Karl Marx

 

Der Bürgerkrieg in Frankreich

 

IV

Der erste Versuch der Sklavenhalterverschwörung zur Unterwerfung von Paris, wonach die Preußen es besetzen sollten, scheiterte an Bismarcks Weigerung. Der zweite Versuch, am 18. März, endigte mit der Niederlage der Armee und der Flucht der Regierung nach Versailles, wohin ihr die gesamte Verwaltungsmaschinerie folgen mußte. Durch Vorspieglung von Friedensunterhandlungen mit Paris gewann Thiers jetzt die Zeit, den Krieg gegen Paris vorzubereiten. Aber woher eine Armee nehmen? Die Überbleibsel der Linienregimenter waren schwach an Zahl und unsicher von Stimmung. Seine dringenden Anrufe an die Provinzen, Versailles mit ihren Nationalgarden und Freiwilligen zu Hülfe zu eilen, stießen auf offne Weigerung. Nur die Bretagne sandte eine Handvoll Chouans, die unter der weißen Fahne fochten, jeder mit dem Herzen Jesu in weißem Linnen auf der Brust, und deren Schlachtruf war: Vive le Roi! (Es lebe der König!) Thiers blieb also darauf angewiesen, in aller Eile eine buntscheckige Bande zusammenzutrommeln, Matrosen, Seesoldaten, päpstliche Zuaven, Valentins Gendarmen, Piétris Stadtsergeanten und Mouchards (Spitzel). Diese Armee wäre jedoch bis zur Lächerlichkeit ungenügend gewesen ohne die nach und nach eintreffenden imperialistischen Kriegsgefangnen, die Bismarck in Abschlagszahlungen losließ, hinreichend einerseits, den Bürgerkrieg in Gang und andrerseits Versailles in kriechender Abhängigkeit von Preußen zu halten. Im Verlauf dieses Kriegs selbst hatte die Versailler Polizei der Versailler Armee aufzupassen, während die Gendarmen diese Armee mit sich fortreißen mußten, indem sie sich überall an den gefährlichsten Posten zuerst aussetzten. Die Forts, welche fielen, wurden nicht genommen, sondern gekauft. Der Heldenmut der Kommunalisten überzeugte Thiers, daß der Widerstand vor Paris nicht durch sein eignes strategisches Genie und die ihm verfügbaren Bajonette zu brechen war.

Gleichzeitig wurden seine Beziehungen zu den Provinzen immer schwieriger. Nicht eine einzige Billigungsadresse lief ein, um Thiers und seine Krautjunker aufzuheitern. Ganz im Gegenteil. Deputationen und Adressen strömten ein von allen Seiten und verlangten, in einem keineswegs achtungsvollen Ton, Versöhnung mit Paris auf Grundlage der unzweideutigen Anerkennung der Republik, der Bestätigung der kommunalen Freiheiten und der Auflösung der Nationalversammlung, deren Mandat erloschen sei. In solchen Massen kamen sie an, daß Dufaure, Thiers’ Justizminister, den Staatsanwälten in einem Zirkular vom 23. April befahl, „den Ruf nach Versöhnung“ als ein Verbrechen zu behandeln! Im Hinblick jedoch auf die hoffnungslose Aussicht, die ihm sein Feldzug eröffnete, beschloß Thiers, seine Taktik zu ändern, und schrieb für das ganze Land Gemeinderatswahlen für den 30. April aus, auf Grund der neuen, von ihm der Nationalversammlung diktierten Gemeindeordnung. Mit den Intrigen seiner Präfekten hier, mit der Einschüchterung seiner Polizei dort, erwartete er ganz zuversichtlich, durch den Wahrspruch der Provinzen der Nationalversammlung die moralische Macht zu geben, die sie nie besessen hatte, und von den Provinzen die materielle Macht zu erhalten, deren er zur Besiegung von Paris bedurfte.

Seinen Räuberkrieg gegen Paris, verherrlicht in seinen eignen Bulletins, und die Versuche seiner Minister, in ganz Frankreich eine neue Schreckensherrschaft zu errichten, hatte Thiers gleich von Anfang für nötig gehalten, durch eine kleine Versöhnungskomödie zu ergänzen, die mehr als einem Zwecke dienen sollte. Sie sollte die Provinzen hinters Licht führen, die Mittelklasse in Paris anlocken und vor allem den angeblichen Republikanern der Nationalversammlung die Gelegenheit geben, ihren Verrat gegen Paris hinter ihrem Glauben an Thiers zu verbergen. Am 21. März, als er noch keine Armee besaß, hatte er der Versammlung erklärt:

„Komme was da will, ich werde keine Armee nach Paris schicken.“

Am 27. März erhob er sich wieder:

„Ich habe die Republik als vollendete Tatsache vorgefunden, und ich bin fest entschlossen, sie aufrechtzuerhalten.“

