Anton Pannekoek

Das Endziel des Klassenkampfes

(1907)

I.

Wenn unsre Gegner das Wort „Endziel“ vernehmen. so spitzen sie die Ohren und denken wohl: jetzt werden wir endlich zu hören bekommen, wie die Sozialdemokraten ihren Zukunftsstaat einrichten werden. Vielleicht auch sind sie in dieser Hinsicht schon so oft enttäuscht, dass sie begreifen: es wird auch jetzt wohl wieder nichts sein. In der Tat, was sie wünschen, können wir ihnen nicht geben. Sie erwarten, dass wir über die goldene Zukunft reden werden, wenn wir „das Endziel“ ankündigen, und wir reden über die schmutzige Gegenwart. Statt der sozialdemokratischen Zukunftsbilder, nach denen sich ihre Sehnsucht verzehrt, werden ihnen „Bilder aus der Gegenwart“ vorgeführt.

Ihre verkehrten Erwartungen in diesem Punkte stammen aus ihrer Unkenntnis über das Wesen der Sozialdemokratie her. Unsere Forderungen und Ziele sind nicht schöne Erfindungen der Phantasie, sondern notwendige Konsequenzen der harten Tatsachen. Deshalb bieten wir in unserer Agitation den Freunden und den Feinden nicht eine Auseinandersetzung darüber, wie vortrefflich der Sozialismus sei; wir bieten ihnen viel besseres, nämlich den Beweis, wie notwendig der Sozialismus ist. Nun gibt es bekanntlich Schriftsteller, die ausführlich die Unmöglichkeit einer sozialistischen Gesellschaft nachweisen wollen, indem sie deren Grundlinien mit dem Maßstab ihrer kapitalistisch-beschränkten Vorurteile und Gewohnheiten messen. Solchen Leuten kann man einfach entgegenhalten, dass alles Notwendige auch möglich ist; die Notwendigkeit bestimmter Verhältnisse und Einrichtungen zwingt den Menschen solche Anschauungen und Gewohnheiten aus, als eben zu ihrer Verwirklichung notwendig sind. Am besten sieht man das an dem Kapitalismus selbst; würde man einem Menschen aus einer anderen Kulturperiode die Qualen und den Widersinn der heutigen Produktionsweise beschreiben, er würde sie für eine Fieberphantasie, für eine Unmöglichkeit erklären; und dennoch ist sie grauenvolle Tatsache.

Es gibt ernsthafte Männer, welche die Qualen und Missstände des Kapitalismus sehr gut sehen und aufrichtig bedauern. Sie glauben jedoch, dass zu ihrer Abhilfe kein „Umsturz alles Bestehenden“ notwendig sei, sondern dass durch Verbesserungen und Reformen diese Missstände allmählich beseitigt werden könnten. Sie weisen daraus hin, dass der Zusammenschluss der Arbeiter in Gewerkschaften schon im bedeutenden Maßstabe die Löhne verbessert habe, und dass die Anfänge der staatlichen Sozialreform wenigstens bewiesen hätten, wie viel in dieser Richtung getan werden könne, um den Unzuträglichkeiten des Lohnsystems entgegenzutreten. Sie erkennen an, dass in dieser Richtung viel mehr geschehen müsste; aber sie behaupten, dass es möglich sei, durch Weitergehen in dieser Richtung den Kapitalismus für die Arbeiterklasse erträglich zu machen, so dass dann kein Anlass mehr vorliege, sich nach einer andern Produktionsweise zu sehnen.

