die Münzer’s religiöse Toleranz zeigen. Aber der Widerspruch verfliegt, wen man zusieht, worauf sich diese Toleranz bezieht. Sie bezieht sich blos auf die internationalen Beziehungen, ist ein Ausfluß der Anerkennung der Volksouveränetät: Jedes Volk mag sich seine Religion nach seinem Gutdünken einrichten, uns ist das gleichgültig. Mögen die „ hinterstelligen römischen Brüder“ die Messe in ihrer Weise lesen, mögen Türken und Heiden glauben, was sie wollen, was geht das uns an? Wir wollen nichts, als daß man uns gestattet, unsere Verhältnisse nach unseren Bedürfnissen zu ordnen. Also keine Gegnerschaft gegen fremde Nationen. Damit steht durchaus nicht im Widerspruch die Proklamirung des schonungslosen Klassenkampfes im Innern.

Diese Proklamirung ist indes bereits einer späteren Schrift entnommen. Die bisher aufgeführten sind im Allgemeinen ruhig – so ruhig ein Feuergeist eben schreiben kann. Sie sind Propagandaschriften, die vornehmlich Fragen der Religion und kirchlichen Organisation behandeln; sie enthalten keine revolutionären Drohungen und Aufrufe. Noch war Münzer kein Rebell, noch stand er nicht in offenem Gegensatz zur Obrigkeit.

Aber er war bereits in Konflikt mit Luther. Den Anlaß dazu gab anscheinend persönliche Rivalität.

Niemals vielleicht zeigte sichs so deutlich, wie wenig die Reformation der persönlichen Initiative Luther’s entsprang, als in den Jahren 1522 und 1523.

Nicht nur, daß er sich durch die Verhältnisse treiben ließ, ohne ihre inneren Zusammenhänge klar zu erkennen, es passirte ihm sogar, daß er auf der einmal betretenen Bahn von anderen überholt wurde. Während er in beschaulicher Ruhe auf der Wartburg saß und die Bibel übersetzte, gingen die thatkräftigen Elemente Wittenbergs, geführt von Karlstadt und beeinflußt von den Zwickauer Schwärmern, daran, die praktischen Konsequeuzen des Konflikts mit Rom zu ziehen; sie schafften das Zölibat ab, die Mönchsgelübde, das Fasten, die Bilderverehrung, die Privatmesse u. s. w. Luther hatte später nichts zu thun, als diese Reformen aufzunehmen und zu sanktioniren – soweit er sie nicht wieder aufhob.

Und nun, ein Jahr nach diesen Wittenberger Vorkommnissen, mußte sich der Man, der sich bereits als Führer im Kampf um die „evangelische Wahrheit“ fühlte, von Münzer durch den deutschen Gottesdienst überholen lassen. Denn dieser führte ihn in Allstätt mit solchem Erfolg ein, daß Luther nichts übrig blieb, als ihn nachzuahmen. Aber vor der Welt wollte er nicht als Nachahmer erscheinen. Man mußte verhindern, daß sie von der Münzer’schen Neuerung etwas erfahre, ehe er deren Nachahmung eingeführt. Dafür gab es ein einfaches Mittel.

Münzer selbst schrieb darüber in seiner Hoch verursachten Schutzrede, auf die wir noch zu sprechen kommen:

„Es ist nicht anders in der Wahrheit, wie mir das ganze Land Gezeugniß gibt, das arme, dürftige Volk begehrte der Wahrheit also fleißig, daß auch alle Straßen voll Leuten waren, von allen Orten, anzuhören, wie das Amt, die Biblien zu singen und zu predigen, in Allstätt angerichtet ward. Sollte er auch zerbrechen, so konnt’ ers zu Wittenberg nicht thun. Man sieht’s in seiner deutschen Meß wohl, wie heilig er darauf war, welches den Luther also sehr verdroß, daß er zum ersten bei seinen Fürsten zuweg brachte, daß meinAmtnit sollte in Druck gehn.“

Auf diese Anschuldigung hat Luther nie geantwortet.

Die Rivalität zwischen den beiden Reformatoren trug sicher nicht dazu bei, ihr Verhältniß freundschaftlicher zu gestalten. Aber der Grund zu dem Konflikt zwischen ihnen lag tiefer.

Wohl hatte Luther damals noch nicht feste Stellung zur Demokratie genommen. Er wußte noch nicht, auf welche Seite das Zünglein der Macht sich neigen werde. Aber Eines war ihm klar geworden; sein bürgerlicher Instinkt war zu entwickelt, als daß er das verkannt hätte: Die kommunistischen Sektirer durfte man auf keinen Fall aufkommen lassen.

Das hatte er schon 1522 erkannt, als die Zwickauer Schwärmer angefangen hatten, Einfluß in Wittenberg zu bekommen. Als weder Melanchthon noch der Kurfürst entschieden Stellung zu ihnen nahmen, litt es ihn nicht länger auf der Wartburg. Er eilte im Frühjahr 1522 nach Wittenberg und trieb die gefährlichen Leute auseinander. Storch ging nach Süddeutschland, wo er verschwand. Karlstadt, den Luther ebenso mundtodt zu machen suchte, wie Münzer – er ließ seine Schriften durch die Obrigkeit konfisziren – zog zunächst aufs Land bei Wittenberg; er kaufte ein Gut und wollte als Bauer leben; die Bauern sollten ihn nicht mehr Doktor nennen, sondern Nachbar Andreas. Bald aber finden wir ihn wieder agitatorisch und organisatorisch mit großem Erfolg in Orlamunda thätig, wo er die Kirchengemeinde ganz demokratisch einrichtete und mit allen überlieferten katholischen Zeremonien Kehraus machte.

Als Münzer in Allstätt auftauchte, mußte Luther, der dessen Verbindung mit den Zwickauern kannte, ihn von vornherein mit Mißtrauen betrachten. Dies stieg, je mehr Münzer’s Ansehen wuchs. Der Stachel der Eifersucht mußte Luther vollends wüthend machen. Aber dem Manne war schwer beizukommen. Vergebens zitirte ihn Luther nach Wittenberg, uns ihn zu verhören. Münzer erklärte, er werde sich nur einer „ungefährlichen Gemeinde“ stellen.

Da Münzer nicht nach Wittenberg kam, kamen die sächsischen Fürsten, Friedrich und sein Bruder und Mitregent, der Herzog Johann, nach Allstätt, veranlaßt durch Unruhen, die in der Nähe dieser Stadt stattgefunden hatten.

Ein Haufen Allstätter hatte am 24. März 1524 die Kapelle von Mellerbach, einen besuchten Wallfahrtsort, zerstört, um der „Abgötterei des Bilderdienstes“ ein Ende zu machen, gegen die Münzer damals predigte. Die Allstätter Behörden erhielten darauf vom Kurfürsten Friedrich den Befehl, die Zerstörer der Klause in Strafe zu nehmen. Lange wagten die Aufgeforderten nicht, dem Befehl Folge zu leisten, denn sie fürchteten einen Aufruhr. Alls sie endlich am 13. Juni zur Verhaftung der Verdächtigen schreiten wollten, wurde ihr Vorhaben verrathen.

„Nicht nur Männer, sondern auch Weiber und Jungfrauen, denen von Münzer befohlen war, ‚sich mit Gabeln und Forken zur Wehre zu schicken,‘ rotteten sich zusammen. Die Glocken ertönten zum Sturm. Münzer soll sie selbst angeschlagen haben.“

Am nächsten Tage

„erhielten die Allstätter, vielleicht auf ihr Erfordern, schon auswärtige Hülfe. Berggesellen und andere, meldeten sie, seien zu ihnen gekommen, zu sehen, ob der Magister (Münzer) etwa überfallen oder sie des Evangeliums willen betrübt würden – das beste Zeugniß für den Einfluß und die Beliebtheit Münzer’s.“ [40]

So wurden die Absichten der kurfürstlichen Behörden vereitelt. Als der Hauptschuldige galt Münzer.

Aber als die beiden Fürsten nach Allstätt kamen (wahrscheinlich anfangs Juli), um selbst Ordnung zu schaffen, da unternahmen sie nicht nur nichts gegen Münzer, sie gestatteten diesem sogar, daß er vor ihnen eine Rede hielt, wie sie früher vor regierenden Fürsten wohl nie gehalten worden ist. Sie allein genügt, das Geschwätz von Münzer’s Feigheit zu widerlegen, das von Melanchthon bis Lamprecht sich durch alle „gutgesinnten“ Darstellungen der Münzer’schen Bewegung zieht.

Münzer ging bei seiner Rede aus von dem zweiten Kapitel im Buche Danielis, von dem Gesichte Nebukadnezar’s und dessen Deutung durch Daniel. Solche Offenbarungen gebe es auch heute noch.

„Die Schriftgelehrten freilich behaupten, Gott offenbare sich heute nicht mehr seinen lieben Freunden durch Gesichte und mündliches Wort, man müsse sich an die Schrift halten. Sie verspotten die Warnungen Derer, die mit der Offenbarung Gottes umgehen, wie die Juden Jeremias verspotteten, der die Babylonische Gefangenschaft prophezeite.“

Aber durch Entsagung aller Kurzweil und Abtödtung aller Wollüste des Fleisches und durch den rechten Muth zur Wahrheit kann man auch heute noch zur Erkenntniß der Gesichte kommen.

„Ja, es ist ein rechter apostolischer, patriarchalischer und prophetischer Geist, auf die Gesichte warten und dieselbigen mit schmerzlicher Betrübniß überkommen, darum ist’s nicht Wunder, daß sie Bruder Mastschwein und Bruder Sanftleben (Luther) verwirft ... Es ist wahr und ich weiß fürwahr, daß der Geist Gottes itzt vielen auserwählten frommen Menschen offenbart, eine treffliche, unüberwindliche, zukünftige Reformation sei von großen Nöthen und es muß vollführt werden, es wehre sich gleich ein itzlicher, wie er will, so bleibet die Weissagung Danielis ungeschwächt.“

Wir sind jetzt im fünften Reiche der Welt:

„Man sieht itzt hübsch, wie sich die Oele (Aale) und Schlangen zusammen verunkeuschen auf einem Haufen. Die Pfaffen und alle bösen Geistlichen sind Schlangen ... und die weltlichen Herrn und Regenten sind Oele ... Ach, liebe Herrn, wie hübsch wird der Herr da unter die alten Töpfe schmeißen mit einer eisernen Stangen.“

An den evangelischen Fürsten ist es nun, gegen die Gegner des Evangeliums losschlagen. „Wollt Ihr nun rechte Regenten sein, so müßt Ihr das Regiment bei der Wurzel anheben.“ Die Wurzeln der Abgötterei müssen zerstört werden. Das Schwert ist das Mittel, die Gottlosen zu vertilgen.

„Daß aber dasselbe nun redlicher Weise und füglich geschehe, so sollen das unsere theuren Väter, die Fürsten thun, die Christum mit uns bekennen. Wo sie aber das nicht thun, so wird ihnen das Schwert genommen werden (Dan., 7. Kap.), denn sie bekennen ihn also mit Worten und leugnen sein mit der That.“

Darauf wendet er sich gegen die heuchlerische Toleranz – wir haben ein charakteristisches Stück dieser Ausführungen oben zitirt – und schließt mit dem Zuruff:

„Seid nur keck! Der will das Regiment selber haben, dem alle Gewalt ist gegeben im Himmel und auf Erden. Matthäi am letzten. Der Euch am liebsten bewahr ewiglich. Amen.“

Fürwahr eine kühne Rede. Weit entfernt, seine revolutionären Absichten zu leugnen, erklärt Münzer die Revolution für nothwendig. Die Fürsten mögen sich an ihre Spitze stellen, sonst werde das empörte Volk über die Fürsten hinwegschreiten. Die Rede zeigt keine allzu große Zuversicht, daß die Regenten diesem Appell Folge leisten würden, aber sie beweist doch, daß er es nicht für ganz unmöglich hielt, wenigstens den Kurfürsten für sich zu gewinnen.

Noch waren in der Reformationsbewegung die Klassengegensätze nicht so offenkundig und unversöhnlich anfgetreten, wie sie ein Jahr später dastehen sollten. Und man darf nicht vergessen, daß das absolute Fürstenthum damals noch eine revolutionäre Macht war, so daß ein Bündniß zwischen ihm und anderen Revolutionären nicht von vornherein als aussichtslos erschien. Haben doch selbst in den letzten hundert Jahren noch legitime Fürsten mit der Rebellion kokettirt, wenn ihre dynastischen Interessen sie zu einer revolutionären Politik drängten. So zeitweise namentlich die Hohenzollern bis 1866. Dazu kam aber noch der Umstand, daß Kurfürst Friedrich den Volksbewegungen gegenüber große Nachsicht, ja eine gewisse Sympathie au den Tag legte, wie wir es im Falle der Zwickauer Schwärmer gesehen haben und beim Ausbruch des Bauernkrieges wieder sehen werden.

Diesem Umstand, vielleicht aber auch dem Ansehen, das Münzer in Allstätt genoß, ist es möglicherweise zuzuschreiben, daß Münzer von den Regenten ungefährdet entlassen wurde.

Viel mehr Klassenbewußtsein als Friedrich besaß sein Bruder, Herzog Johann. Als Münzer seine Rede drucken ließ [41], gerieth er darüber in solchen Zorn, daß er Nikolaus Widemar von Eilenburg, den Drucker der Münzer’schen Schriften, aus den sächsischen Landen ausweisen ließ. Vergebens protestirte Münzer dagegen in einen Brief vom 13. Juli. Es wurde ihm verboten, irgend etwas ohne Genehmigung der sächsischen Regierung zu Weimar drucken zu lassen.

Darauf antwortete der unbeugsame Mann damit, daß er eine neue Agitationsschrift in dem benachbarten Mülhausen, wo eben eine Volksbewegung siegreich war, in Druck gab, die Enthüllung des falschen Glaubens der ungetreuen Welt. [42]

Auf dem Titel nennt er sich „Münzer mit dem Hammer,“ mit Bezug auf eine Stelle bei Jeremias 23, 9, wo der Herr spricht: „Ist mein Wort nicht ... wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?“ „Liebe Gesellen,“ sagt er ferner auf dem Titelblatt, „laßt uns auch das Loch weiter machen, auf daß alle Welt sehen und begreifen möge, wer unsere großen Hansen sind, die Gott so lästerlich zum gemalten Männlein gemacht haben.“

Auf der zweiten Seite dienen ihm als Motto zwei Sprüche aus Jeremias, 1, die er der Gelegenheit angepaßt hat: „Nimm wahr, ich habe meine Worte in deinen Mund gesetzt, ich habe dich heute über die Leute und über die Reiche gesetzt, auf daß du auswurzelst, zerbrichst, zerstreust und verwüstest, und bauest und pflanzest.“ Und: „Eine eiserne Mauer wider die Könige, Fürsten und Pfaffen und wider das Volk ist dargestellt. Sie mögen streiten, der Sieg ist wunderlich zum Untergang der starken, gottlosen Tyrannen.“ Diese Einleitung zeigt schon den Charakter der ganzen Schrift.

Sie beginnt mit einer Polemik gegen die Schriftgelehrten, die das arme Volk betrügen. Dieses muß sich von ihnen emanzipiren. Wer nach Reichthum und Ehren strebt, kann Gott nicht dienen.

„Ei warum wird Bruder Sanftleben und Bruder Leisetreter (Luther) also heftig und gar schellig? Ja, er meint, er könne gern seine vorgenommenen Lüste alle ins Werk führen, seine Pracht und Reichthümer behalten und gleichwohl einen bewährten Glauben haben, welches doch der Sohn Gottes mit klaren Worten den Schriftgelehrten getadelt hat ... Ihr könnt nicht Gott und den Reichthümern dienen. Wer Ehren und Güter zu Besitz nimmt, der muß zuletzt ewig von Gott leer gelassen werden, wie am 5. Psalm Gott sagt, ‚ihr Herz ist eitel‘. Darüber müssen die gewaltigen, eigensinnigen Menschen vom Stuhl gestoßen werden.“

„Der gottlosen, unsinnigen Menschen Regiment und Obrigkeit toben und wüthen aufs Allerhöchste wider Gott und seine Gesalbten,“ ja, etliche fangen jetzt erst recht an, „ihr Volk zu stöckern, plöcken, schinden und schaben, und bedreuen dazu die ganze Christenheit und peinigen und tödten schmählich die Ihrigen und Fremde, daß Gott nach dem Ringen der Auserwählten den Jammer nicht länger wird können und mögen ansehn.“ Gott legt den Seinen mehr auf, als sie tragen können. Das muß und wird baldigst ein Ende nehmen.

Die Fürsten sind die Zuchtruthe, mit der Gott die Welt in seinem Grimm bestraft. „Darum sind sie nichts Anderes, denn Henker und Büttel, das ist ihr ganzes Handwerk.“

Nicht sie sind zu fürchten, sondern Gott. Aber an Gott darf man nicht verzweifeln. Bei ihm ist nichts unmöglich, auch nicht der Sieg der kommunistischen Revolution. „Ja, es dünkt unzählige Leute, eine mächtig große Schwärmerei zu sein. Sie können nicht anders urtheilen, denn daß es unmöglich sei, daß ein solches Spiel sollte angerichtet und vollführt werden, die Gottlosen von Stuhl der Urtheile zu stoßen und die Niedrigen, Groben erheben.“ Das unmögliche wird möglich werden. „Ja, es ist dennoch ein feiner Glaube, er wird noch viel Gutes anrichten. Er wird wohl ein subtiles Volk anrichten, wie Plato der Philosophus spekulirt hat (De republica). Und Apulejus vom güldenen Esel.“

Der Rest der Broschüre bringt nur Wiederholungen. Vergleicht man sie um den früheren Allstätter Publikationen Münzer’s, dann zeigt sich eine augenfällige Verschiedenheit. Die Erklärung des anderen Unterschieds Danielis bildet den Uebergang von diesen zu jener. Es handelt sich jetzt für Münzer weniger darum, die ihm Fernstehenden zu überzeugen und zu überreden, sondern vielmehr darum, die Genossen anzustacheln und anzutreiben. Und nicht mehr die kirchliche, sondern die politische und soziale Revolution stehen ihm im Vordergrund. Die Erklärung ist noch ein Versuch, die Fürsten für die Sache der Revolution zu gewinnen. Jetzt dagegen sind die Fürsten der Hauptfeind, nicht der Papst, und nicht um den vagen Begriff des „Evangeliums“ handelt es sich, sondern direkt um den Kommunismus, „wie Plato, der Philosophus, spekulirt hat,“ dessen Buch über den Staat Münzer also kannte.

Diese Veränderung im Ton und Inhalt der Agitation Münzer’s ist sicher zum Theil durch seinen Konflikt mit dem Fürstenthum bewirkt worden, das ihm offenkundig bewies, daß er seine Ideen nur im Kampf gegen dieses durchsetzen könne. Aber zum Theil, und wohl zum weitaus größten Theil, dürfte die Ursache dieser Wandlung tiefer liegen und begründet sein in der allgemeinen Wandlung der Verhältnisse. Gerade zu jener Zeit zuckten die ersten Flammen des Bauernkrieges auf. Jetzt galt es nicht mehr zu predigen, sondern zu handeln.
 

