Rosa Luxemburg


Die Akkumulation des Kapitals

Zweiter Abschnitt
Geschichtliche Darstellung des Problems

Erster Waffengang
Kontoverse zwischen Sismondi – Malthus
und Say – Ricardo – MacCulloch


Dreizehntes Kapitel
Say gegen Sismondi

Der Aufsatz Sismondis im Maiheft 1824 der Revue encyclopédique gegen Ricardo lockte endlich den damaligen „prince de la science économique“, den angeblichen Vertreter, Erben und Popularisator der Smithschen Schule auf dem Kontinent, J.B. Say, auf den Plan. Im Juli desselben Jahres replizierte Say in der Revue encyclopédique, nachdem er bereits in seinen Briefen an Malthus gegen die Sismondische Auffassung polemisiert hatte, in einem Aufsatz unter dem Titel Über das Gleichgewicht zwischen Konsumtion und Produktion, worauf Sismondi seinerseits eine kurze Duplik veröffentlicht hat. Die Reihenfolge der polemischen Turniere war also eigentlich umgekehrt wie die Reihenfolge der theoretischen Abhängigkeiten. Denn es war Say, der zuerst jene Lehre von dem gottgewollten Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion Ricardo mitgeteilt und durch diesen auf MacCulloch vererbt hatte. Say stellte in der Tat schon im Jahre 1803 in seinem Traité d’économie politique im Buch I, Kapitel XXII: Von den Absatzmärkten, den folgenden lapidaren Satz auf: „... man zahlt Produkte mit Produkten. Wenn deshalb eine Nation von einer Art Produkte zuviel hat, so besteht das Mittel, um sie abzusetzen, darin, Produkte anderer Art zu schaffen.“ (1) Hier haben wir die bekannteste Formulierung der Mystifikation, die von der Ricardoschule wie von der Vulgärökonomie als der Eckstein der Harmonielehre akzeptiert wurde. (2) Das Hauptwerk Sismondis war im Grunde genommen eine fortlaufende Polemik gegen diesen Satz. Nunmehr, in der Revue encyclopédique, dreht Say den Spieß um und macht die folgende verblüffende Wendung: „Wenn man einwirft, daß jede menschliche Gesellschaft dank der menschlichen Intelligenz und dem Vorteil, den sie aus den Kräften, die ihr die Natur und die Künste darbieten, von allen Dingen, die sich zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse und zur Vermehrung ihrer Genüsse eignen, eine Menge produzieren kann, die größer ist, als diese Gesellschaft zu verbrauchen imstande ist, so möchte ich fragen, wie es kommt, daß wir keine Nation kennen, die vollständig versorgt ist, da selbst bei denen, die als blühend gelten, sieben Achtel der Bevölkerung einer Menge Produkte entbehren, die als notwendig betrachtet werden, ich will nicht sagen bei reichen Familien, aber doch in einem bescheidenen Haushalt? Ich bewohne augenblicklich ein Dorf, das in einem der reichsten Kantone Frankreichs liegt. Und doch gibt es dort auf zwanzig Häuser neunzehn, wo ich beim Eintreten nur eine grobe Nahrung bemerke und nichts, was zum Wohlbefinden der Familie gehört, nichts von den Dingen, die der Engländer ‚komfortabel‘ nennt“ usw. (3)

