Parvus

Die preußischen Landtagswahlen [1]

(Oktober 1893)


Aus: Die Neue Zeit, XII. Jahrgang 1893–94, I. Band, Heft 2, 4. Oktober 1893, S. 37–46, gezeichnet mit „Unus“.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.



Bernstein schlägt vor (Nr. 52 des vorigen Jahrgangs), die Sozialdemokratie solle versuchen, in den preußischen Landtag, d. h. in das Abgeordnetenhaus einzudringen. Da heißt es, zunächst darüber klar zu werden, welche Hindernisse dem entgegenstehen?

Das Dreiklassen-Wahlsystem, aber dies nicht allein. Um das Dreiklassensystem gruppieren sich, teilweise mit demselben geistig verwandt, teilweise durch dasselbe direkt bedingt, eine Anzahl anderer Missstände – Missstände selbstverständlich vom sozialdemokratischen Standpunkte aus – die gar nicht zu verachten sind.

Da ist z. B. das Erfordernis des dauernden Aufenthaltes des Wählers am Wahlorte. [2] Bei der großen Fluktuation der Arbeiterbevölkerung annulliert dies tatsächlich das Wahlrecht einer bedeutenden Zahl der Arbeiterschaft.

Dann die Öffentlichkeit der Stimmabgabe. Die abgegebene Stimme wird feierlich protokolliert. Wir wissen, wie sehr die Gegner bestrebt sind, auch bei der geheimen Reichstagswahl eine Kontrolle der Stimmabgabe durchzuführen. Hier ist nun der wirtschaftlich abhängige Arbeiter dem Kapitalisten vollkommen ausgeliefert. Wahlbeeinflussungen der allerschlimmsten Art sind dadurch Tür und Tor geöffnet. Wie das gemacht wird, erhellt zur Genüge aus den Berichten der Wahlprüfungs-Kommissionen des Abgeordnetenhauses. Aus diesen Berichten ersieht man auch, dass jeder Protest dagegen beim Abgeordnetenhause nur unnütze Zeitvergeudung ist. [3]

Dazu kommt noch, dass der Protokollführer und die Beisitzer vom Wahlvorsteher ernannt werden (wie auch bei der Reichstagswahl). Der Wahlvorsteher steht aber unter dem Einfluss der Kapitalisten oder Junker, wie jeder Andere, oder er gehört selbst zu diesen. Dadurch wird die ganze Wahloperation in die Hände der oberen Klassen gelegt, was bei der Öffentlichkeit der Wahl besonders schlimme Folgen haben muss. Ein weiteres Übel ist, dass die Urwahlbezirke nichts Festes sind, sondern jeweilig von der Ortsbehörde eingeteilt werden und umgeteilt werden können. Bei dem Dreiklassensystem kann man aber auf diese Weise durch ein einfaches mathematisches Spiel das Wahlresultat nach einer im Voraus bestimmten Richtung verschieben.

Doch im Vordergrund des Ganzen steht das Dreiklassen-Wahlsystem selbst. Seine Wirkung ist eine mannigfaltige, je nach der Verteilung des Einkommens in der betreffenden Gegend, also nach der größeren oder geringeren Konzentration des Kapitals, und nach der Einteilung der Urwahlbezirke. Doch seine allgemeine Tendenz geht dahin, die ersten zwei Klassen in eine Domäne des Kapitals zu verwandeln.

Inwiefern ist das „gemeine Volk“ jetzt schon aus den ersten zwei Abteilungen ausgeschlossen? Dies ist schwer zu bestimmen, allein als Beispiel in dieser Beziehung möge die Stadt Köln dienen, für welche bei der Beratung des Miquelschen Einkommenssteuer-Gesetzes die parlamentarische Kommission eine Übersicht der Urwahlbezirke mitgeteilt hat. Es sind angegeben die Zahl der Wähler jeder Abteilung in jedem Bezirk und der Steuerbetrag, den je der letzte Wähler der Abteilung I und der Abteilung II in dem Bezirk zahlt. Mit Zuhilfenahme des Steuertarifs lässt sich nun das Einkommen dieses letzten Wählers ermitteln. Auf diese Weise kommen wir zu folgender Zusammenstellung:

Nummer

Der letzte Wähler hat ein

Zahl der Bezirke

 

Einkommen von Mark

1. Abteilung

2. Abteilung

1

über 9.500

  76

  15

2

6.000–9.500

  30

  22

3

4.200–6.000

  15

  32

4

3.000–4.200

  15

  25

5

2.100–3.000

  11

  31

6

1.500–2.100

  1

  13

7

1.000–1.500

    8

8

   900–1.000

    2

 