In Wirklichkeit unterdrückte er die Revolution in Lyon und Marseille im Namen der Republik, während das Gebrüll seiner Krautjunker die bloße Erwähnung ihres Namens in Versailles niederheulte. Nach dieser Heldentat milderte er die vollendete Tatsache herab zu einer vorausgesetzten Tatsache. Die Orléansprinzen, die er vorsichtig aus Bordeaux wegbeschieden hatte, durften jetzt, in offnem Gesetzesbruch, frei in Dreux intrigieren. Die Zugeständnisse, die Thiers in seinen endlosen Zusammenkünften mit den Delegierten von Paris und den Provinzen in Aussicht stellte – so sehr sie auch fortwährend in Ton und Färbung wechselten –, liefen schließlich immer darauf hinaus, daß seine Rache sich voraussichtlich auf die „Handvoll Verbrecher, beteiligt beim Morde von Clément Thomas und Lecomte“ beschränken solle, unter der wohlverstandnen Bedingung, daß Paris und Frankreich den Herrn Thiers selbst rückhaltlos als die beste der Republiken anerkennen sollte, grade wie er 1830 mit Louis-Philippe getan. Und selbst die Zugeständnisse – nicht nur, daß er Sorge trug, sie zweifelhaft zu machen durch die offiziellen Erläuterungen, die seine Minister in der Nationalversammlung dazu machten; nein, er hatte auch seinen Dufaure zum Handeln. Dufaure, dieser alte orleanistische Advokat, war jederzeit der Oberrichter des Belagerungszustands gewesen, wie jetzt, 1871, unter Thiers, so 1839 unter Louis-Philippe und 1849 unter Louis Bonapartes Präsidentschaft. Wenn er nicht Minister war, bereicherte er sich, indem er für die Pariser Kapitalisten plädierte, und machte politisches Kapital, indem er gegen die von ihm selbst eingeführten Gesetze plädierte. Jetzt, nicht zufrieden, eine Reihe Unterdrückungsgesetze durch die Nationalversammlung zu hetzen, die, nach dem Fall von Paris, die letzten Reste republikanischer Freiheit in Paris ausrotten sollten – deutete er selbst das Geschick von Paris im voraus an, indem er die, ihm noch zu langwierige, Verfahrungsweise der Kriegsgerichte abkürzte und ein neugebacknes drakonisches Deportationsgesetz einbrachte. Die Revolution von 1848, welche die Todesstrafe für politische Verbrecher abschaffte, hatte sie durch Deportation ersetzt. Louis-Napoleon wagte nicht, die Herrschaft der Guillotine wiederherzustellen, wenigstens nicht offen ausgesprochen. Die Junkerversammlung, noch nicht kühn genug, selbst nur anzudeuten, daß die Pariser nicht Rebellen, sondern Mörder seien, mußte deshalb ihre vorweggenommene Rache gegen Paris auf Dufaures neues Deportationsgesetz beschränken. Unter allen diesen Umständen würde Thiers seine Versöhnungskomödie unmöglich so lange fortgespielt haben, hätte sie nicht, was er gerade wollte, das Wutgeschrei der Krautjunker hervorgerufen, deren wiederkäuender Verstand weder das Spiel verstand noch die Notwendigkeit seiner Heuchelei, Falschheit und Hinhaltung.

Angesichts der bevorstehenden Gemeinderatswahlen vom 30. April, führte Thiers am 27. eine seiner großen Versöhnungsszenen auf. Mitten in einer Flut sentimentalen Redeergusses rief er von der Tribüne der Nationalversammlung aus:

„Die einzige Verschwörung gegen die Republik, die es gibt, ist die von Paris, die uns zwingt, französisches Blut zu vergießen. Ich wiederhole es aber und abermals: Laßt diese ruchlosen Waffen fallen aus den Händen derer, die sie führen, und die Strafe wird augenblicklich aufgehalten werden durch einen Friedensakt, der nur die kleine Zahl der Verbrecher ausschließt.“

Den heftigen Unterbrechungen der Krautjunker antwortete er:

„Sagen Sie mir, meine Herren, ich bitte Sie inständigst, habe ich unrecht? Tut es Ihnen wirklich leid, daß ich die Wahrheit sagen konnte, daß der Verbrecher nur eine Handvoll sind? Ist es nicht ein Glück inmitten all unsres Unglücks, daß die Leute, die fähig waren, das Blut von Clément Thomas und General Lecomte zu vergießen, nur seltne Ausnahmen bilden?“

Frankreich jedoch hatte nur taube Ohren für Thiers’ Reden, in denen er sich schmeichelte, einen parlamentarischen Sirenensang geleistet zu haben. Aus allen den 700.000 Gemeinderäten, gewählt in den 35.000 noch bei Frankreich gebliebenen Gemeinden, setzten die vereinigten Legitimisten, Orleanisten und Bonapartisten nicht 8.000 durch. Die nachfolgenden Nach- und Stichwahlen fielen noch feindseliger aus. Die Nationalversammlung, statt von den Provinzen die so sehr benötigte materielle Macht zu erhalten, verlor selbst den letzten Anspruch auf moralische Macht: den, der Ausdruck des allgemeinen Stimmrechts von Frankreich zu sein. Und um die Niederlage zu vollenden, bedrohten die neugewählten Gemeinderäte aller französischen Städte die usurpatorische Versammlung von Versailles mit einer Gegenversammlung in Bordeaux.

