Protokoll des Gründungsparteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands

 

Zweiter Verhandlungstag
Dienstag, den 31. Dezember 1918
Vormittagssitzung

Nach ½10 Uhr eröffnet Genosse Pieck die Sitzung und schlägt vor, das Referat des Genossen Paul Lange über „Wirtschaftliche Kämpfe“ zuerst zu behandeln.

Der Vorsitzende, Genosse Walcher [Stuttgart], verliest ein Begrüßungstelegramm aus Schwientochlowitz [Oberschlesien]und schlägt vor, es in derselben Weise zu beantworten, wie es gestern von der Nachmittagssitzung bereits an eine andere Gruppe streikender Bergarbeiter beschlossen ist, ferner schlägt er die Absendung eines neuen Begrüßungstelegramms an alle oberschlesischen Bergarbeiter vor. Die Versammlung erklärt sich damit einverstanden. [1]

Nunmehr nimmt Genosse Lange das Wort zu seinem Vortrage:

5. Punkt der Tagesordnung:
Wirtschaftliche Kämpfe

Genosse Lange [Zentrale]: Werte Genossen! Die politische Verbrüderung der alten Sozialdemokratie mit dem Bürgertum im Jahre 1914 fand ihr Gegenstück in dem Burgfrieden, den die wirtschaftlichen Organisationen, den die Unternehmerorganisationen abschlossen mit den Gewerkschaften der Arbeiter. Sie wissen, wie der Burgfrieden in den Kriegsjahren gewirkt hat. Seine Wirkung war, die Arbeiterlöhne niedrig zu halten und den Unternehmerprofit ins riesenhafte anwachsen zu lassen. Allerdings haben sich das die Arbeiter in ihrer Gesamtheit nicht die ganzen Kriegsjahre gefallen lassen. Das Proletariat kam bald dahinter, welche Wirkungen der Burgfrieden für es haben muß. Es kam zu Streiks, wie in Oberschlesien und in Rheinland-Westfalen. Aber allmählich griffen die Streiks über auf andere Industriezweige. Als man sah, daß der freiwillige Burgfrieden nicht mehr aufrechterhalten werden konnte, paragraphierte man ihn und goß ihn in die Form des Hilfsdienstgesetzes [2] – zu dem offenbaren Zweck, die Macht der Arbeiterklasse zu lähmen –, das in Gemeinschaft mit dem Schützengraben die Aufgabe hatte, das Proletariat niederzuhalten. Auch das Hilfsdienstgesetz hat vom kapitalistischen Standpunkt aus diesen Zweck mir unvollkommen erfüllt, das Proletariat hatte trotz des Hilfsdienstgesetzes allmählich seine Fesseln gelockert, es kam trotz des Hilfsdienstgesetzes zu den großen Streiks im Januar 1918, bis im November 1918 die Revolution das Hilfsdienstgesetz zerschlug.

Wir stehen jetzt im Jahre 1918 nach der Revolution wieder vor derselben Tatsache wie im Jahre 1914, daß nämlich, wie das Bürgertum einerseits sich mit den Scheidemännern verbrüdert, so haben jetzt andererseits das Unternehmertum und die Gewerkschaften die Arbeitsgemeinschaft [3] abgeschlossen, und wir können tatsächlich in der Kapitalistenpresse lesen, daß die Unternehmer vor den Gewerkschaften gar keine Angst mehr haben, sondern im Gegenteil, daß die Kapitalisten besorgt sind, die Arbeiter könnten aus den Gewerkschaften austreten und die Arbeiter würden nicht mehr den Gewerkschaften beitreten. Wir haben neulich in der Vossischen Zeitung ein Lob, der Gewerkschaften gelesen, daß sie sehr maßvoll seien, und in dem Berliner Tageblatt wurde den Arbeitern zugerufen, sie sollen zurückkehren zu dem alten gewerkschaftlichen System, was nichts weiter bedeutet als einen Zank um einen Pfennig Lohnerhöhung, zurück zu dem alten kapitalistischen System, das heißt zurück von dem Gedanken an die Sozialisierung der Betriebe.

Die Gewerkschaften betrachten es nicht als ihre Aufgabe, die Vergesellschaftung der Produktionsmittel zu betreiben, sondern sie halten es günstigstenfalls für ihre Aufgabe, für einen Pfennig Lohnerhöhung sich herumzuschlagen. Die Aufgabe der Gewerkschaften, wie sie sie auffassen, ist nicht, die Vergesellschaftung der Produktionsmittel herbeizuführen, sondern ein großer Teil der Gewerkschaftsbeamten sieht es geradezu als seine Aufgabe an, die Sozialisierung der Betriebe zu verhindern. Sie sagen, die Sozialisierung der Betriebe ist zur Zeit undurchführbar, vielleicht überhaupt undurchführbar, zumindest in der Gegenwart infolge der Kriegswirkungen nicht möglich. Das sind dieselben Leute, die gleich nach Kriegsausbruch durch die ganze Welt riefen. Sozialismus, wohin wir blicken! Wir haben es in den Gewerkschaftszeitungen gelesen, daß die Militarisierung der Betriebe damals der Arbeiterschaft angepriesen wurde als der Sozialismus. Dieselben Leute, die damals über den Sozialismus jubelten, die die Militarisierung der Betriebe begrüßten, sagen jetzt, ein wirklicher Sozialismus sei nicht durchführbar.

Was hat sich im Laufe der Kriegsjahre in wirtschaftlicher Beziehung zugetragen? Der Lebensmitteleinkauf im Auslande wurde zentralisiert. Unter dem Druck des Auslandes war es notwendig, den Einkauf nicht den einzelnen Kapitalisten zu überlassen, weil der kapitalistische Einkauf im Ausland dazu beitrug, die Nahrungsmittelpreise ins ungeheure zu steigern. Es wurde notwendig, den Einkauf zu zentralisieren, ihn durch bürokratische Einrichtungen verstaatlichen zu helfen. Der Einkauf der Rohstoffe aus dem Auslande ist kontingentiert, staatlich kontrolliert worden. Wir haben ferner gesehen, daß eine große Reihe von Betrieben in den verschiedensten Industriezweigen stillgelegt worden sind. Ich erinnere daran, daß in der Textilbranche unzählige Betriebe stillgelegt, zusammengelegt wurden. Dasselbe gilt von anderen Industrien. Ich erinnere an die Mühlen, von denen viele kleine Betriebe ausgeschaltet worden sind. In unzähligen Betrieben hat man die Werkzeuge, die notwendigsten Inventargegenstände herausgenommen, weil man sie anderwärts brauchte für die Kriegsindustrie, und [hat] auch viele Betriebe in den verschiedensten Industrien lahmgelegt. Viele Kleinbetriebe sind zertrümmert worden zum Nutzen des Großkapitals, vielfach im Interesse des Großkapitals enteignet, das während der Kriegszeit ganz außerordentliche Profite gemacht hat. Es verteilte die Rohstoffe an die Fabriken. Der kapitalistische Betrieb konnte während des Krieges nicht in vollem Umfange aufrechterhalten werden, weil die nötigen Rohstoffe nicht vorhanden waren. Es mußten also allerhand technische Maßnahmen getroffen werden im Interesse der Kriegführung. Und da meine ich nun, daß alle diese vielen technischen Maßnahmen und Eingriffe, die da vorgenommen worden sind, daß die in gewissem Sinne eine Basis dafür bieten, daß die Vergesellschaftung der Produktionsmittel herbeigeführt werden kann. Von den Gegnern der Sozialisierung hören wir es gerade umgekehrt. Die Gegner der Sozialisierung erklären, alle diese Maßnahmen müssen wieder abgeschafft werden, die staatliche Kontrolle muß abgeschafft werden, es müssen in der Textilindustrie alle Beschränkungen der Produktion fallen, es muß auch dort wieder der volle kapitalistische Betrieb herbeigeführt werden. Dasselbe gilt von der Verteilung der Nahrungsmittel. Der gesamte kapitalistische Betrieb muß erst seiner vollen Blüte entgegengeführt werden, und nachher ist der Zeitpunkt der Sozialisierung der Betriebe gekommen.