Überhaupt

148

148

Da das Einkommen eines Arbeiters selten 900 Mark übersteigt, so ist die Arbeiterschaft aus den ersten zwei Abteilungen gänzlich ausgeschlossen. In der Abteilung II werden die letzten Rubriken unter Nummern 6, 7, 8 wohl dem niederen Kleinbürgertum angehören, während de ersten Nummer 1 und 2 kapitalistisch sein werden. Man beachte, dass die angegebenen Einkommen die des jedesmaligen letzten Wählers sind, also werden in jeder Abteilung noch bedeutend höhere Einkommen als das dieses Wählers vertreten sein. Deshalb kann man auch nach der angegebenen Tabelle die Stellung der mittleren Gruppen (Nummern 3, 4, 5) der Abteilung II nicht gut bestimmen. Es lassen sich aber weitere Resultate gewinnen, wenn man dem Einkommen des letzten Wählers der Abteilung II das Einkommen des letzten Wählers der Abteilung I desselben Wahlbezirks gegenüberstellt und auf diese Weise den Spielraum, innerhalb dessen sich die Einkommen der Abteilung II bewegen, begrenzt. Wir bilden für die Nummer 3, 4, 5 der Abteilung II folgende Übersicht:

>

 

Es haben die Wähler ein Einkommen von Mark

In Bezirken
(Zahl der Bezirke)

Untere Grenze

Obere Grenze

a

2.100–3.000

3.000–4.200

  8

b

3.000

4.200

  1

c

2.100–3.000

4.200–9.500

12

d

2.100–3.000

6.000–9.500

  2

e

3.000–4.200

6.000–9.500

17

f

4.200–6.000

6.000–9.500

  9

g

2.100–3.000

9.500

  9

h

3.000–4.200

9.500

  7

i

4.200–6.000

9.500

23

 

Zusammen

88

Die Rubriken i und h sind offenbar kapitalistisch; weniger sicher, aber doch wahrscheinlich, gilt das auch hier für die Rubrik f; der Charakter der Rubrik g hängt von der geringeren oder stärkeren Vertretung der unteren Sätze ab – hier kämpft das besser situierte Kleinbürgertum mit dem Kapital; in den Rubriken e und d derselbe Kampf, doch mit einem sehr wahrscheinlichen Übergewicht des Kleinbürgertums; die übrigen Rubriken gehören unbestritten dem Kleinbürgertum. Hier sind auch die liberalen Berufsarten am meisten vertreten und zwar mit einer stärkeren Besetzung der kleineren Einkommensstufen.

Was die Abteilung I in der ersten Tabelle anbetrifft, so ist unseres Erachtens in ihr nur die Rubrik 6 mit einem gewissen Recht dem Kleinbürgertum zuzuzählen; die Rubrik weist zwar auch als niedrigsten Satz ein kleinbürgerliches Einkommen auf, allein da in derselben Abteilung auch die höchsten Einkommen der bezüglichen Wahlbezirke enthalten sind, so muss diese Rubrik als eine ungewisse bezeichnet werden. Die Rubriken 1, 2, 3, 4 bezeichnen wir als kapitalistisch (wir haben diesmal auch die Rubriken 3 und 4 hinzugezählt, eben in Anbetracht der Vertretung der höchsten Einkommen).

Als Ergebnis unserer Untersuchung können wir nunmehr folgende Tabelle aufstellen:

Verteilung der Urwahlbezirke der ersten und zweiten Abteilung nach der dominierenden Besitzgruppe:

Kapitalisten

Besseres Kleinbürgertum

Niederes Kleinbürgertum

Ungewiss

1. Abt.

2. Abt.

1. Abt.

2. Abt.

1. Abt.

2. Abt.

1. Abt.

2. Abt.

(Nr. 1) 76

(Nr. 1) 15

(Nr. 6) 1

(a)   8

(Nr. 6) 13

(Nr. 5) 11

(g) 9

(Nr. 2) 30

(Nr. 2) 22

(b)   1

(Nr. 7)   8

(Nr. 3) 15

(i) 23

(c) 12

(Nr. 8)   2

(Nr. 4) 15

(h)   7

(d)   2

(f)   9

(e) 17

Zus. 136

     76

1

     49

23

11

    9

Jede Abteilung wählt ein Drittel der Wahlmänner. Angenommen, dass die Wahlkreise alle gleich groß sind, so können wir die Zahl der Wahlmänner jeder Abteilung jedes Wahlbezirks mit derselben Größe, etwa 1 bezeichnen. Im Ganzen wären nach dieser Annahme in Köln zu wählen 148X3X1 (?) =444 Wahlmänner, und in den ersten zwei Abteilungen zusammen 296. Davon wählen die Kapitalisten 212. Sie haben also zwar die erdrückende Majorität in der ersten und zweiten Abteilung, aber keineswegs die absolute Mehrheit sämtlicher Wahlmänner. Als Gegengewicht wirkt die dritte Abteilung. Diese wird gefüllt durch das Arbeitervolk. Wohl kommen hier noch einige versprengte Teile der oberen Klassen hinzu, aber da innerhalb jeder Abteilung die Majorität entscheidet, so ist der Einfluss dieser Elemente bei einer nur einigermaßen bedeutenden Wahlbeteiligung der Arbeiter gleich Null.

