Julian Marchlewski und Franz Mehring

 

Aus der Partei

Erklärung von Julian Karski und Franz Mehring
wegen Luxemburgs Buch

(Februar 1913)


Quelle: Leipziger Volkszeitung, 21. Februar 1913, S. 2.
Transkription: Daniel Gaido.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Unsre kurze Notiz vom Dienstag über die Haltung des Vorwärts in der Affäre des Pressebureaus und über seine Herunterreißerei des Luxemburgischen Buches hat in der Redaktion unsres Zentralorgans augenscheinlich wie der Biß einer Tarantel gewirkt. Wütend antwortet es uns:

Die Leipziger Volkszeitung täuscht ihre Leser, wenn sie ihnen erzählt, daß die Kritik des Genossen Eckstein, die eine musterhaft sachliche, aber freilich auch sachverständige war, eine unwürdige Herunterreißung gewesen sei. Der Gegensatz, der besteht zwischen den ablehnenden Kritiken, wie denen des Genossen Pannekoek und Eckstein und den – anderen, wie auch die Leipziger Volkszeitung deren eine veröffentlicht hat, erklärt sich nicht aus kleinlichen persönlichen Motiven, sondern es ist der Gegensatz von sachverständiger und unsachverständiger Kritik. Und deshalb begreifen wir auch den Leipziger Schmerz, der sich in diesem Erguß Luft macht. Der Leipziger Apologet hat sich in seinem Autoritätsglauben etwas zu weit vorgewagt und sucht deshalb die Kritik der anbern zu verunglimpfen, die ja zugleich seine eigene Blamage ist.

Die drollig-hochnäsige Unterscheidung des Vorwärts zwischen seiner Kritik als der sachverständigen, und der der – andern als der unsachverständigen, brauchen wir hier nicht besonders würdigen. Das geschieht gründlich in der noch folgenden Erklärung der Genossen Mehring und Karski. Wir unserseits beschränken uns zunächst auf folgende Bemerkungen.

Bisher galt die Genossin Luxemburg auch für unser Zentralorgan als die berufenste Interpretin des Marxismus. Ihr wurde die Besprechung der wichtigsten und schwierigsten Veröffentlichungen anvertraut. Sie besprach die Werke aus dem Nachlaß von Marx und Engels, besonders für die schwierigsten Teile dieses Nachlasses, für die Theorien über den Mehrwert, glaubte der Vorwärts keine gründlichere Kennerin dieser Materie finden zu können, als die Genossin Luxemburg. Jetzt ist sie – wenn man dem „sachverständigen“ Kritiker des Vorwärts glauben darf, plötzlich von alledem das Gegenteil. Sie mißversteht Marx von vorn bis hinten, sie „verkennt“ Zweck und Bedeutung der Marxschen Darstellung sogleich „ungleich gründlicher“ als irgendein russischer Professor, sie verrät ein derartiges geistiges „Unvermögen“, daß jeder Leser des Organs für die arbeitende Jugend sie belehren könnte, ja, daß der Parteivorstand, der ihr das schwierigste Amt an der Parteischule anvertraut hat, den Unterricht über Marxismus, sie eigentlich sofort als total unbrauchbar entlassen müßte. Jedenfalls ist dieser geistige Zusammenbruch, den wir hier – immer vorausgesetzt, daß wir dem „sachverständigen“ Kritiker des Vorwärts folgen dürfen – an der Genossin Luxemburg zu konstatieren haben, ebenso plötzlich wie total.

Glücklicherweise handelt es sich nur um eine Zusammenbruchstheorie oder besser gesagt eine Zusammenbruchsphantasie des Kritikers. Man braucht gewiß nicht mit allem einverstanden zu sein, was in einem Buche steht, man kann ein Buch sogar als sachlich total verfehlt ablehnen, aber dann muß man imstande sein, zunächst das Problem zu erfassen um das es sich dreht, und dann seine Einwendungen in einer menschlich verständlichen Form auseinanderzusetzen. Bei dem Vorwärts-Kritiker ist weder das eine noch das andere der Fall. Er kennt nur eins: jede Kritik von Marx ist verboten. Und tatsächlich macht er der Genossin Luxemburg den Vorwurf, „an Marx eine abfällige und ziemlich höhnische Kritik“ zu üben, die sie – man denke – mit verschiedenen Ausrufungszeichen unterstützt! Und da redet man von Autoritätsglauben und Apologetentum! Damit erledigt sich auch der unten folgende Brief des Genossen Eckstein.

Die Differenzen, um die es sich bei der Wertung des Luxemburgschen Buchs handelt, sind im Grunde die gleichen, die schon seit einiger Zeit im Innern der Partei zum Austrag drängen: die Stellungnahme zum Imperialismus. Nicht umsonst hat die Verfasserin ihrem Werk den Untertitel gegeben: Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus. In diesen Fragen hat unser Zentralorgan stets eine Stellung eingenommen, die der Austragung dieser Gegensätze ungünstig war. Um so bedauerlicher, freilich auch um so erklärlicher ist es, daß dieser sachliche Gegensatz durch die Haltung des Vorwärts den Schein des persönlichen Gegensatzes angenommen hat. Aber gerade, weil es sich nicht um persönliche, sondern um sachliche Differenzen handelt, war es unsere Pflicht, diese Dinge zur Sprache zu bringen.