Werte Genossen! Das wird selbstverständlich von den Gegnern der Sozialisierung der Betriebe nicht im Ernst vorgetragen, [sondern deshalb,] weil die Leute Zeit gewinnen wollen, weil man sich sagt, Zeit gewonnen ist alles gewonnen. Aber gerade die gegenwärtigen Verhältnisse in der Industrie, die Tatsache, daß der Unternehmer nicht mehr wie in Friedenszeiten die Rohstoffe zu beschaffen in der Hand hat, die Produktionsgestaltung vielfach im Einvernehmen mit den Behörden geschieht, dadurch wird die Vergesellschaftung nicht erschwert, sondern bedeutend erleichtert. Wir wissen, daß in vielen Industrien der Vertrieb der Produkte nicht in der ungehemmten kapitalistischen Weise geschah, daß auch dort bürokratisiert worden ist, eine Kriegsgesellschaft den Vertrieb der Produkte übernahm. Alles das sind Umstände, die die Vergesellschaftung der Betriebe nicht erschweren, sondern erleichtern, und gerade, weil der wirtschaftliche Neuaufbau erfolgen wird, weil er nur nach Bedarfsgesichtspunkten geschehen darf, deshalb ist es notwendig, daß die Produktion nicht wieder in die alten kapitalistischen Bahnen geleitet wird. In der Gegenwart müssen alle Maßnahmen getroffen werden, um die Übernahme der Betriebe in die [Hand der] Allgemeinheit zu bewerkstelligen und durchzuführen.

Da hat neulich in einer Versammlung der Arbeiterräte der bisherige Volksbeauftragte Barth eine Rede gehalten, in der er den Anwesenden darlegte, die Sozialisierung der Betriebe sei sehr wünschenswert, [jetzt jedoch noch] nicht notwendig. Ohne die Mitwirkung der Unternehmer geht es nicht. Wir müssen sie überzeugen, daß die Sozialisierung der Betriebe auch von ihrem Standpunkt etwas Wünschenswertes und Begrüßenswertes ist. Barth führte dort aus, die Unternehmer werden bei der Sozialisierung etwas verlieren, nämlich den Profit. Aber wenn wir sie richtig überzeugen, werden sie etwas viel Besseres und Schöneres gewinnen, nämlich man muß ihnen beibringen, daß sie durch den Verzicht auf den Profit, durch die Durchführung der Vergesellschaftung das beseligende Bewußtsein finden werden, daß es um sie herum kein Elend und keine Sorgen mehr geben wird. Genossen, wenn wir solange warten wollen, bis wir dem Unternehmertum dieses beseligende Bewußtsein beigebracht haben, das wird keiner von uns nachher erleben.

Die Sozialisierung der Betriebe, die Notwendigkeit der Sozialisierung der Betriebe ist heute selbst in die Volksmassen gedrungen, die bis dahin für den Gedanken noch ganz unzugänglich waren. Allerdings mit der Einschränkung, daß unter Sozialisierung der Betriebe die bisher indifferenten Volksmassen sich natürlich nicht das vorstellen, was wir wollen, daß aber selbst sie das Bewußtsein haben, daß die bisherige kapitalistische Ausbeutung der Arbeiter durch das Unternehmertum nicht mehr weitergehen kann. So finden wir denn, daß selbst die Zentralauskunftsstelle, an deren Spitze der Staatssekretär Erzberger steht, ein Zirkular herausgegeben hat, in dem steht, „früher oder später werden wir zur Sozialisierung kommen. Wir müssen uns klarmachen, was Sozialisierung bedeutet. Wir müssen ihr mit all ihren Folgen ins Auge sehen, und wir brauchen uns vor ihr nicht zu fürchten. Sozialisierung ist Vergesellschaftung unserer Betriebe, und sie wird überall da eintreten, wo sie wirtschaftlich notwendig oder zweckmäßig ist. Unser Staat soll ein großer, gemeinsamer Wirtschaftsbetrieb werden, in dem jedem ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird.“

Wir werden diese Ausführungen nicht überschätzen. Wir werden darin nicht mehr sehen als ein Sand-in-die-Augen-Streuen den Arbeitern. Man will die Arbeiter mit solchen Redensarten besänftigen, man will ihnen beibringen, wir wollen das, wir sind für die Vergesellschaftung, bloß jetzt in der Gegenwart darf es nicht herbeigeführt, darf nichts überstürzt werden. Es wird schon alles viel später allmählich kommen. Da meine ich, die Arbeiter tun recht daran, wenn sie nicht Wert auf solche Worte legen, wenn sie alles tun, um die Sozialisierung der Betriebe herbeizuführen. Wir haben allerhand große Bewegungen in den letzten Wochen erlebt, die Bergarbeiterstreiks im Ruhrrevier, die Bewegung in Oberschlesien. Wir haben dort feststellen müssen, daß die Führer der USP, daß die Haase und Barth und Ströbel den Arbeitern beizubringen versuchten: Ihr müßt jetzt in der alten Weise dem kapitalistischen System Rechnung tragen, Ihr müßt für den Profit des Unternehmertums auch weiterhin schuften. Aber die Arbeiter haben nicht mehr das Verständnis für die Lehre, die man ihnen beigebracht hat. Haase und Ströbel mögen sich mißbrauchen lassen für die Regierung, die das Unternehmertum stützt, die Arbeiter sind nicht mehr durchdrungen von der Überzeugung, daß sie für den Profit des Unternehmers da sind, sondern sie sind der Überzeugung, daß die Vergesellschaftung ernstlich in Angriff genommen werden muß.

Genossen, Sie werden die Kundgebung des Zentralrates der Arbeiter- und Soldatenräte gelesen haben, die unterzeichnet ist von Robert Leinert und Max Cohen. Es heißt in diesem Aufruf, daß, wer nicht mitarbeitet, das heißt, wer nicht in dem Sinne der Ebert-Scheidemann mitarbeitet, der verhindert die Sozialisierung der dazu reifen Unternehmungen und treibt das deutsche Wirtschaftsleben in den Abgrund. Das ist ein rechter Demagogenkniff. Ich wollte darauf zurückkommen, daß die Leute, die uns erzählen, wir verhindern die Sozialisierung, daß sie ja überhaupt keine Unternehmungen für reif ansehen und auch nicht ansehen wollen. Da hat der Staatssekretär des Reichswirtschaftsamtes, Herr Dr. August Müller, eine Besprechung mit den Vertretern der Berliner Presse gehabt. August Müller, der ja für diese Frage zuständig ist, er hat nach dem Berliner Tageblatt den Vertretern der Presse gesagt: „Bei uns ist eine Sozialisierung der Betriebe unmöglich. Die Entente wird uns unser Staatseigentum als Pfand abnehmen. Daher wäre es eine Dummheit, den Bergbau zu verstaatlichen. Die Verstaatlichung des Bergbaus wäre sogar ein Verbrechen.“ [4]