VIII. Die Wurzeln des großen Bauernkrieges

Wir sind schon öfters – so bei der Darstellung der Erhebung Dolcino’s, der englischen Insurrektion von 1381 und der taboritischen Bewegung – auf die Gegensätze zu sprechen gekommen, die zu den Bauernkriegen führten. Wir brauchen bereits Gesagtes nicht zu wiederholen, und brauchen nur auf jene Punkte hinzuweisen, welche die Situation der deutschen Bauern zu Beginn des 16. Jahrhunderts von der ihrer Vorgänger unterschieden.

Die eben genannten Insurrektionen fahden alle zu einer Zeit satt, in der im Allgemeinen die Lage der Bauern in Hebung begriffen war. In Deutschland führten die Verhältnisse erst dann zu einer großen Empörung der Bauernschaft, als deren Lage sich erheblich verschlechtert hatte.

Die Zeit der Hussitenkriege kann ungefähr als die Grenzscheide gelten, von der an in der Bauernschaft die sie niederdrückenden Tendenzen anfingen, nicht nur gelegentlich und in einzelnen Lokalitäten, sondern allgemein, die sie emporhebenden Tendenzen zurückzudrängen. Die Hauptursache davon sehen wir in der Erstarkung des Kapitals (zunächst des Kaufmannskapitals) und des damit verbündeten absoluten Fürstenthums.

Die Erstarkung des Kapitals war die naturnothwendige Folge der Entwickelung der Waarenproduktion und des Waarenhandels. Das Kapital, vor Allem das Kaufmannskapital, bedarf aber einer starken Staatsgewalt, die ihm den inneren Markt sichert und die Konkurrenz auf dem Weltmarkt ermöglicht. Die Kapitalisten forderten daher die Entwickelung des absoluten Fürstenthums und seiner beiden großen Werkzeuge, der Bureaukratie und des Söldnerheeres, auf jede Weise und standen ihm, nicht mit ihren Personen, wohl aber mit ihren Geldmitteln bei in seinen Kämpfen gegen die unbotmäßigen Massen, die ihre gewonnenen Freiheiten und Rechte zu behaupten suchten, Adel und Geistlichkeit auf der einen, Bauern und Kleinbürger auf der anderen Seite. Dabei kam es den Fürsten und Kapitalisten sehr zu Statten, daß die gegnerischen Klassen selbst in schroffem Gegensatze zueinander standen und einander erbittert befehdeten.

Das Kapital – Kaufleute und Wucherer – und die Fürsten wußten alle diese Klassen sich immer mehr zinspflichtig zu machen, ihre Lasten immer weiter abzuwälzen, und so fielen diese schließlich mit verdoppelter Wucht auf die untersten Volksschichten, die städtischen Proletarier und namentlich die Bauern die große Masse des Volkes. Die Preisrevolution, von der wir schon gesprochen haben, vergrößerte noch die Wirkung dieser Belastung.

Aber während so der Druck auf die unteren Klassen wuchs, verminderte sich gleichzeitig ihre Kraft des Gegendruckes. Wenn die Lage der Bauern sich im 13. und 14. Jahrhundert besserte, so war das nicht zum Mindesten dem Aufblühen der Städte, namentlich der zahlreichen kleinen Landstädte zu danken, an denen die Bauern einen Rückhalt fanden, als Verbündete gegen den gemeinsamen Feind. Jedoch im 15. Jahrhundert gerathen in Deutschland die Städte immer mehr in Abhängigkeit von den Fürsten. Die Selbständigkeit der Mehrzahl der deutschen Städte war zu Ende des 15. Jahrhunderts bereits gebrochen. Die verhältnißmäßig wenigen, die sich ihre Freiheit zu bewahren gewußt hatten, waren zumeist große Städte, deren herrschende Klassen selbst an der bäuerlichen Ausbeutung auf das Lebhafteste interessirt waren. Diese städtischen republiken – unter denen wohl die bedeutendste Nürnberg – neigten ebenso zu den Fürsten, wie in Böhmen während der Hussitenkriege Prag auf Seite der großen Aristokraten gestanden hatte. Das Rückgrat der Demokratie war das kleinstädtische Bürgerthum gewesen. In dem Maße, in dem dies an Selbständigkeit verlor, verloren auch die demokratischen Richtungen an Kraft.

Aber noch in anderer Weise verschlechterte die Gestaltung des Städtewesens während des 15. Jahrhunderts die Lage der Bauern. Bis ins 14. Jahrhundert hatten die Städte Zufluchtsstätten gebildet, die den Bauern offen standen. Dies zwang die Grundherren, wollten sie nicht ihrer Arbeiter verlustig gehen, die Bauern an sich zu fesseln, womöglich durch Gewalt, aber auch durch gute Behandlung.

Jetzt wurde das anders. Erinnern wir uns dessen, was wir im zweiten Abschnitt über die Entwickelung des Zunftwesens gesagt. Im 11. Jahrhundert beginnt die Abschließung der Handwerke gegen allzu starken Zufluß von Arbeitern bereits größere Ausdehnung anzunehmen. Das führt zur Niederdrückung nicht nur des städtischen unorganisirten Proletariats, sondern auch der Bauernschaft. Der Weg zum Wohlstand in den Städten wird ihr verschlossen. Zwischen der städtischen Kleinbürgerschaft und dem Bauernthum bildet sich ein Gegensatz heraus, der mitunter durch eine Allianz gegen gemeinsame Feinde überbrückt wird – gegen Kirche, Adel, Fürsten, Kapitalisten –, der aber auch dann die Freundschaft zu einer sehr lauen macht.

Jemehr die Städte aufhörten, Zufluchtsorte für die Bauern zu sein, desto weniger brauchte der Grundherr diese zu schonen. Sie waren ihm jetzt sicher, sie hatten in den Städten nichts mehr zu gewinnen, so lange sie nicht gänzlich verkommen waren. Aber auch den Proletariern verschlossen sich die Städte immer mehr. Neben dem städtischen bildet sich ein ländliches Proletariat, das vermehrt wird durch die Verringerung und Auflösung der feudalen Gefolgschaften, eine natürliche Folge des Eindringens der Waarenproduktion und der damit zusammenhängenden Geldgier in das flache Land. Wir haben schon gesehen, daß dadurch die urwüchsige Gastfreundschaft immer mehr eingeengt wurde. Aber diese Entwickelung führte auch zu zunehmender Reduzirung der Gefolgschaften. Die Landesfürsten förderten diesen Vorgang, wo sie nur konnten, um die ihnen unbequeme Selbständigkeit des Adels zu mindern.

Aber die Entwickelung der Waarenproduktion verlieh auch dem Grund und Boden einen Werth, drängte auf der einen Seite die Markgenossenschaften, sich abzuschließen, auf der anderen Seite die Grundherren, das Gemeineigenthum der Genossenschaften als ihr eigenes Privateigenthum in Anspruch zu nehmen und zu annektiren.

Bedenkt man alles das: die Versperrung der Zufluchtsstätten in Stadt und Land für landlose Leute, während gleichzeitig neben dem natürlichen Bevölkerungszuwachs die Auflösung der Gefolgschaften, sowie die wachsende Belastung der Bauern durch Staatssteuern, grundherrliche Lasten und Wucherzinsen immer mehr landlose Leute schuf, dann dürfen wir uns nicht wundern, daß das ländliche Proletariat rasch wuchs.

Zunächst war es vornehmlich Lumpenproletariat, es lieferte Bettler und Gauner, legitime und illegitime, Räuber und Kriegsknechte.

Im 14. Jahrhundert waren die Söldner noch zum großen Theil abenteuer- und beutelustige jüngere Bauernsöhne gewesen, die nach einigen Jahren des Kriegsdienstes wieder Bauern wurden, deren Klasseninteressen theilten, gegen diese wenigstens im eigenen Lande – schwer verwendbar waren und nach ihrer Rückkehr die bäuerliche Wehrhaftigkeit steigerten. Im 15. Jahrhundert treten immer mehr die Lumpenproletarier unter den Kriegsknechten in den Vordergrund, Deklassirte, die keine Klasseninteressen mehr kennen, die für ihren Herrn durch Dick und Dünn gehen und zu Allem zu haben sind – so lange er sie bezahlt.

So ungünstig dies allein schon die militärische Widerstandsfähigkeit der Bauernschaft beeinflussen mußte, so wirkte noch mehr in gleicher Richtung die Entwickelung des Kriegswesens. Wir haben bereits gesehen, in welcher Weise die Taboriten dasselbe revolutionirten. Es entwickelte sich in der von ihnen eingeschlagenen Richtung weiter; immer wichtiger wurde neben der Uebung des Einzelnen im Gebranch der Waffen die Hebung der Masse der Krieger in künstlichen Evolutionen, die Disziplin, das planmäßige und sichere Zusammenwirken der einzelnen Abtheilungen des Heeres. Diese neue Taktik hatte in den Händen der Taboriten die Demokratie unbesiegbar gemacht, nun entschied sie das militärische Uebergewicht der Gegner der Demokratie. Nur der Berufssoldat war ins Stande, sie zu üben, den bäuerlichen und kleinbürgerlichen Erhebungen der zweiten Hälfte des 15. und des 16. Jahrhunderts stand aber nicht die Zeit zu Gebote, welche die Taboriten gehabt, um in ihrer Mitte eine Berufsarmee auszubilden. Wer Berufssoldaten bezahlen konnte, auf dessen Seite wandte sich der Sieg.

In gleicher Weise wirkte die Anwendung des Schießpulvers zu Kriegszwecken, die seit den Hussitenkriegen rasche Fortschritte machte. Man hat die Erfindung des Schießpulvers eine demokratische Erfindung genannt, weil sie des Ritterthums ein Ende machte. Wir können nicht viel „Demokratisches“ in dem Wirken dieser Erfindung entdecken. Ganz abgesehen davon, daß der Einfluß des Schießpulvers auf die Brechung der Macht des niederen Adels oft sehr überschätzt wird – dessen ökonomischer und militärischer Bankerott war entschieden, ehe die Feuerwaffen angefangen hatten, von wesentlicher Bedeutung im Kriegswesen zu sein – ganz abgesehen davon ist zu bemerken, daß es ebenso sehr den Widerstand der Bauernheere brechen half, wie den der Ritterheere. Die Entwickelung der Feuerwaffen ist der letzte Ring in jener Kette, die im 16. Jahrhundert geschlossen war; von da an galt als das wesentlichste Mittel der Kriegführung Geld, Geld und noch einmal Geld. Feuerwaffen für den Kriegsgebrauch zu erwerben und zweckentsprechend anzuwenden, war ein Privilegium der reichen Machthaber, der großen Städte und Fürsten. Sie halfen das Ritterthum niederwerfen, nicht zu Gunsten der Bauern und Kleinbürger, sondern zu Gunsten kapitalistischer und fürstlicher Ausbeutung.

Und die Kosten der militärischen Niederwerfung des Adels hatten wieder die Bauern zu tragen. Im 14. Jahrhundert war der Adel von oben und unten gleichzeitig bedrängt worden; von oben durch die Fürsten (verbündet mit den Kapitalisten), von unten durch die Bauern. Lange sucht er sich der einen wie der anderen gleichzeitig zu erwehren, schließlich aber unterwirft er sich den Fürsten, welche dafür die Verpflichtung übernehmen, seine Bauern niederzuhalten. Er verkauft seine Selbständigkeit, um dafür die Ausbeutung der Bauern um so fester zu begründen.

Nicht überall vollzog sich diese Entwickelung in gleicher Weise und zur gleichen Zeit. In Norddeutschland, namentlich im Osten desselben, machte sie sich erst später geltend. In Süd. und Mitteldeutschland aber empfanden die Bauern im 15. Jahrhundert bereits ihre niederdrückenden Wirkungen, und zwar so mehr, je näher das 16. Jahrhundert heranrückte. Bei dessen Beginn war ihre Lage nach den damaligen Begriffen völlig unerträglich geworden, wenn sie auch in manchen Beziehungen sich vortheilhaft von der heutigen Lage der arbeitenden Klassen in Stadt und Land unterscheidet.

Diese Herabdrückung, die Vermehrung der Leistungen an Arbeit, Naturalien und Geld, größere Abhängigkeit vom Grundherrn, Konfiskation von bäuerlichem Gemeineigenthum an Weide und Wald zu Gunsten des Grundherrn – die Konfiskation von bäuerlichem Privateigenthum, das Legen von Bauern, tritt erst später ein – das Alles vollzog sich natürlich nicht ohne energischen Widerstand der Bauernschaft. Während des 15, Jahrhunderts folgte in Deutschland ein Bauernaufstand dem anderen, und sie wurden um so häufiger und erbitterter, je mehr das Jahrhundert voranschritt.

Die wichtigsten dieser Vorläufer des großen Bauernkrieges finden wir bei Zimmermann verzeichnet, auf dessen Buch wir auch Jeden verweisen, der die bäuerliche Erhebung von 1525 eingehender verfolgen will als im Rahmen dieser Darstellung möglich ist. Alle diese Erhebungen scheiterten. Von ihnen gilt, was wir schon bei Dolcino’s Bewegung gesehen: sie blieben lokale Bewegungen.

Da kam die Reformationsbewegung, wühlte die ganze Nation auf und vereinigte, wenigstens vorübergehend, alle die lokalen Klassengegensätze zu nationalen, über das ganze Reich oder wenigstens dessen größten Theil sich erstreckenden Klassengegensätzen. So flossen jetzt auch die verschiedenen lokalen bäuerlichen Bewegungen in einer einzigen großen Bewegung zusammen, für Jahrhunderte hinaus der letzten großen und der gewaltigsten Kraftanstrengung der Bauern des europäischen Festlandes, das Joch abzuwerfen, das auf ihnen lastete. Wenn wir absehen von England, dann finden wir eine gleich großartige Bauernbewegung erst wieder 1789 in Frankreich, jedoch unter ganz anderen, günstigeren Verhältnissen. So unwiderstehlich letztere war, so sehr trug die von 1525 von vornherein den Keim des Todes in sich.

Mit den Bauern erhoben sich aber auch andere Klassen, wie denn die bürgerliche Gesellschaft viel zu komplizirt ist, als daß eine große revolutionäre Erhebung bisher das Werk einer einzigen Klasse gewesen wäre. Und die kommende Revolution wird wohl ebenfalls nicht von einer einzigen Klasse, dem industriellen Proletariat allein ausgefochten werden, sondern auch von Kleinbürgern und Kleinbauern. Aber stets ist es eine Klasse, der der Vorkampf zufällt. Heute ist es das Proletariat, 1789 war es das Kleinbürgerthum, 1525 die Bauernschaft.

Die Alliirten der letzteren kennen wir schon; 1525 fochten zum großen Theil dieselben Klassen zusammen, welche sich um das Banner der Taboriten geschaart. Hier wie dort gesellt sich ein Theil des bankerotten niederen Adels den Rebellen zu, vorwiegend in hervorragender Stellung als militärische Führer, eine Stellung, die sie theils zu überzeugungstreuen Helden machte, wie Florian Geyer, theils zu Verräthern, wie Götz von Berlichingen. Auch ein großer Theil der städtischen, namentlich der kleinstädtischen Bevölkerung schließt sich den Bauern an, darunter in erster Linie das Proletariat. Aber das deutsche Städtewesen zu Beginn des 16. Jahrhunderts ist ein anderes als das böhmische zu Beginn des 15. Die Städte sind intellektuell viel weiter fortgeschritten, aber politisch haben sie an Selbständigkeit eingebüßt. Und nur das städtische Proletariat ist noch ein zuverlässiger Bundesgenosse der Bauern. Die Handwerksmeister und selbst die Handwerksgesellen sind ihnen entfremdet. Die Last des Kampfes liegt daher 1525 mehr als in den Hussitenkriegen auf den Bauern. Nur sehr lau greifen die Städte ein, die Bewegung findet nirgends einen Stützpunkt, wie ihn hundert Jahre vorher in Böhmen Tabor bot. Nicht in militärischer, sondern nur in intellektueller Beziehung haben die städtischen Sympathien für die Bauern sich lebhafter geäußert, nämlich in der Beeinflussung ihres Programms.

Dagegen fanden die Insurgenten von 1525 einen Verbündeten, der den Taboriten fehlte: die Bergleute. Erinnern wir uns des über sie im zweiten Abschnitt Gesagten, ihrer Wehrhaftigkeit und ihres Zusammenwohnens in großen Massen. Sie waren geübt in kriegerischen Evolutionen und gewohnt, Disziplin zu halten. Militärisch standen sie auf einer weit höheren Stufe als alle anderen Schichten der arbeitenden Klassen jener Zeit. Wo sie energisch in den Kampf eintraten, ist die Erhebung militärisch unbesiegt geblieben. [43]

Daß es zu einer gewaltsamen Erhebung kommen werde und müsse, wurde im Laufe des Jahres 1524 jedem klar, der mit den Bauern innigere Fühlung besaß; besonders einem Manne wie Münzer konnte es nicht verborgen bleiben. Sie machten die dieselben Erfahrungen wie er: freudig hatten sie Luther zugejauchzt, der sich von der Popularität tragen ließ, indem er die Erwartungen aller Klassen rege machte. Als aber der allgemeine Feind überwunden schien, als der Papst und sein Schützer, der Kaiser, in Worms 1521 ihre Ohnmacht gezeigt hatten, als die alten Autoritäten gestürzt waren und es galt, an die Neuordnung der Dinge zu gehen, und nun die Klassengegensätze immer schroffer aneinander stießen, als es galt, die Frage zu entscheiden, wer die Früchte der Kirchenreform einheimsen solle, die unteren Klassen oder die oberen, da entschied sich Luther noch nicht, so lange er nicht mußte – blos gegen die kommunistischen Schwärmer trat er von vornherein entschieden auf, wie wir gesehen –, aber er stemmte sich jedem Versuch der unteren Klassen entgegen, praktische Vortheile aus der Reformation zu ziehen, indeß er alle Schritte der Fürsten in dieser Richtung begünstigte. Diesen sollten die Kirchengüter zufallen, nicht den Bauern.

„Wir haben blos die Herzen von den Klöstern zu reißen,“ schrieb er (wahrscheinlich Ende Juli) 1524, „nicht diese anzugreifen. Wenn die (die Herzen) nun davon sind, daß Kirchen und Klöster wüst liegen, so laß man dann die Landesherrn damit machen was sie wollen.“ [44]

Von der Lutheranischen Reformation, das wurde 1524 immer klarer, hatten die unteren Klassen nichts zu erwarten. Nur durch eigene Kraft, in gewaffneter Erhebung konnten sie von dem Joche sich befreien, das auf ihnen lastete.
 

IX. Münzer’s Vorbereitungen der Erhebung

Sobald es klar geworden, daß den unteren Klassen nichts übrig bleibe, als das Schwert gegen alle Ausbeuter zu erheben, die revolutionären ebenso wie die reaktionären, war Niemand eifriger als Münzer, die Insurrektion vorzubereiten. Seine Einsicht, seine Thatkraft, seine Kühnheit machten ihn zum Mittelpunkt der revolutionären Bewegung der ausgebeuteten Klasseu Thüringens und verliehen ihm Einfluß weit darüber hinaus.

