Leo Trotzki

 

Was Nun?


IV. Die Zickzacks der Stalinisten in der Einheitsfrontfrage

Die ehemalige Sozialdemokratin Torhorst [1] in Düsseldorf, die zur Kommunistischen Partei übergetreten ist, sagte in einem offiziellen Referat im Namen der Partei Mitte Januar in Frankfurt: „Die SPD-Führer sind genügend entlarvt und es ist Energieverschwendung, in dieser Richtung mit der Einheit von oben zu manövrieren.“ Wir zitieren nach einer Frankfurter kommunistischen Zeitung, die sich über das Referat höchst lobend ausspricht. „Die SPD-Führer sind genügend entlarvt.“ Genügend – für die Referenten, die von der Sozialdemokratie zum Kommunismus übergegangen ist (was ihr natürlich Ehre macht), aber ungenügend für jene Millionen Arbeiter, die für die Sozialdemokratie stimmen und die reformistische Gewerkschaftsbürokratie über sich dulden.

Doch man braucht sich nicht auf ein einzelnes Referat zu berufen. Im letzten mir zugekommenen Aufruf der Roten Fahne (vom 28. Januar) wird nochmals der Nachweis versucht, daß die Schaffung der Einheitsfront nur gegen die sozialdemokratischen Führer und ohne sie zulässig sei; der Grund: „Niemand wird ihnen Glauben schenken, der die Taten dieser ‚Führer‘ in den letzten 18 Jahren erlebt und geprüft hat.“ Und was, fragen wir, ist mit denen die weniger als 18 Jahre und sogar weniger als 18 Monate an der Politik teilnehmen? Seit Kriegsausbruch sind einige Generationen aufgewachsen, die die Erfahrung der alten Generationen durchmachen müssen, wenn auch in äußerst verkürztem Maßstab. „Es kommt gerade darauf an“, belehrte Lenin die Ultralinken, „daß wir das, was für uns erledigt ist, nicht als erledigt für die Klasse, nicht als erledigt für die Massen betrachten.“

Aber auch die ältere sozialdemokratische Generation, die die Erfahrung der 18 Jahre durchgemacht hat, hat noch gar nicht mit den Führern gebrochen. Im Gegenteil, bei der Sozialdemokratie verharren gerade viele „Alte“, die durch starke Traditionen mit der Partei verbunden sind. Selbstverständlich ist es betrüblich, daß die Massen so langsam lernen. Doch tragen daran ein gut Teil Schuld die kommunistischen „Pädagogen“, die nicht verstanden haben, das verbrecherische Wesen des Reformismus anschaulich darzulegen. Es kommt darauf an, wenigstens die neue Lage zu nutzen, in der die Aufmerksamkeit der Massen wegen der tödlichen Gefahr aufs Äußerste gespannt ist, um die Reformisten einer neuen, diesmal vielleicht wirklich entscheidenden Prüfung zu unterziehen.

Ohne um ein Haar unsere Meinung über die sozialdemokratischen Führer zu verbergen oder zu mildern, können und müssen wir den sozialdemokratischen Arbeitern sagen: da Ihr einerseits bereit seid, gemeinsam mit uns zu kämpfen, andererseits noch immer nicht mit Euren Führern brechen wollt, schlagen wir Euch vor: „Zwingt sie, gemeinsam mit uns für diese und jene praktischen Aufgaben mit diesen und jenen Mitteln den Kampf zu beginnen; was uns Kommunisten anlangt, wir sind bereit.“ Was kann es Einfacheres, Klareres, Überzeugenderes geben?

Gerade in diesem Sinne schrieb ich – in der bewußten Absicht, ehrliches Entsetzen oder gespielte Empörung bei Dummköpfen und Scharlatanen hervorzurufen, daß wir im Kampf mit dem Faschismus bereit seien, ein praktisches Kampfabkommen mit dem Teufel, seiner Großmutter und sogar mit Noske und Zörgiebel abzuschließen. [1*]

Auf Schritt und Tritt verstößt die offizielle Partei selber gegen ihre unhaltbare Position. In den Aufrufen zur „Roten Einheitsfront“ (mit sich selbst) erhebt sie beständig die Forderung: „Uneingeschränkte proletarische Demonstrations-, Versammlungs-, Koalitions- und Pressefreiheit“. Das ist eine vollkommen richtige Losung. Aber insofern die Partei von proletarischen und nicht bloß von kommunistischen Zeitungen, Versammlungen usw. spricht, erhebt sie faktisch die Losung der Einheitsfront mit eben der Sozialdemokratie, die Arbeiterzeitungen herausgibt, Versammlungen abhält usw. Politische Losungen aufstellen, die an sich die Idee der Einheitsfront mit der Sozialdemokratie beinhalten, und praktische Abmachungen für den Kampf um diese Losungen zurückweisen – das ist der Gipfel der Sinnlosigkeit.

