Karl Kautsky

Die Klassengegensätze im Zeitalter
der Französischen Revolution


IX. Die Bauern


Noch um eine Stufe tiefer als die nichtzünftigen Handwerker und Proletarier und die mit und von ihnen lebenden Existenzen standen die Bauern. Die ersteren lebten in den Städten, nicht unberührt von der geistigen Anregung, die sich dort bot, in engen Lokalitäten in Massen konzentriert, den Sitzen der Regierung nahe; ihre Vereinigung und ihre Intelligenz gaben ihnen doch einige Widerstandskraft, und die Nähe der Regierung die Möglichkeit, direkt auf sie einzuwirken. So arg man diese städtischen Elemente auch drückte, noch Ärgeres durfte man sich straflos gegen die Bauern erlauben, die isoliert, zerstreut wohnend, jeder geistigen Anregung entbehrend, keine Mittel und Wege hatten, geschlossen gegen ihre Peiniger vorzugehen und ihren Beschwerden Gehör zu verschaffen.

|Während Adel und Geistlichkeit, die staatliche und städtische Bureaukratie, fast jeder Wohlhabende, von den direkten Staatssteuern ganz oder teilweise befreit waren, lasteten sie um so schwerer auf dem Bauern. Es kam vor, daß ihr Betrag bis zu 70 Prozent seines Reineinkommens stieg; im Durchschnitt nahmen sie 50 Prozent desselben.

Zum Kriegsdienst wurde vorzugsweise der Bauer herangezogen, in der Miliz, zu der jährlich 60.000 Mann ausgehoben wurden. Der Adel dagegen war nicht dienstpflichtig und doch hatte er die Unverschämtheit, seine Steuerfreiheit mit der Blutsteuer zu rechtfertigen, die er angeblich allein dem Vaterland darbrachte, die sich aber, soweit er überhaupt sie leistete, aus einer gefahrvollen und kostspieligen Pflicht zu einem profitablen Vorrecht zur Ausbeutung dieses Vaterlandes gestaltet hatte. Den Vorwurf, es sei doch ungerecht, nur Bauern aufzuheben, glaubte ein Verfechter dieser Maßregel damit zu begegnen, daß die Soldaten so elend behandelt und gehalten würden, daß nur ein Bauer das aushalten könne.

Der Bauer allein leistete die Wegbaufronden (corvées) zur Herstellung der Heerstraßen, auf ihm lasteten die Einquartieruug und der Vorspanndienst bei Truppenbeförderungen.

Immer mehr stiegen die Lasten, die dem Bauer zur Erhaltung des modernen Staates auferlegt wurden; gleichzeitig blieben die Lasten der Feudalität bestehen, und sie waren nicht bloß Lasten, sondern wurden auch zu Schranken, die jede Verbesserung der Produktion hinderten, ja deren völligen Verfall herbeiführten. Der Bauer durfte nicht anbauen, was er wollte; auf den altbekannten Feldfrüchten ruhte der Zehnte, nicht aber auf neueingeführten Pflanzen, zum Beispiel der Kartoffel oder dem Luzerner Klee. Die Kultur solcher Pflanzen war ihm daher vielfach verboten. Die Einführung eines verbesserten Verfahrens, etwa der Übergang vou der Dreifelderwirtschaft zur Fruchtwechselwirtschaft, wurde dadurch sehr erschwert. Die Reste der Markverfassung, namentlich der Flurzwang, hinderten freilich den landwirtschaftlichen Fortschritt in noch höherem Maße.

Jeden Augenblick, während der dringendsten Feldarbeiten, konnte der Bauer zum Frondienst abberufen werden. Hatte man auch die gutsherrlichen Fronden meist in Geldabgaben umgewandelt, so waren dafür die Wegbaufronden und Vorspanndienste, namentlich bei Truppentransporten, eine um so drückendere Last geworden.

