Karl Kautsky


Terrorismus und Kommunismus



4. Die erste Pariser Kommune

a) Das Pariser Proletariat und seine Kampfmittel

Wir haben bisher immer von den „Parisern“ gesprochen. Natürlich ist darunter nicht die ganze Bevölkerung von Paris zu begreifen, die ja in sehr gegensätzliche Klassen zerfiel. Unter den Parisern war die große Masse der Bevölkerung der Hauptstadt zu verstehen, Kleinbürger und Proletarier.

Bei den letzteren haben wir freilich nicht an moderne, großindustrielle Proletarier zu denken. Wohl gab es einige Manufakturen in Paris, aber der größte Teil seiner Arbeiterschaft war entweder mit Diensten mannigfachster Art beschäftigt, als Handlanger und Lastträger, oder sie waren Handwerksgesellen, die selbst einmal selbständige Handwerker werden wollten. Daneben gab es zahlreiche kleine Handwerker und Heimarbeiter sowie Zwischenhändler aller Art, die in bitterster Armut und quälendster Unsicherheit lebten.

Diese Armut und Unsicherheit machte ihre soziale Lage zu einer proletarischen, aber ihrer Klassenlage, das heißt, den Quellen ihres Einkommens nach waren sie Kleinbürger, eine behagliche, kleinbürgerliche Existenz ihr Ideal. Nichts irreführender, als das Verwechseln der Einkommenslage mit der Klassenlage, wie es Lassalle tat und wie es jetzt diejenigen unserer russischen Genossen tun, die glauben, der arme Bauer hätte andere Klasseninteressen als der wohlhabende Bauer, und er hätte die gleichen Klasseninteressen, wie das Lohnproletariat der Städte. Das ist ebenso falsch wie die Rechnung derjenigen, die glauben, die kleinen Kapitalisten hätten andere Klasseninteressen als die großen, und ihr Gegensatz gegen das Finanzkapital falle mit dem Klassengegensatz des Proletariats gegen das Kapital zusammen. Die kleinen Kapitalisten wollen große werden, die kleinen Bauern wollen auch ihren Besitz vergrößern, das und nicht eine sozialistische Gesellschaft ist ihr Ziel. Die einen wie die andern wollen ihr Einkommen vergrößern auf Kosten der Arbeiter, jene durch niedere Löhne und lange Arbeitszeit, diese durch hohe Preise der Lebensmittel.

So waren auch die armen Schichten von Paris zur Zeit der großen Revolution ihrer Klassenlage nach Kleinbürger, trotz ihrer proletarischen Existenzbedingungen. Diese gaben ihnen keine Ziele, die von denen der bessergestellten Kleinbürger verschieden waren, wohl aber legten sie ihnen Methoden des Kampfes nahe, die den wohlhabenderen Kleinbürgern weniger sympathisch waren.

Der Verhungernde kann nicht warten, er verzweifelt, bedenkt sich daher nicht in der Wahl seiner Mittel, ihm liegt wenig an seinem Leben, er hat nichts zu verlieren, als seine Ketten, er wagt alles in einer Zeit des Umsturzes der überkommenen Verhältnisse, in der er glaubt, die Welt gewinnen zu können.

So wurden die Proletarier, die große Masse der Bevölkerung von Paris, die Kraft, die in der Revolution stets vorwärts drängte. Ihre verzweifelnde Rücksichtslosigkeit machte sie zu Herren von Paris, machte Paris zum Herrn Frankreichs, ließ Frankreich über Europa triumphieren.

Ihr Machtmittel war die bewaffnete Insurrektion. Ihre Erhebungen waren nicht unvorbereitet, von selbst aus den Verhältnissen entspringend. Sie waren vielmehr organisiert. Aber doch entsprangen sie dem spontanen Drängen der Masse, nicht ihrer Führer, und nur dadurch erlangten sie zeitweise ihre unwiderstehliche Wucht. Ein Aufstand, zu dem die Führer erst aufrufen müssen, zu dem diese nicht von unten gedrängt werden, bezeugt dadurch schon, daß ihm die nötige Triebkraft fehlt, und daß er zum Mißlingen verurteilt ist. Während der ganzen Zeit des Aufsteigens der Revolution waren die Massen die Schiebenden und die Führer die Geschobenen. Solange ging’s vorwärts. Als das Umgekehrte eintrat, die Führer es für nötig fanden, die Massen zum Kampfe aufzupeitschen, war die Revolution im Niedergang begriffen.

Aber wenn ein Aufstand nur dann auf Erfolg rechnen kann, wenn er spontan eintritt, nicht von den Führern veranlaßt wird, so besagt das nicht, daß er am ehesten Aussicht hat, zu siegen, wenn er nicht organisiert ist. Die Pariser Insurrektionen der großen Revolution beruhten auf Massenorganisationen.

Selbst in der ersten Erhebung, dem Sturm auf die Bastille, gab es schön Ansätze zu Organisationen. Sie wurden später enger und dauernder gestaltet.

In der Revolution nahm jede Gemeinde die größte Selbständigkeit für sich in Anspruch. Die konstituierende Versammlung bestätigte im Gesetz vom 22. Dezember 1789 den Zustand, der sich infolge der plötzlichen Machtlosigkeit der Staatsgewalt allenthalben gebildet hatte. Die Gemeinden erhielten einen hohen Grad von Selbstverwaltung, die ganze Ortspolizei und den Befehl über die Bürgerwehr, die Nationalgarde, die sich in den Städten bildete.

Aber gleichzeitig trachtete die Bourgeoisie dahin, von dieser Macht die unteren Klassen auszuschließen. Die Nationalversammlung machte den feinen Unterschied zwischen Aktiv- und Passivbürger. Aktiv waren jene, die eine direkte Steuer von mindestens drei ortsüblichen Tageslöhnen entrichteten. Nur sie erhielten das Stimmrecht zu der Gemeindevertretung und zur Nationalversammlung. Nur aus ihnen wurde die Nationalgarde rekrutiert. Diese Körperschaften entwickelten sich daher zu Vertretungen der Besitzenden.