Man bewundere die Stirn des ausgezeichneten Say. Er war es, der behauptete, in der kapitalistischen Wirtschaft könne es keine Schwierigkeiten, keinen Überschuß, keine Krisen, keine Not geben, denn die Waren kaufen einander, und man brauche nur immer mehr zu produzieren, um alles in Wohlgefallen aufzulösen. In seiner Hand ist dieser Satz zum Dogma der vulgärökonomischen Harmonielehre geworden. Sismondi hatte dagegen scharfen Protest erhoben und die Haltlosigkeit dieser Ansicht dargetan; er hatte darauf hingewiesen, daß nicht jede beliebige Warenmenge absetzbar sei, sondern daß das jeweilige Einkommen der Gesellschaft (v + m) die äußerste Grenze darstelle, bis zu der die Warenmenge realisiert werden könne. Da aber die Löhne der Arbeiter auf das nackte Existenzminimum herabgedrückt werden, die Verbrauchsfähigkeit der Kapitalistenklasse auch ihre natürlichen Grenzen habe, so führe die Ausdehnung der Produktion zu Marktstockungen, Krisen und einem noch größeren Elend für die Volksmassen. Nun kommt Say und repliziert mit virtuos gespielter Naivität: Ja, wenn Sie behaupten, daß von den Produkten überhaupt zuviel produziert werden könne, wie kommt es, daß es so viele Darbende, so viele Nackte und Hungrige in unserer Gesellschaft gibt? Erkläre mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur. [1*] Say, in dessen eigener Position der Hauptkniff darin besteht, daß er von der Geldzirkulation absieht und mit einem unmittelbaren Warenaustausch operiert, unterstellt jetzt seinem Opponenten, daß dieser von einem Überfluß der Produkte nicht im Verhältnis zu den Kaufmitteln der Gesellschaft, sondern zu ihren wirklichen Bedürfnissen spräche! Dabei hatte Sismondi gerade über diesen Kardinalpunkt seiner Deduktionen wahrhaft keinen Zweifel übriggelassen. Sagt er doch ausdrücklich im Buch II, Kapitel VI seiner Nouveaux principes: „Selbst dann, wenn die Gesellschaft eine sehr große Anzahl schlecht genährter, schlecht gekleideter, schlecht behauster Personen zählt, begehrt sie nur das, was sie kaufen kann, aber sie kann nur mit ihrem Einkommen kaufen.“

Etwas weiter gibt Say dies selbst zu, macht aber gleichzeitig seinem Widerpart eine neue Unterstellung: „Nicht die Verbraucher sind es, die in einer Nation fehlen“, sagt er, „sondern die Mittel, zu kaufen. Sismondi glaubt, daß diese Mittel erheblicher sein werden, wenn die Produkte seltener und demzufolge teurer sind und ihre Herstellung den Arbeitern einen größeren Lohn eintragen wird.“ (4) Hier versucht Say, die Theorie Sismondis, der die Grundlagen selbst der kapitalistischen Organisation, ihre Anarchie in der Produktion und ihren ganzen Verteilungsmodus angriff, in die eigene vulgäre Denkmethode oder richtiger Schwatzmethode zu verflachen: Er travestiert seine „Neuen Grundsätze“ in ein Plädoyer für „Seltenheit“ der Waren und teure Preise. Und er singt dem entgegen ein Loblied auf den Hochgang der kapitalistischen Akkumulation, er sagt, daß, wenn die Produktion lebhafter, die Arbeitskräfte zahlreicher, der Umfang der Produktion erweitert wird, „die Nationen besser und allgemeiner versorgt werden“, wobei er die Zustände der industriell entwickeltsten Länder gegen die mittelalterlichen Miseren preist. Im Gegenteil seien die „Maximen“ Sismondis für die bürgerliche Gesellschaft höchst gefährlich: „Weshalb fordert er die Untersuchung von Gesetzen, die den Unternehmer verpflichten würden, dem von ihm beschäftigten Arbeiter die Existenz zu garantieren? Dergleichen Untersuchung würde den Unternehmungsgeist paralysieren; schon die bloße Befürchtung, daß der Staat in private Verträge sich einmischen könnte, ist eine Geißel und gefährdet den Wohlstand einer Nation.“ (5) Diesem allgemeinen apologetischen Geschwätz Says gegenüber führt Sismondi noch einmal die Debatte auf ihren Grund zurück: „Sicherlich habe ich niemals geleugnet, daß Frankreich seit den Tagen Ludwigs XIV. seine Bevölkerung verdoppelt und seinen Verbrauch vervielfältigt hat, wie er es mir entgegenhält; ich habe nur behauptet, daß die Vervielfältigung der Produkte ein Gut ist, wenn sie begehrt, bezahlt, gebraucht werden, daß sie dagegen ein Übel ist, wenn kein Begehren nach ihnen stattfindet und die ganze Hoffnung des Produzenten darauf beruht, den Produkten einer mit der seinigen in Wettbewerb stehenden Industrie die Verbraucher zu entziehen. Ich habe zu zeigen gesucht, daß der natürliche Lauf der Nationen in der fortschreitenden Vermehrung ihrer Glückseligkeit und infolgedessen der Vermehrung ihrer Nachfrage nach neuen Produkten und der Mittel, sie zu bezahlen, besteht. Aber die Folgen unserer Einrichtungen, unserer Gesetzgebung, die die arbeitende Klasse jedes Eigentums und jeder Garantie beraubt haben, haben zu gleicher Zeit zu einer ungeordneten Arbeit angespornt, die weder zu der Nachfrage noch zu der Kaufkraft im Verhältnis steht, die infolgedessen das Elend noch verschärft.“ Und er schließt die Debatte, indem er den satten Harmoniker einlädt, über die Zustände nachzudenken, „die die reichen Völker darbieten, bei denen das öffentliche Elend zugleich mit dem materiellen Reichtum unaufhörlich zunimmt und bei denen die Klasse, die alles produziert, täglich mehr in den Zustand versetzt wird, nichts genießen zu dürfen“. In diese schrille Dissonanz der kapitalistischen Widersprüche klingt der erste Waffengang um das Problem der Kapitalakkumulation aus.