Ich erinnere Sie daran, daß in derselben Regierung vor zwei Tagen noch der Volksbeauftragte Barth saß, der an die Bergarbeiter im Ruhrrevier ein Schreiben richtete, in dem er sagte, daß er sein Versprechen aufrechthalten wolle, daß die Sozialisierung des Bergbaus bald in Angriff genommen werde. Müller sagte etwas anderes für das Reichswirtschaftsamt. Er meinte, es gibt nur einen Grundsatz, welches System rationeller ist vom Standpunkt der Allgemeinheit, nicht des Arbeiters. Er unterschied zwischen den Interessen der Allgemeinheit und der Arbeiter. Nur aus dieser Erwägung heraus dürfen wir sozialisieren ... [5] Er meinte weiter, die Sozialisierungskommission ist nicht identisch mit dem Reichswirtschaftsamt. Sie ist eine freie wirtschaftliche Kommission. Für das Reichswirtschaftsamt sind nur die wirtschaftlichen Voraussetzungen maßgebend. Ihre Beschlüsse faßt die Kommission in eigener Verantwortung. Sie übergibt nur dem Reichswirtschaftsamt das Material, aber ohne das Reichswirtschaftsamt wird nicht sozialisiert werden. Die halbamtliche Sozialisierungskommission wird damit ausdrücklich abgeschüttelt, was diese Kommission sagt, ist null und nichtig.

Es ist zwar auch unsere Ansicht, daß diese Sozialisierungskommission nichts weiter ist als ein Theaterstück. Aber es ist doch auch sehr wichtig, daß dies zugegeben wird von der Gegenseite, daß man erklärt, diese Sozialisierungskommission ist nur ein Puppenspiel, die Sozialisierungskommission ist gut für die Arbeiter Lind für die Weiterführung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Die Sozialisierungskommission ist gut für die Unternehmer. Diese Arbeitsteilung werden sich die Unternehmer selbstverständlich gern gefallen lassen. Der Herr Staatssekretär Dr. August Müller wollte die Sozialisierung der Betriebe also von Parlamentsbeschlüssen abhängig machen, und ich weiß nicht, ob er sie auch durch Parlamentsbeschlüsse durchführen wird. Die Arbeiterschaft ist jedenfalls nicht gewillt, auf die Parlamentsbeschlüsse zu warten, sondern wir sehen an den großen Bewegungen im Lande draußen, daß die Arbeiterschaft die Sozialisierung der Betriebe unmittelbar durchführen will. Es ist unsere Aufgabe, mitzuhelfen und hierfür die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen. Und diese notwendigen organisatorischen Voraussetzungen, das sind die Betriebsräte. Sie schaffen die zentralen Streikkommissionen, die in den Vorschlägen, die vorhin an den Tischen verteilt worden sind als „Wirtschaftliche Übergangsforderungen“, erwähnt sind. [6] Wir sehen nun, wie die Regierung Ebert-Scheidemann bestrebt ist oder zum größten Teile die Bestrebungen durchgeführt hat, den Arbeitern die politische Macht aus den Händen zu nehmen, andererseits auch die Regierung Ebert-Scheidemann auch bestrebt ist, den Betriebs- und Arbeiterräten die wirtschaftliche Macht aus der Hand zu nehmen. Man will sie nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich totmachen.

Da hat am Sonnabend [7] der Staatssekretär des Reichsarbeitsamtes Bauer, der bisherige zweite Vorsitzende der Generalkommission der Gewerkschaften, eine 32 Paragraphen umfassende „Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten“ herausgegeben. Diese Verordnung bezweckt nicht mehr und minder, als die Arbeiter- und Betriebsräte in den Fabriken totzumachen und zu ersetzen durch dieselben Ausschüsse, wie sie unter dem Hilfsdienstgesetz bestanden haben. Ich will Ihnen diese Verordnung gleich charakterisieren. Es heißt darin nämlich: „Der Arbeitgeber hat für die Leitung der Wahlen zu den Arbeiterausschüssen und den Angestelltenausschüssen je einen aus drei Mitgliedern bestehenden Wahlvorstand zu bestellen.“ Die Arbeiter brauchen den sogenannten Arbeitgeber nicht mehr, wenn sie Institutionen für sich schaffen wollen, sie verzichten auf die Kontrolle der Unternehmer. Die Arbeiter sind imstande, ihre eigene Vertretung in dem Betrieb aus eigener Kraft herbeizuführen. Nun über die Aufgabe dieser Arbeiter- und Angestelltenausschüsse. Sie haben den Zweck, in Gemeinschaft mit dem Unternehmer darüber zu wachen, daß in den Unternehmen die maßgebenden Tarifverträge durchgeführt werden. Und sie haben außerdem den Zweck, es liegt ihnen ob, das gute Einvernehmen innerhalb der Arbeiterschaft oder Angestelltenschaft sowie zwischen diesen und dem Arbeitgeber zu fördern.

Das ist also die Aufgabe, die der Herr Staatssekretär des Reichsarbeitsamtes den Ausschüssen zugewiesen hat, das gute Einvernehmen zwischen den Arbeitern unter sich im Betriebe herzustellen, darum braucht sich der Herr Staatssekretär nicht zu sorgen. Für das gute Einvernehmen zwischen Arbeiter und Unternehmer sorgen die Arbeiter auch sehr gut. Wir sehen das im Ruhrrevier, in Oberschlesien, und wir hoffen, daß das gute Einvernehmen im ganzen Reich in derselben Weise durchgeführt wird, wie es in Oberschlesien und im Ruhrrevier begonnen wurde.

Diese Verordnung ist außerordentlich charakteristisch für unsere gegenwärtigen politischen Verhältnisse. Sie ist nicht mehr als ein Stück der Gegenrevolution, das wirtschaftliche Stück der Gegenrevolution, die wir sonst auf politischem Gebiet sehen. Ich sagte schon, die Gewerkschaftsführer geben sich alle Mühe, nachzuweisen, daß die Sozialisierung der Betriebe gegenwärtig undurchführbar ist. Der Beamte des Textilarbeiterverbandes, der ehemalige Reichstagsabgeordnete Krätzig, hat in einer Unternehmerzeitschrift der Textilbranche, Der Confectionär, nachgewiesen, daß die Textilindustrie diejenige Industrie sei, in der die Vergesellschaftung der Produktion überhaupt nicht möglich sei, und wenn sie möglich sei, dann müsse die Textilindustrie der letzte Gewerbezweig sein, in dem sie durchgeführt werden kann. Ich prophezeie sonst nicht, aber das eine kann ich Ihnen sagen, in den nächsten Monaten werden die Gewerkschaftsführer aller Berufe anmarschiert kommen, und sie werden wie Krätzig nachweisen, daß gerade in ihrem Beruf die Vergesellschaftung der Produktionsmittel nicht durchführbar ist und, wenn sie durchführbar ist, daß ihr Gewerbe in letzter Linie an die Reihe kommen dürfe. Wir kennen die Herren, sie werden, wie sie während des Krieges die Unternehmerinteressen vertreten haben, so auch jetzt für das Unternehmertum sorgen. Die Arbeiter aber warten nicht darauf, bis die Gewerkschaften die Genehmigung zur Sozialisierung geben. Sie warten ja nicht einmal mehr darauf, daß die Gewerkschaften ihre Lohnbewegungen genehmigen. Im Gegensatz zu den Vorschriften des Staatssekretärs Bauer, die den Zweck haben, die Arbeiterräte abzubauen, haben wir alle Ursache, das Gegenteil zu erstreben, darauf hinzuwirken, daß die Betriebsräte nicht in der Weise abgebaut werden, sondern immer mehr erstarken, daß sie dort, wo sie noch nicht geschaffen sind, sofort geschaffen werden, daß sie innerlich erstarken, daß sie an immer größere Aufgaben in den Betrieben herangehen.

