Leo Trotzki

 

Die permanente Revolution


Epilog

Die Prophezeiung oder die Befürchtung, die in den Schlußzeilen des vorigen Kapitels ausgesprochen ist, hat sich bekanntlich nach wenigen Monaten bestätigt. Die Kritik der permanenten Revolution diente Radek nur als Sprungbrett, um sich von der Opposition abzustoßen. Unsere ganze Broschüre beweist, wie wir hoffen, daß der Übergang Radeks in das Lager von Stalin uns nicht unerwartet gekommen ist. Aber auch das Renegatentum hat seine Gradationen, seine Stufen der Erniedrigung. In seiner bußetuenden Erklärung rehabilitiert Radek restlos die Politik Stalins in China. Das heißt auf den Grund des Verrates hinabsinken. Es bleibt mir nur übrig, aus meiner Antwort auf die bußetuende Erklärung Radeks, Preobraschenskis und Smilgas, welche ein Freibrief für jeden politischen Zynismus ist, hier einen Auszug anzuführen:

„Wie es sich für alle, die etwas auf sich halten, geziemt, hat das Trio es nicht unterlassen können, sich mit der permanenten Revolution zu decken. Die tragischste Erfahrung aus der ganzen neueren Geschichte der Niederlagen des Opportunismus – die chinesische Revolution – versucht das Kapitulanten-Trio mit dem billigen Schwur abzutun, es hätte mit der Theorie der permanenten Revolution nichts gemein.

Radek und Smilga haben die Unterwerfung der chinesischen kommunistischen Partei unter die bürgerliche Kuomintang hartnäckig vertreten, und zwar nicht nur bis zum Staatsstreich Tschangkaischeks, sondern auch danach. Preobraschenski murmelte, wie stets in Fragen der Politik, etwas Unverständliches. Eine bemerkenswerte Tatsache: alle jene aus den Reihen der Opposition, die die Unterwerfung der Kommunistischen Partei unter die Kuomintang verteidigten, erwiesen sich als Kapitulanten. Auf keinem einzigen Oppositionellen, der seinem Banner treu geblieben ist, lastet dieser offenbare Schandfleck. Fünfundsiebzig Jahre nach dem Erscheinen des Kommunistischen Manifestes, ein Vierteljahrhundert nach der Gründung der Partei der Bolschewiki, haben diese unglückseligen ‚Marxisten‘ es für möglich gehalten, das Verbleiben der Kommunisten im Käfig der Kuomintang zu verteidigen! In seiner Antwort auf meine Anklagen hat Radek schon damals, ganz wie in dem heutigen Bußbrief, mit der ‚Isolierung‘ des Proletariats von der Bauernschaft geschreckt, falls die Kommunistische Partei aus der bürgerlichen Kuomintang austreten würde. Kurz vorher nannte Radek die Kantoner Regierung eine Bauern- und Arbeiterregierung, und half damit Stalin, die Unterwerfung des Proletariats unter die Bourgeoisie zu verschleiern. Womit diese schändlichen Taten, die Folgen dieser Blindheit, dieses Stumpfsinns, dieses Verrats am Marxismus verhüllen? Womit? Mit der permanenten Revolution?

Schon im Februar 1928 schloß sich Radek, der bereits einen Anlaß für seine Kapitulation suchte, unverzüglich der Resolution des Februarplenums des EKKI von 1928 über die chinesische Frage an. Diese Resolution stempelt die Trotzkisten zu Liquidatoren, weil sie Niederlagen als Niederlagen bezeichneten und nicht gewillt waren, die siegreiche chinesische Konterrevolution als das höchste Stadium der chinesischen Revolution zu betrachten. In dieser Februarresolution wurde der Kurs auf den bewaffneten Aufstand und auf die Sowjets proklamiert. Für jeden Menschen, der eines politischen, durch revolutionäre Erfahrung geschärften Instinktes nicht entbehrt, bildet diese Resolution ein Muster des widerwärtigsten und verantwortungslosesten Abenteurertums. Radek schloß sich ihr an. Preobraschenski ging an die Sache nicht weniger weise als Radek heran, nur vom anderen Ende. Die chinesische Revolution sei bereits niedergeschlagen, schrieb er, und zwar für eine lange Zeit. Eine neue Revolution werde so bald nicht kommen. Verlohne es sich da, wegen China mit den Zentristen zu hadern? Über dieses Thema versandte Preobraschenski lange Episteln. Als ich sie in Alma-Ata las, empfand ich ein Gefühl der Scham. Was haben diese Menschen in der Schule von Lenin gelernt? fragte ich mich immer wieder. Die Voraussetzungen Preobraschenskis waren den Voraussetzungen Radeks inhaltlich diametral entgegengesetzt, doch die Schlußfolgerungen waren die gleichen: beide hatten sie den größten Wunsch, Jaroslawski möge sie durch die Vermittlung von Menschinski brüderlich umarmen. O, selbstverständlich zum Nutzen der Revolution. Das sind beileibe keine Karrieristen – bewahre, das sind einfach hilflose, geistig verwüstete Menschen. Der abenteuerlichen Resolution des Februarplenums des EKKI (1928) habe ich damals schon den Kurs auf die Mobilisierung der chinesischen Arbeiter unter den Parolen der Demokratie, darunter auch der chinesischen Konstituierenden Versammlung, entgegengestellt. Da aber überschlug sich das unglückselige Trio nach ultralinks: das war billig und verpflichtete zu nichts. Parolen der Demokratie? Niemals. ‚Das ist ein grober Fehler von Trotzki.‘ Chinesische Sowjets – und keinen Prozent Rabatt! Es ist schwer, sich etwas Sinnloseres auszudenken als diese – mit Verlaub zu sagen – Position. Die Parole: ‚Sowjets!‘ in der Epoche der bürgerlichen Reaktion ist eine Kinderklapper, eine Verhöhnung der Sowjets. Aber sogar in der Epoche der Revolution, d.h. in der Epoche des direkten Aufbaues der Sowjets, haben wir die Parolen der Demokratie nicht abgesetzt. Wir haben sie so lange nicht abgesetzt, bis die realen Sowjets, die bereits die Macht erobert hatten, vor den Augen der Masse mit den realen Institutionen der Demokratie zusammenstießen. Dieses bedeutet in der Sprache Lenins (und nicht des Spießers Stalin und dessen Papageien): das demokratische Stadium in der Entwicklung des Landes nicht zu überspringen.

