Paul Mattick


Arbeitslosigkeit, Arbeitslosenfürsorge und Arbeitslosenbewegung in den Vereinigten Staaten

Arbeitslosenbewegung


I

Die verhältnismäßig „graduelle“ Aufstiegsbewegung des europäischen Kapitals hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die fast gleichmäßige Entwicklung der reformistischen Arbeiterbewegung zur Parallele. Die verspätete und deshalb rapidere Entwicklung des amerikanischen Kapitals, strukturelle Besonderheiten und eine Reihe weiterer Momente unterschieden die amerikanische Arbeiterbewegung von der europäischen und erlaubten ihr bisher nicht, festen Fuß zu fassen. Bis heute ist die amerikanische Arbeiterbewegung nicht aus ihrem embryonalen Zustand herausgekommen, wenn ihre Geschichte auch, wie die kapitalistische Krisengeschichte, ein zyklisches Auf und Ab kennt, das auf keinen Fall die so oft gemachte Behauptung zuläßt, daß es in den Vereinigten Staaten für eine wirkliche Arbeiterbewegung überhaupt keinen Boden gäbe. Während sich in Europa durch Krise und Aufschwung hindurch die Arbeiterbewegung zu behaupten und entwickeln wußte, und erst der Faschismus ihren organisatorischen Ausdruck verdrängen konnte, entstanden in Amerika Bewegungen mit größter Plötzlichkeit, um nach kurzem Auftreten wieder genau so überraschend fast vollständig zu verschwinden. Als das europäische Proletariat sich schon in selbständigen Organisationen in größerem Maße zusammenschloß, und seine eigenen Interessen im Rahmen der kapitalistischen Demokratie programmatisch festlegte, befanden sich die amerikanischen Arbeiter im Schlepptau eines agrarisch-kleinbürgerlichen Radikalismus, der sich gegen die Vertrustungstendenzen des sich entwickelnden Kapitalismus wandte. Bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts war die amerikanische Industrie in ihrer Entwicklung nicht einmal der rückständigen deutschen nahe gekommen. Die Arbeiterbewegung trug Gildencharakter. Kleine Verbände umfaßten ausschließlich selbständige Handwerker und die gelernten Arbeiter kleiner Betriebe. Abseits von ihren lokalen und engeren Berufsinteressen, führten diese Organisationen keine selbständige Politik; sie identifizierten sich fast vollständig mit den politischen Forderungen der Farmer. Erst mit der Ausdehnung der Industrie nach dem Bürgerkrieg entstand eine stärkere Gewerkschaftsbewegung, die ihre politische Unselbständigkeit jedoch beibehielt. Diese Gewerkschaftsbewegung entwickelte sich früher als die sozialistische Parteibewegung und es gelang der letzteren bis heute nicht, wirklichen Einfluß in ihr zu gewinnen.

Von 1870 bis an die Jahrhundertwende vollzog sich in Amerika der Kampf gegen das Elend der Gründerjahre. Die Entwicklung der gewerkschaftlichen Bewegung schlug ein schnelleres Tempo ein, als sich mit der großen industriellen Krise von 1875 die Klassengegensätze klarer hervorhoben. Eine riesige Arbeitslosigkeit und schroffe Lohnkürzungen bildeten die Voraussetzungen zur Schaffung kräftigerer Organisationen. Die große Streikwelle im Jahre 1877 radikalisierte die Arbeiter in großem Maße und bis 1885 konnte die damals wichtigste gewerkschaftliche Organisation, die „Knights of Labor“, die weder Rassen- noch Berufsschranken kannte, schon auf 100 000 Mitglieder hinweisen, die in den erfolgreichen Streiks der darauffolgenden Konjunkturjahre bis auf 750 000 anzuschwellen vermochten. Mit dem Ende der Konjunktur und der Niederlage der Achtstundentagbewegung, in den Krisenjahren 1887-88, gingen die „Knights of Labor“ genau so schnell wieder zu Grunde, wie sie aufgeblüht waren. Die sozialistische Parteibewegung dieser Zeit, fast ausschließlich aus sich in Sprachgruppen isolierenden Immigranten bestehend, war fast ohne jede Bedeutung. Die sich aus den Resten der „Knights of Labor“ entwickelnde „American Federation of Labor“ (A.F. of L.), als ein Ausdruck der besonderen Wichtigkeit der gelernten Berufe in der Entwicklung der kapitalistischen Technik, führte zur Bildung einer Arbeiteraristokratie, als Zeichen einer der vielen Formen der wachsenden Profitabilität des Kapitals. Die A.F. of L, begünstigt durch die steigende Einwanderung, erstrebte und sicherte sich zum Teil die monopolistische Kontrolle in verschiedenen wichtigen Berufen (job trusts) und entwickelte in ihrem Fortschritt eine Theorie und Praxis, die den Interessen des Kapitals oft mehr verbunden war, als denen der Arbeiterklasse.

Um 1914 hatte sich das amerikanische Kapital alle rückständigen, den Akkumulationsprozeß hemmende, Elemente unterworfen. Die Entwicklung des monopolistischen Kapitals vollzog sich mit äußerster Rapidität. Die damit verbundenen Klassenverschiebungen ließen bald viele der wesentlichen, amerikanischen Besonderheiten belanglos werden. Um 1929 ist das Proletariat die ziffernmäßig stärkste Klasse, und damit waren eigentlich auch die Verhältnisse für die Entwicklung einer selbständigen Arbeiterbewegung gegeben. Jedoch, abgesehen von den Versuchen der „International Workers of the World“ (I.W.W.), neue klassenmäßig auftretende und industriell erfaßte Organisationen zu schaffen, speziell durch die Aufnahme der von der A.F. of L. zurückgewiesenen ungelernten Arbeiter, haben sich keine Organisationen von wesentlicher Bedeutung seit Beginn dieses Jahrhunderts zu entwickeln vermocht. Obwohl die I.W.W, im Verlaufe ihrer Existenz mehr als eine Million Arbeiter erfaßte, sank sie doch in den letzten Prosperitätsjahren nach dem Kriege wieder in die Bedeutungslosigkeit hinab. Die politischen Parteien der Arbeiterschaft verblieben bis heute kleine Minoritäten,[182] außerstande die Bewegung der Arbeitermassen ernsthaft zu beeinflussen. Die A.F. of L, die sich, allerdings mit wenig Berechtigung, als die gegebene Vertreterin der amerikanischen Arbeiterinteressen bezeichnet, hatte um 1920 4 078 740 Mitglieder, die bis 1932 auf 2 532 361 zusammenschrumpften, um dann in den folgenden Jahren, auf Grund der NRA-Politik der Roosevelt Administration, wieder die drei Millionen Zahl zu übersteigen, ohne jedoch ihre frühere Größe zu erreichen. Stagnation und Zersetzungserscheinungen haben erneut eingesetzt und es ist nicht anzunehmen, daß die Bedeutung der gewerkschaftlichen Bewegung noch wesentlich gesteigert werden könnte.

Es war dem amerikanischen Kapital selbst noch in der Zeit der europäischen Krisensituation nach dem Kriege möglich gewesen, relativ günstige Konjunkturen zu durchleben. Sank auch in Amerika, durch die bereits erreichte Höhe der Kapitalakkumulation der Verwertung, und verlangsamte sich das Akkumulationstempo, so wurde der Expansionsoptimismus vorerst doch nicht getrübt; erst die „Katastrophe“ von 1929 legte die wirkliche Situation des amerikanischen Kapitals bar. Bis dahin blieb Amerika das Reklameschild der kapitalistischen Welt, trotz relativ stagnierender Profite und abnehmender Arbeiterzahl, bei wachsender Produktion und eines sich in Spekulationstaumel wandelnden Optimismus, der, obwohl das sicherste Zeichen des nahenden Zusammenbruchs, von dem materiellen und ideellen Verfall der organisierten Arbeiterbewegung begleitet war. Hatten früher gerade die Krisen die Organisationen in ihrer Entfaltung behindert, so waren sie nun auch durch die Prosperität in großem Maße beeinträchtigt. Reformen brauchten scheinbar nicht erzwungen zu werden; der kapitalistische Mechanismus selbst schien, ohne die Nachhilfe der Arbeiterorganisationen, existierende Lohnhöhen und die langsame Verbesserung der proletarischen Lebenslagen zu garantieren. War die Prosperitätsideologie auch für die breite Masse der Arbeiter nur eine Psychose, und eine Realität ausschließlich für die Arbeiteraristokratie, so weckte sie doch Hoffnungen in allen Bevölkerungsschichten und verminderte zugleich die Protestmöglichkeiten der, von der Prosperität nicht erfaßten Schichten, durch die schroffe Teilung der Arbeiter in zwei große Einkommensschichten. Mehr als an den Segnungen der Prosperität zerbrach die Arbeiterbewegung an ihrer Propaganda. Die Prosperität wurde zudem an europäischen Zuständen gemessen und so weitgehend überschätzt. Die Propaganda sah sie ja auch nur als Anfang einer Periode allgemeiner Wohlfahrt, und förderte, mit der Hoffnung auf Verwirklichung dieses Wunschbildes, die kapitalistischen Ambitionen auch in den Köpfen der Arbeiter. Die Prosperitätsideologie war so stark, daß nach dem Einsetzen der Krise von 1929 wie das Bürgertum so auch die große Masse der Arbeiter nur auf eine kurze Unterbrechung des Prosperitätsprozesses rechnete. Man nahm allgemein an, daß diese Depression wie die früheren, jedoch bedeutend schneller, überwältigt werden würde. Die Arbeiterbewegung zerfiel noch mehr, die Stimmung der Massen blieb noch weiter optimistisch. „Die Arbeitslosen und Halbbeschäftigten, wie auch die zahllosen Opfer der Markt- und Bankzusammenbrüche, nahmen die Veränderungen ihrer persönlichen Situation sehr leicht und guten Mutes hin.“[183] Erst nach drei Krisenjahren änderte sich das Bild, hatte sich der Glaube an die Rückkehr der Vorkrisenzustände verloren, und setzten die ersten Aktionen gegen die Verelendung ein. Die Hoffnung auf die neue Konjunktur war der Furcht, der Krise zu unterliegen, gewichen. 1932 ersetzte die Produktion von Produktionsmitteln nicht einmal den natürlichen Verschleiß. Die Produktion sank unter die Hälfte des Vorkrisenumfanges. Die Bankerotte und Bankzusammenbrüche mehrten sich. Die chronische Agrarkrise erfuhr durch die industrielle Krise noch weitere Vertiefungen. Der Handel schmolz zusammen und die Arbeitslosenzahl stieg unaufhörlich. Die Rapidität des Niedergangsprozesses radikalisierte die Bevölkerung in einem zuvor nicht für möglich gehaltenen Maße. Aus der ökonomischen- wurde die politische- die allgemeine Krise. Die Exploitation der noch Beschäftigten wurde verschärft,[184] wenn der stattfindende Preissturz den Lohndruck zum Teil auch ausglich. Die seit 1916 niedergehende Kurve der Streikbewegung begann wieder anzusteigen;[185] die Ruhe der ersten Krisenjahre wich der verstärkten Aktivität der Beschäftigten und Arbeitslosen, die dann 1933 in vielen Streiks und Arbeitslosendemonstrationen ihre vorläufig höchste Spitze erreichten.

