August Thalheimer

 

Antifaschistisches Kampfprogramm

(14./15. Februar 1931)


Gruppe Arbeiterpolitik (Hrg.): Faschismus in Deutschland. Analysen und Berichte der KPD-Opposition 1928-1933, Bd.1, 1981, S.240-241.
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I.

Jedem Arbeiter, der nicht in den Parlamentsaktionen den Nabel der Welt sieht, muß heute klar sein, daß der Auszug der Nationalsozialisten und der Deutschnationalen samt ihrem kleineren Anhang, d.h. des faschistischen Blockes, aus dem Reichstag eine Verschärfung der außerparlamentarischen Angriffe der Faschisten gegen die Arbeiterklasse und ihre Organisationen ankündigt, weil er eine Verschärfung des Kampfes des Faschismus um die Staatsmacht bedeutet. Um den entscheidenden Schlag zu führen, der den Faschisten die Staatsmacht in die Hand gibt, muß für sie eine Vorbedingung sein: die mehr oder weniger weitgehende Zertrümmerung der Arbeiterorganisationen.

Daher haben die Faschisten ihre Terroraktionen gegen die Arbeiterschaft verstärkt und sie werden sie noch gewaltig weiter verstärken, wenn die Arbeiterschaft nicht rechtzeitig und wirksam zur Gegenwehr greift. Damit die Gegenwehr wirksam ist, muß eine Grundbedingung erfüllt werden – die Herstellung der Einheitsfront und Geschlossenheit für den Kampf und im Kampf. Bei der organisatorischen Zersplitterung und Zerrissenheit der Arbeiterschaft, die sich natürlich am schroffsten ausdrückt in den Spitzen der Arbeiterorganisationen, kann diese Einheit der Aktion nur von unten her, durch die Initiative der Arbeiter selbst und von örtlichen Ausgangspunkten her geschaffen werden.

Für die einheitliche Aktion gegen den Faschismus ist aber ein einheitliches antifaschistisches Kampfprogramm notwendig.

Ein solches antifaschistisches Kampfprogramm kann jedoch nicht darin bestehen, daß versucht wird, die rein kommunistischen Ansichten und Forderungen für den Kampf gegen den Faschismus den Arbeitern aufzuoktroieren, die noch nicht Kommunisten sind. Ein solcher Versuch ist naturgemäß zum Scheitern verdammt. Er könnte nur die Arbeiter um sich sammeln, die bereits überzeugte Kommunisten sind, oder mit dem Kommunismus soweit sympathisieren, daß sie seinen Zielen und Grundsätzen zustimmen, auch ohne noch kommunistisch organisiert zu sein. Aber die Arbeiterschaft kann mit der einheitlichen Aktion nicht solange warten, bis die gesamte Arbeiterschaft sich auf den Boden des Kommunismus gestellt hat –, denn die Faschisten warten nicht solange mit ihren Terroraktionen und ihrer politischen Propaganda und Agitation.

Ein antifaschistisches Kampfprogramm hat nur dann Aussicht, die Arbeiterschaft in ihrem ganzen Umfang über die Parteigrenzen hinweg zur Aktion zu vereinigen, wenn es dem Bedürfnis und dem bereits erreichten Verständnis des Gros der Arbeiterschaft entspricht. Es muß also ein Programm von Tagesforderungen oder Übergangslösungen sein, die Formulierung der einfachsten und dringendsten Bedürfnisse der Arbeiterschaft und der Mittelschichten.

Sollen also die Kommunisten dabei auf ihre eigenen Einsichten und ihren eigenen Standpunkt verzichten? Keineswegs! Sie sollen und müssen als Kommunisten ihre revolutionäre Propaganda in die Bewegung hineintragen, aber sie können sie nicht zum Ausgangspunkt und zur Vorbedingung der gemeinsamen Aktion machen, weil so eine einheitliche Aktion nicht Zustandekommen kann. Sie dürfen nicht das vorwegnehmen und zur Bedingung stellen, was erst das Ergebnis der Aktion und die Frucht der gemeinsamen Kampferfahrung der Arbeiter sein kann.