Es ist wahr, dass die Gewerkschaften schon Bedeutendes geleistet haben, um die Lebenslage der Arbeiterklasse zu verbessern, und auch noch wohl mehr leisten werden. Diese Verbesserung stößt aber, je weiter sie gehen will, auf immer größere Schwierigkeiten. Die erste Schwierigkeit besteht darin, dass die Entwicklung des Kapitalismus nicht in ruhiger Gleichmäßigkeit stattfindet, sondern dass dabei Zeiten der günstigen Konjunktur mit Krisen abwechseln. In einer günstigen Zeit brauchen die Kapitalisten Arbeiter; ihnen winkt bei flottem Geschäftsgang so schönes Gold, dass sie nicht durch Kampf und Streik gestört werden wollen, sondern lieber sofort Lohnforderungen bewilligen. Dann dringt die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterklasse ohne viel Kampf siegreich vorwärts. Bricht aber eine Krise herein, dann ist das Blatt gerade umgekehrt. Durch das Zusammenbrechen zahlreicher Unternehmungen häufen sich massenweise die Arbeitslosen, die zu jedem Preis Arbeit suchen. Werden sich dann auch die Organisierten, die einen Rückhalt an der Organisation haben, nicht zu einer Schleuderkonkurrenz der Arbeitskraft hergeben, so sind die Nichtorganisierten noch ein bedeutender Prozentsatz, besonders in ungelernten Berufen, und können den Lohn schwer drücken. Aber auch davon abgesehen, muss eine Krise in der Regel Lohnherabsetzungen bringen. Die Kapitalisten, denen der Zusammenbruch droht, suchen sich durch Lohnherabsetzung zu halten, und sie wagen oft einen verzweifelten Kampf, weil ihnen doch sonst der Untergang sicher ist. Die Gewerkschaften können sich dem nicht widersetzen und sie müssen froh sein, wenn es ihnen durch eine Reihe fast hoffnungsloser Kämpfe und vorhergesehener Niederlagen gelingt, einen allzu großen Sturz der Lohnsätze zu verhindern. So wirft jede Krise die Arbeiterschaft wieder eine Strecke zurück auf dem mühsam erklommenen Weg oder vermindert das Weitersteigen.

Doch nicht allein diese aus der Natur des Kapitalismus notwendig hervorgehenden Krisen hemmen den Kampf der Gewerkschaften. Auch die großen Kapitalistenbünde und die Kartelle erschweren bedeutende Verbesserungen in der Lebenslage der Arbeiterklasse. Und schließlich stellt der Staat mit seinen Machtmitteln, Justiz, Polizei, Gesetzen, sich in den Weg der kämpfenden Arbeiter. Der Staat in den kapitalistischen Ländern bildet gewissermaßen einen Ausschuss, eine Vertretung der Kapitalistenklasse (worunter hier die ganze Ausbeuterklasse, also auch die Junker, verstanden wird) und betrachtet es als seine Aufgabe, ihre Interessen auch gegen die Arbeiterklasse zu wahren. Diese brutale Einmischung des Staates in die Lohnkämpfe zwingt die Arbeiterklasse, möchte sie sonst noch so sehr anarchistischen oder liberalen Ansichten huldigen, sich selbständig an dem politischen Kampf zu beteiligen. Einmal in die Parlamente eingedrungen, bemerken die Vertreter der Arbeiterklasse bald, wenn sie es sonst noch nicht wüssten, dass der Staat gar nicht gewillt ist, auf ihre bloßen Proteste und Einsprüche hin die Eingriffe zu Gunsten der Kapitalisten zu unterlassen. Sie empfinden dort bald, dass es im inneren Wesen einer kapitalistischen Staatsmacht liegt, die Arbeiterbewegung zu bekämpfen, und dass dies nämliche Ziel der beginnenden Sozialreform zugrunde liegt, die deshalb auch nicht weiter geführt wird, als zur Betörung der Arbeiter nötig ist, ohne die Kapitalisten ernsthaft zu schädigen.

Mit einer parlamentarischen Vertretung allein ist also der Arbeiterklasse noch nicht geholfen; um ihre eigenen Forderungen durchzusetzen und die Verwendung der Staatsgewalt im Dienst der Kapitalisten aufzuheben, muss sie die ganze politische Herrschaft erringen. Als Ziel ihres politischen Kampfes muss sie sich stellen: die Eroberung der politischen Gewalt. Aber dann muss sie sich auch klar darüber werden, wie sie die politische Gewalt gebrauchen will, und welche Gesellschaftsordnung ihr dann am besten passt.

Wir werden an dieser Stelle unterlassen, den Nachweis zu führen, wie eine bloße kräftige, energische und rücksichtslose Sozialreform einer siegreichen Arbeiterklasse notwendig die Gesellschaftsordnung zu einer sozialistischen umwälzen wird. Hier genügt es, den Grund anzugeben, weshalb die Arbeiterklasse sich grundsätzlich mit einer kapitalistischen Produktionsweise, und sei daran noch so viel verbessert, nicht zufrieden geben kann.