In den Vorschlägen, die Sie gedruckt vor sich finden, heißt es, daß in allen Betrieben der Industrie und des Handels von den Arbeitern und Angestellten Betriebsräte zu wählen sind, die in allen den Betriebsangelegenheiten, soweit die Arbeitsverhältnisse in Betracht kommen, selbständig nach Anhören des Unternehmers entscheiden sollen. Es ist also nicht mehr der Unternehmer die maßgebende Person, sondern die Arbeiterschaft hat selbst zu entscheiden, wie die Arbeitsverhältnisse zu regeln sind, auch die Kontrolle auszuüben über die Produktion und die Geschäftsgebarung des Unternehmers. Sie hat das Recht, jederzeit Einblick in die Geschäftsbücher, in die persönlichen Akten, in die Kalkulationen des Unternehmers zu nehmen. Das sind nicht nur Forderungen, die erst noch propagiert werden sollen, die noch nie praktisch angewendet worden sind, sondern die während der Revolutionszeit in einer großen Anzahl von Betrieben schon durchgeführt wurden. Es ist der berühmte Bolschewismus in den Fabriken, über den Sie in den Zeitungen im November gelesen haben. Diese Funktion, die in verschiedenen Großbetrieben die Arbeiter an sich rissen, wollen sie nun auch in allen anderen Betrieben übernehmen.

Es ist fernerhin gefordert worden, daß der Betriebsrat ein Büro eröffnen soll, daß dieses Büro unterhalten werden muß von dem Unternehmertum und daß alle Ausgaben dieses Büros, insbesondere auch die Zeitversäumnis, von dem Unternehmer zu ersetzen sind. Es ist weiter gedacht, daß die Betriebsräte natürlich nicht jeder für sich wirtschaften können, sondern vielmehr für jedes zusammenhängende Wirtschaftsgebiet die Arbeiterschaft einen Wirtschaftsrat wählt, der über alle Fragen selbständig zu entscheiden hat. Und schließlich soll als dritte Instanz der Zentralwirtschaftsrat treten zur Kontrolle der Produktion und des Außenhandels und der Belieferung der einzelnen Industrien mit Arbeitsmitteln, vom Standpunkt der Oberleitung in die sozialistische Wirtsschaft.

Das, werte Genossen, wird die Aufgabe der Betriebsräte sein, die Aufgabe des Bezirkswirtschaftsrates und die Aufgabe des Zentralwirtschaftsrates. Wir müssen in diesem Sinne die Arbeiter aufklären. Die Lohnbewegungen, die Arbeitseinstellungen in den Betrieben beweisen die Gärung unter der Arbeiterschaft. Dort, wo die Arbeiter noch nicht die nötige Klarheit haben, wo sie mehr aus dem Instinkt heraus in die Bewegung eintreten, dort wird es unsere Aufgabe sein, klare Erkenntnis herbeizuführen über das, was notwendig ist. Dazu ist andererseits erforderlich, daß wir die Bestrebungen der Gewerkschaftsbürokratie und des Unternehmertums, die darauf hinauslaufen, die Arbeiterschaft mit einigen Pfennigen Lohnerhöhung abzufinden, energisch bekämpfen müssen, die Arbeiterschaft auf das sozialistische Ziel hinweisen. Die Bewegungen, die bereits ausgebrochen sind, das habe ich wiederholt erwähnt, haben unsere Sympathie, und durch das Telegramm, das wir nach Oberschlesien richteten, haben wir bereits zum Ausdruck gebracht, wie wir diesen Bewegungen gegenüberstehen. Wir sehen ja, daß die Bewegungen auch dort, wo sie ganz von selbst spontan aus der Masse heraus entstanden sind, doch als Bewegungen charakterisiert werden, die von unserer Seite künstlich herbeigeführt wurden. Wir brauchen diese Bewegungen nicht künstlich herbeizuführen. überall lebt in den Massen der Gedanke, daß es so nicht weitergehen kann, daß das Frohnden für den Unternehmerprofit aufhören muß, daß sie arbeiten wollen für die Gesamtheit im Interesse der Gesamtheit. Die Scheidemänner und das Unternehmertum belieben es so darzustellen, als ob diese Bewegungen aus der Faulheit der Arbeiter hervorgegangen wären, als ob es die Unlust zur Arbeit gewesen wäre. Jawohl, Unlust zur Arbeit für das kapitalistische System. Diese Unlust, die wollen wir noch weiter fördern, die wollen wir schüren, mit allen Kräften unterstützen, damit die Sozialisierung der Betriebe alsbald herbeigeführt wird. Denn nicht durch das Programm des ehemaligen Genossen Barth kann die Sozialisierung herbeigeführt werden, nicht durch Überzeugungskünste der Rede, sondern nur durch Überzeugungskünste, die durch die Tat erfolgen, kann man der kapitalistischen Gesellschaft beibringen, daß ihr letztes Stündlein geschlagen hat.

Genossen, alles das, was jetzt von den Scheidemännern geschieht, mit dem Vorgeben, man müsse die Sozialisierung der Betriebe in Ruhe und Ordnung herbeiführen, kommt daher, weil sich diese Gesellschaft längst mit der bürgerlichen Gesellschaft verbrüdert hat und weil ihre ganze Gedankenwelt längst verbürgerlicht ist. Wir sehen ja, daß diese verbürgerlichte Gesinnung nicht nur vorhanden ist bei den Scheidemännern, wir lesen sie auch tagtäglich in der Freiheit“. Sie lesen jeden Tag das Lamento über die Streiks in der Freiheit, jeden Tag wird die Schädlichkeit der Streiks dargelegt, die Leute haben keine Ahnung, was in der Arbeiterschaft lebt, und haben nicht die Absicht, den Kampf für die Vergesellschaftung der Produktionsmittel herbeizuführen. Und aus diesem wirtschaftlichen Gesichtspunkt ist die Trennung nur zu begrüßen. Auch auf diesem Gebiet wird in Erscheinung treten, daß die Kommunistische Partei die einzige ist, die gewillt ist, die Vergesellschaftung der Betriebe nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis durchzuführen. („Bravo!“)

 

 

Diskussion

Genosse Hammer [Essen]: Wie weit die Theorie der Gewerkschaften gediehen ist, können Sie an einer Vereinbarung sehen, die zwischen dem Bergarbeiterverband und dem Zechenverband abgeschlossen wurde, derzufolge am 1. Januar eine Lohnerhöhung von 15 Prozent eintreten soll. Zugleich hat sich der Bergarbeiterverband gegenüber dem Zechenverband verpflichtet, daß er auch für eine Kohlenpreissteigerung eintreten wird. Die Bergarbeiter haben Luft bekommen, sie sind von den Gewerkschaftsangestellten während des Krieges systematisch zur Grube gehetzt worden. Das beweisen alle Versammlungen, die von den Bergarbeitern abgehalten werden. Die Beamten werden mit Heulen empfangen.

Wir hätten von Lange verlangt, daß er uns sagt, wie man sich praktisch zu den Streiks und zu den Gewerkschaften verhalten soll. Draußen liegen die Dinge wesentlich anders. Man kann den Bergarbeiter nicht vertrösten auf unsere sozialistischen Ziele, sondern er will Taten sehen. Heute hat der bergbauliche Verein einerseits mit dem Verband andererseits ein Abkommen getroffen, daß Verhandlungen nur zwischen den beiden Organisationen stattfinden können. Es wurde vereinbart, daß Einzelstreiks, die ohne Zustimmung des Verbandes ausbrechen, erwürgt werden sollen. Man sagt, die Arbeiter sollen sich totstreiken, dann werden sie ihre Leiter, die sie jetzt gewählt haben, totschlagen. Man kann diese wirtschaftlichen Einzelstreiks nicht ins unendliche ausdehnen, sonst würde man die Bergarbeiter bei großen politischen Aktionen nicht mehr aus der Grube bekommen. Wir müssen die Bergarbeiter darauf hinleiten, daß sie bei großen politischen Aktionen aus der Grube gehen. Bei vielen Verhandlungen wurden Maschinengewehre und Soldaten auf den Zechen aufgestellt.