Aber in Paris organisierten sich die „Passivbürger“ und ihre Freunde aus den Reihen der Aktivbürger neben der offiziellen Gemeindevertretung. Und sie bewaffneten sich auf eigene Faust.

Die Wahlen zu den Reichsständen waren für den dritten Stand meist indirekte gewesen, aber bei einem fast allgemeinen Wahlrecht.

„Für die Wahlen war die Stadt Paris in sechzig Distrikte eingeteilt gewesen, die die Wahlmänner zu wählen hatten. Nachdem diese erst ernannt wären, sollten die Distrikte verschwinden. Aber sie blieben bestehen und organisierten sich aus eigener Initiative als dauernde Organe der Stadtverwaltung ... Sie ließen sich nicht verdrängen und im Augenblick, wo vor dem 14. Juli (Bastillesturm) ganz Paris in Aufruhr war, fingen sie an, das Volk zu bewaffnen und als unabhängige Behörden vorzugehen ... Nach der Eroberung der Bastille gehen die Distrikte schon als anerkannte Organe der Stadtverwaltung vor ... Um sich miteinander zu verständigen, richten sie ein Zentralverkehrsbureau ein, wo besondere Delegierte zusammenkommen und sich gegenseitig Mitteilungen machen. Es entsteht so von unten nach oben, durch de Verbindung der Distriktsorganisationen, die in revolutionärer Weise aus der Volksinitiative hervorgegangen sind, ein erster Versuch der Kommune ... Während die Nationalversammlung allmählich die Macht des Königs untergräbt, erweitern die Distrikte und dann die Sektionen allmählich den Kreis ihrer Befugnisse im Volke; sie stellen die Verbindung zwischen Paris und den Provinzen her und bereiten den Boden für die revolutionäre Kommune vom 10. August“ (Krapotkin, Die französische Revolution, I, S. 174–79. Seinem anarchistischen Standpunkt entsprechend hat Krapotkin die Geschichte der Kommune in der Revolution besonders hervorgehoben. Man kann sie, außer in Spezialwerken, bei ihm am besten studieren. Um so schlechter kommt bei ihm die parlamentarische Tätigkeit weg).

Die Nationalversammlung suchte den Distriktversammlungen ein Ende zu machen. Durch das Gesetz vom 27. Mai 1790 wurde die Wahlkreiseinteilung von Paris verändert. An Stelle der 60 Distrikte traten 48 Sektionen. Nur Aktivbürger sollten an deren Versammlungen teilnehmen. Aber die Passivbürger hielten sich nicht an das Verbot. Die Sektionen wurden nun der Mittelpunkt der revolutionären Tätigkeit. Und es gab bald keine kommunale oder staatliche Frage, die sie nicht beschäftigte und bei deren Lösung sie nicht tatkräftig eingriffen. Dabei zogen sie auch die Gemeindeverwaltung immer mehr an sich, die sie entweder direkt oder durch Delegierte und Ausschüsse besorgten. Alles das bedingte, daß die allgemeine Versammlung der Sektion ununterbrochen tagte. Nur durch ihre Permanenz konnte sie jene intensive Tätigkeit entfalten.

Am 10. August 1792 schoben nun die Sektionen die schon ganz machtlos gewordene Gemeindevertretung beiseite und bildeten eine neue, die revolutionäre Kommune, in die jede Sektion drei Kommissäre entsendete. Von da an ist es diese Pariser Kommune, die, gestützt auf die Sektionen, den Lauf der Revolution bestimmt.

Die herkömmliche Geschichtschreibung hat die Sektionen nicht nach Gebühr gewürdigt. Deren Arbeit war die der namenlosen Menge. Die großen Namen der Revolution glänzten mehr im Klub der Jakobiner, als in den Sektionen. Aber das, was der Klub geleistet hat, gelang ihm durch sie, und dabei war er oft der zögernde und zaudernde Teil gewesen. Nur die Proletarier, die nichts zu verlieren hatten, vermochten es, sich ohne alles Zaudern kühn ins Ungewisse zu stürzen.
 

b) Die Ursachen des Schreckensregiments

Durch die Kommune gelangte das Pariser Proletariat zu einer herrschenden Stellung im revolutionären Frankreich. Doch war diese ebenso zwiespältig, wie die Stellung von Paris im Lande, wie die der damaligen Proletarier in der Gesellschaft.

Ihrem Klassenbewußtsein nach Kleinbürger, standen sie auf dem Standpunkt des Privateigentums an den Produktionsmitteln, das sie nicht zu überwinden vermochten, das sie brauchten, um die Produktion weiterzuführen und ihr Leben zu fristen. Und doch standen sie als arme Teufel dem Eigentum der Reichen feindselig gegenüber, deren Wohlleben sie empörte, deren Reichtum ihrem Elend entsproß. Gerade die Rücksichtslosigkeit gegen die großen feudalen wie kapitalistischen Vermögen verlieh ihnen jene Energie in der Bekämpfung der Gegenrevolution, die sie vermöge der überwiegenden Stellung von Paris zu Vorkämpfern der Revolution machte, an der die große Masse der Nation interessiert war. In den gewaltigen Kämpfen gegen den Feudalismus und das Königtum in Frankreich und gegen das ganze monarchische Europa hatte das revolutionäre Proletariat von Paris die ganze Kraft der Nation, der stärksten Nation der Welt, hinter sich. Durch sie konnte es den Machthabern des ganzen Erdteils trotzen, ihre Macht wurde die seine. In jener Zeit bildete sich das gewaltige revolutionäre Selbstgefühl des Pariser Arbeiters, das ihn bis zu den Tagen der zweiten Pariser Kommune, bis in die letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts hinein zum bewunderten Vorbild des ganzen kämpfenden, internationalen Proletariats machte.