Wuchsen die Feldfrüchte heran, dann war es dem Bauer fast unmöglich, sie vor dem Wilde, den Kaninchen und den Tauben der „gnädigen“ Herren zu sichern. Die Jagd war dem Adel vorbehalten; dieser hatte auch das Vorrecht, Kaninchen zu hegen und Taubenschläge zu halten, und er machte von diesen Vorrechten den ausgiebigsten Gebrauch: nicht er, sondern die Bauern hatten ja diese Tiere zu füttern, freilich sehr wider Willen, indem sie ihnen ihre Äcker preisgeben mußten. Mitunter waren die Bauern geradezu verpflichtet, nur solche Gewächse zu bauen, die das Wild gern frißt. Die Wildhüter hatten das Recht, jeden niederzuschießen, der auch nur ein Kaninchen oder einen Hasen aus dem Wege räumte. Taine findet es sonderbar, daß in dem Maße, in dem „die Sitten sich milderten“ und die „Aufklärung fortschritt“, die Barbarei des Jagdwesens wuchs. Aber die Jagd war für den Adel ebenso ein Mittel, die Bauern auszubeuten, wie sich zu amüsieren, und in demselben Maße, in dem der Adel überflüssiger wurde, wuchs seine Sucht nach Vergnügungen wie sein Drang nach Ausbeutung. Die „Milderung der Sitten“ galt nur für den Verkehr der Herren untereinander und mit den Geldmenschen. Man ließ das Wild immer mehr anwachsen, sogar das schädlichste: im Clermontois wurden auf den Gütern des Fürsten von Condé die jungen Wölfe sorgfältigst gehegt und großgezogen, um im Winter freigelassen zu werden, worauf man sie jagte. Daß sie die Schafe, mitunter auch Kinder der Bauern fraßen, kümmerte die edlen Herren nichts, die in ihren Salons so zierlich über Humanität zu geistreicheln wußten.

Der König war, wie der größte Grundbesitzer, so auch der größte Jagdherr Frankreichs [1] und dadurch einer der größten Verwüster des Landes. Namentlich in der Umgebung von Paris wuchsen seine Jagdreviere und machten fast jede Bodenkultur unmöglich. In den elf Revieren (capitaineries) in der Nähe der Hauptstadt richtete das Wild so viele Verwüstungen an wie „die Einquartierung von elf feindlichen Kavallerieregimentern“. [2] Ludwig XVI. hatte bekanntlich neben der Schlosserei nur eine Passion: die Jagd. Den 14. Juli, den Tag des Bastillesturms, bezeichnete er in seinem Tagebuch bloß mit dem schmerzlichen Ausruf: keine Jagd!

Ein Reglement verbot 1762 im Bereich eines jeden königlichen Jagdreviers die Einzäunung der Bauerngüter, wodurch das Wild von Feldern und Gärten abgehalten werden konnte, und das Betreten der Felder für jedermann, auch ihre Eigentümer, in der Zeit vom 1. Mai bis 24. Juni, um die brütenden Rebhühner nicht zu stören. Mochte auch das Unkraut indessen überhandnehmen!

Noch 1789, als bereits die Empörung gegen das Feudalsystem im Gange war, wurden in einem einzigen Kanton des königlichen Reviers von Fontainebleau 108 Schutzdickichte für Hasen und Rebhühner trotz aller Proteste der betroffenen Bauern neu gepflanzt.

Und Ludwig XVI. war, wie man behauptet, ein milder und gütiger Herr. Wie wirtschafteten da erst die herzlosen Jagdherren!

Gelang es trotz aller dieser Hindernisse dem Bauer, eine Ernte zu erzielen, so durfte er sie nicht ohne weiteres einheimsen. Die geschnittenen Feldfrüchte mußten auf dem Felde liegen bleiben, bis die Steuereinnehmer die Garben abgezählt hatten, um danach den Betrag der Naturalleistungen zu bestimmen. Trat währenddem schlechte Witterung ein, so ging die Ernte zugrunde.

Es stand aber dem Bauer keineswegs frei, den schließlich eingeheimsten Ertrag seiner Ernte nach Belieben zu verwenden. Er mußte seinen Wein in der gutsherrlichen Kelter keltern, sein Getreide in der gutsherrlichen Mühle mahlen, sein Brot im gutsherrlichen Ofen backen lassen. Eine Umgehung dieser Institutionen war streng verboten. Nicht einmal eine Handmühle durfte der Bauer besitzen, ohne das Recht dazu teuer erkauft zu haben. Kelter, Mühle und Backofen des Feudalherrn waren verpachtet und befanden sich, wie man sich denken kann, im erbärmlichsten Zustand; sie bedienten saumselig und schlecht. Die Kunden waren ja dem Pächter von „Gesetzes wegen“ sicher.