Man kann seine Thätigkeit ermessen nach den Anklagen, die gegen ihn bei den sächsischen Regenten einliefen, Da klagte zum Beispiel ein Friedrich Wizleben, seine Unterthanen aus Wendelstein, Wollmerstadt und Rosleben hätten Boten an Münzer gesandt und diesen befragt, ob sie einen Bund wider ihren Herrn schließen dürften, der sie hindere, den Münzer’schen Gottesdienst zu besuchen. Münzer hatte diese Frage bejaht und ihnen wohl auch gezeigt, wie sie sich organisiren müßten. Ebenso betrieb er die Organisirung der zahlreichen und wehrhaften Mansfeldischen Bergarbeiter. An die Unterthanen des Herzogs Georg von Sachsen zu Sangershausen erließ er einen Brief, in dem er sie mahnte, beim Evangelium, das heißt bei der demokratischen Sache, zu stehen und sich den Feinden des Evangeliums zu widersetzen.

Auch an die Orlamünder wendete er sich, wo Karlstadt eine ähnliche Stellung einnahm wie Münzer in Allstätt, und lud sie zu einem Bündniß ein. Aber Karlstadt und seine Leute gehörten der Richtung an, die von einem gewaltthätigen Vorgehen nichts wissen wollte. In einer Antwort, Der von Orlemund schrifft an die zu Alstedt, wie man Christlich fechten soll (gedruckt zu Wittenberg 1524), schrieb er:

„Wir wollen nicht zu Messern und Spießen laufen, vielmehr soll man wider seine Feinde gewaffnet sein mit dem Harnisch des Glaubens. Daß Ihr schreibt, wir sollen uns zu Euch gesellen und mit Euch verbinden; so wir das thäten, wären wir nicht mehr freie Christen, sondern an Menschen gebunden. Dieß würde dem Evangelio ein rechtes Zetergeschrei bringen, da sollten die Tyrannen frohlocken und sprechen: Diese rühmen sich des einigen Gottes, nun verbinden sie sich einer mit dem andern, ihr Gott ist nicht stark genug, sie zu verfechten.“ [45]

Dieser Brief, der veröffentlicht wurde, nützte Karlstadt nichts; Luther warf ihn doch in einen Topf mit Münzer. Für diesen aber bedeutete der Brief eine Denunziation.

Am bedenklichsten aber war es, daß durch einen Verräther, Nicol Rugkert, den Fürsten das Bestehen eines Geheimbundes in Allstädt bekannt wurde, den Münzer gestiftet hatte, wie Melanchthon mittheilt: „Er machte ein Register, schrieb darein alle, so sich zu ihm verbunden und verpflichten, die unchristlichen Fürsten zu strafen und christlich Regiment einzusetzen. “ Der Bund hatte auch außerhalb Allstätts Anhänger, so „im Thal Mansfeld,“ in Sangershausen, ja selbst in Zwickau. Als Zweck der Organisation gab Münzer in seinem Bekenntniß an: „Ist die Verbindung wider die, so das Evangelium verfolgen, gewest.“ Was aber unter dem „Evangelium“ zu verstehen sei, darüber sagte er, peinlich befragt, aus:

„Ist ihr Artikel gewest und habens auf die Wege richten wollen: Omnia sunt communis (Alles ist gemeinsam), und sollte einem Jeden nach seiner Nothdurft ausgetheilt werden, nach Gelegenheit. Welcher Fürst, Graf oder Herr das nicht hätte thun wollen, dazu ernstlich erinnert, denen sollte man die Köpfe abschlagen oder (sie) hängen.“

Wie weit die Ziele des Bundes damals schon den sächsischen Fürsten bekannt wurden, wissen wir nicht. Aber das, was sie davon erfuhren, genügte im Verein mit den anderen Anklagen, daß sie den gefährlichen Mann zu einem Verhör nach Weimar luden, umsomehr, da sie auch Luther gegen ihn hetzte.

In einem offenen Brief an die sächsischen Regenten (Ende Juli [46]) denunzirte „Bruder Sanftleben“:

„Ich hab diesen Brief an Eure fürstliche Gnaden allein aus der Ursach gegeben, daß ich vernommen und auch aus ihrer Schrift verstanden habe, als wollte derselbe Geist die Sache nicht im Wort lassen bleiben, sondern gedenke sich mit der Faust darein zu begeben und wolle sich mit Gewalt setzen wider die Obrigkeit und stracks daher eine leibliche Aufruhr anrichten ... Wiewohl ich mich nun versehe, Eure fürstliche Gnaden werden sich hierinnen besser wissen zu halten, denn ich rathen kann, so gebührt mir doch unterthäniger Fleiß, auch das meine dazu zu thun und Eure fürstliche Gnaden unterthänig zu bitten und zu ermahnen, hierinnen ein ernstlich Einsehen zu haben und aus Schuld und Pflicht ordentlicher Gewalt solchem Unfug zu wehren und dem Aufruhr zuvorzukommen ... Darum Eure fürstliche Gnaden hie nicht zu schlaffen noch zu säumen ist, denn Gott wirds fordern und Antwort haben wollen um solchen hinlässigen Brauch und Ernst des befohlnen Schwerts. So würde es auch vor den Leuten und der Welt nicht zu entschuldigen sein, daß Eure fürstliche Gnaden aufrührische und frevle Faust dulden und leiden sollen.“ [47]

Diese Stellen geben den Grundton des Briefes an. Sie sind charakteristisch für Luther wie für die damalige Situation. Der Rest des Briefes enthält eine Polemik gegen Münzer und ein nicht geringes Lob der eigenen Persönlichkeit, sowie endlich, wohl um der Denunziation den bösen Beigeschmack zu nehmen, den Hinweis darauf, daß er nicht die Unterdrückung des Allstättischen Geistes verlange, sondern nur die seiner Faust. Greife er nicht zur Gewaltthat, dann lasse man ihn ruhig predigen. Münzer selbst hat bereits in seiner Antwort auf diesen Brief, der Schutzrede, darauf hingewiesen, welche Heuchelei in diesen Ausführungen liegt. War es doch Luther’s eifrigstes Bestreben gewesen, Münzer mundtodt zu machen.

Münzer war unerschrocken genug, der Vorladung nach Weimar zu folgen, am 1. August. Herzog Johann verhörte ihn, entließ ihn jedoch vorläufig noch ungekränkt:

„Weil man befunden, daß er das Volk zum Bündniß ermahnt und dergleichen Unschicklichkeit mehr begangen habe, so wolle sich der Herzog mit dem Kurfürsten erst über die Maßnahmen, welche gegen ihn vorgenommen werden sollten, berathen, ‚und was Ihrer Kurfürstlichen Gnaden Gemüth sei, würde man ihm in Kurzem anzeigen lassen.‘ Bis dahin solle er sich friedlich halten.“ [48]

Münzer wartete aber nicht ab, was der Kurfürst über ihn verhängte. Seine Stellung in Allstätt war unhaltbar geworden. Das Strafgericht der Fürsten drohte dem Städtchen und der Rath erklärte sich jetzt gegen ihn. Da entwich er (in der Nacht vom 7. zum 8. August). Er erzählt selbst in seiner Schutzrede:

„Da ich heimkam von der Verhörung zu Weimar, meinte ich zu predigen das ernste Wort Gottes, da kamen meine Rathsherrn und wollten mich den höchsten Feinden des Evangelii überantworten. Da ich das vernahm, war meines Bleibens nimmer. Ich wischte von meinen Schuhen ihren Staub, denn ich sah mit meinen sichtigen Augen, daß sie viel mehr ihre Eide und Pflichten als Gottes Wort achteten.“

Der schwächliche Renegat Melanchthon suchte auch hier, wie sonst, Münzer in den Verdacht der Feigheit zu bringen: „Thomas hat da seines großen Geistes vergessen und macht sich davon und verbarg sich ein halb Jahr.“

Wie wenig Feigheit mit Münzer’s Auszug aus Allstätt zu thun hatte, und wie wenig er gesonnen war, sich zu verbergen, zeigt, daß er sich von Allstätt unmittelbar nach einem neuen Kriegsschauplatz begab, nach Mülhausen, wo wir ihn schon am 15. August finden. Und in diesem Punkte kann kein Irrthum Melanchthon’s vorliegen, sondern nur eine bewußte Lüge, denn 1525 mußte er sich noch sehr wohl des Schreckens erinnern, der im August 1524 Luther und seine Freunde ergriff, als sie erfuhren, Münzer habe sich nach Mülhausen gewendet.

Luther schrieb sofort an die von Mülhausen und forderte sie auf, Münzer zu vertreiben. Der Rath lade ihn vor und frage ihn, wer ihn gerufen, zu predigen:

„Wenn er dann sagt, Gott und sein Geist habe ihn gesandt, wie die Apostel, so laßt ihn dasselbe beweisen mit Zeichen und Wundern, aber wehret ihm das Predigen, denn wo Gott die ordentliche Weise will ändern, so thut er allwege Wunderzeichen dabei.“ [49]

Daß Luther so energisch gegen den kommunistischen Agitator zu Felde zog, hatte seinen guten Grund. Nicht nur mehrten sich die Anzeichen der drohenden Empörung, in Mülhausen war Münzer auch gefährlicher als in Allstätt. Es war größer, enthielt etwa 6.000 Einwohner und beherrschte ein Gebiet von etwa 220 Quadratkilometern. [50] Handwerk und Handel blühten. Weberei und Tuchhandel waren dort stark entwickelt. „Es wurde besonders viel Tuch zu Mülhausen gewebt und ein vortheilhafter Handel damit nach Rußland und anderen Ländern in jener Weltgegend getrieben.“ (Galletti, Geschichte Thüringens, IV., 91) Mülhausen war aber nicht blos reich und stark, es war auch von den sächsischen Fürsten unabhängig, eine der wenigen freien Reichsstädte, die sich in Thüringen noch selbständig erhalten hatten. Fiel diese Stadt in die Hände der kommunistischen Schwärmer, dann erhielten sie einen Stützpunkt, der sie ziemlich gefährlich machte.

Die inneren Verhältnisse lagen für eine Volkserhebung nicht ungünstig. Die starke Ausdehnung der Wollenweberei als Exportgewerbe mußte einen fruchtbaren Boden für rebellische und kommunistische Strömungen erzeugen. Dazu kam, daß in Mülhausen „ein drückendes Aristokratenregiment herrschte: in dieser freien Reichsstadt gab es nicht mehr als sechsundneunzig Männer, die in Wahrheit freie Bürger waren. Das waren die Herren des Raths, der sich selbst ergänzte und nur aus Patriziern.“ [51]

In Mülhansen waren daher nicht blos die städtischen Proletarier, die Vorstädter und die Bauern der umliegenden Orte, die von der Stadt abhingen, rebellisch, sondern auch die zünftigen Handwerker, die anderswo zu den privilegirten Klassen gehörten. Kein Wunder, daß die Reformationsbewegung in Mülhausen zu einer Reihe heftiger Erhebungen der Bürgerschaft gegen das Patrizierregiment führte. Der Leiter des Volkes in diesen Kämpfen war Heinrich Pfeiffer, ein Mänch, der, wie so viele andere zu jener Zeit, aus seinem Kloster getreten war. Pfeiffer war der Führer des oppositionellen Theils der wohlhabenden Bürgerschaft, der zünftigen Handwerker und der Kaufleute, soweit diese nicht zu den Patriziern gehörten. Aber die Patrizier waren zu stark in Mülhausen, als daß er die Bauern und Proletarier außer Acht hätte lassen können. Er wendete sich auch an sie und rief sie auf zum Kampf gegen die städtische Aristokratie.

Und noch eines anderen Bundesgenossen erfreute sich Pfeiffer: der sächsischen Fürsten, die schon längst nach dem Besitz der mächtigen Reichsstadt lüstern waren und denen innere Unruhen in derselben sehr zweckdienlich erschienen. [52] Derselbe Herzog Johann von Sachsen, der Pfeiffer später, nachdem er ihm unbequem geworden, als Rebellen köpfen ließ, begünstigte zunächst dessen Rebellion.

Trotz allen diesen Gegnern muß der Rath doch einen starken Anhang in der Stadt besessen haben, denn es gelang den Demokraten nicht, einen dauernden Erfolg zu erzielen. 1523 siegte Pfeiffer zum ersten Mal mit seinem Anhang. Die Beute fiel nur der wohlhabenden Bürgerschaft zu; blos diese erhielt Antheil am Stadtregiment; die Proletarier und die Kleinhandwerker in den Vorstädten und gar erst die Bauern gingen völlig leer aus.

Sollte dies einen Umschwung in der Stimmung der niederen Klassen hervorgerufen haben? Sicher ist es, daß es dem Rath bald gelang, Pfeiffer zu vertreiben, und vergebens verwendete sich Herzog Johann von Sachsen für seine Rückkehr. Dennoch finden wir ihn bald wieder in Mülhausen, in heftigem Kampf mit dem Rath, wobei das Glück sich bald auf die eine Seite, bald auf die andere neigte. Mitten in diesem Kampf traf Münzer in Mülhausen ein. Der Rath war damals zu ohnmächtig, um Luther’s Aufforderung nachzukommen, so gerne er gewollt hätte. „Ist auch ein ehrbar Rath so wenig mit ihm als mit Pfeiffer zufrieden gewest, aber der Pöbel hat ihn mit Gewalt behalten. Da er eben mit seinem Gesellen, dem Pfeiffer, eine Meuterei über die andere gestiftet und angerichtet hat.“ [53]

Gerade um diese Zeit finden wir, daß die Partei Pfeiffer’s eine Schwenkung nach links vornimmt. Sie erhebt Forderungen auch für die Bauern und Vorstädter, und erringt nun den Sieg, am 27. August 1524. Ob und inwieweit Münzer an diesem Umschwung betheiligt war, kann nicht festgestellt werden.

Aber wie wahrscheinlich schon 1523, trat auch jetzt wieder eine Spaltung unter den Siegern ein. Waren damals die Vorstädter und Bauern nicht befriedigt worden, so bekamen jetzt die Bürger, die Handwerker und Kaufleute Furcht vor den Bauern und den Proletariern, die seit Münzer’s Ankunft sicher an Zuversicht nicht verloren hatten. Die Bürger schlugen sich auf die Seite des Rathes, und schon am 26. September erlitten Pfeiffer und Münzer eine Niederlage. Münzer wurde vertrieben, bald darauf auch Pfeiffer.

Er wandte sich nach Süddeutschland, gleich so vielen anderen in Sachsen politisch Geächteten, wie zum Beispiel Karlstadt, den Luther durch seine Fürsten hatte ausweisen lassen, da diesen auf einer Agitationsreise, die er gegen Karlstadt unternommen, die Orlamünder sehr schlecht aufgenommen hatten. Aber auch jetzt bedeutete der Rückzug Münzer’s nicht den Rücktritt von der Bewegung zu wenigstens zeitweiser Ruhe, sondern nur das Aufsuchen eines neuen Feldes der Thätigkeit. Er mußte über die Dinge, welche sich in Süddeutschlaüd vorbereiteten, wohl unterrichtet sein. Denn Deutschland – wenigstens Süd- und Mitteldeutschland – war damals von einem Netz von mehr oder weniger geheimen revolutionären Gesellschaften überzogen, die in steter Verbindung miteinander waren. Namentlich die kommunistischen Sekten lieferten zahlreiche wandernde Agitatoren, die, wie in England zur Zeit John Ball’s, so auch jetzt in Süd- und Mitteldeutschland die verschiedenen Bündnisse in Fühlung miteinander erhielten. Wir wissen bereits, daß seit den Anfängen der Waldenser die „Vertrauensleute“ der Kommunisten, die „Apostel,“ die „armen Priester,“ oder wie sie sonst heißen mochten, in der Regel in steter Wanderung mit nur kurzen Unterbrechungen begriffen waren. Die Entwickelung des Wanderns der Handwerksgesellen war ein weiteres Mittel, den interlokalen Zusammenhang für diese Schichten zu einem engeren zu gestalten als für jede andere Schicht der Gesellschaft. „Alle wandernden Handwerker, die der Gemeinde angehörten, so Meister als Gesellen, wurden Apostel.“ [54]

Als Münzer sich nach Süddeutschland wandte, mußte er also wohl unterrichtet sein über die dortigen Verhältnisse; er mußte wissen, daß dort allenthalben der Aufstand drohte, er wußte jedenfalls auch schon davon, daß (Ende August) sich bereits die Bauern in Stühlingen thatsächlich erhoben hatten und die Erhebung an der Schweizer Grenze rasch um sich griff. Grund genug für Münzer, sich dorthin zu wenden, sobald ihm in den sächsischen Ländern jede Wirksamkeit für so lange unmöglich gemacht worden war, als die bestehenden Machtverhältnisse dauerten.

Nur vorübergehend hielt er sich in Nürnberg auf, nicht um einen Aufruhr zu entfachen – wie viele Leute glaubten – und er hätte Anhang genug in diesem alten beghardischen Zentrum gefunden, der Reichsstadt, deren Patriziat so mißtrauisch und selbstherrlich war, daß es selbst die zünftigen Organisationen der Handwerker verbot. [55] Er blieb nur, um eine Schrift dort heimlich drucken zu lassen„ zu einem Aufstand schien ihm die Gelegenheit nicht günstig.

Seinen Nürnberger Aufenthalt charakterisirt Münzer am besten selbst in einem Brief au einen Christoph N. in Eisleben. [56] Wie traurig seine Verhältnisse damals waren, zeigt folgende Stelle daraus: „So Ihrs vermögt, helft mir mit einer Zehrung, es sei, was es wolle. Aber wenn Ihr Euch dran ärgern solltet, will ich keinen Heller haben.“ Bereichert hat sich also Münzer in Allstätt und Mülhansen nicht. Er schreibt weiter in dem Briefe:

„Ich hab meine Lehr lassen zu Nürnberg drücken und sie wollten beim römischen Reich Dank verdienen, sie zu unterdrücken, ich bin entschuldigt ... Ich wollte wohl ein feines Spiel mit denen von N. (Nürnberg) angerichtet haben, wenn ich Lust hatte, Aufruhr zu machen, wie mir die lügenhafte Welt Schuld gibt, aber ich will alle meine Widersacher mit Worten so feig machen daß sie es nicht werden verleugnen. Viele vom N. Volke riethen mir, zu predigen, da antwortete ich, ich wäre um deßwillen nicht gekommen, sondern um mich durch den Druck zu verantworten. Da das die Herrn erfuhren, klangen ihnen die Ohren. Denn gute Tage thun ihnen wohl, der Handwerksleute Schweiß schmeckt ihnen süß, süß, gedeiht aber zur bitteren Galle. Es wird da kein Bedenken oder Spiegelfechten helfen, die Wahrheit muß herfür, es hilft sie nichts das Gedichte annehmen des Evangelii; die Leute sind hungrig, sie wollen essen.“

Damit schließt der Brief.