Doch dieselbe Klasse bildete die ärmsten Konsumenten von Paris, diejenigen, die am dringendsten nach billigen Lebensmitteln begehrten, und niemals mehr als in den Tagen der großen Revolution, die im buchstäblichen Sinne des Wortes eine Hungerrevolte war. Dadurch kamen die armen Pariser in steigenden Gegensatz zu den Bauern, den Zwischenhändlern, den Geldleuten, jenen Elementen, die damals durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln am meisten begünstigt wurden, dessen Aufhebung bei der Herrschaft des Kleinbetriebs unmöglich war, auch nirgends versucht und kaum propagiert wurde. Als die Proletarier auch in diesem Gegensatz ihre Macht in Paris und die Macht von Paris über die Provinz zur Geltung bringen wollten, bekamen sie es zu fühlen, daß sie sich auf die Dauer als Minderheit gegen die Mehrheit nicht zu behaupten vermochten. Nun scheiterten sie trotz ihrer früheren Triumphe.

Die Proletarier waren in die Revolution hineingegangen mit der Erwartung, sie werde mit dem feudalen Elend alles Elend hinwegfegen, wie es auch die Bourgeoisie versprochen’ und gemeint hatte. Nun eroberten sie politische Freiheit und Macht, und doch gelangte nur der Bürger und der Bauer zu Wohlleben. Die Armut der großen Städte wich nicht, ja sie wurde zeitweise erst recht quälend fühlbar.

Hunger und Teuerung sind die Merkmale der ganzen Revolutionszeit. Man erklärt sie meist aus dem Zufall, daß damals eine Reihe von Mißernten einander folgte. Doch scheint es mir, daß der Hunger während der Revolution nicht bloß auf diesen Zufall zurückzuführen ist, sondern mit ihr selbst zusammenhängt.

Die bäuerliche Produktion war zu jener Zeit noch in hohem Grade selbstgenügsam. Der Bauer bedurfte kaum der industriellen Produkte der Stadt, außer für Luxusartikel. Nicht nur seine Nahrungsmittel produzierte er selbst, sondern auch Rohstoffe der Textilindustrie, die er selbst verarbeitete. Auch von seinen einfachen Möbeln und Geräten verfertigte er viele im Hause; was er sonst von der Industrie brauchte, lieferten ihm einige Dorfhandwerker.

Was ihn trotzdem zwang, Lebensmittel an die Stadt zu verkaufen, war nicht sein industrieller Bedarf, sondern waren die Geldsteuern, die ihm der Staat auferlegte. Die konnte er nicht bezahlen, wenn er nicht Getreide, Vieh, Wein oder was er sonst produzierte, zu Markte brachte.

Daneben hatte er seinem Feudalherrn Abgaben in natura sowie Fronarbeiten auf dessen Gut zu leisten. Die ländlichen Produktenmassen, die sich in dieser Weise in der Hand der Feudalherrn sammelten, wurden von ihnen nur zum Teil selbst verbraucht, zum größten Teil ebenfalls verkauft, um das Geld für das Genußleben in der Stadt zu gewinnen.

Steuern und Feudallasten lieferten auf der einen Seite die Gelder, die in Paris zusammenflössen und dort verausgabt wurden, und lieferten auf der anderen Seite die Produkte, die gegen diese Gelder gekauft werden konnten, um die Pariser zu ernähren.

Die Revolution machte den Feudallasten ein Ende, vorübergehend, aber auch den Steuern, da der Staat aller Gewaltmittel entbehrte, solche einzutreiben. Die Bauern waren daher nicht mehr in so hohem Maße wie bis dahin gezwungen, zu verkaufen. Zunächst benutzten sie die neue Freiheit dazu, sich selbst ordentlich satt zu essen, dem Hungerdasein ein Ende zu machen, zu dem Staat und Feudalismus sie verurteilt hatten.. Was ihnen noch von ihren Produkten zum Verkauf übrigblieb, gedachten sie nur zu hohen Preisen loszuschlagen. Nichts zwang sie mehr, billig zu verkaufen. Schon daraus mußte eine Teuerung und ein Gegensatz zwischen Paris und der Provinz entstehen, der zeitweise die schroffsten Formen annahm. Im Jahre 1793 bildete der Konvent sogar eine „Revolutionsarmee“ von 6000 Mann, die auf die Dörfer gehen und Lebensmittel für Paris requirieren sollte – ähnlich, wie es jüngst in Rußland versucht wurde,-und mit dem gleichen Mißerfolg. Es ist dies einer der vielen Züge, die die heutige russische Revolution sogar in Äußerlichkeiten der großen, bürgerlichen Revolution des 18. Jahrhunderts so ähnlich machen.

Der Gegensatz wurde noch verschärft durch den Krieg, der zur „Einkreisung“ Frankreichs führte und hinderte, daß dem Mangel an Lebensmitteln durch Zufuhr von außen abgeholfen wurde. Er brachte den Parisern vermehrten Hunger, brachte aber auch dem Landvolke hohe Kriegslasten, namentlich die allgemeine Wehrpflicht.

Die Pariser waren am Siege in höchstem Grade interessiert. Eine Niederlage hätte vor allem sie, als revolutionäres Zentrum, getroffen. In Paris war aber auch das nationale Empfinden am stärksten entwickelt. Mit der Größe und Kraft des Reiches hingen Größe und Kraft von Paris untrennbar zusammen. Die Männer des Berges, der äußersten Linken des Konvents, prägten denn auch die Formel der „einen, unteilbaren Republik“, und das Wort Patriot wurde gleichbedeutend mit radikaler Revolutionär.

