Clara Zetkin

 

Über die Bolschewisierung der kommunistischen Parteien

Aus einer Diskussionsrede auf dem V. Erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale

(30. März 1925)


Protokoll. Erweiterte Exekutive der Kommunistischen Internationale. Moskau, 21. März bis 6. April 1925, Hamburg 1925, S.170f., 178f.
Zetkin, Clara: Zur Theorie und Taktik der kommunistischen Bewegung, Leipzig 1974, S.199-202.
Kopiert mit Dank von der verschwundenen Webseite Marxistische Bubliothek.
Transkription und HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Genossen! Die vorliegenden Thesen zur Bolschewisierung begrüße ich aufrichtig. Genosse Sinowjew hat durchaus recht. Leider! Die objektive Weltlage ist nicht unmittelbar revolutionär in diesem Augenblick. Das bedeutet aber keineswegs eine Herabminderung der Aktionsmöglichkeit, ja der Aktionsverpflichtung für die kommunistischen Parteien. Umgekehrt, ich erblicke darin eine gewaltige Belastungsprobe für ihre Reife und Stärke. Und ich kann aus meiner Meinung kein Hehl machen, daß ich betreffs dieses Faktors, dieses einen Teiles der subjektiven Triebkräfte des gesellschaftlichen Geschehens, nämlich betreffs der Entwicklung der kommunistischen Parteien, die Situation nicht etwa pessimistisch betrachte, aber doch vielleicht um eine Nuance kritischer, als mancher unter uns es tut. Ich finde, die Spanne ist noch sehr groß zwischen den meiner Überzeugung nach herannahenden schweren Kämpfen, in denen die kommunistischen Parteien die Führer des Proletariats sein müssen, und der Reife und Stärke unserer Sektionen. Ich halte deshalb die Thesen zur Bolschewisierung der kommunistischen Parteien für eine absolute Notwendigkeit. Nicht etwa, daß ich sie betrachte als den Nürnberger Trichter, mittels dessen die Komintern über Nacht Torheit in Weisheit, Mangel in revolutionäre Tugend zu verwandeln möchte. Aber ich bewerte sie sehr hoch als ein unentbehrliches Hilfsmittel, unsere kommunistischen Parteien zu wirklichen bolschewistischen Massenparteien zu machen, und es ist an der Zeit, daß dies geschieht. Ich sehe in den Thesen den festen Willen, in den kommunistischen Parteien alle ehrlich revolutionär gesinnten Elemente in reinlicher Scheidung von dem Opportunismus rechts und von dem phantastischen Putschismus, von dem revolutionären Romantismus auf der Linken zusammenzufassen, straff, fest, auf einer einheitlichen ideologischen und organisatorischen Grundlage.

[...]

Genossen, Teilforderungen können nun und nimmer den revolutionären Kampf ersetzen oder ausschalten. Aber sie müssen und werden umgekehrt den revolutionären Kampf zur Eroberung der Macht beschleunigen, müssen für ihn jene breiten Massen sammeln und organisieren, die unter Führung der Kommunistischen Partei die Staatsgewalt für das Proletariat erobern. Wir müssen unser Maximum an Kraft darauf verwenden, durch Teilforderungen in Teilkämpfen engste Verbindung zwischen der Kommunistischen Partei und den proletarischen Massen, den Massen der Besitzlosen und Ausgebeuteten, der vom Großkapital Ausgeplünderten herbeizuführen. Ich halte solche Teilkämpfe zur Mobilisierung der Massen nicht nur für einen Akt der Notwehr des Proletariats, um die Generaloffensive des Kapitals zurückzuschlagen. Es muß alles geschehen, damit die kommunistischen Parteien breiteste Massen der Werktätigen mit höchster Kraft in den Kampf für Sowjetrußland führen können. Gegenwärtig ist ein wichtiger Teil der Anstrengungen des Weltkapitals zu seiner Wiederbefestigung die sowjetfeindliche Politik. Die Politik der Einkreisung, die Politik des offenen oder geheimen Rüstern, der offenen oder geheimen Bündnisse zu Überfällen auf die Sowjetunion. Das Proletariat der Westländer und der Vereinigten Staaten muß jederzeit durch starke Bewegung durchsetzen: Hände weg von der Sowjetunion! – Heraus mit der juristischen Anerkennung, wo sie noch nicht beschlossen worden ist, heraus mit guten, normalen wirtschaftlichen, kommerziellen Beziehungen zur Sowjetunion! „Gut“ und „normal“ selbstverständlich in Gänsefüßchen, wie es in der kapitalistischen Welt möglich ist,