Den Erfolg seines Nürnberger Aufenthaltes schildert uns kurz ein alter Berichterstatter, Johann Müllner (zitirt bei Strobel, S. 64):

„Ein Buchdrucker zu Nürnberg hat sich unterstanden, ein Büchlein von Thomas Münzer zu drucken. Dem hat der Rath alle Exemplarien nehmen und seinen Gesellen, der es ohne des Meisters Vorwissen gethan, in das Lochgefängniß einziehen lassen.“

Um noch ein Uebriges zu thun, haben Luther und sein Anhang die Schrift systematisch todtgeschwiegen und sie nie erwähnt, geschweige denn darauf geantwortet, obwohl, oder vielmehr weil sie die schärfsten Angriffe und Anklagen gegen Luther enthielt – gegen Luther und gegen die Fürsten. Diese letzte Schrift Münzer’s ist seine leidenschaftlichste und revolutionärste.

Wenn die Nürnberger und Luther mit seinen Leuten glaubten, durch die Konfiskation und das Todtschweigen etwas gewonnen zu haben, so irrten sie sich, wie sich bis auf den hentigen Tag noch zahlreiche Staatsmänner irrten und irren, die in gleicher Weise Politik treiben. Es gelang dem hochwohlweisen Rath keineswegs, aller Exemplare habhaft zu werden. Nicht nur fand die Schrift noch vor dem Bauernkrieg Verbreitung; trotz des Vernichtungskrieges gegen alle aufrührerischen Schriften, der nach dem Bauernkriege wüthete, haben sich Exemplare des konfiszirten Libells bis heute erhalten. Es ist die Hoch verursachte Schutzrede. [57] Mit feiner Verspottung der damaligen Servilität der Schriftgelehrten ist sie gewidmet: „Dem Durchlauchtigsten Erstgeborenen Fürsten und allmächtigen Herrn Jesu Christo, dem gütigen König aller Könige, dem tapferen Herzog aller Gläubigen, meinem gnädigsten Herrn und getreuen Beschirmer und seiner betrübten einzigen Braut, der armen Christenheit.“

Nach einer Reihe von Ausfällen gegen Luther, den „Dr. Ludibrii,“ und die Schriftgelehrten, kommt er darauf zu sprechen, daß er die Fürsten in Allstätt aufgefordert habe, das Schwert zu ergreifen zur Vertheidigung des Evangeliums. Er habe dies mit der Bibel gerechtfertigt.

„Gleichwohl kommt der Gevatter Leisetritt, ach der kirre Geselle, und sagt, ich wolle Aufruhr machen, wie er denn aus meinem Sendbrief an die Berggesellen erlesen. Eines sagt er und das Allerbescheidenste verschweigt er: wie ich klärlich vor den Fürsten ausbreitete, daß eine ganze Gemeinde Gewalt des Schwertes habe, wie auch den Schlüssel zur Auflösung, und sagte vom Text Danielis 7, Apocalyp. 6 und Romano. 13, 1. Reg. 8, daß die Fürsten keine Herrn, sondern Diener des Schwertes (der öffentlichen Gewalt) seien. Sie sollens nicht machen, wie es ihnen wohl gefällt, Deutero. 17, sie sollen recht thun. Darum muß auch nach altem gutem Brauch das Volk daneben sein, wenn einer recht gerichtet wird nach dem Gesetz Gottes, Num. 15. Ei warum: Wenn die Obrigkeit das Urtheil wollte verkehren (Esaia 10), so sollen die umstehenden Christen das verneinen und nicht leiden, denn Gott will Rechenschaft haben vom unschuldigen Blut, Psalm 78. Es ist der allergrößte Greuel auf Erden, daß Niemand der dürftigen Noth sich will annehmen; die Großen machens wie sie wollen ... Sieh zu, die Grundsuppe des Wuchers, der Dieberei und Räuberei sind unsere Herrn und Fürsten, sie nehmen alle Kreaturen zum Eigenthum. Die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden, Alles muß ihr sein (Esaia 6). Darüber lassen sie dann Gottes Gebot ausgehn unter die Armen und sprechen: Gott hat geboten, Du sollst nicht stehlen; sie selbst aber folgen dem nicht. Daher sie nun alle Menschen beschweren, den armen Ackersmann, Handwerksman und alles, was da lebt, schinden und schaben (Michaä 3). So er sich dann vergreift am Allergeringsten, muß er hängen. Da sagt dann der Dr. Lügner Amen. Die Herrn machen das selber, daß ihnen der arme Man Feind wird; die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht weg thun, wie kann es auf die Länge gut werden. So ich das sage, muß ich aufrührisch sein. Wohlhin!“ [58]

Münzer polemisirt nun weiter gegen Luther, dem er unter Anderem seinen Neid vorwirft, darüber, daß Münzer ihm mit dem „Deutschen Amt“ zuvorgekommen (Wir haben die Stelle zitirt S. 273). Er weist Luther nach, daß dieser heuchle, wenn er behaupte, daß er blos Münzer’s Thaten bekämpfe, dagegen seinen Predigten nichts in den Weg lege. „Jungfrau Martin,“ „die keusche babylonische Frau“ verdamme Münzer nicht, sie denunzire ihn blos. Er höhnt Luther, der sich auf sein Martyrium so viel zu Gute thut: „Es nimmt mich sehr Wunder, wie es der ausgeschämte Mönch tragen kann, daß er also gräulich verfolgt wurde bei denn guten Malvasier und bei dem Hurenkästlein.“ Nicht minder verächtlich wie das Posiren als Märtyrer bei Wohlleben und Würden sei die Speichelleckerei Luther’s und seine Achselträgerei. „Die armen Mönch und Pfaffeu und Kaufleut können sich nicht wehren, darum hast du sie wohl zu schelten. Aber die gottlosen Regenten soll Niemand richten, ob sie schon Christum mit Füßen treten.“ Dabei aber treibe er Demagogie, um es auch mit den Bauern nicht zu verderben. Lächerlich sei sein Prahlen mit seiner Tapferkeit. Weder in Leipzig noch in Worms habe er etwas riskirt (wir haben die Worms betreffende Stelle oben zitirt, S. 247). Den Rest bildet, außer der Mittheilung über Münzer’s Auszug aus Allstätt (zitirt S. 285), eine saftige Schimpferei auf Luther, in einem Stil, den auch dieser selbst liebte:

„Schlaf sanft, liebes Fleisch. Ich rieche Dich lieber gebraten in Deinem Trotz durch Gottes Grimm im Hafen oder Topf beim Feuer, denn in Deinem eigenen Söslein gekocht, sollte Dich der Teufel fressen. Du bist ein eselisch Fleisch, Du würdest langsam gar werden und ein zähes Gericht werden Deinen Milchmäulern.“

Nachdem Münzer diesen Partherpfeil gegen seinen Gegner abgeschossen, verließ er Nürnberg und wandte sich nach der Schweizergrenze, wo er den Winter verbrachte. Genaueres ist üner seinen dortigen Aufenthalt nicht bekannt. Nach Cochläus hätte er seine damaligen Reisen bis Hall in Tirol ausgedehnt, einem Bergwerksdistrikt, der später ein Wiedertäuferzentrum wurde. Vielfach nahm man an, er sei der Verfasser der berühmten zwölf Artikel, in denen die aufgestandenen Bauern ihre Forderungen formulirten, ja man behauptete sogar, er habe die süddeutsche Insurrektion veranlaßt. sicher grundlos. Wahrscheinlich auch die des Cochläus.

Münzer selbst sagt uns in seinem Bekenntniß über seinen Aufenthalt an der Schweizer Grenze nur Folgendes, und das dürfte alle wesentlichen Momente seiner damaligen Thätigkeit enthalten:

„Im Klettgau und Hegau bei Basel habe er etliche Artikel, wie man herrschen soll, aus dem Evangelio angeben; daraus haben Andere andere Artikel gemacht. Sie hätten ihn gerne zu sich genommen, er habe ihnen aber dafür gedankt. Die Empörung habe er dort nicht gemacht, sondern sie seien bereits aufgestanden gewest. Oekolampadius und Hugowaldus haben ihn dort aufgefordert, zum Volk zu predigen, da habe er dann gepredigt.“

Münzer hat also die zwölf Artikel nicht verfaßt, wohl aber hat er auf ihre Entstehung Einfluß genommen. Er betrachtete seinen Aufenthalt nur als einen vorübergehenden, aber er blieb nicht unthätig, sondern wirkte agitatorisch, „predigte dem Volke,“ wie er sagte, oder wie Bullinger sich ausdruckt : „er pflanzte seinen vergifteten Samen des Bauernaufruhrs.“

Hier an der Schweizer Grenze hatte er aber auch Gelegenheit, mit den Führern der Schweizer Wiedertäufer zusammenzutreffen. Das Verhältniß Münzer’s zu denselben ist jedoch zwar sehr charakteristisch für diese, dagegen von geringer Bedeutung für das Verständniß des thüringischen Kommunisten und seines Wirkens. Eine Darstellung dieses Verhältnisses würde das Eingehen auf die Anfänge der Wiedertäufer überhaupt bedingen. Um den Fortgang der Darstellung nicht ungebührlich zu unterbrechen, sehen wir hier davon ab, um im nächsten Kapitel darauf zurückzukommen.
 

X. Der Bauernkrieg

Zu Beginn des Jahres 1525, vielleicht schon im Januar, verließ Münzer Schwaben, um nach Thüringen zurückzugehen. Er ging nicht aufs Geradewohl. Er wußte, daß der Ausbruch der Bewegung bevorstehe.

Wie in England 1381 der Bauernaufstand auf allen Punkten an demselben Tage losgebrochen war, so galt auch jetzt unter den aufrührerischen Bauern allenthalben der gleiche Tag – der 2. April – als der Tag des allgemeinen Losschlagens, wenn auch der Aufstand in manchen Gegenden durch Ungeduld der Betheiligten oder unter dem Zwang der Verhältnisse früher schon losbrach. Wir dürfen also nicht daran zweifeln, daß eine weitverzweigte Verschwörung hinter der Empörung stand, diese organisirte und ihren Ausbruch leitete.

Heute, wo ein Geheimbund, und wenn er noch so wenige Mitglieder umfaßte, wohl den Massen der Bevölkerung, auf die er sich stützen will, verborgen bliebe, in der Regel aber nicht den Regierungen, giebt es wohl keinen ernsthaften revolutionären Politiker mehr, der eine große, den ganzen Bereich der Nation umfassende Erhebung durch eine Verschwörung bewerkstelligen wollte. Im 14. und auch noch im 16. Jahrhundert lag die Sache günstiger. Noch war die politische Staatspolizei nicht entwickelt – wenigstens nicht nördlich der Alpen –, auch war das Postwesen mit seinen Anhängseln noch nicht Staatssache geworden; die Briefe waren daher noch nicht „so sicher, wie die Bibel auf dem Altar,“ alle Mittheilungen nach entfernteren Gegenden wurden durch Boten besorgt, und die „Feldpost“ der Revolutionäre arbeitete ebenso prompt, oft noch prompter als die der Herrschenden, dank namentlich den wandernden Gesellen und „Aposteln,“ auf deren Rolle in dieser Beziehung wir schon hingewiesen.

So blieb zum Beispiel auch während des Bauernkrieges Münzer von Mülhausen aus in lebhaftem Verkehr mit Schwaben. Bullinger erzählt in seinem Buch über die Wiedertäufer:

„Und als er gleichwohl hier oben in dieser Gegend (dem Klettgau) nicht mehr war, sondern sich wiederum herab nach Thüringen gethan und zu Mülhausen wohnte, schrieb er doch Briefe an seine Vertrauten herauf, mit denen er immerdar unruhige Leute anzündete und hetzte wider ihre Herrn und Obern. Und nicht lang vor dem Ausbruch des bäurischen Aufruhrs, der in der Landgrafschaft und darum sich erhob, schickte er einen Boten herauf mit Briefen und auch mit Zetteln, in welche er hatte lassen verzeichnen die Kreise und Größe der Kugeln des Geschützes, das zu Mülhausen zu dem Aufruhr schon gegossen war: stärkte damit und tröstete die Unruhigen.“ [59]

Am meisten aber wurde damals der Erfolg einer Verschwörung begünstigt dadurch, daß jedes Mitglied der unteren Klassen in einem kleinen Kreise lebte, von dem es gesellschaftlich, meist auch ökonomisch, höchst abhängig war, der all sein Thun und Treiben kannte und mit dem es aufs Innigste verwuchs. Die Markgenossenschaft und die Dorfgemeinde, die Zunft und die Gesellenschaft erzeugten da eine Disziplin, eine Solidarität, aber auch eine Abschließung von anderen Kreisen, die der Bewahrung von Geheimnissen, sowie dem Ersehen und Bestehen von Geheimbünden höchst förderlich war. Die Zeit, in der Zunftgeheimnisse Jahrhunderte lang bewahrt werden konnten, ohne ausgeplaudert zu werden, war auch die Zeit, in der die Geheimbünde gediehen. Nicht nur sektirerische Lehren wurden auf dem Wege der Geheimbündelei verbreitet – erinnern wir uns der „Grubenheimer“ – sondern auch politische Aktionen in Stadt und Land wurden dadurch bewirkt. Manche dieser geheimen Gesellschaften haben große Bedeutung erlangt, so zum Beispiel der „Bundschuh“ und der „Arme Konrad,“ die den Bauernkrieg einleiteten.

Zur Zeit der Reformation endlich wurde die Verschwörung noch besonders erleichtert durch das kolossale Mißtrauen der Herrschenden untereinander. Erschwerte schon die Zerrissenheit Deutschlands ein planmäßiges Zusammenwirken der Obrigkeiten verschiedener Lokalitäten, so wurde diese Schwierigkeit noch gesteigert während der Reformation, wo nicht nur die unteren Klassen revoltirten, sondern auch ein großer Theil der oberen auf die Revolution spekulirte, wo die geistlichen Herren den weltlichen, die katholischen den evangelischen nicht über den Weg trauten, und umgekehrt. Es mußte ihnen erst das Wasser an die Kehle gehen, ehe sie sich zu einer „reaktionären Masse“ vereinigten.

So wird es erklärlich, daß der Aufstand, dessen Anzeichen schon im Herbst 1524 all verschiedenen Punkten zu Tage traten und der im Winter eifrig vorbereitet wurde, die herrschenden Klassen überraschte, so daß die Empörer zu Beginn fast allenthalben im Vortheil waren.

So früh Münzer aufgebrochen war, er stieß unterwegs bereits auf insurgirte Bauern. Einmal wäre ihm das ein Haar sehr schlecht bekommen. Im Fuldischen wurde er mit einem Haufen Bauernrebellen gefangen genommen. Allstätter Schösser Hans Zeyß, der über Münzer stets gut unterrichtet war, schrieb damals (22. Februar) an Spalatin:

„Ich füg Euch zu wissen, daß Thomas Münzer zu Fulda gewesen, daselbst im Thurm einige Zeit gelegen, und der Abt hat zu Arnstädt auf des von Schwarzburg Wirthschaft gesagt, – hätte er gewußt, daß es Thomas Münzer gewesen, er wollte ihn nicht ledig gegeben haben.“

Kurz darauf, 12. März, finden wir Münzer wieder in Mülhausen, wohin Pfeiffer schon früher (im Dezember) gekommen war. Binnen wenigen Tagen sind sie durch einen glücklichen Aufstand Herren der Stadt, fast an demselben Tage, an dem sich, mehr als drei Jahrhunderte später, 1848 das Volk von Berlin und 1871 das von Paris siegreich erhob (am 17. März). Der eben erwähnte Hans Zeyß schrieb darüber an Spalatin, mit merkwürdiger Hervorhebung Pfener’s und Ignorirung Münzer’s, aber mit richtiger Kennzeichnung der Elemente, durch die der Kampf gewonnen ward:

„Ich hätte Euch einen ganzen Tag zu berichten, der grausamen Kleinigkeit und Aufruhr, die ein Prediger, der Pfeiffer genannt, und Münzer in Mülhausen anrichten. In Summa, Herr Omnes (Herr Alle, das Volk) hat dem Rath das Regiment genommen; der darf nichts wider ihren Willen strafen, regieren, schreiben noch handeln.

„Nachdem der Pfeiffer mit Münzer vom Rath vertrieben, und da sie zu Nürnberg gewest und ausgewest, ist Pfeiffer wiederkommen und hat sich in der von Mülhausen Dörfern beworben und beklagt, wie er mit Gewalt vertrieben worden sei, allein um der Wahrheit und um deß willen, daß er sie frei vom Rath und der Obrigkeit und von aller Beschwerung habe predigen und machen wollen. Und er hat dieselbigen Bauern mit ihren Gewehren versammelt und ist gegen Mülhausen in die Vorstadt gezogen, dort aufgetreten und hat mit Gewalt gepredigt. Da das der Rath zu Mülhauseu gewahr worden ist, daß Pfeiffer mit Gewalt zu ihnen eindringe, haben sie in der Stadt ihre Ordnungen und Hausen gemacht und sind am der Stadt Pfeiffer entgegengezogen, ihn wieder zu vertreiben. Als der Kampf angehn sollte, da haben die gemeinen Bürger, die doch dem Rath beständig sein sollten, sich gegen den Rath geschlagen und solche untreue gespielt, davon nicht zu sagen ist. Und ihr Hauptmann hat gesehn, wie das gemeine Volk vom Rath gefallen sei und mit großer Mühe und Arbeit das Spiel und den Lärmen gestillt, doch nicht anders, denn daß diese (Pfeiffer und Münzer) Prediger bleiben und der Rath sich hat müssen zwingen lassen, nichts zu thun oder zu schaffen ohne der Gemeinde Wissen und Wollen. Damit ist dem Rath das Schwert genommen und es geht in Mülhausen seltsam zu.“

In der That sehr seltsam: eine kommunistische Gemeinde wurde dort eingerichtet.

„Dieß war der Anfang des neuen christlichen Regiments,“ schreibt Melanchthon. „Danach stießen sie die Mönche aus, nahmen die Klöster und Stiftgüter ein; da haben die Johanniter einen Hof gehabt und große Rent; denselben Hof nahm Thomas ein ... Er lehrte auch, daß alle Güter gemein sollten sein, wie in Actis Apostolorum geschrieben steht, daß sie die Güter zusammengethan naben. Damit macht er den Pöbel so muthwillig, daß sie nicht mehr arbeiten wollten, sondern wo einem Korn oder Tuch vonnöthen war, ging er zu einem Reichen, wo er wollt’, und forderte aus christlichen Rechten. Denn Christus wollt, man sollte theilen mit den Dürftigen. Wo denn ein Reicher nicht willig gab, was man fordert, nahm man es ihm mit Gewalt. Dieß geschah von vielen, auch thäten es die, so bei Thomas wohnten ins Johanniterhof.“

Und Becherer erzählt:

„In diesem Regiment war Münzer Diktator und oberster und hat alles nach seinem Gefallen gerichtet ... Insonderheit drang er auf Gemeinschaft der Güter, woraus denn erfolget, daß die Leute ihr Handwerk und tägliche Arbeit liegen ließen, meinten, ehe sie der Edelleute, Fürsten und Herrn, Stifter und Klöster Güter hätten verzehrt, unterdeß würde Gott mehr bescheeren; lernten also rauben und stehlen; und dieß Wesen trieb Münzer etliche Monate lang.“ [60]

Die schlimmen Wirkungen, die das kommunistische Regiment angeblich auf Handel und Wandel geübt, brauchen wir wohl nicht eingehend zu beleuchten; sie sind nichts als das herkömmliche Gerede des Bürgerthums und seiner Anwälte über den Kommunismus und haben gar keine thatsächliche Grundlage. Das ergiebt sich schon daraus, daß das Regiment der revolutionären Kommune von Mülhausen nicht viel über zwei Monate dauerte (fast genau so lange wie das der Pariser Kommune von 1871 – ersteres vom 17. März bis zum 25. Mai, letzteren vom 18. März bis zum 28. Mai); Münzer selbst verließ Mülhausen schon vor dem 12. Mai. In diesen paar Wochen soll der Kommunismus fühlbare Einwirkungen auf die Produktion geäußert haben, mitten in der wildesten Kriegsnoth, die jeden wehrhaften Arbeiter unter die Waffen rief!