II

Die erste Reaktion der amerikanischen Arbeitslosen auf ihren neuen Zustand, kam in der spontanen Selbsthilfebewegung der Jahre 1932-33 zum Ausdruck. Die Abwesenheit einflußreicher Arbeiterorganisationen, die auf sich selbst beschränkte Politik der Gewerkschaften, und die vom Gesichtspunkt des bewußten sozialistisch-orientierten Klassenkampfes aus gesehene, allgemeine ideologische Rückständigkeit der amerikanischen Arbeiter, sah in diesen Selbsthilfeorganisationen die geeignete „amerikanisch-praktische“ Antwort auf das neue Problem der Massenarbeitslosigkeit. Diese Selbsthilfeformationen waren zuerst als temporäre Unternehmen gedacht, die die vom „Unglück“ der Arbeitslosigkeit Betroffenen über die Elendszeit hinweghelfen sollten. Die Mehrzahl dieser Organisationen waren vom Geiste des kleinbürgerlichen „Amerikanismus“ getragen. So hieß es z. B. in der Prinzipienerklärung einer dieser Selbsthilfeorganisationen, der „Citizens’ Protective Union“; „Wir Bürger der Stadt San Franzisco stehen einem Elend gegenüber, das viele von uns in die Arme der Wohlfahrt treibt. Dadurch verlieren wir jedoch unsere Unabhängigkeit, und unser Stolz, freie Menschen eines freien Landes zu sein, wird hart getroffen. Als stolze amerikanische Bürger haben wir die Courage, diesen Zustand abzulehnen.“[186]

Die Selbsthilfeorganisationen, in ihrer großen Mehrzahl durch die Arbeitslosen selbst gebildet, fanden bald weite Nachahmung und wurden von Sozialgesellschaften, Kirchengemeinden, Geschäftsleuten und humanitären Organisationen aller Art propagiert und organisiert. Auch einzelne Gewerkschaften, wie z. B. die Philadelphia „Carpet Weavers and Hosiery Workers’ Union“, beteiligten sich an der Schaffung solcher Institutionen, wie auch die „Socialist Party“[187] sie für eine Zeit lang praktisch förderte. In vielen Orten standen die kommunalen Verwaltungen diesen Bestrebungen freundlich gegenüber und später, im Rahmen des Federal Emergency Relief Programms, fanden einzelne der Selbsthilfeorganisationen auch die Unterstützung der Bundesregierung.

Soweit wie bekannt entwickelte sich die Selbsthilfebewegung[188] seit 1930, die meisten ihrer Organisationen entstanden jedoch in der zweiten Hälfte des Jahres 1932. Viele dieser Organisationen bewahrten ihre Unabhängigkeit, andere schlössen sich in staatlichen Federationen lose zusammen. Bemühungen um nationale Koordination der Bewegung waren ebenfalls vorhanden, blieben jedoch erfolglos. Der direkte Austausch (barter) von Waren und Arbeitskraft bildete die Basis der Bewegung. Oft tauschten nur die Mitglieder der Organisationen ihre Waren und Dienste untereinander aus, oft eine Organisation mit einer anderen, und oft auch Organisationen mit außenstehenden Agenturen, Privatleuten und Behörden. Manche dieser Formationen bedienten sich der striktesten Austauschregeln, andere verzichteten auf jeden Wertmaßstab: nahmen an, was sie erhalten konnten, gaben ab, wovon sie zuviel hatten. Einzelne dieser Organisationen entwickelten einen bürokratischen Apparat, wurden wie irgend ein anderes Unternehmen geführt, erhoben Mitgliedsbeiträge, usw.; andere Organisationen enthielten sich jeder Klassifizierung und Regulierung. Viele der Selbsthilfeorganisationen bedienten sich selbstgeschaffener Zirkulationsmittel[189] als Geldersatz, schufen Berechnungs- und Lohnsysteme, von denen die meisten vom Arbeitsaufwand ausgingen.

Untersuchungen ergaben, daß in den Selbsthilfeorganisationen Personen aller Berufe vertreten waren.[190] In einzelnen bildeten die intellektuellen und gelernten Berufe die Mehrheit, in anderen die ungelernten Arbeiter. Die Tätigkeiten der Organisationen waren äußerst mannigfaltig,[191] von der Sammeltätigkeit angefangen bis zur Produktion bestimmter Waren im Massenmaßstabe. Die große Mehrzahl der Unternehmen beschäftigte sich jedoch mit landwirtschaftlichen Arbeiten, und in den Agrarstaaten der Union blühten die Selbsthilfeorganisationen denn auch am schnellsten auf und behaupteten sich am längsten. Von Privatpersonen, Gesellschaften und Behörden zur Verfügung gestelltes Land, notwendige Arbeitsmittel, Räumlichkeiten, Betriebe, usw., die Einbeziehung selbständiger Geschäftsleute, kleiner Unternehmer und Farmer in die Co-operativen der Arbeitslosen, Stiftungen und Sammlungen, machten diese Selbsthilfeorganisationen möglich. Psychologisch bildete das in Amerika so stark ausgeprägte religiöse Sektenwesen einen guten Boden für diese Bestrebungen. Die große Mehrzahl der Organisationen vermied die Konkurrenz mit Privatunternehmen und jedes Geldgeschäft. Selbst wo solche Möglichkeiten bestanden, wurde freiwillig auf sie verzichtet. Sogar bei Unternehmungen wie die Ausführung von Bauarbeiten, die von einzelnen der Selbsthilfeorganisationen getätigt wurden, beschränkte man sich auf solche Projekte, die unter normalen Bedingungen nicht unternommen worden wären. Allerdings durchbrachen einzelne der Selbsthilfeorganisationen dieses Prinzip und stellten Waren für Geschäftsleute her, die den Markt erreichten, was die schärfsten Proteste der Arbeiterorganisationen und auch der unbetroffenen Geschäftsleute herausforderte.

Im ersten Enthusiasmus der Selbsthilfebewegung glaubten viele ihrer Vertreter an eine Zukunft, die zu großen permanenten Co-operativen führen würde, welche als sozialistische Inseln vorteilhaft aus dem kapitalistischen Meer herausragen würden, als Beispiel und Ansporn zur weiteren „Sozialisierung.“ Hier war bereits vorweggenommen, was einige Jahre später zum politischen Programm der „Produktion-für-den-Gebrauch-Bewegung,“ speziell der Epic-Bewegung Upton Sinclairs, wurde, Bewegungen die zeitweise große Massen zu erfassen vermochten. So schrieb z. B., der Sekretär der „United Producers of Washington“, P. R. Haffner im „American Guardian“ vom 25. November 1932: „Niemals zuvor gab es eine solche Gelegenheit zum Aufbau großer Co-operativen wie heute. Unter den jetzigen Bedingungen können die kleinen Unternehmer nicht mit uns konkurrieren und die großen können sich den Kampf gegen uns nicht erlauben. Der Hunger, der zur Selbsthilfebewegung führte, ist Dynamit und damit spielt man nicht gern. Unsere bisherigen Erfahrungen zeigten, daß die Selbsthilfebewegung durchaus möglich ist. In Tacoma allein haben wir bereits für 45 000 Dollar Produktionsmittel in Besitz, wir haben Häuser gebaut, Arbeiter beschäftigt und mit dem Ausbau einer industriellen Gemeinschaft begonnen, in der es weder Arbeitslosigkeit noch Ausbeutung geben wird.“ Dieser Optimismus zerbrach jedoch bald an der widerspenstigen Realität. 1933 waren bereits die meisten der Selbsthilfeorganisationen entweder bereits verschwunden, oder doch in Auflösung begriffen. Sie zerbrachen an der Vertiefung der Krise ebensosehr, wie sie später an der wirtschaftlichen Belebung zu Grunde gingen. Die Konkurrenz mit der Heilsarmee, die Sammeltätigkeit, brachte stets geringere Erträgnisse, die Stiftungen wurden geringer, und damit wurde der Zwang zum Bezug von Wohlfahrtsunterstützungen drängender. Die Zersetzung der stagnierenden Organisationen durch wachsende Korruption trug, neben den unbeeinflußbaren Momenten, zum weiteren Niedergang der Bewegung bei. Mehr jedoch als alle anderen Gründe war für den Zusammenbruch der Selbsthilfebewegung die Tatsache verantwortlich, daß die bisher entwertete Arbeitskraft bald völlig wertlos wurde. Selbst umsonst angeboten, hätte sie oft keine Abnehmer finden können. Vertraten selbst die von der reformistischen Arbeiterbewegung geförderten Selbsthilfeorganisationen, wie z. B. die von der „Conference for Progressive Labor Action“ geschaffene „Seattle Unemployed Citizen’ League“ den Standpunkt: „daß die Zentralidee der Arbeitslosenbewegung die Eigenproduktion sei, was durchaus realisierbar wäre, da eine solche gesunde Politik die Unterstützung der Steuerzahler finden würde, da sie deren Lasten erleichtere“, so stellte sich diese „Zentralidee“ bald als Illusion heraus. Schon im November 1932 hatte diese, wie auch eine Reihe anderer Arbeitslosenorganisationen, die Unrealisierbarkeit ihrer Wünsche begriffen und sich auf den Kampf um Unterstützung umgestellt.