Ganz anders war die Haltung der Bauern gegenüber dem Krieg. Die an der Grenze freilich wollten die feindliche Invasion los werden, und sie wurden vor allem durch einen Sieg des Auslandes mit der Wiederherstellung der feudalen Lasten bedroht. Sie fühlten daher ebenso patriotisch wie die Pariser. Das galt namentlich von den Elsässern. Anders die von der Landesgrenze entfernten, denen keine feindliche Invasion drohte. Deren Bauern begriffen nicht den politischen Inhalt des Krieges, sie fühlten nur seine Lasten, die ihnen ihrer Ansicht nach die königsmörderischen, gottlosen Pariser auferlegten. Solche Gegenden, wie die Vendee, wie die Normandie oder Bretagne, konnten unter Umständen in ihrem Gegensatz zu Paris so weit gehen, daß sie zu offener Empörung schritten, wenn sie eine Führung fanden. Die wurde ihnen zeitweise von gegenrevolutionären Aristokraten geliefert. Aber auch die revolutionäre Bourgeoisie, verkörpert durch die Girondisten, versuchte einmal einen derartigen Aufstand der Provinz gegen Paris, wie wir gesehen.

Die Geldleute kamen eben in gleicher Weise wie die Bauern in Gegensatz zu den Proletariern und Kleinbürgern. Ja, der Gegensatz wurde ein noch schrofferer und machte sich noch mehr unmittelbar geltend. Es war nicht ein Gegensatz von Arbeitern zu industriellen Kapitalisten, die spielten damals noch keine große Rolle. Auch nach der Revolution rechnete St. Simon die letzteren noch zu den arbeitenden Klassen. Es war der Gegensatz zum Geld- und Handelskapital, zu den Wucherern, Aufkäufern, Spekulanten, Händlern. Diese schufen nicht den Mangel an Nahrungsmitteln, aber sie beuteten ihn aus und verschärften die Notlage. Das brauchen wir nicht näher zu schildern, Derartiges erleben wir schaudernd selbst seit bald fünf Jahren.

Inmitten des Elends wirkten die Gewinne aus der Teuerung besonders aufreizend. Zu ihnen gesellten sich die Gewinne der Kriegslieferanten – seit 1792 –, sowie die der Bodenspekulanten. Die Nationalversammlung hatte die Güter der Kirche – vielleicht ein Drittel des französischen Grundbesitzes – enteignet. Dazu kamen die Güter der aristokratischen Emigranten, die aus Frankreich flohen, um die Revolution von außen zu bekämpfen. Auch deren Grundbesitz wurde konfisziert. Doch diese ganze ungeheure Gütermasse blieb nicht Staatseigentum, wurde auch nicht unter die armen Bauern verteilt, sondern wurde verkauft. Das geschah schon um der Finanznot willen, die den letzten Anstoß zur Revolution gegeben hatte, durch diese aber nicht beseitigt, sondern erhöht worden war, da ja die Bauern keine Steuern mehr zahlten. Den Profit aus der Veräußerung des konfiszierten Grundbesitzes zogen diejenigen, die mit wenig Geld neue Grundstücke erwarben, oft nur zu dem Zwecke, um sie zu parzellieren und einzelne Parzellen dann nach und nach weiter zu erhöhtem Preise zu verkaufen. Der Finanznot des Staates wurde dabei wenig abgeholfen, aber die Güterspekulation gedieh üppig.

In seiner Not blieb dem Staat nur noch das so bequeme Mittel der Notenpresse übrig. Die Ausgabe von revolutionärem Papiergeld, Assignaten, begann und nahm bald ungeheure Dimensionen an. Das wurde eine neue Ursache der Teuerung, aber auch der heftigsten Valuta- und Preisschwankungen, was wieder von Spekulanten und Wucherern zu ihren Gunsten ausgebeutet wurde.

So wuchs auf den Trümmern des alten, feudalen Eigentums ein neues, kapitalistisches, und dieses wuchs zugleich mit dem Elend in demselben Maße, in dem die Herrschaft der Proletarier sich immer mehr geltend machte. Diese bizarre Situation bezeugte deutlich, wie wenig der bloße Besitz der politischen Macht imstande ist, die Wirkung ökonomischer Gesetze aufzuheben, wenn nicht die gesellschaftlichen Bedingungen dafür gegeben sind. Doch die Proletarier von Paris waren hungrig, und

„Im hungrigen Magen Eingang finden
Nur Suppenlogik mit Knödelgründen.“

Sie untersuchten nicht, was unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen möglich, was unvermeidlich sei. Sie besaßen die Macht und waren entschlossen, sie auszunutzen, um jenes Reich der Gleichheit und Brüderlichkeit und des allgemeinen Wohlstandes zu erreichen, das die Denker der Bourgeoisie ihnen versprochen hatten. Da es ihnen nicht möglich war, den Produktionsprozeß zu ändern, suchten sie mit Hilfe ihrer Machtmittel die Verteilung der Ergebnisse dieses Prozesses zu ändern, mit Mitteln, die unsere Tage uns wieder sattsam haben kennen lernen lassen: Höchstpreisen, Zwangsanleihen, die etwa unserem Wehrbeitrag entsprachen und ähnlichen Eingriffen, die alle damals noch weit weniger dem Elend entgegenwirkten als heute, bei der damaligen ungeheuren Zersplitterung der Produktion, der Mangelhaftigkeit der Statistik, der Ohnmacht der Zentralgewalt gegenüber den Gemeinden.

Immer schroffer gestaltete sich der Widerspruch zwischen der politischen Macht des Proletariats und seiner ökonomischen Lage. Und dabei wurde immer ärger die Bedrängung durch den Krieg. So griffen die Machthaber des Proletariats in ihrer Verzweiflung immer mehr zu den äußersten Mitteln, zum blutigen Schrecken, zum Terror.
 

c) Der Mißerfolg des Terrorismus

Durch die Kommune beherrschten die revolutionären Kleinbürger und Proletarier von Paris ganz Frankreich. Aber sie hüteten sich, diese Herrschaft direkt auszuüben und die Parole auszugeben: alle Macht der Kommune. Sie wußten, das Reich sei nur zusammenzuhalten und zu beherrschen durch eine Versammlung, die das ganze Reich repräsentierte, sie hüteten sich daher, an der Nationalversammlung, dem Konvent, zu rühren. Sie herrschten nicht ohne oder gar gegen ihn, sondern durch ihn.