Überblickt man den Verlauf und die Ergebnisse dieser ersten Kontroverse, so sind zwei Punkte festzustellen:

1. Trotz aller Konfusion in der Analyse Sismondis kommt seine Überlegenheit gegenüber der Ricardoschule wie gegenüber dem angeblichen Chef der Smithschen Schule zum Ausdruck: Sismondi betrachtet die Dinge vom Standpunkte der Reproduktion, er sucht Wertbegriffe – Kapital und Einkommen – und sachliche Momente – Produktionsmittel und Konsummittel – so gut es geht in ihren Wechselbeziehungen im gesellschaftlichen Gesamtprozeß zu erfassen. Darin steht er Ad. Smith am nächsten. Nur daß er die Widersprüche des Gesamtprozesses, die bei Smith als dessen subjektive theoretische Widersprüche erscheinen, bewußt als den Grundton seiner Analyse hervorhebt und das Problem der Akkumulation des Kapitals als den Knotenpunkt und die Hauptschwierigkeit formuliert. Darin bedeutet Sismondi einen unzweifelhaften Fortschritt über Smith hinaus. Ricardo hingegen mit seinen Epigonen sowie Say stecken in der ganzen Debatte lediglich in den Begriffen der einfachen Warenzirkulation, für sie existiert nur die Formel W–G–W (Ware–Geld–Ware), wobei sie sie noch in einen direkten Warenaustausch verfälschen und mit dieser dürren Weisheit sämtliche Probleme des Reproduktions- und Akkumulationsprozesses erschöpft haben wollen. Das ist ein Rückschritt hinter Smith, und gegen diese Borniertheit ist Sismondi entschieden im Vorteil. Gerade als sozialer Kritiker zeigt er hier viel mehr Sinn für die Kategorien der bürgerlichen Ökonomie als ihre eingeschworenen Apologeten, genauso wie später Marx als Sozialist unendlich schärferes Verständnis für die Differentia specifica des kapitalistischen Wirtschaftsmechanismus bis ins einzelne erwiesen hat als die gesamte bürgerliche Nationalökonomie. Wenn Sismondi (im Buch VII, Kapitel VII) gegen Ricardo ruft: „Was, der Reichtum ist alles, die Menschen nichts?“, so kommt darin nicht bloß die „ethische“ Schwäche seiner kleinbürgerlichen Auffassung im Vergleich mit der streng klassischen Objektivität Ricardos zum Ausdruck, sondern auch der durch soziales Empfinden geschärfte Blick des Kritikers für lebendige gesellschaftliche Zusammenhänge der Ökonomie, also auch für deren Widersprüche und Schwierigkeiten, dem die steife Borniertheit der abstrakten Auffassung Ricardos und seiner Schule entgegensteht. Die Kontroverse hat nur unterstrichen, daß Ricardo wie die Epigonen Smith’ gleichermaßen nicht imstande waren, das ihnen von Sismondi aufgegebene Rätsel der Akkumulation auch nur zu erfassen, geschweige zu lösen.