Wenn der Bauer bei all’ diesen Einrichtungen, ihn nicht bloß auszubeuten, sondern auch den Ertrag seiner Arbeit zu einem minimen zu gestalten, einen Überschuß erzielte, den er auf den Markt bringen konnte, war er auch da gehindert. Seinen Wein durfte er erst vier bis sechs Wochen nach der Weinlese verkaufen. In dieser Zeit hatte der Grundherr das Monopol des Weinkaufs. Die Landwege waren elend, die Durchfuhrzölle und Marktabgaben hoch. Der Bauer durfte da froh sein, wenn er aus seinem Überschuß so viel erlöste, daß er auf die Transportkosten kam.

Wie selten konnte er aber von einem Überschuß sprechen! Nicht genug mit all den „gesetzlichen“ Plackereien und Schindereien, die wir mir andeuten konnten, deren Anführung eine unendlich lange Liste werden würde (Wachsmuth zählt in seiner Geschichte Frankreichs im Revolutionszeitalter nicht weniger als 150 Benennungen von feudalen Rechten auf, die in der Nacht vom 4. August 1789 ohne Entschädigung abgeschafft wurden), nicht genug an alledem, war der Bauer rechtlos den Beamten des Staates und des Grundherrn preisgegeben, die ihm nicht so viel nahmen, als sie durften, sondern als sie. konnten. Nur der Anschein des jämmerlichsten Elends rettete den Bauer vor völliger Plünderung. Jämmerlich daher seine Wohnung, jämmerlich sein Vieh, seine Werkzeuge, seine Felder. Konnte der Bauer wirklich etwas erübrigen, dann behielt der Überschuß die Gestalt harter Taler, die man leicht den spähenden „Dienern des Gesetzes“ verbergen konnte. Das Geld wurde höchstens hie und da zum Ankauf eines neuen Fetzen Landes benutzt, nicht zur Verbesserung des Betriebs. Jede Vermehrung des Bodenertrags hätte ja eine sofortige Erhöhung der Abgaben zur Folge gehabt.

Bei den meisten aber war die Kläglichkeit des Betriebs, der mit den primitivsten Mitteln vollzogen wurde, eine unausweichlich Notwendigkeit, nur wenigen gelang es, einen kleinen Schatz irgendwo vergraben zu halten. Der Boden, dem man keinen Dünger zuführte, wurde zusehends immer unfruchtbarer; die Mißernten folgten immer rascher aufeinander. Von Vorräten war natürlich keine Spur: brach eine Mißernte aus, dann war die furchtbarste Not die unausweichliche Folge. Vielen Bauern wurde in solchen Zeiten die Fortführung des Betriebs unmöglich. Sie verließen ihre Heimstätten, das Land verödete zusehends. Schon 1750 gab Quesnay an, ein Viertel des pflugfähigen Bodens sei unangebaut; unmittelbar vor der französischen Revolution erklärte Artur Young, ein Drittel des Ackerlandes (mehr als neun Millionen Hektar) liege wüst. Der landwirtschaftlichen Gesellschaft von Rennes zufolge lagen zwei Dritteile der Bretagne brach.

Und während die Zahl der Bauern dahinschmolz, wuchs der Gesamtbetrag ihrer Abgaben rapid, die sich auf immer weniger Köpfe verteilten. Kein Wunder, daß schließlich aus manchen landwirtschaftlichen Bezirken die ganze Bevölkerung zu fliehen drohte. Aber wohin? Die Auswanderung ins Ausland war damals gerade für Bauern nahezu unmöglich; sie drängten sich in die Städte als Tagelöhner, fanden aber auch da wieder feudale Schranken, die des Zunftmonopols, die um so unerträglicher wurden, je mehr die Proletarisierung des Landvolks zunahm; sie überfüllten die vom Zunftzwang befreiten Vorstädte von Paris und trugen am meisten zum Anschwellen jener Menge bei, die dort dem Sansculottismus entgegenreifte.

Andere ließen sich zur Armee anwerben, nicht aus Begeisterung für die Sache der Privilegierten, die sie verfechten sollten, die Sache derjenigen, die sie ins Elend getrieben hatten und ihnen jeden Ausweg daraus verschlossen. Es bedurfte nur eines Anstoßes, daß sie sich gegen ihre Peiniger erhoben.