Eine ähnliche Politik muß auch Lenin geplant haben, denn sonst wäre es unerfindlich, warum er die Wahlen zur Konstituante vor sich gehen ließ und diese zusammenberief. Doch die Kommune war glücklicher als er, sie verstand es, sich dieses bedeutende Instrument dienstbar zu machen, das Lenin am ersten Tage schon unwillig in die Ecke warf.

Wohl war im Konvent die Bergpartei, die mit der Kommune Hand in Hand ging, in der Minderheit, doch die Mehrheit bestand nicht ausschließlich aus charaktervollen, überzeugungstreuen Politikern. Viele von ihnen erwiesen sich als haltlos und unsicher. Sie ließen sich vom Pariser Milieu beeinflussen, und wo das nicht ausreichte, sie mit der Bergpartei stimmen zu lassen, genügte es, einen energischen Druck auf sie auszuüben, um ihnen das gewünschte Votum zu entlocken. Mit Hilfe dieser Mollusken, des „Sumpfes“, verfügte die Bergpartei über die Mehrheit im Konvent.

Doch in der Bedrängnis der Zeit, die oft plötzliche Maßnahmen erheischte, genügte nicht immer die gesetzgeberische Tätigkeit des Konvents. Und seine Gesetze selbst erwiesen sich als unfähig, den gesellschaftlichen Übeln und Nöten zu steuern. Ein jedes unterdrückende Gesetz, mag es noch so streng sein, ,setzt schon dadurch, daß es bestimmte Regeln vorschreibt, seiner Wirksamkeit gewisse Grenzen und gibt damit den Unterdrückten Handhaben, die sie bei einigem Geschick benutzen können. Jede Unterdrückungspolitik, die sich gegen Erscheinungen wendet, welche in den Verhältnissen tief begründet und daher unausrottbar sind, sieht sich daher früher oder später gedrängt, sich der Fesseln der Gesetze, die sie selbst geschaffen, zu entledigen und zu gesetzloser Unterdrückung, zur Diktatur überzugehn.

Das und nichts anderes ist der Sinn der Diktatur, wenn man darunter nicht einen Zustand, sondern eine Regierungsform versteht. Es ist ein Zustand der Willkür, die naturgemäß nur von einem sehr kleinen Kreis, der sich ohne alle formellen Bindungen versteht, oder von einem einzelnen ausgeübt werden kann. Jeder größere Kreis bedarf zu seinem Zusammenarbeiten bereits bestimmter Regeln, einer Geschäftsordnung, ist also bereits durch Gesetze gebunden.

Der Typus der Diktatur als Regierungsform ist die persönliche Diktatur. Eine Klassendiktatur als Regierungsform ist ein Nonsens. Eine Klassenherrschaft ist ohne Gesetze gar nicht denkbar.

Da die Unterdrückungsgesetze gegen Wucherer, Spekulanten und Gegenrevolutionäre versagten, griffen die proletarischen Elemente zur Diktatur.

Schon am 25. März 1793 mußte der Konvent einen „Ausschuß der öffentlichen Wohlfahrt und der allgemeinen Verteidigung“ einsetzen, der immer mehr und mehr die Rechte eines absoluten Herrschers erhielt und dessen Mitgliederzahl sehr klein war. Sie wurde zuerst auf 25 festgesetzt, dann auf 9 reduziert. Seine Verhandlungen waren geheim. Er kontrollierte die Minister und Generäle, setzte die Beamten und Offiziere ein und ab, entsandte Kommissäre mit unumschränkten Vollmachten, konnte alle Verfügungen treffen, die er für notwendig hielt. Sie waren von den Ministern unverzüglich auszuführen. Wohl war er der Nationalversammlung verantwortlich, doch blieb das eine bloße Formalität, denn sie zitterte vor ihm. Um seiner Allmacht doch einige Schranken zu setzen, wurde bestimmt, daß er in jedem Monat zu erneuern sei, und daß ihm eine Verfügung über den Staatsschatz nicht zustehe. Bald wurde der Wohlfahrtsausschuß ein ausschließliches Organ der Bergpartei. Je mehr seine diktatorischen Befugnisse wuchsen, desto mehr aber erhob sich in seiner Mitte die diktatorische Gewalt einer einzelnen Persönlichkeit: Robespierres.

Als Werkzeuge der Diktatur wurden zwei weitere Einrichtungen geschaffen, die fast ganz willkürlich schalten durften, ein Polizeiausschuß, das „Komitee der allgemeinen Sicherheit“, und das außerordentliche Revolutionstribunal, das über alle gegenrevolutionären Bestrebungen und alle Angriffe auf die Freiheit, Gleichheit und Unverletztheit des Vaterlandes zu richten hatte. Es genügte, von einem „Patrioten“ denunziert und verdächtigt zu sein, um von diesem Tribunal zum Tode verurteilt zu werden, und zwar ohne Möglichkeit einer Appellation.

Louis Blanc zeichnet in seiner Geschichte der französischen Revolution folgendermaßen die Organisation der Schreckensherrschaft:

„Wir finden einen unermüdlichen Klub, den der Jakobiner, der Paris mit seinem Atem belebt.“

„Paris, das in eine Reihe von Volksversammlungen geteilt ist, die den Namen. Sektionen führen, gibt seinem Gedanken Ausdruck.“

„Die Kommune, das Zentrum der Sektionen, übermittelt der Nationalversammlung den Ausdruck des Denkens von Paris.“

„Die Versammlung formuliert diese Gedanken zu Gesetzen.“

„Der Wohlfahrtsausschuß gibt ihnen auf allen Gebieten Leben: in der Staatsverwaltung, in der Auswahl der Beamten, in der Armee, durch die Kommissare in der Provinz; in jedem Teil der Republik durch revolutionäre Komitees.“

„Das Komitee der öffentlichen Sicherheit hat die Aufgabe, Widerspenstigkeit auszukundschaften.“

„Das außerordentliche Revolutionstribunal beeilt sich, sie zu bestrafen.“

„Dieser Art war der revolutionäre Mechanismus.“ (Histoire de la Revolution Française, Bruxelles, 1856, II, S. 519)

In rücksichtslosester Weise kam der furchtbare Apparat in Anwendung. Man hoffte, mit dem Schleichhandel, dem Wucher, der Spekulation fertig zu werden, wenn man die Schleichhändler, Wucherer, Spekulanten köpfte.