Die Situation ist die:

Kapitalisten

212

Kleinbürgertum

  64

Ungewiss

  20

Arbeiter

148

Absolute Mehrheit

223

Alles in Allem zeigt unser Beispiel, dass das „gemeine Volk“ aus den ersten zwei Klassen noch nicht ganz verdrängt ist. Als Kleinbürgertum ist es noch in beiden Abteilungen vertreten. Im Allgemeinen ist die Stellung des Kapitalistentums ziemlich fest, dasselbe beherrscht aber doch noch nicht ausschließlich die Situation. Das Kleinbürgertum kann keine selbständige Rolle spielen – wenn die Arbeiter als besondere Partei an den Wahlen teilnehmen. In solchem Falle gilt es einen Kampf zwischen Arbeitertum und Kapitalistentum, wobei die Kleinbürger das Zünglein der Waage halten. Wenn aber die Arbeiter am Wahlkampf nicht teilnehmen, dann kommt in der dritten Abteilung das Kleinbürgertum zur Geltung; auch die Klientel des Kapitalistentums erhält dann dort eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Wenn die Kleinbürger keine geschlossene Partei bilden, dann haben die Kapitalisten gewonnenes Spiel. Doch wenn sie sich organisieren, können sie wohl den Wahlkampf aufnehmen. Darum haben hier die Antisemiten einen fruchtbaren Boden, wenn die Sozialdemokratie nicht dazwischenkommt. Tun sie es, so kann das Kleinbürgertum nichts machen ohne ihre Beihilfe.

Das Dreiklassen-Wahlsystem ist seinem ganzen Wesen nach ein Kompromisssystem. Seine Tendenz ist wohl die, eine ausschließliche politische Domäne der Reichen zu schaffen, allein so lange es noch einen Mittelstand gibt, ist dieser Effekt nicht erreicht. Es ist ein feiges System. Es fürchtet die kapitalistische Übermacht – darum beruht es weder auf dem demokratischen Prinzip des allgemeinen gleichen Wahlrechts noch auf einem streng durchgeführten Zensus, der das Proletariat gänzlich ausgeschlossen hätte. Statt eine Partei des Mittelstandes zu bilden, erreicht es damit, dass es gerade der Mittelstand ist, der den Kürzeren zieht, wenn sämtliche Parteien an der Wahlbewegung energisch teilnehmen. Darum beruht es schon in seiner Anlage auf Kompromissen. Nur durch die schwache Beteiligung bei den Wahlen und dadurch, dass die stärkste Partei Deutschlands, die Sozialdemokratie, überhaupt darauf verzichtet, an diesen Wahlen teilzunehmen, wird es bedingt, dass die konservative Herrschaft im Abgeordentenhause so ganz unangefochten fortdauert.

Auf der Erkenntnis dieser Sachlage beruht nun der Bernsteinsche Vorschlag. Derselbe hat schon mehrere Ergänzungen gefunden: im Vorwärts und in der Neuen Zeit den Mehringschen Brief. Derselbe enthält viel Beachtenswertes, nur scheint uns Mehring im Wesentlichen Bernstein missverstanden zu haben. Mehring sucht mit viel Witz zu beweisen, dass die freisinnigen Politiker auf keine Weise in der Welt gebessert werden können, dass also die Wahl eines Freisinnigen keine kulturelle Errungenschaft sei. Nichts lag aber Bernstein unseres Erachtens ferner als dies annehmen zu wollen. Er will nicht den Freisinnigen Mut und sozialistische Weisheit einflößen, sondern einfach ihre Notlage ausnutzen, um Sozialdemokraten durchzubringen. Der Teufel frisst nur in der Not Fliegen, nur in der Not entschließen sich die Freisinnigen, Sozialdemokraten zu wählen – gewiss, aber darauf kommt es eben an, ihnen eine solche Not zu schaffen, – ihnen Daumenschrauben aufzulegen, ihnen auf die Hühneraugen zu treten. Es handelt sich darum, einige der Freisinnigen beim Schopf festzuhalten und sie erst dann freizulassen, wenn die freisinnige Partei sie durch die Wahl sozialdemokratischer Kandidaten einlöst. Ja, die Sozialdemokratie soll sogar dem Freisinn zu einigen Mandaten mehr verhelfen, aber nicht weil sie von den auf diese Weise gewählten Freisinnigen besondere Heldentaten erwartet, sondern wieder nur, um als Tausch auch ihrerseits die freisinnige Unterstützung erhalten.

