Karl Kautsky


Die Agrarfrage




Erster Abschnitt
Die Entwicklung der Landwirthschaft in der kapitalistischen Gesellschaft


IV. Die moderne Landwirthschaft


a) Fleischkonsum und Fleischproduktion

Vermehrte Düngerzufuhr, das heißt, vermehrte Viehhaltung bei Beschränkung der zur Produktion des Viehfutters dienenden Bodenfläche auf der einen Seite, größere Anpassungsfähigkeit an die Bedürfnisse des Marktes, das waren die beiden Haupterfordernisse, denen die neue Laudwirthschaft zu dienen hatte, für deren Entwicklung die bürgerliche Revolution den juristischen Boden geschaffen, nachdem die technischen und gesellschaftlichen Vorbedingungen schon früher gegeben worden.

Die Vermehrung des Viehstandes kam aber einem Bedürfniß nicht nur des Ackerbaues, sondern auch des Marktes entgegen. Wohl war seit dem 16. Jahrhundert der Fleischkonsum auch in den Städten zurückgegangen, aber doch nur relativ, im Verhältniß zur Kopfzahl der städtischen Bevölkerung, nicht immer absolut. Im Gegentheil, die Ausdehnung dieser Bevölkerung nahm vielfach ein rasches Tempo an, und nirgends war in den Städten der relative Rückgang des Fleischkonsums so groß wie auf dem Lande. Bei allem Elend ist in den Städten die Lebenshaltung doch eine höhere, theils in Folge der Rückwirkung der hohen Lebenshaltung der Kapitalisten und Aristokraten, die in den Städten die Früchte ihrer Ausbeutung des ganzen Landes verzehren, theils weil die Konzentration der Lohnarbeiter ihren Lohnkampf erleichtert; ferner auch deswegen, weil die städtische Lebens- und Arbeitsweise mit so vielen Schädigungen der Gesundheit verknüpft ist, daß die Reproduktion der Arbeitskraft in der Stadt eine höhere Lebenshaltung erheischt, als auf dem Lande. Der Städter, der in geschlossenen Räumen arbeitet, vielfach einseitig seine Nerven, nicht seine Muskeln anstrengt, bedarf, will er arbeitsfähig bleiben, in höherem Grade der leichtverdaulichen Fleischnahrung, als der Landarbeiter. Die relativ größere Ausdehnung des Fleischkonsums in der Stadt als auf dem Lande dürfte aber auch dadurch erleichtert worden sein, daß das Vieh vor der Einführung der Eisenbahnen zu demjenigen Produkt der Landwirthschaft zählte, das (in lebenden Zustande) am leichtesten und weitesten hin transportabel war, das der vom Markte entfernt wohnende Landmann am ehesten dahin bringen konnte.

Nach Settegast betragen heute die Transportkosten auf einer Landstraße in Prozenten des Werthes der Waare pro Zentner und Meile: Stroh 15,00, Kartoffeln 10,00, Heu 7,50, Milch, frisches Obst 8,75, Roggen, Gerste, Hafer 2,00, Weizen, Hülsenfrüchte 1,50, lebende Thiere 0,25. Die Differenz zwischen den Transportkosten der anderen Produkte, selbst des Weizens, und denen der lebenden Thiere ist enorm.

Der Unterschied zwischen dem städtischen und ländlichen Fleischkonsum ist in Frankreich zahlenmäßig erfaßt worden. Dort betrug der Fleischkonsum pro Kopf nach der Enquete von 1882 in diesem Jahre

in Paris

      

79,31 Kilogramm

in den übrigen Städten

58,87 Kilogramm

auf dem flachen Lande

21,89 Kilogramm

in ganz Frankreich

33,05 Kilogramm

Seit 1882 zeigt sich übrigens in Frankreich eine Tendenz zur Ausgleichung des Unterschiedes im Fleischkonsum zwischen Stadt und Land. In der Stadt nimmt er ab, auf dem Lande zu. Nach der Enquete von 1892 sank der Fleischkonsum pro Kopf in der städtischen Bevölkerung gegen 1882 von 64,60 auf 58,12 Kilogramm, um 6,48 Kilogramm; indeß er in der Landbevölkerung von 21,89 auf 26,25 Kilogramm, also um 4,36 Kilogramm stieg.

Je rascher die kapitalistische Großindustrie und das Verkehrswesen sich entwickelten und die Städte anwuchsen, desto rascher mußte der Fleischbedarf steigen, auch wenn weder auf dem flachen Lande noch in der Stadt der Wohlstand der Bevölkerung wuchs. Es konnte sogar der Fleischkonsum wachsen und gleichzeitig der Wohlstand innerhalb der Stadt oder auf dem flachen Lande oder gleichzeitig hier wie dort abnehmen, wenn nur die Städte rasch genug zunahmen. Das Wachsen des Fleischkonsums, auf das die apologetischen Nationalökonomen so gern hinweisen, ist nichts weniger als ein untrügliches Zeichen der Zunahme des nationalen Wohlstands; der viel weniger strittige und mehr in die Augen fallende relative, oft auch absolute Rückgang der Volkszahl auf dem flachen Lande, gegenüber der absolut und relativ rasch zunehmenden städtischen Bevölkerung genügt oft das Wachsen des Fleischkonsums zu erklären, soweit es überhaupt stattfindet. Es muß auch gefördert werden durch die Abnahme der Geburtenfrequenz, das heißt die Vermehrung des Prozentsatzes der fleischessenden Altersklassen, den Rückgang der kein oder wenig Fleisch essenden Elemente der Bevölkerung, der kleinen Kinder.

In einem Artikel von von O. Gerlach über Fleischkonsum und Fleischpreise im Handwörterbuch der Staatswissenschaften finden sich mehrere Beispiele von Städten verzeichnet, die in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts im Allgemeinen kein Wachsen, sondern eine Abnahme des Fleischkonsums aufweisen. In München betrug der jährliche Verbrauch an Rind-, Kalb-, Schaf- und Schweinefleisch pro Kopf:

1809/19

  

111 Kilogramm

      

1839/49

  

  86 Kilogramm

1819/29

104 Kilogramm

1849/59

  75 Kilogramm

1829/39

  93 Kilogramm

 

Von da an steigt der Konsum etwas.

In Hamburg wurden von einer Familie im Jahre durchschnittlich an Fleisch verbraucht:

1821/25

  

538 Pfund

      

1841/45

  

429 Pfund

1826/30

523 Pfund

1846/50

339 Pfund

1831/35

452 Pfund

1851

379 Pfund

1836/40

448 Pfund

1852

372 Pfund

Unter den neueren Beispielen abnehmenden Fleischkonsums ist wohl das auffallendste Paris, dessen Bevölkerung von 1887 bis 1896 sich um 300.000 Köpfe vermehrte, indeß sein jährlicher Fleischkonsum in demselben Zeitraum von 185 Millionen auf 173 Millionen sank. Hier findet also nicht blos eine relative, sondern sogar eine absolute Abnahme des Fleischverbrauchs statt. Dies ist jedoch eine ausnahmsweise Erscheinung. In der Regel geht das Wachsthum der Großstädte so rasch vor sich, daß der Fleischkonsum in den Städten und damit im Lande absolut steigt, auch wenn er in den ersteren relativ sinkt.

Die absolute Zunahme des Fleischkonsums wurde ermöglicht durch die Zunahme des Viehbestandes, die die erste Hälfte unseres Jahrhunderts kennzeichnet. In den acht älteren preußischen Provinzen z. B. betrug die Zahl der Schafe:

 

  

Ganz veredelte

  

Halb veredelte

    

Landschafe

      

Zusammen

1816

   719.209

2.367.010

5.174.186

  8.260.405

1849

4.462.913

7.942.718

3.901.297

16.296.928

Ihren Höhepunkt erreichte die Schafhaltung anfangs der sechziger Jahre. 1864 zählte man auf dem genannten Gebiete 19.314.667 Schafe, 1883 nur noch 12.362.936. Dies Sinken ist vornehmlich durch die überseeische Konkurrenz zu erklären, eine Erscheinung, auf die wir noch zu sprechen kommen werden. Mit ihr beginnt eine neue Epoche für die Landwirthschaft. Vorläufig handeln wir im Allgemeinen blos von den Zuständen, die bis in den Anfang der siebziger Jahre galten, wenn wir auch mitunter, wo die Tendenz sich nicht geändert hat und ausreichendes Material aus früherer Zeit nicht vorliegt, neueres Material zur Illustrirung des Gesagten verwenden. Dies sei hier erwähnt, um Mißverständnissen vorzubeugen.

Neben der Schafhaltung hob sich auch der übrige Viehstand. Man zählte in den acht älteren Provinzen Preußens:

 

   

1816

   

1840

   

1864

Pferde

1.243.261

1.512.429

1.863.009

Rindvieh (ohne Kälber)

4.018.912

4.975.727

6.111.994

Schweine

1.494.369

2.238.749

3.257.531

Ziegen

   143,433

   359,820

   871,259

Die Zunahme der Fleischproduktion war jedoch noch größerr, als diese Ziffern angeben, weil gleichzeitig ihn Laufe dieses Jahrhunderts eine bedeutende Vermehrung des durchschnittlichen Gewichts der einzelnen thierischen Individuen eingetreten ist. Thaer rechnet als mittleres lebendes Gewicht einer Kuh 450 Pfund; etwa 25 Jahre später (im Jahre 1834) nimmt Schweitzer für eine Kuh ein mittleres Gewicht von 500–600 Pfund an. Heute giebt es zahlreiche Wirthschaften, in welchen die Kühe durchschnittlich 1.000, auch wohl 1.200 Pfund wiegen.