Die Arbeiter haben dabei großes Verantwortungsgefühl. Sie verstehen vorzüglich, daß sie die Grube nicht ersaufen lassen sollen. Die Leiter des Bergarbeiterverbandes suchen die Arbeiter, wenn sie sich in einer Kalamität befinden, noch tiefer hineinzuschieben. Der Bergarbeiterverband ist unfähig, die örtlichen Verhältnisse zu regeln. Die Bergarbeiterführer wollen nicht ran, sie wollen die Arbeiter in den Morast zurückstoßen. Auf den großen Zechen haben die Arbeiter schon die Betriebsräte eingeführt, und sie werden fortfahren, diese Betriebsräte auch auf den anderen Zechen einzuführen. Die Gewerkschaftsführer verstehen noch immer nicht die Zeichen der Zeit, sie befinden sich noch in den Gedanken der Vorrevolution. Sie bedenken nicht, daß sie zur Umwertung da sind, daß sie die Produktion als solche übernehmen sollen. Man sieht, wie äußerst rückständig diese Leute noch sind. Wir sagen den Arbeitern, daß sie Betriebs- und Fabriksräte bilden müssen, und sie folgen schon unserem Beispiel. Was sollen wir aber den Arbeitern antworten, wenn sie zu uns kommen und fragen, was tun wir mit den Gewerkschaften, mit den Verbandsbüchern? Zum Teil schmeißen sie die Verbandsbücher schon heute weg. Wir müssen den Arbeitern klarmachen, daß wir eine politische Organisation sind.

Genosse Rieger (Berlin): Die Tarifverträge sind einmal vor Jahren von Fräulein Fanny Immler „sozialistische Friedensdokumente“ genannt worden. Nicht nur Friedensdokumente sollten sie sein, sondern sie sind in Wahrheit reine Sklavenverträge gewesen, die absolut antisozialistisch wirkten. In einer Reihe von Tarifverträgen ist es zur Pflicht gemacht worden, daß im Falle von vom Verband nicht genehmigten Streiks sogar die organisierten Streikbrecher zu stellen waren. Wir müssen uns also darüber klar sein, daß wir mit Tarifverträgen dieser oder jener Art nichts erreichen. jede gute Konjunktur für die Arbeiter durfte von den Arbeitern nicht ausgenutzt werden unter der Geltung der Tarife, hingegen dem Unternehmer war es unbenommen, jede Konjunktur auszunutzen. Bequem war die ganze Geschichte, und die Kassen der Verbandsgeneräle waren geschützt.

Der Syndikalismus ist gegen die Tarife. Er will eine freie Taktik. Während durch die Tarife auch den Arbeitern jeder Solidaritätsstreik zur Unmöglichkeit gemacht wurde, will der Syndikalismus keine Tarifverträge und kurze, revolutionär zugespitzte Streiks zur Verbesserung der sozialen Lage. Die Arbeiter sind im sozialen Kampfe zu schulen, die Kämpfe revolutionär zuzuspitzen, so daß es im Verlauf einer sozialen Revolution zu einem Sieg des kommunistischen Gedankens kommt. Bei der Behandlung der Richtlinien des Genossen Lange darf man nicht aus dem Auge lassen, daß es nicht die Aufgabe des Spartakusbundes sein kann, auch die Lohnbewegungen zu führen, solange es nicht zu einem wirklichen Sieg der sozialistischen Revolution kommt. In dieser Zwischenzeit müssen wir darauf Bedacht nehmen, daß die wirtschaftlichen Kämpfe trotzdem zu führen sein werden. Wir müssen darauf Bedacht nehmen, daß die Gewerkschaften auch eine Aufgabe haben. Allerdings mit den Zentralverbänden muß endgültig gebrochen werden. Der Syndikalismus steht auf dem Standpunkt, daß die Arbeiter eines Ortes nicht beruflich getrennt sein dürfen, sondern daß die Arbeiter eines Ortes die Pflicht haben, ihre Kämpfe gemeinschaftlich zu führen. Die einzelnen Berufe sollen nicht in besonderen Organisationen vereint sein, sondern die Arbeiter aller Berufe haben alle das gemeinsame Ziel, den Kapitalismus zu entwurzeln. Solange das noch nicht erreicht ist, solange haben sie die Kämpfe gemeinsam zu führen. Also kurze Streiks, revolutionär zugespitzt, auf breiter revolutionärer Basis, Solidaritätsstreiks auf breitester Grundlage. Dann gibt es eine ganze Reihe von Kampfmitteln in der Übergangszeit, die ja die Arbeiter in Oberschlesien und im Ruhrrevier vorzüglich anzuwenden wissen.

[Genosse] Springer (Hanau) [8]: Ich sehe mit großer Freude, daß sich die neue kommunistische Partei zunächst mit der Sozialisierung der Betriebe befassen will. Der Schrei der Arbeiter nach Sozialisierung ist groß. Wir müssen immer erst vorangehen mit der Sozialisierung der Industrie und dann mit der Sozialisierung der Betriebe. Es sind schon gewisse Ansätze da, Syndikate, Handelsgesellschaften, in der Bekleidungsindustrie, in der Leder-Großindustrie, [im] Eisenbahnbau, diese Industrien sind wie geschaffen zur Sozialisierung. Diese Gesellschaften haben sich bisher ausschließlich in den Händen der Kapitalisten befunden, es wäre Pflicht und Aufgabe der Arbeiter- und Soldatenräte, in diese Gesellschaften sofort einzudringen, sie zu kontrollieren und sie in unsere Bahnen zu lenken. Ich habe kürzlich einem Kongreß der Bekleidungs- und Instandsetzungsämter beigewohnt, wir haben aus eigener Initiative beschlossen, eine Kontrolle in das Kriegsministerium, [in das] Wumba [9], hineinzuschicken. Das war ein revolutionärer Akt. Wir sahen, daß von dieser Gesellschaft aus große Mengen an Stoffen und Leder usw. in Privathände abgeschoben wurden. Die Gesellschaften sind jetzt bemüht, alle die Rohstoffe, die während des Krieges aufgestapelt worden sind, an Bekleidungsstücken, Stoffen etc. wieder in privatkapitalistische Hände zu bringen. Ich bedauere, daß diese Richtlinien nicht früher in unsere Hände gelangt sind. Ich frage, sollen diese Anordnungen von unserer Seite ausgegeben werden, oder sollen diese Anordnungen von den einzelnen örtlichen Arbeiter- und Soldatenräten geschehen? Sollen wir warten, bis eine Zentralstelle in Berlin geschaffen worden ist? Ich bin der Meinung, daß wir den einzelnen örtlichen Arbeiter- und Soldatenräten die Anweisungen zu geben haben, daß sie in diesem Sinne arbeiten sollen. Wir können nicht warten, bis die Sache von einer amtlichen Stelle in die Hand genommen wird. Die Rohstoffe werden inzwischen verschleppt. Wir haben die Pflicht, dies zu verhindern, damit die Sozialisierung nicht so schwer fällt.

