Karl Kautsky

Der Ursprung des Christentums


II. Die Gesellschaft der römischen Kaiserzeit


1. Die Sklavenwirtschaft


a. Der Grundbesitz

b. Die Haussklaverei

c. Die Sklaverei in der Warenproduktion

d. Die technische Rückständigkeit der Sklavenwirtschaft

e. Der ökonomische Niedergang


a. Der Grundbesitz

Wollen wir die Anschauungen begreifen, die eine Zeit besonders kennzeichnen und von denen anderer Zeiten Ämterscheiden, dann müssen wir vor allem die ihr eigentümlichen Bedürfnisse und Probleme erforschen, die in letzter Linie in ihrer besonderen Produktionsweise wurzeln, in der Art und Weise, wie die Gesellschaft jener Zeit ihren Lebensunterhalt gewann.

Zunächst wollen wir die Wirtschaftsweise, auf der die Gesellschaft des Römerreichs beruhte, in ihrer Entwicklung von ihren Anfängen an verfolgen. Nur so gelangen wir zum Verständnis ihrer Eigenart zur Zeit des Abschlusses dieser Entwicklung während der Kaiserzeit und der besonderen Tendenzen, die sie damals erzeugte.

Die Grundlage der Produktionsweise jener Länder, an denen sich da Römerreich aufbaute, bildete die bäuerliche Landwirtschaft und daneben noch, aber in weit geringerem Grade, Handwerk und Warenhandel. Es überwog noch die Produktion für den Selbstbedarf. Die Warenproduktion, die Produktion für den Verkauf, war noch wenig entwickelt. Auch Handwerker und Kaufleute besaßen vielfach landwirtschaftliche Betriebe, und diese waren mit dem Haushalt eng verknüpft, ihre Hauptarbeit galt der Produktion für den Haushalt. Die Landwirtschaft lieferte die Lebensmittel für die Küche und daneben noch Rohstoffe, Flachs, Wolle, Leder, Holz, aus denen die Familienangehörigen selbst Kleider, Hausrat, Werkzeuge herstellten. Bloß ein etwaiger Überschuß über die Bedürfnisse des Haushaltes hinaus wurde verkauft.

Diese Produktionsweise erheischt da Privateigentum an den meisten Produktionsmitteln, an allen, in denen menschliche Arbeit steckt, also auch das am Ackerland, aber noch nicht das an Wald und Weide, die Gemeinbesitz bleiben können. Das an den Haustieren, aber nicht am Wild. Endlich das an den Werkzeugen und Rohstoffen sowie den daraus gewonnenen Produkten.

Mit dem Privateigentum ist aber auch schon die Möglichkeit ökonomischer Ungleichheiten gegeben. Glückliche Zufälle können den einen Betrieb begünstigen, bereichern, den anderen schädigen, verarmen lassen. Die Betriebe der ersteren Art wachsen, ihr Land, ihr Vieh nimmt zu. Damit ersteht jedoch auch für die größeren Betriebe schon eine besondere Art Arbeiterfrage, die Frage, woher die zusätzlichen Arbeitskräfte nehmen, die erforderlich sind, soll die größere Menge Vieh richtig gewartet, der ausgedehntere Acker gehörig bearbeitet werden.

Klassenunterschiede und Klassengegensätze kommen jetzt auf. Je produktiver die landwirtschaftliche Arbeit wird, desto größere Überschüsse über den Bedarf des Landwirtes hinaus liefert sie. Diese Überschüsse dienen auf der einen Seite dazu, Handwerker zu ernähren, die sich auf die Herstellung mancher Gebrauchsgegenstände besonders werfen, wie Schmiede und Töpfer; andererseits kann man die Überschüsse dazu verwenden, Gebrauchsgegenstände oder Rohmaterialien einzutauschen, die nicht im Lande hergestellt werden können, weil die Natur sie nicht liefert oder das Geschick dazu fehlt. Solche Produkte werden aus anderen Gegenden durch Kaufleute gebracht. Das Aufkommen des Handwerkes und des Handels trägt dazu bei, die Ungleichheiten im Grundbesitz zu vermehren. Zu der Ungleichheit zwischen größerem und kleinerem Besitz gesellt sich nun auch die der größeren Nähe oder Entfernung von den Punkten, an denen Handwerker und Kaufleute sich zusammenfinden, um dort ihre Waren gegen die Überschüsse der Bauern auszutauschen. Je schlechter die Verkehrsmittel, desto schwieriger ist es, die Produkte zu Markte zu bringen, desto mehr ist der nahe am Markte Wohnende dort begünstigt.

So bildet sich aus den durch alle oder mehrere dieser Momente Begünstigten eine Klasse von Grundbesitzern, die größere Überschüsse erzielt als die Masse der Bauern, mehr Produkte des Handels und Handwerkes dafür eintauscht, mehr Muße hat als die Durchschnittslandwirte, über mehr Hilfsmittel der Technik bei der Arbeit wie im Kriege verfügt, mehr geistige Anregungen empfängt durch da Zusammenwohnen oder doch den oftmaligen Verkehr mit Künstlern und Kaufleuten und so ihren geistigen Horizont erweitert. Diese Klasse begünstigter Grundbesitzer gewinnt jetzt Zeit, Fähigkeit und Mittel, Geschäfte zu besorgen, die über die Grenzen der bäuerlichen Beschränktheit hinausgehen. Sie gewinnt Zeit und Kraft zur Zusammenfassung mehrerer Bauerngemeinden in einem Staatswesen, zu dessen Verwaltung und Verteidigung sowie zur Regelung seiner Beziehungen mit benachbarten und auch ferneren Staaten. Alle diese Klassen, größere Landwirte, Kaufleute, Handwerker, leben von den Überschüssen der landwirtschaftlichen Arbeit, zu denen sich bald auch Überschüsse des Handwerkes gesellen. Kaufleute und größere Grundbesitzer ziehen immer mehr von diesen Überschüssen an sich, je wichtiger ihre Funktionen in der Gesellschaft werden. Bald benützen die größeren Grundbesitzer nicht bloß ihre wirtschaftliche Überlegenheit, sondern auch ihre machtvolle Stellung im Staate dazu, der Masse der Bauern und Handwerker Überschüsse ihrer Arbeit abzunehmen. Sie gewinnen dadurch Reichtum weit über das bäuerliche und handwerksmäßige Maß hinaus, verstärken damit wieder ihre gesellschaftliche Macht und ihre Fähigkeit, weitere Überschüsse an sich zu ziehen, weiteren Reichtum zu gewinnen.

So erwachsen über den Bauern und Handwerkern verschiedene Schichten von großen Ausbeutern, Großgrundbesitzer und Kaufleute, daneben noch Wucherer, von welch letzteren wir in anderem Zusammenhang handeln werden. Je mehr deren Reichtum zunimmt, desto größer auch ihr Bedürfnis, ihren Haushalt zu erweitern, der mit dem landwirtschaftlichen Betrieb noch innig zusammenhängt. Wer einen eigenen Haushalt haben will, muß in dieser Zeit noch über einen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb verfügen, der am gesichertsten ist bei eigenem Grundbesitz. Alles drängt daher nach Grundbesitz, auch Handwerker, Wucherer und Kaufleute. und alle trachtet, den Grundbesitz zu vergrößern, denn noch herrscht die Produktion für den Selbstgebrauch vor; will man vermehrten Wohlstand, einen reicheren Haushalt haben, muß man eine größere Bodenfläche besitzen.

Da Streben nach Gewinnung und Ausdehnung de Grundbesitzes ist die vorherrschende Leidenschaft dieser Periode, die sich von dem Zeitpunkt der Seßhaftmachung der Gesellschaft auf der Grundlage des Ackerbaus, von der Begründung der bäuerlichen Landwirtschaft bis zu dem der Bildung des industriellen Kapitals erstreckt. Die antike Gesellschaft ist auch auf dem Gipfelpunkt ihrer Entwicklung während der Kaiserzeit über diese Periode nie hinausgekommen. Das war erst der neueren Zeit, seit der Reformation, vorbehalten.


b. Die Haussklaverei

Aber der Grundbesitz ist nichts ohne Arbeitskräfte, die ihn bebauen. Wir haben schon auf die eigenartige Arbeiterfrage hingewiesen, die aus dem Erstehen des größeren Grundbesitzes erwuchs. Bereits vor dem Beginn der historischen Zeit finden wir bei den Reicheren das Suchen nach Arbeitskräften, die man dem Haushalt über das Bereich der durch Blutbande an ihn gefesselten Familienmitglieder hinaus einverleiben und auf die man stets zählen konnte.

Solche Arbeitskräfte waren zunächst durch Lohnarbeit nicht zu gewinnen. Wohl finden wir schon früh Fälle von Lohnarbeit, aber immer nur als ausnahmsweise und vorübergehende Erscheinung, etwa zur Aushilfe bei Erntearbeiten.

Die Produktionsmittel, die ein selbständiger Betrieb erheischte, waren zu geringfügig, als daß sie nicht eine tüchtige Familie in der Regel hätte erwerben können. Und der familiale und kommunale Zusammenhang war noch zu stark, als daß einzelne Unglücksfälle, die eine Familie trafen und sie besitzlos machten, nicht meist durch Hilfe von Verwandten und Nachbarn wieder gutgemacht worden wären.

Gab es aber mir ein geringes Angebot von Lohnarbeitern, so auch nur eine geringe Nachfrage danach. Denn noch waren ja Haushalt und Betrieb eng vereinigt. Wollte man zusätzliche Arbeiter dem Betrieb einverleiben, dann mußten sie auch dem Haushalt einverleibt werden, sie mußten nicht bloß ohne eigene Produktionsstätte, sondern auch ohne eigene Familie bleiben, ganz in einer fremden Familie aufgehen. Dazu taugten freie Arbeiter nicht. Auch noch im Mittelalter ließen sich die Handwerksgesellen die Angehörigkeit zur Familie des Meisters nur als vorübergehenden Stadium gefallen, als Übergang zur Meisterschaft und zur Begründung einer eigenen Familie. Dauernd ließen sich auf dieser Stufe zusätzliche Arbeitskräfte für eine fremde Familie nicht als Freie durch ein Lohnverhältnis sichern. Nur zwangsweise Fesselung konnte die erforderlichen zusätzlichen Arbeitskräfte für die größeren landwirtschaftlichen Betriebe schaffen. Diesem Zwecke diente die Sklaverei. Der Fremde galt ja für rechtlos, und bei der Kleinheit der Gemeinwesen jener Zeit war der Begriff des Fremden ein weitausgedehnter. Im Kriege wurden nicht bloß die gefangenen Wehrmänner, sondern oft auch die ganze Einwohnerschaft des überwundenen Landes zu Sklaven gemacht und entweder unter die Sieger verteilt oder verkauft. Aber auch im Frieden gab es Mittel, Sklaven zu erbeuten. Namentlich der Seehandel bot ein solches. Er war in seinen Anfängen vielfach mit Seeraub verbunden, und eines der meistgesuchten Beuteobjekte bildeten arbeitsfähige und schöne Menschen, die man bei Küstenfahrten aufgriff, wenn sie wehrlos am Strande gefunden wurden. Daneben verfiel auch die Nachkommenschaft, die Sklaven mit Sklavinnen zeugten, der Sklaverei.

Materiell war die Lage dieser Sklaven anfangs keine allzu schlechte, und sie fanden sich mitunter leicht in ihr Los. Als Mitglieder eines wohlhabenden Haushaltes, vielfach der Bequemlichkeit oder dem Luxus dienend, wurden sie nicht übermäßig angestrengt. Soweit sie produktiv arbeiteten, geschah es oft – bei den Großbauern – in Gemeinschaft mit dem Herrn; stets nur für den Selbstverbrauch der Familie, der seine bestimmten Grenzen hatte. Neben dem Charakter der Herren entschied über die Lage der Sklaven der Wohlstand der Familien, denen sie angehörten. Sie hatten alles Interesse daran, ihn zu mehren, weil sie dadurch auch ihre eigene Lage verbesserten. Andererseits trat der Sklave durch den ständigen persönlichen Verkehr mit seinem Herrn ihm menschlich näher und konnte ihm, wenn er Witz und Klugheit besaß, entbehrlich, ja förmlich zum Freunde werden. Man kann bei den antiken Dichtern zahlreiche Beispiele dafür finden, welche Freiheiten sich Sklaven ihrem Herrn gegenüber herausnahmen und mit welcher Innigkeit oft beide Teile aneinander hingen. Nicht selten wurden Sklaven zum Lohn für treue Dienste mit einem ansehnlichen Geschenk freigelassen, andere ersparten so viel, um sich loskaufen zu können. Nicht wenige aber zogen die Sklaverei der Freiheit vor, das heißt sie zogen es vor, als Mitglieder einer reichen Familie zu leben, statt, aus deren Schoße verbannt, allein eine dürftige und ungewisse Existenz zu führen.

