Paul Mattick


Amerikas Krisenpolitik

Zur politisch-ökonomischen Lage der USA

(Mai 1971)


Aus: „Links“, Offenbach/M, nr. 22,. Mai 1971, S. 11-14.
Transkription/HTML-Markierung: Thomas Schmidt für das Marxists’ Internet Archive.



Inflation und Deflation

Inflation oder Deflation sind dem Kapital aufgezwungene Mittel, die Löhne der Arbeiter den Profitbedürfnissen anzupassen. Das kapitalistische Ideal ist Stabilität, was sich mit den Notwendigkeiten der Akkumulation jedoch nicht vereinbaren läßt. Bis zum Zweiten Weltkrieg waren die kapitalistischen Krisen vornehmlich durch Deflation gekennzeichnet: die Produktion wurde eingeschränkt, Arbeiter entlassen, Löhne gekürzt, Kapitalwerte vernichtet, und die Preise gesenkt. Durch diesen Niedergangs- und Zerstörungsprozeß bildete sich eine neue Balance zwischen den Profitansprüchen der überlebenden und nunmehr konzentrierten Kapitals und der aktuellen Produktion. Die zunehmende Heftigkeit der Krisen veranlaßten Versuche ihrer Unterbindung auf dem Wege der Inflation. In der Inflation steigen die Preise schneller als die Löhne. Die so erzielten Reduzierungen des Anteils der Arbeit am gesellschaftlichen Produkt erhebt die Profite und fördert die kapitalistische Akkumulation.

Da die kapitalistische Politik sich nicht auf die der kapitalistischen Produktionsweise unterliegenden Ausbeutungsverhältnisse beziehen kann, muß sie ihre „Lösungen“ wirtschaftlicher Probleme in der Welt der Markterscheinungen suchen. So stellt sich ihr alles sehr einfach dar: der aus den kapitalistischen Entwicklungsgesetzen abzureitende zyklisch auftretende Mangel an Profit stellt sich auf dem Markt als mangelnde Nachfrage dar, die eine weitere Ausdehnung der Produktion und damit Neuinvestierungen behindert. Nimmt dieser Zustand langwierigeren Charakter an, dann springt der Staat mit öffentlichen Ausgaben ein, die zwar die Produktion beleben, aber an der Profitsituation selbst nichts zu ändern vermögen, da sich die vermehrte Arbeit nicht in zusätzliches Kapital verwandeln läßt.

Trotzdem wird der kapitalistische „Fortschritt“ gewöhnlich an der Zunahme seiner Gesamtproduktion gemessen, welche die gewinnbringende wie nichtgewinnbringende Produktion in sich einschließt. Erlaubt auch nur der profitable Teil der Produktion die Anhäufung zusätzlichen Kapitals, so täuscht die wachsende Gesamtproduktion den Zustand eines allgemeinen Aufschwungs vor. Die Zustände seit dem Zweiten Weltkrieg konnten so als eine Konjunktur gefeiert worden, die angeblich nachwies, daß es dem Kapitalismus gelungen sei, den Krisenzyklus durch staatliche Wirtschaftseingriffe aufzuheben.

Dieser Optimismus gewann ein Maß von Realität durch die rapide Erhöhung der Arbeitsproduktivität, als Folge der Verwissenschaftlichung der Technik, die während und nach dem Kriege um sich griff. Vermehrt sich jedoch die unrentable Produktion schneller als die rentable, so führt dies zu einer weiteren Abnahme der Akkumulation, und die „Lösung“ dieses Problems wird nun wieder in der Beschränkung der öffentlichen Ausgaben gesucht. Die durch Defizitfinanzierung vermittelte vermehrte staatliche Produktion wird so einerseits für eine Krisenlösung gehalten, andererseits jedoch auch wieder für einen anhaltenden Krisenzustand verantwortlich gemacht.