Anfang 1933 wurden auch die Proteste der gewerkschaftlichen, politischen, und politisch-eingestellten Arbeitslosenorganisationen gegen die Idee der Selbsthilfe lauter. Der Austausch von Arbeit gegen Lebensmittel wurde nun als Lohndruck angesehen und als ein unwürdiger Zustand auch dort charakterisiert, wo die Löhne der Arbeiter unbeeinträchtigt blieben. Die Praxis der organisierten Selbsthilfe wurde nun auch in immer größerem Maße von individuellen Arbeitslosen ausgeübt. Die Arbeit verkaufte sich buchstäblich für ein Butterbrot[192] und ihre Billigkeit begann in den unternommenen Lohnreduzierungen eine Rolle zu spielen. Zuerst suchten die Arbeiterorganisationen noch nach einer Kompromißlösung, da sie nicht durch eine zu schroffe, ablehnende Haltung an Einfluß unter den Selbsthilfeorganisationen verlieren wollten. In ihrer Auffassung sollte sich der Austausch ausschließlich unter den Arbeitslosen selbst vollziehen; auf keinen Fall sollten Außenagenturen weiter berücksichtigt werden. Da die Arbeitslosen außer ihrem Elend nichts miteinander zu tauschen hatten, war diese „Kompromißlösung“ nur die Verdeckung des Rückzuges der organisierten Arbeiterbewegung und der von ihr beeinflußten Selbsthilfeorganisationen von den bisherigen Prinzipien, und der Übergang zu Forderungen um ausreichende Arbeitslosenunterstützung und gesetzliche Regelung der gesamten Wohlfahrtsfrage. Obwohl alle Selbsthilfeorganisationen auf den geldlosen Güteraustausch eingestellt waren, stellte es sich bald heraus, daß die konsequente Durchführung dieser Politik eine praktische Unmöglichkeit war. Selbst mit der größten Selbstgenügsamkeit war es ausgeschlossen, völlig ohne Geld auszukommen. Der Geldmangel schloß den Erhalt lebensnotwendiger Waren aus, wie z. B. die für die Produktion und Kommunikation notwendigen Materialien und Dienste wie Gasolin, Elektrizität, Wasser, Telephon, Transporte, etc., und der Mangel an diesen und ähnlichen Produkten und Diensten brachte stets größere Schwierigkeiten mit sich, an denen ein Teil der Selbsthilfeorganisationen zerbrach, durch den ein anderer Teil in seiner Entwicklung weitgehendst behindert wurde. Die Hilfe von Außenagenturen, Wohlfahrtsbehörden und Ortsverwaltungen war notwendig, um einem Teil der Selbsthilfeorganisationen die Weiterexistenz zu sichern. 1934 existierten in Amerika nur noch 200 dieser Formationen mit ungefähr 50 000 Mitgliedern. Den größeren und stabileren Unternehmen dieser Art half die Federal Relief Administration (FERA) mit finanziellen Zuschüssen,[193] die 1934 die Summe von einer Million Dollar schon überstiegen hatten. Die Unterstützung wurde damit gerechtfertigt, daß Dank der Existenz der Selbshilfe Organisationen die Unterstützungskosten in vielen Distrikten weitgehendst niedrig gehalten werden konnten.

Mögen einzelne dieser Organisationen, als Ausnahmen von der Regel und auf Grund besonders günstiger Umstände, auch noch weiter existieren, so ist die Selbsthilfebewegung als Ausdruck der Arbeitslosenbewegung doch bereits 1934 zu ihrem Abschluß gekommen. Die Selbsthilfeidee, als Reaktion der amerikanischen Arbeiter auf die Massenarbeitslosigkeit während der Krise, hat aufgehört ein Faktor des Gesamtarbeitslosenproblems zu sein. Was von den unzähligen spontan entstandenen Organisationen noch erhalten geblieben ist, gehört eher in den Bereich der vielen halb-utopischen agrarischen Gemeinwirtschaften, die, abseits des wirklichen Lebens, in Amerika stets zu vegetieren vermochten. Oder sie verdanken ihre fortgesetzte Existenz den Experimenten der FERA, die oft, die Permanenz der Ar-Arbeitslosigkeit in Betracht ziehend, in diesen „Kollektiven“ eine teilweise Lösung der Arbeitslosenfrage zu erproben versuchte. War die bisher behandelte Selbsthilfebewegung zum größten Teil auf landwirtschaftlicher Produktion basiert und deshalb fast ausschließlich im Westen Amerikas vertreten, so war sie in dieser Form in den industriellen Teilen des Landes nicht möglich. Jedoch hatte in den Kohledistrikten des Ostens in den ersten Krisenjahren ebenfalls, eine, allerdings etwas anders eingestellte, Selbsthilfebewegung unter den arbeitslosen Bergarbeitern um sich gegriffen. Fast die gesamte Anthrazitförderung befindet sich im Staate Pennsylvania. Die Intensität der Krise in diesem Teil des Landes, zusammen mit der schon vor der Depression eingetretenen, mißlichen Lage der Anthrazitproduktion hatte die Bergarbeiterschaft wirtschaftlich besonders stark benachteiligt. Mit der Verschärfung der Krise wurde ihre Lage immer untragbarer, bis sie sich durch Selbsthilfe um etwas erleichtern ließ. Die Unmöglichkeit zureichender Unterstützungsgewährung veranlaßte hier sogar die Wohlfahrtsbehörden, wenn auch inoffiziell, den Bergleuten die Idee der Selbsthilfe zu suggerieren, da die Bergleute nicht einmal Brennstoffe für sich selbst zu erwerben imstande waren. Schon 1928 hatten Bergleute mit der illegalen Ausbeutung verlassener Kohlenschächte begonnen. „In der Depression wurde diese illegale Förderung jedoch zur Antwort auf die Massenarbeitslosigkeit.“[194] Die Bergwerksbesitzer waren außerstande, von den polizeilichen Institutionen hinreichenden Schutz für ihre Gruben zu erhalten. Die Behörden weigerten sich oft, gegen die illegal arbeitenden Bergleute einzuschreiten. Wohl kam es zu vielen Reibungen und Kämpfen, mit Toten und Verwundeten im Gefolge, aber diese Auseinandersetzungen fanden fast ausschließlich zwischen der Privatpolizei der Bergwerksbesitzer und den Bergleuten statt. Die Behörden hielten sich soweit wie möglich neutral. Die illegale Kohle wurde billiger auf den Markt geworfen, als die Bergwerksunternehmer sie abzugeben imstande waren. Im Winter 1935 wurden täglich ungefähr 2500 Tonnen illegal gewonnener Kohle nach New York geliefert. „In den Anthrazitregionen befinden sich fast 5 000 primitiver Schächte, speziell dort, wo die Kohle nahe der Erde gelagert ist. In diesen Schächten wird in Formationen von zwei bis fünf Mann sechs Tage wöchentlich mit den primitivsten Mitteln gearbeitet. Mehr als 10 000 solcher „Löcher“ sind bereits abgebaut.“[195] Diese primitiven Schächte sind oft als Todesfallen bezeichnet worden; sie werden entgegen allen Gesundheits- und Unfallverhütungsvorschriften operiert, und haben einer Reihe von Bergleuten das Leben gekostet. Aber es gibt für sie keine andere Beschäftigung, wollen sie der erbärmlichen Wohlfahrtspflege entrinnen, so müssen sie täglich ihr Leben aufs Spiel setzen. Angenommen wird, daß, zusammen mit den Familienangehörigen, rund 10 000 Menschen sich auf diese Weise ernähren. Die illegale Produktion beträgt heute rund 10% der gesamten Anthrazitproduktion Amerikas und repräsentiert schätzungsweise einen jährlichen Wert von über 35 Millionen Dollar.

Diese Selbsthilfebewegung wurde bisher als unvermeidlich von den Bergwerksbesitzern und Behörden hingenommen. Obwohl hier die Privateigentumsideologie in großem Maße erschüttert wurde, sah man doch keine Möglichkeit die Situation zu ändern, da man den Bergleuten andernfalls nichts als die Gewalt zu offerieren hatte, von der man jedoch nicht Gebrauch zu machen wagte oder sie für angebracht hielt. Die Kosten eines Kampfes gegen die „Bootleg-Industry“ wären unter Umständen teurer zu stehen gekommen, als das Gewährenlassen. Welche politischen Komplikationen diese Passivität noch förderten, soll hier nicht untersucht werden. Man begriff das ganze Problem als ein temporäres, und ließ die Zeit für sich arbeiten. Die Lagerung der Kohle schloß die illegale Gewinnung auf die Dauer aus, die Verbilligung der Förderung durch technische Verbesserungen würde die Konkurrenz der illegalen Kohle überwinden. Die Tatsache, daß ein großer Teil der illegalen Förderung an Schächten unternommen wurde, die vom kommerziellen Standpunkt aus sowieso nicht mehr als profitabel galten, mag ebenfalls die Loyalität gegen den großzügigen „Kohlendiebstahl“ mit erklären helfen. Dieser Art von Selbsthilfe sind zuletzt Grenzen gesetzt, jedoch gestattete sie bisher einer größeren Zahl von Arbeitern mittels ihrer kapitalistisch nicht mehr exploitablen Arbeitskraft, ihre Existenz um Etwas zu erleichtern.

III

Neben der spontan entstandenen oder bewußt organisierten Selbsthilfebewegung versuchten auch die politischen Arbeiterorganisationen seit dem Beginn der Depression, große Arbeitslosenorganisationen zu schaffen. In vielen Städten entstanden aus, auf den Wohlfahrtsämtern hergestellten Verbindungen, Organisationen, die für höhere und gesicherte Unterstützung eintraten, ohne von irgend einer der existierenden politischen Arbeiterorganisationen beeinflußt zu sein, oder im Verlaufe ihrer Existenz eine solche Beeinflussung zu gestatten. Bis zum Jahre 1932 existierten die verschiedenen Arbeitslosenorganisationen in Unabhängigkeit voneinander, während die politischen unter ihnen ihre einzelnen Branchen auch im nationalen Rahmen, bei Berücksichtigung der unterschiedlichen lokalen Verhältnisse, koordinierten und von Zentralstellen aus leiteten. In Krisensituationen des Wohlfahrtswesens kam es jedoch oft zu einheitlichen, von allen Organisationen unterstützten Aktionen.

Alle Organisationen, mit Ausnahme der Arbeitslosen der Industrial Workers of the World (I.W.W.) und der später von ihr gebildeten „Unemployed Unions“,[196] traten zuerst ausschließlich für höhere Unterstützungssätze und bessere Organisierung des Wohlfahrtswesens ein. Als weiterreichende Forderung verlangten sie eine weiterreichende Sozialgesetzgebung und die Arbeitslosenversicherung. Soweit die Unterstützungsmittel auf steuerlichem Wege aufgebracht wurden, spielte in den Forderungen der politisch-orientierten Arbeitslosenbewegung auch die Art der Besteuerung eine Rolle. Anstelle der Besteuerung der breiten Konsumentenmassen durch eine „sales tax“, gegen die auch die Händler als ein Verteuerungs- und damit Absatzverringerndes Moment protestierten, wünschte man eine nur die zahlungsfähigeren Kreise betreffende Besteuerung. Jedoch bildete noch 1936 in den meisten Staaten die „sales tax“ eines der wesentlichsten Mittel zur Aufbringung der Wohlfahrtsgelder.