Münzenberg [2], in dem die Generallinie mit dem gesunden Verstand des Geschäftsmannes ringt, schrieb im Januar (in Der Rote Aufbau): „Richtig ist, daß der Nationalsozialismus der reaktionärste, chauvinistischste und brutalste Flügel der faschistischen Bewegung in Deutschland ist, und daß alle wirklich linksgerichteten (!) Kreise das größte Interesse daran haben, zu verhindern, daß dieser Flügel des deutschen Faschismus an Einfluß und Macht gewinnt.“ Ist die Hitlerpartei der reaktionärste, brutalste Flügel, so ist die Brüning-Regierung zumindest weniger brutal und weniger reaktionär. Münzenberg schleicht sich hier an die Theorie des „kleineren Übels“ an. Um den Schein der Orthodoxie zu wahren, unterscheidet Münzenberg verschiedene Sorten von Faschismus: leicht, mittel und schwer, als ginge es um türkischen Tabak. Wenn aber alle linksgerichteten Kreise (und wie heißen sie?) am Sieg über den Faschismus interessiert sind, muß man da diese „linksgerichteten Kreise“ nicht einer praktischen Prüfung unterziehen?

Ist es nicht klar, daß man nach Breitscheids diplomatischem und zweideutigem Vorschlag unverzüglich mit beiden Händen hätte zugreifen müssen, um seinerseits ein konkretes, gut durchgearbeitetes Programm für den gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus aufzustellen und eine gemeinsame Sitzung beider Parteileitungen unter Teilnahme der Führung der Freien Gewerkschaften zu fordern? Gleichzeitig hätte man dieses Programm energisch nach unten tragen müssen, in alle Stockwerke der beiden Parteien und in die Massen. Die Verhandlungen hätten vor den Augen des ganzen Volkes geführt werden müssen, die Zeitungen hätten täglich darüber Bericht erstatten müssen, ohne Übertreibungen und ohne alberne Erfindungen. Auf die Arbeiter würde eine solche sachliche, ins Schwarze treffende Agitation unermeßlich stärker wirken als das ununterbrochene Gezeter über den „Sozialfaschismus“. Würde die Frage so gestellt, könnte sich die Sozialdemokratie keinen Augenblick mehr hinter der Pappdekoration der „Eisernen Front“ verstecken.

Lest Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus: das ist jetzt das zeitgemäßeste Buch! Gerade im Hinblick auf eine Situation, die der heutigen deutschen ähnlich war, sprach Lenin von der – wir zitieren wörtlich – „unbedingte(n) Notwendigkeit, zu lavieren, Übereinkommen und Kompromisse mit verschiedenen proletarischen Gruppen, mit verschiedenen Parteien der Arbeiter und der Kleinbesitzer zu schließen. Es kommt nur darauf an, daß man es versteht, diese Taktik so anzuwenden, daß sie zur Hebung und nicht zur Senkung des allgemeinen Niveaus des proletarischen Klassenbewußtseins, des revolutionären Geistes, der Kampf- und Siegesfähigkeit beiträgt.“

Wie aber handelt die Kommunistische Partei? In ihren Zeitungen wiederholt sie tagaus tagein, sie könne nur eine „Einheitsfront annehmen, die gegen Brüning, Severing, Leipart [3], Hitler und ihresgleichen gerichtet sein muß“. Angesichts des proletarischen Aufstands wird, dagegen läßt sich nichts einwenden, zwischen Brüning, Severing, Leipart und Hitler kein Unterschied bestehen. Gegen den Oktoberaufstand der Bolschewiki haben sich die Sozialrevolutionäre und Menschewiki mit den Kadetten und Kornilowianern vereinigt, Kerenski führte die Schwarzhundert-Kosaken General Krasnows [4] gegen die Hauptstadt, die Menschewiki unterstützten Kerenski und Krasnow, die Sozialrevolutionäre organisierten Junker-Aufstände unter Führung monarchistischer Offiziere.