Nach der französischen Agrarenquete von 1892 betrug in Frankreich das durchschnittliche Fleischgewicht von:

 

   

1862

   

1892

Ochsen, Kühen, Stieren

225 Kilo

262 Kilo

Kälbern

  39 Kilo

  50 Kilo

Schafen

  18 Kilo

  20 Kilo

Schweinen

  88 Kilo

  94 Kilo

Gleichzeitig mit der Zunahme der Fleischproduktion trat aber auch eine Zunahme der Getreideproduktion ein. Diese Erscheinung ist am deutlichsten zu verfolgen in Frankreich seit der Revolution von 1789. Man schätzte dort die Produktion in Millionen Hektolitern:

 

  

1789

  

1815

  

1848

Weizen

34

44

  70

Roggen &c.

46

44

  40

Kartoffeln
 

  2

20

100

b) Fruchtwechselwirthschaft. Arbeitstheilung

Woher diese staunenswerthen Resultat? Sie sind ein Produkt der Umwälzung des ganzen landwirthschachlicheu Betriebs, die in England du Revolutionen des 17. Jahrhunderts, auf dem Festlande Europas der Revolution von 1789 und ihren Ausläufern folgte.

Seitdem der Grundbesitzer das volle Privateigenthum an seinem Grund und Boden erlangt, der Flurzwang, die gemeine Stoppel- und Brachweide aufgehört hatte und die Allmend aufgetheilt worden war, hörte jeder Zwang für ihn auf, sein Vieh noch weiter auf der Weide zu füttern. Die technischen Bedingungen einer höheren Art Viehwirthschaft waren schon gegeben, indem eine Reihe von Futterkräutern eingeführt worden war, die auf gleichen Bodenflächen viel größere Futtermengen lieferten, als das Weideland. Wenn man dieses in Ackerland verwandelte, mit Futterkräutern bepflanzte und das Vieh, statt es auf die Weide zu treiben, auch des Sommers über im Stalle hielt und dort fütterte, konnte man auf dem gleichen Gebiete viel mehr Vieh halten, ohne das Getreideland im Geringsten einzuschränken. Im Gegentheil. Die Vortheile des Anbaus von Futterkräutern und der Stallfütterung waren so groß, daß es keinesweges nöthig war, das gesammte in Ackerland verwandelte Weideland dem Anbau von Futterkräutern zu widmen. Man brauchte nur eilten Theil desselben dazu zu verwenden und konnte doch den Viehstand vermehren. Den anderen Theil des neugewonnenen Laudes konnte man dem Körnerbau zuführen.

Es waren enorme Bodenflächen, die dadurch für den letzteren gewonnen wurden. Nach Roscher konnte man unter der Dreifelderwirthschaft auf mittelmäßigem Boden kaum 20 Prozent der Feldmark mit Brotfrüchten bestellen. Dagegen nahm Thünen an, daß man bei Fruchtwechselwirthschaft und Stallfütterung 55, ja 60 Prozent der Feldmark zum Getreidebau verwenden könne.

Gleichzeitig aber führte der vermehrte Viehstand dem Acker mehr Dünger und zahlreichere thierische Arbeitskräfte zu. Die Bodenbestellung konnte schon dadurch allein eine bessere werden. Nicht nur die Getreidefläche wuchs, auch der Ertrag einer bestimmten Fläche von Getreideboden nahm zu, Dank der Revolution. Der Durchschnittsertrag des Weizens per Hektar wird von der schon erwähnten Enquete in Frankreich folgendermaßen angegeben:

1816–1820

   

10,22 Hektoliter

1821–1830

11,90 Hektoliter

1831–1840

12,77 Hektoliter

1841–1850

13,68 Hektoliter

1851–1860

13,99 Hektoliter

1861–1870

14,28 Hektoliter

1871–1880

14,60 Hektoliter

1881–1890

15,65 Hektoliter

1891–1895

15,83 Hektoliter

Die Wirkungen der Umwälzung der Produktionsverhältnisse blieben aber hier nicht stehen.

Seitdem der Grundbesitzer das volle Privateigenthum an seinem Grund und Boden erlangt, hörte auch der Zwaug anf, gerade nur Getreide auf der nicht der Ernährung des Viehes dienenden Fläche zu bauen. Er konnte auch andere Pflanzen anbauen, die der Markt verlangte, dessen Forderungen für die Bodenkultur immer entscheidender wurden, Pflanzen, die er unter dem alten Dreifeldersystem in der Regel entweder gar nicht oder nur in seinem Garten hatte kultiviren dürfen, Pflanzen, die der Ernährung dienten, wie z. B. Kartoffeln und Hülsenfrüchte, oder Handelspflanzen (Oelgewächse, wie Raps, Mohn &c., Gespinnstpflanzen, wie Flachs oder Hanf, Farbpflanzen, wie Krapp, Waid &c., Gewürzpflanzen, Hopfen, Kümmel, oder sonstige Handelspflanzen, wie Tabak).

Bei dem aufeinander folgenden Anbau dieser verschiedenen Pflanzen und ihrem Wechsel mit Getreide und Futterpflanzen fand man, daß sie nicht alle den Boden in gleicher Weise aussaugten, und daß sich durch eine rationelle Aufeinanderfolge verschiedener Fruchtarten die Erträge sehr steigern ließen. Die einen, Getreide, Oel- und Gespinnstpflanzen, nehmen ihre Nahrung vornehmlich aus der Ackerkrume. Sie sind die bodenzehrenden Pflanzen. Die anderen schonen, ja verbessern den Boden in mancher Beziehung, indem sie durch starke Beschattung das Unkraut vermindern, durch tiefgehende Wurzeln den Untergrund nutzbar machen und den Boden lockern, manche endlich auch dadurch (Klee, Hülsenfrüchte), daß sie den Stickstoff der Luft entnehmen und ansammeln.

Die günstigen Wirkungen des Fruchtwechsels waren schon den alten Römern bekannt. Aber zu einer systematischen Anwendung desselben in größerem Maße kam es erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in England, von wo die Fruchtwechselwirthschaft nach Deutschland und Frankreich gelangte. Allgemein wurde sie erst in unserem Jahrhundert.

Die Fruchtwechseltwrthschaft gestattete eine ungemein große Anzahl von Kombinationen, um den wechselnden Anbau- und Marktbedingungen gerecht zu werden, eine Anzahl von Kombinationen, die in demselben Maße wuchs, in dem der steigende Verkehr und die wissenschaftliche Forschung die europäische Landwirthschaft mit neuen Kulturpflanzen bekannt machten. Nach W. Hecke hat die mitteleuropäische Landwirthschaft an 100 einzelne Arten von Kulturgewächsen im Laufe der Zeit aufgenommen.

Hand in Hand mit der Entwicklung der Fruchtwechselwirthschaft ging aber eine zunehmende Arbeitstheilung unter den einzelnen landwirthschaftlichen Betrieben. Die Dreifelderwirthschaft war auf die Befriedigung des Eigenbedarfs des Bauern und des Grundherrn gerichtet gewesen, sie hatte daher im ganzen mittleren Europa überall dieselben Züge. Jedes Dorf, jeder Bauer produzirte in der Regel dasselbe, wie immer die Bodenverhältnisse sein mochten. Jetzt kann die Produktion für den Markt auf, damit aber auch die Konkurrenz. Nun hieß es für jeden Landwirth, dasjenige unter den verlangten Produkten produziren, was er nach der Bodenbeschaffenheit und dem Standort seines Gutes, nach den Verkehrsverhältnissen, seiner Kapitalkraft und der Ausdehnung seines Grundbesitzes &c. am billigsten zu produziren vermochte. Die einzelnen Wirthschaften entwickelten besondere Spezialitäten. Die einen bevorzugen Feldbau, die anderen Viehzucht, dritte wieder Obstbau oder Weinbau. Die Ackerbauer und Viehzüchter selbst wieder sondern sich in zahlreiche Unterarten. Die einen der letzteren wenden sich der Milchwirthschaft zu, andere der Produktion von Mastvieh, andere der Aufzucht junger Thiere &c. &c.

Besonders weit ist die Arbeitstheilung getrieben in England und den Vereinigten Staaten.

„Man macht in England auch innerhalb einer Nutzthierart noch weitere Unterabtheilungen, so z. B. in der Milchwirthschaft, wo man auseinanderscheidet die Produktion von Milch zum Frischverkauf von der Produktion von Milch zur Butterbereitung und Produktion von Milch zur Käsebereitung. Für jeden besonderen Zweck sind andere Viehrassen und andere Handhabungen der Viehzucht üblich ... Als das klassische Land einer weit ausgedehnten Arbeitstheilung in der Landwirthschaft muß Nordamerika gelten.“ (Backhaus, Die Arbeitstheilung in der Landwirthschaft, Conradsche Jahrbücher, 1894, S. 341)

Diese Arbeitstheilnug kann unter günstigen Umständen (geeignetem Klima und Boden, hohen Arbeitslöhnen, gutem Markt) zu einem Wiederaufleben der Weidewirthschaft führen, jedoch in einer höheren, intensiveren, kapitalistischen Form, die mit großem Aufwand für dauernde Anlagen, für Hilfsdünger, für Kulturarbeiten und für Besatz mit höchst leistungsfähigen Thieren verbunden ist. Eine derartige moderne kapitalistische Weidewirthschaft finden wir z. B. in Südengland. Sie hat jedoch mit der des Dreifeldersystems absolut nichts gemein.

Neben der Arbeitstheilung der einzelnen Betriebe untereinander in der Gesellschaft entwickelt sich nun auch die Arbeitstheilung innerhalb des Betriebs selbst, wenigstens innerhalb des größeren Betriebs.