* * *

Erklärung. In einer polemischen Notiz des Vorwärts gegen die Leipziger Volkszeitung – in Sachen des Buchs, das die Genossin Luxemburg herausgegeben hat – findet sich folgender Satz:

Der Gegensatz, der besteht zwischen den ablehnenden Kritiken, wie denen des Genossen Pannekoek und Eckstein und den – andern, wie auch die Leipziger Volkszeitung deren eine veröffentlicht hat, erklärt sich nicht aus kleinlichen persönlichen Motiven, sondern es ist der Gegensatz von sachverständiger und unsachverständiger Kritik.

Für ihre Person haben die Unterzeichneten dazu nichts zu bemerken, da sie das schleichende Unwesen versteckter Insinuationen, die sich nur durch einen Gedankenstrich zu verraten wagen, zu verachten berechtigt sind. Aber den Parteiblättern, die ihre Kritiken des Luxemburgischen Buchs veröffentlicht haben – der Erstunterzeichnete dem Münchner Parteiorgan, der Zweitunterzeichnete 25 andern Parteizeitungen – glauben sie folgende Erklärung schuldig zu sein:

Auf Grund unsrer jahrzehntelangen Beschäftigung mit der marxistischen Methode und Theorie und nach sorgfältiger, wiederholter Prüfung des Buchs rechnen wir die Arbeit der Genossin Luxemburg – so breiten Spielraum sie, wie jedes neue Gedanken produzierende Buch, der wissenschaftlichen Diskussion bieten mag – zu dem Besten, was die wissenschaftliche Parteiliteratur seit dem Tode von Engels hervorgebracht hat. Diese unsre Ueberzeugung in der Parteipresse auszusprechen, ist unser gutes Recht, das wir uns durch keinerlei Insinuationen verkümmern lassen werden.

Das Recht der wissenschaftlichen Kritik hört erst da auf, wo das absichtliche Herunterreißen beginnt. Wenn der Kritiker des Vorwärts mit Mißbrauch eines Urteils, das der Zweitunterzeichnete vor einiger Zeit über eine völlig wertlose, flüchtig zusammengeschnittene Kompilation gefällt hat, das Buch der Genossin Luxemburg als eine „ähnliche“ Kompilation hinstellen will, so ist das nicht wissenschaftliche Kritik, sondern unwahrhaftige Schmähung.

Es ist Sache des Vorwärts, sie als „musterhaft sachliche Kritik“ zu bewundern. Aber es ist nicht sein Recht, zu Ehren seines Kritikers mit päpstlicher Unfehlbarkeit zwischen „sachverständigen“ und „unsachverständigen Kritikern“ zu unterscheiden. Dazu ist das Zentralorgan der Partei weder befähigt noch berufen, und wir an unserm Teil weisen diese seine – gelinde gesagt – ungehörige Anmassung in der entschiedensten Weise zurück.

20. Februar 1913

F. Karski. Franz Mehring

* * *

An die Redaktion der Leipziger Volkszeitung

In Ihrer Nummer vom 18. dieses Monats schreiben Sie unter dem Titel Aus der Partei. Ein merkwürdiges Vorgehen über „die unwürdige, jeder wissenschaftlichen und sachlichen Methode Hohn sprechende Herunterreißung, die der Vorwärts in der Sonntagsnummer am Buche der Genossin Luxemburg vornimmt“. Die ausführliche Besprechung des Buches der Genossin Luxemburg in der bezeichneten Nummer des Vorwärts ist mit meinem vollen Namen gezeichnet; die oben wiedergegebene Reihe von Beschimpfungen richtet sich daher gegen mich und nicht gegen die Redaktion des Vorwärts, der ich nicht angehöre, und die für diese Besprechung nur soweit die Verantwortung trägt, als sie mich sogleich nach dem Erscheinen des Luxemburgschen Buches mit dessen Besprechung betraut hat.

Sie haben nicht den geringsten Versuch gemacht, die gegen mich geschleuderten Beschimpfungen auch nur im mindesten zu begründen. Ich fordere Sie daher auf, mir auch nur eine Stelle meiner Besprechung, in der ich Gedankengänge der Genossin Luxemburg unrichtig darstelle, oder einen zur Beurteilung des Gesamtwerkes notwendigen Gedankengang der Genossin Luxemburg nachzuweisen, den ich unterdrückt hätte, oder sonst irgendeine positive Grundlage beizubringen für Ihre ebenso leichtfertigen wie ehrabschneiderischen Beschimpfungen.

 
Berlin, 10. Februar 1913
 

Mit Parteigruß,

Gustav Eckstein

 


Zuletzt aktualisiert am 21. Februar 2023