Bildeten die unter dem Einfluß der Socialist Party stehenden Arbeitslosenorganisationen den gemäßigten Flügel der Gesamtbewegung, so die „Unemployed Councils“ der Communist Party den aggressiveren. Beide Organisationen kämpften für lange Zeit innerhalb der Arbeitslosenbewegung um den größeren Einfluß, und versuchten die parteimäßig nicht bestimmten Organisationen ihren besonderen Interessen entsprechend zu lenken. Zum Teil wurden die außerhalb der eigentlichen Arbeiterbewegung stehenden Organisationen auch von Vertretern der bürgerlichen Parteien beeinflußt, geführt, oder zu politischen Zwecken ausgeschlachtet. Die „Unemployed Councils“, nach Straßenzügen und Wohnbezirken organisiert, befaßten sich in den ersten Jahren ihrer Existenz mehr als andere Organisationen mit der Aktivierung der ledigen Arbeitslosen. Sie arbeiteten an den „bread-lines“ und den Obdachlosenasylen und rekrutierten schon deshalb aggressivere Kräfte für sich. Die Councils waren ebenfalls mehr als andere Organisationen an den Aktionen gegen die Exmittierungen beteiligt und ersetzten durch mehr direkte Aktionen ihre, den gemäßigten Organisationen gegenüber, organisatorische Schwäche. Mittels kleinerer Demonstrationen versuchte man die Exmittierungen zu verhindern, die Familien in die Wohnungen zurückzubringen, wobei es oft zu ernsten Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Dieser Kampf gegen die Exmittierungen wurde auch von Arbeitslosen geführt, die überhaupt keiner Organisation angehörten. Die Unemployed Councils forderten zur Erleichterung der Situation der Arbeitslosen die Verringerung der Mieten und organisierten dementsprechende Mieterstreiks. Diese Streiks sollten eine enge Interessengemeinschaft der zahlungsunfähigen Arbeitslosen mit den zahlungsfähigen Mietern herbeiführen, um die Position der Hauseigentümer zu schwächen. Gleichzeitig wurde stets lebhafter die Bezahlung der Wohnungsmieten durch die Wohlfahrtsbehörden gefordert, was später zum Teil auch verwirklicht wurde. In ihrem Wahlprogramm von 1932 hatte die Communist Party und damit die Unemployed Councils die Forderung[197] „nach Arbeitslosenversicherung aufgestellt und zum Zentralpunkt ihrer nächsten Tagesforderungen gemacht. Die Arbeitslosenversicherung sollte durch die Federal Regierung eingeführt werden und während der Zeit der Arbeitslosigkeit volle Löhne garantieren. Die Kosten sollten von den Unternehmern und vom Staat getragen werden, durch die Besteuerung der Reichen und der Verwendung von Kriegsgeldern für Unterstützungszwecke. Das ganze Unterstützungswesen solle der Arbeiterkontrolle unterstellt sein.“ Auf der Basis dieses Programms organisierten die Unemployed Councils seit 1930 Demonstrationen und Hungermärsche. Diese Aktionen richteten sich meistens gegen die legislativen Behörden und führten in die staatlichen Hauptstädte oder nach Washington, dem Sitz der Federal Regierung. An diesen Märschen nahmen Arbeitslosendelegationen aus allen Teilen des Landes teil. Zum Teil dienten Lastautos und Güterzüge zur Beförderung der Demonstranten. Es kam bei diesen Gelegenheiten oft zu heftigen Auseinandersetzungen mit den polizeilichen Behörden. Erzielten diese Aktionen auch keine Resultate, so wurden sie oft wegen ihres agitatorischen Wertes wiederholt. Jedoch wurde die Idee bis heute nicht populär und es beteiligten sich an diesen Märschen stets nur eine kleine Minorität der Arbeitslosen.

Die von der Socialist Party beeinflußten Arbeitslosenorganisationen veranlaßten und beteiligten sich ebenfalls an Demonstrationen, Hungermärschen, Aktionen auf den Wohlfahrtsämtern und Protestbewegungen gegen die Exmittierungen, jedoch in taktisch weniger aggressiver Weise und oft mit scheinbarer Hintansetzung der direkten agitatorischen Parteiinteressen. Sie organisierten politische Schulungskurse für Arbeitslose und versuchten deren Sache zur Angelegenheit aller liberalen Kräfte zu machen. Sie verstanden es, eine relativ breite Interessenfront für eine fortschrittliche Arbeitslosenpolitik aufzubauen und den legalen sozialreformerischen Charakter der Arbeitslosenbewegung stärker zu betonen, als deren unvermeidliche klassenkämpferische Seite. Sie traten ebenfalls für ausreichende Arbeitslosenversicherung ein und für die teilweise Kontrolle des Arbeitslosenwesens durch die Arbeiterorganisationen. Die unpolitischen Arbeitslosenorganisationen oder jene, die behaupteten unpolitisch zu sein, obwohl sie von bürgerlichen Parteien politisch benutzt wurden, beschränkten sich auf die nächsten Tagesforderungen der Arbeitslosen, auf die Unterstützung selbst. Oft jedoch, und besonders in Krisensituationen beteiligten sich diese Organisationen auch an den von der eigentlichen Arbeitslosenbewegung unternommenen Aktionen und Protestdemonstrationen gegen Unterstützungsverkürzung, Exmittierungen, usw. Sie lehnten jedoch politisch-bestimmte Forderungen ab.

Die „Unemployed Unions“ der I.W.W. vertraten die Auffassung, daß der Kampf um Unterstützung keine Lösung der Arbeitslosenfrage bedeute, und daß es notwendig wäre, die Einführung des verkürzten Arbeitstages zu erzwingen. Sie hatten die Absicht, Demonstrationen vor den Fabriken (Picketing the Industries) abzuhalten und eine Streikbewegung zur Einfügung der Arbeitslosen in den Produktionsprozeß einzuleiten. Durch die Beteiligung an den Streikaktionen der noch Beschäftigten sollte die Voraussetzung größerer Massenaktionen zur Lösung der gesamten Arbeitslosenfrage geschaffen werden. Besondere Tagesforderungen wurden von dieser Gruppe nicht vertreten, sie war grundsätzlich gegen die Wohlfahrt eingestellt, und praktisch nicht mehr als ein Agitationskomitee für die I.W.W. Da sich ihr Programm nicht realisieren ließ, da es praktisch den Arbeitslosen nichts zu bieten hatte, konnte diese Organisation nicht wachsen: nach kurzer Zeit verschwand sie völlig. Später verwarf die I.W.W, die Eigenexistenz von Unemployed Unions und reihte die Arbeitslosen in die Industrial Unions der regulären Organisation ein. Die Mitglieder bezogen, wie die aller anderen Organisationen, Wohlfahrtsunterstützung und nahmen, trotz ihres besonderen Programms, an den allgemeinen Arbeitslosenaktionen teil.

Die Idee der Streikunterstützung durch die Arbeitslosen setzte sich durch, ohne daß dies jedoch in Zusammenhang mit der diesbezüglichen I.W.W.-Propaganda gebracht werden könnte. In vielen großen und kleineren Streiks vom Beginn der Depression bis auf den heutigen Tag stellten sich Arbeitslose den Streikenden als Streikposten zur Verfügung,[198] und wurde der Streikbruch mit Hilfe der Arbeitslosenorganisationen zum großen Teil verhindert, wie auch die Streikbrecher nur recht selten aus den Reihen der Arbeitslosen kamen, was umso bemerkenswerter ist, als es im „Gegensatz zu anderen Ländern in Amerika stets verhältnismäßig leicht war, Streikbrecher zu erhalten.“ [199]

Seit den ersten Anfängen der organisierten Arbeitslosenbewegung waren Bestrebungen für ihre nationale Zusammenfassung vorhanden. Im November 1932 beriefen die „Unemployed Citizen League“ von St. Louis, und die Chicago „Workers Committe on Unemployment“ eine Konferenz aller erreichbaren Arbeitslosenorganisationen in Chicago ein, die zur Bildung der „Federation of Unemployed Workers Leagues“ führte. 44 Delegierte, die 30 verschiedene Organisationen von Illinois, Ohio, Missouri, Michigan, Iowa. New York und Texas vertraten, nahmen ein vorläufiges Programm an, das zuerst die Selbsthilfebewegung ausschaltete und für ein Arbeitslosenversicherungsgesetzt eintrat, dessen Mittel von Unternehmern und Staat aufzubringen wären. Weiterhin wurde die Bargeldunterstützung gefordert, das Verbot von Exmittierungen, freie ärztliche Hilfe und Medikamente, und die Aufrechterhaltung des amerikanischen Lebensstandards auch für die Arbeitslosen. Ebenfalls Tariflöhne für alle an öffentlichen Arbeiten beteiligten Arbeitslosen und das Recht auf Arbeitslosenvertretungen auf den Wohlfahrtsämtern. Über diese Tagesforderungen hinaus bekannte man sich zu einer Umwandlung der heutigen Gesellschaft zum Sozialismus. Die Federation behauptete 150 000 Mitglieder zu umfassen. Gaben zwar die reformistisch eingestellten Elemente in ihr den Ausschlag, so waren auch ausgesprochen revolutionäre Organisationen, wie z. B. die „Workers League of Chicago“ in ihr vertreten. Auch die von der „Conference for Progressive Labor Action“ beeinflußten Arbeitslosenformationen standen mit dieser Federation in engster Verbindung. Die Gegensätze zwischen den einzelnen, in der Arbeiterbewegung tätigen politischen Organisationen wurden auch auf die Arbeitslosen-Federation übertragen und behinderten ihre Entwicklung, wie sie später zu ihrer Auflösung führte. In den folgenden Jahren wurden von den einzelnen politischen Organisationen erneut Versuche gemacht, die gesamte, politisch-interessierte Arbeitslosenbewegung in einer nationalen Federation zu erfassen; aber diese Bestrebungen, die viele temporäre politische Kompromisse und Verbindungen mit sich brachten, hatten keine wesentlichen Resultate. Erst 1936 kam eine neue Verbindung der größeren Arbeitslosenorganisationen im nationalen Rahmen zustande.

