Karl Radek


Die Krisis in der deutschen Kommunistischen Partei

Die internationale Bedeutung der deutschen Ereignisse

(17. Mai 1921)


Die Internationale, Jahrg. 3, Heft 7, Berlin 1921, S.236-238.
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Die deutsche Kommunistische Partei machte während der Märzbewegung viele Fehler. Ihr hauptsächlichster „Fehler“ – der unerwartete und ungestüme Übergang von der Propaganda und Agitation zum aktiven Kampf – hat seine Ursache in der Vergangenheit, für die in erster Linie der rechte Flügel der Partei verantwortlich ist: Levi und Däumig, die früheren Vorsitzenden der Partei, die sie nicht genügend für den unausbleiblichen Kampf vorbereiteten. Als sie nun gezwungen war, zum Schütze der Grubenarbeiter von Mitteldeutschland aufzutreten, mußte dieser ihr Übergang zur notwendigen Aktion mit einer Niederlage enden. Ihr zweiter Fehler war der, daß das Zentralkomitee der Partei die bewaffneten Arbeiter nicht in seinen Händen hatte, daß es ihnen erlaubte, zu handeln zu einer Zeit, als der Charakter der Bewegung sich noch nicht geklärt hatte und es noch nicht feststand, ob man sich nicht nur auf einen Streik beschränken müsse. Aber auch dieser Fehler war ein Resultat dessen, daß sich mit dieser Angelegenheit bis in die letzte Zeit einer der rechtsstehenden Genossen befaßte. Das Zentralkomitee als solches war bezüglich der konspirativen Seite der Dinge mit deren tatsächlichen Lage nicht vertraut. Was tatsächlich dem jetzigen linken Zentralkomitee als Schuld zugeschrieben werden kann, ist dies, daß es vom ersten Augenblick an nicht verstand, der Bewegung politisch die bestimmte Form zu geben, und daß es auch jetzt nach dem Kampfe bezüglich ihres Charakters eine ganze Reihe von Fehlern begeht. Die Märzbewegung ist ihrer Art nach das, was die Kriegskunst „aktive Defensive“ nennt. Statt den defensiven Charakter dieses dem Proletariat aufgezwungenen Kampfes zu betonen, sprach die Partei von einer Offensive, wodurch sie ihren Gegnern nur ein Mittel in die Hand gab, bei einem Teile des Proletariats den Eindruck zu erwecken, daß die Bewegung künstlich von den Kommunisten hervorgerufen sei. Und wenn jetzt eine Reihe von leitenden deutschen Genossen eine Theorie darüber aufgestellt hat, daß die Partei den Weg zur Offensive einschlagen muß, dann bedeutet diese Theorie eine Abweichung, die nicht genügend mit den tatsächlichen Umständen rechnet. Die Partei wird und muß von der konkreten Lage abhängig kämpfen. Sie kann zur Offensive übergehen, nur wenn sie mit der konkreten Lage rechnet. Ihre Politik hängt nicht nur von ihrem Willen ab, ihre Politik wird nicht auf der Grundlage einer von den Umständen unbeeinflußten, freien Entscheidung des Zentralkomitees geführt. Der Geist der Aktivität, der sich jetzt in den Reihen der Partei bemerkbar macht, der von der Kommunistischen Internationale nur begrüßt werden kann, dieser Geist muß sich vor allem in der Verstärkung der revolutionären offensiven Agitation, in der Hebung des gesamten legalen und illegalen Lebens der Partei, in ihrer immerwährenden Kampfbereitschaft ausdrücken. Nur dann, wenn die ganze Partei und ihre tägliche Tätigkeit von diesem Geist durchdrungen ist, nur dann wird die Partei in Augenblicken notwendiger bewaffneter Aufstände auf der nötigen Höhe sein.