Dieser Grund liegt in dem besonderen Charakter der Arbeit unter dem Kapitalismus. Diese Arbeit ist solcher Art, dass sie für die Arbeiter eine Last und eine Qual ist, die ihnen nur Abneigung und Widerwillen einflößen kann. Das liegt nicht in der Natur der Arbeit an sich; die Beispiele sind zahllos, denen zu entnehmen ist, dass Anstrengung von Körper und Geist um etwas zu schaffen, für die meisten Menschen eine Freude und ein Bedürfnis ist. Nicht die Arbeit als natürliche Tätigkeit erregt daher den Ekel und den Hass des Arbeiters, sondern ihre jetzige ökonomische Form. Die Bourgeoisie, die diese Abneigung wohl sieht, aber die jetzige ökonomische Form für ewig und natürlich hält, glaubt sie deshalb einer natürlichen Neigung zur Faulheit, einer natürlichen Abneigung gegen alle Tätigkeit zuschreiben zu müssen, und darauf gründet sie ihre Vorhersagungen von der „Unmöglichkeit“ einer sozialistischen Produktion, weil dann jeder möglichst versuchen werde, sich von seiner Arbeit zu drücken. Hier zeigt sich wieder, wie Sottisen über die Zukunft nur in Unkenntnis der Gegenwart ihre Quelle finden.

Die Arbeit unter dem Kapitalismus ist nicht in erster Linie Anfertigung von nützlichen Gebrauchsgegenständen, sondern Produktion von Mehrwert. Sie ist beides; aber der Kapitalist nimmt Arbeiter in seinen Dienst mit dem Zweck, Mehrwert zu machen, und nur soweit hierfür Produktion von Gebrauchswerten nötig ist, bequemt er sich auch dazu. Er produziert aber gerade so gern nutzlose Schundware und gefälschte oder gesundheitsschädliche Produkte, wenn er dadurch mehr Profit machen kann. Der Profit ist die Hauptsache und das Ziel alles Schaffens, und diesem Ziele dient also die Arbeit der Arbeiter. Sie sind dort in der Werkstatt nicht Menschen, die für ihre Mitmenschen nützliche Güter erzeugen, damit man sich auf diese Weise gegenseitig das Leben bequemer macht; nein, sie sind nur Instrumente zur Produktion von Mehrwert. Jedesmal, wo ihre menschlichen Triebe in Widerstreit geraten mit der Profitgier des Meisters, muss das Menschsein zurücktreten hinter der Funktion des Profiterzeugers. Abwechslung verschiedener Arbeiten, beschränkte Dauer, dann und wann ruhen, hinausschauen, miteinander reden, sich bewegen, sind nötig, um die Arbeit erträglich zu machen; aber sie schmälern den Profit und werden deshalb verboten. Der Profit erheischt das abstumpfende ewige Einerlei der Arbeit, das gespannte ohne Rast und ohne Aufsehen Fortrackern, die Fernhaltung aller störenden Abwechslung. Der Arbeiter ist nicht nur Sklave des Meisters, sondern er ist Sklave der Profitgier des Meisters; wo der Meister als Mensch sonst Rücksichten nehmen würde, drückt die Prositgier ihm die Sklavenpeitsche in die Hände, welche die ermatteten Arbeiter immer aufs neue antreibt. Deshalb ist die Arbeit in unserer Gesellschaft zu einer Höllenqual geworden, die trotz der Abstumpfung durch die Gewohnheit, dem Arbeiter immer aufs Neue Widerwillen einflößt. Dies ist der Charakter der Arbeit unter dem Kapitalismus, unabhängig davon, ob mit ihr etwas mehr oder weniger Lohn verdient wird, also Ernährung und Wohnung besser oder dürftiger sind. Auch der bestbezahlte Arbeiter fühlt sich als Objekt der Ausbeutung, fühlt, dass seine Arbeit nur dem Zwecke dient, Profit zu erzeugen, dass seine Neigungen als Mensch nichts dreinzureden haben. Deshalb wird die Arbeiterklasse sich mit der kapitalistischen Produktionsweise, trotz aller Verbesserung, nie zufrieden geben können.
 

II.

Sobald die Arbeiterklasse sich nun also die Frage vorlegt, welche Produktionsweise sie an die Stelle des für sie unerträglichen Kapitalismus setzen will, so wird sie sofort die Rückkehr zum Kleinbetrieb ausschließen.

Erstens, weil es unmöglich ist. Könnte man auch alle großen Maschinen zerschlagen und die Fabriken niederbrennen, die alte friedliche Ruhe des Kleinbetriebs würde doch verloren sein. Denn in unsern Köpfen sitzt die Wissenschaft, die zusammengepresste Erfahrung und Erfindung vieler Jahrhunderte, die uns befähigt, neue Maschinen zu machen, und trotz der schärfsten Verbote würde in kurzer Zeit eine neue Großindustrie erstanden sein. Die großen und starken Produktivkräfte, die der gegenwärtigen Produktionsweise als Grundlage dienen, können wir einfach nicht vernichten; sie stehen über unsrer Macht.