In fast allen Städten Amerikas versuchten die Arbeitslosen eigene Vertretungen in den Wohlfahrtsstellen einzurichten, die als Verhandlungsagenten zwischen den Wohlfahrtsautoritäten und deren Klienten wirken sollten. Alle Arbeitslosenorganisationen hatten Beschwerdekommissionen, die oft als solche funktionieren konnten,[200] oft jedoch von den Behörden nicht anerkannt wurden. Der Kampf um die Berechtigung dieser Arbeitslosenvertretungen wurde zeitweise mit großer Lebhaftigkeit geführt; bald jedoch aus den Wohlfahrtsstellen nach besonderen Zentralstellen verlegt, was diesen Vertretungen ihren ursprünglichen Charakter nahm und sie zu freiwilligen Helfern der Behörden degradierte, womit das Interesse an ihnen langsam erlosch. In Verbindung mit der organisierten Arbeitslosenbewegung muß noch auf die Aktionen der Kriegsveteranen verwiesen werden, deren Kampf um die Auszahlung der Kriegskompensationen (Bonus) die Öffentlichkeit für lange Zeit bewegte und in der auch die Arbeitslosigkeit unter den Veteranen eine große Rolle spielte. Der „Bonus-Marsch“ der Veteranen nach Washington im Jahre 1932 ist denn auch mit nicht wenig Berechtigung als Arbeitslosenmarsch bezeichnet worden. Er führte, allerdings unter national-patriotischen Parolen, 20 000 Kriegsteilnehmer nach der Bundeshauptstadt zur Erzwingung der sofortigen Auszahlung der ihnen zugesicherten Kompensationen. Dieser erste Marsch der Veteranen erregte besonders großes Aufsehen, da die Teilnehmer von der Armee mit Waffengewalt auseinandergetrieben wurden, was einen Teil der Veteranen in weitem Maße radikalisierte und wodurch die mehr aggressiveren Veteranenorganisationen, wie die „Khakishirts“ mit faschistischen Tendenzen, und die von der Communist Party beeinflußte „Ex-Service Man’s League“ zeitweise großen Zulauf erhielten. Andere, allerdings weniger umfangreiche Bonus-Märsche wurden in den nächsten Jahren unternommen, aber alle blieben ohne Erfolg. Erst Mitte 1936 kam es zur Auszahlung der Kriegskompensationen und in einzelnen Staaten wurden die Betroffenen, die gleichzeitig Wohlfahrtsempfänger waren, angehalten, einen Teil der Kompensation als Einkommen zu betrachten, das ihre Wohlfahrtsberechtigung beschnitt.[201]

Ein Überblick über die gesamte organisierte und politisch bestimmte Arbeitslosenbewegung in Amerika bis zum Antritt der Roosevelt-Administration, die dann das Gesamtbild für lange Zeit gänzlich veränderte, zeigt, daß sich auch in ihr die allgemeine Schwäche der amerikanischen Arbeiterbewegung manifestierte. Trotz der Riesenarbeitslosigkeit ist es diesen Arbeitslosenbewegungen nicht gelungen, zu wirklichen Massenorganisationen zu werden, oder die Masse der Arbeitslosen für längere Zeit zu aktivieren, oder deren oft spontan ausbrechenden Mißstimmungsäußerungen in politische Aktionen im Sinne der Arbeiterbewegung umzuwandeln. Mit dem Antritt der Roosevelt Regierung auf dem tiefsten Punkt der Depression, der zugleich zur Belebung der Wirtschaft überleitete, und durch die geschickte Sozialpolitik der neuen Regierung, gelang es, die arbeitslosen Massen so zu beruhigen, daß sie nicht nur der organisierten Arbeitslosenbewegung keine Gefolgschaft leisteten, sondern diese selbst in den nächsten Jahren dem Verfall nahe brachten. Die Massen setzten ihre Hoffnungen auf die Roosevelt Administration und erst nach einer Reihe von Enttäuschungen, erst 1936, war es erneut möglich, einen größeren Teil der Arbeitslosen organisatorisch zu erfassen. Was bis dahin existierte, waren nur Organisationsskelette.

IV

Untersuchungen von Sozialwissenschaftlern ergaben, daß mit steigender Verelendung der Massen eher eine Abnahme als Zunahme ihrer revolutionären Tendenzen verbunden ist. Diese Untersuchungen beschränkten sich jedoch auf relativ kurze Zeitspannen, hauptsächlich auf die letzten Krisenjahre und können so nur aussagen, daß die Verelendung zuerst keine revolutionären Tendenzen hat. Die Riesenarbeitslosigkeit und das Elend der Depressionsjahre in Amerika haben jedenfalls, wenn von einzelnen spontanen Ausbrüchen abgesehen wird, keine bemerkbaren wesentlichen ideologischen Veränderungen unter den Arbeitslosen mit sich gebracht. Wohl sind Optimismus und Zufriedenheit gewichen, die sozialistische Ideologie wuchs jedoch nicht in einem Maße, das man von dem vorhandenen Ausmaß des Elends der Arbeitslosen erwartete.

Die Tätigkeit der politischen Arbeiterbewegung in relativ stabilen Zeiten ist hauptsächlich auf die Umformung der Ideologien gerichtet. Aber selbst in Krisenzeiten, in starken kapitalistischen Ländern, bleibt der Arbeiterbewegung nicht viel mehr als die ideologische Beeinflussung, da die praktisch-reformistische Arbeit im großen Maße behindert ist. Die Zugehörigkeit zu solchen Organisationen und die Arbeit in ihnen bringt deshalb keine sofortigen Resultate, sondern bedeutet nur einen Extra-Aufwand von Geld, Zeit und Energie, den sich allgemein nur die Arbeiter erlauben können, denen es noch verhältnismäßig gut geht. Die Arbeitslosen haben jedoch nichts zu opfern, weder Zeit noch Geld; sie können an keiner Politik auf längere Sicht interessiert sein, da ihre augenblickliche Lage nach sofortiger Änderung drängt. Nicht die Erweiterung ihres Horizonts, sondern die Verengerung entspricht ihren direkten Notwendigkeiten am besten. Die Organisationsaktivität würde sie in ihrem auch weiterhin individuell zu leistenden Existenzkampf eher behindern als unterstützen. Dieser Existenzkampf wird stets schwerer, zermürbender und zeitraubender, je mehr die Verelendung um sich greift, je tiefer der Einzelne in ihr versinkt. Wieviel der sozialistischen Ideologie sie unter Umständen auch aufgenommen haben mögen, ihre jetzige Existenz zwingt sie oft zu Handlungen, die dieser Ideologie schroff entgegenstehen, womit diese, als praktisch wertlos stets mehr verblaßt.

Die Wirkung der Verelendung auf die Arbeiterschaft, wie sie in der Psychologie der Arbeitslosen ausgedrückt ist, zeigt eine große politische Interesselosigkeit dieser Schichten. Wohl aus der verstumpfenden Arbeit gelöst, sind sie doch noch weniger als zuvor imstande, ein sozialistisches Bewußtsein zu entwickeln. Sind sie nur kurze Zeit arbeitslos und haben sie Reserven, die sie vor dem schnellen Absturz schützen, so verändert sich zunächst nichts in ihnen. Sie schränken sich ein, versuchen mit wachsender Energie neue Arbeit zu finden. Die Intensität ihrer Versuche an der Oberfläche zu bleiben, schließt sie mehr oder weniger von der politischen Betätigung aus. Auf diesen Zustand folgt, und dies betrifft die übergroße Masse der Arbeitslosen, der Übergang in die Resignation, und bald die völlige Energielosigkeit. Wehren sie sich noch eine Zeitlang, beleben sie noch die politische Bewegung, so gleiten sie doch bald in einen Zustand ab, in dem sie nichts weiter versuchen, als sich irgendwie auf irgend eine Weise das nackte Leben zu erhalten. Aus dieser breiten Masse rekrutiert sich dann noch ein kleinerer Teil völlig Verzweifelter, die entweder ins Lumpenproletariat untertauchen, oder über kurz oder lang aus dem Leben verschwinden. So schnell wie sich die Gesellschaft dieser Elemente entledigt, so schnell und bald noch schneller, werden ihre Lücken aus dem großen Reservoir der Resignierten aufgefüllt, die wiederum aus dem Kreis der Ungebrochenen neuen Zuzug erhalten. Die Akkumulation des Reichtums ist nach einem Worte von Marx, zugleich auch die Akkumulation des Elends, der Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischen Degradation. Unter den herrschenden Arbeitsbedingungen ist die Arbeit Zwangsarbeit, wie „frei“ der Arbeiter sonst auch immer sein mag. Selbst außerhalb des Arbeitsprozesses gehört der Arbeiter sich nicht selbst; er restauriert nur seine Arbeitskraft für den nächsten Tag. Er lebt nur in Freiheit, um in der Lage zu bleiben, Zwangsarbeit zu verrichten. Der Arbeiter hat keine freiwilligen Beziehungen zu seiner Arbeit, er ist nur ein Ding, ein Anhängsel des Produktionsprozesses, er ist entmenscht. Der Arbeitslose, wohl nicht mehr dem Zwang dieses Zustandes ausgeliefert, bleibt dennoch das Produkt dieses Zustandes. Nicht einmal diese entmenschte Existenzmöglichkeit bietet sich ihm, dem Elend zu entrinnen ist ihm nur noch auf lumpenproletarischem Wege möglich. Dieser „Weg“ wird nur in Ausnahmefällen „freiwillig“ beschritten, von Leuten deren Lebenshunger größer ist, als von der Wohlfahrt der Gesellschaft berücksichtigt wird. Für eine wachsende Schicht der Arbeitslosen wird er zum Zwang. Da man den Arbeitslosen keine menschenwürdigen Lebensverhältnisse bieten kann, da sonst der Zwang zur Arbeit an Schärfe verliert, und sich die Exploitation der Arbeiter nicht im notwendigen Maße steigern ließe, so bleibt dem unterstützten Arbeitslosen, kann er sich mit seinem Elend nicht begnügen, nichts weiter übrig, als sich auf kriminellen Wegen die Vermehrung seiner begrenzten Lebensgenüsse zu ermöglichen. Ein kleinerer oder größerer Prozentsatz der Arbeitslosen, z. B. illegal Eingewanderte oder Leute, die nicht lange genug ortsansässig waren, usw., sind von dem Genusse jeder Unterstützung ausgeschlossen. Dieser Teil kann sich in Zuständen mit großer Arbeitslosigkeit selbst bei der äußersten Genügsamkeit nicht vor dem Herabsinken ins Lumpenproletariat schützen. Wer weiterhin für längere Zeit aus dem Arbeitsprozeß gerissen ist, verliert damit nicht nur die Fähigkeit, sondern auch die Möglichkeit je wieder Arbeit zu leisten. Wer ein paar Jahre arbeitslos war, dem fällt es nicht nur psychologisch und körperlich unsagbar schwer, sich wieder dem Betriebsleben einzufügen, es ist ihm in vielen Berufen schon allein durch die schnell fortschreitende technische Rationalisierung unmöglich gemacht; er kann den gesteigerten Ansprüchen nicht mehr gerecht werden. Fast allgemein verzichten die Unternehmer deshalb darauf, Arbeiter mit langjähriger Arbeitslosigkeit neu einzustellen. So gibt es, auf einer gewissen Stufe der Verelendung angelangt, kein Zurück mehr in den durchschnittlichen Alltag.