Damit war der lang erwartete Augenblick zum entscheidenden Auftreten für Bismarck gekommen. Er befahl Thiers im Herrscherton, unverzüglich Bevollmächtigte für den endgültigen Friedensschluß nach Frankfurt zu senden. In demütigem Gehorsam gegen den Ruf seines Herrn und Meisters beeilte sich Thiers, seinen bewährten Jules Favre, unterstützt von Pouyer-Quertier, abzuschicken. Pouyer-Quertier, ein „hervorragender“ Baumwollspinner von Rouen, ein glühender und selbst serviler Anhänger des zweiten Kaisertums, hatte an diesem nie etwas Unrechtes entdeckt, außer dem Handelsvertrag mit England, der seinem eignen Fabrikanteninteresse schadete. Kaum in Bordeaux zum Finanzminister von Thiers eingesetzt, klagte er auch schon diesen „unheiligen“ Vertrag an, machte Andeutungen, daß er bald abgeschafft werde, und hatte sogar die Unverschämtheit, wenn auch umsonst (da er seine Rechnung ohne Bismarck gemacht hatte), die sofortige Wiedereinführung der alten Schutzzölle gegen das Elsaß zu versuchen, wo, wie er sagte, dem keine noch gültigen internationalen Verträge im Wege stünden. Dieser Mann, der die Kontrerevolution als ein Mittel ansah, um den Arbeitslohn in Rouen herunterzudrücken, und die Abtretung französischer Provinzen als ein Mittel, den Preis seiner Waren in Frankreich heraufzuschrauben – war er nicht schon im voraus angezeigt als der würdige Genosse Jules Favres, in seinem letzten, sein ganzes Werk krönenden Verrat?

Als dies fürtreffliche Paar von Bevollmächtigten nach Frankfurt kam, schnauzte Bismarck sie alsbald mit dem Kommando an: Entweder Wiederherstellung des Kaisertums, oder unweigerliche Annahme meiner eignen Friedensbedingungen! Diese Bedingungen enthielten eine Abkürzung der Zahlungsfristen für die Kriegsentschädigung, nebst fortdauernder Besetzung der Pariser Forts durch preußische Truppen, bis Bismarck mit dem Stand der Dinge in Frankreich sich zufrieden erkläre – so daß Preußen als höchster Schiedsrichter in den innern Angelegenheiten Frankreichs anerkannt wurde! Dagegen war er bereit, zur Ausrottung von Paris die gefangne bonapartistische Armee loszulassen und ihnen die direkte Unterstützung der Truppen des Kaisers Wilhelm zu leihen. Er verbürgte seine Ehrlichkeit dadurch, daß er die Zahlung der ersten Entschädigungsrate von der „Pazifikation“ von Paris abhängig machte. Solch ein Köder wurde natürlich von Thiers und seinen Bevollmächtigten gierig verschlungen. Sie unterschrieben den Vertrag am 10. Mai und besorgten seine Bestätigung durch die Nationalversammlung schon am 18.

In der Zwischenzeit, vom Friedensschluß bis zur Ankunft der bonapartistischen Gefangenen, fühlte sich Thiers um so mehr verpflichtet, seine Versöhnungskomödie wiederaufzunehmen, als seine republikanischen Handlanger in äußerster Bedrängnis waren wegen eines Vorwands, um bei den Vorbereitungen zum Pariser Blutbad ein Auge zuzudrücken. Noch am 3. Mai antwortete er einer Deputation von versöhnlichen Mittelbürgern:

„Sobald die Insurgenten sich zur Kapitulation entschließen, sollen die Tore von Paris eine Woche lang weit geöffnet werden für alle, außer den Mördern der Generale Clément Thomas und Lecomte.“

Einige Tage nachher, heftig von den Krautjunkern wegen dieser Zusage zur Rede gestellt, weigerte er alle Auskunft, fügte aber diesen bezeichnenden Wink hinzu:

„Ich sage Ihnen, es gibt Ungeduldige unter Ihnen, die zu viel Eile haben. Diese müssen noch acht Tage warten; am Ende dieser acht Tage wird keine Gefahr mehr sein, und die Aufgabe wird dann ihrem Mut und ihren Fähigkeiten entsprechen.“

Sobald Mac-Mahon imstande war, zu versprechen, daß er bald in Paris einrücken könne, erklärte Thiers der Nationalversammlung, er

„werde in Paris einziehen mit dem Gesetz in der Hand und volle Sühne verlangen von den Elenden, die das Leben von Soldaten geopfert und öffentliche Denkmäler zerstört hätten“.