2. Die Auflösung des Rätsels wurde aber auch schon dadurch unmöglich gemacht, weil die ganze Diskussion auf ein Nebengeleise geschoben und um das Problem der Krisen konzentriert wurde. Der Ausbruch der ersten Krise beherrschte naturgemäß die Diskussion, verhinderte aber ebenso naturgemäß auf beiden Seiten die Einsicht in die Tatsache, daß Krisen überhaupt nicht das Problem der Akkumulation, sondern bloß deren spezifische äußere Form, bloß ein Moment in der zyklischen Figur der kapitalistischen Reproduktion darstellen. Daraus ergab sich, daß die Debatte schließlich in ein doppeltes Quiproquo auslaufen mußte: Die eine Seite deduzierte dabei direkt aus den Krisen die Unmöglichkeit der Akkumulation, die andere direkt aus dem Warenaustausch die Unmöglichkeit der Krisen. Der weitere Verlauf der kapitalistischen Entwicklung sollte beide Deduktionen gleichermaßen ad absurdum führen.

Bei alledem bleibt Sismondis Kritik als erster theoretischer Alarmruf gegen die Kapitalsherrschaft von hoher historischer Bedeutung: Er zeigt die Auflösung der klassischen Ökonomie an, die mit den von ihr selbst wachgerufenen Problemen nicht fertig werden konnte. Wenn Sismondi gegen die Konsequenzen der kapitalistischen Herrschaft einen Angstschrei ausstößt, so war er sicher nicht ein Reaktionär in dem Sinne, daß er etwa für vorkapitalistische Verhältnisse schwärmte, wenn er auch gelegentlich die patriarchalischen Produktionsformen in Landwirtschaft und Gewerbe mit Wohlgefallen gegen die Kapitalsherrschaft in Vorteil setzt. Er verwahrt sich dagegen wiederholt und sehr energisch, so z. B. in seinem Aufsatz in der Revue encyclopédique gegen Ricardo: „Ich höre schon den Einwand erheben, daß ich mich der Vervollkommnung des Landbaues, der Künste und aller Fortschritte des Menschen entgegenstelle, daß ich ohne Zweifel die Barbarei der Gesittung vorziehe, da der Pflug eine Maschine ist und das Grabscheit eine noch ältere, und daß nach meinem System der Mensch die Erde lediglich mit seinen Händen hätte bearbeiten sollen. Ich habe nichts Ähnliches gesagt, und ich muß mich ein für allemal gegen jede Folgerung verwahren, die man meinem System unterlegt und die ich nicht selbst gezogen habe. Ich bin weder von denen, die mich angreifen, noch von denen, die mich verteidigen, verstanden worden, und mir ist ebensooft über meine Verbündeten wie über meine Gegner die Schamröte ins Gesicht gestiegen ... Man beachte wohl, nicht gegen die Maschinen, nicht gegen die fortschreitende Gesittung oder gegen die Erfindungen richten sich meine Einwendungen, sondern gegen die heutige Organisation der Gesellschaft, eine Organisation, die, während sie den Arbeitenden jedes anderen Eigentums beraubt als seiner Arme, ihm nicht die geringste Gewähr gibt gegen einen Wettbewerb, gegen den tollen Handel, der stets zu seinem Nachteil ausschlägt und dessen Opfer er naturgemäß werden muß.“ Der Ausgangspunkt in der Kritik Sismondis sind zweifellos die Interessen des Proletariats, und er ist vollkommen im Recht, wenn er seine Grundtendenz so formuliert: „Ich wünsche nur nach Mitteln zu suchen, die Früchte der Arbeit denen zu sichern, die die Arbeit leisten, den Nutzen der Maschine dem zuzuwenden, der die Maschine in Tätigkeit setzt.“ Freilich, wenn er die soziale Organisation näher angeben soll, die er anstrebt, kneift er aus und bekennt seine Unfähigkeit: „Was wir tun sollen, ist eine Frage von unbegrenzter Schwierigkeit, die wir keineswegs die Absicht haben, heute zu behandeln. Wir wünschen die Nationalökonomen zu überzeugen, so vollständig, wie wir selbst davon überzeugt sind, daß ihre Wissenschaft bis jetzt eine falsche Bahn verfolgt hat. Wir haben aber nicht das nötige Zutrauen zu uns, um ihnen den wahren Weg zu zeigen; es hieße unserem Geiste eine zu große Anstrengung zumuten, die Gestaltung der Gesellschaft, wie sie sein soll, darzulegen. Wo wäre indessen ein Mensch stark genug, um sich eine Organisation zu denken, die noch nicht vorhanden ist, um in die Zukunft zu sehen, da es doch schon Mühe genug kostet, nur das Vorhandene zu sehen?“ Dieses offene Bekenntnis der Unfähigkeit, über den Kapitalismus hinaus in die Zukunft zu blicken, gereichte Sismondi um das Jahr 1820 sicher nicht zur Schande – zu einer Zeit, wo die Herrschaft des großindustriellen Kapitals erst die geschichtliche Schwelle überschritten hatte und wo die Idee des Sozialismus nur erst in utopischer Gestalt möglich war. Da indes Sismondi auf diese Weise weder über den Kapitalismus hinaus noch hinter ihn zurückgehen konnte, so blieb für seine Kritik nur der kleinbürgerliche Mittelweg übrig. Die Skepsis in bezug auf die Möglichkeit der vollen Entfaltung des Kapitalismus und somit der Produktivkräfte führte Sismondi zu dem Ruf nach der Dämpfung der Akkumulation, nach der Mäßigung des Sturmschritts in der Expansion der Kapitalsherrschaft. Und hier liegt die reaktionäre Seite seiner Kritik. (6)