„Man darf nicht glauben,“ sagt Jentsch, „daß mit dem empörenden juristischen Begriff des Sklaven im Privatleben Ernst gemacht worden wäre und daß man den Sklaven weder für einen Menschen gehalten, noch als solchen behandelt hätte; bis zum Ende des ersten Punischen Krieges haben es die Sklaven nicht schlimm gehabt. Was von der gesetzlichen Gewalt des Hausvaters über Frau und Kinder gesagt worden ist, das gilt auch von der über die Sklaven; gesetzlich unumschränkt, war sie durch Religion, Sitte, Vernunft, Gemüt und Interesse beschränkt, und der Mann, der vor dem Gesetz als eine käufliche und der Willkür des Herrn schutzlos preisgegebene Sache galt, wurde auf dem Acker als treuer Arbeitsgenosse und daheim als ein Hausgenosse geschätzt, mit dem man nach gemeinsam vollbrachter Arbeit am Herdfeuer gemütlich plauderte.“ [1]

Dies kameradschaftliche Zusammenhalten war nicht auf die bäuerlichen Betriebe beschränkt. Auch die Fürsten verrichteten im heroischen Zeitalter noch Handarbeiten. In der Odyssee wäscht die Tochter des Königs Alkinoos mit ihren Sklavinnen die Wäsche, der Fürst Odysseus fordert einen Nebenbuhler nicht zum Duell, sondern zu einem Wettmähen und Wettpflügen heraus, und bei seiner Rückkehr in die Heimat findet er seinen Vater im Garten mit der Schaufel beschäftigt. Dafür erfreuen sich aber Odysseus und sein Sohn Telemach auch der herzlichsten Liebe ihres Sklaven, des „göttlichen Sauhirten“ Eumäus, der fest davon überzeugt ist, für seine treuen Dienste hätte ihn sein Herr, wenn er heimgekehrt wäre, längst schon mit der Freiheit, einem Bauerngut und einer Ehegenossin beschenkt.

Diese Art der Sklaverei war eine der mildesten Formen der Ausbeutung, die wir kennen. Aber sie bekam ein anderes Gesicht, als sie in den Dienst des Gelderwerbes gestellt wurde, namentlich als die Arbeit in Großbetrieben aufkam, die vom Haushalt des Herrn losgelöst waren.


c. Die Sklaverei in der Warenproduktion

Die ersten derartigen Betriebe dürften Bergwerke gewesen sein, Die Gewinnung und Verarbeitung von Mineralien, namentlich metallischen Erzen, eignet sich schon ihrer Natur nach schlecht dazu, bloß zum Selbstverbrauch des eigenen Haushaltes betrieben zu werden. Sobald sie nur einigermaßen entwickelt ist, liefert sie einen großen Überschuß über dessen Bedürfnisse hinaus; andererseits kann sie sich zu einiger Vollkommenheit nur entwickeln, wenn sie die Produzierung größerer Massen regelmäßig betreibt, weil nur dann die Arbeiter die nötige Geschicklichkeit und Erfahrung erlangen und die nötigen Bauten sich lohnen. Schon in der Steinzeit finden wir große Plätze, an denen die Herstellung von Steinwerkzeugen gewerbsmäßig und massenhaft betrieben wurde, die dann durch Austausch von Gemeinde zu Gemeinde oder Stamm zu Stamm weiter verbreitet wurden. Diese mineralischen Produkte waren jedenfalls die ersten Waren. Sie sind wohl die ersten, die von vornherein als Waren, zum Austausch, produziert wurden.

Sobald sich an einer Fundstätte wertvoller Mineralien der Bergbau entwickelt hatte und über den primitivsten Tagbau hinausgegangen war, erforderte er ständig größere Arbeitermassen. Das Bedürfnis danach vermochte leicht die Zahl der freien Arbeiter zu übersteigen, die aus den Reihen der Markgenossenschaft, der das Bergwerk gehörte, rekrutiert werden konnten. Die Lohnarbeit lieferte nicht dauernd zahlreiche Arbeiter, nur die Zwangsarbeit von Sklaven oder verurteilten Verbrechern sicherte die nötige Zahl von Arbeitskräften.

Diese Sklaven produzierten aber nun nicht mehr Gebrauchsgegenstände für den begrenzten persönlichen Bedarf ihres Herrn, sie arbeiteten für seinen Gelderwerb. Sie arbeiteten nicht, damit er Marmor oder Schwefel, Eisen oder Kupfer, Gold oder Silber in seinem Haushalt konsumiere, sondern daß er die Produkte des Bergwerks verkaufe und Geld dafür erhalte, jene Ware, um die man alles zu kaufen vermag, alle Genüsse, alle Macht, von der man nie zu viel haben kann. Aus den Arbeitern in den Bergwerken wurde nun so viel Arbeit herausgeschunden als möglich, denn je mehr Arbeit sie leisteten, desto mehr Geld erwarb ihr Besitzer. Dabei wurden sie möglichst schlecht genährt und gekleidet. Ihre Nahrung und Kleidung mußte man ja kaufen, man mußte Geld dafür ausgeben, die Sklaven im Bergwerk produzierten sie nicht selbst. Wußte der Besitzer eines reichen Haushalts mit seinem Überfluß an Gebrauchs- und Lebensmitteln nichts anderes anzufangen, als seine Sklaven und Gastfreunde damit reichlich zu versehen, so wurde bei der Warenproduktion jetzt der Gewinn an Geld, den der Betrieb lieferte, um so größer, je weniger die Sklaven verbrauchten. Ihre Lage verschlechterte sich um so mehr, je mehr der Betrieb zum Großbetrieb wurde, je mehr sie dadurch vom Haushalt des Herrn losgelöst, in eigenen Kasernen gehalten wurden, deren grauenhafte Kahlheit in grellem Kontrast zu dem Luxus des ersteren stand. Auch jedes persönliche Verhältnis zwischen dem Herrn und den Sklaven ging verloren, nicht nur wegen der Trennung ihrer Arbeitsstätte von seinem Haushalt, sondern auch wegen der Massenhaftigkeit der Arbeiter. So wird aus Athen zur Zeit des Peloponnesischen Krieges berichtet, daß Hipponikos 600 Sklaven in den thrakischen Bergwerken arbeiten ließ, Nikias 1.000. Die Rechtlosigkeit des Sklaven wurde nun für ihn zu einer furchtbaren Geißel. Vermag der freie Lohnarbeiter immer noch, eine gewisse Auswahl unter seinen Herren zu treffen und, wenigstens unter manchen, für ihn günstigen Verhältnissen, durch die Arbeitseinstellung auf seinen Herrn einen gewissen Druck auszuüben und das Schlimmste von sich abzuwenden, so durfte der Sklave, der seinem Herrn entlief oder ihm die Arbeit verweigerte, ohne weiteres totgeschlagen werden.

Es gab nur ein Motiv, den Sklaven zu schonen, dasselbe, weshalb man ein Arbeitsvieh schont: die Kosten des Erwerbes des Sklaven. Der Lohnarbeiter kostet nichts. Geht er bei der Arbeit zugrunde, so tritt ein anderer an seine Stelle. Der Sklave dagegen mußte gekauft werden. Ging er vorzeitig zugrunde, so verlor sein Herr dabei die Kaufsumme. Aber dieses Motiv wirkte um so weniger, je billiger die Sklaven waren. Und es gab Zeiten, wo ihr Preis ungemein sank, wo ewige Kriege, äußere und innere, zahlreiche Kriegsgefangene auf die Märkte brachten.

So wurden im dritten Kriege der Römer gegen Mazedonien im Jahre 169 v. Chr. 70 Städte allein in Epirus an einem Tage geplündert und 150.000 ihrer Einwohner als Sklaven verkauft.

Nach Böckh war der gewöhnliche Preis eines Sklaven in Athen 100 bis 200 Drachmen (80 bis 160 Mark). Xenophon gibt an, daß er zwischen 50 und 1.000 Drachmen schwankte. Nach Appian wurden im Pontus bei einer Gelegenheit die gemachten Kriegsgefangenen um 4 Drachmen (etwas über 3 Mark!) pro Stück losgeschlagen. Joseph, den seine Brüder nach Ägypten verkauften, erzielte auch nur 20 Sekel (18 Mark). [2]

Ein gutes Reitpferd war weit teurer als ein Sklave. Es kostete zur Zeit des Aristophanes etwa 12 Minen, fast 1.000 Mark.

Dieselben Kriege, die billige Sklaven lieferten, ruinierten aber auch viele Bauern, denn die bäuerlichen Milizen bildeten damals den Kern der Heere. Mußte der Bauer Krieg führen, so verkam leicht inzwischen sein Betrieb, dem die Arbeitskräfte fehlten. Den zugrunde gegangenen Bauern blieb nichts übrig, als zum Räuberhandwerk zu greifen, wenn ihnen nicht der Abzug in eine benachbarte Stadt offen stand, in der sie als Handwerker oder Lumpenproletarier ihr Leben fristeten. So entstanden nun zahlreiche Verbrechen und Verbrecher, die die frühere Zeit nicht gekannt hatte, und die Jagd auf die Verbrecher lieferte neue Sklaven. Denn noch waren Zuchthäuser unbekannt. Diese sind ein Produkt der kapitalistischen Produktionsweise. Was man nicht ans Kreuz schlug, wurde zur Zwangsarbeit verurteilt.

So gab es zeitweise zahllose, äußerst billige Sklavenscharen, deren Lage eine allgemein elende war. Das bezeugen zum Beispiel die spanischen Silberbergwerke, die zu den ergiebigsten des Altertums gehörten.

„Anfänglich,“ berichtet Diodor von diesen Bergwerken, „beschäftigten sich gewöhnliche Privatleute mit dem Bergbau und erwarben großen Reichtum, weil die Silbererze nicht tief lagen und reichlich vorhanden waren. Nachher, als die Römer Herren von Iberien (Spanien) geworden waren, fand sich eine Menge Italiker bei den Bergwerken ein, die durch ihre Gewinnsucht große Reichtümer erwarben. Sie kauften nämlich eine Menge Sklaven und übergaben solche den Aufsehern der Bergwerksarbeiten ... Diejenigen Sklaven, die in diesen Bergwerken zu arbeiten haben, bringen zwar ihrem Herrn unglaubliche Einkünfte ein: von ihnen selbst aber, die unter der Erde, in den Gruben Tag und Nacht ihren Körper anstrengen, sterben viele von der übermäßigen Arbeit. Denn sie haben keine Erholung oder Pause dabei, so~dern werden durch die Schläge ihrer Aufseher gezwungen, das härteste Ungemach zu ertragen und sich tot zu arbeiten. Einige, die genug Körperkraft und geduldigen Gleichmut haben, es auszuhalten, verlängern dadurch nur ihr Elend, dessen Größe ihnen den Tod wünschenswerter macht als das Leben.“ [3]

Ist die patriarchalische Haussklaverei vielleicht die mildeste Form der Ausbeutung, so die Sklaverei im Dienst des Profithungers sicher die scheußlichste.