Da die bürgerlichen Ökonomen ihre eigene Wirtschaft nicht verstehen dürfen, stellt sich ihnen die Inflation als Folge der durch die staatlich bestimmte Produktion vermehrten Nachfrage dar, der das Angebot angeblich nicht gewachsen ist. Die Preise steigen, so wird gesagt, weil zu viel Geld zu wenigen Waren nachläuft. Daraus folgt, daß ein Rückgang der Nachfrage durch die Beschränkung der öffentlichen Ausgaben die Inflation beenden würde, wenn auch auf Kosten wachsender Arbeitslosigkeit. Lassen sich die öffentlichen Ausgaben nicht beschneiden, so muß die Nachfrage nach neuem Kapital durch höhere Zinssätze vermindert werden, was ebenfalls Arbeitslosigkeit mit sich bringt. Daran ließe sich allerdings nichts ändern. Unter den heutigen Umständen gäbe es nur die Wahl zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit. Allerdings ließe sich durch eine allgemeine Reduzierung der Lohneinkommen und einer weiteren Erhöhung der Arbeitsproduktivität ein Marktgleichgewicht herstellen. Dem stünden jedoch die Lohnpolitik der Gewerkschaften und die Preispolitik der Monopole entgegen, so daß es notwendig wäre, die Preis- und Lohnpolitik unter staatliche Kontrolle zu bringen.

Die Tatsachen widersprechen jedoch solchen Erklärungen. Daß von einer zu großen Nachfrage nicht die Rede sein kann, ist schon dadurch erwiesen, daß fast ein Viertel der amerikanischen Produktionskapazität brach liegt. Daß die Preise nicht durch untragbare Lohnkosten bestimmt werden durch die Tatsache, daß trotz erhöhter Produktivität, der Reallohn der Arbeiter seit 1967 nicht mehr gestiegen ist. Das Angebot war größer als die Nachfrage, und doch stiegen die Preise jährlich bis um 7,2 %. Auch die deflationistische Politik der letzten zwei Jahre hat daran nichts geändert, obwohl noch immer gehofft wird, daß sich das Tempo der Inflation vermindern wird. In Wirklichkeit haben Angebot und Nachfrage nichts mit der Inflation zu tun, wie auch die monopolistische Preis- und Lohnpolitik nicht Ursachen sondern Resultate der Inflation sind. Gemessen an der Gesamtproduktion reichten die Profite nicht aus, um zu Neuinvestierungen anzureizen, die eine annähernde Vollbeschäftigung mit sich brächten. Die Belastung der profitablen durch die unprofitable Produktion zeigt sich den einzelnen Kapitalen als Abnahme ihrer Gewinne, dem sie durch Erhöhung der Preise zu . entgehen suchen. Die Arbeiter versuchen, ihre Löhne den steigenden Preisen anzupassen. Wird von kapitalistischer Seite her der Mangel an Profit einerseits von den existierenden Löhnen abgeleitet, so andererseits auch von der Besteuerung des Kapitals. Die unproduktiven Ausgaben werden zum Teil durch Steuern und zum Teil durch Anleihen finanziert. Die Gesamtproduktion steigt schneller als der Gesamtprofit, was sich im Fall der durchschnittlichen Profitrate äußert. Die monopolistische Preispolitik sichert den notwendigen Profit auf Kosten des konkurrierenden Kapitals; eine Möglichkeit, die sich jedoch im Laufe der Zeit durch die allgemeine Profitverminderung von selbst aufhebt. Die staatliche Geld- und Kreditvermehrung impliziert die steigenden Warenpreise und die Entwertung des Geldes. Gelingt es dem Kapital nicht, die Expansion des unrentablen staatlichen Sektors durch eine relativ schnellere private Kapitalakkumulation zu überflügeln, dann drückt der fortgesetzte inflationistische Kurs den langsamen Verfall der profit-orientierten Marktwirtschaft aus. Ohne solche beschleunigte kapitalistische Akkumulation erscheint die Umkehr zur Deflation als notwendige ökonomische Maßnahme und Voraussetzung für eine neue Konjunktur. Das neuartige an der jetzigen Situation besteht darin, daß die Mittel der Deflation und Inflation gleichzeitig angewandt werden. Höhere Preise begleiten eine abnehmende Produktion, die Erscheinungen der Konjunktur fallen mit denen der Krise zusammen. Dieser doppelte Angriff auf die existierenden Lohn- und Arbeitsbedingungen entspricht der Notwendigkeit der beschleunigten Akkumulation de3 amerikanischen Kapitals innerhalb der eigenen Grenzen und im Rahmen der Weltwirtschaft. Die verschärfte internationale Konkurrenz und die damit verbundene imperialistische Politik, müssen im eigenen Lande durch größere Ausbeutung unterbaut werden.

