Karl Liebknecht

 

Trotz alledem!

(15. Januar 1919)


Rote Fahne, 15. Januar 1919.
Karl Liebknecht, Ausgewählte Reden und Aufsätze, Berlin 1952, S. 505–520.
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Generalsturm auf Spartakus! „Nieder mit den Spartakisten!“ heult es durch die Gassen. „Packt sie, peitscht sie, stecht sie, schießt sie, spießt sie, trampelt sie nieder, reißt sie in Fetzen!“ Greuel werden verübt, die jene belgischen Greuel deutscher Truppenin den Schatten stellen.

„Spartakus niedergerungen!“ jubiliert es von Post bis Vorwärts.

„Spartakus niedergerungen!“ Und die Säbel, Revolver und Karabiner der wiederhergestellten altgermanischen Polizei und die Entwaffnung der revolutionären Arbeiter werden seine Niederlage besiegeln. „Spartakus niedergerungen!“ Unter den Bajonetten des Oberst Reinhardt, unter den Maschinengewehren und Kanonen des Generals Lüttwitz sollen die Wahlen zur Nationalversammlung vollzogen werden – ein Plebiszit für Napoleon-Ebert.

„Spartakus niedergerungen!“

Jawohl! Geschlagen wurden die revolutionären Arbeiter Berlins! Jawohl! Niedergemetzelt an die hundert ihrer Besten! Jawohl! In Kerker geworfen viele Hunderte ihrer Getreuesten!

Jawohl! Sie wurden geschlagen. Denn sie wurden verlassen von den Matrosen, von den Soldaten, von den Sicherheitsmannschaften, von der Volkswehr, auf deren Hilfe sie fest gebaut hatten. Und ihre Kraft wurde gelähmt durch Unentschlossenheit und Schwäche ihrer Leitung. Und die ungeheure gegenrevolutionäre Schlammflut aus den zurückgebliebenen Volksteilen und den besitzenden Klassen ersäufte sie.

Jawohl, sie wurden geschlagen. Und es war historisches Gebot, daß sie geschlagen wurden. Denn die Zeit war noch nicht reif. Und dennoch – der Kampf war unvermeidlich. Denn das Polizeipräsidium, dieses Palladium der Revolution, den Eugen Ernst und Hirsch kampflos preisgeben, wäre ehrlose Niederlage gewesen. Der Kampf war dem Proletariat aufgezwungen von der Ebert-Bande; und elementar brauste er aus den Berliner Massen hervor – über alle Zweifel und Bedenken hinweg.

Jawohl! Die revolutionären Arbeiter Berlins wurden geschlagen!

Und die Ebert-Scheidemann-Noske haben gesiegt. Sie haben gesiegt, denn die Generalität, die Bürokratie, die Junker von Schlot und Kraut, die Pfaffen und die Geldsäcke und alles, was engbrüstig, beschränkt, rückständig ist, stand bei ihnen. Und siegte für sie mit Kartätschen, Gasbomben und Minenwerfern.

Aber es gibt Niederlagen, die Siege sind; und Siege, verhängnisvoller als Niederlagen.

Die Besiegten der blutigen Januarwoche, sie haben ruhmvoll bestanden; sie haben um Großes gestritten, ums edelste Ziel der leidenden Menschheit, um geistige und materielle Erlösung der darbenden Massen; sie haben um Heiliges Blut vergossen, das so geheiligt wurde. Und aus jedem Tropfen dieses Bluts, dieser Drachensaat für die Sieger von heute, werden den Gefallenen Rächer erstehen, aus jeder zerfetzten Fiber neue Kämpfer der hohen Sache, die ewig ist und unvergänglich wie das Firmament.

Die Geschlagenen von heute werden die Sieger von morgen sein. Denn die Niederlage ist ihre Lehre. Noch entbehrt ja das deutsche Proletariat der revolutionären Überlieferung und Erfahrung. Und nicht anders als in tastenden Versuchen, in jugendhaften Irrtümern, in schmerzlichen Rückschlägen und Mißerfolgen kann es die praktische Schulung gewinnen, die den künftigen Erfolg gewährleistet.

Für die lebendigen Urkräfte der sozialen Revolution, deren unaufhaltsames Wachstum das Naturgesetz der Gesellschaftsentwicklung ist, bedeutet Niederlage Aufpeitschung. Und über Niederlage und Niederlage führt ihr Weg zum Siege.

Die Sieger aber von heute?

Für eine ruchlose Sache verrichteten sie ihre ruchlose Blutarbeit. Für die Mächte der Vergangenheit, für die Todfeinde des Proletariats.

Und sie sind schon heute unterlegen! Denn sie sind schon heute die Gefangenen derer, die sie als ihre Werkzeuge zu gebrauchen dachten und deren Werkzeuge sie seit je waren.

Noch geben sie der Firma den Namen. Aber nur eine kurze Galgenfrist bleibt ihnen.

Schon stehen sie am Pranger der Geschichte. Nie waren solche Judasse in der Welt wie sie, die nicht nur ihr Heiligstes verrieten, sondern auch mit eigenen Händen ans Kreuz schlagen. Wie die offizielle deutsche Sozialdemokratie im August 1914 tiefer sank als jede andere, so bietet sie jetzt, beim Morgengrauen der sozialen Revolution, das abscheuerregendste Bild.