Doch die ökonomische Situation war weniger als je dazu angetan, den Glauben zu nähren, daß das Handwerk oder sonstige Handarbeit einen goldenen Boden habe. Und mehr als je war jeder dem größten Elend verfallen, wenigstens in der Großstadt, der nicht über Geld, recht viel Geld verfügte. Das Schreckensregiment schreckte nicht ab, nach Geld zu streben, es drängte nur den Gelderwerb auf Schleichwege, und es schuf eine neue Quelle der Bereicherung und der Korruption in der Bestechung.

Je gefährlicher es wurde, sich erwischen zu lassen, desto geneigter waren die Erwischten, sich durch Abgabe eines Teils ihrer Beute an den Aufdecker ihrer Machenschaften sein Schweigen zu erkaufen. Und je größer das Elend, desto größer die Versuchung für einzelne Organe der revolutionären Verwaltung, sich aus dem Zudrücken der Augen eine neue Erwerbsquelle zu schaffen.

So bildeten sich trotz alles Wütens der Guillotine immer wieder neue Vermögen, wuchsen neue Kapitalisten an Stelle der Geköpften heran, und der Hunger minderte sich nicht.

Die neuen Kapitalisten entstammten vielfach direkt dem Kleinbürgertum und dem Proletariat, den revolutionären Reihen, in denen sie zu den Verwegensten und Gewandtesten gezählt hatten. Freilich nicht zu den Charakterfestesten. Die Besten unter den Revolutionären dagegen, die Selbstlosesten und Hingehendsten, wurden gleichzeitig aufgerieben in den ewigen Kämpfen an der Landesgrenze sowie in den Bürgerkriegen.

So wurden die Reihen des revolutionären Proletariats von zwei Seiten her gelichtet durch den Tod der Besten und das Aufsteigen der Geriebensten in die Klasse der Ausbeuter. Es verlor nach beiden Seiten hin seine energischsten Elemente.

Der Rest wurde immer mutloser und apathischer. Vier Jahre währte schon die Revolution, den Bauern und den Geldmenschen hatte sie Vorteile, stellenweise Reichtum gebracht, den Proletariern, die am rastlosesten und hingehendsten gekämpft hatten, und denen es schließlich gelungen war, die Macht Frankreichs in sich zu vereinigen, hatte sie den Hunger nicht gestillt, ihn eher noch vermehrt. Auch das blutigste Schreckensregiment besserte ihre Lage nicht. Was durften sie da noch von der Politik erwarten? Zweifel, Mißmut, Müdigkeit begannen sich unter ihnen einzuschleichen.

Dabei hatte die Herrschaft der Pariser Kommune die größten Anforderungen an sie gestellt. Wir haben gesehen, daß die Macht der Sektionen darauf beruht, daß sich alle Bürger an ihrer Tätigkeit ständig beteiligten, darauf, daß die Sektionen ununterbrochen tagten und soviel als möglich alle Angelegenheiten der Verwaltung und der politischen Aktion selbst erledigten.

Auf die Dauer war das unmöglich. Die Proletarier und Kleinbürger der Sektionen mußten doch auch produktiv arbeiten, wovon wollten sie denn sonst leben? Mit Gelegenheitsarbeit, die immer wieder unterbrochen wurde, kamen sie nicht weit. Solange das revolutionäre Feuer in ihnen glühte, solange sie von der revolutionären Politik ökonomischen Wohlstand erhofften, mochten sie sich mit dem ökonomischen Verfall abfinden, der ihnen daraus drohte. Je mehr sie zu zweifeln begannen, desto mehr suchten sie wieder ihr Heil in produktiver Arbeit, statt in der Politik.

Sie ließen sich immer mehr und immer williger ein Gebiet der Tätigkeit der Sektionen nach dem andern entwinden und gestatteten, daß es an bezahlte Beamte der Staatsgewalt überging, womit die spätere bureaukratische Zentralisation des Kaiserreichs eingeleitet wurde. Und gleichzeitig trat es ein, daß in den Sektionen selbst die wohlhabenden Leute und ihr Anhang, den sie in der einen oder anderen Form bezahlten, immer mehr an Zahl überwogen, da sie über genügende Zeit verfügten, indes sich die revolutionären Proletarier und Kleinbürger, die auf Arbeit angewiesen waren, immer, seltener einfanden, so daß die Gefahr bestand, die ersteren würden schließlich die Mehrheit gewinnen.

Ein Anzeichen des Rückgangs der revolutionären Tätigkeit der Sektionen ist der Beschluß des Konvents vom 9. September 1793, der die Zahl der Sektionsversammlungen auf zwei in der Woche beschränkte und jedem, der von seiner Hände Arbeit lebte, für den Besuch einer Sitzung 2 Franken bewilligte. Das Wachstum der Versammlungsmüdigkeit wurde dadurch nicht aufgehalten.

Damit änderte sich auch das Verhältnis zwischen Massen und Führern. In der aufsteigenden Periode der Revolution hatten die Massen die zögernden Führer vorwärtsgedrängt, diesen Energie und Siegeszuversicht eingeflößt. Und das ist das richtige Verhältnis zwischen der Masse und ihren Führern überall dort, wo eine Volksbewegung mit Erfolg einsetzt. Die Führer werden in revolutionären Situationen immer mehr zaudern als die Massen, weil sie mehr als diese alle Möglichkeiten erwägen, deutlicher alle Schwierigkeiten sehen.