Imperialismus

Da der kapitalistische Staat nicht mit seinem Privatkapital auf dem Markt konkurrieren kann, muß sich seine zusätzliche Produktion auf öffentliche Ausgaben beziehen, die dem Kapital nützlich sein können. Hier ist es an erster Stelle die imperialistische Machtpolitik, die den privaten Kapitalinteressen am besten entspricht. Die damit verbundenen Kosten können als eine Art „gesellschaftlicher Investition“ betrachtet werden, die zu neuen Profitmöglichkeiten führen kann oder schon vorhandene sicherstellt. Man muß sich hier vor Augen halten, daß Amerika durch zwei Weltkriege zur stärksten kapitalistischen Macht geworden ist. Es gelang dem amerikanischen Kapital in großem Maße, das europäische Kapital in Kanada und Südamerika abzulösen, große Kapitalmassen In fast allen europäischen Ländern anzulegen, und frühere Kolonien der europäischen Mächte unter seine Kontrolle zu bringen. Das Öl des Nahen Ostens ist Jetzt zum großen Teil in amerikanischen Händen, und In Südost-Asien versucht das amerikanische Kapital, die Oberherrschaft über diese vielversprechenden Gebiete zu gewinnen. Ohne die imperialistische Konkurrenz wäre Amerika nicht zu dem geworden, was es heule ist. Die Expansion des Kapitals macht den Imperialismus so notwendig wie erwünscht, und die schon gewonnene Macht bestimmt den Grad der imperialistischen Aggressivität.

Allerdings enthält die imperialistische Politik ihre eigenen Widersprüche, die zuletzt auf die der Kapitalproduktion zurückzuführen sind. Ist sie einerseits eine Notwendigkeit, so andererseits auch eine Gefahr, da sie zu weiterer wirtschaftlicher Zerrüttung führen kann. Lassen sich öffentliche Ausgaben im nationalen Rahmen irgendwie kontrollieren, so ist das im Kriegsfall nicht länger möglich, da sie nun auch vom Kriegsgegner mitbestimmt werden. In den bisherigen großen Kriegen wurde sozusagen alles aufs Spiel gesetzt, und sie endeten nach ein paar Jahren mit der Niederlage der einen und dem Sieg der anderen Seite und erlaubten neue internationale Machtkonstellationen in Wirtschaft und Politik. Im Zeichen der Atombombe schrecken jedoch selbst die imperialistischen Mächte vor solchen Kriegen zurück, womit ihre tatsächlichen Kriegshandlungen einen permanenten Charakter anzunehmen drohen und damit keine erkennbaren Früchte tragen. Der amerikanische Krieg in IndoChina hat zur Enttäuschung der imperialistischen Erwartungen geführt. Anstatt Möglichkeiten weiter Expansion zu schaffen, vertieft er nur die Schwierigkeiten der Profitproduktion zu Gunsten größerer öffentlicher Ausgaben.

Da die einzelnen Kapitale nicht gleichmäßig an der staatlich-bestimmten Produktion teilhaben, subsidisiert ein Teil des Kapitals einen anderen Teil. Die nicht am Krieg profitierenden Kapitale wenden sich, wenn nicht aus ideologischen, so doch aus wirtschaftlichen Gründen, gegen die scheinbar erfolglose Kriegspolitik. Da der Krieg mit dauernder Inflation verbunden ist, haben auch Teile der Mittelklasse das Interesse an ihm verloren. Die Arbeiter haben bisher am wenigsten opponiert, da viele von ihnen befürchten, daß ihre Arbeitsgelegenheiten an Krieg und Rüstung gebunden sind. Selbstverständlich sind es nicht nur ökonomische Momente, die entweder zur Ablehnung oder zur Bejahung des Krieges führen, aber notwendigerweise sind es doch wirtschaftliche Erwägungen, die der einen oder anderen Haltung besondere Ausdruckskraft verleihen. Jedenfalls läßt sich eine zunehmende Kriegsmüdigkeit feststellen, die der imperialistischen Politik unter Umständen gefährlich werden könnte.