Melanchthon freilich erzählt uns, der Kommunismus in Mülhausen habe ein Jahr lang gedauert! Man stelle sich vor, ein moderner Schriftsteller hätte im Herbst 1871 eine Geschichte der Pariser Kommune geschrieben, in welcher er deren Dauer auf ein Jahr ansetzte! Man weiß nicht, worüber man sich mehr wundern soll, über die Unverfrorenheit des „sanfteb und snchüchternen“ Melanchthon oder über die Gedankenlosigkeit seines Publikums.

Und aus solchen „zeitgenössischen Quellen“ ist bisher von bürgerlicher Seite die Geschichte der kommunistischen Bewegungen in der Regel zusammengelesen worden.

Indeß sind diese Fälschungen bei einiger Sorgfalt leicht zu entdecken. Weit verwirrender hat die gänzlich unrichtige Darstellung der Rolle gewirkt, die Münzer in Mülhausen spielte. Becherer wie Melanchthon stellen ihn als Diktator hin, dessen Wille in Mülhausen unumschränkt gebot. In gleicher Weise äußerte sich gelegentlich Luther. Er schrieb in einem Brief [61]: „Müntzer Mulhusi Rex et Imperator est,“ „Münzer ist Mülhausens Herr und König.“

In Wirklichkeit war Münzer’s Lage nichts weniger als erfreulich. Er hatte nicht durch die eigene Kraft seiner Anhänger gesiegt, sondern durch einen Kompromiß mit der Pfeiffer’schen Richtung, die nicht kommunistisch, sondern ausgesprochen bürgerlich war. Er kam nicht an die Spitze der Regierung, des Rathes, sondern blieb einfacher Prediger. Aber auch seine Predigt war in Mülhausen nicht ausschlaggebend. Die Politik der Stadt entsprach keineswegs seiner Politik. In den wichtigsten Angelegenheiten begegnete er Pfeiffer’s Widerstand, und dieser hatte die Mehrheit hinter sich.

Mülhausen war kein Tabor. Dieses kann man als eine kommunistische Kolonie bezeichnen. Es war eine Neugründung, in der die Kommunisten zusammenströmten, um dort die alleinige Bevölkerung zu bilden. Ganz anders lagen die Verhältnisse in der alten Reichsstadt. Die Kommunisten fanden dort ihre vornehmliche Stütze nur im Proletariat und daneben noch in manchen Kreisen der kleinen selbständigen, vorstädtischen Handwerker und der umwohnenden Bauern. Diese Bevölkerungsschichten waren damals viel zu schwach, um den verschiedenen Schichten des Bürgerthums ihren Willen aufzwingen zu können. Durch ein glückliches Zusammentreffen günstiger Umstände und eine geschickte und energische Ausnutzung derselben, waren die Kommunisten in Mülhausen dahin gelangt, eine entscheidende Rolle spielen zu können, wohl als das Zünglein an der Wage zwischen den beiden kämpfenden Parteien. Aber mehr konnten sie von der Richtung, die mit ihrer Hülfe obenauf gelangt war, nicht erlangen, als Duldung. Wir dürfen um den Zustand in Mülhausen nicht so vorstellen, als wäre die ganze Stadt kommunistisch organisirt worden; die „Brüder“ erlangten jedenfalls nicht mehr, als daß ihnen gestattet wurde, ihre geheime Organisation in eine offene zu verwandeln und eine „Kommune“ innerhalb der Stadtgemeinde zu bilden. Den Sitz dieser Kommune bildete wahrscheinlich der Johanniterhof.

Wie wenig zahlreich Münzer’s Anhang in Mülhausen war, sieht man daraus, daß, als er von dort auszog, um den Bauern zu helfen, nur 300 Mann ihm folgten. [62]

Daß die Münzer’sche Kommune, „so bei Thomas wohnten im Johanniterhofe,“ in den wenigen Wochen ihres Bestehens ihre Einnahmen nicht blos aus der Arbeit ihrer Mitglieder zog, sondern und vornehmlich aus der Beute, die in Kirchen, Klöstern und Schlössern gemacht wurde, dürfen wir Melanchthon wohl glauben. Aehnlich hatten es die Taboriten gehalten, und in den damaligen Zeitläufen waren die Kirchengüter res nullius, Niemandes Eigenthum, das an sich riß, wer die Macht dazu hatte. Meistens die Fürsten. Hier und da ein paar arme Teufel.

Daß Münzer und Pfeiffer in grundsätzlichem Gegensatz zueinander standen, darauf haben wir schon hingewiesen. Aber daraus folgten auch Gegensätze taktischer Natur.

Pfeiffer, als echter Kleinbürger der vorkapitalistischen Zeit, fühlte sich blos als Vertreter lokaler Interessen. Münzer war, wie die Kommunisten jener Zeit überhaupt, interlokal. Pfeiffer betrachtete die Erhebung in Mülhausen als eine reine Mülhauser Angelegenheit. Für Münzer war sie nur ein Glied in einer großen Kette revolutionärer Erhebungen, deren Zusammenwirken der Tyrannei und Ausbeutung den Garaus machen sollte. Was ehedem Tabor für Böhmen gewesen, sollte jetzt die feste Stadt Mülhausen für Thüringen werden, der Stützpunkt der ganzen Rebellion, die innigste Fühlung mit der fränkischen und schwäbischen zu halten habe.

Pfeiffer – und wenn wir hier von Pfeiffer und Münzer reden, so meinen wir nicht die beiden Personen allein, sondern auch die Richtungen, deren vornehmste Vertreter sie waren – Pfeiffer war wohl gleich bei der Hand bei einigen Plünderungszügen in benachbarte Gebiete, jedoch nur in katholische, aber weiter als an kleine Stadtfehden dachte er nicht. Münzer dagegen war sich wohl bewußt, daß der Sieg in Mülhausen nicht den Abschluß der revolutionären Kämpfe bedeute, sondern die Einleitung der Entscheidungskampfes. Es galt also, sich zu rüsten und zu organisiren, die Massen wehrhaft zu machen und die Erhebungen der verschiedenen Gebiete zu gemeinsamem Handeln zu vereinigen.

Mit der Wehrhaftigkeit der Bauern stand es in Thüringen besonders schlimm. Vielleicht nirgends in Deutschland war das Bauernvolk so ungeübt in den Waffen und ohne alle Rüstung, wie gerade dort. Sie zu bewaffnen und in den Waffen zu üben, dazu brauchte man Zeit. [63]

Was er thun konnte, that Münzer. Namentlich sorgte er für grobes Geschütz. Er ließ im Barfüßer Kloster Kanonen gießen. Welchen Werth er darauf legte, vielleicht mehr als moralisches, denn als taktisches Machtmittel, sieht man daraus, daß er bis nach Schwaben die Mittheilung davon schickte, wie wir gesehen haben. Diese Thatsache allein zeigt uns aber bereits, wie eifrig er die Verbindung mit den süddeutschen Insurgenten pflegte.

Noch eifriger betrieb er die Anspornung und Zusammenfassung der Aufrührer in Thüringen. Er entfaltete geradezu eine fieberhafte Thätigkeit in Wort und Schrift. Nach allen Seiten sandte er Briefe zur Ermahnung und Ermuthigung. Einen davon druckt Seidemann als Beilage zu seinem Buche ab (Beilage 38, S. 148). Er sei hier mitgetheilt:

„Den christlichen Brüdern von Schmalkalden, itzt zu Eisenach im Lager.

„Die reine rechtschaffene Furcht Gottes zuvor, Allerliebste. Euch sei zu wissen, daß wir mit allem Vermögen und allen Kräften Euch zu Hilfe und Schirm kommen wollen. Es haben aber neulich unsere Brüder Ernst von Honstein, Günther von Schwarzburg, Hilfe begehrt, welche wir ihnen auch zugesagt und jetzt zu vollziehen geneigt sind. So Ihr darüber geängstigt würdet, wollen wir und der ganze Haufe von der Gegend in Euer Lager kommen; wir wollen mit Allem, was wir vermögen, Euch zu Hilfe kommen. Aber tragt eilte kurze Zeit Geduld mit unsern Brüdern, die zu mustern wir über die Maßen zu schaffen haben, denn es viel ein grobes Volk ist, wann ein jeder austrachten kann. Ihr seid in vielen Sachen eures Beschwerens inne worden, den Unsern aber vermögen wir nicht mit allem Gemüth dasselbige zu erkennen geben. Allein wie sie Gott mit Gewalt treibt, müssen wir ihnen handeln. Ich wollt sonderlich von Gott begehren, umzugehn und euch zu rathen und helfen, und desselbigen mit Beschwerung lieber pflegen, denn mit Unwitzigen vorgehn zu müssen. Jedoch will Gott die närrischen Dinge erwählen und die klugen verwerfen. Darum ists auch was Schwaches, daß ihr euch also sehr fürchtet und ihr mögt es doch wohl an der Wand greifen, wie euch Gott beisteh. Habt den allerbesten Muth und singet mit uns: Ich will mich vor Hunderten und Tausenden nicht fürchten und deren Volk, wiewohl sie mich umlagert haben. Gott gebe Euch den Geist der Stärke, das wird er nimmermehr unterlassen, durch Jesum Christum, der euch Allerliebsten bewahre alle. Amen. Gegeben zu Mülhausen, am Tag Jubilate (7. Mai) Annno 1525. Thomas Münzer mit der ganzen Gemeinde Gottes zu Mülhausen und von vielen Oertern.“

Der Brief ist bezeichnend, nicht bloß für Münzer’s Beziehungen zu den Insurgenten außerhalb Mülhausens, sondern auch für seine Stellung innerhalb dieser Stadt. Man sieht, wie wenig zufrieden er mit den „Brüdern“ dort ist, den „Unwitzigen,“ dem „groben Volk,“ das ihm „über die Maßen zu schaffen“ machte, die „ ihres Beschwerens noch nicht völlig inne worden.“

Wichtiger als die unzuverlässigen Mülhausener und als die schlecht bewehrten Ballern erschienen ilm die Bergarbeiter. Diese waren der wehrhafteste und trotzigste Theil des Volkes in Sachsen, und auf sie richtete sich denn auch sofort Münzer’s Aufmerksamkeit. Er setzte sich mit dn Bergwerken am Erzgebirge in Verbindung, vor Allem aber trachtete er darnach, die ihm nächsten Bergarbeiter, die Mansfelder, zur Erhebung zu bringen, unter denen er ja noch von seiner Allstätter Zeit her gote Verbindungen hatte.

Ein Brief, den er damals an seine Bundesbrüder im Mansfeldischen richtete, den Balthasar und Barthel u. s. w., die Agitation unter den Bergarbeitern in Fluß zu bringen, ist abgedruckt in Luther’s Werken als eine von „drey greulichen aufrührischen Schrifften Thomä Müntzers“ (XIX., S. 289 ff.). Derselbe ist später mehrfach veröffentlicht worden, so von Strobel, S. 93, und Zimmermann, II, S. 297. Er lautet:

„Die reine Furcht Gottes zuvor. Lieben Brüder, wie lange schläft ihr? Wie lange seid ihr Gott seines Willens nicht geständig, darum, daß er euch nach eurem Ansehen verlassen hat? Wie oft habe ich euch gesagt, daß es das muß sein. Gott kann sich nicht länger offenbaren. Ihr müßt stehen; thut ihr’s nicht, so ist das Opfer, ein herzbetrübtes Herzeleid, umsonst. Ihr müsset darnach wieder in Leiden kommen. Das sage ich euch, wollt ihr nicht um Gottes willen leiden, so müßt ihr des Teufels Märtyrer sein. Darum hütet euch. Seid nicht verzagt, nicht nachlässig; schmeichelt nicht länger den verkehrten Phantasten, den gottlosen Bösewichtern. Fahet an und streitet den Streit des Herrn. Es ist hohe Zeit. Haltet eure Brüder all dazu, daß sie göttliches Zeugniß nicht verspotten; sonst müssen sie alle verderben. Das ganze Deutsch-, Französisch- und Welschland ist erregt. Der Meister will ein Spiel machen, die Bösewichter müssen dran. Zu Fulda haben sie in der Osterwoche vier Stiftkirchen verwüstet. Die Bauern im Klettgau, im Hegau und Schwarzwald sind auf, als dreißigtausend stark, und wird der Haufe je länger je größer. Allein das ist meine Sorge, daß die närrischen Menschen sich verwilligen in einen falschen Vertrag, darum, daß sie den Schaden noch nicht erkennen. Wo euer mir Drei sind, die in gelassen, allein seinen Namen und seine Ehre suchen, werdet ihr Hunderttausende nicht fürchten. Nur dran, dran, dran! Es ist Zeit. Die Bösewichter sind verzagt wie die Hunde. Reget die Brüder an, daß sie zu Fried kommen, und ihr Zeugniß halten. Es ist über die Maßen hoch, hoch vonnöthen: dran, dran, dran! Lasset euch nicht erbarmen, ob euch der Esau gute Worte vorschlägt. Sehet nicht all den Jammer der Gottlosen. Sie werden euch so freundlich bitten, greinen, flehen wie die Kinder. Laßt es euch nicht erbarmen, wie Gott durch Mosen befohlen hat, 5. Buch Mosis, 7. Uns, uns hat er auch offenbaret dasselbe. Reget an in Dörfern ünd Städten, und sonderlich die Berggesellen mit anderen guten Burschen. Wir müssen nicht länger schlafen. Siehe, da ich die Worte schrieb, kam mir Botschaft von Salza, wie das Volk den Amtmann des Herzog Georgens vom Schloß langen wollen, um deßwillen, daß er Drei habe wollen heimlich umbringen. Die Bauern vom Eichsfeld sind über ihre Junker fröhlich worden; kurz, sie wollen keine Gnade haben. Es ist des Wesens viel, Euch zum Ebenbilde. Ihr müsset dran, da es ist Zeit! Balthaser und Barthel! Krumpf, Velten und Bischof, gehet seine an. Diesen Brief lasset den Berggesellen werden. Mein Drucker wird kommen in kurzen Tagen Ich habe die Botschaft erhalten; ich kann es jetzt nicht anders machen. Selbst wollte ich den Brüdern Unterricht geben, daß ihnen das Herz viel größer sollte werden, denn alle Schlösser und Rüstung der gottlosen Bösewichter auf Erden. Drau, dran, dran! weil das Feuer heiß ist. Lasset euer Schwert nicht kalt werden voll Blut; schmiedet Pinckepanck auf dem Ambos Nimrods, werft ihm den Thurm zu Boden. Es ist nicht möglich, dieweil sie leben, daß ihr der menschlichen Furcht sollt loswerden. Man kann euch von Gott nicht sagen, dieweil sie über euch regieren. Dran, dran, dran! dieweil ihr Tag habt, Gott geht euch für, folget. Die Geschichte stehet beschrieben Matthäi 26. Darum lasset euch nicht abschrecken. Gott ist mit Euch, wie geschrieben stehet 2. Chron. 2. Dies sagt Gott: Ihr sollt euch nicht fürchten, ihr sollt diese große Menge nicht scheuen. Es ist nicht euer, sondern des Herrn Streit; ihr seids nicht, die ihr streitet. Stellet Euch fürwahr männlich. Ihr werdet sehen die Hilfe des Herrn über euch. Da Josaphat diese Worte hörte, da fel er nieder. Also thut auch durch Gott, der euch Stärke ohne Furcht der Menschen im rechten Glauben. Amen.

Gegeben Mülhausen im Jahre 1525. Thomas Münzer, ein Knecht Gottes wider die Gottlosen.“

Münzer’s Brief wurde gut aufgenommen, ein großer Haufe rottete sich im Mansfeldischen zusammen (Strobel, S. 96) und es kam zu Unruhen. Bis in die Bergwerksdistrikte vor Meißen zeigte sich der im Mansfeldischen gegebene Anstoß wirksam.

„Noch ehe die sinnlosen Aufrührer den blutigen Tag bei Frankenhausen sich heraufführten,“ sagt Hering, „hatten mehrere Bergleute aus der in Aufruhr begriffenen Grafschaft Mansfeld sich auf unsere Berge geflüchtet, entweder, weil sie daheim etwas Gutes sich nicht versahen, oder weil sie eine bedeutende Rolle durch die neue Weisheit in ferner Gegend zu spielen hofften.“ [64]

Es gelang ihnen, Einfluß zu gewinnen und einen Aufstandsversuch in der Gegend von Zwickau zu fördern, wo die Schwärmer unter Storch und Münzer selbst bereits früher Einfluß gewonnen und den Boden vorbereitet hatten.

Es kam auch wirklich im April im Erzgebirge zu einer Erhebung von Bauern und Bergleuten. Erst nach der Schlacht bei Frankenhausen brach die Bewegung dort, wie überall in Sachsen, zusammen.

Aber im Allgemeinen hatten die Bestrebungen Münzer’s, ein Zusammenwirken der revolutionären Bewegungen der verschiedenen Gegenden Sachsens herbeizuführen, nur geringen Erfolg.

Der bäuerliche und kleinstädtische Partikularismus war zu mächtig. Die Gleichheit des ökonomischen Druckes aller Orten, die Aufwühlung der ganzen Nation durch die Reformationsbewegung und – last but, not least – die interlokale Thätigkeit der kommunistischen „Apostel“ hatten gerade hingereicht, die Erhebung der Bauern und ihrer Verbündeten in ihrem Anfang zu einer nationalen, den Bereich des größten Theils der Nation umfassenden, zu machen, so daß sie allenthalben ungefähr zu gleicher Zeit losbrach. In ihrem Fortgang aber, als es galt, die Früchte der anfänglichen Siege zu sichern und einzuheimsen, trat der lokale Partikularismus immer deutlicher hervor. Er war eben zu tief in du Verhältnissen begründet, als daß er für mehr denn eine kurze Spanne Zeit hätte auch nur nothdürftig überwunden werden können.