Aber das heißt keineswegs, daß Brüning, Severing, Leipart und Hitler immer und unter allen Umständen zum gleichen Lager gehören. Augenblicklich gehen ihre Interessen auseinander. Für die Sozialdemokratie ist im Augenblick nicht so sehr das Problem aktuell, die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft vor der proletarischen Revolution zu schützen, als mehr das halbparlamentarisch-bürgerliche System vor dem Fachismus. Auf die Ausnützung dieses Widerstreits verzichten, wäre die ungeheuerlichste Dummheit.

„Krieg führen zum Sturz der internationalen Bourgeoisie ...“ schrieb Lenin in seinem Der „linke Radikalismus“ ..., „und dabei im voraus auf das Lavieren, auf die Ausnutzung von (wenn auch zeitweiligen) Interessengegensätzen zwischen den Feinden, auf Übereinkommen und Kompromisse mit möglichen (wenn auch zeitweiligen, unbeständigen, schwankenden, bedingten) Verbündeten verzichten – ist das nicht über alle Maßen lächerlich?“ Wir zitieren wiederum wörtlich: die von uns unterstrichenen Worte in Klammern stammen von Lenin.

Und weiter: „Einen mächtigeren Gegner kann man nur unter größter Anspannung der Kräfte und nur dann besiegen, wenn man unbedingt aufs angelegentlichste, sorgsamste, vorsichtigste, geschickteste ... jeden, selbst den kleinsten ‚Riß‘ zwischen den Feinden ... ausnutzt.“ Was machen indes die von Manuilski geführten Thälmann und Remmele? Den Riß zwischen Sozialdemokratie und Faschismus – und was für einen Riß! – versuchen sie aus allen Kräften mit der Theorie des Sozialfaschismus und der Praxis der Einheitsfrontsabotage zu schließen.

Lenin forderte Ausnutzung jeder „Möglichkeit ..., um einen Verbündeten unter den Massen zu gewinnen, mag das auch ein zeitweiliger, schwankender, unsicherer, unzuverlässiger, bedingter Verbündeter sein. Wer das nicht begriffen hat“ sagt er „der hat auch nicht einen Deut vom Marxismus und vom wissenschaftlichen, modernen Sozialismus überhaupt begriffen.“ Hört Ihr Propheten der neuen Stalinschen Schule: hier wird klipp und klar gesagt, daß Ihr nicht einen Deut vom Marxismus verstanden habt. Das hat Lenin von Euch gesagt, quittiert nur den Empfang!

Aber ohne Sieg über die Sozialdemokratie, wenden die Stalinisten ein, kann es keinen Sieg über die Faschisten geben. Ist das richtig? In gewissem Sinne ist es richtig. Aber auch der entgegengesetzte Lehrsatz ist richtig: Ohne Sieg über die italienischen Faschisten ist der Sieg über die italienische Sozialdemokratie unmöglich. Faschismus wie Sozialdemokratie sind Werkzeuge der Bourgeoisie. Solange das Kapital herrscht, werden Sozialdemokratie und Faschismus in verschiedenen Kombinationen existieren. Alle Fragen reduzieren sich somit auf einen Nenner: das Proletariat muß das bürgerliche Regime stürzen.

Doch gerade jetzt, da dieses Regime in Deutschland wankt, tritt der Faschismus zu seiner Verteidigung hervor. Um diese Verteidiger zu stürzen, sagt man uns, muß man zuvor mit der Sozialdemokratie Schluß machen ... So führt uns der leblose Schematismus in einen Teufelskreis. Ein Ausweg aus ihm ist denkbar nur auf dem Boden der Aktion. Die Art der Aktion hängt nicht vom Spiel mit abstrakten Kategorien, sondern vom wirklichen Verhältnis der lebendigen historischen Kräfte ab.

Nein, deklamieren die Beamten, „zuerst“ liquidieren wir die Sozialdemokratie! Auf welchem Wege? Sehr einfach: durch einen Erlaß an die Parteiorganisationen, 100.000 neue Mitglieder anzuwerben. Nackte Propaganda an Stelle politischen Kampfes, Kanzleipläne statt dialektischer Strategie. Und wenn die reale Entwicklung des Klassenkampfes die Arbeiterklasse jetzt schon mit dem Faschismus als einer Frage auf Leben und Tod konfrontiert? Dann muß man die Arbeiterklasse mit dem Rücken zur Aufgabe drehen, muß sie einschläfern, sie davon überzeugen, daß die Aufgabe des Kampfes gegen den Faschismus eine zweitrangige Aufgabe sei, daß sie warten kann, sich von selbst lösen wird, daß der Faschismus im Grunde schon herrscht, daß Hitler nichts Neues bringen wird, daß man Hitler nicht zu fürchten braucht, daß Hitler nur den Kommunisten den Weg bahnen wird.