Jetzt aber waren die Führer in einer Situation, in der sie, um sich zu behaupten, um nicht unterzugehn, immer wieder erneuter Kraftanstrengungen der Massen bedurften, indes diese immer müder wurden und immer mehr zu zweifeln begannen. Nun mußten die Führer die Massen drängen, mußten sie aufzurütteln, zu entflammen suchen. Dies Verhältnis zeigt in einer Volksbewegung an, daß ihr die innere Kraft fehlt, daß sie sie entweder noch nicht erlangt oder schon wieder verloren hat.

Um die Massen anzufeuern, mußte das herrschende Regime sich den Anschein von Kraft geben, mußte es sie berauschen und dadurch über den Mangel an sozialen und ökonomischen Erfolgen hinwegtäuschen. Diese Wirkung sollte der Blutrausch haben.

Das wurde wieder ein Beweggrund, das System des Terrorismus fortzusetzen, ja möglichst zu steigern.

Endlich wirkte in gleicher Richtung die wachsende Nervosität der Machthaber, die den Boden unter ihren Füßen weichen fühlten. Mit der Verzweiflung wuchs die Erbitterung nicht bloß gegen die Klassengegner, sondern auch gegen verwandte, aber doch etwas abweichende Schattierungen im eigenen Lager. Die Machthaber fühlten ja immer mehr, daß jeder Fehler, jede Unklugheit verderblich werden konnte.

Dummheiten werden immer gemacht, in einer Revolution mehr als in sonstigen Zeiten, weil die Leidenschaften erregter sind als sonst, und ganz neue Verhältnisse urplötzlich ganz unerhörte Schwierigkeiten auftürmen.

Es ist ein Kennzeichen des aufsteigenden Astes der Revolution, daß sie unaufhaltsam ihren Lauf nimmt, trotz aller Dummheiten. Im Stadium des Niederganges dagegen kann schon der geringste Fehler verhängnisvoll wirken.

Je mehr die Machthaber der Revolution das Prekäre ihrer Situation fühlten, desto erbitterter bekämpften sich ihre verschiedenen taktischen Richtungen untereinander, desto dringender erschien es einer jeden von ihnen, die andere gewaltsam zu unterdrücken, um die Revolution zu retten.

Unter den Männern des Berges hatten von Anfang an die Gegensätze von Gottgläubigen (wenn auch nicht Kirchengläubigen) und Atheisten, zwischen philiströsen Puritanern und kecken Genußmenschen, zwischen Rücksichtsloseren und Milderen bestanden. Das hatte ihr einträchtiges Zusammenwirken nicht gehindert. Als diese Richtungen anfingen, einander mit solcher Wut zu bekämpfen, daß sie gegeneinander die Mittel des Schreckensregiments in Anwendung brachten, bezeugte das schon den rapiden Niedergang der Revolution. Ihr Schicksal war besiegelt, als die Fraktion Robespierres die der Hebertisten als „Ultrarevolutionäre“ und die der Dantonisten als „Korrupte“ und „Gemäßigte“ vor das Revolutionstribunal brachte, und erreichte, daß sie auf der Guillotine das Schicksal teilten (März 1794), das sie einige Monate vorher den Girondisten bereitet hatten.

Waren diese terroristischen Maßregeln ein Zeichen des Niederganges der Revolution, so förderten sie ihn ihrerseits wieder, indem sie die Massen in der Pariser Kommune spalteten und die Anhänger der Guillotinierten in Gegner der Revolutionsregierung verwandelten. Zugleich wurde diese durch die wachsende Apathie der Massen veranlaßt, die Funktionen, die eine Zeitlang durch die Sektionen besorgt wurden, eine nach der andern den Sektionen zu nehmen und sie Staatsbeamten zu übergeben. Die Polizei, namentlich die politische Polizei, geriet jetzt in die Hände der zwei zentralen Körperschaften, die die wirkliche Staatsmacht in der Hand hatten, des Wohlfahrts- und des Sicherheitsausschusses des Konvents. Die Polizei wurde ein allmächtiges Werkzeug einer allmächtigen Regierung, und gleichzeitig verwandelte sie sich aus einer in der Öffentlichkeit der Sektionen betriebenen Funktion immer mehr in eine geheime. Die Geheimpolizei wurde eine unsichtbare Macht, die über jedem im Staate schwebte.

Doch vergebens suchten sich die Machthaber durch alle diese Maßregeln des Schreckens zu sichern. Die Basis, auf der sie ruhten, wurde immer schmäler. Sie wußten sich nur noch dadurch zu behaupten, daß sie den Schrecken und die Allmacht der Polizeigewalt steigerten, erreichten damit jedoch nichts anderes, als daß nun, da sich alle bedroht fühlten, auch alle sich zusammentaten zu verzweifelter Abwehr der Herrschenden, die schließlich gelang, da im entscheidenden Moment die Machthaber niemand hinter sich hatten.

Krapotkin, ein begeisterter Verehrer der Pariser Kommune in der Revolution, also nichts weniger als ihr Gegner, hat diese verhängnisvolle Bahn des Schreckens sehr gut beschrieben. Er führt im 67. Kapitel seines Buches über die französische Revolution, das betitelt ist: „Der Schrecken“, unter anderem folgendes aus:

„Der dunkelste Punkt (neben dem Krieg von außen) war die Stimmung in der Provinz, insbesondere im Süden. Das unterschiedslose Massengemetzel gegen die gegenrevolutionären Führer wie gegen die Verführten, zu dem die lokalen Jakobiner und die Konventsdelegierten nach dem Siege gegriffen, hatte einen so tiefgehenden Haß gesät, daß es jetzt allenthaben ein Krieg bis aufs Messer war. Und die Lage wurde dadurch nur immer schwieriger, daß niemand, weder an Ort und Stelle, noch in Paris, zu etwas anderem zu raten wußte; als zu den äußersten Mitteln der Rache.“

Das wird mit einigen Beispielen belegt, dann gezeigt, wie Robespierre sich gedrängt fühlte, den Schrecken auf den Gipfel zu treiben.