Als der Augenblick der Entscheidung heranrückte, sagte er zur Nationalversammlung: „Ich werde ohne Barmherzigkeit sein“; zu Paris, sein Urteil sei gesprochen; und zu seinen bonapartistischen Banditen, sie hätten Staatserlaubnis, an Paris ihre Rache nach Herzenslust auszuüben. Endlich, als am 21. Mai der Verrat dem General Douay die Tore von Paris geöffnet hatte, enthüllte Thiers, am 22., seinen Krautjunkern das „Ziel“ seiner Versöhnlichkeitskomödie, die sie so hartnäckig mißverstanden hatten.

„Ich habe Ihnen vor einigen Tagen gesagt, wir näherten uns dem Ziele; heute komme ich Ihnen zu sagen – das Ziel ist erreicht. Der Sieg der Ordnung, Gerechtigkeit und Zivilisation ist endlich gewonnen.“

Und das war er. Die Zivilisation und Gerechtigkeit der Bourgeoisordnung tritt hervor in ihrem wahren, gewitterschwangern Licht, sobald die Sklaven in dieser Ordnung sich gegen ihre Herren empören. Dann stellt sich diese Zivilisation und Gerechtigkeit dar als unverhüllte Wildheit und gesetzlose Rache. Jede neue Krisis im Klassenkampf zwischen dem Aneigner und dem Hervorbringer des Reichtums bringt diese Tatsache greller zum Vorschein. Selbst die Scheußlichkeiten der Bourgeois vom Juni 1848 verschwinden vor der unsagbaren Niedertracht von 1871. Der selbstopfernde Heldenmut, womit das Pariser Volk – Männer, Weiber und Kinder – acht Tage lang nach dem Einrücken der Versailler fortkämpften, strahlt ebensosehr zurück die Größe ihrer Sache, wie die höllischen Taten der Soldateska zurückstrahlen den eingebornen Geist jener Zivilisation, deren gemietete Vorkämpfer und Rächer sie sind. Eine ruhmvolle Zivilisation in der Tat, deren Lebensfrage darin besteht: wie die Haufen von Leichen loswerden, die sie mordete, nachdem der Kampf vorüber war!

Um ein Seitenstück zu finden für das Benehmen des Thiers und seiner Bluthunde, müssen wir zurückgehn zu den Zeiten des Sulla und der beiden römischen Triumvirate. Dieselbe massenweise Schlächterei bei kaltem Blut; dieselbe Mißachtung, beim Morden, von Alter und Geschlecht; dasselbe System, Gefangne zu martern; dieselben Ächtungen, aber diesmal gegen eine ganze Klasse; dieselbe wilde Jagd nach den versteckten Führern, damit auch nicht einer entkomme; dieselbe Angeberei gegen politische und Privatfeinde; dieselbe Gleichgültigkeit bei der Niedermetzlung von dem Kampf ganz fremden Leuten. Nur der eine Unterschied ist da, daß die Römer noch keine Mitrailleusen hatten, um die Geächteten schockweise abzutun, und daß sie nicht „in ihren Händen das Gesetz“ trugen, noch auf ihren Lippen den Ruf der „Zivilisation“.

Und nach diesen Schandtaten, seht jetzt auf die andre, noch ekelhaftere Seite dieser Bourgeoiszivilisation, beschrieben durch ihre eigne Presse!

„Während“, schreibt der Pariser Korrespondent eines Londoner Tory-Blattes, „während noch einzelne Schüsse in der Ferne ertönen und unverpflegte Verwundete zwischen den Grabsteinen des Père-Lachaise verenden, während 6.000 erschreckte Insurgenten im Todeskampf der Verzweiflung in den Irrgängen der Katakomben sich verloren haben und man Unglückliche noch durch die Straßen treiben sieht, um von den Mitrailleusen schockweise niedergeschossen zu werden – ist es empörend, die Cafés gefüllt zu sehn mit Absinthtrinkern, Billard- und Dominospielern; zu sehn, wie weibliche Verworfenheit sich auf den Boulevards breitmacht, und zu hören, wie der laute Schall der Schwelgerei aus den Privatzimmerchen vornehmer Restaurants die Nachtruhe stört.“

Herr Edouard Hervé schreibt im Journal de Paris, einem von der Kommune unterdrückten versaillistischen Journal:

„Die Art, wie die Pariser Bevölkerung (!) gestern ihre Befriedigung an den Tag legte, war in der Tat mehr als frivol, und wir fürchten, das wird mit der Zeit schlimmer werden. Paris hat jetzt ein festliches Aussehn, das wahrlich nicht am Platze ist, und falls wir nicht die ‚Pariser des Verfalls‘ genannt zu werden wünschen, muß dem ein Ende gemacht werden.“

Und dann zitiert er die Stelle des Tacitus:

„Und doch, den Morgen nach jenem schrecklichen Kampf, und selbst ehe er vollständig ausgefochten war, begann Rom, erniedrigt und verderbt, von neuem sich zu wälzen in jenem Sumpf der Wollust, der seinen Leib zerstörte und seine Seele befleckte – alibi proelia et vulnera, alibi balneae popinaeque (hier Kämpfe und Wunden, dort Bäder und Restaurants.)“

Herr Hervé vergißt nur, daß die „Pariser Bevölkerung“, von der er spricht, nur die Bevölkerung des Paris von Thiers ist, die Francs-fileurs, die haufenweise von Versailles, Saint-Denis, Rueil und Saint-Germain zurückkehren, in der Tat das „Paris des Verfalls“.

In jedem ihrer blutigen Triumphe über die selbstopfernden Vorkämpfer einer neuen und bessern Gesellschaft übertäubt diese, auf die Knechtung der Arbeit gegründete, schmähliche Zivilisation das Geschrei ihrer Schlachtopfer durch einen Hetzruf der Verleumdung, den ein weltweites Echo widerhallt. Das heitere Arbeiter-Paris der Kommune verwandelt sich plötzlich, unter den Händen der Bluthunde der „Ordnung“, in ein Pandämonium. Und was beweist diese ungeheure Verwandlung dem Bourgeoisverstand aller Länder? Nichts, als daß die Kommune sich gegen die Zivilisation verschworen hat! Das Pariser Volk opfert sich begeistert für die Kommune; die Zahl seiner Toten ist unerreicht in irgendeiner früheren Schlacht. Was beweist das? Nichts, als daß die Kommune nicht des Volks eigne Regierung, sondern die Gewalthandlung einer Handvoll Verbrecher war! Die Weiber von Paris geben freudig ihr Leben hin, an den Barrikaden wie auf dem Richtplatz. Was beweist das? Nichts, als daß der Dämon der Kommune sie in Megären und Hekaten verwandelt hat! Die Mäßigung der Kommune, während zweimonatlicher unbestrittner Herrschaft, findet ihresgleichen nur in dem Heldenmut ihrer Verteidigung. Was beweist das? Nichts, als daß die Kommune zwei Monate lang, unter der Maske der Mäßigung und Menschlichkeit, den Blutdurst ihrer teuflischen Gelüste sorgfältig verbarg, um sie in der Stunde ihres Todeskampfs loszulassen!

Das Paris der Arbeiter hat im Akt seiner heroischen Selbstopferung Gebäude und Monumente mit in die Flammen gezogen. Wenn die Beherrscher des Proletariats seinen lebendigen Leib in Stücke reißen, dürfen sie nicht länger darauf rechnen, triumphierend in die unangetasteten Mauern ihrer Wohnsitze wieder einzuziehn. Die Versailler Regierung schreit: Brandstiftung! und flüstert dies Stichwort allen ihren Handlangern zu bis ins entfernteste Dorf, auf ihre Gegner überall Jagd zu machen als der gewerbsmäßigen Brandstiftung verdächtig. Die Bourgeoisie der ganzen Welt sieht der Massenschlächterei nach der Schlacht wohlgefällig zu, aber sie entsetzt sich über die Entweihung von Dach und Fach!