Zu diesem Partikularismus gesellte sich eine verhängnißvolle Einfalt der Bauern. Diese unerfahrenen Leute glaubten, ein Fürstenwort gelte, wenn nicht mehr, so doch zum Mindesten nicht weniger als das Wort irgend eines ehrlichen Mannes. Sie hatten keine Ahnung von der neueren Staatskunst, welche Ehrlosigkeit und Verlogenheit zu den vornehmsten Fürstentugenden machte, jener Staatskunst, die wir bereits mehr als hundert Jahre vorher den Knaben Richard gegenüber den englischen Bauern mit solcher Virtuosität haben praktiziren sehen.

Statt zusammen zu wirken, gingen jeder Gau, jede Stadt, die sich den Aufrührern angeschlossen hatten, auf eigene Faust vor, und ein paar leere Versprechungen ihrer Herren, wodurch ihnen die Bewilligung ihrer Forderungen in Aussicht gestellt wurde, genügten in der Regel, die Insurgenten zum Auseinanderlaufen und zum Niederlegen ihrer Waffen zu bewegen. So fanden die Fürsten Zeit, Truppen heranzuziehen, sich zu vereinigen und einen Bauernhaufen nach dem anderen mit leichter Mühe niederzuwerfen, indeß sie allen zusammen gegenüber schweren Stand gehabt hätten. Während auf Seite der Bauern die Planlosigkeit wuchs, vermehrte die Gefahr bei den Fürsten immer mehr ihren Zusammenhalt und ihr planmäßiges Zusammenwirken.

Bald war kein Zweifel mehr, auf welcher Seite der Sieg schließlich bleiben werde. Anfangs war das keineswegs so zweifellos gewesen. Noch am 14. April hatte sich der Kurfürst Friedrich von Sachsen ebenso pessimistisch wie nachsichtig über den Aufstand geäußert. Er schrieb am Charfreitag seinem Bruder, dem Herzog Johann von Sachsen:

„Es ist das ein großer Handel, daß man mit Gewalt handeln soll. Vielleicht hat man denen armen Leuten zu solchem Aufruhr Ursach gegeben, und sonderlich mit Verbietung des Wortes Gottes. So werden die Armen in viel Wegen von uns geistlicher und weltlicher Obrigkeit beschwert. Gott wende seinen Zorn von uns. Will es Gott also haben, so wird es also hinausgehn, daß der gemeine Mann regieren soll.“

Unter den Eindruck einer ähnlichen Auffassung steht die erste Schrift, in der Luther Stellung zu der bäuerlichen Erhebung nimmt, seiner Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben. Er beginnt mit dem Ausdruck der Hoffnung, es werde noch Alles gut werden, wenn es den Bauern mit ihren zwölf Artikeln ernst sei, sie nicht darüber hinausgehen wollten. Er acceptirt diese also als Grundlage einer Verständigung.

Zunächst wendet er sich all die Fürsten und Herren:

„Erstlich mögen wir Niemand auf Erden danken solches Unraths und Aufruhrs, denn euch, Fürsten und Herrn, sonderlich euch blinden Bischöfen, tollen Pfaffen und Mönchen ... Das Schwert sitzt euch auf dem Halse; noch meint ihr, ihr sitzt so fest im Sattel, man werde euch nicht mögen aufheben. Solche Sicherheit und verstockte Vermessenheit wird euch den Hals brechen, das werdet ihr sehn ... Wohlan, weil ihr denn Ursach seid solches Gottes Zorns, wirds ohne Zweifel auch über euch ausgehn, wo ihr euch nicht mit der Zeit bessert. Die Zeichen am Himmel und Wunder auf Erden gelten euch, liebe Herrn, kein Gutes deuten sie euch, kein Gutes wird auch euch geschehn ... Denn das sollt ihr wissen, lieben Herrn, Gott schaffts also, daß man nicht kann noch will eure Wütherei die Länge dulden. Ihr müsset anders werden und Gottes Wort weisen. Thut ihrs nicht durch freundliche willige Weise, so müsset ihrs thun durch gewaltige und verderbliche Unweise ... Es sind nicht Bauern, liebe Herrn, die sich wider euch setzen, Gott ist’s selber, der setzt sich wider euch, heimzusuchen eure Wütherei.“

Aber, fährt Luther fort, es sei Gott davor, daß er, Luther, sich auf Seite der Bauern schlage. Er bitte die Fürsten in ihrem eigenen Interesse, den Bauern Konzessionen zu machen. Der zwölf Artikel könne man Unterhandeln. Einige unter diesen seien recht und billig. So der erste Artikel, der das Recht verlangt, das Evangelium zu hören und die Pfarrherrn zu wählen.

„Die andern Artikel, so leibliche Beschwerungen anzeigen als mit dem Leibfall, Aufsätzen und dergl., sind ja auch billig und recht. Denn Obrigkeit nicht darum eingesetzt ist, daß sie ihren Nutzen und Muthwillen an den Unterthanen suchen, sondern Nutzen und das Beste verschaffe bei den Unterthanen. Nun ists ja nicht länger erträglich, so zu schatzen und schinden. Was hülfe es, wenn eines Bauern Acker so viel Gulden als Halmen und Körner trüge, da die Obrigkeit nur desto mehr nähme und ihre Pracht damit immer größer machte und das Gut verschleuderte mit Kleidern, Fressen, Saufen, Bauen und dergl., als wäre es Spreu. Man müßte die Pracht einschränken und die Ausgaben stopfen, daß ein armer Mann auch was behalten könnte.“

Nun wendet sich Luther am die Bauernschaft und giebt ihr zu, die Fürsten seien es werth, „daß Gott sie vom Stuhl stürze.“ Aber sie sollten die Sache recht anpacken, „sonst würden sie, auch wenn sie zeitlich gewännen und alle Fürsten erschlügen, an ihrer Seele Schaden leiden. “ Er ermahnt die Bauern, „liebe Herrn und Brüder,“ sie sollten vom Schwerte lassen und sich nicht wider die Obrigkeit auflehnen, denn zum Aufruhr hätten sie nur Recht, wenn Gott es ihnen heiße durch Zeichen und Wunder. „Leiden, Leiden, Kreuz, Kreuz, ist des Christen Recht, das, und kein anders.“

Die Schrift schließt mit „Vermahnung beydes an die Oberkeit und Bauerschaft.“ Beide Theile haben unrecht, sind heidnisch und nicht christlich. Beiden droht Gottes Verderben, Ihre Seelen werden der Hölle anheimfallen, Deutschland wird vernichtet werden.

„Darum wäre nun mein treuer Rath, daß man aus dem Adel etliche Grafen und Herrn, aus den Städten etliche Rathsherrn erwählete und die Sache ließe freundlicher Weise handeln und stillen, daß ihr Herrn euren steifen Muth herunterließet, welchen ihr doch müßt zuletzt lassen, ihr wollet oder wollet nicht, und wichet ein wenig von eurer Tyrannei und Unterdrückung, daß der arme Mann auch Luft und Raum gewänne zu leben. Wiederum sich die Bauern auch weisen ließen und etliche Artikel, die zu viel und zu hoch greifen übergeben und fahren ließen, auf daß also die Sache, ob sie nicht mag in christlicher Weise gehandelt werden, daß sie doch nach menschlichen Rechten und Vertragen gestillet würde ... Wohlan, ich habe, als mir mein Gewissen Zeugniß giebt, euch allen christlivh und brüderlich treu genug gerathen. Gott gebe, daß es helfe, Amen.“

Wären Diejenigen im Recht, die annehmen, Luthers übermächtige Persönlichkeit habe die Reformation gemacht, dann hätte auch diese Schrift dem Bauernkrieg eine andere Wendung geben müssen. Thatsächlich blieb sie völlig wirkungslos. Bei seinem ersten Versuch, nicht mit dem Strom zu schwimmen, zeigte sich Luther ohnmächtig.

Aber er war nicht der Mann, eine Position zu vertheidigen, der kein Erfolg winkte. Und er brauchte nicht lange zu überlegen, auf welche Seite er sich zu schlagen habe. Mit seinem friedliebenden Herrn, dem Fürsten Friedrich, gings bergab. Derselbe starb am 6. Mai. An seine Stelle trat sein Bruder Johann, der von Friede und Versöhnung nichts wissen wollte.

Und allenthalben erhoben sich die Fürsten mit Macht, die Erhebung der Bauern in ihrem Blute zu ersticken. In der letzte Aprilwoche hatte der Heerführer des schwäbischen Bundes, Truchseß von Waldburg, den Aufstand in Schwaben zum größten Theil niedergeschlagen. Um dieselbe Zeit war es dem Landgrafen Philipp gelungen, der Aufstände in Hessen Herr zu werden. Gegen die Insurgenten von Franken und Thüringen zogen zahlreiche kriegsgeübte Truppen heran.

Dazu kam noch ein persönlicher Grund, sich gegen die Bauern zu wenden. In der zweiten Hälfte des April hatte Luther eine Agitationstour durch Thüringen unternommen, um das Volk zur Ruhe zurückzuführen, aber überall die Entdeckung gemacht, daß er, der sich als Abgott der Bevö1kerung wähnte, jeden Einfluß auf sie verloren habe. Mit jener leidenschaftlichen Wuth, die ihn stets gekennzeichnet hat, wendete er sich nun gegen die Rebellen. [65] Hatte er sie kürzlich noch als liebe „Herrn und Brüder“ angesprochen, so waren sie jetzt nur noch Räuber, Mörder und tolle Hunde, die man todtschlagen müsse. Hatte er eben noch anerkannt, daß die Unerträglichteit des Druckes durch die Obrigkeit die Bauern gezwungen habe, sich zu erheben, so erklärt er nun, die Obrigkeit sei im Recht [66], in seiner Schrift: Wider die räuberischen und mörderischen Bauern, die am 6. Mai erschien, einen Tag nach dem Tode Friedrich’s.

Die Bauern haben dreingeschlagen, heißt es da, „kurzum, eitel Teufels Werk treiben sie und insonderheit ists der Erzteufel, der zu Mülhausen regiert und nichts denn Rauben, Mord und Blutvergießen anricht, wie denn Christus, Johann. 8, von ihm sagt, daß er sei ein Mörder von Anbeginn.“ Angesichts dieses Vorgehens der Bauern müsse er jetzt anders schreiben als im „vorigen Büchlein.“ Der Aufruhr sei schlimmer als Mord:

„Darum soll hie zuschmeißen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, und gedenken, daß nichts giftigers, schädlichers und tenflischers sein kann, denn ein aufrührischer Mensch. Gleich als wenn man einen tollen Hund todtschlagen muß; schlägst Du nicht, so schlägt er Dich und ein ganzes Land mit ihm ... Darum ist hie nicht zu schlaffen. Es gilt auch nicht hie Geduld und Barmherzigkeit; es ist des Schwerts und Zorns Zeit hin und nicht der Gnaden Zeit.“

„Wer für die Obrigkeit fällt, ist ein rechter Märtyrer für Gott ... was auf der Bauern Seite umkommt, ein ewiger Höllenbrand. ... Solche wunderliche Zeiten sind jetzt, daß ein Fürst den Himmel mit Blutvergießen besser verdienen kann, denn andere mit Beten ... steche, schlage, würge, wer da kann. Bleibst Du darüber todt, wohl Dir, seligsicheren Tod kannst Du nimmermehr überkommen. Denn Du stirbst im Gehorsam göttlichen Worts und Befehls, Röm. 13, und im Dienst der Liebe (! !), Deinen Nächsten zu retten aus der Höllen und des Teufels Banden.“ [67]

Gleiche „Liebesdienste“ erwies Luther den Bauern in gleichzeitigen Privatbriefen. [68]

Noch später rühmte sich Luther, er habe „im Aufruhr alle Bauern erschlagen, denn ich habe sie heißen todtschlagen; all’ ihr Blut ist auf meinem Hals.“ Indeß bewog ihn da sein Größenwahn, sich eine größere Blutschuld aufzuladen als ihm zukam. So kennzeichnend seine Haltung im Bauernkrieg für ihn und das Verhältniß zwischen bürgerlicher und bäuerlich-proletarischer Ketzerei ist – weshalb wir näher darauf eingegangen sind –, so wenig ist sie auf dessen Ausgang von Einfluß gewesen. So vergeblich sein Mahnen zur Friedfertigkeit war, so überflüssig sein Aufhetzen der Fürsten zu unbarmherziger Metzelei. Das besorgten die Herren auch ohne ihn ungebührendem Blutdurst; die Gegner Luther’s in gleicher Weise wie dessen Anhänger, und beide Theile in brüderlicher Verenigung. Den Ausgebeuteten gegenüber hörte der Kampf um die Beute zwischen den Ausbeutern auf. Katholiken und Evangelische wirkten zusammen, das arme Volk niederzuschlagen.

Zu Anfang Mai vereinigte der gut „evangelische“ Landgraf Philipp von Hessen seine Schaaren mit denen des erzkatholischen Georg von Sachsen und einiger kleinerer Fürsten, wozu später noch der neue sächsische Kurfürst Johann kam, um dem thüringischen Aufstand ein Ende zu machen. Als das Zentrum desselben zeigte sich Frankenhausen, ein durch seine Salinen berühmter Ort mit einer zahlreichen Bevölkerung von Salzarbeitern [69], nur wenige Meilen vom Mansfeldischen Bergwerk entfernt. Dort sammelte sich die Hauptmacht der Aufständischen und nicht etwa bei dem festen, mit Geschützen wohl versehenen Mülhausen oder einem südlicheren Punkt, etwa Erfurt oder Eisenach, die auch in den Händen der Aufständischen waren, und von denen aus es leichter gewesen wäre, mit dem Aufstand in Franken Fühlung zu halten.

Wie den Aufständischen, erschien auch den Fürsten das Lager vor Frankenhausen als das wichtigste. Um dorthin zu gelangen, unternahm Philipp von Hessen eine ganz unerhörte Bewegung. Er rückte über Eisenach und Langensalza heran, ließ Mülhausen links und Erfurt rechts liegen und marschirte zwischen diesen beiden wohlbesetzten Städten hindurch geradewegs auf Frankenhausen zu. Bezeugt dies die Bedeutung von Frankenhausen, so beweist die Thatsache, daß er diese Bewegung machen konnte, ohne von den Mülhausenern und Erfurtern im Geringsten bedroht oder auch nur belästigt zu werden, welcher Mangel an Zusammenhalt und an Zusammenwirken, und welche Planlosigkeit bei den Aufständischen herrschte.

Die Bedeutung von Frankenhausen können wir uns aber nur erklären durch die Nähe des Mansfeldischen Bergwerks mit seinen zahlreichen wehrhaften Knappen. Gelang es, den Aufstand dahin zu tragen, dann stand den fürstlichen Heeren ein harter Strauß bevor.

Münzer erkannte ebenfalls sehr wohl die Bedeutung von Frankenhausen, und er bot sein Möglichstes auf, von allen Seiten alle verfügbaren Kräfte dorthin zu lenken. Auch an die Erfurter schrieb er, aber diese rührten sich nicht. Nicht einmal die Mülhausener konnte er bewegen, denen vor Frankenhausen zu Hülfe zu ziehen. Was gingen die Kleinbürger der freien Reichsstadt die Bauern dort an? Der wegen seiner Energie vielgerühmte Pfeiffer blieb thatlos sitzen. Münzer zog allein mit seinem Anhaug am 300 Mann. Kaum, daß ihm die Mülhausener acht „Karrenbüchsen“ liehen.

Nicht besser ging es ihm mit den Bergleuten von Mansfeld. Leider fehlen uns über die Vorgänge im Mansfeldischen alle näheren Nachrichten. In Spangenberg’s Mansfeldischer Chronik (Kapitel 362 [70]) finden wir blos folgende Notiz, die Bieringen in seiner Beschreibung des Mausfeldischen Bergwerks, S. 16, noch kürzer wiedergiebt:

„Die Bauern standen auch in der Grafschaft Mansfeld auf. Graf Albrecht zu Mansfeld ließ es ilm sauer werden, legte allen möglichen Fleiß an und gab den Bergleuten die besten Worte, daß er sie in der Grafschaft behielt, damit sie sich nicht zu den aufrührerischen Bauern ins Feld begäben.“

Das scheint ihm auch gelungen zu sein. Die Besorgniß, die Münzer in seinem oben mitgetheilten Brief au die „Berggesellen“ ausgesprochen, „die närrischen Menschen“ könnten sich „in einen falschen Vertrag verwilligen,“ war nicht unbegründet. Die Masse der Bergarbeiter beruhigte sich, sobald ihre Forderungen bewilligt waren und kümmerte sich nicht weiter um die aufständischen Bauern. Einzelne Zuzügler oder kleine Schaaren, aber wurden von Graf Albrecht’s Reitern überfallen, die alle Straßen besetzt hielten.

Eine Möglichkeit blieb noch: den Aufstand ins Mansfeldische selbst zu tragen und so die Bergarbeiter mit sich fortzureißen. Aber auch diese Möglichkeit wurde nicht benutzt. Die Bauern vor Frankenhausen waren einfältig genug, sich mit Albrecht von Mansfeld in Unterhandlungen einzulassen, die der schlaue Patron von Tag zu Tag hinauszuschieben wußte, bis die Heere der Fürsten vor Frankenhausen standen.

Für den 12. Mai hatte Albrecht mit den Bauern eine Zusammenkunft verabredet. Aber er kam nicht, schützte wichtige Geschäfte vor und entbot die Bauern auf den nächsten Sonntag, den 14. Mai. „Indeß schickt es Gott,“ erzählt Luther, „daß Thomas Münzer aus Mülhausen gen Frankenhausen kommt.“ [71] Dieser veranlaßte den sofortigen Abbruch der Verhandlungen mit dem Grafen, dessen Hinterlist er durchschaute, und bot Alles auf, einen Kampf zwischen ihm und den Bauern zu provoziren, ehe noch die Fürsten kamen. Als solche Provokationen betrachten wir die maßlos groben Briefe, die er damals an die Mansfelder schrieb, Briefe, die nur als Provokationen verständlich sind. Zimmermann betrachtet sie als Produkte der Verzweiflung, die sich selbst zu belügen strebt, von halbem Wahnsinn. Aber Münzer’s Anordnungen deuten auf sehr klaren Verstand hin.

An Albrecht schrieb er:

„Furcht und Zittern sei einem Jeden, der übel thut. Röm. 2, 9. Daß du die Epistel Pauli also übel mißbrauchst, erbarmet mich. Du willst die böswichtige Obrigkeit dadurch bestätigen in aller Masse, wie der Papst Petrum und Paulum zu Stockmeistern gemacht. Meinst du, daß Gott der Herr sein unverständig Volk nicht erregen könne,‚die Tyrannen abzusetzen in seinen Grimm (Oseä, am 13. u. 8.)?‘ Hat nicht die Mutter Christi aus dem heiligen Geist geredet von dir und deines Gleichen, weissagend (Luc. 1): ‚Die Gewaltigen hat er vom Stuhl gestoßen und die Niedrigen (die du verachtest) erhoben.‘

„Hast du in deiner lutherischen Grütz und deiner Wittenbergischen Suppen nicht mögen finden, was Ezech. an seinem 37. Kapitel weissagt? Auch hast du in deinem Martinischen Bauerndreck nicht mögen schmecken, wie derselbige Profet weiter sagt am 39. Unterschied, wie Gott alle Vögel des Himmels fordert, daß sie sollen fressen das Fleisch der Fürsten und die Unvernünftigen Thiere sollen saufen das Blut der großen Hansen, wie in der heimlichen Offenbarung am 18. und 19. beschrieben. Meinst du, daß nicht mehr an seinem Volk denn an euch Tyrannen gelegen? Du willst unter dem Namen Christi ein Heide sein und dich mit Paulo zudecken. Man wird dir aber die Bahn vorlaufen da wisse dich danach zu halten.

