Wilhelm Liebknecht

 

Die Pariser Kommune hat das Recht zur Verteidigung

Stellungnahme im Volksstaat [1]

(31. Mai 1871)


Aus: Der Volksstaat (Leipzig), Nr. 44 vom 31. Mai 1871.
Wilhelm Liebknecht, Gegen Militarismus und Eroberungskrieg, Berlin 1986, S.54-58.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Die Blutorgien der monarchistisch-kapitalistischen Reaktion dauern fort; knietief watet sie im Blut, um auf den rauchenden Trümmern von Paris das Banner der „Ordnung“ anzupflanzen. Noch hat sie ihr Ziel nicht erreicht, nach 6tägigem Straßenkampf sind die eigentlichen Arbeiterviertel noch unbezwungen, und die letzten Depeschen lassen sogar deutlich durchblicken, daß die Versailler Truppen beim Sturm auf Belleville eine schwere Niederlage erlitten haben.Die telegraphischen Depeschen entrollen ein Bild des Grausens, aber voll düsterer Größe.

Mit schaudernder Bewunderung sehen wir eine jener furchtbaren Völkertragödien des Altertums, wie der Fall von Karthago und von Jerusalem war, sich in vergrößertem Maßstabe vor unsern Augen wiederholen. Die Kommune macht ihr Wort wahr: „Wir haben einen Pakt mit dem Tode geschlossen!“ Sie „stirbt, doch ergibt sich nicht“, und die Königin der Städte ist der Scheiterhaufen des sterbenden Proletariats.

„Halb Paris steht in Flammen“, „ein dichter Rauch bedeckt die Stadt, ein Regen von Asche fällt unausgesetzt nieder“, „die Truppen geben kein Quartier“. [2]

Als Nero in trunkenem Mut Rom anallen vier Enden haue anzünden lassen, betrachtete er schweigend das Werk der Zerstörung. Thiers weinte, als er der Versailler Kammer die Fortschritte meldete, welche die von ihm dazu kommandierten Soldaten in der Zerstörung von Paris und der Ermordung der Pariser machten, und „die Mehrzahl der Kammermitglieder (seine Mitschuldigen!) brach mit ihm in lautes Schluchzen aus“. Es gibt verschiedene Gattungen von Schurken, die widerlichste ist aber unstreifig die der weinerlichen Schurken.

Natürlich ergreifen die europäischen Bourgeois und sonstigen Reaktionäre im Bewußtsein der internationalen Solidarität wie ein Mann Partei für Thiers und seine Ordnungsbanditen. Am schamlosesten wohl in Deutschland. Das ganze Schimpflexikon wird von unserer Presse erschöpft, um die Kommune zu verlästern. „Diese Vandalen“, „diese wahnwitzigen Unmenschen“, „diese Ungeheuer“, „diese Mordbrenner“, „diese Schufte“ – so zetert und kreischt die „satte Tugend“ der Welfenfondsstipendiaten [3] in edlem Wetteifer mit der „zahlungsfähigen Moral“ feiger Spießbürger.

Warum „Vandalen“ usw.? „Weil sie die Tuilerien, den Louvre in Brand gesteckt.“ Aber wer sagt euch denn, daß die Pariser Arbeiter den Louvre (dessen Kunstschätze beiläufig gerettet sind), die Tuilerien, überhaupt irgendein Haus angezündet haben? Und gar absichtlich? Ist es nicht naheliegend, daß das Feuer eine Folge des Bombardements war? Von wem aber geht das Bombardement aus? Zünden die Bomben der Versailler etwa weniger als die der Preußen, die in Straßburg allein 500 Häuser einäscherten? Sind doch beide vielleicht aus derselben Fabrik! Aber wenn es auch Pariser Bomben sind. Sollten die Proletarier sich ruhig abwürgen lassen, widerstandslos mit Frauen, Schwestern, Kindern den mordenden, plündernden, schändenden Ordnungsbanditen sich überliefern? Gesteht man ihnen nicht das einfachste Recht der Verteidigung zu? Sollten sie nicht auf Bomben mit Bomben antworten dürfen? „Aber Petroleumbomben!“, „Entsetzliche Barbaren!“ Gemach, ihr humanen Herren vom preußischen Preßbüro – wer hat denn zuerst das Petroleum zu Kriegszwecken angewandt? Sind die Instruktionen vergessen, nach denen die deutschen Truppen bei der en gros betriebenen Einäscherung französischer Dörfer zu verfahren hauen? Wie die Türen mit Petroleum zu bestreichen und Petroleumfässer an geeignete Stellen zu legen waren?