Wohl spielen biologische und psychologische Momente in die bewußten und unbewußten Handlungen der Menschen hinein, aber diese Momente werden durch den bestimmten gesellschaftlichen Lebensprozeß im weitgehendsten Maße beeinflußt, geändert und ihren Wirkungen nach vielseitig bestimmt. Die Triebregungen der Individuen unterliegen sowohl ihren sozial-ökonomischen Situationen, als auch denen der Klasse, der sie angehören.[202] „Es ist klar, daß in einer Gesellschaft, die dem Besitzenden, Reichen das Höchstmaß an Anerkennung und Bewunderung zollt, die narzistischen Bedürfnisse der Mitglieder dieser Gesellschaft zu einer außerordentlichen Intensivierung des Besitzwunsches führen müssen.“[203] Kann dieser Besitzwunsch nicht auf „normalen“ Wegen Befriedigung finden, so wird er sich auf kriminellen Wegen durchzusetzen versuchen. So kann die Zunahme der Verbrechen, die die kapitalistische Entwicklung begleiten,[204] und deren Mehrzahl Vergehen gegen das Eigentum sind, wenn auch nicht immer direkt, so doch indirekt von den sozial-ökonomischen Situationen und deren Veränderungen abgeleitet werden. Ohne Zweifel muß deshalb die Zunahme der Kriminalität in Krisenzeiten auch auf die wachsende Arbeitslosigkeit mit bezogen werden, wie in dieser Zunahme der Verbrechen auch eine Phase der Arbeitslosenbewegung zu begreifen ist. Während des Jahres 1934 erhielt das United States Department of Justice Berichte über 343 582 Kriminalfälle. Die größte Anzahl der Verbrechen wurde von Jugendlichen im Alter von 19 Jahren ausgeführt. Fast 75% der Insassen amerikanischer Gefängnisse entstammen zerrütteten Familien und kommen, wie Untersuchungen über den Einfluß des Milieus auf die Kriminalität ergaben, aus den „slum s“ der Städte. Ist das Leben der Neger das elendeste und ist die Arbeitslosigkeit unter ihnen am größten, so haben sie auch einen entsprechend größeren Anteil an den Verbrechen. Daß die Mehrzahl der Vergehen von Menschen mit normaler Intelligenz[205] ausgeführt werden, zeigt ebenfalls an, in wie weitem Maße die sozial-ökonomische Situation die Kriminalität mitbestimmt. Da es den Menschen immer unmöglicher wird, sich der Praxis der Gesellschaft einzuordnen, wird, um der Verbrechensmehrung zu begegnen, der Strafvollzug verschärft und damit selbst zum Mittel der Vermehrung der Verbrechen, da er zur weiteren Brutalisierung der Kriminellen führt. Statistiken zeigen, daß fast die Hälfte aller Inhaftierten Vorbestrafte sind. Die Barbarei des heutigen Strafvollzugs entspricht wohl der Zunahme des allgemeinen Elends, aber sie reicht dennoch nicht aus, um als wirkliches Abschreckungsmittel zu gelten, da für eine wachsende Anzahl von Menschen das Leben in der Freiheit nicht weniger barbarisch ist. Dieser Zustand erfordert die weitere Brutalisierung des Strafvollzugs und zwar in einem schnelleren Tempo als jenes, in dem das Lumpenproletariat sich vermehrt; ohne diese Vermehrung deshalb hindern zu können.

Die Verelendung und das Lumpenproletariat resultieren nicht aus der Krise, nur ihre schnelle Vermehrung ist auf die Depression und hier speziell auf die Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Wäre die Verelendung der Massen eine gleichmäßige, die Majorität einheitlich betreffende, dann würden sich andere Resultate ergeben, als sie bisher in Amerika wahrgenommen wurden; dann wäre die Zahl der „lumpenproletarischen“ Existenzen so groß, daß sie zugleich die lumpenproletarische Betätigung ausschlösse. Die individuelle parasitäre Existenz, oder die individuelle Expropriation wäre ausgeschlossen, da niemals eine Majorität schmarotzen oder stehlen kann, ohne die Gesellschaft völlig zu demoralisieren und unmöglich zu machen. Das Lumpenproletariat kann nur als Minorität existieren und aus dieser Situation heraus bleibt der verelendeten Minorität nichts als die lumpenproletarische Existenz. Das Lumpenproletariat mußte sich bilden, weil sich der Pauperisierungsprozeß zuerst bei gleichzeitiger Entfaltung der Gesellschaft vollzog, und weil selbst beim Abschluß dieser Entwicklung die Elenden für lange Zeit noch verurteilt bleiben, eine Minorität zu sein. Weil die Gesellschaft zu langsam verfällt, ist ein Teil der unteren Bevölkerungsschicht, ohne die innere reibungslose Anpassungsmöglichkeit dafür zu haben, einem Maße der Verelendung ausgesetzt, das es nur, wenn es sich wehren will, auf lumpenproletarischen Wegen parieren kann, und dem es deshalb unterliegen muß. Diese ersten „Opfer“ eines den Einzelnen nicht sofort entscheidend berührenden, langsamen, gesellschaftlichen Umwälzungsprozesses, können nur zur negativen Kraft werden. Statt wirklicher Lösungen bleiben ihnen nur die individuellen, notwendig gesellschaftsschädlichen.

Was hier beim Lumpenproletariat kraß hervortritt, gilt auch in weniger ausgeprägtem Maße für die breite Masse der Arbeitslosen. Sie können nicht revolutionär auftreten, solange sie eine Minorität darstellen in einer allgemein noch relativ stabilen Gesellschaft. Selbst eine Riesenarmee von Arbeitslosen ist außerstande, die Gesellschaft zur Berücksichtigung ihrer Interessen zu zwingen, wenn die große Mehrheit noch imstande ist, auf Basis der bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen auskömmlich zu leben. Selbst wenn unter diesen Bedingungen, die den Anforderungen der Arbeitslosen entsprechenden Reformen ausbleiben, so kann doch nichts anderes als die Reform angestrebt werden, und da selbst die Reform objektiv nicht mehr möglich ist, so bleiben den Arbeitslosen keine anderen Möglichkeiten als die individuellen Versuche, sich ihrer Haut zu wehren. Die Arbeitslosen sind gezwungen sich zu isolieren, ihre „kapitalistische“ Ideologie muß sich im selben Maße stärken, als sie unter solchen Bedingungen verelenden. Neben den teilweise organisierten Versuchen ihre Lage zu verbessern, sind sie doch stets auf dem Sprunge, ohne Rücksicht auf andere Momente, sich individuell zu helfen. Die vielen Schläge, die ihrem künstlich forcierten „Selbstbewußtsein“ jedoch durch die Realität zugefügt werden, erzeugen bald eine innere Hoffnungslosigkeit, die mittels Einbildungen zu überwinden versucht wird. Sie stellen sich nun erneut politischen Bewegung zur Verfügung, aber nicht als Teilnehmer, sondern als blinde Gefolgschaft. Sie sind nun paradoxerweise in der Bewegung, weil ihnen alles gleichgültig ist, nicht weil sie überzeugt sind, daß die Bewegung ihre Hoffnungen realisieren könnte. Die oft zu beobachtende Massenbegeisterung für einzelne Organisationen und Individuen ist bei diesen Arbeitslosen nicht das Resultat einer aus ihrem Elend heraus geborenen Einsicht, sondern ist, wie die Religion, selbst ein Ausdruck ihres Elends. Die verschiedenen utopistischen und Auffangbewegungen politischer Scharlatane a la Huey Long, Father Coughlin, Townsend, Upton Sinclair, usw., in Zeiten großer Arbeitslosigkeit, finden unter den Verelendeten guten Boden gerade wegen ihres Verzichts auf jede realistische Politik. Die weniger verelendeten Teile neigen den scheinbar realistischeren Versprechungen der Wahlparteien zu und werden auch durch diese eher fanatisiert, als zur Einsicht in ihre wirkliche Lage erzogen. Das Bild ist jedoch ein grundsätzlich anderes, wenn das Arbeitslosenelend vom rapiden Wachsen des allgemeinen Elends begleitet ist. Dann können die Arbeitslosen innerhalb der unzureichenden Gesellschaft zu einer revolutionären Kraft werden, die weit über sich selbst hinaus zu wirken vermag, von deren Aktionen die Zielrichtung aller anderen revolutionären Aktivitäten abhängen mag.

V

Mit dem Regierungsantritt der Roosevelt Regierung änderte sich, wie schon gesagt, das Gesamtbild der Arbeitslosenbewegung. Die liberale Haltung der neuen Administration im Interesse der Aufrechterhaltung des Wirtschaftsfriedens, der am entscheidenden Krisenpunkt, der bereits das Nahen einer neuen Konjunktur andeutet, von besonderer Wichtigkeit ist, brachte die Eigenbewegung der Arbeitslosen fast gänzlich zum Stillstand. Anstelle der spontanen Bewegung und der mit ihr verbundenen Forderungen nach direkter und sofortiger Verbesserung der Lage der Arbeitslosen, trat nun die abwartende Hoffnung auf die Maßnahmen der neuen Administration, von der man sich in kürzester Zeit wesentliche Änderungen der Arbeitslosensituation versprach. Soweit die organisierte Arbeitslosenbewegung in Frage kam, so reduzierte sich nun ihre Tätigkeit auf die Ausübung eines Druckes auf die neue Regierung zur Beschleunigung und Ausweitung der versprochenen Sozialgesetzgebung. Ja, die reformistische Bewegung stellte sich fast uneingeschränkt hinter das diesbezügliche Programm der neuen Administration. Die Forderungen nach gesetzlicher Regelung der Arbeitslosenfrage nahmen nun die erste Stelle in der Totalaktivität der Arbeitslosenorganisationen ein, und selbst die Gewerkschaften, die allen gesetzlichen Regelungen der Arbeitslosenfrage fremd gegenüber gestanden hatten, waren nun gezwungen, sich dieser Bewegung anzuschließen.

„Im großen und ganzen sind die allgemeinen Bewegungen des Arbeitslohnes ausschließlich reguliert durch Expansion und Kontraktion der industriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel des industriellen Zyklus entsprechen. ... Die industrielle Reservearmee drückt während der Perioden der Stagnation und mittleren Prosperität auf die aktive Arbeiterarmee und hält ihre Ansprüche im Zaum. Die relative Überbevölkerung ist also der Hintergrund, worauf das Gesetz der Nachfrage und Zufuhr von Arbeit sich bewegt. Sie zwängt den Spielraum dieses Gesetzes in die der Exploitationsgier und Herrschsucht des Kapitals absolut zusagenden Schranken ein.“[206] Aus diesem Grund gibt es auch für den gewerkschaftlichen Standpunkt „im ökonomischen Felde kein ernsteres Problem als das der Arbeitslosigkeit. Die organisierte Arbeiterschaft muß die besondere Wichtigkeit dieses Moments strategisch berücksichtigen. Die Unsicherheit in der Beschäftigung untergräbt die Löhne.“[207] Die Arbeitslosenpolitik der Gewerkschaften diente deshalb der Aufgabe, die Arbeitslosen in den von den Gewerkschaften kontrollierten Berufen vom Lohndruck zurückzuhalten, die Monopolstellung in der Arbeiterzufuhr auch in Krisenzeiten zu halten. Solange die Arbeitslosigkeit mit dem Krisenzyklus in Parallele stand, gelang es zum großen Teil auch, das Gesetz von Angebot und Nachfrage in verschiedenen Berufen auszuschalten, wenn dadurch auch die Kosten der Arbeitslosigkeit zum Teil von den Gewerkschaften selbst getragen werden mußten. Die meisten der gewerkschaftlichen Unterstützungssysteme zerbrachen jedoch, wie wir schon an anderer Stelle erwähnten, an der Dauer der heutigen Depression und an ihrer Massenarbeitslosigkeit. Die Kassen und die arbeitenden Mitglieder konnten den Anforderungen der Unterstützung nicht mehr gerecht werden. Aus den Unterstützungssystemen wurden nicht viel mehr als Arbeitslosenberatungsstellen, die sich um die Berücksichtigung der arbeitslosen Gewerkschaftsmitglieder bei der öffentlichen Hilfeleistung bemühten. Die Gewerkschaften sahen ihre Kontrolle der Arbeiterzufuhr im weiten Maße gefährdet, sie hatten die Arbeitslosen nun mit anderen Mitteln von der Konkurrenz mit den noch Beschäftigten zurückzuhalten, und ihre Umstellung zur Akzeptierung einer staatlichen Arbeitslosenversicherung wurde damit unvermeidlich.

