Leo Trotzki

 

Über das „jüdische Problem“

(Februar 1934)


Aus der amerikanischen Zeitung Class Struggle, Bd.4 Nr.2, Februar 1934.
Übersetzung: Nick Brauns.
Kopiert mit Dank von der jetzt verschwundenen Webseite Marxistsiche Bibliothek.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Frage: Soll die Linke Opposition spezielle Forderungen entwickeln, um die jüdische Arbeiterklasse in Amerika zu gewinnen?

L.T.: Die Rolle jüdischen Arbeiter ausländischer Herkunft wird in der amerikanischen proletarischen Revolution eine sehr große und gewisser Hinsicht sogar entscheidende sein. Es kann keine Frage sein, dass die Linke Opposition alles ihr mögliche unternehmen muss, um in das Leben der jüdischen Arbeiter einzudringen.

Frage: Wie ist Ihre Haltung gegenüber der jüdischen Sprache. Warum nennen Sie diese in Ihrer Autobiographie einen „Jargon“?

L.T.: Meine Haltung zur jüdischen Sprache ist ähnlich, wie gegenüber allen Sprachen. Wenn ich in meiner Autobiographie tatsächlich den Ausdruck „Jargon“ benutzt habe, dann, weil in meinen Jugendjahren in Odessa die jüdische Sprache nicht, wie heute Jiddisch genannt wurde, sondern „Jargon“. Dies war die Bezeichnung durch die Juden selber, die darin kein Zeichen der Herablassung sahen. Das Wort „Jiddisch“ ist seit 15 bis 20 Jahren im allgemeinen Sprachgebrauch. Ich kann dies sogar in Frankreich beobachten.

Frage: In jüdischen Kreisen gelten Sie als ein „Assimilierer“. Was ist Ihre Haltung gegenüber der Assimilierung?

L.T.: Ich verstehe nicht, warum ich für einen „Assimilierer“ gehalten werde. Ich weiß generell nicht, was für eine Bedeutung dieses Wort hat. Ich bin verständlicherweise ein Gegner des Zionismus und aller dieser Formen der Selbstisolation von Seiten der jüdischen Arbeiter. Ich fordere die jüdischen Arbeiter in Frankreich dazu auf, sich besser mit den Problemen des französischen Lebens und der französischen Arbeiterklasse bekannt zu machen. Ohne dies ist es schwierig, sich an der Arbeiterbewegung des Landes zu beteiligen, in dem sie ausgebeutet werden. Da das jüdische Proletariat auf verschiedene Länder verstreut ist, ist es notwendig für die jüdischen Arbeiter, sich zu bemühen, neben ihrer eigenen Sprache die Sprache anderer Länder als eine Waffe im Klassenkampf zu kennen. Was hat das mit „Assimilation“ zu tun?

Frage: Die offizielle Kommunistische Partei hat – ohne Frage – die jüdisch-arabischen Ereignisse in Palästina 1929 als einen revolutionären Aufstand der unterdrückten arabischen Massen charakterisiert. Was ist Ihre Meinung zu dieser Politik?

L.T.: Leider kenne ich die Tatsachen nicht ausreichend genug, um mir eine eindeutige Meinung zu erlauben. Ich beschäftige mich nun mit dieser Frage. Dann wird es einfacher zu erkennen sein, in welchem Verhältnis es dort solche Elemente wie nationale Befreiungskämpfer (Antiimperialisten) und reaktionäre Moslems und antisemitische Pogromisten gab. Oberflächlich gesehen, scheint es mir, dass alle diese Elemente vorhanden waren.

Frage: Was ist Ihre Position zu Palästina als einem möglichen jüdischen „Heimatland“ und generell zu einem eigenen Land für die Juden? Denken Sie nicht, dass der Antisemitismus der deutschen Faschisten von Seiten der Kommunisten eine andere Herangehensweise an die jüdische Frage erzwingt?

L.T.: Sowohl der faschistische Staat in Deutschlands, als auch der arabisch-jüdische Kampf bringen neue und sehr deutliche Bestätigungen für den Grundsatz, dass die jüdische Frage im Rahmen des Kapitalismus nicht gelöst werden kann. Ich weiß nicht, ob das Judentum wieder als eine Nation aufgebaut wird. Wie auch immer, es besteht kein Zweifel, dass die materiellen Bedingungen für die Existenz des Judentums als unabhängige Nation nur durch die proletarische Revolution geschaffen werden können. Es gibt auf unseren Planeten nicht so etwas, wie die Idee, dass einer mehr Anrecht auf Land hat, als ein anderer.

Die Errichtung einer territorialen Basis für die Juden in Palästina oder irgendeinem anderen Land ist nur durch die Migration großer Menschenmassen denkbar. Nur ein siegreicher Sozialismus kann sich selbst solche Ziele stellen. Es ist absehbar, dass dies entweder auf der Basis gegenseitigen Einverständnisses geschieht, oder mit Hilfe einer Art internationalen proletarischen Tribunals, das diese Frage aufwerfen und lösen soll.

Die Sackgasse, in der sich die deutschen Juden sich befinden, ebenso, wie die Sackgasse, in der der Zionismus sich befindet ist unlösbar verbunden mit der Sackgasse des weltweiten Kapitalismus als ganzem. Nur, wenn die jüdischen Arbeiter diesen Zusammenhang klar erkennen, werden sie gegenüber Pessimismus und Hoffnungslosigkeit gewappnet sein.


Zuletzt aktualisiert am 22.7.2008