Die meisten der „Freigesetzten“ aber versanken in das Lumpenproletariat, das rapid anwuchs, trotz der brutalen Strafen, die man gegen Bettler und Vagabunden anwandte. Damals wie heute bildeten sich die Machthaber ein, Besitzlosigkeit und Arbeitslosigkeit kuriere man durch das Mißhandeln der davon Betroffenen. Mochte auch eine Ordonnanz von 1764 das Betteln, ja bereits die Arbeitslosigkeit mit dreijähriger Galeerenarbeit bestrafen, 1777 zählte man doch 1.200.000 Bettler. [3] Wir wissen nicht, wie man zu dieser Zahl gekommen. Mag sie auf bloßer Schätzung beruhen, sie zeigt, wie furchtbar das Bettlerelend zutage trat. [4]

Männer mit kräftiger Faust und kühnem Charakter verachteten jedoch das demütige Betteln, das nur Fußtritte und Not eintrug. Sie rotteten sich zu bewaffneten Banden zusammen und nahmen gewaltsam, was sie brauchten. Das Räuberunwesen wurde zu einer unausrottbaren Landplage.

Aber auch in den Bauern, die ihr Eigentum oder feudaler Zwang noch an den Boden fesselte, erwachte immer mehr der Geist der Empörung und der Verzweiflung. Die Beamten des Staates und der Feudalherrschaft begegneten jeden Augenblick gewaltsamem Widerstand. Vereinzelt, unzusammenhängend, wurden diese Bauernrevolten in der Regel ohne Mühe unterdrückt. Aber es bedurfte nur eines Ereignisses in der führenden Hauptstadt, welches zeigte, daß der Entscheidungskampf gekommen, und der langverhaltene Grimm brach überall gleichzeitig, unwiderstehlich los, der latente Bürgerkrieg schlug in den offenen um. Dies Ereignis war der Bastillesturm, nachdem Mißernten, ein furchtbar strenger Winter und endlich die Wahlen zu den Generalständen die Gährung in den Gemütern bereits hochgradig gesteigert hatten. [5] Mit einem Schlage brach nun vor dem Ansturm der Bauern das ganze feudale Gebäude zusammen; mit den adeligen Schlössern versank auch die feudale Ausbeutung in Asche. Als in der berühmten Augustnacht die Privilegierten in der Nationalversammlung unter allgemeiner Begeisterung ihre Vorrechte opferten, da verzichteten sie nur auf das, was sie nicht mehr hatten, um zu retten, was noch zu retten war.

Ausnahmslos erfolgte dieses Losbrechen der Bauern freilich nicht.

Wir haben bereits oben, gelegentlich der Schilderung des Adels, darauf hingewiesen, daß es in Frankreich vor der Revolution abgelegene Distrikte gab, in denen die Feudalherrschaft und die ihr entsprechenden Gedankenformen des Katholizismus noch in der Produktionweise wurzelten, wo, was anderwärts unerträgliche, erdrückende Fessel geworden war, noch als schützende Brustwehr sich darstellte. In diesen Gegenden lebte und produzierte noch jede Gemeinde für sich nach alter Weise. Das Vaterland des Bauern reichte dort nicht weiter, als er vom Kirchturm seines Dorfes aus sehen konnte: was jenseits dieses engen Horizonts lag, war ihm Ausland, von dem er nichts bedurfte, mit dem er nichts zu tun haben wollte, das sich nur fühlbar machte, ihn bei seiner Arbeit zu stören und ihn zu plündern. Mit diesem Ausland zu verkehren, ihn davor zu schützen, oblag seinem Pfarrer, seinem Feudalherrn. Und nun maßte sich dieses ihm feindliche Ausland an, beherrscht von dem ihm so verhaßten Paris, ihm Gesetze zu geben, und sie zur Geltung zu bringen, viel energischer, als es die alte Monarchie in diesen abgelegenen Winkeln je getan; Gesetze, die seinen Gewohnheiten, die seiner Produktionsweise viel schroffer widersprachen, als die Gesetze und Verordnungen der alten Monarchie; die alles ächteten, was er achtete und schätzte, die von dem genossenschaftlichen Besitz und Betrieb der Familie und der Gemeinde nichts wissen wollten, worauf seine Produktionsweise beruhte; ja, schließlich verstieg sich dies ihm feindliche Ausland sogar so weit, den Familien ihre Söhne in bisher nie dagewesener Weise zu entreißen und zum Kriegsdienst zu pressen. [6]

Es bedurfte keiner großen Anstachlungen der Aristokraten und Geistlichen, um diese Bauern, deren äußere Politik sie so sehr beeinflußten, schließlich zu offener Empörung gegen den Konvent in Paris zu treiben, namentlich in der Vendée und im Calvados.