Ohne Zweifel war neben diesem wichtigsten Moment auch der oppositionelle Druck der Mitglieder der A.F. of L ein Grund zum Frontwechsel der Organisation in der Frage der Arbeitslosenversicherung. Es ließ sich angesichts des Massenelends einfach nicht mehr behaupten, „daß sozialpolitische Gesetze den amerikanischen Lebensstandard zerstören und die Möglichkeiten der Lohnarbeiter reduzieren würden“.[208] Vertrat die A.F. of L. noch 1931 die Ansicht, „daß die Verhinderung der Entwicklung der Arbeitslosigkeit das wichtigste Problem wäre, dem alle Aufmerksamkeit zuteil werden müsse, und daß man sich gegen jede Politik, die die Arbeitslosigkeit kristallisieren würde zu wenden hätte, vor allem gegen die Gewohnheit, die Arbeitslosigkeit für unvermeidlich zu halten“,[209] so kam die A.F. of L. ein Jahr später doch zu der Einsicht, daß im Falle des Versagens der Mittel der Arbeitsbeschaffung, die Arbeitslosenversicherung, wenn auch nicht erwünscht, wohl doch eine Notwendigkeit wäre. Sie entschied sich für ein Versicherungssystem, daß die Organisationsfreiheit der Arbeiter nicht behindern würde und den Ansprüchen der Gewerkschaftsmitglieder entsprach. Die Finanzierung der Unterstützung solle als ein Element der fixen Kosten von der Industrie aufgebracht werden und die Versicherung solle obligatorisch sein. Durchführung und Verwaltung sollen der Bundesregierung und den einzelnen staatlichen Administrationen unterstehen. „Vor fünf Jahren“, schreibt der Vizepräsident der A.F. of L, „wäre dieser Gedanke innerhalb der A.F. of L. unvorstellbar gewesen. Zwar glauben wir auch heute noch nicht, daß die Sozialversicherung die Depression zur Prosperität verwandeln könnte, aber doch ist die Arbeitslosenversicherung ein Kissen, das den Fall der Arbeitslosen mildert. Sie bedeutet ferner die geordnete Verteilung der Wohlfahrt. Was das Geschäft nicht freiwillig zu leisten imstande war, muß nun durch den Staat zwangsweise durchgeführt werden. Wir haben keine bestimmte Form der Arbeitslosenversicherung vorgeschlagen, sondern nur die wesentlichen Prinzipien aufgestellt.“[210] Im Jahre 1935 hat sich dann die A.F. of L. auf den Boden der sogenannten „Wagner-Lewis Bill“ gestellt, aus der sich dann das Social Security Gesetz Roosevelts ableitete, das wir bereits behandelt haben. Ein oppositioneller Teil der A.F. of L. sah in der „Wagner-Lewis Bill“ jedoch „einen die Sozialversicherung verfälschenden Plan im Interesse des Reichtums und des Profits einer Minderheit“,[211] und propagierte an seiner Stelle die sogenannte „Workers Bill“, die dem 74. Congress durch Mr. Lundeen (Farmer-Labor Party-Minnesota) dem House of Representatives, und durch Mr. Frazier (Republican Party) dem Senat unterbreitet wurde, und die seitdem als Frazier-Lundeen Insurance Bill H. R. 2827 weite Popularität in linken und liberalen Kreisen fand. Durch die Besteuerung der Reichen sollen, diesem Gesetzvorschlag entsprechend, die Kosten der Sozialversicherung aufgebracht werden. Der Vorschlag beschäftigt sich mit fast allen in das Gebiet der Wohlfahrt fallenden Momenten, legt aber den größten Wert auf die Arbeitslosenversicherung. Er umfaßt ununterschiedlich alle Arbeiter über 18 Jahren, und sieht Kompensationen vor, die höher als die aller sonstigen legislativen Vorschläge und angenommenen Gesetze sind, und die nicht verwirklicht werden können, da sie den Arbeitslosen oft bessere Lebenslagen garantieren würden, als sie Millionen von Beschäftigten heute gemessen. Die Forderungen haben deshalb nur propagandistischen Wert, der den sie vertretenden Parteien und Organisationen dienen soll. Die organisierte Arbeitslosenbewegung und die parlamentarischen Arbeiterparteien zum Teil, wie auch ein Teil der Gewerkschaften stellten sich hinter diese Vorlage.

Dieselben Kräfte, die hinter der „Frazier-Lundeen Unemployed Insurance Bill“ stehen, empfahlen ein Jahr später, 1936, eine der offiziellen Wohlfahrtspolitik angepaßte „Relief and Work Projects Standard’s Bill“, die die sofortigen Interessen der Arbeitslosen und der mit öffentlichen Arbeiten Beschäftigten berücksichtigen soll. „Sie soll die Frazier-Lundeen Bill mit ihren permanenten Forderungen nach sozialer Sicherheit nicht ersetzen, sondern den temporären Notwendigkeiten, bis zur Annahme der Frazier-Lundeen Bill, gerecht werden“.[212] Diese Vorlage (H. R. 11186) vom Februar 1936 wurde von Mr. Marcantonia dem House of Representatives unterbreitet. Sie fordert vom Kongres genügend Mittel zur Arbeitsbeschaffung und Wohlfahrtsunterstützung und stellt ein Minimum Lebensstandard auf, nach dem die Unterstützungshöhen gerechnet werden sollen. So wie die Frazier-Lundeen Bill ist auch diese zusätzliche Vorlage mit Forderungen ausgeschmückt, die innerhalb des heutigen Systems unter den gegenwärtigen Zuständen keine Erfüllung erwarten können. Auch diese Vorlage wird deshalb verurteilt sein, ein Propagandamittel zu bleiben.

Durch die legislativen Forderungen zur Verbesserung des Wohlfahrtsund Sozialversicherungswesens wurden die bis zum Jahre 1933 oft getätigten direkten Methoden der Arbeitslosenbewegung fast völlig in den Hintergrund gedrängt. Wohl ging die diesbezügliche Propaganda noch weiter, bis zu den Forderungen der Communist Party und der „Produktion-für-den-Gebrauch-Bewegung“ die geschlossenen Fabriken zu öffnen, und sie mit staatlichen Mitteln durch die Arbeitslosen selbst bewirtschaften zu lassen, da dies eine bessere Lösung des Arbeitslosenproblems wäre, als die unnützen öffentlichen Arbeiten und die übliche Unterstützung, aber diese Propaganda war weder ernst gemeint, noch wurde sie ernst genommen. Wohl brachen hier und dort kleinere oder größere Protestbewegungen aus, Streiks an den Projekten der Arbeitshilfe und sogar in den C.C.C.-Lagern, aber diese Aktionen waren so selten und wurden so schnell beigelegt, daß man von einer Arbeitslosenbewegung in den Jahren von 1933—36 wohl kaum sprechen kann. Von den politisch-orientierten Arbeitslosenorganisationen, existierten 1936 nur noch drei größere Formationen die imstande waren, sich bemerkbar zu machen. Die Organisationen der Socialist Party, der Communist Party und einzelne kleine Oppositionsgruppen schlossen sich im April 1936 auf einer Konferenz in Washington zu einer einzigen Organisation, der „Workers Alliance of America“ zusammen. Die unter dem Schlagwort „Einheitsfront“ ausgedrückte politische Wendung der Communist Party machte diese Vereinheitlichung der politischen Arbeitslosenbewegung möglich. In der Prinzipienerklärung der W.A. of A. wird Arbeit mit ausreichenden Löhnen gefordert, die Akzeptierung der Frazier-Lundeen Bill und gewerkschaftliche Löhne für die Projekte der Arbeitshilfe. Obwohl nun nicht mehr parteiisch festgelegt, vertritt die W.A. of A. „jede wirkliche Bewegung für selbständige politische Aktionen der Arbeiterschaft“. In einzelnen Staaten Amerikas konnte die W.A. of A. durch die erneute Verschlechterung der Situation der Arbeitslosen größeren Einfluß unter den Arbeitslosen gewinnen. Beim Abschluß dieser Arbeit stehen die Arbeitslosen erneut Situationen gegenüber, die 1933 der Arbeitslosenbewegung großen Antrieb verschafften. Wohl hat die Spaltung der Arbeitslosen in Wohlfahrtsempfänger und in — mit öffentlichen Arbeiten — Beschäftigte den Druck der Arbeitslosen vermindert, doch sprechen alle Zeichen dafür, daß die Arbeitsbeschaffungspolitik ihrem Ende zuneigt, daß die heutige leichte Konjunktur bald nachlasen wird, daß mit der weiteren Vertiefung der Depression und Vergrößerung der Arbeitslosigkeit die Aktivierung der Arbeitslosen unausbleiblich wird, daß, wenn diese Bewegung einsetzt, sie ohne Zweifel über ihre bisher erreichte Kraft hinausstreben wird.

1.September 1936


Anmerkungen

[182] In den Wahlen von 1932 erhielt die Socialist Party 906 900 Stimmen. Die Communist Party 102 785, die Socialist Labor Party 34 034 Stimmen. Alle drei parlamentarischen Arbeiterparteien zusammen also 1 043 719 Stimmen, während für die beiden bürgerlichen Parteien 30 400 000 Stimmen abgegeben wurden. Es ist unwahrscheinlich, daß In den kommenden Wahlen, im Herbst 1936, das Resultat viel anders sein wird.

[183] A. R. Wylie, New York Times, 26. April 1931

[184] Nach Zahlen des Bureau of Labor Statistics, Washington 1932. (1926 :100)

Beschäftigung Löhne
1926: 100,3 99,3
1929: 99,3 102,6
1930: 79,7 74,2
1931: 70,9 56,7
1932: 58,5 38,1

[185] Nach Zahlen des Bureau of Labor Statistics, Washington 1934. (1916 :100)

Totalzahl der Streiks Anzahl der Streiks Zahl der Streikenden
1929 903 24 10
1930 653 17 15
1931 894 24 17
1933 1 562 41 51

[186] Trat die „Citizen Protective League“ zuerst für ein reines Selbsthilfeprogramm ein, so ging sie später zur Forderung nach Wohlfahrtsunterstützung über und noch später wandte sie sich gegen den mit dem Unterstützungsbezug verbundenen Arbeitszwang. In dieser Wandlung illustrierte sich der Radikalisierungsprozeß der vorerst völlig konservativ denkenden Arbeitslosen. Andere Organisationen durchliefen denselben Prozeß.