In der feudalen Landwirthschaft war der größere Betrieb dem kleineren in dieser Beziehung nicht wesentlich überlegen. Die Mehrzahl seiner Arbeitskräfte, sowohl menschlicher als thierischer, wurde jeder Gutsherrschaft von den Gutsunterthanen, den Bauern geliefert, und diese hatten ihre Hand- und Spanndienste mit den eigenen Werkzeugen und Geräthen, Wagen, Pflügen &c. zu verrichten. Der Unterschied zwischen Großbetrieb und Kleinbetrieb bestand da nicht in der besseren Ausstattung und weiter getriebenen Arbeitstheilung des ersteren, sondern darin, daß der dienstpflichtige Bauer hier mit denselben Mitteln so lässig und schleuderhaft als nur möglich Zwangsarbeit für einen Anderen verrichtete mit denen er dort für sich selbst arbeitete, mit all dem Eifer und der Sorgsamkeit, die der Arbeit für sich und die Seinen eigen.

Erst die moderne Landwirthschaft, in der der Landwirth im Großbetrieb ebenso wie im Kleinbetrieb mit eigenen Werkzeugen, eigenem Vieh, eigenen Arbeitern produzirt, konnte im Großbetrieb eine Arbeitstheilung entwickeln, die der im bäuerlichen Betriebe herrschenden wesentlich überlegen war.

Sowohl die Arbeitstheilung innerhalb des Betriebs, wie die Arbeitstheilung der Betriebe untereinander und die Mannigfaltigkeit der Kulturen und Kulturarten fußte zu einer Vervollkommnung der Arbeiter, der Werkzeuge und Geräthe, der Sämereien und der Viehrassen führen. Sie mußte aber auch die Abhängigkeit des Landwirths vom Zwischenhandel enorm vermehren.

Jetzt erzeugt der Bauer nicht nur als Industrieller, sondern auch als Landwirth nicht mehr alles selbst, was er braucht. Er muß nicht nur mehr und theurere Werkzeuge als früher, sondern auch einen Theil seiner Nahrungsmittel kaufen, die sein spezialisirter Betrieb nicht mehr oder nicht mehr ausreichend produzirt. Namentlich wächst mit zunehmender Arbeitstheilung die Zahl der Landwirthe, besonders der kleineren, die den Körnerbau zurücktreten lassen und die daher Getreide oder Mehl kaufen müssen. Auch produziren sie mitunter das Saatgut, in der Regel aber den Nachwuchs an Vieh, wenigstens an Großvieh, nicht mehr in der eigenen Wirthschaft; eigene Betriebe widmen sich der Erzeugüng und Verbesserung der Sämereien und der einzelnen Viehrassen, von ihnen kauft der Landwirth gerade das, wad den jeweiligen Bedürfnissen seines Betriebs am besten entspricht. Anderseits verkauft er wieder Vieh; einestheils solches, das für ihn unbrauchbar geworden ist, z. B. eine Milchwirthschaft Kühe, die nicht mehr genug Milch geben, oder Vieh, welches das dem besonderen Produktionszweck der Wirthschaft entsprechende Stadium erreicht hat, etwa in einem Betrieb, der Jungvieh aufzieht, Thiere, die zur Arbeit oder Milchproduktion reif geworden sind. Je mehr die Wirthschaft spezialisirt ist, je mehr das Vieh für sie nur in der einen oder anderen Form nutzbar ist, desto rascher wird der Umsatz vor sich gehen. Um so mehr entwickelt sich aber auch der Zwischenhandel und macht namentlich den Kleinbauern von sich abhängig, der den Markt nicht übersieht und viel leichter in Zwangslagen kommt. Es wird das eine reichlich fließende Quelle der Uebervortheilung und Ausbeutung des Bauern.

Die Abhängigkeit der Landwirthschaft vom Handel steigt im Allgemeinen umsomehr, je mehr Handel und Verkehr sich überhaupt entwickeln, je mehr die Akkumulation des Kapitals die Verkehrsverhältnisse umwälzt.

Diese, von städtischem Kapital ausgehende Umwälzung vergrößert die Abhängigkeit des Landwirths vom Markte, ändert aber auch unaufhörlich für ihn die Marktverhältnisse. Ein Produktionszweig, der rentabel war, so lange nur eine Landstraße den nächsten Markt mit dem Weltmarkt verband, wird unrentabel und muß durch einen anderen ersetzt werden, wenn eine Eisenbahn durch die Gegend gebaut wird, die z. B. billigeres Getreide hinbringt, so daß der Körnerbau nicht mehr lohnt, gleichzeitig aber eine Absatzmöglichkeit für Milch eröffnet. Der wachsende Verkehr bringt auch immer wieder neue oder verbesserte Kulturpflanzen ins Land, er ermöglicht den Bezug von Zuchtvieh und auch von Nutzvieh aus immer größeren Entfernungen. Englisches Zuchtvieh geht heute nach der ganzen Welt; welchen Umfang die Versendung von Nutzvieh auf weitere Strecken angenommen hat, zeigen uns am besten die Viehzölle und das Geschrei der Agrarier nach Erhöhung derselben, obwohl Vieh nicht blos zum direkten Schlachten, sondern auch für landwirthschaftliche Zwecke, Magervieh zur Mast, Milchvieh, Pferde, importirt wird.

Eine besondere Steigerung erreichte aber der moderne Umwälzungsprozeß der Landwirthschaft, als die in den Städten gewonnenen Errungenschaften der modernen Naturwissenschaft, der Mechanuk, Chemie, Pflanzen- und Thierphysiologie aufs Land hinaustragen wurden.
 

c) Die Maschine in der Landwirthschaft

Vor Allem ist da zu nennen das Maschinenwesen. Die glänzenden Resultate, welche die Maschine in der Industrie erzielte, mußten den Gedanken nahelegen, sie in der Landwirthschaft einzuführen, der moderne Großbetrieb schuf die Grundlagen dafür mit seiner Arbeitstheilung – auf der einen Seite Theilung der Arbeiter in Handarbeiter und wissenschaftlich gebildete Arbeiter, auf der anderen Seite Spezialisirung der Werkzeuge und Geräthe und ihre Anpassung an besondere Vorrichtungen – und mit der Massenproduktion für den Markt.

Der Maschinenbetrieb hat jedoch in der Landwirthschaft größere Hindernisse zu überwinden als in der Industrie. Zunächst technischer Art. In der Industrie wird die Arbeitsstätte, die Fabrik, künstlich geschaffen und wird daher den Anforderungen der Maschine angepaßt. In der Landwirthschaft wird die Arbeitsstätte der meisten Maschinen von der Natur geschaffen, die Maschine soll sich ihr anpassen. Das ist nicht immer leicht möglich, mitunter völlig ausgeschlossen. In der Regel muß der Anwendung der Maschine in der Landwirthschaft schon ein hoher Grad der Kultivirung des Bodens vorausgegangen sein.

Aber nicht nur technische, sondern auch ökonomische Schwierigkeiten stellen sich der Anwendung der Maschine in der Landwirthschaft entgegen. In dieser wird die Mehrzahl der Maschinen nur während eines kurzen Zeitraums im Jahre benutzt, in der Industrie jahraus jahrein.Unter sonst gleichen Umständen wird also die Ersparniß an Arbeitskraft durch die Maschine bei dieser eine weit größere sein. Wenn von zwei Maschinen eine jede 10 Arbeitskräfte im Tag ersetzt, die eine aber blos 10 Tage im Jahre, die andere 300 Tage in Thätigkeit ist, so wird die jährliche Arbeitsersparniß bei der einen 100 Arbeitstage, bei der anderen 3.000 betragen. Verschleißt eine jede in 5 Jahren, so wird die gesammte Arbeitsersparniß durch die agrikole Maschine 500 Arbeitstage, die durch die industrielle 15.000 betragen. Das heißt aber, wenn etwa der Werth jeder dieser Maschinen gleich 1.000 Arbeitstagen ist, daß die Einführung der industriellen Maschine eine Ersparniß von 14.000 Arbeitstagen, die der agrikolen dagegen eine Verschwendung von 500 Arbeitstagen bedeutet.

Das Verhältniß verschlechtert sich für die Landwirthschaft noch dadurch, daß in der kapitalistischen Produktionsweise die Maschine nicht die Aufgabe hat, Arbeitskraft, sondern Arbeitslohn zu sparen. Je niedriger die Löhne, desto schwieriger die Einführung von Maschinen. Auf dem Lande sind aber in der Regel die Löhne aus einer Reihe von Gründen viel niedriger als in der Stadt, der Antrieb, die menschliche Arbeitskraft durch die Maschine zu ersetzen, also geringer.

Dazu kommt noch ein anderer Unterschied zwischen Industrie und Landwirthschaft. Die Maschine in der Industrie bedarf in der Regel nicht intelligenterer und geschickterer Arbeiter, wie das Handwerk oder die Manufaktur. Die Arbeitskräfte, welche die der Großindustrie vorhergehenden industriellen Produktionweisen anfziehen, genügen ihr. Und der Arbeiter, der an derselben Maschine jahraus jahrein arbeitet, erlangt bald eine außerordentliche Geschicklichkeit in ihrer Bedienung.

Anders steht’s mit den landwirthschaftlichen Maschinen. Sie sind oft sehr komplizirt und verlangen zu ihre Bedienung schon eine bedeutende Intelligenz. Gerade auf dem Lande aber sind in den letzten Jahrhunderten die Bedingungen der Volksbildung und der Entwicklung der Intelligenz sehr ungünstig gewesen. Die Maschine findet da sehr oft nicht die Arbeitskräfte, deren sie bedarf.

Der Landarbeiter arbeitet aber auch nicht das ganze Jahr an derselben Maschine, er kann sich daher nicht so leicht an ihr einüben, wie der Industriearbeiter.

Endlich wird die Landwirthschaft im Gegensatz zur Großindustrie oft fern von Eisenbahnen und von Maschinenwerkstätten betrieben; dadurch wird der Transport schwerer Maschinen und die Reparatur namentlich komplizirterer Maschinen sehr erschwert und vertheuert.