Wenn Regierungen ihren Kriegsflotten Staatsfreibrief geben, „zu töten, zu verbrennen und zu zerstören“, ist das ein Freibrief für Brandstiftung? Als die britischen Truppen mutwillig das Kapitol in Washington und den Sommerpalast des Kaisers von China verbrannten, war das Brandstiftung?[9] Als Thiers sechs Wochen lang Paris bombardierte, unter dem Vorwand, daß er bloß solche Häuser anzünden wollte, in denen Leute seien, war das Brandstiftung? – Im Krieg ist Feuer eine vollständig rechtmäßige Waffe. Gebäude, vom Feinde besetzt, bombardiert man, um sie anzuzünden. Müssen die Verteidiger sie verlassen, so stecken sie selber sie in Brand, damit die Angreifer sich nicht darin festsetzen können. Niedergebrannt zu werden, war stets das unvermeidliche Schicksal aller in der Schlachtfront aller regelmäßigen Armeen der Welt gelegnen Gebäude. Aber im Krieg der Geknechteten gegen ihre Unterdrücker, dem einzig rechtmäßigen Krieg in der Geschichte, da soll dies beileibe nicht gelten! Die Kommune hat das Feuer im strengsten Sinne des Worts, als Verteidigungsmittel gebraucht. Sie wandte es an, um den Versailler Truppen jene langen graden Straßen zu versperren, die Haussmann absichtlich dem Artilleriefeuer offengelegt hatte; sie wandte es an, um ihren Rückzug zu decken, grade wie die Versailler in ihrem Vordringen ihre Granaten anwandten, die mindestens ebensoviel Häuser zerstörten wie das Feuer der Kommune. Noch jetzt ist es streitig, welche Gebäude durch die Verteidiger und welche durch die Angreifer angezündet wurden. Und die Verteidiger nahmen Zuflucht zum Feuer erst dann, als die Versailler Truppen bereits mit ihrem Massenabmorden der Gefangnen begonnen hatten. – Zudem hatte die Kommune längst vorher öffentlich angekündigt, daß, wenn zum äußersten getrieben sie sich unter den Trümmern von Paris begraben und aus Paris ein zweites Moskau machen werde, wie die Verteidigungsregierung, freilich nur als Deckmantel ihres Verrats, dies ebenfalls versprochen hatte. Grade für diesen Zweck hatte Trochu das nötige Petroleum herbeigeschafft. Die Kommune wußte, daß ihren Gegnern nichts lag am Leben des Pariser Volks, aber sehr viel an ihren eignen Pariser Gebäuden. Und Thiers, seinerseits, hatte erklärt, er werde in seiner Rache unerbittlich sein. Sobald er erst seine Armee schlagfertig hatte auf der einen Seite, und auf der andern die Preußen den Ausgang absperrten, rief er aus: „Ich werde erbarmungslos sein! Die Buße wird vollständig sein, die Justiz streng.“ Wenn die Taten der Pariser Arbeiter Vandalismus waren, so waren sie der Vandalismus der verzweifelnden Verteidigung, nicht der Vandalismus des Triumphs, wie der, dessen die Christen sich schuldig machten an den wirklich unschätzbaren Kunstwerken des heidnischen Altertums; und selbst dieser Vandalismus ist vom Geschichtsschreiber gerechtfertigt worden als ein unumgängliches und verhältnismäßig unbedeutendes Moment in dem Riesenkampf zwischen einer neuen, emporkommenden und einer alten, zusammenbrechenden Gesellschaft. Noch weniger war es der Vandalismus Haussmanns, der das historische Paris wegfegte, um dem Paris des Bummlers Platz zu schaffen.

Aber die Hinrichtung der vierundsechzig Geiseln, voran der Erzbischof von Paris, durch die Kommune! – Die Bourgeoisie und ihre Armee hatten im Juni 1848 eine längst aus der Kriegführung verschwundene Sitte wiedereingeführt – das Erschießen ihrer wehrlosen Gefangnen. Diese brutale Sitte ist seitdem mehr oder weniger angewandt worden bei jeder Unterdrückung eines Volksaufstandes in Europa und Indien, womit bewiesen ist, daß sie ein wirklicher „Fortschritt der Zivilisation“ war! Andrerseits hatten die Preußen in Frankreich die Sitte wieder ins Leben gerufen, Geiseln zu nehmen – unschuldige Leute, die ihnen mit ihrem Leben für die Handlungen andrer hafteten. Als Thiers, wie wir sahn, schon vom Anfang des Kampfes an die menschliche Sitte des Erschießens der kommunalistischen Gefangnen in Kraft setzte, blieb der Kommune nichts übrig, zum Schutz des Lebens dieser Gefangnen, als zur preußischen Sitte des Geiselngreifens ihre Zuflucht zu nehmen. Das Leben der Geiseln war aber und abermals verwirkt durch das anhaltende Erschießen von Gefangnen durch die Versailler. Wie konnte man ihrer noch länger schonen nach dem Blutbade, womit Mac-Mahons Prätorianer ihren Einmarsch in Paris feierten? Sollte auch das letzte Gegengewicht gegen die rücksichtslose Wildheit der Bourgeoisregierungen – die Ergreifung von Geiseln – zum bloßen Gespött werden? Der wirkliche Mörder des Bischofs Darboy ist Thiers. Die Kommune hatte aber und abermals angeboten, den Erzbischof und einen ganzen Haufen Pfaffen in den Kauf auszuwechseln, gegen den einzigen von Thiers festgehaltenen Blanqui. Thiers weigerte sich hartnäckig. Er wußte, daß er der Kommune mit Blanqui einen Kopf geben werde, während der Erzbischof seinen Zwecken am besten dienen würde als – Leiche. Thiers ahmte hierin Cavaignac nach. Welchen Schrei des Entsetzens ließen nicht im Juni 1848 Cavaignac und seine Ordnungsmänner los, als sie die Insurgenten als Mörder des Erzbischofs Affre brandmarkten! Und doch wußten sie ganz genau, daß der Erzbischof von den Ordnungssoldaten erschossen worden. Jacquemet, der Generalvikar des Erzbischofs, hatte ihnen unmittelbar nach der Tat sein dahin lautendes Zeugnis eingehändigt.