Fußnoten von Rosa Luxemburg

1. „L’argent ne remplit qu’un office passager dans ce double échange. Les échanges terminés, il se trouve qu’on a payé des produits avec des produits. En conséquence quand une nation a trop de produits dans un genre, le moyen de les écouler est d’en créer d’un autre genre.“ (J.B. Say: Traité d’économie politique, Bd. I, Paris 1803, S. 154.)

2. In Wirklichkeit gehörte Say auch hier nur die pretentiöse und dogmatische Fixierung des von anderen ausgesprochenen Gedankens. Wie Bergmann in seiner Geschichte der Krisentheorien (Stuttgart 1895) darauf aufmerksam macht, finden sich bereits ganz ähnliche Äußerungen über die Identität zwischen Angebot und Nachfrage sowie über das natürliche Gleichgewicht beider bereits bei Josiah Tucker (1752), bei Turgot in dessen Anmerkungen zur französischen Ausgabe des Tuckerschen Pamphlets, bei Quesnay, Du Pont de Nemours und anderen. Trotzdem nimmt der „Jammermensch“ Say, wie ihn Marx einmal nennt, die Ehre der großen Entdeckung der „théorie des débouches“ als Oberharmoniker für sich in Anspruch und vergleicht sein Werk bescheiden mit der Entdeckung der Theorie der Wärme, des Hebels und der schiefen Ebene (Siehe seine Einleitung und sein Sachregister zur 6. Auflage seines Traité, 1841: „C’est la théorie des échanges et des débouches – telle qu’elle est développée dans cet ouvrage – qui changera la politique du monde.“ S. 51 u. 616.) James Mill entwickelt dieselben Standpunkt in seinem 1808 erschienenen Commerce defended. Marx nennt ihn den eigentlichen Vater der Theorie von dem natürlichen Gleichgewicht zwischen Produktion und Absatz.

3. Revue encyclopédique, Bd. XXIII, Juli 1824, S. 20.

4. l. c., S. 21.

5. l. c., S. 29. Say klagt Sismondi als den Erzfeind der bürgerlichen Gesellschaft in folgender pathetischen Deklamation an: „C’est contre l’organisation moderne de la société; organisation qui, en dépouillant l’homme qui travaille de toute autre propriété que celle de ses bras, ne lui donne aucune garantie contre une concurrence dirigée à son préjudice. Quoi! parce que la société garantit à toute espèce d’entrepreneur la libre disposition de ses capitaux, c’est à dire de sa propriété elle dépouille l’homme qui travaille! Je le répète: rien de plus dangéreux que de vues qui conduisent à régler l’usage des propriétés.“ Denn „les bras et les facultés“ – „sont aussi des propriétés“!