Trotz aller dieser Schwierigkeiten nimmt die Anwendung der Maschinen in der Landwirthschaft rasch zu, ein Beweis dafür, welche Vollkommenheit sie erreicht haben.

Für Frankreich haben wir vergleichbare Zahlen für die Entwicklung binnen drei Jahrzehnten. Man zählte dort in der Landwirthschaft:


   

1862

   

1882

   

1892

Dampfmaschinen und Lokomobilen

    2.849

    9.288

  12.037

Dreschmaschinen

100.733

211.045

284.380

Säemaschinen

  10.853

  29.391

  47.193

Mäh- und Rechmaschinen

  18.349

  35.172

  62.185

Im Deutschen Reich zählte man laudwirthschaflliche Betriebe mit Anwendung von

 

   

1882

   

1895

Dampfpflügen

       836

    1.696

Säemaschinen

  63.842

  20.673

Mähmaschinen

  19.634

  35.084

Dampfdreschmaschinen

  75.690

259.069

anderen Dreschmaschinen

298.867

596.869

Also überall, namentlich bei den Dreschmaschinen, eine starke Zunahme, mit Ausnahme der Säemaschinen, die durch die Drillmaschinen verdrängt werden, nach denen man 1882 gar nicht fragte. 1895 waren sie in 140.792 Betrieben im Gebrauch.

Die Heimath des landwirthschaftlichen Maschnenwesens ist England. Es hatte das Maschinenwesen in der Industrie früher entwickelt, als ein anderes Land, es bot aber auch für das Eindringen der Maschine in der Landwirthschaft die besten Vorbedingungen. Als solche führt Perels an: Das Land befindet sich fast überall in hohem Kulturzustand. Die Landwirthe sind in der Regel Kapitalisten, und Maschinenfabriken sind zahlreich vorhanden, fast jede kleinere Stadt besitzt eine, so daß Reparaturen keine allzugroßen Schwierigkeiten machen.

Neben England waren es die Vereinigten Staaten, die das landwirthschaftliche Maschinenwesen entwickelten, getrieben durch den Mangel an Landarbeitern und deren Lohnforderungen. Erleichtert wurde diese Entwicklung durch die hohe Intelligenz des amerikanischen Arbeiters, erschwert durch die geringe Kultivirung des Bodens und die Entfernung der meisten landwirthschaftlichen Betriebsstätten von Maschinenfabriken. Die amerikanischen landwirthschaftlichen Maschinen sind daher anderer Art, wie die englischen, viel einfacher und kräftiger konstruirt, ihre Arbeit ist aber auch nicht immer eine so vollkommene wie die der englischhen.

In Deutschland liegen die Verhältnisse der Entwicklung des landwirthschaftlichen Maschinenbetriebs weniger günstig. Im Westen und Süden ist der Boden zu stark parzellirt; im Osten herrscht zwar der Großbetrieb vor, aber die Lebenshaltung und die Kultur der Landarbeiter ist dort eine zu niedrige, Maschinenwerkstätten liegen zu fern. Im vortheilhaftesten sind die Verhältnisse in der Provinz Sachsen., wo wir Großbetrieb, eine intelligente Arbeiterbevölkerung und zahlreiche Maschinenfabriken finden. In ganz Baden findet sich nur ein Dampfpflug, in ganz Württemberg keiner, dagegen wurden Dampspflüge in der Provinz Sachsen allein in 428 Betrieben angewendet. Aber auch im übrigen Deutschland weiß die Maschine die ihr entgegenstehenden Hindernisse siegreich zu überwinden, wie außer der obigen Statistik der rasche Aufschwung der Fabrikation landwirthschaftlicher Maschinen beweist. Ausgenommen Dampfpflüge, die immer noch England besser herstellt, und Mähmaschinen, die zum großen Theil aus den Vereinigten Staaten bezogen werden, erzeugt Deutschland alle die unzähligen Maschinen selbst, deren die Landwirthschaft heute bedarf.

Die Ersparniß an Arbeitkraft ist nicht der einzige Zweck der Maschinerie. In der Landwirthschaft tritt er mitunter sogar hinter anderen Zwecken zurück. Am meisten dürfte er bei der Dreschmaschine im Vordergrund stehen. Ihr schreiben auch viele Agronomen, wie z. B. Th. v. d. Goltz, einen entscheidenden Einfluß auf die Entvölkerung des flachen Landes zu.

„Wie nützuch und unentbehrlich auch die Dreschmaschine für den landwirthschaftlichen Betrieb ist, so hat ihre umfassende Anwendung doch auf die ländlichen Arbeiterverhältnisse eine unheilvolle Wirkung ausgeübt. Der Drusch mit dem Flegel war früher die Hauptbeschäftigung der Landarbeiter während des Winters. Der Maschinendrusch erfordert sehr viel weniger Personen; er wird häufig, um möglichst bald viel verkäufliches Getreide zu erhalten, zum größten Theil schon im Herbst vorgenommen, namentlich dort, wo man den Dampfdrusch anwendet.“

Um dem Uebel abzuhelfen, schlägt v. d. Goltz „die Beschränkung in der Anwendung der Dreschmaschine und besonders der Dampfdreschmaschine“ vor, anscheinend im Interesse der Landarbeiter, thatsächlich im Interesse der Gutsbesitzer, denen, wie er selbst sagt, „der an dieser Beschränkung erwachsende Nachtheil reichlich aufgewogen wird, wenn auch nicht sofort, so doch in der Zukunft durch die größere Zahl der im Sommer verfügbaren Arbeitskräfte“ (Die ländliche Arbeiterklasse und der preußische Staat, S. 144, 145)

Zum Glück ist diese konservative Arbeiterfreundlichkeit nichts als eine reaktionäre Utopie. Die Dreschmaschine ist „sofort“ zu profitabel, als daß die Gutsbesiter ilmi eines Profits um „der Zukunft“ wille von ihrer Anwendung absehen wollten. Und so wird sie fortfahren, ihre revolutionäre Thätigkeit zu üben; sie wird die Landarbeiter in die Stadt treiben, und dadurch ein kräftiges Mittel werden, auf der einen Seite die Arbeitslöhne auf dem flachen Laude zu heben, auf der anderen die weitere Entwicklung des Maschinenwesens daselbst zu fördern.

Wie schon das obige Zitat zeigt, ist die Dreschmaschine wichtig nicht nur, weil sie Arbeitskraft erspart, sondern auch weil sie weit schneller arbeitet als die menschlichen Arbeitnfte. Diese Schnelligkeit ist von nicht geringer Bedeutung, seitdem die Produktion für den Markt an Stelle der Produktion für den Selbstgebrauch getreten ist. Jetzt gilt es, die Marktkonjunkturen rasch ausnutzen, das kann aber der Getreideproduzent um so leichter, je eher sein Getreide marktfähig, d. h. ausgedroschen ist. War das Dreschen ehedem eine der Winterarbeiten, die neben der häuslichen Industrie den Landmann beschäftigten, so findet jetzt das Dreschen immer mehr durch Anwendung der Dampfdreschmaschine unmittelbar nach der Ernte auf freiem Felde statt, wodurch die Zeit zum Einfahren erspart und die Verluste an Körnern vermieden werden, die bei einigen Früchten, z. B. Raps, stets beim Auf- undAbladen entstehen. Peres weist in seiner Schrift über Die Bedeutung des Maschinenwesens für die Landwirthschaft auf Fälle hin, „wo sich die erheblichen Kosten der Dampfdreschmaschine durch einen einzigen günstigen Verkauf der schneller marktfähig hergestellten Waare bezahlt gemacht haben“.

Noch mehr als bei der Dreschmaschine beruht bei den Erntemaschinen ihre Bedeutung neben der Arbeitsersparniß in der größeren Schnelligkeit ihrer Leistungen. Der Betriebserfolg des ganzen Jahres hängt von dem Ausfall der Ernte ab. Diese ist auf wenige Tage zusammengedrängt. Jeder Zeitverlust kann großen Schaden bringen. Eine Maschine, die den Zeitaufwand möglichst reduzirt, ist da von höchstem Werthe; die Arbeits- und Zeitersparniß macht aber auch den Landwirth unabhängiger von seinen Arbeitern, die zur Zeit der Ernte am unentbehrlichsten sind und daher um diese Zeit ihre höchsten Lohnforderungen stellen, an leichtesten zu Strikes geneigt sind. Es ist bezeichnend, daß selbst Betriebe, die noch mit der Hand mähen lassen, mitunter Mähmaschinen einstellen, ohne sie anzuwenden, blos um gegen Strikes geschützt zu sein. So erzählt Kärger in seinem Buche über die Sachsengängerei, daß Mähmaschinen sich in der Provinz Sachsen auf allen größeren Rübengütern finden, aber in der Hauptsache nur als ein Mittel, einen Arbeiterstrike zu verhindern. Das Mähen mit der Hand wird dort vorgezogen, so lange die Arbeiter zahlreich und willig, da das Getreide in Folge der kräftigen Düngung gern lagert, wodurch die Maschine unwirksam wird. Seitdem Kärger diese Mittheilung gemacht hat (1890), sind übrigens Mähmaschinen erfunden worden, die auch lagerndes Getreide zu mähen im Stande sind.

Aber die Maschine ersetzt nicht nur den Menschen, sie vollbringt Leistungen, die dieser entweder gar nicht oder nie so vollkommen vollbringen kann. Sie erreicht das entweder durch ihre größere Präzision oder durch ihre größere Kraft.

Zu den Maschinen der ersteren Art gehören die Säemaschinen, die Düngervertheiler und die Getreidereinigungsmaschinen.

Das Säen des Samens geschieht mit Maschinen viel besser, als mit der Hand. Daher verdrängt die Maschinensaat die Handsaat auch dort, wo diese billiger ist.