Außerhalb des demokratischen Programms – Konstituierende Versammlung; Achtstundentag; Konfiskation des Bodens; nationale Unabhängigkeit Chinas; Selbstbestimmungsrecht der darin wohnenden Völker –, außerhalb dieses demokratischen Programms ist die Kommunistische Partei Chinas an Händen und Füßen gebunden und gezwungen, das Feld passiv der chinesischen Sozialdemokratie zu überlassen, die mit Hilfe der Stalin, Radek und Kompanie imstande wäre, den Platz der Kommunistischen Partei einzunehmen.

Also: obwohl im Schlepptau der Opposition, hat Radek doch das Wichtigste an der chinesischen Revolution verschlafen, denn er verteidigte die Unterwerfung der Kommunistischen Partei unter die bürgerliche Kuomintang. Radek hat die chinesische Konterrevolution verschlafen, indem er nach dem Kantoner Abenteuer den Kurs auf den bewaffneten Aufstand unterstützte. Radek überspringt heute die Periode der Konterrevolution und den Kampf um die Demokratie, wenn er mit einer abwehrenden Handbewegung die Aufgaben der Übergangsperiode durch die abstrakte Idee der Sowjets jenseits von Zeit und Raum ersetzt. Dafür aber schwört Radek, er habe nichts gemein mit der permanenten Revolution. Das ist erfreulich. Das ist tröstlich ...

... Die antimarxistische Theorie der Stalin-Radek enthält für China, Indien und alle Länder des Ostens die veränderte, aber nicht verbesserte Wiederholung des Kuomintang-Experimentes. Auf Grund der gesamten Erfahrung der russischen und der chinesischen Revolutionen, auf Grund der Lehren von Marx und Lenin, nachgeprüft im Lichte dieser Revolutionen, behauptet die Opposition:

Die neue chinesische Revolution kann das bestehende Regime stürzen und die Macht den Volksmassen übertragen ausschließlich in der Form der Diktatur des Proletariats; die ‚demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft‘ im Gegensatz zu der Diktatur des Proletariats, das die Bauernschaft führt und das Programm der Demokratie verwirklicht, ist eine Fiktion, ein Selbstbetrug, oder was noch schlimmer ist – eine Kerenskiade oder ein Kuomintang-Abenteuer.

Zwischen dem Regime Kerenski und Tschangkaischek einerseits und der Diktatur des Proletariats andererseits gibt es kein revolutionäres Übergangsregime und kann es ein solches nicht geben; wer etwas anderes behauptet, der betrügt die Arbeiter des Ostens schändlich und bereitet neue Katastrophen vor.

Die Opposition sagt den Arbeitern des Ostens: durch innerparteiliche Machinationen helfen verwüstete Kapitulanten Stalin, den Samen des Zentrismus zu säen, eure Augen zu blenden, eure Ohren zu verstopfen, eure Köpfe zu benebeln. Einerseits schwächt man euch angesichts der nackten bürgerlichen Diktatur, indem man euch verbietet, den Kampf um Demokratie zu entfalten; andererseits malt man euch Perspektiven irgendeiner rettenden, unproletarischen Diktatur vor, und unterstützt damit weitere Verwandlungen der Kuomintang, d.h. weitere Niederschlagungen der Arbeiter- und Bauernrevolution. Solche Prediger sind Verräter. Lernt, ihnen zu mißtrauen, Arbeiter des Ostens, lernt, sie zu verachten, lernt, sie aus euren Reihen zu jagen! ...“


Zuletzt aktualisiert am 22.7.2008