Es wäre jedoch falsch, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Amerikas ausschließlich auf den Krieg in Indochina zurückzuführen. Sie beruhen auf einem von diesem Kriege relativ unabhängigen Krisenmechanismus der kapitalistischen Produktionsweise. Eben weil die durch den Zweiten Weltkrieg erzielten Erfolge bereits der Vergangenheit angehören und das dadurch vergrößerte Kapital eine entsprechend größere Profitmasse benötigt, um sich auch weiterhin in gleichem Tempo zu entfalten, wurde der Erfolg von gestern zum Hindernis von heute. Die der Verwertung des existierenden Kapitals entsprechende Profitmasse war nicht mehr zu erzielen, so daß sich die Expansion in Stagnation verwandelte. Daß die durch den Weltkrieg und seine Folgen gemachten Gewinne nicht ausreichten, um das Akkumulationsproblem des amerikanischen Kapitals aus dem Wege zu räumen, war schon in der Tatsache angezeigt, daß es in der ganzen Nachkriegsperiode notwendig blieb, die Arbeitslosigkeit durch wachsende öffentliche Ausgaben abzuwehren.

Konjunktursteuerung

Die unkoordinierte kapitalistische Wirtschaft hat natürlich nicht die Möglichkeit der Selbstbestimmung, die sich einmal für eine steigende und ein anderesmal für eine fallende Konjunktur entscheiden kann. Mit zunehmenden Profiten dehnt sich die Produktion aus, wie sie mit abnehmenden Profiten fällt. Wenn von Wirtschaftspolitik gesprochen wird, so bezieht sich das nicht auf das Kapital selbst, sondern auf Regierungsmaßnahmen, welche die Wirtschaft in der einen oder anderen Richtung beeinflussen können. Diese Maßnahmen bestehen in der Anwendung des Steuersystems als konjunkturpolitischem Instrument, dem Staatskredit und der Geldpolitik. Durch die Verknappung des Geldes und der damit verbundenen Erhöhung der Zinsraten, können Produktion und Investitionen verlangsamt werden. Ebenfalls durch direkte oder indirekte Erhöhungen der Kapitalsteuern. Mit der Einschränkung der Produktion im allgemeinen, fällt die Profitabilität der schwächeren Kapitale im besonderen, und die Einschränkungen und Bankrotte erzeugen die Arbeitslosigkeit, die nicht mehr durch zusätzliche öffentliche Ausgaben aufgesogen wird. Der letzte Zweck des ganzen Prozesses ist auch der erste alier kapitalistischen Produktion, nämlich die Vermehrung des Profits, um auf dorn Boden einer geänderten Kapitalstruktur eine neue Prosperität zu erzielen.

Der von der Nixon-Regierung eingeleitete deflationistische Kurs war in dieser Hinsicht erfolgreich. Arthur F. Burns, dem Chef des Federal Reserve System zufolge, „umfaßt nun die Arbeitslosigkeit alle Arten von Arbeitern und besonders die sogenannten unproduktiven Arbeiter; ein Zustand, wie er in der ganzen Nachkriegsperiode nicht zu finden war. Dank dieser energischen Maßnahme zur Kostenverminderung, befindet sich die seit zwei Jahren stagnierende Produktivität der Arbeit wieder im Aufstieg. Im zweiten Viertel 1970 stieg die Produktivität auf 4% und von dort auf 6% im dritten Viertel des Jahres. Dieser Fortschritt in der Arbeitsproduktivität bremst den Aufstieg der Arbeitskosten trotz der auch weiterhin steigenden Löhne.“ (New York Times, 8. Dezember 1970). Obwohl es diesem Fachmann entgangen ist. daß die Reallöhne schon seit 1967 nicht mehr gestiegen sind, ist nicht zu bezweifeln, daß die Arbeitslosigkeit, die nach offiziellen Angaben Ende 1970 6% aller Beschäftigten umfaßte, die Möglichkeit größerer Ausbeutung mit sich brachte und die Produktionskosten verminderte. Aber diese Kostenverminderung hat nichts an den steigenden Preisen geändert.