Dieser ganze Verleumdungschor, den die Ordnungspartei in ihren Blutfesten nie verfehlt, gegen ihre Schlachtopfer anzustimmen, beweist bloß, daß der heutige Bourgeois sich für den rechtmäßigen Nachfolger des ehemaligen Feudalherrn ansieht, der jede Waffe, in seiner eignen Hand, für gerechtfertigt hielt gegenüber dem Plebejer, während irgendwelche Waffe in der Hand des Plebejers von vornherein ein Verbrechen ausmachte.

Die Verschwörung der herrschenden Klasse zum Umsturz der Revolution durch einen unter dem Schutz des fremden Eroberers geführten Bürgerkrieg – eine Verschwörung, deren Spuren wir gefolgt sind vom September bis herab zum Einmarsch der Mac-Mahonschen Prätorianer durch das St. Clouder Tor – gipfelte in dem Blutbade von Paris. Bismarck schaut mit vergnügten Sinnen auf die Trümmer von Paris, in denen er vielleicht die „erste Rate“ jener allgemeinen Zerstörung der großen Städte sah, die er bereits erfleht hatte, als er noch ein einfacher Rural in der preußischen Chambre introuvable von 1849 war. Er schaut zufrieden auf die Leichen des Pariser Proletariats. Für ihn ist dies nicht nur die Austilgung der Revolution, sondern zugleich die Austilgung Frankreichs, das jetzt in Wirklichkeit enthauptet ist, und durch die französische Regierung obendrein. Mit der allen erfolgreichen Staatsmännern eignen Seichtigkeit sieht er nur die Oberfläche dieses ungeheuren geschichtlichen Ereignisses. Wo hat je vorher die Geschichte das Schauspiel vorgeführt eines Siegers, der seinen Sieg damit krönt, daß er sich nicht nur zum Gendarmen, sondern auch zum gemieteten Bravo der besiegten Regierung hergibt? Zwischen Preußen und der Kommune von Paris war kein Krieg. Im Gegenteil, die Kommune hatte die Friedenspräliminarien angenommen, und Preußen hatte seine Neutralität erklärt. Preußen war also keine kriegführende Partei. Es handelte als Bravo; als feiger Bravo, weil es keinerlei Gefahr auf sich lud; als gemieteter Bravo, weil es im voraus die Zahlung seines Blutgelds von 500 Millionen von dem Fall von Paris abhängig machte. Und so kam denn endlich an den Tag der wahre Charakter jenes Kriegs, den die Vorsehung angeordnet hatte zur Züchtigung des gottlosen und liederlichen Frankreichs durch das fromme und sittliche Deutschland! Und dieser unerhörte Bruch des Völkerrechts, selbst wie es von den Juristen der alten Welt verstanden, statt die „zivilisierten“ Regierungen Europas aufzurütteln, daß sie dies rechtsbrüchige Preußen, das bloße Werkzeug des Petersburger Kabinetts, in die Acht der Völker erklären – treibt sie nur zu der Erwägung, ob die wenigen Schlachtopfer, die der doppelten Postenkette um Paris entgehen, nicht auch noch dem Versailler Henker auszuliefern sind!

Daß nach dem gewaltigsten Krieg der neuern Zeit die siegreiche und die besiegte Armee sich verbünden zum gemeinsamen Abschlachten des Proletariats – ein so unerhörtes Ereignis beweist, nicht wie Bismarck glaubt, die endliche Niederdrückung der sich emporarbeitenden neuen Gesellschaft, sondern die vollständige Zerbröcklung der alten Bourgeoisgesellschaft. Der höchste heroische Aufschwung, dessen die alte Gesellschaft noch fähig war, ist der Nationalkrieg, und dieser erweist sich jetzt als reiner Regierungsschwindel, der keinen andern Zweck mehr hat, als den Klassenkampf hinauszuschieben, und der beiseite fliegt, sobald der Klassenkampf im Bürgerkrieg auflodert. Die Klassenherrschaft ist nicht länger imstande, sich unter einer nationalen Uniform zu verstecken; die nationalen Regierungen sind eins gegenüber dem Proletariat!

Nach Pfingstsonntag 1871 kann es keinen Frieden und keine Waffenruhe mehr geben zwischen den Arbeitern Frankreichs und den Aneignern ihrer Arbeitserzeugnisse. Die eiserne Hand einer gemieteten Soldateska mag beide Klassen, für eine Zeitlang, in gemeinsamer Unterdrückung niederhalten. Aber der Kampf muß aber und abermals ausbrechen, in stets wachsender Ausbreitung, und es kann kein Zweifel sein, wer der endliche Sieger sein wird – die wenigen Aneigner oder die ungeheure arbeitende Majorität. Und die französischen Arbeiter bilden nur die Vorhut des ganzen modernen Proletariats.