„Willst du erkennen, Danielis 7, wie Gott die Gewalt der Gemeinde gegeben hat und vor uns erscheinen und deinen Glauben brechen, wollen wir dir das gerne geständig sein und dich für einen gemeinen Bruder ansehn; wo aber nicht, werden wir uns an deine lahme, schale Fratze nichts kehren und wider dich fechten, wie wider einen Erzfeind des Christenglaubens zu halten.

„Gegeben zu Frankenhausen, Freitag nach Jubilate (12. Mai). Anno 1525.
Thomas Münzer mit dem Schwert Gideons“

Einen noch „viel groberen und frecheren Brief,“ wie Strobel sich ausdrückt (S. 99), schrieb Münzer an demselben Tag an den Grafen Ernst zu Mansfeld, der die Burg Heldrungen in der Nähe von Frankenhausen besetzt Hielt. Dieser feste Stützpunkt der Mausfelde sollte zunächst genommen werden. Er ruft denn Grafen zu:

„Du elender, dürftiger Madensack ... Du sollst und mußt deinen Glauben brechen, wie 1. Petri 3, befohlen. Du sollst in wahrhaftiger Weise gut sicher Geleit haben, deinen Glauben an den Tag zu bringen, das hat dir eine ganze Gemeinde in Ringe zugesagt, und sollst dich auch entschuldigen deiner offenbarlichen Tyrannei, auch ansagen, wer dich so dürftiglich gemacht, daß du allen Christen zum Nachtheil unter einem christlichen Namen willst ein solcher heidnischer Bösewicht sein. Würdest du ausbleiben und dich aufgelegter Sache nicht entledigen, so will ich anschreien vor aller Welt, daß alle Brüder ihr Blut getrost sollen wagen; da sollst du verfolgt und ausgerottet werden. Wirst du dich nicht demüthigen vor den Kleinen, so sage ich dir, der ewige lebendige Gott hat geheißen, dich von dem Stuhl mit der Gewalt, die uns gegeben, zu stoßen; denn du bist der Christenheit nichts nutz, du bist ein schädlicher Staupbesen der Freunde Gottes. Gott hat es von dir und Deinesgleichen gesagt, dein Nest soll ausgerissen und zerschmettert werden. Wir wollen deine Antwort noch heut haben, oder dich im Namen Gottes der Heerschaaren heimsuchen. Wir werden unverzüglich thun, was uns Gott befohlen hat; thu auch du dein Bests; ich fahre daher.“

Die Mansfelde erwiesen indeß Münzer nicht den Gefallen sich provoziren zu lassen. Münzer aber fühlte sich zu schwach, oder die Bauern waren zu unwillig, zum Angriff überzugehen.

Und bald war es zu spät dazu. Am 12. Mai war Münzer nach Frankenhausen gekommen, am 14. langten der Landgraf Philipp von Hessen und Herzog Heinrich von Braunschweig an, am 15. traf Herzog Georg von Sachsen mit seinem Heere ein.

Nun war das Schicksal Derer vor Frankenhausen besiegelt, damit aber auch das Ende des thüringischen Aufstandes. Auf der einen Seite standen 8.000 schlecht bewaffnete, undisziplinirte Bauern, fast ohne Geschütz. Auf der anderen Seite waren ungefähr ebenso viele wohl gerüstete und geübte Krieger mit zahlreichem Geschütz.

Die Darstellung der Schlacht von Frankenhausen wird gewöhnlich nach der Erzählung Melanchthon’s wiedergegeben. Darnach hätte zuerst Münzer eine schöne Rede an die Bauern, dann der Landgraf Philipp noch eine schönere Rede an seine Truppen gehalten, worauf diese angriffen.

„Die armen Leute aber stunden da und sangen: Nun bitten wir den heiligen Geist, gleich als wären sie wahnsinnig, schickten sich weder zur Wehr, noch zur Flucht, viele auch trösteten sich der großen Zusag Thomä, daß Gott Hilfe vom Himmel erzeigen würde, dieweil Thomas gesagt hätte, er wollt alle Schüsse in den Aermel fassen.“

Als sich das Wunder nicht einstellen wollte, vielmehr die Soldaten einhieben, wendeten sich die bethörten Bauern zur Flucht und wurden massenhaft niedergemetzelt. Eine sonderbare Schlacht!

Sollten Münzer und die Bauern wirklich solche ganz einzig dastehende Narren gewesen sein?

Betrachten wir zunächst die Reden. Die Münzer’s ist ganz und garnicht im Münzer’schen Stile gehalten, ist von einem hohlen Pathos, das ihm keineswegs eigen war. Noch sonderbarer aber erscheint bei näherem Zusehen die Rede des Landgrafen: sie ist eine Antwort auf die Rede Münzer’s, als hätte er dieser beigewohnt, und widerlegt deren Anklagen Punkt für Punkt! Man vergleiche zum Beispiel:

Münzer:

„Was thun aber unsere Fürsten? Sie nehmen sich des Regiments nicht an, hören die armen Leute nicht, sprechen nicht Recht, haben die Straßen nicht rein, wehren nicht Mord und Raub, strafen keinen Frevel noch Muthwillen“ u. s. w.

 

Landgraf:

„Denn es ist ja erdichtet und erlogen, daß wir nicht gemeinen Landfrieden halten, daß wir nicht die Gerichte bestellen, Mord und Räuberei nicht wehren. Denn wir nach unserem Vermögen beflissen sind, friedlich Regiment zu erhalten.“

und so weiter. Je mehr man sich beide Reden ansieht, desto klarer wird es, daß sie nicht in Wirklichkeit gehalten, sondern von dem gelehrten Schulmeister erfunden worden sind, nach dem Beispiel der Reden der Staatsmänner und Feldherren, die uns Thukydides und Livius berichten. Es sind rhetorische Uebungen, zu bestimmten Zwecken erfunden. Die Vorlesung des Landgrafen über Sitte und Recht, über die Nothwendigkeit und Nützlichkeit der Steuern u. s. w. mit dem rührenden Schlusse: es handele sich darum, die Sicherheit von Weib und Kind zu erkämpfen – eine derartige Rede konnte auf die zuchtlosen, aus allen Ländern zusammengelesenen Landsknechte nicht den geringsten Eindruck machen. Aber sie mußte das Ansehen des Landgrafen erhöhen in den Augen der gebildeten Bürger, für die Melanchthon schrieb. Für diese, und nicht für die Soldaten ist die Rede berechnet.

Auf der anderen Seite ist die Rede Münzer’s ganz dazu komponirt, ihn lächerlich erscheinen zu lassen. „Lasset Euch nicht erschrecken das schwache Fleisch,“ läßt Melanchthon Münzer am Schlusse seiner Rede sagen, „und greift die Feinde kühnlich an; ihr dürft die Geschütze nicht fürchten, denn ihr sollt sehn, daß ich alle Büchsensteine im Aermel fassen will, die sie gegen uns schießen“ u. s. w.

So absurd in praktischen Dingen hat sich Münzer in seinen Schriften nie geäußert; sein Mystizismus bestand nur im Glauben daran, daß Gott mit ihm direkt verkehre, daß seine Lehre dem Geist Gottes entspringe. Daß er Wunder wirken können, hat Münzer nie und nimmer behauptet. Wir stehen daher nicht all, diese Rede für eine kecke Erfindung Melanchthon’s zu erklären.

Und sie ist auch eine plumpe Erfindung. So plump, daß schon vor hundert Jahren Strobel zur Ueberzeugung kam, nicht Münzer, „sondern Melanchthon ist ganz sicher der Verfasser“ der Rede (S. 112). Trotzdem wird sie heute noch, z. B. von Janssen, zur Charakterisirung Münzer’s benutzt.

Auch Zimmermann sagt in einer Note (II., S. 435): „daß die Rede ... ein Machwerk Melanchthon’s ist, ist offen klar; es ist nicht ein Hauch Münzer’scher Art darin.“ Aber er wie Strobel nehmen an, die Rede sei wirklich gehalten, von Melanchthon blos entstellt wiedergegeben worden.

Uns erscheint nicht einmal das wahrscheinlich. Zum Redenhalten war wenig Zeit, wenn die Schlacht in der Weise vor sich ging, wie es in der Schrift geschildert wird: Ain nützlicher Dialogus odder gesprechbüchlein zwischen einem Müntzerischen schwermer vnd einem Evaugelischen frommen Bayern, die straff der aufruhrischen Schwermer zu Frankenhausen geschlagen belangende, Wittenberg 1525. Da sagt der Schwärmer:

Nun wohlan, ist das auch ehrlich von den Fürsten und Herrn, daß sie uns drei Stunden Bedenkzeit gaben und doch nicht eine Viertelstunde Glauben hielten, sondern so bald sie den Grafen von Stolberg mit etlichen vom Adel von uns zu sich brachten, da ließen sie das Geschütz in uns gehn und griffen uns alsbald an.“

Das heißt, die Fürsten unterhandelten mit den Bauern, verlangten ihre Unterwerfung und gaben ihnen drei Stunden Bedenkzeit. Inzwischen veranlaßten sie die Adeligen, die im Bauernheer waren, zu ihnen überzugehen, und sofort, lange bevor der Waffenstillstand abgelaufen war, überfielen sie die ahnungslosen Bauern und metzelten sie nieder.

Das war nicht sehr ehrenhaft, und wir begreifen es, daß Melanchthon sich bemühte, eine andere Version zu erfinden. Aber während diese völlig unsinnig ist, entspricht die Darstellung des Dialogus ganz dem Verfahren, welches die Fürsten den Bauern gegenüber damals überhaupt anwendeten. Trotz ihrer Uebermacht griffen sie noch zu Verrath und Wortbruch, der Bauern Herr zu werden. Dadurch und nicht durch die blödsinnige Erwartung der letztereu, Münzer werde wirklich die Büchsenkugeln in seinen Rockärmeln auffangen, ist es gekommen, daß auf der Seite der Aufständischen der weitaus größte Theil niedergemetzelt wurde – 5.000 bis 6.000 von 8.000! – indeß die fürstlichen Truppen einen kaum nennenswerthen Verlust erlitten.

Nach gewonnenem Sieg rückten die Truppen in Frankenhausen ein und es wurde, wie der Landgraf Philipp am nächsten Tage selbst schrieb, „was darinnen von Mannspersonen befunden, Alles erstochen, die Stadt geplündert.“

Münzer war mit einem Theil des geschlagenen Haufens in die Stadt geflüchtet, und da ihm die feindlichen Reiter auf den Fersen waren, hatte er sich in eines der ersten Häuser beim Thore gestürzt, sein Haupt verbunden, um sich unkenntlich zu machen, und in ein Bett gelegt, als sei er krank. Doch seine List mißlang. Ein Kriegsknecht, der zu ihm kam, erkannte ihn an dem Inhalt der Tasche, die bei ihm lag. Sofort wurde er gefaßt und vor den Landgrafen von Hessen und Herzog Georg gebracht. „Da er vor die Fürsten kam, fragten sie, warum er die armen Leute also verführt habe? Antwortet er trotziglich, er habe recht gethan, daß er vorgehabt hätte, die Fürsten zu strafen.“ Fürwahr eine kühne Antwort. Melanchthon, der dies berichtet, vergißt hier für einen Moment, daß er Münzer stets als ausnehmend feig hinstellen will.

Die Fürsten ließen ihn sofort auf die Folter spannen und weideten sich an seinen Qualen, dann schenkten sie ihn als „Beutepfennig“ dem Grafen Ernst von Mansfeld. „War er zuvor‚übel gemartert worden,‘ so wurde jetzt im Thurm zu Heldrungen nach einigen Tagen‚gräulich mit ihm umgegangen.‘“ (Zimmermann)

Damals wurden ihm jene Bekenntnisse entrissen, deren Protokoll wir bereits wiederholt zitirt haben. Er widerrief nichts, und verrieth von seinem Geheimbund nur Dinge, die Niemand schaden konnten. Von den Mitgliedern, die er nannte, ist keines unter den Hingerichteten aufgeführt. Wahrscheinlich gab er nur solche an, die schon gefallen waren.

Die Schlacht von Frankenhausen brach das Rückgrat der Bewegung in Thüringen. Den Fürsten blieb nichts mehr zu thun übrig, als blutige Rache zu nehmen. Und das haben sie redlich besorgt.

Die Bergleute zu Mansfeld ließ man einstweilen noch ungeschoren. Man war froh, daß sie Frieden hielten. Erst im nächsten Jahre, erzählt uns Spangenberg, begann nan „die Bergleute etwas hart zu versetzen mit Arbeit, worüber sie sich hart beschwerten, ohne Linderung erlangen zu können.“ Im Gegentheil, es wurde Kriegsvolk zu ihnen gesandt, das sie „beruhigte.“ Alle Versammlungs- und Redefreiheit wurde für sie aufgehoben.

Schlimmer noch mußte Mülhausen dafür büßen, daß es im entscheidenden Moment die Sache des Aufstandes im Stich gelassen. Von Frankenhausen rückten die vereinigten Fürsten sofort nach Mülhausen. Vergeblich wandte sich die Stadt um Hülfe au die fränkischen Aufständischen. Was sie selbst denen vor Frankenhausen angethan, widerfuhr ihr nun von den Franken. Unter den eben rebellischen Kleinbürgern der Reichstadt verbreitete sich rasch Muthlosigkeit, als am 19. Mai die Belagerung der Stadt begann. Pfeiffer sah, daß Alles verloren sei, und entwich am 24. mit 400 Mann heimlich, um sich nach Oberfranken durchzuschlagen. Aber die Reiter der Fürsten ereilten ihn und nahmen ihn mit 92 der Seinen gefangen.

Mühausen ergab sich am 25. gegen die schriftliche Zusage der Gnade. Diese bestand in der Hinrichtung einer Reihe von Bürgern und in der Brandschatzung der Stadt, die ihre Unabhängigkeit verlor. Was die sächsischen Fürsten von der Rebellion in Mülhausen erhofft, das erreichten sie, die Herrschaft über die Stadt. Die Rebellen, die ihnen dazu verholfen, wurden enthauptet, sowohl Pfeiffer, wie Münzer, der ebenfalls nach Mülhausen gebracht worden war.

Pfeiffer starb trotzig und reuelos. Darüber sind alle Berichterstatter einig. Von Münzer dagegen behauptet Melanchthon natürlich, er sei „sehr kleinmüthig gewest in derselben letzten Noth.“ Als Beweis dafür erzählt er, Münzer habe vor lauter Angst kein Wort hervorgebracht, so daß er den Glauben nicht habe beten können, Herzog Heinrich von Braunschweig habe ihm denselben vorbeten müssen. Gleich darauf aber läßt unser Gewährsmann den vor Furcht sprachlosen eine jener schönen Reden halten, die der klassische, rhetorisch gebildete Schulmeister liebt.

Die anderen Berichterstatter jener Zeit erwähnen nichts von seiner „Kleinmüthigkeit“ (vgl. Zimmermann, II., S. 444). Nur ein Zeugniß giebt es, neben dem ganz werthlosen Melanchthon’s, das auf Verzagtheit Münzer’s in seinen letzten Tagen schließen läßt: Seinen Brief an den Rath und die Gemeinde von Mülhausen, geschrieben am 17. Mai in seinem Gefängniß zu Heldrungen. Er ermahnt sie darin, die Obrigkeit nicht zu erbittern; sein Tod sei verdient und geeignet, den „Unverständigen“ die Augen zu öffnen! Er bittet, sie möchten seinem armen Weibe beistehen. Noch einmal folgt die Ermahnung, die Obrigkeit nicht durch Eigennutz zu erbittern, wie sie gethan, der Empörung nicht weiter anzuhängen und um Gnade bei den Fürsten zu bitten.

Kein Zweifel, aus diesem Brief spricht Kleinmuth. Wir können uns Zimmermann nicht anschließen, der ihn günstiger auslegt.

Aber ist der Brief auch echte. Er rührt nicht von Münzer’s Hand her. Dieser sagt selbst darin, er diktire ihn einem gewissen Christoph Lau. Warum diktirt er ihn, warum schreibt er ihn nicht selbst? Und wer hatte ein Interesse daran, daß ein solcher Brief von Münzer nach Mülhausen komme? Niemand anders als die Fürsten. Am 17. ist der Brief verfaßt, am 19. beginnt die Belagerung Mülhausens. Der Brief mußte diese erleichtern, mußte Verzagtheit unter den Belagerten hervorrufen. Liegt da die Annahme nicht nahe, daß Münzer’s Name von den Fürsten zu einer jener Kriegslisten gebraucht wurde, wie sie damals gewöhnlich waren?

Zum Mindesten ist dieser nicht von Münzer’s Hand selbst geschriebene Brief hoch verdächtig und nicht geeignet, Melanchthon zu bekräftigen.

Wir dürfen also wohl sagen, daß über Münzer’s Ende Genaues nicht bekannt, die Behauptungen von seiner Kleinmüthigkeit unerwiesen sind.

Für unser Urtheil über Münzer und seine Sache ist es natürlich ganz unerheblich, ob er seine Nerven bis zum letzten Moment in seiner Gewalt hatte oder nicht. Die Frage ist von größerem Interesse nur deswegen, weil sie Münzer’s Gegner charakterisirt.

Wohl beweist physischer Muth ebenso wenig wie physische Kraft oder physische Schönheit irgend etwas für die moralische Trefflichkeit des Trägers dieser Eigenschaften, aber wir sind einmal so organisirt, daß uns der Feigling von vornherein nicht sympathisch ist, wie auch oft noch der Häßliche und der Schwächling. Wir begreifen daher sehr wohl das Bestreben Melanchthon’s, unmittelbar nach dem Kampf den so gefürchteten Gegner seiner Sache durch die Beschuldigung der Feigheit herabzusetzen.

Aber bis heute wird diese Beschuldigung hartnäckig wiederholt, obwohl ihr jede greifbare Unterlage fehlt, ja sie wird mitunter noch übertrieben. [72]

Das ist ein erfreuliches Zeichen. Wie lange es auch her ist, daß Münzer sein Leben für seine Sache ließ, diese selbst, die Sache des Proletariats, sie lebt und ist gefürchtet, mehr noch, als zu Münzer’s Zeiten. Die Verleumdungen, die das Pfaffen- und Professorenthum heute noch einträchtig über den großen Gegner der fürstlichen und bürgerlichen Reformation verbreitet, wären zwecklos, wenn sie blos den todten Mann treffen sollten und nicht vielmehr die lebendige kommunistische Bewegung.