In den Bergwerken war der Großbetrieb mit Sklaven unter den gegebenen Verhältnissen durch die Technik des Betriebs geboten. Aber mit der Zeit entstand auch ein Bedürfnis nach Warenproduktion im großen durch Sklaven auf anderen. Gebieten der Produktion. Es gab Gemeinwesen, die an kriegerischer Kraft ihre Nachbarn weit überragten. Sie zogen aus dem Krieg solche Vorteile, daß sie seiner nicht satt wurden. Die Kriegführung lieferte immer wieder neue Scharen von Sklaven, die man profitabel zu beschäftigen suchte. Solche Gemeinwesen waren aber auch mit großen Städten verbunden. Eine Stadt, die, durch ihre Lage begünstigt, ein großer Stapelplatz eines regen Handels wurde, zog schon durch den Handel viele Menschen an und wurde, wenn sie mit dem Bürgerrecht Fremden gegenüber nicht sparsam umging, bald reicher an Menschen, aber auch an Mitteln, wie andere Gemeinden ringsum, die sie sich unterwarf. Die Plünderung und Ausbeutung der Umgebung vermehrte noch den Reichtum der Stadt und ihre Einwohnerzahl. Dieser Reichtum erweckte das Bedürfnis nach großen Bauten, teils hygienischen – Kloaken, Wasserleitungen –; teils ästhetischen und religiösen – Tempel und Theater –; teils militärischen – Ringmauern. Solche Bauten waren damals am ehesten herzustellen durch große Sklavenscharen. Bauunternehmer erstanden, die zahlreiche Sklaven kauften und mit deren Arbeitskraft für den Staat die verschiedensten Bauten ausführten. Die Großstadt erzeugte aber auch einen ausgedehnten Markt für große Lebensmittelmassen. Den bedeutendsten Überschuß mußte bei niedrigen Sklavenpreisen der landwirtschaftliche Großbetrieb liefern. Freilich war damals noch von einer technischen Überlegenheit des Großbetriebs in der Landwirtschaft nicht die Rede. Die Sklavenarbeit produzierte im Gegenteil weniger als die Arbeit der freien Bauern. Aber der Sklave, dessen Arbeitskraft man nicht zu schonen brauchte, den man unbekümmert zu Tode schinden konnte, erzeugte einen größeren Überschuß über seine Erhaltungskosten, als der Bauer, der damals noch nicht den Segen der Überarbeit begriffen hatte und an Wohlleben gewöhnt war. Dazu kam noch der Vorteil, gerade in solchen Gemeinwesen, daß der Bauer alle Augenblick durch die Pflicht der Vaterlandsverteidigung vom Pfluge geholt wurde, indes der Sklave vom Kriegsdienst befreit war. So bildete sich im ökonomischen Bereich solcher großen und kriegerischen Städte der landwirtschaftliche Großbetrieb mit Sklaven. Die Karthager entwickelten ihn zu einer bedeutenden Höhe. In den Kriegen mit Karthago lernten ihn die Römer kennen und mit den der großen Nebenbuhlerin abgenommenen Provinzen übernahmen sie auch den landwirtschaftlichen Großbetrieb, den sie dann weiter entwickelten und ausdehnten.

Endlich aber lag es in Großstädten, wo massenhaft Sklaven des gleichen Handwerks zusammentrafen und ein guter Absatzmarkt für deren Produkte vorhanden war, nahe, eine größere Anzahl solcher Sklaven zusammenzukaufen und in einem gemeinsamen Arbeitshaus an die Arbeit zu setzen, damit sie für den Markt produzierten, wie es heute in Fabriken durch Lohnarbeiter geschieht. Indessen haben solche Sklavenmanufakturen nur in der hellenischen Welt größere Bedeutung gewonnen, nicht in der römischen. Überall aber entwickelte sich eine besondere Art der Sklavenindustrie mit dem landwirtschaftlichen Großbetrieb, einerlei ob dieser Plantagenbetrieb war, der nur eine besondere Spezialität, etwa Getreide, fabrikmäßig für den Markt herstellte, oder in der Hauptsache dem Selbstverbrauch der Familie, des Haushalts diente und die verschiedenartigsten Produkte lieferte, deren dieser bedurfte.

Die landwirtschaftliche Arbeit hat die Eigentümlichkeit, daß sie bloß zu gewissen Zeiten des Jahres viele Arbeitskräfte erfordert, zu anderen, namentlich im Winter, nur wenige. Das ist ein Problem auch für moderne größere landwirtschaftliche Betriebe, es war ein noch schwierigeres unter dem System der Sklavenarbeit. Denn den Lohnarbeiter kann man entlassen, wenn man ihn nicht braucht, und holen, wenn man seiner bedarf. In der Zwischenzeit möge er sehen, wo er bleibe. Dagegen konnte der größere Landwirt doch nicht jeden Herbst seine Sklaven verkaufen und im Frühjahr neue ankaufen. Das wäre ihn teuer zu stehen gekommen. Denn im Herbst hätten sie nichts und im Frühjahr sehr viel gegolten. Er mußte also suchen, sie zu beschäftigen auch in der Zeit, in der die Landwirtschaft ruhte. Noch waren die Traditionen der Vereinigung von Landwirtschaft und Industrie lebendig, noch verarbeitete der Bauer selbst Flachs, Wolle, Leder, Holz und andere Produkte seines Betriebs zu Kleidern und Geräten. So wurden jetzt auch die Sklaven des landwirtschaftlichen Großbetriebs in der Zeit der Ruhe der Landwirtschaft zu industriellen Arbeiten angehalten, zur Weberei und zur Fabrikation und Verarbeitung von Leder, zur Anfertigung von Wagen und Pflügen, zur Herstellung von Töpfereien aller Art. Aber sie produzierten bei vorgeschrittener Warenproduktion nicht bloß für den eigenen Betrieb und Haushalt, sondern auch für den Markt.

Waren die Sklaven billig, so konnten auch ihre industriellen Produkte billig sein. Geldausgaben erforderten sie nicht. Der Betrieb, das Latifundium, lieferte für die Arbeiter die Lebensmittel und Rohstoffe, meist auch die Werkzeuge. Und da die Sklaven auf jeden Fall während der Zeit erhalten werden mußten, in der sie für die Landwirtschaft nicht notwendig waren, wurden alle industriellen Produkte, die sie über die Bedürfnisse des eigenen Betriebs und Haushaltes hinaus produzierten, ein Überschuß, der auch bei niedrigen Preisen einen Profit lieferte.

Kein Wunder, daß sich ein freies, starkes Handwerk angesichts dieser Konkurrenz der Sklavenarbeit nicht entwickeln konnte. Die Handwerker blieben in der antiken, namentlich der römischen Welt, arme Teufel, die meist allein, ohne Gesellen, arbeiteten, in der Regel nur das ihnen gelieferte Material im Hause des Kunden oder zu Hause verarbeiteten. Von einem kraftvollen Handwerkertum, wie es sich im Mittelalter entwickelte, ist da keine Rede. Die Zünfte bleiben schwach, die Handwerker in ständiger Abhängigkeit von ihren Kunden, meist größeren Grundbesitzern, als deren Klienten sie oft eine recht parasitenhafte Existenz an der Grenze des Lumpenproletariats führen.

Aber der Großbetrieb mit Sklaven war gerade nur imstande, ein Erstarken des Handwerks und eine Entwicklung seiner Technik zu hindern, die im Altertum stets auf einer niederen Stufe blieb, der Armut des Handwerkers entsprechend: dessen Geschicklichkeit konnte unter Umständen ungemein hoch steigen, seine Werkzeuge blieben stets kümmerlich und primitiv. Aber dasselbe war der Fall im Großbetrieb selbst. Die Sklaverei wirkte auch in diesem hemmend auf jede technische Entwicklung.


d. Die technische Rückständigkeit der Sklavenwirtschaft

In der Landwirtschaft bedeutete der Großbetrieb damals noch nicht eine Bedingung höherer Leistungsfähigkeit, wie im Bergbau. Wohl erzeugte die zunehmende Warenproduktion eine fortschreitende gesellschaftliche Arbeitsteilung auch in der Landwirtschaft; manche Betriebe warfen sich auf Körnerbau, andere auf Viehzucht usw. Auch erstand mit dem Großbetrieb schon die Möglichkeit seiner Leitung durch wissenschaftlich gebildete Männer, die über die bäuerliche Routine hinausragten. In der Tat finden wir denn in den Ländern des landwirtschaftlichen Großbetriebs, so bei den Karthagern, dann bei den Römern, bereits eine Theorie der Landwirtschaft, die so hoch stand, wie die europäische im achtzehnten Jahrhundert. Aber es fehlten die Arbeitskräfte, die vermöge dieser Theorie den Großbetrieb über den bäuerlichen Betrieb hinaus erhoben hätten. Schondie Lohnarbeit steht hinter der Arbeit des freien Landeigentümers an Interesse und Sorgfalt zurück, so daß sie nur dort lohnend wird, wo der Großbetrieb technisch dem Kleinbetrieb bedeutend überlegen ist. Aber der Sklave im Großbetrieb, der nicht im patriarchalischen Familienverhältnis steht, ist ein noch weit unwilligerer, ja geradezu ein auf den Schaden des Herrn erpichter Arbeiter. Schon in der Haussklaverei galt die Arbeit des Sklaven nicht als ebenso ausgiebig, wie die des freien Eigentümers. Odysseus bemerkt bereits:

„Dienende, wenn nicht mehr ein gebietender Herrscher sie antreibt,
Werden sofort saumselig, zu tun die gebührende Arbeit.
Schon ja die Hälfte der Tugend entrückt Zeus waltende Vorsicht
Einem Mann, sobald nur der Knechtschaft Tag ihn ereilet!“

Wie ganz anders erst Sklaven, die täglich bis aufs Blut gepeinigt wurden, die voll Verzweiflung und Haß dem Herrn gegenüberstanden! Der Großbetrieb hätte dem Kleinbetrieb technisch gewaltig überlegen sein müssen, wollte er mit gleicher Arbeiterzahl dasselbe Resultat erzielen wie dieser. Aber er war ihm nicht nuir nicht überlegen, er stand ihm vielfach nach. Die Sklaven, selbst mißhandelt, ließen ihre ganze Wut an dem Arbeitsvieh aus, das nicht gedieh. Ebenso war es unmöglich, ihnen feinere Werkzeuge in die Hand zu geben.

Schon Marx hat darauf hingewiesen. Er sagt von der „auf Sklaverei gegründeten Produktion“:

„Der Arbeiter soll sich hier, nach dem treffenden Ausdruck der Alten, mir als instrumentum vocale (sprechendes Werkzeug) von dem Tier als instrumentum semivocale (stimmbegabtes aber sprachloses Werkzeug) und dem toten Arbeitszeug als instrumentum mutuum (stummes Werkzeug) unterscheiden. Er selbst läßt aber Tier und Arbeitszeug fühlen, daß er nicht ihresgleichen, sondern ein Mensch ist. Er verschafft sich das Selbstgefühl seines Unterschiedes von ihnen, indem er sie mißhandelt und con amore verwüstet. Es gilt daher als ökonomisches Prinzip in dieser Produktionsweise, nur die rohesten, schwerfälligsten, aber gerade wegen ihrer unbehilflichen Plumpheit schwer zu ruinierenden Arbeitsinstrumente anzuwenden. Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs fand man daher in den am Meerbusen von Mexiko liegenden Sklavenstaaten Pflüge altchinesischer Konstruktion, die den Boden aufwühlen wie ein Schwein oder ein Maulwurf, aber ihn nicht spalten oder wenden ... In seinem Sea Bord Slave States erzählt Olmstedt unter anderem: ‚Man zeigt mir hier (in diesen Sklavenstaaten) Werkzeuge, die bei uns kein vernünftiger Mensch einem Arbeiter, für den er Lohn zahlt, aufhalsen würde; deren außerordentliche Schwere und Plumpheit muß meines Erachtens die Arbeit mindestens um zehn Prozent größer machen, als die bei uns üblichen Werkzeuge. Aber ich bin auch überzeugt, daß, angesichts der Achtlosigkeit und Ungeschicklichkeit, mit der sie die Sklaven benutzen müssen, es unwirtschaftlich wäre, ihnen weniger schwere und rohe Werkzeuge in die Hand zu geben, und daß Geräte, wie wir sie ständig und mit Vorteil unseren Arbeitern in die Hand geben, nicht einen Tag in einem Kornfeld Virginiens aushalten würden, trotzdem der Boden dort leichter und freier von Steinen ist als bei uns. Auch wenn ich frage, warum dort überall Maultiere an Stelle von Pferden in den Farmen gehalten werden, wird mir als erster Grund dafür, und eingestandenermaßen der triftigste, angegeben, daß Pferde die Behandlung nicht aushalten, der sie von den Negern ausgesetzt werden. Pferde werden bei ihnen bald lahm oder steif, indes Maultiere es aushalten, wenn man sie mit Knütteln schlägt, oder sie hie und da ein- oder zweimal kein Futter bekommen, und sie erkälten sich nicht und werden nicht krank, wenn man sie vernachlässigt und überanstrengt. Aber ich brauche nur zum Fenster des Zimmers zu gehen, in dem ich schreibe, um fast jedesmal eine Behandlung der Tiere zu sehen, die in den Nordstaaten unfehlbar zur sofortigen Entlassung des Kutschers durch den Farmer führen würde.‘“ (Kapital, I, 2. Aufl., S. 185)

Unintelligeut, verdrossen, schadenfroh, darauf erpicht dem verhaßten Peiniger zu schaden, wo sich eine Gelegenheit bot, produzierte die Sklavenarbeit des Latifundiums weit weniger, als die bäuerliche Wirtschaft. Schon Plinius hat im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung darauf hingewiesen, wie fruchtbar die Äcker Italiens waren, als noch Feldherren es nicht verschmähten, sie selbst zu bebauen, und wie widerspenstig die Mutter Erde wurde, als man sie von gefesselten und gebrandmarkten Sklaven mißhandeln ließ. Diese Art Landwirtschaft mochte unter Umständen einen größeren Überschuß abwerfen, als die bäuerliche Wirtschaft, sie konnte auf keinen Fall ebensoviele Menschen im Wohlstand erhalten. Indessen, solange der Kriegszustand währte, in dem Rom die ganze Welt um das Mittelmeer herum in ständiger Unruhe erhielt, dauerte die Ausdehnung der Sklavenwirtschaft, aber auch der Niedergang des dadurch erdrückten Bauernstandes fort, da ja der Krieg den Großgrundbesitzern, die ihn leiteten, reiche Beute, neue Landstriche und Unmassen billiger Sklaven brachte.