Die Masse der Bauern stimmte diesen Aufständen jedoch keineswegs zu. Sie waren an die Revolution festgekettet. Die Wiederherstellung der alten Monarchie bedeutete für sie Wiederherstellung des alten feudalen Drucks, des alten feudalen Elends. Sie bedrohte sie sogar zum Teil mit dem Verlust ihres Vermögens. Die Nationalversammlung hatte die Kirchengüter für Nationaleigentum erklärt und die Güter der Emigranten konfisziert. Die einen wie die anderen wurden verkauft; und so sehr diese Maßregel dazu diente, die Güterspekulanten zu bereichern, sie bot den Bauern die Möglichkeit, zu ihren engen Parzellen neuen Grrund und Boden zu erwerben, was ihnen soviel als möglich erleichtert wurde. Man parzellierte einen Teil der Kirchengüter, später auch der Güter der Emigranten, verkaufte die Parzellen gegen unbedeutende Aschlagszahlungen und gewährte für den Rest lange Termine. Viele, die bis zur Revolution ihr Land als feudale Zinsbauern, meist tatsächlich erblich, besessen hatten, hörten auf, Zins zu zahlen, und suchten oft erfolgreich sich in volle Eigentümer zu verwandeln.

Die Herrchen vom Hofadel hatten, um ihre ritterliche Tapferkeit und Königstreue zu beweisen, Reißaus genommen und ihren König im Stich gelassen, als ihnen der Boden unter den Füßen heiß wurde. Manche schon nach dem Bastillesturm, an ihrer Spitze der Bruder des Königs, der Graf von Artois. Als „heimatlose Wühler“ intrigierten sie , um unter dem Schutze österreichischer und preußischer Armeen in Frankreich einzufallen, mit der Absicht, dasselbe wieder für sich zu erobern. Ihr Sieg bedeutete Wiederherstellung der feudalen Ausbeutung, Wiedereinziehung der Kirchen- und Emigrantengüter. Wer den Druck kennt, unter dem der Bauer vor der Revolution geseufzt, wer weiß, mit welchem Fanatismus der Bauer an seinem Grund und Boden hängt, der wird leicht begreifen, daß unter diesen Umständen neben den städtischen revolutionären Elementen auch die Bauern sich in hellen Haufen erhoben und den französischen Armeen an der Grenze zuströmten, um die eingedrungenen Landesfeinde zurückzuschlagen.

Aber sie erhoben sich nicht aus Begeisterung für die Legislative, dann den Konvent und die Jakobiner von Paris, die in den ersten Kriegsjahren von 1792 an Frankreich beherrschten und dessen Armeen dirigierten. Der Bauer ist nie ein Verehrer des Repräsentationssystems gewesen, unter dem er bei seiner Isoliertheit und geistigen Verödung wenig Einfluß hat. Am allerwenigsten Einfluß in Frankreich zur Zeit der Revolution, das soeben erst zu politischem Leben erwachte, dessen Bevölkerung politisch noch völlig ungeschult war. Die Bauern konnten nicht ihresgleichen in die Volksvertretung schicken, sie sandten Advokaten, Mediziner, Beamte, kurz, vorwiegend städtische Elemente, die in Paris tagten, unter dem Einfluß der „revolutionären Massen“ dieser Stadt. Sobald die Interesse dieser Elemente mit denen der Bauern in Konflikt kamen, wurden unter solchen Umständen die letzteren natürlich in Gesetzgebung und Verwaltung benachteiligt. und solche Konflikte kamen. Um die darbenden Massen der Kleinbürger und Proletarier von Paris zu befriedigen, mußten die verschiedenen gesetzgebenden Versammlungen entweder die Bourgeoisie oder die Bauern zu Opfern heranziehen. Natürlich wählten sie das letztere, wenn es ging. Aber mancher Konflikt entspann sich auch direkt zwischen Kleinbürgertum und Bauernschaft: jene suchte natürlich nach billigem Brot, diese wollte für ihre Produkte so viel als möglich lösen. Der Gegensatz wurde wohl am schärfsten, als die Jakobiner nach dem Sturz der Gironde zur Alleinherrschaft gelangten und, um der entsetzlichen Not ein Ende zu machen, ein Maximum der Lebensmittelpreise dekretierten und dessen Wirkung durch Requisitionen von Lebensmitteln, nicht blos für die Armee, sondern auch für Paris, ergänzten; Maßregeln, die sich in erster Linie gegen die Händler und Spekulanten mit Lebensmitteln richteten, aber auch die Bauern trafen. [7]

Diejenige revolutionäre Institutionen, für die der Bauer sich am meisten begeisterte, das war die neue Armee, die von allen ständischen Schranken befreit war, in der jeder Soldat den Marschallsstab im Tornister trug. Diese Armee, vorwiegend aus Bauernsöhnen gebildet, eröffnete diesen die glänzendste Laufbahn. Und auch für den, der gemeiner Soldat blieb, war sie nicht bloß, was allerdings die Hauptsache blieb, die mächtigste Waffe, die neugewonnene Freiheit, den neugewonnenen Boden gegen den Feudalismus zu behaupten, der drohte, mit Europas Hilfe zurückzukehren, sie war für ihn auch ein Mittel, durch Beute sich zu bereichern.