Die Nixon-Politik war so eine „enttäuschende“, da sie zwar den Gang der Wirtschaft verlangsamte, aber die Inflation nicht beendete. Inflation ohne Arbeitslosigkeit, wurde nun gesagt, sei solcher mit Arbeitslosigkeit vorzuziehen. Aber das Kapital muß in allen Situationen Profit machen, und die Inflation mit Arbeitslosigkeit entsprach seinen Interessen am besten. Solomon Fabricant, ein weiterer Fachmann, drückte dies folgendermaßen aus: „Die Fortsetzung der inflationistischen Politik 1969 hatte nur die Depression aufgeschoben auf Kosten einer noch weit tiefer gleitenden Depression zu einem späteren Zeitpunkt, an dem die Inflationsrate ein nicht mehr tragbares Niveau erreicht haben würde.“ (New York Times, 8. November 1970). Es handelte sich nicht um die Inflation selbst, sondern nur um die Rate ihrer Entfaltung. Um diese zu hemmen, schien es notwendig, die Beschneidung des Reallohns nicht nur in der Zirkulationssphäre vorzunehmen, sondern, durch den Druck wachsender Arbeitslosigkeit, auch in der Ausbeutungssphäre der Produktion.

Dollar-Krise

Die Unterbrechung des inflationistischen Kurses erschien nicht nur eine nationale, sondern auch eine internationale Notwendigkeit, da die amerikanischen Zustände eng mit denen der Weltwirtschaft verbunden sind. Der Dollar ist eine Reservewährung. Von seiner Stabilität hängt das internationale Währungswesen und damit auch der Welthandel ab. Internationale Vereinbarungen bestimmen das Verhältnis anderer Währungen zum Dollar, der, wenigstens theoretisch, auf einen bestimmten Goldpreis basiert. Die Kaufkraft des Dollars ist während der letzten zehn Jahre um mehr als ein Viertel gesunken. Damit sind auch die Dollarreserven anderer Länder entwertet, und die Neigung wächst, sie in Gold einzutauschen. Der unablässig fortschreitende Verlust seiner Golddeckung macht den Dollar als Weltgeld und Reservewährung stets problematischer und damit das gesamte internationale Geldsystem.

Ermöglicht die Entwertung des Dollars eine bessere Profitabilität, insoweit als die Preise schneller als die Löhne wachsen, so tendiert sie doch in Richtung einer Zersetzung des bestehenden internationalen Geldsystems, das auf der Parität des Dollars mit anderen Währungen beruht. Die größere Konkurrenzkraft hat dem amerikanischen Kapital bisher eine positive Handelsbilanz erlaubt, die allerdings, durch große Kapitalexporte und den Krieg in indoChina, von einer negativen Zahlungsbilanz begleitet war. Die von der Regierung erzeugten Dollars fanden ihren Weg ins Ausland, da dort die Profite mehr versprechender als in Amerika waren und unterwarfen einen wachsenden Teil der Weltwirtschaft der amerikanischen Ausbeutung. Die damit verbundene Beschleunigung der internationalen wirtschaftlichen Aktivität war so zum Teil an die inflationistische Politik Amerikas gebunden und fand für lange Zeit keinen ernsthaften Widerstand. Aber mit der zunehmenden Konkurrenzfähigkeit des europäischen und japanischen Kapitals wenden sich diese Länder gegen den auf inflationistischem Wege geförderten amerikanischen Kapitalexport. Es ist nicht zu erwarten, daß diese Länder, nur um den Dollarstandard aufrechtzuerhalten, ihre eigenen kapitalistischen Interessen den inflationistischen Notwendigkeiten Amerikas für dauernd unterwerfen.