Eine andere Frage ist die, ob nicht die Sozialdemokratie dabei von den Freisinnigen geprellt werden würde. Unmöglich ist dies freilich nicht, allein gerade die Unvollkommenheiten des Wahlsystems kommen hier der Sozialdemokratie zu Gute. Nicht etwa, dass, wie Bernstein meint, die Wahlmänner radikaler wären als die Wählermasse – vielmehr scheint uns in dieser Beziehung, was die bürgerlichen Parteien anbetrifft, Mehring Recht zu haben, der das Gegenteil behauptet. – Zu Gute kommt der Umstand, dass die eigentliche Wahl, die Abgeordnetenwahl, durch eine relativ geringe Zahl von Personen geschieht, deren Verhalten sich leichter im Voraus bestimmen lässt, und dass die Wahl eine öffentliche ist, also eine vollkommene Kontrolle erlaubt. Es ist etwas Anderes, wenn bei der Reichstagswahl von einer Partei eine Parole ausgegeben wird, und die Wählerschaft die Parole nicht befolgt, den da handelt es sich um die Massen, nämlich um die undisziplinierten Massen einer bürgerlichen Partei, deren Verhalten schwer zu bestimmen ist, auch kann bei der Stichwahl noch die bis dahin indifferente Masse in den Kampf treten. Bei der Landtagswahl aber lässt sich von dem Moment an, wo die Wahlmänner gewählt sind, das Verhalten fast jeder einzelnen Person bestimmen und kontrollieren. Bei einer Reichstagsstichwahl werden Beschlüsse meistens nur von einem unbedeutenden Teil der Wählerschaft in einer Versammlung gefasst, darum bürgt auch nur Weniges dafür, dass diese Beschlüsse ausgeführt werden. Bei einer Landtagswahl ist es aber möglich, sämtliche Wahlmänner einer Partei zu versammeln, also sämtliche dabei mitwirkende Personen, und wenn diese Versammlung einen Beschluss fasst, der sich auf sie selbst bezieht und von dem sie weiß, dass seine Durchführung sich genau verfolgen lässt, so ist man wohl berechtigt, anzunehmen, dass dieser Beschluss wirklich ausgeführt sein wird. Außerdem, da die Wahl eine öffentliche, so kann sein Verlauf kontrolliert werden, und im extremsten Fall, das Verhalten der Sozialdemokraten noch am Wahltage selbst geändert werden, je nach dem Verhalten ihrer Gegner oder ihrer momentanen Verbündeten.

Der Vorwärts fragt: „Sollen unsere Wahlmänner damit drohen, für die Konservativen zu stimmen, wenn der Freisinn ihnen keine Zugeständnisse macht? Solche Drohungen wirken doch nur, wenn man an ihren Ernst glaubt; und wer von uns würde mit ihrer Verwirklichung Ernst machen wollen?“ Aber der Vorwärts sagt selbst an anderer Stelle: „Je stärker wir werden, desto mehr bedeutet unsere Stimmenthaltung weiter nichts, als dass wir den Konservativen zu Siegen verhelfen.“ Man braucht also gar nicht zu drohen, für die Konservativen zu stimmen, um den Freisinnigen Furcht einzuflößen, es genügt die Drohung der Wahlenthaltung.

E steht aber im Falle eines Wahlbündnisses für den Freisinn gar nicht ein Verlust in Frage, sondern der Gewinn einiger Mandate, wofür er seinerseits der Sozialdemokratie einige konservative Wahlkreise ausliefern muss – wird der Freisinn dieses Geschäft wagen? Warum denn nicht? Man sagt allerdings, der Freisinn werde durch die Wahlbeteiligung der Sozialdemokratie sogar in eine besondere günstige Lage gebracht, indem er zwischen einem konservativ-liberalen Kartell und einem freisinnig-sozialdemokratischen Bündnis wählen kann, und folgert daraus, dass er das Erstere vorziehen wird. Jedoch gesetzt, die Konservativen, in ihrer Angst vor dem Ansturme der Sozialdemokratie, entschließen sich, den Freisinnigen einige Wahlkreise freiwillig abzutreten, wenn diese nur ihr Bündnis mit der Sozialdemokratie aufgeben, was erfolgt dann? In diesem Moment, wo dies geschieht, proklamiert die Sozialdemokratie Wahlenthaltung. Die Situation ändert sich, die Konservativen bekommen auf der ganzen Linie das Übergewicht über die Freisinnigen, und dass sie sich in diesem Falle den Teufel um ihre eben mit dem Freisinn eingegangene Vereinigung kümmern und die Freisinnigen aufs Haupt schlagen werden, liegt auf der Hand.

Das ist eben die gute Wirkung des Dreiklassensystems, dass es zunächst die politische Macht des Mittelstandes bricht, indem es ihn aus den ersten zwei Klassen zum großen Teil hinausdrängt und in der dritten der zahlenmäßigen Übermacht des Proletariats ausliefert. Für den Freisinn handelt es sich nicht darum, ob er mit den Sozialdemokraten oder mit den Konservativen siegen soll, sondern ob er mit der Sozialdemokratie siegen oder ohne die Sozialdemokratie fallen soll. Die Konservativen brauchen die Hilfe des Freisinns nicht, denn sie haben die übergroße Mehrheit in der ersten und zweiten Abteilung, folglich würden sie auch bei der Wahlenthaltung der Freisinnigen über die Sozialdemokratie siegen – und ein Bündnis zwischen Freisinn und Sozialdemokratie kann ihnen gefährlich werden.