Dies Moment ist nicht zu unterschätzen. Die Revolutionskriege sind für die ökonomische Entwicklung namentlich Englands und Frankreich von der größten Bedeutung geworden. Sie setzten England in den teils zeitweiligen, teils dauernden Besitz der Kolonien nicht bloß Frankreichs, sondern auch Hollands, das 1795 in den Besitz der Franzosen kam, und Spaniens, das 1796 sich gezwungen sah, mit diesen ein Bündnis einzugehen. Es erlaubte ferner England, die Flotten und Küsten dieser Länder unaufhörlich zu plündern.

Aber Frankreich hielt sich schadlos in Belgien, Hollaud, Italien, Ägypten, der Schweiz, Deutschland usw. Nicht bloß die Soldaten plünderten nach Herzenslust in diesen Ländern; was sie nahmen, war ein Pappenstiel im Vergleich zu den ungeheuren Summen, die Generäle und Kommissäre teils für sich, teils für den Staatsschatz erpreßten, der seinerseits wieder von habgierigen Lieferanten und „Staatsmännern“ geplündert ward. Der Krieg wurde für Frankreich seit dem Sturz der Jakobiner ein „gutes Geschäft“, das beste in der damaligen Zeit; er war ein mächtiges Mittel, die Schätze, die der Feudalismus in den obengenannten Ländern aufgespeichert hatte und die in Kirchen, Klöstern, fürstlichen Schatzkammern tot lagen, ebenso wie die Reichtümer der alten Kaufmannsrepubliken, Holland, Venedig, Genua, nach Frankreich strömen zu lassen und dort der kapitalistischen Produktionsweise dienstbar zu machen. Der französische Staat, eben noch am Rande des Bankerotts, wurde reich, und reich wurden diejenigen, deren Stellung es erlaubte, ihn zu plündern. Wie Pilze schossen die großen Vermögen empor und suchten nach gewinnbringender Anlage. Gleichzeitig erweiterten die siegreichen Kriege den Markt der französischen Industrie, und die neue Art der Kriegführuug förderte sie nicht minder. Den relativ kleinen Werbearmeen der alten Monarchien setzte das revolutionäre Frankreich das Aufgebot in Masse entgegen und stellte damit der Industrie die Aufgabe, große Massen rasch zu bekleiden und zu bewaffnen. Es war dies ein mächtiger Hebel, die kapitalistische Industrie, die bis dahin vorwiegend Luxusindustrie gewesen, zu einer modernen Industrie, zu einer Industrie von Massenartikeln umzuwandeln.

Der Faktor, der all das zustande brachte, das Defizit im Staatshaushalt beseitigte und den Bauern ihren Grund und Boden schützte, ihre Söhne bereicherte und förderte, den Finanzleuten, Kaufleuten und industriellen Unternehmen reiche Profite brachte, der die Arbeitslosigkeit überwand: das war die Armee. Man muß diese ihre Bedeutung für die ökonomische Entwicklung Frankreichs ins Auge fassen, wenn man die politische Bedeutung verstehen will, zu der sie gelangte. Die Annahme, der Kriegsruhm sei den Franzosen plötzlich so in den Kopf gestiegen, daß das Wörtchen „gloire“ sie alle zusammen verrückt gemacht habe, und daß daher ihre Eroberungspolitik und ihr Napoleonkultus rühre, ist denn doch zu „idealistisch“.

Ein siegreicher Feldherr wurde angesichts dieser Bedeutung der Armee von vornherein ein hervorragender politischer Faktor im Staatsleben Frankreichs. Seine Macht mußte aber eine uberwältigende werden, sobald es ihm gelang, sich der Staatsverwaltung zu bemächtigen.

Und das hielt nicht schwer.