Die kommunistischen Parteien haben die Aufgabe, das Proletariat mit Erfolg für solche Bewegungen zu mobilisieren und es in ihnen zu führen. Sie können diese Aufgabe nun und nimmermehr lösen, wenn sie kleine, reine Sekten sind, die die Gebetsmühle von revolutionären Formeln drehen. Sie können diese Aufgabe nur lösen als bolschewistische Massenparteien, die das denkende Hirn, das organisatorische Rückgrat und der leitende Arm von Massenbewegungen sind. Der Kampf für Teilforderungen verbindet uns mit den proletarischen, mit den werktätigen Massen zu ausschlaggebender Macht. Wir müssen im Kampf für die Teilforderungen eine Energie und Entschlossenheit entfalten, als handele es sich dabei um die Eroberung der Staatsgewalt selbst. Umgekehrt müssen wir aber auch in jedem Kampfe für die kleinsten Teilforderungen stets den Gedanken, stets die Forderung des Endkampfes, zur Eroberung der Macht mit revolutionären Waffen mit einer Klarheit und Festigkeit vertreten und dem Bewußtsein der Massen einprägen, als wollten wir nicht morgen, nein, als wollten wir schon heute die Staatsmacht in die Faust des Proletariats bringen. Ich halte die Thesen zur Bolschewisierung für vorzüglich geeignet, die kommunistischen Parteien zu Massenparteien zu entwickeln, die den Anforderungen der geschichtlichen Stunde genügen. Ich halte sie für vorzüglich geeignet, den kommunistischen Parteien jene Vorzüge zu eigen zu machen, die bis jetzt allein und nur die Kommunistische Partei Rußlands in so hohem Maße auszeichnen, ihr unüberwindliche Siegeszuversicht, Ausdauer und Tragkraft verliehen haben. Lernen wir durch diese Thesen die revolutionäre Realpolitik, die die kleinsten konkreten Umstände beachtet und ausnützt, verbinden mit der Unerschütterlichkeit, mit der wir in jedem Augenblick vor den Massen, unter den Massen die Forderung vertreten: Eroberung der Staatsgewalt und Aufrichtung der proletarischen Diktatur! Machen wir uns durch die Bolschewisierungsthesen jene Elastizität des Bolschewismus zu eigen, die bereit und fähig ist, in jedem Augenblick mit höchster Energie vorzustoßen, aber auch ausdauernd und tragfest genug ist, um in Augenblicken des Stillstandes, des weniger revolutionär pulsierenden Lebens, in geschlossener Front zu halten, immer mehr Massen um sich sammelnd, immer mehr Massen mit sich verbindend, immer mehr Massen bolschewisierend. Haben wir die Bolschewisierung der Partei, so werden wir auch zu der notwendigen Bolschewisierung der Massen gelangen: Bolschewisierung der Massen durch die bolschewistische Partei. Und die Massen werden sich mit der kommunistischen Partei zusammenfinden zu der einen unwiderstehlichen revolutionären Macht, die die Weltrevolution trägt. Die Thesen zur Bolschewisierung werden uns zu diesem Ziele vorwärtsführen. Arbeiten wir als Bolschewiki, kämpfen wit als Bolschewiki, sterben wir als Bolschewiki! Erlangen wir die Kraft und Reife, als Bolschewiki das Weltproletariat zum Siege zu führen!


Zuletzt aktualisiert am 19.7.2008