Wir finden so im Römerreich eine ökonomische Entwicklung, die der modernen äußerlich auffallend gleicht: Rückgang des Kleinbetriebs, Fortschreiten des Großbetriebs und noch raschere Zunahme des großen Grundbesitzes, der Latifundien, die den Bauern enteignen und wo sie ihn nicht durch Plantagenwirtschaft oder sonstige Großbetriebe ersetzen, ihn doch aus einem freien Eigentümer in einen abhängigen Pächter verwandeln.

Pöhlmann zitiert in seiner Geschichte des antiken Kommunismus und Sozialismus unter anderem Die Klage des Armen gegen den Reichen aus der pseudoquintilianischen Sammlung von Deklarationen, in der das Anwachsen der Latifundien sehr gut geschildert wird. Es ist die Klage eines verarmten Bauern, der jammert:

„Ich bin nicht von Anfang an der Nachbar eines reichen Mannes. Rings um mich saßen auf zahlreichen Höfen gleich begüterte Besitzer, die in nachbarlicher Eintracht ihren bescheidenen Besitz bebauten. Wie ganz anders jetzt! Das Land, das einst alle diese Bürger nährte, ist eine einzige große Pflanzung, die einem einzigen Reichen gehört. Sein Gut hat seine Grenzen nach allen Seiten hinausgerückt; die Bauernhöfe, die es verschlungen hat, sind dem Erdboden gleichgemacht, und die Heiligtümer der Väter zerstört. Die alten Eigentümer haben vom Schutzgott des Vaterhauses Abschied genommen, sie mußten mit Frauen und Kindern in die Ferne ziehen. Einförmige Art herrscht über der weiten Fläche. Überall schließt mich der Reichtum wie mit einer Mauer ein, hier der Garten des Reichen, dort seine Felder. Hier seine Weinberge, dort seine Wälder und Triften. Auch ich wäre gerne fortgezogen, aber ich konnte keinen Fleck Landes finden, wo ich nicht einen Reichen zum Nachbarn gehabt hätte. Denn wo stößt man nicht auf den Privatbesitz der Reichen? Sie begnügen sich nicht einmal mehr damit, ihre Güter so weit auszudehnen, bis sie, wie ganze Völkerschaftsgebiete, in Flüssen und Bergen eine natürliche Grenze finden, sondern sie bemächtigen sich auch noch der entlegensten Gebirgseinöden und Wälder. Und nirgends findet dieses Umsichgreifen ein Ziel und eine Schranke, als bis der Reiche auf einen anderen Reichen stößt. Auch das gehört endlich zu der schimpflichen Mißachtung, welche die Reichen uns Armen zuteil werden lassen, daß sie es nicht einmal der Mühe wert finden, zu leugnen, wenn sie sich an uns vergriffen haben.“ (II, S. 582, 583)

Pöhlmann sieht darin eine Zeichnung der Tendenzen „des extremen Kapitalismus überhaupt“. Aber die Ähnlichkeit dieser Entwicklung mit der des modernen Kapitalismus und seiner Konzentration der Kapitalien ist eine rein äußerliche und es führt völlig irre, wenn man beide einander gleichsetzt. Wer tiefer geht, findet vielmehr einen völligen Gegensatz der Entwicklung hier und dort. Vor allem schon darin, daß die Konzentrationstendenz, das Streben nach Verdrängung der kleineren Betriebe durch größere, sowie nach wachsender Abhängigkeit der kleinen Betriebe von den Besitzern großer Reichtümer heute vornehmlich in der Industrie zutage tritt, viel weuiger in der Landwirtschaft, indes im Altertum das Umgekehrte stattfand. Dann aber vollzieht sich die Überwindung des kleineren Betriebs durch den größeren heute namentlich durch den Konkurrenzkampf, der die größere Produktivität des mit mächtigen Maschinen und Anlagen ausgestatteten Betriebs zur Geltung bringt. Sie vollzog sich im Altertum durch die Lähmung der freien Bauern, die der Kriegsdienst erdrückte, und durch die größere Billigkeit der Arbeitskräfte, die bei massenhafter Sklavenzufuhr den Besitzern größerer Geldmittel zur Verfügung standen, endlich durch den Wucher, von dem wir noch reden werden, lauter Faktoren, die die Produktivität der Arbeit verminderten, statt sie zu heben. Für die Entwicklung und Anwendung des Maschinenwesens fehlten im Altertum die Voraussetzungen. Noch hatte das freie Handwerk sich nicht so hoch entwickelt, um massenhaft freie, geschickte Arbeitskräfte zu liefern, die bereit waren, sich um Arbeitslohn dauernd in großer Zahl zu verdingen, Arbeitskräfte, die allein imstande waren, Maschinen zu erzeugen und ihre Anwendung zu ermöglichen. Es fehlte daher auch der Antrieb für die Denker und Forscher, Maschinen zu erfinden, die doch ohne praktische Anwendung geblieben wären. Sobald aber einmal Maschinen erfunden sind, die in der Produktion erfolgreich wirken können, und zahlreiche freie Arbeitskräfte auftreten, die sich danach drängen, bei der Erzeugung und Anwendung der Maschinen beschäftigt zu werden, wird die Maschine eine der wichtigsten Waffen im Konkurrenzkampf der Unternehmer untereinander. Stete Vervollkommnung und Vergrößerung der Maschine ist die Folge, damit wächst die Produktivität der Arbeit, wächst der Überschuß über den Arbeitslohn, den sie liefert, wächst aber auch die Notwendigkeit, einen Teil dieses Überschusses anzusammeln, zu akkumulieren, um damit neue, bessere Maschinen anzuschaffen, wächst endlich auch die Notwendigkeit, den Markt ständig zu erweitern, da ja die verbesserte Maschinerie immer mehr Produkt liefert, das untergebracht werden soll. So führt das dahin, daß das Kapital ununterbrochen zunimmt, daß auch die Produktion der Produktionsmittel einen immer größeren Raum in der kapitalistischen Produktionsweise einnimmt, daß diese daher, um die mit den vermehrten Produktionsmitteln geschaffenen vermehrten Konsummittel profitabel loszuwerden, immer wieder neue Märkte suchen muß, so daß man sagen kann, sie habe sich im Laufe eines Jahrhunderts, des neunzehnten, die ganze Welt erobert.

Ganz anders war die Entwicklung im Altertum. Wir haben gesehen, daß man den Sklaven im Großbetrieb nur die plumpsten Werkzeuge in die Hand geben, daß man nur die rohesten und unintelligentesten Arbeiter dabei verwenden konnte, daß also nur die äußerste Billigkeit des Sklavenmaterials den Großbetrieb einigermaßen rentabel machte. Das erzeugte in den Unternehmern der Großbetriebe einen steten Drang nach Krieg, als denn wirksamsten Mittel, sich billige Sklaven zu verschaffen, und nach steter Ausdehnung des Staatsgebiets. Daraus erwuchs seit den Kriegen gegen Karthago einer der mächtigsten Antriebe der römischen Eroberungspolitik, die binnen zwei Jahrhunderten alle Länder um das Mittelmeer herum unterwarf und sich zur Zeit Christi anschickte, nachdem sie Gallien, das jetzige Frankreich, unterjocht hatte, auch Deutschland zu knechten, dessen kraftvolle Bevölkerung so treffliche Sklaven lieferte.

In dieser Unersättlichkeit, diesem steten Drang, sein Ausbeutungsgebiet zu erweitern, glich allerdings der antike Großbetrieb dem modernen, keineswegs aber in der Art und Weise, wie er die Überschüsse anwendete, die ihm die wachsenden Sklavenscharen lieferten. Der moderne Kapitalist muß, wie wir gesehen haben, seinen Profit zum großen Teil akkumulieren, zur Verbesserung und Erweiterung seines Betriebs anwenden, will er nicht von der Konkurrenz überholt und geschlagen werden. Das hatte der antike Sklavenbesitzer nicht nötig. Die technische Grundlage, auf der er produzierte, war keine höhere, eher eine niedrigere als die des Kleinbauern, den er verdrängte. Sie war nicht in steter Umwälzung und Erweiterung begriffen, sondern blieb sich stets gleich. Alle Überschüsse über die einmal gegebenen Kosten und die Ersetzung oder Abnützung von Werkzeugen, Vieh und Sklaven hinaus durfte daher der Sklavenbesitzer zum Genießen verwenden, auch wenn er kein Verschwender war.

Wohl konnte man Geld im Handel und Wucher oder in neuen Grundstücken anlegen und so vermehrten Gewinn daraus ziehen, aber auch dieser konnte schließlich keine andere Verwendung finden, als den Genuß. Das Aufhäufen von Kapital zum Zwecke der Produktion neuer Produktionsmittel über das gegebene Maß hinaus, wäre sinnlos gewesen, weil diese vermehrten Produktionsmittel keine Verwendung gefunden hätten.