Die französische Bourgeoisie mußte die Junischlächter von 1848 und die Maischlächter von l871 aus ihren eigenen Reihen nehmen. Die deutsche Bourgeoisie braucht sich nicht selbst zu bemühen – „Sozialdemokraten“ vollführen das schmutzig-verächtliche, das blutig-feige Werk; ihr Cavaignac, ihr Gallifet heißt Noske, der „deutsche Arbeiter“.

Glockengeläute rief zur Schlächterei, Musik und Tücherschwenken, Siegesjubel der vom „bolschewistischen Schrecken“ geretteten Kapitalisten feiert die rettende Soldateska. Noch raucht das Pulver, noch schwelt der Brand des Arbeitermordes, noch liegen die getöteten, noch stöhnen die verwundeten Proletarier, da halten sie Parade über die Mördertruppen, aufgebläht im Siegerstolze, die Ebert, Scheideman und Noske.

Drachensaat!

Schon wendet sich das Proletariat der Welt schaudernd von ihnen, die es wagen, ihre vom Blut der deutschen Arbeiter dampfenden Hände der Internationale entgegenzustrecken! Mit Abscheu und Verachtung werden sie sogar von denen zurückgestoßen, die im Toben des Weltkrieges selbst die Pflichten des Sozialismus preisgegeben hatten. Beschmutzt, ausgestoßen aus den Reihen der anständigen Menschheit, hinausgepeitscht aus der Internationale, gehaßt und verflucht von jedem revolutionären Proletarier, so stehen sie vor der Welt.

Und ganz Deutschland ist durch sie in Schande gestürzt. Bruderverräter regieren das deutsche Volk, Brudermörder. „Schreibtafel her, ich muß es schreiben.“ –

Oh, ihre Herrlichkeit kann nicht lange währen; eine Galgenfrist, und sie werden gerichtet sein.

Feuerbrände schleudern ihre Thesen in Millionen Herzen, Feuerbrände der Empörung.

Die Revolution des Proletariats, die sie im Blute zu ersäufen dachten, sie wird sich über sie erheben, riesengroß. Ihr erstes Wort wird sein: Nieder mit den Arbeitermördern Ebert-Scheidemann-Noske!

Die Geschlagenen von heute, sie haben gelernt. Sie sind geheilt vom Wahne, ihr Heil in der Hilfe verworrener Truppenmassen finden zu können; geheilt vom Wahne, sich auf Führer verlassen zu können, die sich kraftlos und unfähig erwiesen; geheilt vom Glauben an die unabhängige Sozialdemokratie, die sie schnöde im Stich ließ. Nur auf sich selbst gestellt, werden sie ihre künftigen Schlachten schlagen, ihre künftigen Siege erfechten. Und das Wort, daß die Befreiung der Arbeiterklasse nur das eigene Werk der Arbeiterklasse selbst sein kann, es hat durch die bittere Lehre dieser Woche eine neue, tiefere Bedeutung für sie gewonnen.

Und auch jene irregeleiteten Soldaten werden bald genug erkennen, welches Spiel mit ihnen getrieben wird, wenn sie die Knute des wiederhergestellten Militarismus von neuem über sich fühlen; auch sie werden erwachen aus dem Rausch, der sie heute umfängt.

„Spartakus niedergerungen!“ O gemach! Wir sind nicht geflohen, wir sind nicht geschlagen. Und wenn sie uns in Bande werfen – wir sind da, und wir bleiben da! Und der Sieg wird unser sein.

Denn Spartakus – das heißt Feuer und Geist, das heißt Seele und Herz, das heißt Wille und Tat der Revolution des Proletariats. Und Spartakus – das heißt alle Not und Glückssehnsucht, alle Kampfentschlossenheit des klassenbewußten Proletariats. Denn Spartakus, das heißt Sozialismus und Weltrevolution.<</P>

Noch ist der Golgathaweg der deutschen Arbeiterklasse nicht beendet – aber der Tag der Erlösung naht. Der Tag des Gerichts für die Ebert-Scheidemann-Noske und für die kapitalistischen Machthaber, die sich noch heute hinter ihnen verstecken. Himmelhoch schlagen die Wogen der Ereignisse – wir sind es gewohnt, vom Gipfel in die Tiefe geschleudert zu werden. Aber unser Schiff zieht seinen geraden Kurs fest und stolz dahin bis zum Ziel.

Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird – leben wird unser Programm; es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotz alledem!

Unter dem Dröhnen des herangrollenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs werden die noch schlafenden Scharen der Proletarier erwachen wie von den Posaunen des Jüngsten Gerichts, und die Leichen der hingemordeten Kämpfer werden auferstehen und Rechenschaft heischen von den Fluchbeladenen. Heute noch das unterirdische Grollen des Vulkans – morgen wird er ausbrechen und sie alle in glühender Asche und Lavaströmen begraben. [1]

 

 

Anmerkung

1. Der letzte Absatz ist nicht im Text in Ausgewählte Reden, Briefe und Absätze, Berlin 1952, S.530.

 


Zuletzt aktualisiert am 11.10.2003