Und nun eine Frage, ihr Herren: Wer ist für einen Mord verantwortlich – der Mörder oder der Ermordete? Wir kennen euer altes Taschenspielerkunststückchen, das Opfer an die Stelle des Verbrechers zu schieben, also ohne Ausflüchte geantwortet auf die Frage: Trifft den Ermordeten die Schuld des Mords oder den Mörder? Auf welcher Seite sind aber in diesem Fall die Mörder zu suchen? Könnt ihr leugnen, daß die Kommune zu verschiedenen Malen die Hand der Versöhnung bot und daß die Versail1er die Hand stets zurückstießen? Könnt ihr leugnen, daß die Pariser der angegriffene Teil sind und die Versailler die Angreifer? Und wenn ihr es nicht leugnen könnt, wer ist dann der Verbrecher und wer das Opfer?

Doch ihr werdet fortfahren zu lügen und zu verleumden – zum Teil, weil ihr dafür bezahlt seid, zum Teil, weil euch kindische Philisterfurcht unfähig macht, die Wahrheit zu sehen. Indes möchten wir doch diejenigen von euch, welche Bewundrer des Fürsten Bismarck sind und als solche eigentlich an den verschwenderischen Konsum von „Blut und Eisen“ gewöhnt sein sollten, noch an die berühmte Äußerung eures Abgotts erinnern: „Die großen Städte müssen vernichtet werden.“ Wie könnt ihr über die „Vernichtung“ von Paris so in Harnisch geraten! Ihr schlagt ja eurem Götzen ins Gesicht!

Noch immer ist, es nicht aufgeklärt wie die Versailler am Sonntag sich so leichten Kaufs in den Besitz der Ring- mauer setzen konnten: Der im Thiersschen Hauptquartier befindliche Korrespondent der Londoner Times schreibt, der rasche Erfolg habe jedermann überrascht. Die Annahme, es habe sich der Nationalgarden eine plötzliche Entmutigung bemächtigt und sie seien vor den andrängenden Truppen geflohen, verträgt sich nicht mit dem heroischen Widerstande, welchen die Pariser in der Stadt leisten; Männer, die am Sonntag wie Memmen ausreißen, schlagen sich nicht am Montag und die ganze folgende Woche wie Helden. Unter solchen Umständen ist die Annahme kaum zurückzuweisen, daß Verrat obwaltete und die den uneingeweihten Versaillern so überraschenden Erfolge dem Golde und nicht den Waffen der Angreifer geschuldet sind.

Inwieweit Herrn Thiers preußische Unterstützung zuteil geworden ist, läßt sich jetzt noch nicht in vollem Umfange feststellen. Wir wissen aber,

  1. daß Fürst Bismarck, eingestandenermaßen in Verletzung der Friedenspräliminarien, die Ansammlung einer französischen Armee von mindestens 120.000 Mann, also vom dreifachen Betrag der stipulierten Stärke, erlaubt hat;
  2. daß, um Herrn Thiers, der sich auf die neugebildeten Truppenkörper nicht verlassen konnte, mit „disziplinierten“, d.h. zu Maschinen gewordenen, blind gehorchenden Soldaten zu versehen, bereits vor Abschluß des Frankfurter Friedens ein Teil der Napoleonischen Kaisergarde, bataillons- und regimenterweise geordnet, nach Frankreich geschickt und an der Grenze bewaffnet worden ist. (Wir halten in dieser Beziehung unsre frühere Angabe aufrecht, die aus zuverlässigster Quelle stammt.);
  3. daß sofort nach Abschluß des Frankfurter Friedens in größter Eile diejenigen Kriegsgefangenen nach Frankreich befördert worden sind, welche als die geeignetsten zur Bekämpfung der Kommune gelten, namentlich die Turkos, von denen zu erwarten war, daß sie mit ganzer Seele und „zweifelsohne“ an der Verwirklichung des Bismarck-Thiersschen Ordnungsideals arbeiten würden;
  4. daß die noch vor Paris stehenden deutschen Truppen den Versaillern jeden möglichen Vorschub geleistet und, ohne direkt aktiv in die Operationen einzugreifen, doch tatsächlich mit der französischen Belagerungsarmee zusammengewirkt, sozusagen deren Reserve gebildet haben.

Außerdem war in konservativen und nationalliberalen Zeitungen, die notorisch unter der Leitung des preußischen Preßbüros stehen, etwa 8 Tage vor Durchbrechung der Pariser Ringmauer zu lesen, daß im deutschen Lager vor Paris die Frage verhandelt werde, ob nicht den Versaillern mit Kriegsmaterial auszuhelfen sei. Wenn diese Frage damals diskutiert wurde, so ist hundert gegen eins zu wetten, daß die „Aushilfe“ auch wirklich geleistet worden ist.

 

Anmerkungen

1. Wie aus einer redaktionellen Bemerkung hervorgeht, wurde die Stellungnahme am 27. Mai 1871, vor der Niederschlagung der Pariser Kommune, verfaßt.

2. Aus dem Französischen im Sinne von: kein Pardon!

3. Welfen- oder auch Reptilienfonds – ein aus dem 1866 beschlagnahmten Vermögen des Hannoverschen Königshauses gebildeter Fonds, über den Otto v. Bismarck verfügte und den er zur Bestechung der Presse verwandte.

 


Zuletzt aktualisiert am 11.10.2003