Aber die wüthenden Angriffe, welche die Anwälte der herrschenden Klassen seit Luther und Melanchthon bis auf unsere Tage gegen Münzer mehr als gegen jeden anderen Kommunisten und Revolutionär seiner Zeit (die Wiedertäufer in Münster fallen etwas später) richten, sind gerade das mächtigste Mittel geworden, das Andenken an ihn im Volke wach zu halten und ihm dessen Sympathien ungeschmälert zu bewahren.

Münzer war und ist heute noch im Volksbewußtsein die glänzendste Verkörperung des rebellischen, ketzerischen Kommunismus.


Fußnoten

1. Zwei Jahre später wurde er Papst, Pius II. Als solcher brachte er es fertig, seine eigenen früheren Schriften als ketzerisch zu verdammen.

2. Bei Ullmann, Reformatoren &c., I., S. 214.

3. Wir benutzten die Leipziger Ausgabe von 1490: Enee Sylvii, De Ritu, Situ, Moribus ac conditione alemanni, Lyptzick.

4. „Wie ein großer Theil der Aemter und Stellen an der Kurie käuflich war, so wurden die Pfründen mehr und mehr zu einem gangbaren Handelsartikel; es kam so weit, daß man den Vertrieb der fetteren Benefizien, um ihn noch schwunghafter zu gestalten, gegen mäßigen Zins den großen Handelsgesellschaften überließ, wie z. B. die Fugger nach dem Tode eines Augsburger Chorherrn dessen Pfründen an sich brachten. Sie wurden dann nochmals verkauft und von den neuen Käufern vielleicht nochmals an den Meistbietenden verpachtet. Wimpheling kannte einen Geistlichen, der vierundzwanzig Pfründen, darunter acht Kanonikale, besaß, ohne auch nur eine selbst zu versehen. Capito sagt sogar einem Straßburger Stiftsherrn Jakob nach, daß er sich hundert Pfründen verschafft und damit einen wahrhaften Handel getrieben habe.“ (F. v. Bezold, Geschichte der deutschen Reformation, Berlin 1890, S. 78.) „Nicht leicht hat einer hier eine fette Pfründe,“ sagt Hutten einmal, „der nicht zu Rom darum gedient oder viel Geld zur Bestechung dahin geschickt oder sie geradezu durch Vermittelung der Fugger gekauft hat.“ (Die römische Dreifaltigkeit, Gespräche von Ullrich v Hutten, übersetzt und erläutert von David Fr. Strauß, Leipzig 1860, S. 106.) Dafür waren die Fugger auch eifrige Katholiken, die mit Geldspenden zur Bekämpfung Luther’s nicht sparten.

5. 1497 John Cabot, von Bristol nach Labrador schiffend, 1498 Columbus, von Palos nach Westindien. Die Normannen, die um das Jahr 1000 nach Amerika gelangt waren, hatten den Weg über Island und Grönland gewählt.

6. Wir sind mit Janssen der Meinung, daß diese Uebersetzung von Epistolae obscurorum virorum weniger mißverständlich ist als die herkömmliche: Briefe der Dunkelmänner.

7. Hoch verursachte Schutzrede, 1524.

8. Omnibus omnis ordinis ac status in Germania Principibus, Nobilitati ac Plebeis, Ulrichus de Hutten, Eques, Orator et Poeta laureatus. Vgl. darüber D. Fr. Strauß, Ulrich von Hutten, Leipzig 1858, II., S. 89 ff., S. 102 ff.

9. Ein durchaus konservativ und protestantisch gläubig gesinnter Schriftsteller, Herr Carl Jentsch, schreibt in einem Aufsatz, Die Reformation und die Freiheit, in dieser Hinsicht sehr treffend: „Weder Luther’s Wort noch Luther’s Werk wäre möglich gewesen in einem großen Polizeistaate von der Art unserer modernen Staaten.“ (C. Jentsch, Geschichtsphilosophische Gedanken, Leipzig, F. W. Grunow, S. 204)

10. J. S. Bieringen’s S. S. Theol. cultor, und Mannßfeldischen Landes-Kindes Historische Schreibung des sehr alten und löblichen Mannßfeldischen Bergwerks, Leipzig und Eißleben 1743, S. 15.

11. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes, II., S. 296.

12. Chr. J. Fischer, Geschichte des deutschen Handels, Hannover 1797, II., S. 659.

13. Galletti, Geschichte Thüringens, Gotha 1784, V., S. 143.

14. Zur Geschichte der deutschen Wollenindustrie, Hildebrand’s Jahrbücher 1866, S. 207 ff.

15. Fr. v. Bezold, Geschichte der deutschen Reformation, S. 127, 128.

16. Vgl. über Reiser L. Keller, Reformation &c., S. 261–81.

17. Ullmann, Reformatoren, I., S. 423.

18. Ullmann, a. a. O., S. 426.

19. L. Keller, Die Reformation, S. 304.

20. E. Herzog, Chronik der Kreisstadt Zwickau, I., S. 81.

21. A. a. O., I., S. 234.

22. A. a. O., II., S. 140–149.

23. In Münzer’s Auslegung des 19. Psalms herausgegeben von Agricola, ist im Anhang ein lateinischer Brief Münzer’s an Melanchthon abgedruckt, in dem Jener Diesen zu energischerem Vorgehen gegen die „Gottlosen“ mahnt.

24. Ein Beispiel genügt. Nach Melanchthon hielt sich Münzer nach seiner Vertreibung von Allstätt ein halbes Jahr lang verborgen, ging dann nach Nürnberg und von dort nach Mülhausen, wo er ein Jahr lang blieb, bis zum Ausbruch des Bauernkrieges. Das macht zusammen über anderthalb Jahre. In Wirklichkeit war Münzer im August 1524 noch in Allstätt und im Beginn des April 1525 brach der Bauernaufstand aus. Man sieht, wie lächerlich die Melanchthon’sche Chronologie ist, ganz abgesehen davon, daß alle diese Angaben über Münzer’s Wanderungen keine Spur von Wahrheit enthalten.

25. „Das ganze dritte Buch der Geschichte des Bauernkrieges von Gnodalius (erschien 1570) ist eine Uebersetzung der Schrift Melanchthon’s.“ (O. L. Schäfer, Das Verhältniß der drei Geschichtschreiber des Bauernkrieges, Haarer, Gnodalius und Leodius, historisch-kritisch betrachtet, Chemnitz 1876, S. 35.)

26. So z. B. L. v. Baczko, Thomas Münzer, dessen Charakter und Schicksale, Halle und Leipzig 1812, oder P. Streif, Thomas Münzer oder der thüringische Bauernkrieg, Leipzig 1836.

Am miserabelsten ist des Professor Leo, Thomas Münzer, ein Vortrag, gehalten im Auftrage des evangelischen Vereins in Berlin 1856. Er hat einfach Seidemann abgeschrieben, aber mit servilen Niederträchtigkeiten gespickt.

27. Eine populäre Ausgabe hat W. Blos herausgegeben. Dieselbe ist erschienen bei J. H. W. Dietz in Stuttgart.

Mit Anlehnung an Zimmermann hat Friedrich Engels eine Darstellung des Bauernkriegs und damit auch des Wirkens von Thomas Münzer gegeben in einer Abhandlung, die zuerst im 6. Heft der Revue der Neuen Rheinischen Zeitung, Hamburg 1850, erschien und seitdem wiederholt zum Separatabdruck gelangte, unter dem Titel: Der deutsche Bauernkrieg. Das Material nahm Engels, wie er selbst in der Vorrede sagt, aus Zimmermann, aber er verarbeitete es selbständig auf der Grundlage der materialistischen Geschichtsauffassung und mit Heranziehung der Erfahrungen, welche ihm eben die Revolution von 1848 geliefert hatte. Dadurch gewann er eine Reihe neuer wichtiger Einblicke in das Wesen des Bauernkrieges, die uns bei der folgenden Darstellung von großem Nutzen gewesen sind.

28. A. a. O., 2. Aufl., I., S. 182.

29. Seidemann giebt 1490 an, Zimmermann hat auch das Jahr 1493 angegeben gefunden.

30. Herzog, Chronik von Zwickau, I., S. 235, II., S. 133–135.

31. Abgedruckt im Anhang bei Seidemann, Münzer, S. 109 ff.

32. Zimmermann und Andere schreiben Altstädt. Das Wort dürfte aber mit Alt nichts zu thun haben, wohl aber mit der Wurzel Hal, Salz; der Name Allstätt dürfte wie andere Ortsnamen des so salzreichen Harzgebiets (Halle, Halberstadt u. s. w.) eine Fundstätte von Salz anzeigen, Allstätt = Hallstatt, Salzstatt.

33. Merx, Münzer, S. 9.

34. Vgl. Stobel, S. 186, Seidemann, S. 18. Diese Nachricht (aus Cyprianus) lautet: „Durch diese nit wohl verstandene Lehre Taulers von Geist und Grunde der Seele wurde verführt Thomas Münzer mit seinem Anhang, denn er las ihn stets, wie wir wohl wissen, mit sammt einem Weibe, die Meister Konrad’s, Pfarrherrn zu Orlamunda, Köchin gewest ist und zu Leipzig ein solches Wesen hatte, daß man sie für heilig achtete.“ Dadurch, daß man statt „einem Weibe“ „seinem Weibe“ las, verkuppelte man unseren Thomas mit der schwärmerischen Pfarrersköchin.

35. Nach dem Auszug bei Strobel. Diese und die folgende Schrift Münzer’s konnten wir leider nicht aus eigener Anschauung kennen lernen.

36. Protestation odder empietung Tome Müntzers von Stolberg am Hartzs seelwarters zu Alstedt seine lere betreffende vund tzum anfang von dem rechteb Christenglawben vnd der Tawffe, 1524 Alstedt. – Von dem getichten glawben auff nechst Protestation anßgangen Tome Müntzers seelwarters zu Alstet, 1521.

37. Außlegung des XIX. Psalms Coeli enarrant durch Thomas Müntzer an syner ersten Jünger ainen, Wittenberg 1525.

38. Die Vergleichung der Askese, des Leidens, mit einer Pflugschaar, ist ein Bild, daß Münzer sehr liebt. Wir finden es auch angewandt in seiner Protestation.

39. Auslegung des anderen Unterschiedes Daniels.

40. Merx, S. 16, 17.

41. Außlegung des andern untersyds Danielis deß propheten gepredigt auffn schlos zu Allstet vor den tetigen thewren Herzogen und Vorstehern zu Sachssen durch Thomam Müntzer Diener des wordt gottes, Allstedt 1524.

42. Außgetrückte emplößung des falschen Glaubens der vngetrewen welt, durch gezeugnus des Euangelions Luce, vorgetragen der elenden erbermlichen Christenheyt zu innerung jres irsals. Ezechiels am 8. Capitel, Thomas Müntzer mit dem Hammer, Mülhausen 1524.

43. Wir haben dies eingehend dargethan in einer Artikelserie in der Neuen Zeit, 1889, Die Bergarbeiter und der Bauernkrieg, vornehmlich in Thüringen.

44. Luther’s sämmtliche Werke, Leipzig 1729, XIX., S. 240.

45. Abgedruckt bei Strobel, S. 77, 78.

46. Die gewöhnliche Datirung vom 21. August ist falsch. Vgl. Merx, S: 39, Note.

47. Luther’s sämmtliche Werke, XIX., S. 237, 238.

48. Merx, S. 41.

49. Luther’s sämmtliche Werke, XIX. S. 236.

50. Merx, S. 48.

51. Zimmermann, Bauernkrieg, I., S. 191. Zimmermann stand eine Reihe wichtiger Forschungen aus dem Stadtarchiv zu Mülhausen zu Gebote.

52. Vgl. Zimmermann, a. a. O., I., S. 194.

53. Johann Becherer, Newe Thüringische Chronica, Mülhausen 1601, S. 473. Die thüringische Chronik beginnt mit Moses: „Wenn man von der Thüringer erste Urankunft etwas zu wissen begehret, hat man keine ältere Nachrichtung, denn die uns der allerälteste und gewisseste Scribent Moses giebt.“ Von Japhet’s Sohn Mesach stammen die Meißner, von Thiras die Thüringer.

54. C. A. Comenius, Geschichte des Münster’schen Aufruhrs, Leipzig 1860, II., S. 41.

55. Schönlank, Soziale Kämpfe vor 300 Jahren, S. 5 ff.

56. Abgedruckt in Luther’s sämmtlichen Werken unter dessen Schriften gegen Münzer und die aufrührerischen Bauern, XIX., S.245.

57. Hoch verursachte Schutzrede Und antwort wider das Gaistlose Saufft lebende Fleysch zu Wittenberg, welches mit verkärter weyße, durch den Diepstal der heiligen schrift die erbermdliche Christenheit also gantz jämmerlich besudelt hat, Thomas Müntzer Alstedter.

58. Dieser ganze Passus ist bei Zimmermann als Zitat aus dem Anderen Unterschied Danielis gebracht, a. a. O., I., S. 185.

59. Der Widertäufferen vrsprung, fürgang, Secten, wäsen, fürnemen vnd gemeine jrer leer Artickel, auch jre grind und worüm sy sich absunderind vnd ein eigne Kirchen anrichtind mit widerlegung etc. Abgeteilt in VI Bücher vnd beschriben durch Heinerychen Bullingern, Dienern der Kirchen zu Zürich, Zürich 1561.

60. Becherer, a. a. O., S. 479.

61. Zitirt bei Strobel, S. 88.

62. Melanchthon spricht von 300 „Buben.“ Bei einem früheren Auszug, auf 26. April, folgten ihm nach Becherer „ungefähr 400 Mann, mehrentheils fremdes Gesindlein ... Bei diesem Haufen und Zuge sind wenige Bürger und kein Rathsherr von Mülhausen gewest“ (a. a. O., S. 480).

63. „Münzer wollte sich nicht übereilen; er wollte den rechten Augenblick erwarten, warten, bis der Aufstand durch die Zeit und Gewohnheit Stärke gewänne und eine vollkommenere Organisation; bis die waffengeübten, handfesten Bergknappen bei ihm wären, die Oberschwaben und andere Haufen die ersten Schlachtsiege über die Fürsten gewonnen hätten. Er wollte sie Alle zum Rückhalt haben und dann erst von seinem Mülhausen sich erhebrn mit Gideon’s Schwert. Er kannte ihn wohl, den größten Theil seiner Thüringer. Das waren keine Schwaben, die von Jugend an der Fahne gefolgt, im Kriege herausgewachsen waren, keine Franken, wie Herrn Florian’s schwarze Schaar, keine Schützen, wie die in den Alpen und im Elsaßerland: der Erdscholle mühsam und kümmerlich den Unterhalt abzuringen, war ihr Tagwerk, Hacke und Spaten die einzigen ihnen gewohnten Waffen.“ Zimmermann, II., S. 424.

64. Geschichte des sächsischen Hochlandes, S. 203.

65. Protestantische Historiker, z. B. Ranke, möchten uns gern glauben machen, die eben erwähnte Schrift Luther’s über die zwölf Artikel sei schon vor dem Ausbruch der Empörung erschienen, als die Mehrzahl der Bauern sich noch nicht erhoben hatte, im März 1525. Was ihn erbittert habe, seien ihre Gewaltthätigkeiten ini April gewesen. Diese hätten seinen Frontwechsel veranlaßt. Thatsächlich ist die Schrift nach dem 16. April (dem Tag von Weinsberg) erschienen, wahrscheinlich um den 20. April herum. (Vgl. Janssen, II., S. 490; Lamprecht, V., 1., S. 345)

66. Noch weiter ging der biedere Martin einige Wochen später nach der Niederschlagung des thüringischen Aufstandes in einer Vertheidigungsschrift seines Manifestes gegen die Bauern, dem Sendbrief an Kaspar Müller, Mansfeldischen Kanzler, von dem harten Büchlein wider die Bauern. Nachdem er erklärt, wer sein Büchlein tadle, „solle sich vorsehen, er ist aufrührisch im Herzen,“ schreibt er den Bauernaufstand dem Umstand zu, daß es – den Bauern zu gut ging! In dem Krieg sei Gottes Wille geschehen, „damit die Baurn lernten, wie ihnen zu wohl gewest ist und sie gute Tage in Frieden nicht wollten erleiden, daß sie hinfürder Gott lernten dannen, wenn sie eine Kuh müßten geben, auf daß sie der anderen mit Frieden genießen könnten ... Es war keine Furcht noch Scheu mehr im Volk, ein jeglicher thät schier, was er wollte. Niemand wollt nichts geben und doch prassen, saufen, kleiden und müssig gehn, als wären sie allzumal Herrn. Der Esel wie Schläge haben und der Pöbel will mit Gewalt regiert sein.“ (Luther’s Werke, XIX., S. 270, 272.)

67. Luther’s Werke, XIX., S. 264–267.

68. So schrieb er an Dr. Rühl, mansfeldischen Rath, am 30. Mai, man solle die Bauern ohne Federlesens umbringen: „Daß man den Bauern will Barmherzigkeit wünschen, und Unschuldige drunter, die wird Gott wohl erretten und bewahren, wie er Loth und Jeremiä thät. Thut ers nicht, sind sie gewiß nicht unschuldig ... Der weise Mann sagt cibus, onus et virga asino (Futter, Last und Prügel gebühren dem Esel), in einen Bauer gehört Haberstroh. Sie hören nicht das Wort und sind unsinnig; so müssen sie die Virgam, die Büchsen hören, und geschieht ihnen recht. Bitten sollen wir für sie, daß sie gehorche: wo nicht, so gilt’s hie nicht viel Erbarmens. Laßt nur die Büchsen unter sie sausen, sie machens sonst tausendmal ärger ... Wohlan, wer Münzer gesehn hat, der mag sagen, er habe den Teufel leibhaftig gesehn in seinem höchsten Grimm. O Herr Gott, wo solcher Geist in den Bauern auch ist, wie hohe Zeit ists, daß sie erwürgt werden wie tolle Hunde.“ In allen Schriften Luther’s aus jener Zeit sieht man deutlich, daß Münzer ihm als der Gefährlichste unter den Aufrührern erschien. In Thüringen war er es auch.

69. G. Sartorius, Versuch einer Geschichte des deutschen Bauernkrieges, Berlin 1795, S. 319.

70. Die von uns benutzte zweite Auflage führt den Titel Sächsische Chronica (Frankfurt a. M. 1535), ist aber thatsächlich auch nur eine Mansfeldische Chronik.

71. Erschreckliche Geschichte und Gerichte Gottes über Thomas Münzer, Luther’s Werke, XIX., S. 288.

72. Das Famoseste hat wohl Herr Seidemann geleistet, der von Münzer’s Benehmen nach der Schlacht von Frankenhausen schreibt: „Er hatte sich, vielleicht unter den Ersten, vom Schlachtberg geflüchtet.“ Dieses „vielleicht“ ist kostbar! Ebenso gut könnte man natürlich sagen: „vielleicht unter den Letzten,“ denn es fehlt jede Andeutung darüber, in welchem Zeitpunkt der Schlacht Münzer vor den andrängenden Feinden wich. Indeß ist anzuerkennen, daß unser lutherischer Basilio einen mäßigen Gebrauch von seinem „vielleicht“ machte. Er hätte ja ebenso gut schreiben können: „vielleicht vor allen Anderen.“


Zuletzt aktualisiert am: 25. April 2019