Leo Trotzki

 

Verteidigung des Marxismus

 

Referendum und demokratischer Zentralismus


Veröffentlicht 1942 in der Sammlung In Defense of Marxism.
Transkription: Tim Vanhoof.
HTML-Markierung: Tim Vanhoof u. Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Wir verlangen ein Referendum über die Kriegsfrage, weil wir den Zentralismus der imperialistischen Staaten lähmen oder schwächen wollen. Aber können wir das Referendum als die übliche Methode anerkennen, um Streitfragen in unserer eigenen Partei zu entscheiden? Man kann diese Frage nur verneinen.

Wer für ein Referendum ist, erkennt damit an, daß eine Parteientscheidung einfach eine arithmetische Summe lokaler Entscheidungen ist, wobei jede dieser lokalen Organisationen unvermeidlich durch ihre eigenen Kräfte und durch ihre begrenzte Erfahrung beschränkt ist. Wer für ein Referendum ist, muß für das imperative Mandat sein, d.h., für ein Verfahren, bei dem jede lokale Organisation berechtigt ist, ihren Vertreter auf einem Parteitag zu zwingen, in einer bestimmten Weise zu stimmen. Wer das imperative Mandat anerkennt, verneint damit automatisch die Bedeutung von Parteitagen als dem höchsten Parteiorgan. Anstelle eines Parteitages reicht es aus, die lokalen Stimmen zu zählen. Die Partei als ein zentralisiertes Ganzes verschwindet. Indem man ein Referendum anerkennt, ersetzt man den Einfluß der fortschrittlichsten Lokalorganisation und der erfahrensten und weitsichtigsten Genossen der Hauptstadt oder der Industriezentren durch den Einfluß der unerfahrensten rückständigsten Gruppen usw.

Selbstverständlich sind wir für eine allseitige Untersuchung und dafür, daß über jede Frage von jeder lokalen Parteiorganisation, von jeder Parteizelle abgestimmt wird. Aber gleichzeitig muß jeder Delegierte, der von einer lokalen Organisation gewählt wird, das Recht haben, alle Argumente zu einer Frage auf dem Parteitag abzuwägen und zu stimmen, wie es seine politische Ansicht von ihm verlangt. Wenn er auf dem Parteitag gegen die Mehrheit stimmt, die ihn delegiert hat, und wenn er seine Organisation nach dem Parteitag nicht von der Richtigkeit überzeugen kann, kann die Organisation ihm danach ihr politisches Vertrauen entziehen. Solche Fälle sind unvermeidlich. Aber sie sind ein unvergleichlich geringeres Übel als ein System von Referenda oder imperativen Mandaten, die die Partei als Ganzes völlig abtöten.

Coyoacan, D.F.,
21. Oktober 1939

 


Zuletzt aktualisiert am 22.7.2008