Die Grundlage eines antifaschistischen Kampfprogramms, das zur Aktion der Massen führt, müssen die dringendsten wirtschaftlichen und politischen Interessen dieser Massen sein, in erster Linie der Arbeiterklasse, aber auch der übrigen Werktätigen in Stadt und Land, der sogenannten Mittelschichten. Um der Demagogie der Faschisten den Boden zu entziehen, dazu ist die rücksichtslose entschlossene Vertretung der Masseninteressen notwendig, und dies erfordert zugleich den schärfsten Kampf gegen die Brüning-Regierung und ihr erzkapitalistisches Programm der Ausplünderung der Werktätigen, der sozialen Reaktion, der Begünstigung der Großindustriellen und Großgrundbesitzer, der imperialistischen Aufrüstung, der Verkrüppelung und des Raubs der demokratischen Rechte der Werktätigen, ebenso wie gegen das scheinrevolutionär verkleidete in Wahrheit aber ebenso erzkapitalistische Programm der Faschisten.

Ein antifaschistisches Kampfprogramm muß also ein rücksichtslos antikapitalistisches Kampfgrogramm sein. Es muß ein proletarisches Kampfprogramm sein, das zugleich die wirklichen Interessen der Mittelschichten vom proletarischen Gesichtspunkt aus vertritt und so den Kampf der Mittelschichten mit dem der Arbeiterklasse verbindet. Und es kann sich dabei nicht nur und nicht in erster Linie um ein parlamentarisches Aktionsprogramm handeln, sondern vor allem um ein Aktionsprogramm für die außerparlamentarische Massenaktion. Denn der Schwerpunkt des faschistischen Gegners lag von vornherein nicht im Parlament, sondern außerhalb, und wenn durch irgend etwas, so wird dies durch den Auszug des faschistischen Blocks aus dem Reichstag unterstrichen. Aber die Aktion der Arbeiterklasse muß natürlich auch die parlamentarische Aktion einschließen und diese muß die augenblickliche Lage berücksichtigen, die im Reichstag durch den Auszug des faschistischen Blocks entstanden ist –, wodurch, solange dieser Auszug andauert, Sozialdemokraten und Kommunisten zusammen gegenüber den anderen Parteien eine Stimmenmehrheit im Reichstag haben. Es gilt, in der kommunistischen wie in der sozialdemokratischen Arbeiterschaft das Verständnis dafür zu wecken, damit sie ihre parlamentarischen Vertretungen vor diese Frage stellen.

Es handelt sich selbstverständlich nicht darum, daß irgend eine Seite der Arbeiterschaft ein solches Kampfprogramm aufoktroiert. Die Kommunistische Opposition ergreift hier die Initiative, weil niemand außer ihr sich dieser Sache angenommen hat, die ein dringendes Bedürfnis der gesamten Arbeiterklasse ist, um es vor die Arbeiterschaft zu bringen, zur Diskussion zu stellen und die gemeinsame Aktion dafür zu fördern.
 

II.

Ein Aktionsprogramm für den gemeinsamen geschlossenen Kampf der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, das ihr zugleich ein Bündnis mit den Mittelschichten sichert, ist ein dringendes Bedürfnis.

Sein Hauptinhalt ist dadurch bestimmt, daß es zur Aufgabe hat, den dringendsten wirtschaftlichen und politischen Bedürfnissen der Arbeiterklasse zu entsprechen, dem Angriff auf die proletarischen Interessen durch die Brüning-Regierung und der faschistischen Damagogie und dem faschistischen Terror zu begegnen und die breitesten Arbeitermassen ohne Parteiunterschied zum Kampf gegen den Faschismus und gegen den Kapitalangriff zusammenzufassen. Im folgenden heben wir die wichtigsten Gesichtspunkte hervor, die für ein antifaschistisches Kampfprogramm wesentlich sind:

  1. Dem kapitalistischen Finanzprogramm Brünings, das die Besitzenden entlastet und die Werktätigen belastet, muß ein proletarisches Finanzprogramm entgegengestellt werden, das auf dem umgekehrten Grundsatz beruht: Abwälzung der Lasten der Krise und des Young-Plans auf die Besitzenden. Steuerliche Entlastung der Werktätigen, der Arbeiter, Angestellten, der Kleinbauern, der städtischen Mittelschichten.