Wenn es der Sozialdemokratie gelungen wäre, in einer bedeutenden Zahl von Wahlkreisen wenigstens die große Mehrheit der Wahlmänner der dritten Abteilung zu stellen, dann könnte sie unseres Erachtens wirklich darauf rechnen einige Landtagsmandate zu erobern. Aber inwiefern wird sie es tun können?

Der Vorwärts zweifelt sehr berechtigterweise an dem Erfolg.

Das Dreiklassensystem steht dabei zwar nicht mehr im Wege, im Gegenteil, es ist sogar nützlich, indem er wenigstens einen Teil der Gegner in den ersten zwei Klassen absorbiert, dagegen – der ganze Wahlmodus, worauf auch der „Vorwärts“ verweist. Wir haben diese Missstände des Wahlverfahrens schon eingangs erwähnt. Es wird dem Arbeiter schwer fallen, vor seinem Fabrikanten oder Werkmeister, der im Wahlbüro sitzt, seine sozialdemokratische Stimme zu Protokoll zu geben. Man bedenke, dass wenn die Sozialdemokratie sich in Preußen allgemein an der Landtagswahl beteiligt, sie eben dadurch das geheime Wahlverfahren der Reichstagswahl für Preußen zu nichte macht.

Wenn aber der Versuch unglücklich ausfällt, was wird die Folge sein? Ebenso wie ein misslungener Streik wirkt eine misslungene Wahl demoralisierend. Es schwindet das Vertrauen in de eigenen Kräfte, eine Enttäuschung tritt ein, Zweifel an der Richtigkeit der eingeschlagenen Taktik entstehen. Material zu Enttäuschungen wird es aber übergenug geben, zumal man die Resultate der Landtagswahl unwillkürlich an dem Maßstab der großartigen Erfolge der Reichstagswahl messen würde. Auch würde das Ansehen der Partei unter einem unbefriedigenden Ausfall der Landtags-Beteiligung leiden.

Unter solchen Umständen ist die Frage nur allzu sehr gerechtfertigt: Zu welchem Zweck denn all das? Was kann dadurch erreicht werden?

Dass der Landtag ein „Parlamentsleichnam“ ist, das mag wohl hingehen, nämlich in dem Sinne, dass jetzt, bei der schwachen Wahlbeteiligung, das Abgeordnetenhaus nichts weniger als eine Volksvertretung sei. Dennoch aber ist der Landtag eine kräftige Institution mit einer sehr ausgedehnten Machtsphäre. Eben dass er die „Popularität“ entbehren kann, macht ihm stark. Wir verweisen auf die treffenden Ausführungen Bernsteins. Was der Landtag leisten kann, das hat er eben durch die Einkommenssteuer-Gesetzgebung gezeigt. Die Finanzen, das Justizwesen, die innere Verwaltung, das Volksschulwesen liegen gesetzgeberisch in der Machtsphäre des Landtags, wie überhaupt die ganze Gesetzgebung Preußens. Außerdem kann er Untersuchungs-Kommissionen ernennen, Minister zur Verantwortung ziehen etc. Man sagt, die Politik des Landtags richte sich nach der Politik des Reichs. Mag sein, aber jedenfalls auf eine sehr sonderbare Weise: Je mehr die Demokratie im Reichstage vordringt, desto reaktionärer wird der Landtag. Das allerdings diesmal niedergeworfene, aber noch keineswegs abgetane Zedlitzsche Volksschulgesetz zeigt dies zur Genüge. Es wäre auch ein Wunder, wenn die Reaktionäre ihre Macht im Landtag nicht dazu verwenden wollten, den demokratischen Tendenzen im Reich entgegenzuwirken.

Kann man aber wirklich die Reaktion im Landtag selbst besiegen? Bernstein denkt bekanntlich sogar daran, den Bundesrat auf diese Weise zu beeinflussen. Wir glauben, da hegt Bernstein allzu optimistische Hoffnungen. Diese Hochburg der Reaktion hat ja außer dem Wahlsystem des Abgeordnetenhauses noch eine viel wichtigere Stütze: das Herrenhaus. Und kein Beschluss des Abgeordnetenhauses ist gültig ohne Zustimmung des Herrenhauses. Man hat also gegen sich nicht nur das Dreiklassensystem und den Wahlmodus, sondern noch das Zweikammersystem.

Dennoch hat unseres Erachtens der Landtag für die Arbeiterschaft nur die Bedeutung als Agitationsstätte und Agitationsgegenstand. Auch dies ist nicht zu unterschätzen, und hätte das deutsche Proletariat keine andere Möglichkeit, sich politisch zu betätigen, so hätte es sicher seine Hauptkraft hierher gerichtet. Allein es ist für die politische Betätigung des Proletariats ein weites Feld eröffnet im Reich, auf Grund des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts, und neben dieser Betätigung wird und muss die Beteiligung an den Landtagswahlen für die Arbeiterschaft eine höchst unbedeutende Rolle spielen.