Genosse Frölich (Hamburg): Wir in Hamburg sind in der Richtung der Grundlinien schon vorgegangen. Bei uns in den Großbetrieben bestehen die Arbeiterräte, die die nötigen Kontrollen ungefähr im Sinne der Richtlinien ausüben. Sie haben im wesentlichen die Rechte, die dort verlangt werden. Das System muß sich selbstverständlich noch einarbeiten. Von symptomatischer Bedeutung ist mir, daß die Debatte über die Sozialisierung der Betriebe zunächst den Charakter einer Gewerkschaftsdebatte annimmt. Dies ist offenbar das Resultat der Erfahrungen der letzten Zeit. jeder weiß, daß die Gewerkschaften sich entschieden jeder energischen Maßregel widersetzen. Das hat seinen tiefen Grund. Die Gewerkschaftsführer sagen sich mit Recht, daß die Forderungen der Arbeiter, die einfach notwendig sind, damit die Arbeiter nach diesen 4½ Jahren Hunger wieder einmal eine menschenwürdige Existenz führen, die Existenz des Kapitalismus gefährden. Denn durch diese Forderungen wird der Profit gefährdet und damit das kapitalistische System. Darum vertreten die Gewerkschaftsführer in allen Lohnstreitigkeiten, in allen Streitigkeiten um die Arbeitszeit von vornherein den Standpunkt der Unternehmer.

Es ist unbedingt notwendig, daß wir hier eine klare Entscheidung in der Gewerkschaftsfrage herbeiführen. Es fragt sich, ob wir es verantworten können, daß unsere Arbeitsgenossen jetzt noch in diesen Gewerkschaften bleiben. Wir in Hamburg, überhaupt in den Großstädten der Wasserkante, haben uns mit dem Gewerkschaftsproblem beschäftigt schon seit vielen Jahren, schon nach dem großen Werftarbeiterstreik im Jahre 1913. Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß die alte Gewerkschaftstaktik unmöglich die Arbeiter befriedigen kann, daß gegenüber dem ungeheuer konzentrierten Kapital es unmöglich ist, mit den alten Mitteln des gewerkschaftlichen Kampfes anzukommen. Wir rennen uns da nur den Schädel ein. Auf der anderen Seite steht die Erfahrung, daß der politische Kampf in den alten Formen unmöglich weitergeführt werden kann. Es müßte auch auf politischem Gebiete die ganze wirtschaftliche Macht der Arbeiter in die Waagschale geworfen werden. Wir sahen, wie die beiden Strömungen zusammenflossen. Der wirtschaftliche Kampf konnte nicht mehr anders geführt werden als durch einen Druck auf die politischen Körperschaften. Wir kamen zu dem Schluß, daß es notwendig ist, diese Zweiteilung der politischen und gewerkschaftlichen Arbeit aufzugeben und beide Ströme in ein Bett zu leiten. Ich bin mir klar darüber, daß dieses Problem reif ist nur für die Wirtschaftsgebiete, in denen der Großbetrieb vorherrschend ist. Aber ich habe es als einen Mangel empfunden, daß die Genossen vom alten Spartakusbund, die doch noch eine Reihe von Beziehungen hatten zu der Presse der USP, auf diese Frage nicht ein einziges Mal eingingen, daß sie es zuließen, daß die Leipziger Volkszeitung die Parole ausgab: Nicht aus den Gewerkschaften heraus, sondern in die Gewerkschaften hinein! Man gab sich dem irrigen Glauben hin, wenn wir drin sind, dann machen wir die Gewerkschaften kaputt. Wir haben gesehen, daß dies innerhalb der alten Partei nicht möglich war, innerhalb der Gewerkschaften ist es erst recht nicht möglich. Weil vor allen Dingen das Finanzwesen und die Verhältnisse im Angestelltenwesen zugeschnitten sind auf das bürgerliche Recht und wir mit revolutionären Mitteln nur gegen das bürgerliche Recht kämpfen können und nicht mit dem bürgerlichen Recht im Bunde. Es ist unmöglich, die Gewerkschaften zu gewinnen dadurch, daß man hie und da einen radikalen Vorstand in einer Ortsgruppe wählt. Für uns kann es nur die Parole geben: Heraus aus den Gewerkschaften!

Und was dann? Wir in Hamburg standen im Anfang der Revolution vor der Frage: Sollen wir das, was wir damals theoretisch ausgeführt hatten, auch praktisch durchführen: die Einheitsorganisation? Zunächst hatten wir Bedenken. Wir hatten gesagt, wir leben in der Revolution, da sind gewerkschaftliche Kämpfe nicht mehr nötig. Einige Tage später kam uns die Erkenntnis, daß wirtschaftliche Kämpfe doch noch nötig waren. Wir haben die Einheitsorganisation gegründet. Unsere Mitglieder finden hier auch ihre wirtschaftlichen Interessen vertreten. Weil wir das Hauptgewicht auf die Betriebsräte gelegt haben, so haben wir Gelegenheit, gerade die Kräfte, die jetzt aus den wirtschaftlichen Kämpfen herauskommen, für die revolutionäre Bewegung nutzbar zu machen und jeden wirtschaftlichen Kampf zu verbinden mit einem Kampf auch in den anderen Betrieben.

[Genosse] Jacob (Berlin): Die Frage der Sozialisierung, das Endziel unserer revolutionären Ideale, ist die Kardinalfrage, um die es geht. Es ist bedauerlich, daß von unserer jetzigen Regierung die Sozialisierung noch so gut wie gar nicht in Angriff genommen worden ist. Wir müssen energisch dafür eintreten, daß die Sozialisierung sofort vorgenommen wird, die Arbeiter- und Soldatenräte müssen dieselbe durchführen. Die gewerkschaftlichen Organisationen müssen sofort aufgelöst werden. Wir haben Bestimmungen in unserem Programm, die die gewerkschaftlichen Organisationen ersetzen. Alle wirtschaftlichen Bewegungen haben auch politischen Hintergrund. Die Durchführung des Sozialismus kann nur durch die Diktatur des Proletariats geschehen, es gibt keinen anderen Weg. Von unten herauf müssen wir zur Sozialisierung kommen. Die großen Betriebe sind reif zur Sozialisierung, die großen Syndikate und Aktiengesellschaften sind schon Vereinigungen, die aber nur den Interessen der Kapitalisten zugute kommen. Die Arbeiter warten auf die Sozialisierung. Die Landarbeiter warten darauf, daß die großen Rittergüter sozialisiert werden. Das Leid der Landproletarier ist ungeheuer groß unter diesem kapitalistischen Ausbeutungssystem. Punkt 8 [10], sofortige Beschlagnahme aller Lebensmittel, müßte sofort in Angriff genommen werden. Ebenso die Aufhebung der Rationierung.

Genosse Seidel (Düsseldorf): Ich muß auf einiges eingehen, was Genosse Frölich sagt: Die Gewerkschaftsführer glauben, daß eine Sozialisierung der Betriebe nicht durchführbar ist. Meines Erachtens ist nicht das der Hauptgrund, daß unsere Gewerkschaftsführer gegen die sofortige Sozialisierung sind, sondern das hat eine andere Ursache. Schon in der Zeit vor dem Kriege, während des Krieges und jetzt nach dem Kriege zielen die Gewerkschaftsführer darauf hin, einen Kampf für die Tarife zu führen durch Zentralisation der Gewerkschaften, geheime Verhandlungen mit den Unternehmern. Die Gewerkschaftsführer wollen nichts anderes, als sich als herrschende Klasse neben der jetzt herrschenden Klasse zu etablieren, um die Arbeiter mit zu beherrschen. Wenn die Sozialisierung durchgeführt wird, glauben sie, daß damit auch ihre Herrschaft zu Ende geht.