Je mehr die Latifundien die Bauern verdrängten, je größere Massen von Grundbesitz und von Sklaven sich in einer Hand vereinigten, um so mehr wuchsen die Überschüsse, die Schätze, die einzelnen zur Verfügung standen und mit denen diese nichts anderes anzufangen wußten, als sie zum Genießen zu verwenden. Kennzeichnet der Drang nach Anhäufung von Kapital den modernen Kapitalisten, so die Genußsucht den vornehmen Römer der Kaiserzeit, der Zeit, in der das Christentum entstand. Die modernen Kapitalisten haben Kapitalien aufgehäuft, denen gegenüber die Reichtümer der reichsten antiken Römer winzig erscheinen. Als der Krösus unter diesen gilt Neros Freigelassener Narziß mit einem Vermögen von fast 90 Millionen Mark. Was will das sagen gegenüber den 4.000 Millionen, die einem Rockefeller zugeschrieben werden? Aber die Verschwendung, welche die amerikanischen Milliardäre treiben, läßt sich bei aller Tollheit kaum vergleichen mit der ihrer römischen Vorgänger, die bei ihren Mahlzeiten Nachtigallenzungen auftrugen und kostbare Perlen in Essig auflösten. Mit dem Luxus stieg natürlich auch die Zahl der Haussklaven, die man zur persönlichen Bediemmg brauchte, um so mehr, je billiger das Sklavenmaterial wurde. Horaz meint in einer seiner Satiren, das geringste, was ein in leidlichen Umständen Lebender brauche, seien zehn Sklaven. In einem vornehmen Haushalt konnte ihre Zahl in die Tausende steigen. Steckte man die Barbaren in die Bergwerke und Plantagen, so die feiner gebildeten, namentlich griechischen Sklaven in die „städtische Familie“, das heißt den städtischen Haushalt. Nicht nur Köche, Schreiber, Musiker, Pädagogen, Schauspieler, sondern auch Ärzte und Philosophen wurden als Sklaven gehalten. Im Gegensatz zu den Sklaven, die dem Gelderwerb dienten, hatten diese meist nur eine geringe Arbeitslast zu tragen. Der größte Teil von ihnen waren ebenso große Tagediebe, wie nunmehr ihre Herren. Aber die zwei Umstände gingen verloren, die ehedem dem Familiensklaven in der Regel gute Behandlung verschafft hatten: sein hoher Preis, der ihn zu schonen hieß, und das kameradschaftliche Verhältnis zum Herrn, mit dem der Sklave zusammen arbeitete. Jetzt, bei dem großen Reichtum des Herrn und der Billigkeit der Sklaven, legte man sich nicht den geringsten Zwang mehr ihnen gegenüber an. Für die große Masse der Haussklaven hörte aber auch jedes persönliche Verhältnis mit dem Herrn auf; dieser kannte sie kaum. Und wenn Herr und Diener nun einander persönlich näher traten, geschah es nicht bei der Arbeit, die gegenseitige Achtung erzeugte, sondern bei Schwelgereien und Lastern, die der Müßiggang und Übermut erzeugte und die den Herrn wie den Dienern gegenseitige Mißachtung beibrachten. Müßig, noch gehätschelt, waren die Sklaven des Hauses doch schutzlos jeder üblen Laune, jedem Zornesausbruch preisgegeben, die für sie schnell gefährliche Dimensionen annahmen. Bekannt ist die Untat des Vedius Pollio, dessen Sklave ein Kristallgefäß zerschlagen hatte, wofür jener ihn den Muränen zum Fraß vorzuwerfen befahl, als Leckerbissen geschätzten Raubfischen, die er in einem Teiche hielt.

Mit diesen Haussklaven wuchs die Zahl der unproduktiven Elemente in der Gesellschaft sehr stark an, deren Scharen gleichzeitig durch das Anwachsen des großstädtischen Lumpenproletariats geschwellt wurden, in dem die Mehrheit der freigesetzten Bauern unterging. Und das vollzog sich, während gleichzeitig die Ersetzung der freien Arbeit durch Sklavenarbeit in vielen produktiven Tätigkeiten die Produktivität der Arbeit stark herabsetzte.

Je mehr Mitglieder aber ein Haushalt zählte, desto leichter wurde es, für diesen Produkte von eigenen Arbeitern herstellen zu lassen, die der kleine Haushalt hatte kaufen müssen, manche Kleidungsstücke und Hausrat. Das führte zu einer erneuten Ausdehnung der Produktion für den Selbstgebrauch in der Familie. Aber man darf diese spätere Form der Familienwirtschaft der reichen Leute nicht mit der ursprünglichen einfachen Familienwirtschaft verwechseln, die auf dem fast völligen Fehlen der Warenproduktion begründet war, und die gerade die wichtigsten und unentbehrlichsten Bedarfsmittel selbst erzeugte, nur Werkzeuge und Luxusmittel kaufte. Die zweite Form der Produktion für den Selbstgebrauch in der Familie, wie wir sie am Ende der römischen Republik und zur Kaiserzeit in den Haushaltungen der Reichen finden, beruhte gerade auf der Warenproduktion, der Produktion der Bergwerke und Latifundien für den Markt; sie selbst diente vornehmlich der Luxusproduktion.

Durch diese Art Ausdehnung der Produktion für den Selbstgebrauch wurde das freie Handwerk geschädigt, dem die mit Sklaven in Gang gehaltenen Industriebetriebe der Städte und der Latifundien ohnehin Abbruch taten. Relativ mußte es abnehmen, das heißt, es mußte die Zahl der freien Arbeiter im Verhältnis zu den Sklaven auch im Handwerk stark zurückgehen. Absolut mochten indes trotzdem in manchen Gewerben die freien Arbeiter zunehmen, dank der Zunahme der Verschwendung, die eine wachsende Nachfrage nach Gegenständen der Kunst, des Kunsthandwerks, aber auch bloßer Üppigkeit, wie Salben und Pomaden, erzeugte.

Wer den Wohlstand der Gesellschaft nach dieser Verschwendung beurteilt, wer sich also auf den beschränkten Standpunkt der römischen Cäsaren und Großgrundbesitzer und ihres Anhanges an Höflingen, Künstlern und Literaten stellt, dem erscheint freilich zur Zeit des Kaisers Augustus die gesellschaftliche Situation als glänzend. Unendliche Reichtümer strömten in Rom zusammen, einzig zu dem Zwecke, dem Genießen zu dienen; genußfrohe reiche Prasser taumelten von Fest zu Fest, mit vollen Händen mitteilend von ihrem Überflusse, den für sich allein zu verbrauchen ihnen ganz unmöglich war. Viele Künstler und Gelehrte erhielten von den Mäzenaten materielle Mittel in ausgiebigem Maße, riesige Bauten entstanden, deren ungeheure Größe und künstlerisches Ebenmaß wir heute noch anstaunen, die ganze Welt schien Reichtum aus allen Poren zu schwitzen – und doch war diese Gesellschaft damals schon dem Tode geweiht.


e. Der ökonomische Niedergang

Eine Ahnung davon, daß es abwärts ging, erstand frühzeitig in den herrschenden Klassen, die ausgeschaltet wurden aus jeder Tätigkeit, alle Arbeit immer mehr von Sklaven besorgen ließen, selbst die Wissenschaft, selbst die Politik. In Griechenland hatte die Sklavenarbeit zunächst dazu gedient, den Herren volle Muße zu gewähren für die Verwaltung des Staates und das Nachdenken über die wichtigsten Probleme des Lebens. Aber je mehr sich die Überschüsse steigerten, die durch die Konzentration des Grundbesitzes, die Ausdehnung der Latifundien und die Vermehrung der Sklavenmassen in den Händen weniger vereinigt wurden, desto mehr wurde das Genießen, die Verschwendung dieser Überschüsse die vornehmste gesellschaftliche Funktion der herrschenden Klassen, desto mehr entbrannte unter ihnen der Konkurrenzkampf der Verschwendung, der Wetteifer, einander an Glanz, Üppigkeit, Nichtstun zu überbieten. Das vollzog sich in Rom noch leichter als in Griechenland, weil jenes in seiner Kulturhöhe verhältnismäßig rückständiger war, als es diese Produktionsweise erreichte. Die griechische Macht hatte sich hauptsächlich barbarischen Völkern gegenüber ausgedehnt, dagegen war sie in Kleinasien und Ägypten auf starke Hindernisse gestoßen. Ihre Sklaven waren Barbaren, von denen die Griechen nichts lernen konnten, denen sie nicht die Staatsverwaltung überlassen durften. Und die Reichtümer, die man aus den Barbaren herauszuholen vermochte, waren relativ gering. Die Römerherrschaft dehnte sich dagegen rasch über die ganzen uralten Kulturstätten des Ostens bis nach Babylonien (oder Seleukia) hinaus; aus diesen neu eroberten Provinzen zogen die Römer nicht bloß unendliche Reichtümer, sondern auch Sklaven, die ihren Herren an Wissen überlegen waren, von denen diese zu lernen hatten, denen sie leicht die Staatsverwaltung überlassen durften. An Stelle der großgrundbesitzenden Aristokraten als Verwalter des Staates traten in der Kaiserzeit immer mehr Sklaven des kaiserlichen Hauses und ehemalige Sklaven des Kaisers, Freigelassene, die dem früheren Herrn verpflichtet blieben.

So blieb den Latifundienbesitzern und ihrem zahlreichen Anhang an Schmarotzern keine andere Funktion in der Gesellschaft übrig als die des Genießens. Aber der Mensch wird gegen jeden Reiz abgestumpft, der dauernd auf ihn einwirkt, gegen die Freude wie gegen den Schmerz, gegen die Wollust wie gegen die Todesfurcht. Das ununterbrochene bloße Genießen, das keine Arbeit, kein Kampf unterbrach, erzeugte zunächst eine stete Jagd nach neuen Genüssen, durch die man die .alten zu überbieten, die abgestumpften Nerven aufs neue zu kitzeln suchte, was zu den unnatürlichsten Lastern, zu den ausgesuchtesten Grausamkeiten führte, aber auch die Verschwendung aufs höchste und sinnloseste steigerte. Alles hat jedoch seine Grenzen und war der einzelne einmal so weit, aus Mangel an Mitteln oder an Kräften, infolge finanziellen oder körperlichen Bankrotts, daß er nicht mehr die Genüsse zu steigern vermochte, dann trat bei ihm der schlimmste Katzenjammer, Ekel vor jedem Gemäß, ja völliger Lebensüberdruß ein, das Empfinden, daß alles irdische Dichten und Trachten eitel sei – vanitas, vanitatum vanitas. Verzweiflung, Todessehnsucht, aber auch die Sehnsucht nach einem neuen, höheren Leben trat ein – so tief wurzelte jedoch die Abneigung gegen die Arbeit in den Gemütern, daß auch dies neue, ideale Leben nicht als ein Leben freudiger Arbeit gedacht wurde, sondern als eine völlig tatlose Seligkeit, die ihre Freude nur daraus zog, daß sie von allen Schmerzen und Enttäuschungen der leiblichen Bedürfnisse und Genüsse befreit war.

In den besten unter den Ausbeutern erstand aber auch ein Gefühl der Scham darüber, daß ihr Wohlleben sich aufbaute auf dem Untergang zahlreicher freier Bauern, auf der Mißhandlmg Tausender von Sklaven in den Bergwerken und Latifundien. Der Katzenjammer erweckte auch Mitleid mit den Sklaven – ein seltsamer Widerspruch gegen die rücksichtslose Grausamkeit, mit der man damals über deren Leben verfügte –, wir erinnern nur an die Gladiatore1ispiele. Endlich erweckte der Katzenjammer auch Abscheu gegen die Gier nach Gold, nach Geld, die damals schon die Welt beherrschte.

„Wir wissen,“ ruft Plinius im 33. Buche seiner Naturgeschichte, „daß Spartakus (der Führer eines Sklavenaufstandes) in seinem Lager verbot, Gold oder Silber bei sich zu führen. Wie sehr übertreffen uns unsere entlaufenen Sklaven an Geistesgröße! Der Redner Messala schreibt, der Triumvir Antonius habe sich zu aller schmutzigen Notdurft goldener Gefäße bedient ... Antonius, der das Gold zur Schändung der Natur so herabwürdigte, hätte die Ächtung verdient. Aber es hätte ein Spartakus sein müssen, der ihn ächtete.“

Unter dieser herrschenden Klasse, die teils in toller Genußsucht, Geldgier und Grausamkeit verkam, teils von Mitleid mit den Armen und Abscheu vor Geld und Genuß, ja von Todessehnsucht erfüllt wurde, breitete sich eine ungeheure Schar von arbeitenden Sklaven aus, die schlechter gehalten wurden, als unsere Lasttiere, aus den verschiedensten Völkern zusammengeholt, vertiert und verroht durch die stete Mißhandlung, durch das Arbeiten in Ketten, unter Peitschenhieben, voll Erbitterung, Rachsucht und Hoffnungslosigkeit, stets zu gewaltsamer Empörung geneigt, aber durch den intellektuellen Tiefstand ihrer barbarischen Elemente, der Mehrheit unter ihnen, außerstande, die Ordnung des gewaltigen Staatswesens umzustürzen und eine neue zu begründen, wenn auch einzelne hervorragende Geister unter ihnen derartiges anstreben mochten. Die einzige Art der Befreiung, die ihnen gelingen konnte, war nicht der Umsturz der Gesellschaft, sondern die Flucht aus der Gesellschaft, die Flucht entweder ins Verbrechertum, das Räubertum, dessen Scharen sie immer wieder schwellten, oder die Flucht über die Reichsgrenze zu den Reichsfeinden.