Aber es würde auch nicht einmal erwünscht sein. Diese Großindustrie, diese Erhöhung der Produktivität hat es ermöglicht, zahlreiche Verbrauchsgegenstände mit geringer Arbeit herzustellen; sie hat unsre Bedürfnisse bereichert, und dem Ärmsten Bequemlichkeiten des Lebens gewährt, auf die früher der Reichste verzichten musste. Sie hat die allgemeine Kultur gewaltig gehoben; Rückkehr zum Kleinbetrieb würde heißen: Rückkehr zur Barbarei.

Die einzige Möglichkeit, die Ausbeutung der großen Masse durch eine kleine Parasitenklasse zu beseitigen, besteht also darin, die Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum überzuführen. Die großen Maschinen können nicht mehr, wie die früheren kleineren Werkzeuge, von jedem einzelnen für sich besessen und benutzt werden. Jeder könnte einen eignen Karren, einen eignen Hammer besitzen; aber jeder kann nicht seine eigne Lokomotive und Eisenbahn und seinen eignen Dampfhammer haben; Lokomotiven und Dampfhammer brauchen wir aber, deshalb besitzen und benutzen wir sie gemeinsam.

Der gesellschaftliche Großbetrieb als Typus der von uns erstrebten Produktionsweise ist nicht von uns erfunden worden; der Sozialismus ist nicht schlau von uns erklügelt worden, als das beste Mittel, um aus der Patsche herauszukommen, in der wir etwa durch die Expropriation der Kapitalisten geraten seien. Der Sozialismus ist der notwendige Nachfolger des Kapitalismus, zu dem jetzt schon allerhand Ansätze, Übergänge und Hinweise vorhanden sind. Nicht aus dem Gehirn, das einen Ausweg aus der Schwierigkeit – kein Kapitalismus, kein Kleinbetrieb, was denn? – suchte, sondern aus den jetzt schon sichtbaren Entwicklungstendenzen des Kapitalismus haben wir die Forderung unsres Endziels geholt.

Der Kapitalismus, wie er jetzt ist, ist nicht mehr der Kapitalismus der guten alten Zeit. Damals rauften sich die Kapitalisten und prügelten einander durch in der freien Luft einer ungezügelten Konkurrenz; wer fiel, blieb liegen, und so wurden der lustigen Kämpfer immer weniger. Wenn ihre Zahl aber so gering geworden ist, dass sie das Schlachtfeld übersehen können, da leuchtet ihnen nach und nach ein, dass es doch eigentlich nichts dümmeres gibt, als sich gegenseitig durch Preisherabsetzungen den Gewinn sauer zu machen, zum Gaudium der Konsumenten. Dann sucht jeder seinen Profit nicht mehr zu erhöhen, indem er seine Kollegen durch die Einführung besserer Arbeitsmethoden und die Verbilligung der Produkte bekriegt, sondern indem er sich mit ihnen zum Zwecke der Hochhaltung der Preise verbindet. Diese neue Bereicherungsmethode kann selbstverständlich erst eintreten, wenn dazu die Verständigung von nur ein paar Dutzend Leuten nötig ist; solange mehrere Hunderte Wettbewerber im Felde stehen, deren jeder seinen eigenen Kopf hat, und jedesmal neue auferstehen können, ist ein solches Bündnis schwer durchzuführen. Ein hohes Maß von Konzentration muss in einer solchen Industrie schon vorhanden sein.

An Stelle der Konkurrenz die Koalition! das ist die Losung des neuen Kapitalismus. Zuerst sind die Koalitionen lose und zeitweilig; sie fangen an mit Abmachungen über die Preise allein. Da aber trotz der Abmachung jeder einzelne doch der Versuchung des Extraprofits nicht widerstehen kann, auch wenn dafür Umgehung oder Brechung des Bündnisses notwendig ist, und da dennoch die Aufrechterhaltung der Koalition im Gesamtinteresse aller ist, muss man zu immer stärkeren Formen des Bündnisses kommen. Dem sündhaften Menschen muss die Gelegenheit zum Sündigen immer mehr eingedämmt werden. Aus den losen Kartellen und Ringen entstehen die Syndikate, die den Einzelkapitalisten die unmittelbare Berührung mit den Abnehmern entziehen. Am weitesten geht die Koalition schließlich in den Trusts, wo dem einzelnen Unternehmer die Herrschaft seiner eigenen Fabrik genommen ist. Hier unterstehen sämtliche koalierten Betriebe einem einzigen Direktorium; die früheren Fabrikanten und Aktionäre sind Teilhaber des ganzen Trusts geworden, der jetzt eine einzige Riesenunternehmung darstellt, die den größten Teil der Produktion eines Landes monopolisiert.