[187] Auf dem Parteitag der Socialist Party in Milwaukee 1932 forderte die Partei in bezug auf Labor Legislation and Unemployment, neben sofortiger direkter Arbeitslosenhilfe und späterer gesetzlicher Regelung der gesamten Arbeitslosenfrage im Rahmen der Sozialversicherung, auch weiterhin Federalgesetze, die den Arbeitslosen zu Selbsthilfezwecken Kapital, Land, Rohmaterialien und Produktionsmittel zur Verfügung stellen sollten. Mitglieder der Socialist Party halfen bei der Gründung von Selbsthilfeorganisationen und arbeiteten in vielen von diesen. Die Partei war weiterhin an der Bildung von Kombinationsorganisationen beteiligt, die neben der Selbsthilfeaktivität (grösstenteils Sammeltätigkeit) sich noch an politischen Aktionen mit politischen Forderungen im sozialreformerischen Sinne beteiligten. Die wesentlichste dieser Organisationen waren die „Workers Committees on Unemployment“, die auch ein weitreichendes Bildungsprogramm vertraten und in enger Verbindung mit anderen liberalen und Arbeiterorganisationen operierten.

[188] Eine ausführlichere Darstellung der Selbsthilfeorganisationen findet sich im Monthly Labor Review, June 1933. Bureau of Labor Statistics, Washington, D. C

[189] Z. B.: due bills, goods certificates, credit transfers, vouchers, exchange checks, etc.

[190] Die „Exchange League of the Cleveland Alumni Federation“, z. B. bestand hauptsächlich aus Lohnarbeitern, bereit, im Austausch für Lebensmittel, irgend eine Arbeit zu verrichten. In der „Alameda Unemployed Association“ waren 5% Intellektuelle und Angestellte, 44% gelernte Arbeiter, 22%angelernte Arbeiter und 29% ungelernte Arbeiter vertreten, während in der U.X.A. der Stadt Oakland, die Berufe sich in respektive 9, 53, 12 und 25% der genannten Reihenfolge aufteilten.

[191] Gekürzte Selbstdarstellungen aus Antworten auf einen von M. C. Krüger (University of Chicago) versandten Fragebogen:

Veterans Relief Association, Compton, California. 200 Mitglieder. Besitz: Werkstätten, Lastautos, Häuser. Tauschen Lebensmittel aller Art gegen Arbeit und die Erträgnisse ihres Fischfanges.

Hunnigton Park, California. 800 Familien. Pflanzen und tauschen Zwiebeln gegen Lebensmittel aller Art.

Community Co-operative Farms, Visalia, California. Bebauen verlassenes Farmgelände. Tauschen ihre Produkte, auch in Konservenform, gegen andere ihnen fehlende Waren. Arangierten Austausch mit Staat, City und Wohlfahrtsinstitutionen.

Frulta, Colorado. Obst- und Gemüsebau. Kohlegewinnung. Konservenfabrikation. Tauscht gegen mangelnde Waren. Konservenfabrik stellt der Organisation gegen Bezahlung der Betriebskosten ihre Räume und Maschinen an arbeitsfreien Tagen zur Verfügung.

Unemployed Citizen League, Denver, Colorado. Tauscht Arbeit und Kohle gegen Lebensmittel. 27 000 Mitglieder in fünf Abteilungen. Von Geschäftsleuten mit Unterstützung der Behörden organisiert.

The Peoples Industrial System, Gainsvill, Florida. Arbeitet auf zur Verfügung gestelltem Land mit gestifteten Werkzeugen und Rohmaterialien. Tauscht Arbeit und Produkte gegen fehlende Dinge.

Unemployed Councils, South Bend, Indiana. 11 000 Mitglieder. Sammlung von Lebensmitteln. Tauschen bei Farmern Lebensmittel gegen Arbeit.

Polk County Unemployed League, Minneapolis, Minnesota. Von Geschäftsleuten organisiert. Führung in Händen von Geistlichen. Roden Wurzeln von Farmgelände, tauschen das so gewonnene Holz gegen Lebensmittel aus. Erzeugen bestimmte Waren, z. B. tägliche Sauerkrautproduktion von 3 300 Pfund. Haben eine Art Lohnsystem mit Kreditanweisungen zum Bezug von Lebensmitteln.

Unemployed Citizen League, Seattle, Washington. 13 000 Familien. Gegründet von „Labor College-Students and Teachers“. Erzeugen Farm- und Manufacturwaren. Tauschen Arbeit gegen fehlende Lebensmittel, Kleidung, Maschinen, etc. aus. Überfluß an Holz und Kohle. Im Juni 1932 tauschte die Organisation wöchentlich aus: 1 200 Tonnen Holz, 100 Tonnen Kohle, 400 Tonnen Lebensmittel, 300 Tonnen Frucht.

Unemployed Citizen League, St. Louis, Missouri. 1 000 Mitglieder. Tauschen Arbeit gegen Lebensmittel. Anstelle von Wohnungsmiete werden Reparaturarbeiten geleistet.

The Dayton Association of Co-operatlve Production Units, Ohio. Austausch zwischen den einzelnen Branchen dieser Organisation. Gartenbau, Konserven, Milchprodukte, Kaninchenzucht für Fleisch und Felle. Mühl- und Backbetrieb. Schulen, Theater, etc. 450 Familien beteiligt. Arbeitspflicht. Hilfe durch kommunale Behörden.

Unemployed Citizen League, Detroit, Michigan. Erstrebt den Besitz von unbebautem Land, stilliegenden Fabriken zur Eigenproduktion der Arbeitslosen. Keine Verbindung mit politischen- oder wirtschaftlichen Arbeiterorganisationen.

[192] Der American Guardian vom 3. Februar 1933 druckte aus einer bürgerlichen Tageszeitung Spokane-Annoncen (Bratkartoffel-Anzeigen. Am. d. Hg.) wie die folgenden ab: „Erstklassiger Zimmermann sucht Arbeit im Austausch für Milch für sein Kind.“ „Rohrleger arbeitet für Heizmaterial, Lebensmittel und Kleidung.“

„Vater und Sohn leisten Mal- und Dekorationsarbeiten im Austausch mit Nahrungsmitteln und Bekleidung.“, etc.

In einer einzigen Ausgabe dieser Zeitung fanden sich über hundert solcher Annocen; so in vielen Tageszeitungen vieler Städte.

[193] Die Zuschüsse und Darlehen der Federal Regierung an die Selbsthilfeorganisationen dienten fast ausschließlich der Anschaffung von Produktionsmitteln und Rohmaterialien. Die „Unemployed Exchange Association“, Oakland, California erhielt z. B. von der FERA 122 600 Dollar, die den Ausbau und die Existenz der Organisation sicherten. Die Organisation umschloß 6000 Personen und hatte eine weitverzweigte Tätigkeit. Sie gab zu, daß 25% Ihrer Aktivität auf der Geldbasis getätigt werden mußte. Diese Organisation hatte es verstanden, eine Reihe von kleinen Unternehmern und Farmern für sich zu interessieren und Land und Arbeitsmittel bankerotter Firmen in sich einzubeziehen. Sie besitzt Warenhäuser, Fischerboote, Ländereien, eine Eisengiesserei, Sägemühle, Möbelfabrik und sogar eine private Kleinbahnlinie.

[194] Coal and Irony“ in Time, July 13, 1936.

[195] L. Adamic, “The Great Bootleg Coal Industry”. The Nation. 9. Januar 1935.

[196] Unemployed Unions wurden auf Grund eines Beschlusses der 9. Generalversammlung der I.W.W. (November 1931) zuerst im Februar und März 1932 in New York, Chicago und San Franzisco gegründet.

[197] W. Z. Foster, Toward Soviet America. New York, 1932. p. 248

[198] Z. B. im Detroiter Autoarbeiterstreik im Januar-Februar 1933, im Streik der Straßenbahner in Milwaukee im selben Jahre und seitdem in vielen Streiks in den verschiedensten Staaten.

[199] Labor and the Government. New York 1935. S. 316

[200] R. L. Johnson, Direktor des Wohlfahrtswesens Pennsylvanias, schrieb über diese Vertretungen in der Saturday Evening Post vom 28. März 1936: „Ich schuf im Hauptquartier ein Bureau, dessen Funktion ausschließlich darin bestand, mit den organisierten Arbeitslosen zu verhandeln. Wir arangierten in jedem County Dreier-Kommissionen, die die Wohlfahrtsklienten zu vertreten, und die einlaufenden Beschwerden zu verfolgen hatten. Meine Erfahrungen mit den Arbeitslosen überzeugten mich davon, daß der beste Weg zur Überwindung von Unzufriedenheit darin besteht, daß man den Arbeitslosen wenigstens wöchentlich einmal Gelegenheit gibt, ihre Beschwerden vorzutragen.“

[201] County Administrationen in Michigan, z. B. wurden instruiert, daß die Kriegskompensationen bei der Erteilung von Unterstützung in Betracht zu ziehen wären. Allerdings sollte jeder Fall individuelle Behandlung finden. Im allgemeinen sollten jedoch nur 50% der Kompensation als Existenzmittel gelten, die andere Hälfte sollte unberücksichtigt bleiben. (Chicago Daily Tribune, 21. IV. 36)

[202] Vgl. E. Fromm, „Über Methode und Aufgabe einer analytischen Sozialpsychologie“. Zeitschrift für Sozialforschung, Heft 1/2

[203] E. Fromm, Zeitschrift für Sozialforschung, Heft 1/2; S. 43

[204] „1923 hatten die amerikanischen Gefängnisse 84 761 Insassen. Neun Jahre später, 1932, war die Zahl auf 158 947 gestiegen. Während in dieser Zeit die Gesamtbevölkerung um 12% zunahm, wuchs die der Gefängnisinsassen um 87%.“ W. K. Makey, Social Science, Herbst 1934; S. 403

[205] Von 10 000 Bestraften, die während der letzten 4 Jahre in der Psychiatrischen Clinic of the Court of General Sessions untersucht wurden, mußten 82% als normal bezeichnet werden. 4% waren geistig minderwertig; 1,5% unzurechnungsfähig. Die restlichen 14% Grenzfälle, die weder als normal noch als unnormal gelten können. Bericht der New York Times vom 17. Mai 1935

[206] K. Marx, Das Kapital. Bd. I. S. 654-656 114

[207] W. Hamilton und St. May, The Control of Wages. New York 1923. S. 154

[208] M. Woll, Labor, Industry and Government. New York 1935; S. 249

[209] a. a. O.; S. 250

[210] a. a. O.; S. 252-257

[211] Labor Fights for Social Security. New York 1936. S. 3

[212] Relief and Work Standards. New York 1936; S. 3


Zuletzt aktualisiert am 3.3.2009