Vielleicht ist das übertrieben? Nein, das ist der authentische Leitgedanke der kommunistischen Parteiführer. Sie entwickeln ihn nicht immer bis zum Ende. Bei der Begegnung mit den Massen scheuen sie oft selbst vor den letzten Schlußfolgerungen zurück, vermengen die verschiedenen Positionen, verwirren sich und die Arbeiter; aber überall dort, wo sie das eine Ende mit dem anderen zu verknüpfen suchen, gehen sie von der Unvermeidlichkeit des faschistischen Sieges aus.

Am 14. Oktober vergangenen Jahres sagte Remmele, einer der drei offiziellen kommunistischen Parteiführer, im Reichstag: „Das hat Herr Brüning sehr klar gesagt: wenn die (Faschisten) erst einmal an der Macht sind, wird die Einheitsfront des Proletariats zustandekommen und wird alles wegfegen (stürmisches Händeklatschen bei den Kommunisten).“ Daß Brüning mit einer solchen Perspektive die Bourgeoisie und die Sozialdemokratie schreckt, ist begreiflich: er verteidigt seine Herrschaft. Daß Remmele mit einer solchen Perspektive die Arbeiter vertröstet, ist beschämend: er bereitet Hitlers Macht vor, denn diese ganze Perspektive ist von Grund auf falsch und bezeugt völliges Unverständnis für die Massenpsychologie und die Dialektik des revolutionären Kampfes. Wenn Deutschlands Proletariat, vor dessen Augen sich gegenwärtig das alles offen abspielt, die Faschisten an die Macht kommen läßt, d.h. eine ganz mörderische Blindheit und Passivität an den Tag legt, so gibt es nicht die geringste Berechtigung zu der Annahme, das gleiche Proletariat werde mit einem Male die Passivität abschütteln und „alles hinwegfegen“; in Italien haben wir das jedenfalls nicht gesehen. Remmele urteilt ganz im Geiste der französischen kleinbürgerlichen Phraseure des 19. Jahrhunderts, die sich als voll-kommen unfähig zur Führung der Massen erwiesen hatten, dafür aber fest davon überzeugt waren, daß, wenn sich Louis Bonaparte an die Spitze der Republik setzen werde, das Volk sich unverzüglich zu deren Verteidigung erheben und „alles hinwegfegen werde“. Doch das Volk, das den Abenteurer Louis Bonaparte [5] an die Macht hatte kommen lassen, war natürlich unfähig, ihn nachher hinwegzufegen. Dazu bedurfte es neuer großer Ereignisse, historischer Erschütterungen, den Krieg eingeschlossen.

Die Einheitsfront des Proletariats ist für Remmele, wie wir gehört haben, erst nach Hitlers Machtergreifung realisierbar. Kann es ein kläglicheres Bekenntnis des eigenen Bankrotts geben? Da wir, Remmele und Co., unfähig sind, das Proletariat zu vereinigen, übertragen wir diese Aufgabe Hitler. Hat er uns erst das Proletariat vereinigt, werden wir uns ihm in ganzer Größe zeigen. Folgt die prahlerische Verkündigung: „Wer wird wen schlagen? Diese Frage ist bereits entschieden (Händeklatschen bei den Kommunisten.). Die Fragt lautet nur noch: Zu welchem Zeitpunkt werden wir die Bourgeoisie vernichten?“ Ausgerechnet! Das nennt man im Russischen mit dem Finger in die Himmel tippen. Wir sind die Sieger von morgen. Dazu fehlt uns heute nur die Einheitsfront. Die wird uns Hitler morgen geben, sobald er an die Macht kommt. Das heißt: der Sieger von morgen wird also doch nicht Remmele, sondern Hitler sein. Aber dann solltet Ihr Euch hinter die Ohren schreiben: der Augenblick des Sieges der Kommunisten wird nicht so bald kommen!