Vergleicht man diese neue Form des Kapitalismus mit seiner klassischen Gestalt, so sieht man als Folge des Wegfallens der freien Konkurrenz einerseits die Aufhebung eines starken Stachels, der zum technischen Fortschritt treibt, und der von den liberalen Lobrednern des Kapitalismus immer als sein großer Vorzug angepriesen wurde. Dieses technische Rückbleiben wird aber anderseits mehr als wett gemacht durch einen andern großen Fortschritt der Produktivität, der in der inneren Organisation der Produktion liegt. Die Zersplitterung des Kleinbetriebs wurde schon durch den Großbetrieb bedeutend eingeengt, aber die innere zweckmäßige Organisation blieb auf das Innere des Betriebes beschränkt, während draußen die völlige Unordnung herrschte. In den Syndikaten und namentlich den Trusts wird die Zersplitterung ganz aufgehoben und die Organisation der Produktion bringt hier den Wegfall zahlloser Unkosten und vieler Kraftvergeudung und damit zugleich schon eine gewisse Anpassung der Produktion an den Bedarf.

Allein diese neuen zweckmäßigen Einrichtungen dienen nur dazu, um die Konsumenten, die große Volksmasse, zu plündern zugunsten einer Handvoll Hundertmillionäre. Der Widersinn des ganzen Kapitalismus, wo alle Fortschritte der Produktion nur einer kleinen Minderheit zugute kommen, findet sich also in seiner neuen Entwicklungsform in höherer Potenz wieder.

Neben den Trusts gibt es noch eine andere Entwicklungsform des Kapitalismus, die zwar nicht erst in der allerneusten Zeit entstanden ist, aber doch eine Entwicklungstendenz dieser Produktionsweise anzeigt. Schon lange gab es besondere Branchen oder Berufsarten, die ihrer besonderen technischen Natur nach für die privatkapitalistische Konkurrenz ein wenig geeignetes Objekt bildeten. So die Eisenbahnen und Straßenbahnen. die Beförderung von Briefen und Paketen, die Versorgung der Städte mit Wasser, Gas, Elektrizität. Wo sie daher als privatkapitalistische Betriebe auftreten, tragen diese den Charakter eines Monopols, und zwar eines gesetzlich verliehenen Monopols. In der Konzession solcher Unternehmungen wird immer gegen bestimmte Verpflichtungen, Abgaben oder Gewinnanteile von der Gemeinde oder vom Staate eine Monopolstellung verliehen. Wenn solche Gesellschaften dabei gute Geschäfte machen, erheben in der Regel die Konsumenten den Ruf nach Verstaatlichung, damit die erzielten Gewinne entweder zur Herabsetzung der Preise oder der Tarife, oder zur Herabminderung der Steuerlast verwendet werden können. In demokratischen Ländern ohne starke sozialistische Bewegung geht diese Triebkraft meist von dem Bürgertum aus, das hier als Vertreter der Konsumenteninteressen auftritt, weil es am schwersten durch die Monopolisten geplündert wird; und dort gelingt es dann sehr oft, Staats- oder Gemeindebetriebe an die Stelle der Privatmonopole zu setzen. In anderen Fällen sind es auch besondere Regierungsinteressen gewesen – wie bei den deutschen Eisenbahnen – die zum Staatsbetrieb geführt haben.