Während die europäischen Regierungen so, vor Paris, den internationalen Charakter der Klassenherrschaft bestätigen, schreien sie Zeter über die Internationale Arbeiterassoziation – die internationale Gegenorganisation der Arbeit gegen die weltbürgerliche Verschwörung des Kapitals – als Hauptquelle alles dieses Unheils. Thiers klagte sie an als den Despoten der Arbeit, der sich als ihren Befreier ausgebe. Picard befahl alle Verbindung der französischen Internationalen mit denen des Auslandes abzuschneiden; Graf Jaubert, der alte, zur Mumie gewordene Mitschuldige des Thiers von 1835, erklärte es für die Hauptaufgabe aller Regierungen, sie auszurotten. Die Krautjunker der Nationalversammlung heulen gegen sie, und die gesamte europäische Presse stimmt ein in den Chor. Ein ehrenwerter französischer Schriftsteller |wahrscheinlich Robinet|, der unsrer Assoziation durchaus fremd ist, spricht sich aus wie folgt:

„Die Mitglieder des Zentralkomitees der Nationalgarde, wie auch der größre Teil der Mitglieder der Kommune, sind die tätigsten, einsichtigsten und energischsten Köpfe der Internationalen Arbeiterassoziation ... Leute, durchaus ehrlich, aufrichtig, einsichtig, voll Hingebung, rein und fanatisch im guten Sinn des Wortes.“

Der polizeigefärbte Bourgeoisverstand stellt sich natürlich die Internationale Arbeiterassoziation vor als eine Art geheimer Verschwörung, deren Zentralbehörde von Zeit zu Zeit Ausbrüche in verschiedenen Ländern befiehlt. Unsere Assoziation ist aber in der Tat nur das internationale Band, das die fortgeschrittensten Arbeiter in den verschiedenen Ländern der zivilisierten Welt vereinigt. Wo immer, und in welcher Gestalt immer, und unter welchen Bedingungen immer der Klassenkampf irgendwelchen Bestand erhält, da ist es auch natürlich, daß Mitglieder unsrer Assoziation im Vordergrund stehen. Der Boden, aus dem sie emporwächst, ist die moderne Gesellschaft selbst. Sie kann nicht niedergestampft werden durch noch soviel Blutvergießen. Um sie niederzustampfen, müßten die Regierungen vor allem die Zwingherrschaft des Kapitals über die Arbeit niederstampfen – also die Bedingung ihres eigenen Schmarotzerdaseins.

Das Paris der Arbeiter, mit seiner Kommune, wird ewig gefeiert werden als der ruhmvolle Vorbote einer neuen Gesellschaft. Seine Märtyrer sind eingeschreint in dem großen Herzen der Arbeiterklasse. Seine Vertilger hat die Geschichte schon jetzt an jenen Schandpfahl genagelt, von dem sie zu erlösen alle Gebete ihrer Pfaffen ohnmächtig sind.

Der Generalrat:

M. J. Boon, Fred. Bradnick, G. H. Buttery, Caihil, William Hales, Kolb, Fred. Leßner, G. Milner, Thomas Mottershead, Charles Murray, Pfänder, Roach, Rühl, Sadler, Cowell Stepney, Alf. Taylor, W. Townshend [10]

Korrespondierende Sekretäre:

Eugene Dupont, für Frankreich – Karl Marx, für Deutschland und Holland – Friedrich Engels, für Belgien und Spanien – Hermann Jung, für die Schweiz – P. Giovacchini, für Italien – Zévy Maurice, für Ungarn – Antoni Zabicki, für Polen – J. Cohen, für Dänemark – J.G. Eccarius, für die Vereinigten Staaten

Hermann Jung, Vorsitzender – John Weston, Schatzmeister – Georg Harris, Finanzsekretär – John Hales, Generalsekretär

256, High Holborn, London, W.C.
30. Mai 1871

 

Textvarianten

[9] In den englischen Ausgaben von 1871 folgt hier noch der Satz: Als die Preußen, nicht aus militärischen Gründen, sondern aus bloßer Ranküne und Rachsucht Städte wie Château-dun und zahllose Dörfer mit Petroleum niederbrannten, war das Brandstiftung?

[10] In der dritten englischen Ausgabe von 1871 sind noch folgende Mitglieder des Generalrats angeführt: Delahaye, A. Herman, Lochner, J.P. Mac Donnel, Ch. Mills, Rochat und A. Serraillier.

 


Zuletzt aktualisiert am 12.10.2003