    Dem antiproletarischen Sparprogramm Brünings läßt sich leicht ein antikapitalistisches Sparprogramm entgegenstellen, wenn man sich an die riesigen Subventionen für Großindustrie und Großgrundbesitz hält, die Ausgaben für die staatlichen Unterdrückungs- und Volksverdummungsorgane (Kirche) streicht, wenn man alle Gehälter über eine bestimmte Summe, etwa 600 Mark monatlich, streicht usw. Dem riesenhaften Steuerbetrug der Besitzenden, der immer frecher in die Halme geschossen ist, muß durch Offenlegung der Steuerlisten und organisierte Kontrolle der Werktätigen begegnet werden. Für die dringendsten Ausgaben zugunsten der Werktätigen muß den Besitzenden eine Zwangsanleihe in dem notwendigen Umfang auferlegt werden. Für die Brüning-Regierung und die sie unterstützenden Parteien ist es kennzeichnend, daß hier niemand auch nur daran zu denken wagt, daß man die Steuern auf die Besitzenden erhöhen kann. Vom Gesichtspunkt der Werktätigen ist das aber der einzige und gebotene Weg.
     
  2. Im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit muß in den Mittelpunkt gestellt werden die Forderung der 10-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich, und zwar nicht nur als Forderung an die einzelnen Unternehmer, sondern als Forderung an den Staat, der die vierzigstündige Arbeitswoche als Höchstarbeitszeit gesetzlich festzulegen hat. Selbstverständlich muß gekämpft werden für die Beseitigung aller bisherigen Verschlechterungen der Arbeitslosenversicherung, für die volle Unterstützung der Erwerbslosen während der ganzen Dauer ihrer Erwerbslosigkeit, ohne Karenzzeit und Bedürftigkeitsprüfung. Für die Arbeitsbeschaffung müssen zwei Hauptwege ins Auge gefaßt werden: der großzügige Bau von Arbeiterwohnungen aus Staatsmitteln und umfassende staatliche Kredite an die Sowjetunion zur Förderung des sozialistischen Aufbaues in der Sowjetunion, zur Ermöglichung von Aufträgen an die deutsche Industrie.
     
  3. Um den Kampf gegen den Lohnabbau wirksam zu fahren, gilt es vor allem die Gewerkschaften, ohne Rücksicht auf die Schonung kapitalistischer Profitinteressen und ohne Rücksicht auf den Bestand der Brüning-Regierung, mit ihrem vollen Gewicht als politische Macht gegen das Programm der Brüning-Regierung und den Lohnabbau einzusetzen. Die Gewerkschaften müssen planmäßig den politischen Massenstreik zu diesem Zweck vorbereiten.
     
  4. Gleichzeitig gilt es, den Kampf zu führen um die Interessen der Arbeiter und der Werktätigen überhaupt als Konsumenten: gegen den industriellen Preiswucher der kapitalistischen Kartelle, Syndikate und Trusts, wie gegen den agrarischen Preiswucher der Junker und Großbauern. Beide Erscheinungen verschärfen und verlängern die Wirtschaftskrise zu Lasten der Werktätigen.

    Alle Kartellverordnungen des bürgerlichen Staates krümmen dem Preiswucher der Kartelle kein Haar. Eine Wirkung ist hier nur zu erzielen durch direktes Eingreifen der Organe der Arbeiterklasse, von Preiskontrollkommissionen, die von Arbeitern und Angestellten gebildet und an denen Vertreter der Kleinhändler, Handwerker, Kleinbauern beteiligt werden.

    Der Kampf gegen den Agrarwucher erfordert vor allem die völlige Niederlegung der Mauern der Agrarzölle, der staatlichen Subventionen und Kredite an den Großgrundbesitz. Die junkerlichen und großbäuerlichen Betriebe, die dabei zugrunde gehen, soll der Staat beschlagnahmen und Landarbeiter-Genossenschaften und Kleinbauern zur Nutznießung zur Verfügung stellen.
     
  5. Den kleinbäuerlichen Betrieben ist eine Erleichterung zu schaffen durch Schuldenerlaß, Steuerbefreiung, staatliche Kredithilfe, wofür die Kleinbauern sich selbständig, das heißt unabhängig von den Großgrundbesitzern und Großbauern, organisieren müssen. Letzten Endes ist den kleinbäuerlichen Betrieben im bürgerlichen Staate nicht entscheidend zu helfen. Was sie brauchen, um aus ihrer ausweglosen Lage herauszukommen, das ist die Enteignung des ganzen Großgrundbesitzes und staatliche Hilfe (langfristige Kredite und landwirtschaftliche Maschinen), damit sie auf genossenschaftlichem Wege zur Großproduktion übergehen können, die sie allein befähigt, der überseeischen Konkurrenz standzuhalten. Das aber kann ihnen nur ein solcher Staat geben, in dem die Arbeiter und Kleinbauern die Herrschaft ausüben.
     