Die Drill- und Dibbelmaschinen haben erst die Drill. und Dibbelkultur (Reihensaat) auf größeren Flächen möglich gemacht; durch sie werden Resultate erzielt, die bei dem breitwürfigen Streu unerreichbar sind. „Die höchsten Erträge können nur durch eine sorgsam ausgeführte Drillsaat gewonnen werden.“ (Settegast)

An Stelle des Worfelns mit der Schaufel, „an dem heute noch mancher strenggläubige Bauersmann festhält, behauptend, es liefere die vorzüglichste Saatfrucht“, sind die Getreidereinigungs- und die Samensondermaschinen, die Trieurs, getreten, die alle Unkrautsamen und andere Unreinigkeiten, sowie beschädigte Samen entfernen, die Samenkörner nach Größe, Gewicht und Form sortiren und so ein gutes Saatgut und gleichmäßige, reine Marktwaare herstellen.

Unter den Maschinen, deren hervorragende Leistung hauptsächlich durch ihre große Kraftentfaltung bedingt wird, ist in erster Linie zu nennen der Dampfpflug. Das Getreide bedarf nicht unbedingt eines tiefen Pflügens, um zu gedeihen. unter der Herrschaft des Dreifeldersystems wurde daher nicht sehr tief gepflügt.

„Noch Eckhard giebt (1754) in seiner Experimentalökonomie als beste Tiefe der Pflugfurche je nach der Beschaffenheit des Bodens 2½, 3 bis höchstens 4 Zoll und nur als Ausnahme bei bestimmten Bodenarten 5 bis 6 Zoll an. Er warnt ausdrücklich vor tieferer Bearbeitung des Ackers. Aehnliche Angaben finden sich selbst noch in H. H. Zickens Allgemeinem ökonomischem Lexikon (5. Ausgabe 1780).“ (Th. v. d. Goltz, Ackerbau im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, I, S. 28)

Als aber die Fruchtwechselwirthschaft aufkam, da fand man bald, daß einige der neu angebauten Gewächse, Klee, Kartoffeln, Rüben, bei tieferem Pflügen besser gediehen. Man erfand neue Pflüge, verstärkte die Bespannung, um tiefer zu pflügen, und fand, daß dadurch auch die Getreidekultur vortheilhaft beeinflußt wurde. Durch die Tiefbearbeitung wird der Einfluß zu großer Nässe wie anhaltender Trockenheit vermindert. Auch erwärmt sich der tief bearbeitete Boden leichter als der flach kultivirte, und er ist dem Unkraut weniger günstig.

Vor Allem aber bezweckt die Tiefkultur, der Pflanze zur Ausbreitung ihrer Wurzeln eine größere Menge solchen Bodens als bisher zur Verfugung zu stellen, in welchem sie die Bedingungen ihrer Entwicklung findet.

In jeder rationellen Wirthschaft wird heute viel tiefer gepflügt, als am Anfang unseres Jahrhunderts. Waren damals 4 Zoll die Regel, so jetzt das Doppelte, und bei der Tiefkultur geht man auf 12, 15 und mehr Zoll.

„In der Tiefkultur beruht die Zukunft unseres Ackerbaus ... um die Tiefkultur durchgreifend durchzuführen, bedarf es aber einer stetigeren und wirksameren Betriebskraft, als der animalischen.“ (Perels.) Eine solche Triebskraft lieferte die Dampfmaschine.

Der schon mehrfach zitirte Perels, der vielleicht am meisten der Verbreitung des Dampfpflugs in Deutschland beigetragen, schreibt über diesen:

„Die Vorzüge der Dampfkultur gegenüber der Spannkultur sind namentlich in folgenden Momenten zu suchen:

„1. Es ist zweifellos und wird auch von keiner Seite bestritten, daß die Arbeit des Dampfpfluges eine weitaus bessere ist, als die des Spannpfluges ...

„Die bessere Arbeit des Dampfpfluges spricht sich in einer größeren Erntesicherheit und in höheren Erträgen aus; es ist dies überall da nachgewiesen, wo der Dampfpflug mehrere Jahre hindurch im Betrieb war.

„Ein weiterer Vorzug des Dampfpflugs besteht darin, daß man die Bodenbearbeitung rechtzeitig beginnen und vor Eintritt des Spätherbstes beendigen kann. Unmittelbar nach der Ernte, also zu einer Zeit, in welcher in den meisten Wirthschaften weder Arbeiter noch Spannvieh zum Pflügen verfügbar sind, ist man im Stande, mit dem Umbrechen der Felder zu beginnen ... Im Spätherbste, wenn sonst die Arbeit eingestellt werden müßte, arbeitet der Dampfpflug noch ohne erhebliche Schwierigkeiten, so daß die Bodenbearbeitung vor Eintritt des Winters beendigt werden kann. Namentlich für Gegenden, in welchen der Winter sehr zeitig eintritt, ist dieser Vortheil des Dampfpflugs gebührend zu berücksichtigen.“ (Die Anwendung der Dampfkraft in der Landwirthschaft, S. 307 bis 309)

Wenn trotz dieser Vorzüge der Dampfpflug sich in vielen Gegenden nicht einzubürgern vermag, so liegt das daran, daß die oben erwähnten Hindernisse der Anwendung der Maschine in der Landwirthschaft dem Dampfpflug gegenüber noch mehr als gegenüber jeder anderen Maschine wirksam sind. Er ist nicht anwendbar, wo erhebliche Terrainschwierigkeiten sich ergeben, wo sich viele und große Steine im Boden befinden, auf versumpften Aeckern und kleinen Parzellen. Das Anlernen der Arbeiter ist nicht leicht, Reparaturen werden öfter nothwendig; vor Allem aber stehen der Anwendung des Dampfpflugs seine großen Kosten im Wege. Dampfpflüge mit zwei Lokomotiveu kosten 40.000 Mark und darüber, solche mit einer Lokomotiv, die weniger rationell, über 30.000 Mark. Ihre Benützung wird jetzt – ebenso wie die der Dampfdreschmaschinen – durch ein Miethsystem erleichtert.

England, die Heimath des Dampfpfluges, wendet ihn auch am meisten an. Erst anfangs der fünfziger Jahre gelang es, einen praktisch brauchbaren Dampfpflug herzustellen. Noch 1867 kam die Dampfbodenkultur nach den Berichten der Royal Agricultural Society nur auf 135 Gütern zur Ausführung. Dagegen ergaben die offiziellen Erhebungen bei der Ausstellung zu Wolverhampton 1871 das Resultat, daß zur Zeit schon mehr als 2.000 Dampfpflüge in England thätig waren. In Deutschland dagegen gab es ihrer damals nur 24. Indeß zählte man 1882 bereits 836 Betriebe, die Dampfpflüge anwendeten, 1895 1.696. In den größeren Wirthschaften der Provinz Sachsen sind sie allgemein.

Auch auf den größeren Gütern in Oesterreich und Ungarn findet der Dampfpflug steigende Verwendung.

Aber nicht blos zum Pflügen, und ebenso zum Walzen, Eggen &c. bedarf die Landwirthschaft der Dampfmaschine. Auch beim Dreschen erweist sich diese der Pferdegöpelmaschine weit überlegen – von der Handgöpelmaschine gar nicht zu reden. In den sächsischen Rübenwirthschaften, wahren Musterwirthschaften intensiver Kultur, wird das Getreide, abgesehen von Roggen, dessen Stroh an Bandstroh dienen soll, regelmäßig mit der durch Dampfkraft bewegten Maschine ansgedroschen. Selbst bei den Bauern ist der „Göpel an der Dreschmaschine fast ganz durch die Lokomobile ersetzt. (Kärger, a. a. O., S. 13)

Auch als Pumpwerk bei Bewässerungs- und Entwässerungsanlagen thut die Dampfmaschine gute Dienste, sowie endlich bei der Bereitung des Viehfutters, seiner Dämpfung, bei Mahlmühlen, Häckselmaschinen, Holzsägen &c.

Wüst erklärt im Goltzschen Handbuch der Landwirthschaft, II, S. 721: „Trotz der schlechten Ausnützung der Wärme ist die Dampfkraft doch die billigste und fast überall anwendbare Kraft für die Landwirthschaft.“

Die Zahl der Dampfmaschinen in der Landwirthschaft ist denn auch in rascher Zunahme begriffen. Man zählte in Preußen feststehende und bewegliche Dampfmaschinen:

 

 

1879

 

1897

 

Prozentuelle
Zunahme

Zahl

 

Pferdestärken

Zahl

 

Pferdestärken

Zahl

 

Pferdestärken

In der Landwirthschaft

  2.731

  24.310

12.856

   182.805

470 %

546 %

In Bergbau, Industrie, Verkehr
(abgesehen von Eisenbahnen und Dampfschiffen)

82.606

910.574

68.204

2.748.994

209 %

302 %

Man sieht, die Zunahme der landwirthschaftlichen Dampfmaschinen war nicht nur absolut eine ungeheure, sondern auch eine raschere als in den übrigen Gewerbszweigen.

Vielleicht ist aber die Elektrizität berufen, auch auf diesem Gebiet noch größere Triumphe zu feiern, als der Dampf, einerseits diesen aus Verrichtungen zu verdrängen, deren er sich bemächtigt, und andererseits menschliche und thierische Arbeitskraft bei Verrichtungen zu ersetzen, die bisher dem Dampf unzugänglich geblieben. Wo die Lokomobile und die Drahtseiltransmission nicht hin kann, dahin läßt sich noch mit Leichtigkeit die elektrische Kraft übertragen. Diese läßt sich auch ohne Schwierigkeit theilen, und sie bedarf nicht unbedingt der Kohle zu ihrer Erzeugung. In Gegenden, in denen wegen zu großer Entfernung von Kohle der Dampfbetrieb nicht lohnen würde, die aber billige Wasserkraft aufweisen, kann die Elektrizität das Maschinenpflügen rentabel machen. Der elektrische Pflug ist aber auch erheblich leichter, als der Dampfpflug. „Die großen Dampfpflügewagen, deren Dampfmaschinen bis 50 Pferdestärken leisten, wiegen in dienstfertigem Zustand, also mit Wasser und Kohle, bis 22 Tonnen, während die kleineren selten unter ein Gewicht von 14 bis 16 Tonnen kommen.“ Der elektrische Pflugwagen wiegt bei 20 Pferdestärken 8 Tonnen, bei 50 Pferdestärken 12 Tonnen.