Während die politischen Parteien besonders und auch der Kongreß der Arbeiterräte und die eingesetzte Sozialisierungskommission mit der heutigen Regierung verhandeln, handeln die Großindustriellen. Wir sehen in Düsseldorf, daß die Großindustriellen dazu übergehen, die noch vorhandenen Rohmaterialien in das Landinnere zu führen, hinweg aus den Gebieten der Großindustrie, um sie sich zu sichern, weil sie meinen, daß gerade in dem Gebiet der rheinisch-westfälischen Industrie die Arbeiterschaft doch die Energie aufbringen würde, um die Sozialisierung selbständig in die Hand zu nehmen. Dem wollen sie dadurch vorbeugen, daß sie die Rohmaterialien fortschaffen. Wenn immer behauptet wird, daß nur den Unternehmern es möglich ist, die Industrie wieder hochzubringen, so möchte ich darauf hinweisen, welche ungeheure Sisyphusarbeit von den Unternehmern im Einverständnis mit der Reichsregierung geleistet wird. Es wird noch Kriegsmaterial hergestellt, das wird auf Wagen geladen, eine Stunde weit weggefahren und dort wieder zerschlagen, um neues Rohmaterial zu gewinnen. Das alles müßte dazu treiben, die Sozialisierung in die Hand der Arbeiter selbst zu legen.

Aber noch mehr. In einer Verhandlung mit den Großindustriellen wurde diesen nahegelegt, kein Kriegsmaterial mehr herzustellen und statt dessen die Friedensproduktion energisch in die Hand zu nehmen. Da wurde uns geantwortet: ja, wer bezahlt uns denn das? Die Herstellung von Kriegsgütern wird uns von der Reichsregierung bezahlt, oder wenn es uns von der Entente abgenommen wird, wird es uns auch bezahlt. Diese Widersinnigkeiten müssen wir dem Volk predigen, wir müssen ihm zeigen, daß die Gewerkschaftsführer sich deshalb nicht für die Sozialisierung der Betriebe ins Zeug legen, weil sie glauben, dadurch wird ihre Macht zerstört. Wir müssen uns in Verbindung setzen mit solchen technischen Beamten, welche wirklich gesonnen sind, die Sozialisierung durchzuführen, die wirklich auf unserem Boden stehen, daß die Sozialisierung durchgeführt werden kann. Wenn wir diese haben und die Arbeiterschaft dazu, dann kann uns keine Gewerkschaft und keine Reichsregierung mehr hindern, die Sozialisierung selbst in die Hand zu nehmen.

Genosse Sturm [Hamburg]: Wenn der Genosse Frölich aus den Erfahrungen der Hamburger gesprochen hat, so möchte ich auf den zweiten Teil der Forderungen [11] eingehen im Hinblick auf die Erfahrungen Rußlands. Gleich beim ersten Punkt des zweiten Teiles der Forderungen. Ein Achtstundentag ist die Minimalforderung, die die Kommunisten aufstellen können. Aber die Einschränkung unter 8 Stunden kann nur durchgeführt werden, wenn der Zentralarbeiterrat die Macht in den Händen hat. Bis dahin müssen wir uns mit der alten Forderung des Achtstundentages begnügen. Anstatt 35 schlage ich vor: 48 Stunden.

Was dann den Punkt 3 dieser Forderung anbetrifft, so bin ich dafür, daß hier eine Änderung eintritt. Es ist hier eigentlich nur ein platonischer Wunsch ausgedrückt, wo es heißt, daß möglichst allen Arbeitern Gelegenheit zur Arbeit zu geben ist. Ich stelle den Antrag, daß dieser Punkt so formuliert wird:

Dadurch hätten wir die Möglichkeit, dafür zu sorgen, daß möglichst wenig proletarische Elemente deklassieren.

Punkt 11: Der 1. Mai gilt als Festtag. Genossen! Der Festtage und Trauertage gibt es im Leben der Arbeiter mehrere, und deshalb stelle ich den Antrag, daß die Liste der Festtage vom Bezirkswirtschaftsamte festzustellen ist.

Punkt 12: Die Unterstützung der erkrankten Arbeiter. Ich glaube, daß dieser Punkt von Genossen, die die Arbeiterversicherung sehr gut kennen, in der Weise gefaßt ist, daß sie den bereits bestehenden Unterstützungsapparat außer acht gelassen haben. Die Krankenkassen haben nach wie vor zu bestehen, die Unterstützungskosten sind aus den Mitteln der Unternehmer voll und ganz zu tragen. Die Unterstützungen sollen nach wie vor von den Krankenkassen ausgezahlt werden.

Punkt 13: Die Wöchnerinnenunterstützung soll nicht 4 Wochen vor und 6 Wochen nach der Entbindung, sondern 6 Wochen vor und 8 Wochen nach der Entbindung gewährt werden, und zwar aus dem Grunde, weil jetzt während des Krieges die Unterernährung ganz besonders stark und es dadurch von besonderer Wichtigkeit ist, daß die neue Generation gut gedeiht.

Punkt 14 und 15: Ich schlage vor, daß diese Punkte, die ja eigentlich in die Kompetenz der Betriebsräte oder des Zentralarbeiterrats fallen, als solche auch hier bezeichnet werden.

Vorsitzender: Um Mißverständnisse zu vermeiden, will ich mitteilen, daß die Richtlinien nicht zur Abstimmung gelangen, sondern als Material der Kommission überwiesen werden.

Genosse Müller [Brandenburg]: Wir wundern uns vielleicht, daß die Arbeiterschaft zum größten Teile so wenig politisches Verständnis hat. Das kommt daher, weil gerade in gewerkschaftlicher Beziehung mit der ganzen Kleinarbeit von seiten der Instanzen versucht wurde, bei den Arbeitern mehr Verständnis dafür zu erwecken als für die großen politischen Fragen. Der wahre Wert der Gewerkschaften, wie sie gewesen sind, besteht eigentlich darin, daß man es verstanden hat, sich Instanzen zu schaffen. Instanzenweg ist Dornenweg. Das Recht der freien Initiative war den Arbeitern genommen. Müller, der Vorsitzende des Transportarbeiterverbandes, sagte bei dem Millionengeschenk an die Reeder, daß die Arbeiter das verstehen müssen. Die Arbeiter müssen die Kleinarbeit aufgeben und sich in großen Organisationen zusammenschließen. Wir haben die Pflicht, die Arbeiter darauf aufmerksam zu machen, daß sie ihre Kräfte nicht vergeuden in der Kleinarbeit, sondern eine große kompakte Masse bilden, in der alles unter einen Hut gebracht wird. Wir verwerfen den Generalstreik nicht, aber wie elektrische Funken müssen die kleinen Streiks herumspringen, um die Unternehmer einzuschüchtern und dann zum letzten großen Ruck die Massen zusammenzuballen. So wecken wir das politische und wirtschaftliche Verständnis der Arbeiter.