Aber eine sehr große Bedeutung hat die Landtagswahl, und darauf wollen wir ganz besonders aufmerksam machen, für die Agitation unter den Bauern.

Die Bauern können sich unmöglich in demselben Grade für die Reichstagswahlen interessieren wie die Arbeiter. Die Arbeiterschutzgesetzgebung berührt sie nicht und die indirekten Steuern haben für die Bauern eine weitaus geringere Bedeutung als für die Arbeiter. Dagegen machen sich allen preußischen Bauern viel mehr die direkten preußischen Steuern fühlbar – noch unlängst lastete auf ihnen die Grundsteuer; auch liegt die gesamte Agrarpolitik in den Händen des Landtags, und der Landtag ist es, der gesetzgeberisch die Gemeindeverwaltung und Gemeindebesteuerung reguliert; nicht zu verachten ist ferner, dass die Domänenverwaltung Preußens unter der Kontrolle des Landtags steht. Folglich knüpfen die Bauern viel mehr Interessen an den Landtag als an den Reichstag.

Gewiss, die hauptsächliche Aufgabe der Sozialdemokratie ist die Aufklärung der Massen. Aber nicht nur darin besteht ihre Tätigkeit, sondern auch in der Organisation und in der politischen Schulung der Massen. Übrigens scheint es uns, dass eine strenge Scheidung zwischen politischer Betätigung und Aufklärung sich nicht einmal durchführen lässt. Die Aufklärung der Massen kann nicht schulmäßig betrieben werden. Man kann nicht die Massen nach dem Buche lehren, sondern die Aufklärung der Massen geschieht durch die Praxis, durch die politische Betätigung, durch den sozialen Kampf. Hier lernen sie ihre Gegner und ihre eigene gesellschaftliche Stellung kennen und werden durch den Kampf immer weiter getrieben auf dem Wege der sozialen Revolution.

Um die Bauern aufzuklären, um sie für die Sozialdemokratie zu gewinnen, muss man sie mit in die politische Agitation hineinziehen. Aus dem Vorhergehenden ergibt sich aber, dass man durch den Landtag viel mehr Anknüpfungspunkte mit den Bauern erhält als durch den Reichstag. Wäre die Sozialdemokratie im Landtag vertreten, so hätte sie eine fortwährende politische Verbindung mit den Bauern unterhalten können, ebenso wie sie es jetzt durch Vermittlung des Reichstags mit den Arbeitern tut. Sie hätten tausend Gelegenheiten gehabt, für die Interessen des Bauerntums einzutreten und im Kampfe mit der agrarisch-kapitalistischen Sippschaft hätte sie die Aufmerksamkeit des Bauerntums auf sich gelenkt und sein Interesse an sich geknüpft. So aber geht jetzt diese Gelegenheit verloren. So wichtige, besonders für den Bauern wichtige Angelegenheiten wie die Abschaffung der Grundsteuer, die Einkommenssteuer-Reform, die Erbschaftssteuer, die Gemeindeordnung passierten den Landtag, ohne von der Sozialdemokratie für die Bauernagitation recht ausgenutzt werden zu können.

Ihre Anhängerschaft hat die Sozialdemokratie auf dem flachen Lande hauptsächlich unter dem Kleinbauerntum. Allein das Kleinbauerntum macht nach der Aufnahme von 1882 86,7 Prozent der Landbevölkerung aus (Besitz bis 10 Hektar), und in den Gegenden, wo der Großgrundbesitz noch nicht sehr entwickelt ist, ist das Kleinbauerntum tatsächlich ausschlaggebend bei den Landtagswahlen. Wenn es der Sozialdemokratie gelungen wäre, das Kleinbauerntum zu gewinnen, dann könnte sie im Landtag sogar als eine ansehnliche Macht erscheinen.

Aber in der Politik gibt es, wie überall, lauter Wechselwirkungen. Um in den Landtag in bedeutender Zahl hineinzudringen, muss man vorerst das Kleinbauerntum erobern, und das Kleinbauerntum erobert man am besten – durch den Landtag. Allein, das Bauerntum zu gewinnen, ist schon für sich eine wichtige Sache, denn hat man das Bauerntum, so hat man auch den Reichstag.

Dies alles sind, unserer Meinung nach, Erwägungen, die wohl in Betracht gezogen werden müssen bei der Entscheidung der Frage, ob die Sozialdemokratie sich an den Landtagswahlen beteiligen soll.

De wichtigsten Bedenken gegen die Landtagswahl sind wohl die prinzipieller Natur, wie sie Paul Singer im zweiten Vorwärts-Artikel zusammengefasst hat. Jedoch von einem eigentlichen prinzipiellen Verstoß kann hier wohl gar nicht die Rede sein. Gesetzt, es herrschte auch für den deutschen Reichstag dasselbe Dreiklassen-Wahlsystem, würde sich da die Sozialdemokratie an den Wahlen nicht beteiligen? Würde sie auf jegliche politische Tätigkeit verzichten? Gewiss nicht. Aber wenn die Beteiligung an der Wahl ein prinzipieller Verstoß wäre, so müsste er es unter allen Umständen sein. Also glauben wir, dass man nicht den Satz aufstellen kann: „Die Beteiligung der Sozialdemokratie an irgend einer Wahl muss die Möglichkeit zur Voraussetzung haben, selbständig, aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe eine sozialdemokratische Vertretung in der betreffenden Körperschaft zu schaffen.“

Worauf es ankommt, ist, ob sich eine grundsätzliche sozialdemokratische Agitation bei den Landtagswahlen durchzuführen ist. Dies ist, glauben wir, das springende Moment in der ganzen Sache.