„Der Hauptvortheil der elektrischen Pflüge gegenüber den Dampfpflügen ist in dem geringen Gewicht der ersteren zu erblicken, wodurch die Anwendung maschinellen Betriebs für das Pflügen in manchen Fällen, wo hügeliges Terrain und weicher Boden vorhanden ist, überhaupt erst ermöglicht wird, und wodurch außerdem die Leistungsfähigkeit bei gleichem Gewicht gegenüber den Dampfpflügen bedeutend gesteigert werden kann.“ (C. Köttgen, Ist die Elektrotechnik nach dem heutigen Stande ihrer Entwicklung schon befähigt, mit begründeter Aussicht in den Dienst der Landwirthschaft zur Erhöhung des wirthschaftlicheu Reinertrags zu treten?, Thiels Landwirthschaftliche Jahrbücher, XXVI, Heft 4 bis 5)

Mehrfach wird die Elektrizität bereits praktisch auf Landgütern angewendet. Ein befreundeter Fachmann berichtet uns von einer elektrischen Anlage auf dem Gute eines Herrn F. Prat im Departement Tarn (Frankreich).

Ein Wasserfall, der 30 Pferdestärken liefern kam, treibt eine Turbine, welche wiederum mit einer Dynamomaschine verkoppelt ist. Die Dynamomaschine ist fähig, einen Strom von 40 Ampères und 375 Volts zu liefern. Ueber das Gut hin laufen Drähte, durch Stangen in der gewöhnlichen Weise getragen. und von diesen Drähten wird der Strom genommen, wo er gebraucht wird.

Bis jetzt wird die Kraft fast ausschließlich zum Pflügen gebraucht, vermittelst eines Haspelmotors von 18 Pferdekräften.

Neben anderen Vortheilen hat das Vorhandensein elektrischer Kraft auch den, daß die ganze Gutsfläche elektrisch beleuchtet werden kann. Das ermöglicht es, in dringeuden Fällen, z. B. während der Erne, die Feldarbeit auch bei Nach zu betreiben – allerdings ein Vortheil mehr für den Gutsbesitzer, an für seine Lohnarbeiter.

Auch in Deutschland sind bereits Landgüter mit elektrischen Anlagen zu finden. Im September vorigen Jahres wurde sogar aus Kolberg von Versuchenberichtet, zur Verbessernung und Verbilligung des landwirthschaftlichen Betriebs sechziger Güter von einer Zentrale aus mit elektrischer Kraft zu versorgen. Doch haben wir über den Erfolg dieser Versuche nichts gehört.

In den kraftsparenden mechanischen Einrichtungen darf man neben den Maschinen auch die Feldbahnen rechnen. Die Transportkosten spielen in der Landwirthschaft eine große Rolle. Sie hat große Massen von verhältnißmäßig geringem Werth, Dünger, Stroh, Heu, Rüben, Kartoffeln &c., auf weitere Entfernungen zu bewegen. Die Anlage von guten Wegen kostet viel Geld und nimmt viel Raum weg. Auf den besten Feldwegen sind aber die Reibungswiderstände noch sehr groß. Da erweisen sich die Feldeisenbahnen als sehr vortheilhaft. Ein Gespann kann auf einer Feldbahn das Vierfache der Last leicht bewältigen, die es auf der Chaussee fortzubewegen vermöchte. Und eine Feldeisenbahn kann ohne Vorbereitungen und mühelos selbst dort gelegt werden, wo die Anlage eines Weges unmöglich ist, über Moore, beackerte Felder, sumpfige Wiesen &c. Die Feldbahn erspart nicht nur Gespannarbeit, oft macht sie erst größere Materialtransporte möglich, ohne die manche Meliorationen nicht durchführbar sind.

Auch die Meliorationen gehören in ihrem wesentlichsten Theil – Bewässerungs- und Entwässerungsanlagen, noch zu den mechanischen Hilfsmitteln der Landwirthschaft. Im Gegensatz zu den bisher behandelten sind sie uralt. Im Orient finden wir solche Anlagen schon in vorhistorischer Zeit. Aber in Europa nördlich der Alpen hat sich das Meliorationswesen unter der Dreifelderwirthschaft nur kümmerlich entwickelt. Bewässerungsanlagen machte das Klima nicht nothwendig, feuchtes Land wurde als Wiese verwendet; so lange noch viel Neuland, Waldland und Weide, urbar zu machen war, fehlte der Antrieb, wohl auch die Arbeitskraft zu Meliorationen im engeren Sinne. Als aber die Bevölkerung dichter wurde, da begannen die feudalen Lasten den Bauer zu erdrücken und ihm Kraft und Mittel zu Meliorationen zu nehmen. Erst die Revolution schuf auch dazu die Vorbedingungen.

Unter den modernen Meliorationen ist besonders wichtig die Drainirung geworden, die Entwässerung des Bodens durch ein unterirdisches Netz gebrannter Thonröhren, eine Verbesserung, die erst ermöglicht wurde durch die Fortschritte der Ziegelfabrikation. Sie macht den Boden trockener, milder, lockerer und erleichtert seine Bearbeitung, er erwärmt sich leichter und andauernder, „so daß die Folgen der Entwässerung einer Aenderung des Klimas gleichkommen.“ (Hamm) In Schottland machte man die Erfahrung, daß die Ernten auf drainirtem Boden denjeuigen des nichtdrainirten um 10 bis 14 Tage voraus zu sein pflegen.

In England hat die Drainage den Rohertrag schon kultivirter Grundstücke und durchschnittlich 20 bis 30 Prozent gesteigert, mitunter aber soll die Steigerung des Ertrages 100 bis 200 Prozent betragen. Viele Felder wurden erst durch die Drainage für den Bau von Halmgewächsen und Futterkräutern geeignet.
 

d) Dünger, Bakterien

Nicht minder als der Ingenieur haben der Chemiker und der Physiologe, dieser namentlich mit Hilfe des Mikroskop die Landwirthschaft umgewälzt.

Unter der Dreifelderwirthschaft nulßte alles Vieh ohne Ausnahme mit dem Futter vorlieb nehmen, das Weide und Wiese eben boten. Heute hat die Entwicklung des Verkehrs der Landwirthschaft unzählige Futtermittel zu Verfügung gestellt; neben solchen, die der Landwirth baut, auch solche, die er kauft, namentlich solche, die als Produkte oder Rückstände der Industrie billig zu haben sind, so daß er seinen eigenen Grund und Boden vortheilhafter mit anderen als Futterpflanzen bebaut. Die Thierphysiologie aber zeigt ihm den Werth der verschiedenen Futtermittel, lehrt ihn, sie dein Alter, Geschlecht, der Rasse, der Benutzung des Viehs zweckentsprechend anzuwenden und herzurichten – wobei, wie wir schon gesehen, die Maschine eine große Rolle spielt – so daß sie das Vieh am leistungsfähigsten erhalten und den größten Nutzeffekt gewähren.

Die Pflanzenphysiologie aber macht ihn mit den Bedingungen bekannt, die er der Pflanze zu bieten hat, daß er, ohne Verschweudung an Material, Zeit und Kraft, die reichsten und dauerndsten Erträge erzielt. Neben der mechanischen Bearbeitung des Bodens, bei der, wie wir gesehen, die Maschine eine große Rolle spielt, kommt dabei vor Allem in Betracht die Düngung, die Sorge dafür, daß der Boden die löslichen Stoffe im richtigen Verhältnisse enthält, deren die Pflanze zu ihrem Wachsthum bedarf. Die Chemie macht ihn nicht nur mit diesen Stoffen bekannt, sie produzirt auch diejenigen künstlich selbst, die dem Boden fehlen, und die der Landwirth nicht genügend oder nicht ohne übermäßige Kosten im eigenen Betriebe erzeugen könnte.

Der Stallmist allein reicht nicht aus, das Gleichgewicht der modernen Landwirthschaft aufrecht zu halten, die für den Markt produzirt, lind zwar für einen Markt, der die empfangenen Nahrungsstoffe, die er erhält, zum weitaus größten Theile nicht mehr zurückgiebt.

Der Boden wird dabei immer ärmer an jenen mineralischen Bestandtheilen, aus denen die Kulturpflanzen sich aufbauen. Die verbesserten Kulturmethoden, Anbau von Futterpflanzen mit tiefer gehenden Wurzeln, tieferen Pflügen &c. vermehrten allerdings den Ertrag der Felder, aber nur durch intensivere und raschere Ausraubung, Erschöpfung des Bodens.