Diese Produktionsform wird oft mit Staatssozialismus und Gemeinde-Sozialismus bezeichnet. Dass es mit diesen Arten „Sozialismus“ noch nicht weit her ist, beweist die Tatsache, dass sie mit einem gleichbedeutenden Wort auch Staatskapitalismus genannt werden. Sie bilden eben eine Zwitterform. Von dem echten Kapitalismus trennt sie die Tatsache, dass eine Körperschaft, welche die Gesellschaft politisch vertritt, Staat oder Gemeinde, als alleiniger Unternehmer auftritt. Hier kann also die Produktion oder der Betrieb ganz dem Bedürfnis angepasst werden; sie ist hier bewusst geregelt. Durch diese Eigenschaft benutzen wir sie oft in unsrer Propaganda als Beispiel für unsre Behauptung, dass eine Regelung der Produktion sehr gut möglich ist durch den Regelmaß, die Gesetzmäßigkeit des Konsums, sobald es Massenkonsum ist. Dagegen haben diese Betriebe mit dem Kapitalismus gemein, dass sie auf Ausbeutung beruhen; die Arbeiter in diesen Betrieben werden ausgebeutet, aus ihnen wird ein Profit herausgeschlagen, und während die besondere Natur ihres Unternehmers in demokratischen Ländern, wo die im Parlament auftretende öffentliche Meinung Einfluss hat, für sie einen Vorteil bietet, bildet sie durch die größere Abhängigkeit und Versklavung einen Nachteil in absolutistisch regierten Ländern.

Deshalb ist es auch völlig daneben geschlagen, wenn unsre Gegner diese Staatsbetriebe als Musterbeispiele des Sozialismus hinstellen wollen. Das sind sie durchaus nicht; wir führen sie nur an als Beispiele der Ordnung, die in der Produktion möglich ist. Aber sind sie noch kein Sozialismus, so sind sie auch schon der rechte Kapitalismus nicht mehr. Ihre Entwicklung weist schon hin auf eine neue, höhere und bessere Produktionsweise.

Man könnte uns hier entgegenwerfen, und zwar mit Recht, dass nur die sehr besondere technische Natur dieser Betriebe sie für die Staats- oder Gemeindeexploitation geeignet machte, und dass die besondere Natur der anderen Industrien diese besser für den Privatbetrieb eignet. Dieser Einwurf ist richtig, oder war wenigstens richtig; denn erst die neueste Entwicklung hat ihn unrichtig gemacht. Nicht von Sozialisten, sondern von zahlreichen bürgerlichen Wortführern wird in Amerika die Forderung der Verstaatlichung der Trusts erhoben. Zwar ist diese noch nicht zur Tatsache geworden; aber die Forderung beweist, dass jetzt in Amerika diese Industrien, bisher unbestrittene Tummelplätze privatkapitalistischer Gründungen und Unternehmungen, für den Staatsbetrieb reif erachtet werden. Das Nämliche gilt für die Kohlensyndikate in Deutschland. Durch die Entwicklung dieser neuen kapitalistischen Betriebsformen zu privaten Monopolen ist die Voraussetzung erfüllt, die nötig ist, um sie zu öffentlichen Monopolen umzubilden.

In den Trusts und den öffentlichen Betrieben zeigen sich also die Entwicklungstendenzen des modernen Kapitalismus. Sie zeigen, dass die Ideale des Sozialismus nicht aus der Luft gegriffen, nicht in dem Gehirn ausgedacht, sondern der Wirklichkeit entnommen werden. Diese Entwicklung zeigt, dass die wichtigsten, der ganzen gesellschaftlichen Produktion zugrunde liegenden Industrien immer mehr zu Monopolen in den Händen einer kleinen Gruppe von Millionären werden, die ihre Herrschaftsstellung zur schamlosesten Ausbeutung der weitesten Volksklassen benutzen. Diese Monopole in die Hände der Gemeinschaft überzuführen, damit sie von Ausbeutungsmitteln zu Grundlagen einer vernünftigen Wirtschaft werden können, muss das nächste Ziel einer in die ökonomische Entwicklung eingreifenden revolutionären Klasse sein.

Dies bedeutet aber nicht einfach die Überführung dieser Monopole in Staatsbetriebe. Der jetzige Staat ist kein Vertreter der großen Volksgemeinschaft, sondern der besitzenden Klasse. In Amerika haben die Trustherren eine Verstaatlichung des Trusts schon im Voraus unwirksam gemacht durch ihre Vertrustung des Staates. Die Grundbedingung für die Umwälzung der ökonomischen Verhältnisse ist daher die Besitzergreifung der Staatsgewalt durch das Proletariat. Der siegreich zu Ende geführte Kampf um die Eroberung der politischen Gewalt wird erst die Arbeiterklasse in den Stand setzen, den Kapitalismus aufzuheben und durch den Sozialismus zu ersetzen.


Zuletzt aktualisiert am 13. Dezember 2019