Die Landtagswahl zerfällt in zwei getrennte Akte: Wahl der Wahlmänner und Wahl der Abordneten.

Beim ersten Teil, bei der Wahl der Wahlmänner, sehen wir keinen Grund, warum hier die Agitation weniger prinzipiell ausfallen sollte, als bei der Reichstagswahl. Weil man nicht die Aussicht hat, hier durch eigene Kräfte einen Abordneten durchzubringen? Aber die Sozialdemokratie stellt doch auch Zählkandidaturen auf, und dies stört den prinzipiellen Charakter des Wahlkampfes nicht. So wird es auch bei der Landtagswahl sein. Aber gerade auf diesen ersten Akt des Wahlverfahrens kommt es an, denn hier handelt es sich um die Massen und um die Agitation unter den Massen.

Beim zweiten Akt kommt die beschränkte Zahl der gewählten sozialdemokratischen Wahlmänner in Betracht, wir können wohl sagen, die Auserwählten, in dem Sinne, dass dies Diejenigen sind, die sich politisch am meisten zurechtfinden, am meisten betätigen, deren Ansichten klarer und schärfer ausgeprägt sind. Sollen diese nun in Verwirrung gebracht werden können durch die Kompromissbildung? Auch bei den Reichstagswahlen gibt es ja Gelegenheiten, wo Sozialdemokraten für bürgerliche Kandidaten stimmen! Ja, meint Singer, aber mit einem gewissen Unterschied: dort geschieht es aus freien Stücken und gewissermaßen, um, das Schlimme wählend, das Schlimmste zu vermeiden, um Beelzebub durch den geringeren Teufel hinauszutreiben, während hier ein Tauschgeschäft eingegangen wird. Auch wir sehen diesen Unterschied, doch erscheint er uns anders: in dem einen Fall werden sozialdemokratische Massen dem Gegner zugeführt, und das Resultat ist, dass dieser Gegner gewählt wird, in dem anderen stimmen sozialdemokratische Vertreter für einen Gegner, um dadurch einen Sozialdemokraten durchzubringen – tatsächlich gelten hier sämtliche von sozialdemokratischen Wahlmännern abgegebenen Stimmen einzig und allein für die Sozialdemokratie. Dies ist es, was die sozialdemokratischen Wahlmänner klar erkennen müssten. Wenn es Recht ist, einen Gegner zu wählen, um nur einen noch schlimmeren Gegner zu vermeiden, so ist es doch desto mehr Recht, für einen Gegner zu stimmen, damit ein Sozialdemokrat gewählt werde.

Dass hier und dort, an manchem einzelnen Ort, Ungeschicklichkeiten begangen werden können, wie eben auch bei einer Reichstagswahl, vielleicht hier mehr als dort, ist nicht zu leugnen. Allein darin liegt eben die Stärke der Sozialdemokratie, dass für sie nicht das lokale, sondern das Allgemeine ausschlaggebend ist – nur auf diese Weise kann ein grundsätzlicher Wahlkampf geführt werden – und so wird sie es auch bei der Landtagswahl machen können wie bei der Reichstagswahl. Bei der Landtagswahl sogar noch mehr, denn hier ist für den Erfolg der Sozialdemokratie ausschlaggebend nur die allgemeine Situation nach der Wahl der Wahlmänner. Der einzelne Wahlkreis kann hier in Bezug auf das Erlangen der Mandate nichts machen, sondern Alles hängt ab von der allgemeinen Taktik der Partei.

Die Sozialdemokratie könnte an der Landtagswahl beteiligen, auch ohne an das Erlangen von Mandaten zu denken. Wenn sich die sozialdemokratischen Wahlmänner bei der Abgeordnetenwahl der Stimmabgabe enthielten, so wäre das ein viel stärkerer Protest als jetzt, da die Sozialdemokratie an den Wahlen gar nicht teilnimmt. Jetzt wird die nötige Zahl von Wahlmännern auch ohne die Sozialdemokratie gewählt, und wenn die Masse der dem Wahlakt Fernbleibenden auch groß ist, so wirkt das nicht sehr. Gibt es doch bei allen Wahlen eine indifferente Masse. Wenn aber die Wahlmänner sich der Wahl enthalten, dann bildet dies eine Lücke, die durch keinen Kleister mehr zuzuschmieren ist. Und dann, warum soll sich denn die Sozialdemokratie die gute Gelegenheit einer Wahlkampagne entgehen lassen?