Der Übergang der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands zur offenen Kampfpolitik ist schon an und für sich eine Tatsache von größter internationaler Bedeutung. Das, woran es der westeuropäischen Bewegung mangelt, das sind gerade Parteien, die zum Kampf geeignet, auch wirklich kämpfen und nicht nur Thesen diskutieren, für die Ideen des Kommunismus agitieren und sie propagieren wollen. Nicht nur das Zentralkomitee der deutschen Partei, sondern, was viel wichtiger ist, die Arbeitermassen und die Parteiorganisationen bewiesen ihren Willen zum revolutionären Kampf. Da die Zersetzung des deutschen Kapitals von Tag zu Tag zunimmt, so bedeutet die Entstehung einer kampfbereiten deutschen Partei tatsächlich, daß dadurch schon eine der wichtigsten Voraussetzungen des Umsturzes gegeben ist, und daß somit das erreicht ist, woran es in Deutschland bisher am meisten zum endgültigen Siege des Proletariats mangelte.

Gleichzeitig bewiesen die letzten Ereignisse auch noch etwas anderes: der Übergang der Partei von der Agitation zur Aktion vollzieht sich nur im Kampf gegen Leute, die wir für Kommunisten, für Genossen hielten, die schon mehrere Jahre, oder wenigstens seit dem letzten Kongreß der Kommunistischen Internationale angehören. Um diese Genossen sammelte sich ein Teil der Organisatoren, Schriftsteller und Abgeordneten der früheren Fraktion der linken Unabhängigen. Dies beweist, daß es sich hier nicht um das Abweichen einer oder zweier Personen handelt, sondern um die Politik einer bestimmten bureaukratischen Schicht, die die Theorie des Kommunismus annahm, sich aber vor dem Kampf fürchtet. Diese Schicht ist nichts anderes, als der jüngere Bruder der Dittmänner und Dißmänner, die sich sogar vor der Theorie des Kommunismus fürchteten. Das bureaukratische Element in der Partei, das es unternahm, sich öffentlich mit dem Renegatentum Levis zu solidarisieren, bewies, daß es in dem Moment, wenn die Partei gegen den Willen ihrer Bureaukraten entscheidet, bereit ist, die Parteidisziplin zu brechen.

Die deutsche Kommunistische Partei versteht schon, diese Elemente zu zwingen, sich dem Willen der Parteiorganisation zu unterwerfen. Sie erlaubt 17 Personen aus der Parlamentsfraktion nicht, über die Entscheidungen der Partei zu spotten. Sie erlaubt ihren Parteimitgliedern nicht, gerneinsam mit Personen, die wegen Verrats aus der Partei ausgeschlossen wurden, Journale herauszugeben. Sie findet in diesem ihrem Kampfe um die revolutionäre Disziplin die völlige und unbedingte Unterstützung der Kommunistischen Internationale, die sehr gut versteht, daß das, was jetzt in Deutschland vor sich geht, nur die Fortsetzung unseres Kampfes mit dem Zentrum ist. Die Kommunistische Internationale öffnete auf dem II. Kongreß weit ihre Tore für die Arbeitermassen, die sich ihren Losungen anschließen, sah aber bewußt der Gefahr in die Augen, daß mit der Menge der revolutionären Arbeiter auch Elemente in ihre Reihen eintreten können, die sich nur in Worten von den Hilferdings und Crispiens unterscheiden. Da der II. Kongreß der Kommunistischen Internationale diese Gefahr im voraus erkannte, ergriff er eine Reihe von Vorsichtsmaßregeln. In erster Linie verpflichtete er die sich ihm anschließenden Parteien, von Zeit zu Zeit eine Umregistrierung ihrer Mitgliederschaft vorzunehmen. Vielen erschien dies damals unnötig. Das Ereignis in der deutschen Partei zeigt, daß diese Maßregel am Platze war. Das Proletariat kommt manchesmal in die Lage, seinen Kampf um die Macht unter solch schwierigen Verhältnissen zu führen, daß viele seiner Führer, besonders Leute aus der Intelligenz oder Bureaukraten der alten Epoche, beim Anblick dieser Schwierigkeiten erschrecken und zurückzuweichen beginnen. Und daran ist nichts, sich zu wundern. Die bewußtesten Arbeiter sehen die Schwierigkeiten, ziehen die Folgerungen aus den Fehlern, aber, und dies hat die Entscheidung aller örtlichen Organisationen bewiesen, nur um sie zu überwinden und vorwärts zu streben. Das ist die internationale Lehre der Märzereignisse in Deutschland.

Moskau, 17. Mai.


Zuletzt aktualiziert am 8.8.2008