Ein großer Teil der Bourgeoisie war im Verlauf der Revolution der parlamentarischen Kämpfe milde geworden und sehnte sich nach Ruhe, nach der Ruhe des Raubvogels, der seine Beute gemächlich verzehren will. Von vornherein waren manche ihrer Kreise der Revolution mißtrauisch und kühl, mitunter sogar ablehnend gegenübergestanden; das Schreckensregiment hatte die Begeisterung für die Freiheit in ihren Reihen noch .mehr abgekühlt. Auch von den Ideologen hatte gar mancher seine Illusionen verloren; er war „vernünftig“ geworden und hatte eingesehen, daß die Revolution nicht die Erlösung der Menschheit bedeute, sondern die Erlösung des Kapitals, und er ergab sich drein, die Freiheit, für die er gestritten, das parlamentarische Regime, von einem Säbelhelden konfisziert zu sehen, der dafür in Aussicht stellte, ganz Europa für die Kapitalisten Frankreichs zu konfiszieren, es ihnen dienstbar und tributpflichtig zu machen.

Es war aber auch, als Frankreich seinen Siegeszug durch Europa antrat, keine Klasse mehr da, auf welche die Bourgeoisie sich hätte stützen können. Und allein, ohne Bundesgenossen, hatte sie selbst in Zeiten des größten revolutionären.Aufschwunges ihre politische Herrschaft nicht behauptet.

Das parlamentarische Regime war ihr in Frankreich zugefallen infolge einer Empörung der Privilegierten gegen die Monarchie. Sie wäre nicht imstande gewesen, es gegen den Hof und dessen Verbündete in- und außerhalb Frankreichs zu behaupten, ohne das tatkräftige Eingreifen der Bauern, Kleinbürger und Proletarier. Die Bauern kämpften aber, wie wir gesehen, bloß gegen den feudalen Absolutismus, nicht für das Repräsentationssystem. Die neue, von ständischen Unterschieden befreite, vorwiegend aus Bauern bestehende Armee war die Institution, für die sie sich begeisterten, und wenn ein siegreicher Feldherr, der von unten auf emporgestiegen, an der Spitze dieser Armee die Herrschaft des Parlaments über den Haufen warf, um seine absolute Herrschaft zu begründen, so erhoben sie sich nicht dagegen, sondern jubelten ihm zu, dem Bauernkaiser an Stelle des Advokatenregiments. Diejenigen aber, die die Republik gegründet und vor dem Ansturm der feudalen Mächte gerettet hatten, die Sansculotten, lagen ohnmächtig zu Boden. Die Siege der französischen Armeen hatten ihnen ihre Kraft geraubt, und die Bourgeoisie hatte sie niedergeworfen und vom Standpunkt ihrer Klasseninteressen aus niederwerfen müssen, damit aber auch selbst die einzige Waffe zerschlagen, die dem neuen Säbelregiment hätte entgegengesetzt werden können.

Die alte Monarchie war jedoch unwiederbringlich dahin; das Kaiserreich bedeutete nicht die Rückkehr der feudalen Ausbeutung; es war vielmehr gleich der jakobinischen Schreckensherrschaft ein Werkzeug der Revolution. Die Jakobiner retteten die Revolution in Frankreich. Napoleon revolutionierte Europa.


Fußnoten

1. Seine Domänen umfaßten eine Million Morgen (arpents) Jagdforste, ohne die Wälder, die dem Betrieb von Salinen und anderen industriellen Zwecken dienten.

2. Taine, Les origines de la France contemporaine; l’ancien régime, p. 74.

3. Louis Blaue, a. a. O., 1, S. 149.

4. Vgl. Kap. VIII, S. 68. Über das Lumpenproletariat in Frankreich vor der Revolution teilt Karejew in seinem schon genannten Werk Die Bauern usw., S. 211 bis 214 folgendes mit, wie wir der Übersetzung einiger Stellen entnehmen, die uns, wie schon erwähnt, von F. Engels zur Verfügung gestellt wurden:

„Es ist bezeichnend, daß die Zahl der Verarmten am allergrößten war in denjenigen Provinzen, die für die fruchtbarsten galten; dies kam daher, daß es in diesen Gegenden nur sehr wenige grundbesitzende Bauern gab.