Auch wenn man von vornherein Kompromisse ins Auge fasst, würde durch das Resultat der Wahl in der großen Mehrzahl der Wahlkreise nur das sein, dass der Sozialdemokratie nichts als die Wahlenthaltung der Wahlmänner bliebe. Der Protest gegen „das elendeste aller Wählsysteme“ wäre also auch dann wenigstens nicht minder stark als jetzt. Und wenn dann noch dazu kommen sollte, dass man eine Anzahl freisinniger Mandate in den Händen hat, soll man dann die Kerle ganz ungeschoren laufen lassen?!

Es ist Sache des Parteitages und der Parteivertretung, zu entscheiden, welche Taktik einzuschlagen ist. Angeregt durch den Bernsteinschen Artikel und die sich daran knüpfende Diskussion bemühten wir uns, dasjenige darzulegen, was uns als das Richtige erscheint. Wenn unsere Erörterungen auch nur in etwas zur Klärung der Sache beitragen, so ist dies auch alles, was wir bezweckt haben.

* * *

Anmerkungen

1. Da wir die Diskussion über dieses Thema noch vor dem Zusammentritt des Parteitags zu einem gewissen Abschluss bringen wollen, ist es uns unmöglich, sämtliche darüber eingegangenen Artikel zu veröffentlichen. Wir werden im nächsten Heft noch einen Gegner der Beteiligung an den Landtagswahlen das Wort erteilen und Bernstein auf die gegen ihn erhobenen Eindrücke erwidern lassen. Die Redaktion.

2. Nicht nur ist das preußische Wahlsystem „das elendeste aller Wahlsysteme“, sondern die preußischen Wahlgesetzgebung ist auch die verworrenste aller Gesetzgebungen. Maßgebend in dieser Beziehung sind die Verfassungsurkunde von 1850 (mit einigen Änderungen) und das Gesetz von 1849 (über die Ausführung der Wahl der Abordneten der Zweiten Kammer). Das Gesetz von 1849 bestimmt: „§ 8. Jeder selbständige Preuße ... ist in der Gemeinde, wenn er seit sechs Monaten seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat, stimmberechtigter Urwähler ...“ Dagegen die Verfassung: „Art. 70. Jeder Preuße welcher ... in der Gemeinde, in welcher er seinen Wohnsitz hat, die Befähigung zu den Gemeindewahlen besitzt, ist stimmberechtigter Urwähler.“ (Übrigens, als ob es Wähler gegeben könnte, die nicht stimmberechtigt wären! Gebratener Braten, kuhlederne Kuhhaut, eloquente Eloquenz!) Da aber nach der neusten Gemeindeordnung das „Gemeinderecht“ (Wahlrecht und das Recht, ein Gemeindeamt zu bekleiden), derjenige besitzt, „welcher ... seit einem Jahre in dem Gemeindebezirke seinen Wohnsitz hat“, so dürfte dies auch für die Landtagswahlen gelten. Allein der Artikel 115 der Verfassung bestimmt, dass bis zum Erlasse eines Wahlgesetzes die Verordnung von 1849 in Kraft bleiben soll, und ein solches Wahlgesetz ist noch nicht erlassen worden. So bleibt also demnach doch nur die sechsmonatige Frist!

3. Kennzeichnend in dieser Beziehung ist der Fall Hummell. Die Wahl des Landtagsabgeordneten Stüve war beanstandet. Unter anderem wurde im Wahlprotest behauptet, „im dritten Wahlbezirke habe der Maschineninspektor Hummell, dem die ganze Werkstatt unterstellt sei, selbst am Wahltische gesessen und eine Liste über die in der Werkstatt beschäftigten Urwähler geführt. Jeder Arbeiter habe einen Vermerk erhalten: habe er gefehlt, ein Kreuz, habe er gegen Hummell gestimmt, einen roten Strich. Hummell selbst sei auf das Unpassende seines Verhaltens ohne Erfolg aufmerksam gemacht worden, die von Hummell abhängigen Arbeiter seien durch diese drückende Kontrolle eingeschüchtert worden und haben gegen ihre Überzeugung gewählt“.

>Darauf fällte die Wahlkommission folgendes salomonische Urteil: „Die Beweisaufnahme hat zwar ergeben, dass Hummell als Mitglied des Wahlvorstandes eine zu den Akten überreichte Liste geführt hat, in welcher er bei dem Namen eines jeden Urwählers notiert habe, ob und bzw. wie derselbe gestimmt hat; es ist jedoch nicht erwiesen worden, dass die Wähler sich durch diese Kontrolle haben einschüchtern lassen. Immerhin erachtete die Kommission das Verfahren des Hummell als ungehörig, weil er die Zeichen mit verschiedenfarbigen Stiften und in einer den an den Wahltisch tretenden Urwählern sofort bemerkbaren Weise gemacht hat.“ Wir sehen, sie haben Humor, diese hohen Herren!


Zuletzt aktualisiert am 15. April 2024