Louis Blanc meint, Robespierre wollte selbst aus dem System des Schreckens herauskommen, dessen verderbliche Folgen er fühlte. Aber er habe keinen anderen Ausweg gewußt, mit den Männern des Schreckens in den eigenen Reihen fertig zu werden, als den, sie mit den Mitteln verstärkten Schreckens zu bekämpfen. Louis Blanc sagt:

„Robespierre wollte, daß man jene zittern machte, die alle Welt zittern machten. Er hatte den kühnen Plan gefaßt, sie mit ihrer eigenen Keule niederzuschlagen, den Schrecken mit dem Schrecken zu töten.“ (Histoire de la Revolution Française, II, S. 748)

Man kann darüber streiten, ob das wirklich Robespierres Motive waren. Gewiß ist, daß er das Gesetz vom 22. Prairial (10. Juni 1794) durchdrückte, das die letzten juristischen Sicherheiten für jeden politischen Angeklagten beseitigte. Es wurden ihnen vor dem Revolutionstribunal die Verteidiger genommen, das Gerichtsverfahren nur an die Regeln des „gesunden Menschenverstandes“ gebunden, das Urteil nur an das „Gewissen des Richters“ und seine „Ermittlungen, wie sie auch beschaffen sein mögen“.

Schon am 24. Februar 1794 hatte Robespierre erklärt:

„Man will die Revolution durch juristische Spitzfindigkeiten beherrschen. Man behandelt die Verschwörungen gegen die Republik wie Prozesse zwischen Privatpersonen. Die Tyrannei tötet und die Freiheit plädiert. Und das Strafgesetz, das die Verschwörer selbst gemacht haben, ist die Regel, nach der man sie richtet.“

Die einzige Strafe, auf die erkannt werden durfte, war die Todesstrafe. Sie sollte auch schon jene treffen, die „falsche Nachrichten“ verbreiteten, „zu dem Zwecke, das Volk zu spalten oder zu verwirren, die Sitten zu verderben, oder das öffentliche Gewissen zu vergiften“ – mit solchen Bezeichnungen wird aber von jeder Regierung jede Äußerung belegt, die nach Opposition aussieht. Krapotkin bemerkt dazu:

„Dieses Gesetz erlassen, hieß nichts anderes, als den Bankerott der revolutionären Regierung erklären ... Und so war denn auch die Wirkung dieses Gesetzes vom 22. Prairial die, daß es in sechs Wochen die Gegenrevolution zum Reifen brachte.“

Sofort wurden auf Grund dieses Gesetzes 54 Personen auf einmal hingerichtet:

„So fing das neue Gesetz, das überall das Gesetz Robespierres genannt wurde, teine Tätigkeit an. Es machte sofort das Schreckensregiment in Paris verhaßt.“

Gleich darauf gab es einen Massenprozeß gegen 150 Angeklagte auf einmal, die in drei Abteilungen hingerichtet wurden.

„Es ist unnütz, sich bei diesen Hinrichtungen länger aufzuhalten. Es genügt, wenn gesagt wird, daß vom 17. April 1793, dem Tag der Begründung des Revolutionstribunals, bis zum 22. Prairial des Jahres IV (10. Juni 1794), d. h. im Laufe von vierzehn Monaten, das Tribunal in Paris schon 2.607 Personen hatte hinrichten lassen, aber daß seit dem neuen Gesetz das nämliche Gericht im Verlauf von nur 46 Tagen, vom 22. Prairial bis zum 9. Thermidor (27. Juli 1794) 1.351 Personen zum Tode brachte.“

„Dem Volke von Paris schauderte bald vor allen diesen Henkerkarren, auf denen die Verurteilten zur Guillotine gefahren wurden und die fünf Henker kaum jeden Tag leeren konnten. Man fand kaum mehr Friedhöfe, um die Opfer zu beerdigen, weil sich jedesmal heftige Proteste erhoben, wenn man für diesen Zweck einen neuen Friedhof in einem Arbeiterviertel eröffnete.“

„Die Sympathien der Arbeiterbevölkerung von Paris wandten sich jetzt den Opfern zu, und dies um so mehr, als die Reichen ausgewandert waren oder sich in Frankreich verborgen hielten und die Guillotine hauptsächlich die Armen traf. In der Tat waren unter den 2750 Guillotinierten, deren Stand Louis Blanc feststellen konnte, nur 650, die zu den begüterten Klassen zählten. Man flüsterte sich sogar ins Ohr, im Sicherheitsausschuß säße ein Royalist, ein Agent von Batz, der zu den Hinrichtungen aufstachelte, um die Republik Verhaßt zu machen.“

„Sicher ist, daß jede neue Massenhinrichtung dieser Art den Sturz des jakobinischen Regiments beschleunigte.“

Alle Welt fühlte sich durch Robespierre und seine Leute bedroht, alle Welt scharte sich gegen sie zusammen, „Überradikale“ und „Gemäßigte“, Girondisten und Montagnards (Bergparteiler), Schreckensmänner und Mildgesinnte, Proletarier und Bourgeois.

Die Macht Robespierres brach bei dem ersten Versuch der von ihm Bedrohten zusammen, ihm die Zähne zu zeigen. Sein Appell an die Massen am 9. Thermidor fand nur ungenügenden Widerhall. Er unterlag. Gleichzeitig aber verlor auch die Kommune von Paris den letzten Schein der Macht, die sie so lange geübt. Die Revolution kehrte nun zurück zu der Basis, die durch die ökonomischen Bedingungen gegeben war, zur Herrschaft der Bourgeoisie.



Zuletzt aktualisiert am 8.1.2012