Über diesen Millionen der Unglückseligsten aller Menschen wieder erhoben sich viele Hunderttausende von Sklaven, oft in Üppigkeit und Wohlleben, stets die Zeugen und Objekte des wüstesten und wahnsinnigsten Sinnentaumels, Mithelfer bei jeder erdenklichen Korruption und entweder von dieser Korruption erfaßt und ebenso verderbt wie ihre Herren, oder, ebenfalls wie viele dieser und oft noch früher als sie, weil sie die bittere Seite des Genußlebens weit eher zu verkosten bekamen, aufs tiefste angeekelt von der Verderbnis und dem Genußleben und voll Sehnsucht nach einem neuen, reineren, höheren Leben.

Und neben allen diesen wimmelten noch Hunderttausende von freien Bürgern und freigelassenen Sklaven, zahlreiche, aber dürftige Überreste der Bauernschaft, verelendete Pächter, armselige städtische Handwerker und Lastträger, sowie endlich großstädtische Lumpenproletarier, mit der Kraft und dem Selbstbewußtsein des freien Bürgers, und doch ökonomisch überflüssig in der Gesellschaft, ohne jegliches Heim, ohne jegliche Sicherheit, völlig auf die Abfälle angewiesen, die ihnen die großen Herren aus ihrem Überfluß zuwarfen, aus Freigebigkeit oder Furcht, oder aus dem Wunsch nach Ruhe.

Wenn das Evangelium des Matthäus Jesus von sich sagen läßt: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel der Luft ihre Nester, der Menschensohn aber hat nichts, wo er sein Haupt hinlegen könnte“ (8, 20), so spricht es bloß für die Person Jesu einen Gedankengang aus, dem Tiberius Gracchus bereits 130 Jahre vor Christi Geburt für das ganze Proletariat Roms Ausdruck gegeben hatte: „Die wilden Tiere Italiens haben ihre Höhlen und ihre Lager, auf denen sie ruhen, die Männer aber, die für Italiens Herrschaft kämpfen und sterben, besitzen nichts als Luft und Licht, weil man ihnen diese nicht rauben kann. Ohne Hütte und Obdach irren sie mit Weib und Kind umher.“

Ihr Elend und die stete Unsicherheit ihrer Existenz mußte sie um so mehr erbittern, je schamloser und üppiger der Reichtum der Großen demgegenüber zur Schau getragen wurde. Grimmiger Klassenhaß der Armen gegen die Reichen entstand, aber dieser Klassenhaß war ganz anderer Art als der des modernen Proletariers.

Auf der Arbeit des letzteren beruht heute die ganze Gesellschaft. Er braucht diese Arbeit bloß einzustellen, und sie erbebt in ihren Grundfesten. Der antike LumpeNproletarier leistete keine Arbeit, und selbst die Arbeit der Reste freier Bauern und Handwerker war nicht unentbehrlich. Die Gesellschaft lebte damals nicht vom Proletariat, sondern das Proletariat lebte von der Gesellschaft. Es war vollständig überflüssig und mochte völlig verschwinden, ohne sie zu bedrohen. Im Gegenteil, es konnte sie dadurch nur erleichtern. Die Arbeit der Sklaven war die Grundlage, auf der die Gesellschaft ruhte.

Der Gegensatz zwischen dem Kapitalisten und dem Proletarier spielt sich heute in der Fabrik, der Werkstelle ab. Es ist die Frage, wer die Produktion beherrschen soll, die Besitzer der Produktionsmittel oder die Besitzer der Arbeitskraft. Es ist ein Kampf um die Produktionsweise, ein Streben, eine höhere Produktionsweise an Stelle der bestehenden zu setzen.

Darum war es dem antiken Lumpenproletarier nicht zu tun. Er arbeitete überhaupt nicht und wollte nicht arbeiten. Was er verlangte, war Anteil an den Genüssen der Reichen, eine andere Verteilung der Genußmittel, nicht der Produktionsmittel, eine Plünderung der Reichen, nicht eine Änderung der Produktionsweise. Die Leiden der Sklaven in den Bergwerken und Plantagen ließen ihn ebenso kalt, wie etwa die von Lasttieren.

Noch weniger konnte es den Bauern und Handwerkern einfallen, eine höhere Produktionsweise anzustreben. Sie tun das nicht einmal heute. Ihr Traum war im besten Falle die Wiederherstellung der Vergangenheit. Aber sie standen den Lumpenproletariern so nahe und deren Ziele waren auch für sie so verführerisch, daß sie ebenfalls nichts anderes wünschten und ersehnten als jene: ein arbeitsloses Leben auf Kosten der Reichen; Kommunismus durch Plünderung der Reichen.

So gab es in der römischen Gesellschaft am Ende der Republik und während der Kaiserzeit wohl ungeheure soziale Gegensätze, wohl viel Klassenhaß und Klassenkämpfe, Empörungen und Bürgerkriege, wohl ein unendliches Sehnen nach einem anderen, besseren Leben, nach einer Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung, aber keine Bestrebungen nach Einführung einer neuen, höheren Produktionsweise. [4]

Die moralischen und intellektuellen Bedingungen dafür waren nicht gegeben, es gab keine Klasse, die das Wissen, die Tatkraft, die Arbeitsfreudigkeit und die Selbstlosigkeit besessen hätte, um einen wirksamen Drang nach einer neuen Produktionsweise entwickeln zu können, es fehlten aber auch die materiellen Vorbedingungen, um auch nur die Idee einer solchen aufkommen zu lassen.

Wir haben ja gesehen, wie die Sklavenwirtschaft technisch keinen Fortschritt, sondern einen Rückschritt bedeutete, wie sie nicht bloß die Herren entnervte und zur Arbeit untauglich machte, nicht bloß die Zahl der unproduktiven Arbeiter in der Gesellschaft vermehrte, sondern. auch die Produktivität der produktiven Arbeiter herabsetzte und die Fortentwicklung der Technik hemmte – mit Ausnahme vielleicht einiger Luxusproduktionen. Verglich man die neue Produktionsweise der Sklavenwirtschaft mit der von ihr zurückgedrängten und niedergedrückten freien Bauernwirtschaft, dann mußte man darin einen Abstieg sehen, keinen Aufstieg. So kam man zur Anschauung, die alte Zeit sei die bessere, die goldene gewesen, die Zeitalter würden immer schlechter. Ist der kapitalistischen Zeit mit ihrem steten Streben nach Verbesserung der Produktionsmittel die Anschauung vom unbegrenzten Fortschritt der Menschheit eigen, neigt sie dazu, die Vergangenheit möglichst schwarz und die Zukunft möglichst rosig zu sehen, so finden wir in der römischen Kaiserzeit die umgekehrte Anschauung, die des unaufhaltsamen Niederganges der Menschheit und der steten Sehnsucht nach der guten alten Zeit. Soweit damals soziale Reformen und soziale Ideale überhaupt einer Gesundung der Produktionsverhältnisse galten, zielten sie nur auf Wiederherstellung der alten Produktionsweise hin, der der freien Bauernschaft, und mit Recht, denn diese Produktionsweise war die höhere. Die Sklavenarbeit führte in eine Sackgasse. Die Gesellschaft mußte wieder auf die Grundlage der bäuerlichen Wirtschaft gestellt werden, ehe sie ihren Aufstieg von neuem beginnen konnte. Aber auch das zu tun, war die römische Gesellschaft unfähig, denn die dazu erforderlichen Bauern waren ihr verloren gegangen. Erst mußten in der Völkerwanderung zahlreiche Völker freier Bauern das ganze Römerreich überschwemmen, ehe die Reste der Kultur, die es geschaffen hatte, die Grundlage einer neuen gesellschaftlichen Entwicklung abgeben konnten.

Wie jede auf Gegensätzen aufgebaute Produktionsweise, grub sich auch die antike Sklavenwirtschaft selbst ihr Grab. In der Form, die sie schließlich im römischen Weltreich erlangt hatte, beruhte sie auf dem Kriege. Nur ununterbrochene siegreiche Kriege, ununterbrochenes Niederwerfen neuer Nationen, ununterbrochene Ausdehnung des Reichsgebiets konnten das massenhafte billige Sklavenmaterial schaffen, dessen sie bedurfte.

Aber man kann nicht Krieg führen ohne Soldaten, und das beste Soldatenmaterial bot der Bauer. An ununterbrochene harte Arbeit im Freien, in Hitze und Kälte, im Sonnenbrand und Regen gewöhnt, konnte er am ehesten die Strapazen aushalten, die der Krieg dem Soldaten aufs erlegt. Der städtische Lumpenproletarier, der Arbeit entwöhnt, aber auch der fingerfertige Handwerker, der Weber oder Goldschmied oder Bildschnitzer, war weit weniger dazu geeignet. Mit den freien Bauern schwanden dem römischen Heere die Soldaten. Man wurde immer mehr genötigt, die Zahl der dienstpflichtigen Milizsoldaten durch angeworbene Freiwillige zu ergänzen, Berufssoldaten, die über ihre Dienstzeit hinaus dienten. Bald reichte man auch mit diesen nicht aus, wenn man sich auf römische Bürger beschränken wollte. Schon Tiberius erklärte im Senat, an besseren Freiwilligen sei Mangel, man müsse allerhand Gesindel und Vagabunden nehmen. Immer zahlreicher wurden in den römischen Heeren die barbarischen Söldner aus den unterworfenen Provinzen, ja schließlich mußte man zur Ausfüllung der Lücken des Heeres zur Anwerbung von Ausländern, von Reichsfeinden greifen. Bei Cäsar schon finden wir Germanen in den römischen Heeren.

Je weniger aber die Armee ihre Rekruten aus der Herrennation ziehen konnte und je seltener und kostbarer die Soldaten wurden, desto mehr mußte die Friedensliebe Roms steigen, nicht wegen eines Umschwunges seiner Ethik, sondern aus sehr materiellen Gründen. Es mußte seine Soldaten schonen, es konnte aber auch die Reichsgrenzen nicht mehr erweitern, denn es mußte froh sein, wenn es genug Soldaten auftrieb, um die gegebene Grenze zu schützen. Gerade zu der Zeit, in die Jesu Leben verlegt wird, unter Tiberius, kommt die römische Offensive im wesentlichen zum Stillstand. Von da an bestrebt sich das römische Reich immer mehr, sich der Feinde zu erwehren, die es bedrängen. Und diese Bedrängnis nimmt gerade von da an immer mehr zu, denn je mehr Ausländer, namentlich Germanen, in den Heeren Roms dienten, desto mehr lernten dessen barbarische Nachbar Roms Reichtum und Kriegskunst, aber auch Roms Schwäche kennen und desto mehr regte sich in ihnen die Lust, nicht als Besoldete und Diener, sondern als Eroberer und Herren in das Reich einzudringen. Statt Menschenjagden nach den Barbaren zu unternehmen, sahen sich die Herren Roms bald gezwungen, sich vor den Barbaren zurückzuziehen oder deren Schonung zu erkaufen. So hörte im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung der Zustrom billiger Sklaven rasch auf. Immer mehr wurde man auf die Züchtung von Sklaven angewiesen.

Das war aber ein sehr kostspieliges Verfahren. Die Sklavenzüchtung lohnte sich nur bei Haussklaven höherer Art, die qualifizierte Arbeit zu verrichten hatten. Mit gezüchteten Sklaven die Latifundienwirtschaft fortzuführen, war unmöglich. Die Anwendung von Sklaven in der Landwirtschaft hörte immer mehr auf und auch der Bergbau ging zurück, zahlreiche Gruben wurden unrentabel, sobald die kriegsgefangenen Sklaven ausblieben, die man nicht zu schonen brauchte.

Aber aus dem Verfall der Sklavenwirtschaft erstand keine neue Blüte der Bauernschaft. Dazu fehlte ein Geschlecht zahlreicher, ökonomisch kraftvoller Bauern, das verhinderte auch das Privateigentum am Grund und Boden. Die Latifundienbesitzer waren nicht gewillt, ihren Besitz aufzugeben. Aber sie schränkten ihre Großbetriebe ein. Einen Teil ihres Bodens verwandelten sie in kleine Pachtgüter, die sie an Pächter, Kolonen, ausgaben unter der Bedingung, daß diese einen Teil ihrer Arbeitskraft dem Hofe des Grundherrn widmeten. So entstand jenes System der Bodenbewirtschaftung, zu dem auch später in der Feudalzeit die großen Grundherren immer wieder hinstrebten, bis der Kapitalismus es durch das kapitalistische Pachtsystem verdrängte.