  6. Die Lage der städtischen Mittelschichten muß erleichtert werden durch Schuldennachlässe, durch Steuererleichterungen, durch Verbilligung der Lebensmittel. Letzten Endes hilft auch ihnen nur die Beschreitung des Weges des genossenschaftlichen Zusammenschlusses mit Unterstützung einer proletarischen Staatsgewalt.
     
  7. Es gilt zu kämpfen gegen die Kulturreaktion. Alle staatliche Zensur über Rundfunk, Film, Presse, Literatur, Theater muß aufgehoben werden. Das Schulwesen muß auf Grundlage der Produktionsschule ausgebaut werden. Lehrmittel und Verpflegung in der Schule müssen unentgeltlich sein. Das Schulgeld muß abgeschafft werden. Die Verlängerung der Schulzeit muß so erfolgen, daß die Eltern dadurch nicht belastet werden, daß die Schüler für die Produktion gehörig vorbereitet werden.
     
  8. Gegen die nationalistische Demagogie der Faschisten und die neuimperialistische Politik der Brüning-Regierung gilt es zu kämpfen vom Standpunkt des internationalen Kampfes der Arbeiterklasse, gegen Imperialismus und Militarismus, gegen den eigenen, wie gegen den auswärtigen Imperialismus, wobei der Kampf gegen den eigenen im Vordergrund stehen muß. Daher: für die Beseitigung des Versailler Vertrages und des Youngplanes, für die Annullierung aller Kriegsschulden durch die internationale revolutionäre Aktion der Arbeiterklasse. Für die Verteidigung der Sowjetunion. Gegen ein deutsch-französisches imperialistisches Bündnis, das sich nur als konterrevolutionäres Militärbündnis gegen die Sowjetunion verwirklichen könnte. Gegen die militärische Aufrüstung Deutschlands. Ablehnung aller Militärforderungen des bürgerlichen Staates.
     
  9. Die dringendsten Maßregeln zur Abwehr der faschistischen Demagogie und des faschistischen Terrors gegen die Arbeiterklasse sind die sofortige Auflösung aller faschistischen und reaktionären Wehrverbände, sowie die Auflösung der Nationalsozialistischen Mörderpartei, die ihre Grundlagen und Stütze bildet. Gleichzeitig müssen alle gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen, die den Kampf der Arbeiterschaft gegen den Faschismus hemmen, fallen: das Verbot des RFB, der Antifa, das Republikschutzgesetz, die Demonstrationsverbote. Die Arbeiterschaft muß sich in antifaschistischen Kartellen zum politischen Kampf gegen den Kapitalsangriff und in überparteilichen proletarischen Klassenwehren zur physischen Abwehr des faschistischen Terrors zusammenschließen. Zu diesem Zusammenschluß müssen die Arbeiter, welchen Organisationen sie auch angehören, an jedem Orte die Initiative ergreifen, und sie müssen die Führung aus ihrer Mitte wählen.
     
  10. Der staatliche Apparat muß von faschistischen Elementen gereinigt werden. Es wäre aber eine schwere Illusion, sich dabei auf die staatlichen Behörden zu verlassen. Die Arbeiter müssen in ihren antifaschistischen Organisationen die Ermittlung der faschistischen Elemente im Staatsapparat selbst in die Hand nehmen und den Kampf für ihre Beseitigung selbst durchführen. Dies sind nur die wichtigsten Gesichtspunkte, noch nicht alle Einzelheiten, die für die Aufstellung eines antifaschistischen Kampfprogramms in Betracht kommen. Die weiteren Einzelheiten werden in den nächsten Tagen von uns veröffentlicht werden. Das Entscheidende dabei ist, daß diese Fragen in allen Arbeiterorganisationen und unter den parteilosen Arbeitern in allen Betrieben und auf den Stempelstellen zur Diskussion gestellt werden, und daß in kürzester Frist von der Diskussion zur Verwirklichung, zum Kampf gegen den Faschismus auf einer gemeinsamen Grundlage, die alle Arbeiter zu umfassen imstande ist, übergegangen wird.

Zuletzt aktualisiert am 18.7.2008