Jedenfalls schien die sich beschleunigende Inflation, national wie international, der Kontrolle der amerikanischen Regierung zu entgleiten und dem Kapital mehr zu schaden als zu nützen. Sie erzwang, neben Ab- und Aufwertungen anderer Währungen, eine internationale Inflation, welche die mühsam errungenen internationalen Vereinbarungen untergräbt und auf eine allgemeine finanzielle Krise hindeutet. Die rapide steigenden Dollarpreise verminderten zudem die internationale Konkurrenzfähigkeit des amerikanischen Kapitals, und seine Warenexporte fielen im Verhältnis zu den Importen. Zwischen 1962 und 1968 wuchs der amerikanische Export von 21,4 Milliarden auf 34,2 Milliarden an. In derselben Zeit stiegen die Importe jedoch von 16,4 Milliarden auf 32,4 Milliarden Dollar, womit die positive Handelsbilanz fast vernichtet wurde. Daß sie noch in kleinem Maße weiterbesteht, ist nicht dem Warenaustausch zwischen Europa und Amerika zu danken, sondern dem Amerikas mit den unterentwickelten Ländern. Mit dem Verschwinden der positiven Handelsbilanz wurde der Druck auf die Zahlungsbilanz durch weitere Kapitalexporte und die Kosten des Imperialismus immer stärker und führte zu dem Entschluß, den inflationistischen Kurs aufzuhalten.

Diese Entscheidung war umso leichter zu treffen, da die Kriegslagen in Indochina und im Nahen Osten viel von ihrer Bedrohlichkeit verloren hatten und Amerika erlaubten, die damit verbundenen Kosten zu stabilisieren. Die temporäre Einschränkung des Kapitalexports beeinträchtigte die schon angelegten Kapitale wenig, da diese sich nun eines neuerstandenen europäischen Kapitalmarktes bedienen konnten. Eine dem International Monetary Fund abgerungene künstliche Reserve, das sogenannte Papier-Gold, unterbaute die amerikanische Goldreserve, und europäische Kapitalexporte nach Amerika stützten die Zahlungsbilanz. In dieser von verschiedenen Seilen her vermittelten Atempause, schien es durchaus möglich, den inflationistischen Kurs zu unterbrechen. Die sozialen Folgen wurden als notwendig zu zahlender Preis hingenommen, um von der Inflation zu einer mehr realistischen Konjunktur vorzustoßen.

Diese stellte sich als Illusion heraus. Wohl fiel die Gesamtproduktion das erstemal seit 1958, aber am Preisniveau änderte sich nichts. Ende des Jahres war die Zahl der Arbeitslosen auf 5 Millionen gewachsen, die der Wohlfahrtsempfänger auf fast 15 Millionen. Jede Woche erklären rund 200 Firmen und mehr als 3000 selbständige Geschäftsleute ihren Bankrott. Die zunehmende Produktivität der Arbeit hat wohl die Profitabilität verbessert, jedoch nicht genügend, um zu neuen Investitionen anzulocken. Die Aufträge in der Maschinenbau-Industrie sind heute niedriger als sie vor 12 Jahren waren. Die „kalkulierte“ Reduzierung der wirtschaftlichen Aktivität mündete in einem allgemeinen Niedergang, dessen soziale Folgen sich nicht absehen ließen. Versuchte die Nixon-Regierung vorerst auf den Wegen weiterer Erleichterungen der kapitalistischen Besteuerung und der Verminderung der Zinsraten die Wirtschaft erneut aufwärts zu treiben, so sah sie sich bald gezwungen, zu den inflationistischen Maßnahmen der Vergangenheit zurückzukehren. Für das Jahr 1971 ist ein Defizit zwischen 15 und 20 Milliarden Dollar und eine entsprechende Beschleunigung der Geldzufuhr vorgesehen, um zum Zustand der Vollbeschäftigung zurückzufinden.

Die Definition der „Vollbeschäftigung“ erlaubt allerdings Arbeitslosigkeit bis zu 4 Prozent der Gesamtbeschäftigten. Aber selbst um dieser Definition gerecht zu werden, müßten nach Angaben der Wirtschaftsexperten die Produktion jährlich um 3 % in realen Werten steigen. Angesichts des aktuellen Rückgangs der Produktion um die Jahreswende, kann jedoch selbst diese schon unwahrscheinliche 6-prozentige Wachstumsrate nicht zur Vollbeschäftigung führen, und dies umsoweniger, als, den Erhebungen geplanter Neuinvestierungen zufolge, alle Industrien für 1971 ihre Investitionen zwischen 5 und 9 Prozent zu vermindern trachten Die Arbeitslosen werden nicht im privaten Wirtschaftssektor Beschäftigung finden, so daß das Programm der Vollbeschäftigung sich nur durch eine weitere Expansion des staatlichen Sektors verwirklichen ließe, und damit nur durch eine neue Inflationswelle.

