Jakob Stern


Gott? Gottglaube oder Atheismus?


Der Gottglaube im Dienste der Machthaber

Als naives Erzeugnis der Phantasie stellt sich nach vorstehendem der Götter und Gottglaube dar, mit dem dazu gehörigen Apparat, dem öffentlichen Kultus und der privaten Gottesverehrung, Religion, was im Verlauf die mannigfaltigsten Schößlinge, Glaubenslehren (Dogmen) und Ritualien und Bräuche getrieben hat.

So harmlos blieb er aber auf die Dauer nicht. Der Kultus erforderte mit der Zeit eigene Kultusfunktionäre, Priester, die sich vielfach das bequeme Mittel nicht entgehen ließen, den Gottglauben zu ihrem Kasten und Privatinteresse auszunützen und den Massen allerlei als göttlichen Willen vorzuschwindeln, was ihrem eigenen Interesse entsprach. Desgleichen bedienten sich desselben die staatlichen Machthaber und die herrschenden Klassen, bald im Verein, bald im Gegensatz zur Priesterschaft, die Massen zu gängeln und in Unterwürfigkeit zu erhalten. Wozu ihre Machtmittel nicht ausreichten, die Geister zu knebeln und den Willen der ausgebeuteten und unterdrückten Massen in Fesseln zu legen und revolutionäre Gärungen zu dämpfen, wurde mittels des Gottglaubens mit größerem oder geringerem Erfolg zu erreichen gesucht, indem die Auflehnung gegen das Gewaltregiment von oben als Ungehorsam gegen die Götter oder Gott, als schwere Sünde gebrandmarkt, die herrschenden Zustände als „gottgewollt“, als „göttliche Weltordnung“, die regierenden Fürsten als Göttersöhne oder „von Gottes Gnaden“ eingesetzt erklärt und deren Verehrung und die Unterwürfigkeit unter ihnen zum göttlichen Gebot gestempelt wurde.

Denn wenn es auch einer Volksbewegung gelungen war, zeitweilig die Oberhand zu gewinnen und ihre sozialen Ideen mit ihrem Klassengott und Volksreligion auf den Schild zu heben, so verstanden es später die wieder erstarkten Machthaber, mittels einer mythologischen Konterrevolution diesen Volksgott und seine soziale Religion zu usurpieren und umzufälschen, ihm Lehren und Gebote zu unterschieben und durch die Priesterschaft unterschieben zu lassen, die ihren Herrschafts- und Ausbeuterinteressen zusagten. Zu solcher Volksreligion, worin der volkstümliche Geist von dem gegenteiligen weitaus überwuchert war, konnten sich nun die Machthaber selbst bekennen und im Kostüm derselben und von bestechenden Phrasen triefend, die Massen um so leichter ducken, die umgefälschte Volksreligion als Landesreligion einführen. Diesen Umfälschungsprozeß mußte die sozialistische Jahvereligion der Propheten unter dem Pharisäertum, ebenso wie die sozialistische Jesusreligion unter dem späteren feudal-klerikalen Regime durchmachen.


Zuletzt aktualisiert am 9.8.2008