„Die Bodenfruchtbarkeit läßt sich allerdings auf Kosten des Nährstoffreichthums erheblich steigern, und zwar mit Hilfe der fortschreitenden physikalischen Verbesserung des Bodens durch starke Anwendung von Stallmist, mechanische Lockerung, Haltung &c. Auf die Dauer wird jedoch dies Verfahren nicht allein auf die Verminderzu des Bodenreichthums, sondern schließlich auch auf die der Bodenfruchtbarkeit einwirken.“ (Werner)

Es ist eines der unsterblichen Verdienste Liebigs, diese Thatsache aufgedeckt und den intensiven Raubbau, den die verbesserte Bodenkultur in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts darstellte, entschieden bekämpft zu haben. Er vertrat den Grundsatz, daß die Fruchtbarkeit unserer Felder nur dann eine dauernde, ja stets zunehmende sein werde, wenn man ihnen die Bestandtheile wieder zurückgiebt, die ihnen in den landwirthschaftlichen Marktprodukten entzogen werden. Die Abfallsstoffe der Städte müssen der Landwirthschaft wieder zufließen. In seinem Werke über Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie (I. Theil: Der chemische Prozeß der Ernährung der Vegetabilien) schrieb er unter Anderem:

„Eine Vereinigung von Zufälligkeiten (Einführung des Kleebaus, Entdeckung von Guano, Einführung des Kartoffelbaus und die Gipsdüngung) hat die Einwohnerzahl in allen europäischen Staaten in einem dem Produktionsvermögen dieser Länder nicht entsprechenden und darum unnatürlichen Verhältnisse gesteigert und auf eine Höhe gehoben, auf der sie sich, wenn die gegenwärtige Bewirthschaftung dieselbe, nur erhalten kann unter zwei Voraussetzungen:

„1. Wenn durch ein göttliches Wunder die Felder ihre Ertragsfähigkeit wiedererlangen, welche ihnen der Unverstand und die Unwissenheit genommen hat.

„2. Wenn Mist- oder Guanolager entdeckt werden von der Ausdehnung etwa, wie die englischen Kohlenfelder.

„Kein Verständiger wird die Verwirklichung dieser Voraussetzungen für wahrscheinlich oder möglich halten ...

„Es hat die Einführung der Waterklosets in den meisten Städten Englands zur Folge, daß jährlich die Bedingungen zur Wiedererzeugung von Nahrung für 3½ Millionen Menschen unwiederbringlich verloren gehen.

„Die ganze ungeheure Menge von Dungstoffen, welche England jährlich einführt, fließt zum bei weitem größten Theile wieder in den Flüssen dem Meere zu, und die damit erzeugten Produkte reichen nicht aus, um den Zuwachs der Bevölkerung zu ernähren.

„Das Schlimme ist, daß der nämliche Prozeß der Selbstvernichtung in allen europäischen Ländern, wenn auch nicht in dem großen Maßstabe, wie in England, statt hat. In den großen Städten des Kontinents wenden die Behörden große Summen jährlich auf, um die Bedingungen zur Wiederherstellung und Erhaltung der Fruchtbarkeit der Felder unerreichbar für den Landwirth zu machen.

„Von der Entscheidung der Kloakenfrage der Städte sind die Erhaltung des Reichthums und der Wohlfahrt der Staaten und die Fortschritte der Kultur und Zivilisation abhängig.“ (S. 125, 128, 129, 153.)

Diese Sätze stellte Liebig zuerst vor einem halben Jahrhundert auf. Der hohe Werth der menschlichen Exkremente als Dungstoffe und die Nothwendigkeit, sie der Landwirthschaft zuzuführen, sind seitdem längst anerkannt, aber jene Lösung der Kloakenfrage, die Liebig forderte, ist heute ferner als je. Es ist bisher nicht gelungen, ein System der Entfernung der menschlichen Exkremente als den großen Städten zu erfinden, das ohne übermäßige Kosten ebenso den Anforderungen der Hygiene wie der Landwirthschaft gerecht wird. Das System der Rieselfelder, wie es in Berlin besteht, scheint uns von den bisher eingeführten das zweckmäßigste vom Standpunkte der Hygiene aus, da es die Verpestung der Flüsse durch den in den Kanälen fortgeschwemmten Unrath vermeidet. Als eine Rückgabe der der Landwirthschaft entzogenen Stoffe an diese wird man die paar Rieselfelder, die bei jeder Stadt möglich sind, wohl kaum betrachten können. Die Frage ließe sich bei dem jetzigen Stande der Technik sehr einfach, ohne große Kosten, ja mit Gewinn, z. B. durch das Rieselsystem lösen, wenn der Gegensatz zwischen Stadt und Land aufgehoben, die Bevölkerung ziemlich gleichmäßig über das Land zerstreut wäre. Aber daran ist unter der heutigen Produktionsweise gar nicht zu denken.

Je weniger bisher die Verwerthung der menschlichen Exkremente in den Städten für die Landwirthschaft gelungen war, je mehr gleichzeitig die Ausraubung des Bodens durch die bereits erwähnten Methoden intensiverer Wirthschaft und durch Zunahme der Produktion für den Markt wchs, um so mehr warfen sich Wissenschaft und Praxis auf ein Palliativ, um dem Boden die entzogenen Nährstoffe zurückzugeben, auf die Erfindung und Herstellung von Hilfsdüngern, welche dem Boden die ihm für die gerade abzubauende Pflanze mangelnden Stoffe in einer Form zuführen, in der sie von der Pflanze leicht anfgenommen werden kann. Die Zahl dieser, oft importirten, oft fabrikmäßig erzeugten Dünger (Kalidünger, Phosphate und nitrate Stickstoffdünger) ist Legion und wächst immer noch an; für jede Bodenart, jede Kulturart, jede Pflanzenart werden besondere Düngerarten fabrizirt und gemischt; man ist dadurch in der Lage, den Bodenreichthum nicht nur zu erhalten, sondern auch bis zu einem hohen Grade zu vermehren, ja, die Kunstdünger setzen den Landwirth unter Umständen bereits in Stand, der Fruchtfolge und des Stallmistes völlig zu entrathen, den Anbau seiner Gewächse ganz den Erfordernissen des Marktes anzupassen und seine ganze Kulturfläche der Produktion für den Markt zu widmen. In dieser freien Wirthschaft erreicht die moderne Landwirthschaft technisch und ökonomisch ihren Höhepunkt.

Aber nicht nur die Maschinenfabrik und das Laboratorium des Chemikers wälzt die Landwirthschaft um, sondern auch die Werkstatt des Optikers. Wir wollen hier weder auf die Bedeutung der Spektralanalyse für die Entdeckung mancher Stoffe, noch auf die der Polarisationsapparate für die Zuckerindustrie, der Photographie für die Rassenkenntniß und Viehzüchtung näher eingehen, sondern nur auf das für die Landwirthschaft wichtigste optische Instrument hinweisen, das Mikroskop.

„Es hat lange gedauert“, sagt Hamm, „bis man die Anwendung dieses heute unentbehrlichen Instruments auch für die Praxis nutzbar zu gestalten verstanden hat; gegenwärtig ist aber deren Wichtigkeit allgemein anerkannt und insbesondere kann die Landwirthschaft seiner nicht mehr entrathen. Die Untersuchungen des Bodens auf seine Bestandtheile haben bei dem gegenwärtigen Stande der Dinge entschieden mit dem Mikroskop zu beginnen ... Der innere Bau der Pflanzen, das Wesen der Zelle und ihres Inhalts, die Form und Verschiedenheit der Stärkemehlkörner und anderer Bildungen ist uns erst durch das Mikroskop genau bekaunt geworden. Ihm verdanken wir die Kenntniß über die Fortpflanzung der kryptogamen Gewächse und über das Wesen der zahlreichen Pilze, welche an Brand oder Rost, als Kartoffelpilz oder Traubenpilz &c. die Kulturpflanzen befallen und häufig bis zur Ertraglosigkeit schädigen. Die Unterscheidung der verschiedenen Gespinnstfasern von einander, die Struktur der Wolle und der Haare, die Entdeckung zahlreicher thierischer Feinde der Produkte und Wesen, wie der Bakterien, der Weizenvibrionen, Kardenälchen, Rübennematoden u. s. w. konnte nur auf mikroskopischem Wege gelingen ... Besondere Dienste leistet das Mikroskop bei der Samenkontrolle ... In der Hand des Geübten leistet das Mikroskop in der Unterscheidung des Echten von dem Falschen, der Saat von dem Unkraut unersetzliche Dienste.“ (Die Naturkräfte in der Landwirthschaft, S. 142 bis 145)

Seitdem Hamm dies geschrieben (1876), hat das Mikroskop einen der wichtigsten landwirthschaftlichen Fortschritte ermöglicht durch die Entwicklung der Bakterienkunde.

Dank diesen Fortschritten ist der Landwirth im Stande, von Pflanzen und Thieren manche höchst verheerende Krankheiten – Milzbrand, Schweinerothlauf, Tuberkulose, Phylloxera, entweder fernzuhalten oder sie zu heilen oder zum Mindesten sicher zu erkennen.

In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrzehnts entdeckte man die Thatsache, daß die Leguminosen (Hülsenfrüchte und kleeartige Gewächse) im Gegensatz zu den anderen Kulturpflanzen fast ihren gesammten Stickstoffbedarf nicht aus dem Boden, sondern aus der Luft nehmen, daß sie jenen nicht nur nicht stickstoffärmer, sondern sogar stickstoffreicher machen. Diese Eigenschaft besitzen sie aber nur dann, wenn gewisse Mikroorganismen im Boden vorhanden sind, die.sich an ihren Wurzeln festsetzen. Wo sie fehlen, kann man durch eine entsprechende Impfung des Bodens die Leguminosen in Stand setzen, stickstoffarmen Boden zu einem stickstoffreichen zu machen und dadurch gewissermaßen für andere Kulturgewächse zu düngen. Sie ermöglichen es in der Regel in Verbindung mit geeigneten mineralischen Düngern (Phosphaten und Kalidüngern) dem Boden dauernd die höchsten Erträge ohne Stalldünger zu entnehmen. Durch diese Entdeckung erst hat die freie Wirthschaft eine völlig sichere Grundlage gewonnen.
 

e) Die Landwirthschaft eine Wissenschaft

Welche Umwälzung von der Dreifelderwirthschaft der Feudalzeit bis zur freien Wirthschaft am Ende des 19. Jahrhunderts! Und der weitaus größte Theil dieser Umwälzung ist auf einige wenige Jahrzehnte beschränkt! Erst von 1840 datiren die bahnbrechenden Untersuchungen Liebigs, die erst in den fünfziger Jahren allgemein anerkannt wurden, um dieselbe Zeit, als die Dampfmaschine in der Landwirthschaft ihren Einzug hielt und die Bakteriologie ihre ersten praktischen Erfolge für sie erzielte (1837 Entdeckung des Bazillus der Fleckenkrankheit der Seidenspinner und der Gährungspilze, 1849 des Milzbrandbazillus).