Remmele fühlt selbst, daß sein Optimismus auf dem linken Bein hinkt, und versucht, ihn zu stützen: „Die faschistischen Herrschaften schrecken uns nicht. Sie werden rascher abwirtschaften als jede andere Regierung. (Sehr richtig! bei den Kommunisten)“. Und als Beweis: die Faschisten wollen Papiergeldinflation, und das bedeutet Verderben für die Volksmassen, weshalb alles sich zum Besten wenden wird. So bringt Remmeles Wortinflation die deutschen Arbeiter vom Weg ab.

Wir haben hier die Programmrede eines offiziellen Parteiführers vor uns, herausgegeben in einer ungeheuren Anzahl von Exemplaren, den Zielen kommunistischer Werbung dienend – am Schluß der Rede ist ein fertiges Formular für den Beitritt zur Partei angebracht. Und diese Rede ist ganz und gar auf der Kapitulation vor dem Faschismus aufgebaut. „Wir fürchten nicht“ Hitlers Machtergreifung – das ist ja eben die Kehrseite der Feigheit. „Wir“ halten uns nicht für fähig, Hitler an der Machtergreifung zu hindern; noch Ärger: wir Bürokraten sind so verfault, daß wir uns nicht getrauen, ernsthaft an Kampf gegen Hitler zu denken; darum „fürchten wir uns nicht“. Wovor fürchtet Ihr Euch nicht: vor dem Kampf gegen Hitler? Nein, sie fürchten sich nicht vor dem ... Sieg Hitlers. Sie fürchten sich nicht, dem Kampf auszuweichen. Sie fürchten sich nicht, die eigene Feigheit einzugestehen. Schande, dreimal Schande!

In einer meiner früheren Broschüren schrieb ich, daß sich die Stalinsche Bürokratie anschickt, Hitler eine Falle zu stellen ... in Gestalt der Staatsmacht. Die kommunistischen Zeitungsschreiber, die von Münzenberg zu Ullstein und von Mosse [6] zu Münzenberg überlaufen, verkündeten sogleich: „Trotzki verleumdet die Kommunistische Partei“. Ist es doch klar: aus Feindschaft gegen den Kommunismus, aus Haß gegen das deutsche Proletariat, aus dem heißem Wunsch, die deutsche Bourgeoisie zu retten, schreibt Trotzki der Stalin-Bürokratie den Plan der Kapitulation zu. In Wirklichkeit brachte ich bloß Remmeles Programmrede und Thälmanns theoretischen Artikel auf ihre Formel. Wo ist da Verleumdung?

Thälmann wie Remmele bleiben dabei nur Stalins Evangelium treu. Rufen wir uns nochmals in Erinnerung, was Stalin im Herbst 1923 lehrte, als in Deutschland, wie heute, alles auf des Messers Schneide stand: „Sollen die Kommunisten“, schrieb Stalin an Sinowjew und Bucharin, (im jetzigen Stadium) „die Machtergreifung ohne die SPD anstreben, sind sie dafür schon reif? Das ist meiner Ansicht nach die Frage ... Wenn jetzt in Deutschland die Macht sozusagen fällt und die Kommunisten sie auffangen, werden sie mit Krach durchfallen. Das im ‚besten Falle‘. Im schlimmsten wird man sie kurz und klein schlagen und zurückwerfen ... Gewiß, die Faschisten schlafen nicht, aber es ist vorteilhafter für uns, daß die Faschisten als erste losschlagen: das wird die ganze Arbeiterklasse um die Kommunisten herum zusammenschließen ... Meiner Ansicht nach muß man die Deutschen zurückhalten, nicht aber ermuntern.“

In seiner Broschüre Der Massenstreik schreibt Langner [7]: „Die Behauptung (der Brandlerianer), daß ein Kampf im Oktober (1923) eine ‚entscheidende Niederlage‘ gebracht hätte, ist nichts weiter als der Versuch, die opportunistischen Fehler und die opportunistische kampflose Kapitulation zu beschönigen“ (S.10). Vollkommen richtig. wer aber war Initiator der „kampflosen Kapitulation“. Wer „hielt zurück“, statt „zu ermuntern“? Im Jahre 1931 hat Stalin nur seine Formel von 1923 weiterentwickelt: mögen die Faschisten die Macht übernehmen, sie werden uns nur den Weg bereiten. Natürlich ist es viel leichter, über Brandler herzufallen als über Stalin; Leute wie Langner wissen das sehr gut ...