Der politische Kurs

Inflation, Krieg und Arbeitslosigkeit führten zu einer allgemeinen Unzufriedenheit, die sich nicht nur politisch, sondern auch als militärische Demoralisierung bemerkbar machte. Die Zurückziehung eines Teils der Truppen aus Indochina ist nicht nur auf die Absicht der Stabilisierung der militärischen Ausgaben zurückzuführen, sondern auch auf die zunehmende Unzuverlässigkeit der in Vietnam stationierten Soldaten. Sie wurde allerdings erst ermöglicht durch die scheinbare Unfähigkeit Nord-Vietnams, den Krieg in größerem Maßstabe fortzusetzen. Die Zurückziehung der Truppen und das damit verbundene Versprechen eines völligen Rückzugs aus Vietnam erweckten neue Illusionen und legten die amerikanische Anti-Kriegsbewegung fast völlig lahm. Auch die Studentenbewegung, die sich fast ausschließlich gegen den amerikanischen Imperialismus wandte, ohne sich viel um das kapitalistische System selbst zu kümmern, wurde ein Opfer ihrer eigenen programmatischen Beschränkung und ihrer aktuellen Unfähigkeit, den Gang der Dinge wesentlich zu beeinflussen. Durch den Einbruch in Kambodscha und Laos erhielt sie allerdings einen neuen Impetus, der aber weit hinter der früher entwickelten Aktivität zurückblieb.

Die wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten des amerikanischen Kapitals sollten jedoch nicht überschätzt werden: die unzufriedenen Kräfte richten sich im allgemeinen nicht gegen das kapitalistische System, sondern nur gegen die gegenwärtige Regierungspolitik. Die Nixon-Regierung sorgt sich so ebenfalls nicht so sehr um die Erhaltung des Kapitalismus als um ihre eigene Weiterexistenz und macht ihre Politik, soweit dies objektiv möglich ist, mit Hinsicht auf die kommenden Wahlen. Das kann eich allerdings nur auf die Innenpolitik beziehen, aber hier ist es durchaus möglich, auf Kosten weiterer Staatsverschuldung die Gesamtproduktion zu steigern und die Arbeitslosigkeit zu vermindern. Die dadurch beeinträchtigte kapitalistische Akkumulation kann das System selbst noch nicht erschüttern, da der Anteil der staatlich-bestimmten Verschwendungsproduktion der Gesamtproduktion gegenüber noch verhältnismäßig gering ist.

Die Außenpolitik läßt sich jedoch nicht einseitig kontrollieren. Ohne Zweifel würde der Nixon-Regierung ein Ende des Krieges in Vietnam unter amerikanischen Bedingungen willkommen sein. Dies umso mehr, als sich eine für das amerikanische Kapital kritische Lage in den Ländern Südamerikas zu entwickeln beginnt, und die Situation im Nahen Osten nichts an ihrer Explosivität verloren hat. Die Eingriffe in Kambodscha und Laos weisen darauf hin, daß für Amerika der Krieg in Indochina nur mit der Niederlage Nord-Vietnams enden kann, d. h. mit dem Ende der Bestrebungen Süd- und Nord-Vietnam zu vereinigen. Es hängt von dem Verhalten der Sowjetunion und Chinas ab, ob eine Konsolidierung der amerikaschen Macht In Südost-Asien einsetzen wird. Wie die Dinge liegen, fällt der erneut aufgenommene inflationistische Kurs mit verschärfter imperialistischer Aggressivität zusammen. Beide Erscheinungen können die internen sozialen Gegensätze nur auf die Spitze treiben, so daß der amerikanische Kapitalismus in seinem langjährigen Krisenzustand verharren wird.


Zuletzt aktualisiert am 16.1.2009