„Doch lassen wir die Zahlen sprechen: In Argentré (Bretagne) schlägt sich von 2.300 Einwohnern, die nicht von Industrie und Handel leben, mehr als die Hälfte nur notdürftig durch, und mehr als 500 Leute sind zur Bettelarmut heruntergebracht. In Vainville (Artois) kommen auf 130 Familien 60 verarmte. Blicken wir auf die Normandie: In Saint Patrice leben von 1.600 Einwohnern 400, in Saint Laurent von 600 Einwohnern drei Viertel von Almosen (Taine). In den Cahiers der Bailliage Douai erfahren wir, daß zum Beispiel in einem Dorf von 332 Familien die Hälfte von Almosen lebt (Pfarre Bouvigniese); in einem zweiten sind auf 143 Familien 65 verarmt (Pfarre Aix), und in einem dritten von 413 gegen hundert gänzlich am Bettelstab (Pfarre Landus) usw. In der Sénéchaussee von Puy en Velaye sind nach den Worten des Cahiers der dortigen Geistlichkeit von 120.000 Einwohnern 58.897 außerstande, irgend welche Steuern irgend welcher Art zu zahlen (Archives Parlamentaires de 1787 à 1860, Vol. V, S. 467). In den Dörfern des Bezirks Carhaix sah es folgendermaßen aus: Frerogan: 10 wohlhabende Familien, 10 verarmte, 10 bettelarm. Mont: 47 bemittelte Familien, 74 weniger gut gestellte, 64 Familien von Armen und Taglöhnern. Paule: 200 Wirtschaften, denen zumeist der Name von Bettlerquartieren zukommt (Archives Nationales, Bd. IV, S. 17). Das Cahier der Pfarre Marboeuf klagt, daß aus 600 Einwohnern derselben gegen 100 Bettler sind (Boirin Champeaux, Notice historique sur la Révolution dans le Département de l’Eure, 1872, S. 83). Die Bauern des Dorfes Harville sagen, daß wegen Arbeitsmangel ein volles Drittel von ihnen in Bettelarmut sei (Requite des habitants de la commune d’Harville, Archives Nationales).

„In den Städten stand es nicht besser. In Lyon waren 1787 30.000 Arbeiter auf den Bettel angewiesen. In Paris fanden sich auf 680.000 Einwohner 118.784 Arme (Taine). In Rennes lebte ein Drittel der Einwohnerschaft von Almosen und ein anderes Drittel war in beständiger Gefahr, an den Betlelstab zu kommen (Du Chatelier, L’agriculture en Bretagne, Paris 1863, S. 178). Das jurassische Städtchen Lourletaunier war so verarmt, daß, als die Konstituante den Wahlzensus einführte unter 6.518 Einwohnern nur 728. als aktive Bürger aufgeführt werden konnten (Sommier, Histoire de la Révolution dans le Jura, Paris 1846, S. 88). Es ist begreiflich, daß zur Zeit der Revolution die von Almosen lebenden Leute nach Millionen zählten. So sagt eine klerikale Broschüre von 1791, daß es in Frankreich sechs Millionen Arme (indigents) gebe (Avis aux pauvres sur le révolution présent et sur les biens du clergé, S. 15), was doch etwas übertrieben. Aber die für das Jahr 1777 gegebene Zah1 von 1.200.000 Bettlern ist vielleicht nicht unter der wirklichen (Duval, Cahiers de la marche, Paris 1878, S. 116).“

5. Hagel und Dürre beeinträchtigten den landwirtschaftlichen Ertrag des Jahres 1788; Ende Dezember 1788 sank das Thermometer in Paris auf −18¾° Reaumur! In der einzigen Vorstadt St. Antoine zählte man damals 30.000 Unterstützungsbedürftige.

6. Im Februar 1793 erließ der Konvent ein Wehrgesetz, das die Wehrpflicht aller unverheirateten Franzosen im Alter von 18 bis 40 Jahren festsetzte, jedoch die Stellvertretung zuließ.

7. Die Ursachen der Not waren hauptsächlich der Krieg nach außen, der nicht bloß viele Lebensmittel zur Erhaltung der Armee absorbierte, sondern auch die Einfuhr hinderte. Vielleicht noch verheerender wirkten die gleichzeitigen Bürgerkriege im Innern Frankreichs. Und selbst die revolutionären Bauern, nicht mehr durch habgierige Steuerpächter und Beamte gezwungen, einen beträchtlichen Teil der Ernte um jeden Preis loszuschlagen, zeigte die Neigung, ihre Getreidevorräte zurückzuhalten: die kleinen Bauern, weil sie kaum genug Getreide für den Selbstbedarf produzierten, die Großbauern und Großpächter, um die Preise zu steigern, die infolge aller dieser Umstände rasch in die Höhe gingen.


Zuletzt aktualisiert am 03.08.2010