Allerdings ist in den letzten zwei Monaten – nicht ohne Einfluß der entschiedenen Proteste von links – eine gewisse Änderung eingetreten: Die Kommunistische Partei spricht nicht mehr davon, daß Hitler an die Macht kommen muß, um sich rasch zu erschöpfen; sie verlegt das Schwergewicht jetzt mehr auf die entgegengesetzte Seite der Frage: man darf den Kampf gegen Hitler nicht verschieben, bis Hitler an die Macht gelangt ist, man muß den Kampf jetzt führen durch Mobilisierung der Arbeiter gegen die Brüning-Dekrete, durch Erweiterung und Vertiefung des Kampfes in der wirtschaftlichen und politischen Arena. Das ist völlig richtig. Alles, was die Vertreter der Kommunistischen Partei in diesem Rahmen sagen, ist unbestreitbar. Hier gibt es keine Meinungsverschiedenheiten zwischen uns. Aber die Hauptfrage bleibt dennoch: wie soll man von Worten zu Taten übergehen?

Die überwältigende Mehrheit der Parteimitglieder und ein bedeutender Teil des Apparates – wir zweifeln nicht im Mindesten daran – wollen aufrichtig den Kampf. Doch muß man der Wirklichkeit offen in die Augen sehen: diesen Kampf gibt es nicht, zu diesem Kampf kommt es nicht. Brünings Dekrete sind ungestraft geblieben. Der Weihnachts-Burgfrieden wurde nicht durchbrochen. Die Politik improvisierter Teilstreiks hat, nach den eigenen Berichten der Kommunistischen Partei, bisher kein ernsthaftes Resultat gebracht. Die Arbeiter sehen das. Mit bloßem Geschrei kann man sie nicht überzeugen.

Die Verantwortung für die Passivität der Massen schreibt die Kommunistische Partei der Sozialdemokratie zu. Im historischen Sinn ist das unbestreitbar. Doch wir sind ja nicht Historiker, sondern revolutionäre Politiker. Es geht nicht um historische Forschungen, sondern um die Suche nach einem Ausweg.

Die SAP, die in der ersten Zeit ihres Bestehens formell die Frage des Kampfes gegen die Faschisten (besonders in den Artikeln von Rosenfeld [8] und Seydewitz) aufwarf und den Zeitpunkt für den Gegenschlag mit Hitlers Machtantritt zusammenfallen ließ, hat einen gewissen Schritt vorwärts getan. Ihre Presse fordert jetzt, den Widerstand gegen den Faschismus sogleich zu beginnen durch Mobilisierung der Arbeiter gegen Hunger und Polizeiherrschaft. Wir geben bereitwillig zu, daß der Positionswechsel der SAP unter dem Einfluß der kommunistischen Kritik zustande gekommen ist; darin besteht ja auch die Aufgabe des Kommunismus: den Zentrismus durch die Kritik an dessen Halbheiten vorwärts zu stoßen. Aber das allein genügt nicht, man muß die Früchte der eigenen Kritik politisch ausnützen und der SAP vorschlagen, von Worten zu Taten überzugehen. Man muß die SAP einer offenen und genauen praktischen Prüfung unterziehen, nicht durch Interpretation einzelner Zitate – das ist unzureichend –, sondern indem man ein Abkommen über bestimmte praktische Widerstandsmaßnahmen vorschlägt. Wird die SAP ihre Unzulänglichkeit offenbaren, so wird die Autorität der Kommunistischen Partei um so mehr gehoben, die Zwischenpartei um so rascher liquidiert. Was ist da zu fürchten?

Doch es ist falsch, zu behaupten, daß die SAP nicht ernsthaft kämpfen will. Sie birgt verschiedene Tendenzen. Für den Augenblick, solange es sich nur um abstrakte Einheitsfrontpropaganda handelt, schlummern die inneren Widersprüche; beim Übergang zum Kampf werden sie manifest werden. Gewinnen kann dabei nur die Kommunistische Partei.

Bleibt noch die Hauptfrage, die nach der SPD. Wiese sie die von der SAP angenommenen praktischen Vorschläge zurück, so wäre damit eine neue Lage geschaffen. Die Zentristen, die in der Mitte zwischen KP und SP stehen, sich über diese und jene beklagen und auf Kosten beider bereichern wollen (Urbahns [9] entwickelt eine solche Philosophie), würden sogleich in der Luft hängen, denn es würde sich zeigen, daß gerade die SPD den revolutionären Kampf sabotiert. Wäre das nicht ein bedeutender Vorteil? Die Arbeiter innerhalb der SAP würden ihre Blicke von nun an entschieden zur KP hinwenden.