6. Marx streift in seiner Geschichte der Opposition gegen die Ricardosche Schule und deren Auflösung Sismondi nur ganz kurz. Er sagt an einer Stelle : „Ich schließe Sismondi hier aus meiner historischen Übersicht aus, weil die Kritik seiner Ansichten in einen Teil gehört, den ich nur erst nach dieser Schrift behandeln kann, die reale Bewegung des Kapitals (Konkurrenz und Kredit).“ (Theorien über den Mehrwert, Bd. III. S. 52.) [Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Dritter Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.3, S. 46.] Etwas weiter widmet Marx jedoch, im Zusammenhang mit Malthus, auch Sismondi einen allerdings in seinen großen Zügen erschöpfenden Passus: „Sismondi hat das tiefe Gefühl, daß die kapitalistische Produktion sich widerspricht; daß ihre Formen – ihre Produktionsverhältnisse – einerseits zur ungezügelten Entwicklung der Produktivkraft und des Reichtums spornen; daß diese Verhältnisse andrerseits bedingte sind, deren Widersprüche von Gebrauchswert und Tauschwert, Ware und Geld, Kauf und Verkauf, Produktion und Konsumtion, Kapital und Lohnarbeit etc. um so größre Dimensionen annehmen, je weiter sich die Produktivkraft entwickelt. Er fühlt namentlich den Grundwiderspruch: Ungefesselte Entwicklung der Produktivkraft und Vermehrung des Reichtums, der zugleich aus Waren besteht, versilbert werden muß, einerseits; andrerseits als Grundlage Einschränkung der Masse der Produzenten auf die necessaries. Hence sind bei ihm die Krisen nicht wie bei Ric(ardo) Zufälle, sondern wesentliche Ausbrüche der immanenten Widersprüche auf großer Stufenleiter und zu bestimmten Perioden. Er schwankt nun beständig: Sollen die Produktivkräfte von Staats wegen gefesselt werden, um sie den Produktionsverhältnissen adäquat zu machen, oder die Produktionsverhältnisse, um sie den Produktivkräften adäquat zu machen? Er flüchtet sich dabei oft in die Vergangenheit; wird laudator temporis acti oder möchte auch durch andre Regelung der Revenue im Verhältnis zum Kapital oder der Distribution im Verhältnis zur Produktion die Widersprüche bändigen, nicht begreifend, daß die Distributionsverhältnisse nur die Produktionsverhältnisse sub alia specie sind. Er beurteilt die Widersprüche der bürgerlichen Produktion schlagend, aber er begreift sie nicht und begreift daher auch nicht den Prozeß ihrer Auflösung. (Wie sollte er das auch, wo diese Produktion erst in ihrer Bildung begriffen war? – R.L.) Was aber bei ihm zugrunde liegt, ist in der Tat die Ahnung, daß den im Schoß der kapitalistischen Gesellschaft entwickelten Produktivkräften, materiellen und sozialen Bedingungen der Schöpfung des Reichtums, neue Formen der Aneignung dieses Reichtums entsprechen müssen; daß die bürgerlichen Formen nur transitorische und widerspruchsvolle sind, in denen der Reichtum immer nur eine gegensätzliche Existenz erhält und überall zugleich als sein Gegenteil auftritt. Es ist Reichtum, der immer die Armut zur Voraussetzung hat und sich nur entwickelt, indem er sie entwickelt.“ (l. c., S. 55.) [Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Dritter Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.3, S. 50/51.]

Im Elend der Philosophie führt Marx Sismondi an einigen Stellen gegen Proudhon an, äußert sich aber über ihn selbst nur im folgenden kurzen Satz: „Diejenigen, welche, wie Sismondi, zur richtigen Proportionalität der Produktion zurückkehren und dabei die gegenwärtigen Grundlagen der Gesellschaft erhalten wollen, sind reaktionär, da sie, um konsequent zu sein, auch alle anderen Bedingungen der Industrie früherer Zeiten zurückzuführen bestrebt sein müssen.“ [Karl Marx: Das Elend der Philosophie. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 4, S. 97.] In Zur Kritik der politischen Ökonomie wird Sismondi zweimal kurz erwähnt; einmal wird er als der letzte Klassiker der bürgerlichen Ökonomie in Frankreich in Parallele mit Ricardo in England gestellt, an einer anderen Stelle wird hervorgehoben, daß Sismondi gegen Ricardo den spezifisch gesellschaftlichen Charakter der wertschaffenden Arbeit betonte. Im Kommunistischen Manifest endlich wird Sismondi als das Haupt des kleinbürgerlichen Sozialismus genannt.



Anmerkung der Redaktion

1*. Siehe Adolf Müllner: Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten, Leipzig 1817.


Zuletzt aktualisiert am 14.1.2012