Die Arbeitskräfte, aus denen sich die Kolonen rekrutierten, waren teils ländliche Sklaven und verkümmerte Bauern, teils auch Proletarier, freie Handwerker und Sklaven der Großstädte, die dort keine Existenz mehr fanden, seitdem die Einkommen aus der Sklavenwirtschaft im Landbau und dem Bergbau zurückgingen, so daß die Freigebigkeit und das Genußleben der Reichen eingeschränkt wurden. Dazu dürften sich später noch Bewohner der Grenzprovinzen gesellt haben, die von den vordringenden Barbaren aus ihrem Besitz vertrieben wurden und in das Innere des Reiches flohen, wo sie als Kolonen Unterkunft fanden.

Aber diese neue Produktionsweise konnte den ökonomischen Verfall nicht aufhalten, der aus dem Ausbleiben der Sklavenzufuhr hervorging. Auch sie blieb technisch hinter der freien Bauernwirtschaft zurück und war ein Hindernis weiterer technischer Entwicklung. Die Arbeit, die der Kolone auf dem Gutshof zu leisten hatte, blieb Zwangsarbeit, mit derselben Unwilligkeit und Lässigkeit, mit derselben Mißachtung für Vieh und Werkzeuge betrieben, wie die Sklavenarbeit. Dabei erlangte der Kolone freilich auch einen eigenen Betrieb für sich, aber dessen Ausdehnung war ihm so karg zugemessen, daß er nicht zu üppig wurde, daß sie ihm gerade nur die Fristung des Lebens ermöglichte. Der in Naturalien gezahlte Pachtzins wurde dafür so hoch angesetzt, daß der Kolone alles, was er über den dürftigsten Lebensunterhalt hinaus produzierte, dem Herrn ablieferte. Das Elend der Kolonen konnte sich ungefähr mit dem der Zwergpächter Irlands messen oder mit dem der Landleute des heutigen Süditalien, wo eine ähnliche Produktionsweise fortbesteht. Aber für die agrarischen Gegenden von heute ist wenigstens das Sicherheitsventil der Auswanderung in Gegenden mit industriellem Aufchwung eröffnet. Dies fehlte für die Kolonen des römischen Reiches. Die Industrie diente damals nur in geringem Maße der Produktion von Produktionsmitteln, vornehmlich der von Genußmitteln des Luxus. Mit den Überschüssen der Besitzer von Latifundien und Bergwerken ging auch die Industrie in den Städten zurück, deren Bevölkerung nahm rapid ab.

Gleichzeitig verminderte sich aber auch die Bevölkerung des flachen Landes. Die Zwergpächter konnten keine großen Familien erhalten. Der Ertrag ihrer Betriebe reichte in normalenZeiten eben hin, sie notdürftig zu ernähren. Mißernten fanden sie ohne Vorräte oder Geld, sich das Fehlende zu kaufen. Da mußten Hunger und Elend besonders stark wüten und die Reihen der Kolonen lichten, namentlich die ihrer Kinder. Wie seit einem Jahrhuudert die Bevölkerung Irlands immer mehr abnimmt, so verringerte sich auch die des römischen Reiches.

„Es ist sehr begreiflich, daß sich die Ursachen wirtschaftlicher Art, die im ganzen römischen Reiche die Abnahme der Bevölkerungszahl herbeiführten, in Italien besonders fühlbar machten, und am stärksten wieder in Rom. Wenn man Zahlen anführen soll, so mag man annehmen, daß die Stadt zur Zeit des Augustus ungefähr die Million erreicht hat und sich die Bevölkerungszahl im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit ungefähr gleich geblieben, dann in der Zeit der Severe auf etwa 600.000 zurückgegangen ist; dann ist die Einwohnerzahl rapid gefallen.“ [5]

In seiner schönen Schrift über,Die wirtschaftliche Entwicklung des Altertums (1895) gibt Eduard Meyer in einer Beilage die Schilderung wieder, welche Dio Chrysostomus (geboren um 50 n. Chr.) in seiner siebenten Rede von den Verhältnissen einer von ihm nicht genannten Kleinstadt in Euböa entwarf. Die Entvölkerung des Reiches kommt darin drastisch zur Darstellung.

„Der ganze Landkreis ist städtisches Gebiet und der Stadt steuerpflichtig. Größtenteils, wenn nicht ausschließlich, ist das Land im Besitz reicher Leute, denen ausgedehnte Güterkomplexe gehören, die teils als Weide, teils als Ackerland bewirtschaftet werden. Aber es ist vollständig verödet. ‚Fast zwei Drittel unseres Gebiets‘, sagt ein Bürger in der Volksversammlung, ‚liegen öde da, weil wir uns nicht darum kümmern und zu wenig Bevölkerung haben. Ich selbst habe so viele Morgen, wie nur irgend einer, nicht nur in den Bergen, sondern auch in der Ebene, und wenn ich jemanden fände, der sie bebauen wollte, würde ich sie ihm nicht nur umsonst überlassen, sondern mit Vergnügen noch Geld dazu geben ...‘ Jetzt beginne die Verödung unmittelbar vor den Toren, ‚das Land ist vollständig öde und bietet einen traurigen Anblick, als läge es tief in der Wüste und nicht vor den Toren einer Stadt. Innerhalb der Mauern dagegen wird das städtische Terrain großenteils besät und beweidet ... Das Gymnasion hat man in Ackerland verwandelt, so daß Herakles und die anderen Götter- und Heroeustatuen im Sommer im Korn versteckt sind, und auf den Markt läßt der Redner, der vor mir gesprochen hat, jeden Morgen sein Vieh treiben und vor dem Amtshaus und den Amtslokalen weiden, so daß die Fremden, die zu uns kommen, die Stadt verlachen oder bedauern.‘“

„Dem entspricht es, daß in der Stadt selbst viele Häuser leerstehen, die Bevölkerung geht offenbar ständig zurück. An den Kapharischen Felsen wohnen einige Purpurfischer; sonst ist das ganze Gebiet auf weite Strecken unbewohnt. Ehemals gehörte dies ganze Land einem reichen Bürger, ‚der viele Herden von Pferden und Rindern, viele Weiden, viele und schöne Äcker und auch sonst großes Vermögen besaß.‘“

Er wurde um seines Reichtums willen auf Befehl des Kaisers getötet, seine Herden wurden weggetrieben, dabei auch das Vieh, welches seinem Hirten gehörte, und seitdem liegt das ganze Land unbenutzt da. Nur zwei Rinderhirten, freie Männer und Bürger der Stadt, sind zurückgeblieben und ernähren sich jetzt von Jagd und etwas Feld- und Gartenbau und Viehzucht ...

„Die Zustände, welche Dio hier schildert – und überall in Griechenland sah es schon zu Beginn der Kaiserzeit ebenso aus –, sind dieselben, welche sich während der nächsten Jahrhunderte in Rom und seiner Umgebung entwickelt und der Campagna bis auf den heutigen Tag ihre Signatur aufgedrückt haben. Auch hier ist es ja dahin gekommen, daß die Landstädte verschwunden sind, das Land nach allen Seiten meilenweit brach liegt und nur noch zur Viehzucht (und an einzelnen Stellen am Abhang der Berge zum Weinbau) dient, bis schließlich auch Rom menschenleer wird, die Häuser leerstehen und zusammenstürzen wie die öffentlichen Bauten und auf Forum und Kapitol Viehherden weiden. Dieselben Zustände haben sich in unserem Jahrhundert (dem neunzehnten) in Irland zu entwickeln begonnen und treten hier jedem Besucher, der nach Dublin kommt oder über Land geht, sofort augenfällig entgegen.“ (A. a. O., S. 67 bis 69)

Und gleichzeitig sank die Fruchtbarkeit des Bodens. Die Stallfütterung war wenig entwickelt, und sie mußte unter der Sklavenwirtschaft noch abnehmen, da diese schlechte Behandlung des Viehes mit sich brachte. Ohne Stallfütterung gab es aber keinen Dünger. Ohne viele Düngung und ohne intensive Bestellung wurde dem Boden eben entnommen, was er liefern wollte. Nur auf den besten Böden lieferte diese Art Anbau lohnende Erträge. Die Menge solcher Böden wurde aber immer kleiner, je länger die Bebauung währte, je länger der Boden ausgesogen wurde.

Etwas Ähnliches haben wir noch im neunzehnten Jahrhundert in Amerika gesehen, wo unter der Sklavenwirtschaft in den Südstaaten der Boden ebenfalls nicht gedüngt und daher rasch erschöpft wurde, indes gleichzeitig die Anwendung von Sklaven bloß auf den besten Böden profitabel war. Die Sklavenwirtschach konnte sich dort nur dadurch halten, daß sie immer weiter nach Westen vordrang und immer wieder neues Land in Angriff nahm, den ausgesogenen Boden verödet hinter sich lassend. Das gleiche finden wir im römischen Reiche, und das war auch eine der Ursachen des steten Landhungers seiner Herren und ihres Strebens, durch Kriege neuen Boden zu erobern. Schon im Anfang der Kaiserzeit waren Süditalien, Sizilien, Griechenland verödet.

Aussaugung des Bodens und wachsender Mangel an Arbeitskräften, dabei deren irrationelle Anwendung – das konnte nichts anderes ergeben als stetiges Abnehmen der Bodenerträge.

Gleichzeitig sank aber auch das Vermögen des Landes, Lebensmittel aus dem Auslande zu kaufen. Gold und Silber wurden immer rarer. Denn die Bergwerke versiegten wegen Mangels an Arbeitskräften, wie wir gesehen. Von dem vorhandenen Gold und Silber floß aber immer mehr ab ins Ausland, teils nach Indien und Arabien zur Erkaufung von Luxusmitteln für die übrigbleibenden Reichen, namentlich aber zur Bezahlung der barbarischen Nachbarvölker. Wir haben ja gesehen, daß die Soldaten immer mehr aus diesen rekrutiert wurden; immer mehr stieg die Zahl derjenigen unter ihnen, die ihren Sold, oder doch alles, was ihnen schließlich am Ende ihrer Dienstzeit davon blieb, mit sich ins Ausland nahmen. Je mehr die Wehrkraft des Reiches verfiel, desto mehr versuchte man aber auch, die gefährlichen Nachbarn zu beschwichtigen und bei guter Laune zu erhalten, was durch Zahlung reicher Tribute am ehesten erreicht wurde. Wo das nicht gelang, da brachen die feindlichen Scharen nur zu oft in das Reichsgebiet ein, um es zu plündern. Auch das entführte ihm wieder einen Teil seines Reichtums.

Dessen letzter Rest wurde endlich verpulvert durch das Streben, ihn zu schützen. Je mehr die Wehrkraft der Bewohner des Reiches verfiel, je seltener die Rekruten des Inlandes wurden, je mehr man solche jenseits der Grenzen holen mußte und je stärker der Andrang der feindlichen Barbaren wurde, je mehr also die Nachfrage nach Söldnern wuchs, indes ihr Angebot abnahm, desto höher stieg der Sold, den man ihnen zahlen mußte.

„Er betrug seit Cäsar jährlich 225 Denare (196 Mark) und außerdem erhielt der Mann monatlich zwei Drittel Medinnen (der Medinnus = 54 Liter) Getreide, das sind vier Modien, später erhielt er sogar fünf Modien. Ein Sklave, der nur von Getreide lebte, erhielt monatlich ebensoviel. Bei der Mäßigkeit des Südländers war mit dem Getreide also der größte Teil des Nahrungsbedürfnisses zu bestreiten. Domitian erhöhte den Sold auf 300 Denare (261 Mark). Unter den späteren Kaisern wurden auch noch die Waffen unentgeltlich geliefert. Septimius Severus und später Caracalla haben den Sold noch weiter erhöht.“

Dabei war aber damals die Kaufkraft des Geldes viel höher als heute. So meinte Seneca zur Zeit Neros, ein Philosoph könne mit einem halben Sesterz (11 Pfennig) im Tag leben. 40 Liter Wein kosteten 25 Pfennig, ein Lamm 40 bis 50 Pfennig, ein Schaf 1½ Mark.