Binnen wenigen Jahrzehnten ist die Landwirthschaft, ehedem das konservativste aller Gewerbe, die ein Jahrtausend lang fast gar keine und in diesem Zeitraum Jahrhunderte lang absolut keine Fortschritte aufwies, zu einem der revolutionärsten, wenn nicht dem revolutionärsten der modernen Gewerbe geworden. In demselben Maße aber, in dem sie umgewälzt wurde, entwickelte sie sich auch aus einem Handwerk, dessen Routine vom Vater auf den Sohn sich vererbte, zu einer Wissenschaft, oder vielmehr zu einem Komplex von Wissenschaften, die an Umfang des Stoffe und der theoretischen Einsicht sich rasch erweitern. Der Landwirth, der in diesen Wissenschaften nicht zu Hanse ist, der bloße „Praktiker“, steht allen Neuerungen hilflos und rathlos gegenüber, und doch kann er nicht beim Alten beharren, denn es ist unmöglich geworden, einfach nach der erprobten Art der Väter und Großväter weiter zu wirthschaften.

Tie Entwicklung der Landwirthschaft zur Wissenschaft tritt deutlich zu Tage in der Geschichte des landwirthschaftlichen Schulwesens, namentlich der Hochschulen. Nicht nur im Umfang und Inhalt des Lehrstoffes läßt sich diese Entwicklung verfolgen., auch die äußerliche Geschichte der landwirthschaftlichen Lehranstalten bezeugt deutlich die Fortschritte der wissenschaftlichen Agronomie.

Thaer, der die vervollkommte englische Landwirthschaft zu Ende des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts studirte, sie wissenschaftlich zu begründen und in Deutschland einzubürgern suchte, war der erste, der die Nothwendigkeit eigener landwirthschastlicher Unterrichtsanstalten erkannte. Schon 1798 propagirte ein seinem Werke Einleitung zur Kenntniß der englischen Landwirthschaft die „Idee zur Errichtung einer Akademie des Ackerbaus“, und wenige Jahre später gründete er die erste derartige Akademie (1802 zu Celle, dann 1804 zu Möglin), der in den nächsten Jahrzehnten andere folgten, zuerst 1818 die von Hohenheim in Württemberg. Jede dieser landwirthschaftlichen Hochschulen war mit einer Musterwirthschaft verbunden, also auf dem flachen Lande gelegen. Nur auf diese Weise war es möglich, den Schülern den neben der „grauen Theorie“ unumgänglichen Anschauungsunterricht in der Anwendung der Theorie zu ertheilen. Denn die Zahl der rationell bewirthschafteten Güter war damals noch gering.

Das änderte sich im Laufe der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, nicht zum Mindesten unter dem Einflusse dieser Lehranstalten selbst. Eine bedeutende Anzahl von größeren Gütern ging zu einem rationellen, nach wissenschaftlichen Grundsätzen eingerichteten Betrieb über, der junge Landwirth war nicht mehr auf die Musterwirthschaft der Lehranstalt angewiesen, um die Anwendung der Theorie zu studiren.

In demselben Maße aber, in dem die Zahl der rationell bewirthschafteten Güter zunahm, erweiterte und vertiefte sich der landwirthschaftliche Unterrichtsstoff in Folge der oben angedeuteten Umwälzungen in der Mechanik, der Chemie, der Physiologie und der allgemeinen ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Der landwirthschaftliche Hochschulunterricht verlangte nach immer mehr Hilfsmitteln der Wissenschaft, immer mehr Hilfswissenschaften, einer immer höheren geistigen Atmosphäre; die auf dem flachen Lande isolirten Lehranstalten wurden immer unvollkommener ihn Vergleich zu den wachsenden Aufgaben, die an sie herantraten.

Auch auf diesem Gebiete war Liebig bahnbrechend. Als Präsident der bayerischen Akademien der Wissenschaften hielt er 1861 in München eine Festrede, in der er aufs Schärfste die Unzulänglichkeit der auf dem flachen Lande liegenden landwirthschaftlichen Akademien bloslegte und deren Verlegung in die Universitätsstädte forderte. Um diese Forderung entspann sich ein fast ebenso leidenschaftlicher Streit, wie um die Liebigsche Theorie des Bodenreichthums und der Bodenerschöpfung. Aber wie in diesem ging auch in jenem Falle der große Gelehrte siegreich aus der Diskussion hervor, und allenthalben hat man seiner Forderung genügt. Mit Ausnahme von Hohenheim sind heute alle landwirthschachlichen Hochschulen in Universitätsstädten, nicht blos in Deutschland, auch in Oesterreich, Frankreich, Italien &c., entweder als Bestandtheile der Universitäten oder als selbständige Hochschulen (in Berlin, Wien, Paris).

Die Landwirthschaft in der Großstadt gelehrt! Das ist wohl die drastischste Illustrirung der Thatsache, daß die Landwirthschaft nach allen Richtungen hin in völlige Abhängigkeit von der Stadt gerathen ist, daß aus den Städten der Fortschritt der Landwirthschaft kommt.

Aber freilich, mit seinem Universitätswissen allein darf sich der Landwirth nicht begnügen. Wäre es auch lächerlich, heute noch auf die Landwirthschaft das Wort anwenden zu wollen: Probiren geht über Studiren, so wäre es ebenso lächerlich, anzunehmen, daß es mit dem letzteren allein gethan sei. Mehr noch als in der Industrie heißt es da Studiren und Probiren, denn die Wirklichkeit, in der die Theorie anzuwenden ist, zeigt sich in der Landwirthschaft noch viel mannigfaltiger und komplizirter als in der Industrie. Da heißt es, versuchen, Erfahrungen sammeln, da heißt es aber auch vor Allem, sich einen steten klaren Einblick in jeden Theil des vielgestaltigen Gebietes bewahren, und das ist nur möglich durch eine genaue und rationelle Buchführung.

Der Landwirth der Dreifelderwirthschaft, der vorwiegend für den Selbstbedarf produzirte, bedurfte einer solchen nicht. Die Verhältnisse waren damals im Wesentlichen für jeden Wirthschaftsbetrieb einer gegebenen Gegend die gleichen, seit der Urahnen Zeiten dieselben, einfach und durchsichtig. Ganz anders steht es mit der modernen Landwirthschaft. Sie hat mit ausgedehnteren, mannigfaltigeren und stets wechselnden Verhältnissen zu thun, Verhältnissen der Produktion und der Zirkulation, des Einkaufs und des Verkaufs. Sie geräth in hoffnungslose Verwirrung ohne eine genaue und regelmäßige Buchführung. Dies gilt für jeden größeren Wirthschaftsbetrieb der modernen Produktionsweise, aber in noch höherem Grade für die Landwirthschaft an für die Industrie. Ein moderner industrieller Betrieb erzeugt nur Artikel derselben Art, ein Landgut dagegen ist eine Vereinigung der verschiedensten Theilbetriebe, Viehwirthschaft, Ackerwirthschaft, Gemüsegarten, Obstgarten, Geflügelhof &c., welche die verschiedensten Artikel liefern. Der industrielle Betrieb kauft in der Regel alle seine Produktionsmittel, verkauft alle seine Produkte; bei dem landwirthschaftlichen ist das wohl nie der Fall; er kauft nur einen Theil seiner Produktionsmittel, einen anderen produzirt er selbst: Vieh, Viehfutter, Dünger, Samen werden zum Theil gekauft, zum Theil auf dem Gute produzirt; die Löhne sind zum Theil Geldlöhne, zum Theil Naturallöhne. Dem entsprechend wird auch nur ein Theil der Produkte auf den Markt gebracht und verkauft, ein Theil im Betrieb selbst konsumirt. Endlich aber sind die Wirkungen eines Produktionsmittels oder einer Produktionsmethode in der Landwirthschaft nicht so leicht zu übersehen, wie in der Industrie. Mitunter dauert es Jahre, ehe sie allseitig und deutlich zu Tage treten. Alles das macht die Buchführung für den Landwirth unentbehrlich, eine genaue und regelmäßige Buchführung, die sich auf die kleinsten Details erstreckt; eine Buchführung, die nicht blos nach kommerziellen, sondern auch nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten eingerichtet ist; denn der Landwirth hat es nicht blos mit dem Kapital und dem Kapitalprofit zu thun, sondern auch mit dem Grund und Boden und der Grundrente; diese aber, so weit sie Differentialrente, hängt ab von dem Reichthum des Bodens; ihn ungeschmälert zu erhalten, ja womöglich zu vermehren, muß ebenso sehr die Aufgabe des modernen rationellen Landwirths sein, wie die, sein Kapital möglichst profitabel anzuwenden.

Nichts charakterisirt vielleicht besser die moderne Landwirthschaft, als diese ebenso auf wissenschaftlichen wie auf kommerziellen Erwägungen aufgebaute Buchführung. Die enge Verbindung von Wissenschaft und Geschäft, die der ganzen modernen Produktionsweise eigenthümlich ist, tritt nirgends so deutlich zu Tage, wie in der Landwirthschaft. Diese ist das einzige Gewerbe, dessen Buchhaltung auf den Universitäten gelehrt wird.


Zuletzt aktualisiert am: 25. April 2019