Doch die Weigerung von Wels und Co., ein Aktionsprogramm anzunehmen, dem die SAP zugestimmt hat, bliebe auch für die Sozialdemokratie nicht straflos. Der Vorwärts würde sogleich die Möglichkeit verlieren, über die Passivität der KP zu klagen. Die Einheitsfront würde auf die sozialdemokratischen Arbeiter sogleich eine stärkere Anziehung ausüben, und das käme einer stärkeren Anziehungskraft der KP gleich. Ist das nicht klar?

Bei jeder dieser Etappen und Wendungen würden sich der KP neue Möglichkeiten erschließen. Statt monotoner Wiederholung ein und derselben fertigen Formeln vor ein und demselben Auditorium erhielte sie die Möglichkeit, neue Schichten in Bewegung zu setzen, sie an Hand der lebendigen Erfahrung zu unterweisen, zu stählen und ihre Hegemonie in der Arbeiterklasse zu festigen.

Zugleich darf die KP natürlich keineswegs auf die selbständige Führung von Streiks, Demonstrationen, politischen Kampagnen verzichten. Sie bewahrt die volle Aktionsfreiheit, wartet auf niemanden. Aber auf Grund ihrer Aktionen führt sie den übrigen Arbeiterorganisationen gegenüber eine aktive Manöverpolitik, zertrümmert die konservativen Barrieren in der Arbeiterklasse, macht die Widersprüche im Reformismus und Zentrismus offenkundig, treibt die revolutionäre Kristallisation im Proletariat voran.

 

 

Fußnote von Trotzki

1*. In der französischen Zeitschrift Cahiers du Bolchévisme der dümmsten und unwissendsten aller stalinistischen Publikationen, hat man sich mit Gier der Anspielung auf des Teufels Großmutter bemächtigt, ohne selbstverständlich zu ahnen, daß sie in der marxistischen Presse auf eine lange Geschichte zurückblickt. Die Stunde ist, hoffen wir, nicht fern, da die revolutionären Arbeiter ihre unwissenden und skrupellosen Schulmeister zu besagter Großmutter in die Lehre schicken werden!


Anmerkungen

1. Torhorst:

2. Willi Münzenburg (1889–1940): Sekretär des Internationalen Sozialistischen Jugendbunds 1914–21, danach der Jungen Kommunistischen Internationale; führende Persönlichkeit der KPD und Organisator vieler Frontorganisa-tionen; begründete 1924 die Internationale Arbeiterhilfe (IAH); brach mit der Partei 1937 nach den Moskauer Prozessen; erhängt gefunden nach Ent-kommen aus einem Internierungslager 1940; sein Tod von verschiedenen Leuten der Gestapo und dem NKWD zugeschrieben.

3. Theodor Leipart: Führer des ADGB; versuchte mit der Hitler-Regierung zusammenzuarbeiten, z.B. beim Feiern des „Tags der nationalen Arbeit“ am 1. Mai 1933; verhaftet am 2. Mai 1933.

4. P.N. Krassnow (1869–1947): zaristischer General; versuchte, auf Petrograd zu marschieren gerade nach der Oktoberrevolution; verhaftet und frei-gelassen, nachdem er versprochen hatte, nichts weiteres gegen die Revo-lution zu unternehmen; ging zum Donbass und organisierte konterrevo-lutionäre Armee mit Hilfe der Deutschen und dann der Alliierten.

5. Louis Napoleon III. Bonaparte: Neffe von Napoleon Bonaparte; franzö-sischer Präsident 1848–52; Kaiser der Franzosen 1852–70.

6. Ullstein:Mosse:

7. Langner:

8. Kurt Rosenfeld: linker sozialdemokratischer Abgeordneter; Mitglied der Opposition innerhalb der SPD; spaltete ab, um die SAP zu bilden.

9. Hugo Urbahns (1890-1947): deutscher Kommunist; Mitarbeiter von Fischer und Maslow in der Parteiführung 1924-26 und danach in der Opposition; ausgeschlossen aus der KPD 1928; Mitbegründer des Leninbunds; im Exil in Schweden ab 1933 bis zu seinem Tod 1947.

 


Zuletzt aktualiziert am 22.7.2008