„Man sieht, daß bei solchen Preisen der Sold des römischen Legionärs sehr bedeutend war. Und außer dem Sold erhielt er noch Antrittsgeschenke von neuen Kaisern ; in Zeiten, wo alle paar Monate ein neuer Kaiser von den Soldaten aufgestellt wurde, machte auch das viel aus. Nach Ablauf der Dienstzeit bekam er ein Entlassungsgeschenk, welches zur Zeit des Aug1istus 3.000 Denare (2.600 Mark) betrug, von Caligula zwar auf die Hälfte reduziert, dann aber von Caracalla wieder auf 5.000 Denare (4.350 Mark) erhöht wurde.“ (Paul Ernst, Die sozialen Zustände im römischen Reich vor dem Einfall der Barbaren, Neue Zeit, XI, 2, S. 253 ff.)

Und dabei mußte noch der Umfang des stehenden Heeres in dem Maße ausgedehnt werden, in dem die Angriffe auf die Reichsgrenzen an allen Seiten zahlreicher wurden. Zur Zeit des Augustus umfaßte es 300.000 Mann, später mehr als das Doppelte.

Das sind ungeheure Zahlen, wenn man bedenkt, daß, dem damaligen Stande der Landwirtschaft entsprechend, die Bevölkerung des Reiches sehr dünn und der Überschuß, den ihre Arbeit lieferte, sehr gering war. Beloch berechnet die Bevölkerung des ganzen römischen Reiches, das ungefähr viermal so groß war wie das jetzige Deutsche Reich, zur Zeit des Augustus auf etwa 55 Millionen Einwohner. Italien, das heute allein 33 Millionen enthält, zählte damals nur 6 Millionen. Diese 55 Millionen mit ihrer primitiven Technik mußten ein Heer unterhalten, ebenso groß wie das, welches für das heutige Deutsche Reich eine drückende Last bildet trotz des enormen technischen Fortschritts, der seitdem vor sich gegangen ist, ein Heer angeworbener Söldner, die weit besser bezahlt wurden als der deutsche Wehrmann von heute.

Und während die Bevölkerung abnahm und verarmte, stiegen gleichzeitig die Lasten des Militarismus immer mehr.

Das hatte zwei Ursachen, die beide den ökonomischen Zusammenbruch vollendeten.

Dem Staat oblagen damals vornehmlich zwei Aufgaben: das Kriegswesen und das Bauwesen. Wollte er die Ausgaben für jenes steigern, ohne die Steuern zu erhöhen, so mußte er dieses vernachlässigen. Und das geschah auch. Zur Zeit des Reichtums und der großen Überschüsse der Arbeit massenhafter Sklaven war auch der Staat reich und imstande gewesen, große Bauten aufzuführen, die nicht bloß dem Luxus dienten, der Religion, der Hygiene, sondern auch dem Wirtschaftsleben. Mit Hilfe der enormen Menschenmassen, über die er gebot, baute der Staat jene kolossalen Werke, die wir heute noch bewundern, jene Tempel und Paläste, Wasserleitungen und Kloaken, aber auch ein Netz ausgezeichneter Straßen, das Rom mit den entferntesten Enden des Reiches verband und ein kraftvolles Mittel ökonomischen und politischen Zusammenhalts und internationalen Verkehrs wurde. Und daneben große Bewässerungs- und Entwässerungswerke. So bildeten zum Beispiel die Pontinischen Sümpfe ein ungeheures Gebiet fruchtbarsten Landes südlich von Rom, durch dessen Entwässerung 100.000 Hektar der Bodenkultur erschlossen wurden. Nicht weniger als 33 Städte standen einmal dort. Der Bau und die Erhaltung von Entwässerungsanlagen der Pontinischen Sümpfe bildeten eine ständige Sorge der Machthaber Roms. Diese Anlagen verfielen so vollständig, daß heute noch das ganze Gebiet der Sümpfe und ihres Umkreises eine unfruchtbare Einöde ist.

Sobald die Finanzkraft des Reiches erlahmte, ließen dessen Beherrscher eher alle diese Werke verfallen, als daß sie den Militarismus einschränkten. Die kolossalen Bauten wurden zu kolossalen Ruinen, die um so eher verfielen, als man bei dem zunehmenden Mangel an Arbeitskräften es vorzog, das Material zu gelegentlichen Neubauten, die nicht zu umgehen waren, durch Abreißen der alten Werke zu gewinnen, statt es aus Steinbrüchen zu holen. Diese Methode hat die antiken Kunstwerke mehr geschädigt, als die Verheerungen der eindringenden Vandalen und sonstiger Barbaren.

„Der Beschauer, der einen trauervollen Blick über die Ruinen des alten Rom wirft, gerät in Versuchung, das Andenken der Goten und Vandalen ob des Unheils zu verwünschen, zu dessen Vollführung sie weder Zeit noch Kraft noch vielleicht auch die Neigung hatten. Der Sturm des Krieges mochte einige hohe Türme dem Erdboden gleichmachen; aber die Zerstörung, welche die Grundlagen dieser erstaunlichen Bauwerke untergrub, nahm langsam und still ihren Fortgang während der Dauer von zehn Jahrhunderten ... Die Denkmäler konsularischer oder kaiserlicher Größe wurden nicht mehr als der unsterbliche Ruhm der Hauptstadt verehrt; man schätzte sie nur als eine unerschöpfliche Mine von Steinen, die wohlfeiler und bequemer zu haben waren als die der fernen Steinbrüche.“ [6]

Nicht bloß Kunstwerke wurden von dem Verfall betroffen, sondern auch die öffentlichen Anlagen, die dem Wirtschaftsleben oder der Hygiene dienten, Straßen und Wasserbauteil. Dieser Verfall, eine Folge des allgemeinen ökonomischen Niederganges, trug mm seinerzeit wieder dazu bei, ihn zu beschleunigen.

Die Militärlasten aber wuchsen trotz alledem, sie mußten daher immer unerträglicher werden und den völligen Ruin vollenden. Die Summe der öffentlichen Lasten – Naturalabgaben, Arbeitsleistungen, Geldsteuern – blieb gleich oder vermehrte sich, indes die Bevölkerung und ihr Reichtum ab nahm. Auf den einzelnen häufte sich eine stets schwerere Staatslast. Jeder suchte sie auf schwächere Schultern abzuwälzen; auf die unglückseligen Kolonen wurde am meisten abgeladen, ihre ohnehin schon traurige Lage dadurch zu einer verzweifelten, wie zahlreiche Aufstände bezeugen, zum Beispiel die der Bagauden, gallischer Kolonen, die sich zuerst unter Diokletian, 285 n. Chr., erhoben, nach siegreichen Anfängen niedergeschlagen wurden, aber ein volles Jahrhundert lang immer wieder durch neue Unruhen und Aufstandsversuche die Größe ihres Elends dartaten.

Indes wurden auch die anderen Klassen der Bevölkerung immer tiefer herabgedrückt, wem auch weniger hart wie die Kolonen. Der Fiskus nahm alles, was er finden konnte, die Barbaren konnten nicht ärger plündern als der Staat. Eine allgemeine Auflösung der Gesellschaft trat ein, eine steigende Unwilligkeit und Unfähigkeit der einzelnen Glieder der Gesellschaft, für das Gemeinwesen und für einander auch nur das Notdürftigste zu leisten. Was sonst Sitte und ökonomisches Bedürfnis geregelt hatte, mußte nun immer mehr durch die Gewalt des Staates erzwungen werden. Seit Diokletian wuchsen diese Zwangsgesetze. Die einen fesselten den Kolonen an die Scholle, verwandelten ihn also gesetzlich in einen Hörigen; andere verpflichteten die Grundbesitzer, an der Stadtverwaltung teilzunehmen, die freilich hauptsächlich in der Eintreibung von Steuern für den Staat bestand. Wieder andere organisierten die Handwerker in Zwangsinnungen und verpflichteten sie, ihre Dienste und Waren zu bestimmten Preisen zu liefern. Und es wuchs die staatliche Bureaukratie, die diese Zwangsgesetze durchzuführen hatte.

Bureaukratie und Armee, kurz die Staatsgewalt, gerieten dadurch in immer stärkeren Gegensatz dicht bloß zu den ausgebeuteten, sondern auch zu den ausbeutenden Klassen. Auch für diese verwandelte sich der Staat immer mehr aus einer schützenden und fördernden in eine plündernde und verheerende Einrichtung. Die Staatsfeindschaft stieg; selbst die Herrschaft der Barbaren wurde als eine Erlösung betrachtet. Zu ihnen, den freien Bauern, flüchtete immer mehr die Bevölkerung der Grenzbezirke, sie wurden schließlich von ihr als Retter, als Erlöser von der herrschenden Staats- und Gesellschaftsordnung herbeigerufen und mit offenen Armen empfangen.

Ein christlicher Schriftsteller des ausgehenden Römerreichs, Salvianus, schrieb darüber in seinem Buche De gubernatione dei:

„Ein großer Teil von Gallien und Spanien ist schon gotisch, und alle Römer, die dort leben, haben nur den einen Wunsch, nicht wieder römisch zu werden. Ich würde mich nur darüber wundern, daß nicht alle Armen und Bedürftigen überlaufen, wenn nicht der Grund wäre, daß sie ihre Habseligkeiten und Familien nicht im Stiche lassen können. Und wir Römer wundern uns, daß wir die Goten nicht überwinden können, wenn wir Römer es vorziehen, lieber unter ihnen als unter uns zu leben.“

Die Völkerwanderung, die Überschwemmung des römischen Reiches durch die Schwärme roher Germanen bedeutete nicht die vorzeitige Zerstörung einer blühenden hohen Kultur, sondern nur den Abschluß des Verwesungsprozesses einer absterbenden Kultur und die Grundlegung zu einem neuen Kulturaufschwung, der dann freilich jahrhundertelang recht langsam und unsicher vor sich ging.

In den vier Jahrhunderten von der Begründung der kaiserlichen Gewalt durch Augustus bis zur Völkerwanderung bildete sich das Christentum: in jener Zeit, die mit dem höchsten Glanzpunkt beginnt, den die antike Welt erreicht hat, mit der kolossalsten und berauschendsten Zusammenfassung von Reichtum und Macht in wenigen Händen; mit der massenhaftesten Ansammlung des größten Elends von Sklaven, verkommenden Bauern, Handwerkern und Lumpenproletariern; mit den schroffsten Klassengegensätzen und dem grimmigsten Klassenhaß – und die endet mit völliger Verarmung und Verzweiflung der ganzen Gesellschaft.

Alles das hat dem Christentum seine Merkmale aufgedrückt und seine Spuren in ihm hinterlassen.

Aber es trägt noch Spuren anderer Einflüsse, die aus dem staatlichen und gesellschaftlichen Leben entsprangen, das auf dem Boden der eben geschilderten Produktionsweise erwuchs und das deren Wirkungen vielfach noch verstärkte.


Fußnoten

1. Karl Jentsch, Drei Spaziergänge eines Laien ins klassische Altertum, 1900. 3. Spaziergang, Der Römerstaat, S. 237. Vergleiche auch den 2. Spaziergang in demselben Buche: Die Sklaverei bei den antiken Dichtern.

2. Herzfeld, Handelsgeschichte der Juden des Altertums, 1894, S. 198.

3. Diodorus Siculus, Historische Bibliothek, V, 36, 38. Vergleiche das Zitat aus demselben Werk, III, 13, über die ägyptischen Goldbergwerke, auf das Marx in seinem Kapital, I, 8. Kapitel, 2, Note 43 verweist.

4. In ganz sinnloser Weise setzt Pöhlmann in seiner schon zitierten Geschichte des antiken Kommunismus und Sozialismus die Klassenkämpfe der antiken Proletarier, ja der verschuldeten Agrarier, die Schuldentilgungen der Junker, die Plünderungen und Bodenverteilungen durch die Besitzlosen auf eine Stufe mit dem modernen Sozalismus, um zu beweisen, daß die Diktatur des Proletariats unter allen Umständen nichts bewirkt als Sengen und Brennen, Morden und Schänden, Teilen und Schwelgen. Die Weisheit des Erlanger Professors ist die des seligen Eugen Richter, mit massenhaften griechischen Zitaten aufgeputzt.

5. Ludo M. Hartmann, Geschichte Italiens im Mittelalter, 1897, 1. Band, S. 7.

6. Gibbon, Geschichte des Verfalls und Untergangs des römischen Weltreiches, 36. Kapitel.


Zuletzt aktualisiert am 26.12.2011