Genosse Schröder (Remscheid): Genossen! Es kann nicht die Aufgabe eines einfachen Arbeiters sein, die großen Probleme der Sozialisierung auch nur in der Diskussion zu erörtern. Wir müssen uns darauf beschränken zu versuchen, Anregungen zu geben, wie die Vorarbeiten zur Sozialisierung praktisch gemacht werden könnten. Die Taktik der Gewerkschaften ist immer darauf hinausgelaufen, daß nicht der Wille der Arbeiter, die Lebenshaltung zu verbessern, maßgebend war, sondern der Wille einer kleinen Gruppe vom Vorstand. Niemals war es Prinzip der Gewerkschaften, die Lebenshaltung der Arbeiter wirklich zu verbessern. Das Prinzip der Gewerkschaften war, eine kleine 2-Pfennig-Politik der Lohnerhöhung zu betreiben, das 95-Prozent-Organisieren der Arbeiter, um später den sogenannten großen Stoß machen zu können. Von diesem Gesichtspunkt aus müssen wir versuchen, etwas zu finden, wie wir den Gewerkschaften entgegentreten. Wir müssen die Vertrauensleute der Gewerkschaften für uns gewinnen und sie als Betriebsagitatoren für uns heranziehen. Dann haben wir den ersten Schritt zur Sozialisierung getan. Das Material, das zur Verfügung gestellt ist, muß klarer formuliert und den Vertrauensleuten zugängig gemacht werden. Wir müssen sie einladen, nicht die Gewerkschaften. Dann wissen wir auch, wie wir Streiks zu leiten und zu bewerten haben. Können wir uns aber nicht der Vertrauensleute bemächtigen, dann ist auch die Sozialisierung noch auf eine lange Zeit hinausgeschoben. Also Aufklärung der werktätigen Bevölkerung!

Der Vorsitzende gibt bekannt, daß folgende Anträge zur Diskussion stehen:

Antrag Rieger (Berlin). Die Reichskonferenz erklärt: Die Tarifvertragspolitik der gewerkschaftlichen Zentralverbände, die Abwürgung der Streiks und die systematische Unterbindung des sozialen Befreiungskampfes des Proletariats durch die Gewerkschaftsbürokratie sowie die ablehnende, ja feindliche Haltung der Verbandsführer gegen die sofortige Inangriffnahme der Sozialisierung der Produktionsmittel sind in ihrer Wirkung staatserhaltend und darum revolutionsfeindlich. Die Zugehörigkeit zu solchen Gewerkschaftsverbänden ist deshalb unvereinbar mit den Zielen und den Aufgaben der Kommunistischen Partei Deutschlands. Für die Führung der wirtschaftlichen Kämpfe und zur Übernahme der Produktion nach dem Sieg der sozialen Revolution ist vielmehr die Bildung revolutionärer, örtlicher, begrenzter Arbeiterorganisationen (Einheitsorganisation) notwendig. Diese Kampforganisationen haben ihre Tätigkeit im besten Einvernehmen mit der Kommunistischen Partei und den zentralen Streikkommissionen auszuüben und die kommunistische Produktion vorzubereiten und durchführen zu helfen.

Ferner ein Antrag mehrerer Delegierter: Die Taktik der Gewerkschaften hat vor und während des Krieges zu einer vollständigen Lahmlegung des revolutionären Klassenkampfes geführt. Die Gewerkschaften von innen heraus zu reformieren, ist nach allen bisherigen Erfahrungen ein aussichtsloses Beginnen. Die Konferenz der Kommunistischen Partei beschließt deshalb, den Kampf gegen die Gewerkschaften von außen aufzunehmen, und fordert die ihr angeschlossenen Organisationen auf, unverzüglich eine Austrittspropaganda aus den Gewerkschaften aufs nachdrücklichste zu entfalten. Die Konferenz verpflichtet die Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands, ihren Austritt sofort aus den Gewerkschaften zu vollziehen.

In der jetzigen Situation ist der Standpunkt von getrennt geführten wirtschaftlichen und politischen Kämpfen vollständig überholt. Für das revolutionäre Proletariat ist die wirtschaftlich-politische Einheitsorganisation geboten. Diese ist die Kommunistische Partei Deutschlands.
Unterzeichnet von Schmidt (Hannover) und Genossen

[Genosse] Eder (Essen): Die Gewerkschaftsfrage der heutigen Zeit ist für uns eine Frage, die schnell erledigt werden muß, weil gerade unsere Gewerkschaftsangestellten in bürokratischem Sinne gearbeitet haben. Ich bekam im vorigen Jahre bei dem Massenstreik eine Nummer der I.K. [12] zugestellt, in der ein Brief aus dem Felde abgedruckt war, worin sich der Verfasser entrüstet, daß die Arbeiter jetzt streiken, wo die Munition so sehr gebraucht wird. Ich schrieb an den Verlag der I.K., daß es mich interessieren würde zu erfahren, wer der Verfasser dieses Artikels ist, worauf ich zur Antwort erhielt, ich sollte Unterschriften als Zustimmung für diesen Brief sammeln, die Sache wird dann als Flugblatt herausgegeben, um gegen die Kameraden, die im Streik stehen, vorzugehen. Heute ist nicht die Gewerkschaftsfrage, sondern die politische Organisation maßgebend. Heute müssen wir in den Gewerkschaftsversammlungen die Beamten der Gewerkschaften wegfegen und unsere Leute hinsetzen. Die patriotischen Gewerkschaftsangestellten werden nicht in den politischen Massenstreik eintreten.

Genosse Heckert (Chemnitz): Die Genossen machen sich die Beantwortung der Frage sehr leicht. Ich möchte für die Gewerkschaftsbewegung eine Lanze brechen. Nicht, weil ich selbst Gewerkschaftsbeamter bin. Es ist nicht zu bestreiten, daß sich in den Gewerkschaften starke konterrevolutionäre Tendenzen entwickelt haben, daß die Gewerkschaftsführer in ihrer Masse Leute geworden sind, die sicherlich nicht darauf bedacht waren, die Arbeiterklasse mit ganzer Kraft vorwärtszubringen. Es ist immer etwas anderes, ob man eine Frage vom Standpunkt des politischen Kämpfers betrachtet oder vom Standpunkt des Geschichtsschreibers. Es gibt tausend Ursachen, warum diese Gewerkschaftsbürokratie so geworden ist, und warum ließen sich die Arbeiter fortgesetzt das gefallen? Hier treten Genossen auf, die mit einer Handbewegung alle Dinge umschmeißen wollen, als ob es Kartenhäuser wären. Es muß etwas Besseres an die Stelle des Eingeworfenen gesetzt werden. Ich weiß nicht, ob Sie dazu imstande sind.

Ich bestreite, daß die Gewerkschaften überflüssig geworden sind und daß es ein Nutzen wäre, eine Austrittsparole zu geben und gegen die Gewerkschaften anzukämpfen, wenn wir noch nicht die Mittel haben, um das, was wir einreißen, sofort zu ersetzen. Wir haben eine große Aufgabe, die ganze Gesellschaft umzugestalten. Diese Revolution ist nicht nur politisch, sondern auch sozial. Wie steht es mit den Betriebsräten? Nicht besonders günstig für uns. Wir werden in eine Reihe großer Kämpfe verwickelt werden, und die Bürgerlichen werden sich gegen uns zusammenschlagen. In diesen Kämpfen um die Sozialisierung werden die Gewerkschaften nicht mehr die Rolle spielen können, die sie früher gespielt haben. Ihr verwechselt die Zeit vor der Revolution. Aber wir sind jetzt in der Revolution und haben ganz andere Aufgaben nicht nur bei uns, sondern auch die Gewerkschaften. Dieselben sind heute nicht mehr in der Lage, eine derartige Politik zu führen, wie sie sie im Kriege geführt haben. Wenn wir in den Fabriken die Betriebsräte aufgerichtet haben, dann werden wir dazu übergehen, die Betriebe in die Hände der Arbeiter zu übergeben. Damit erledigt sich im wesentlichen der Teil der Gewerkschaftstätigkeit, gegen den Ihr besonders ankämpft. In dem Moment, wo wir den Bergbau sozialisieren, wird die Bergarbeitergewerkschaft eine ganz andere Rolle spielen als früher. Ich bestreite, daß man um die Frage der Sozialisierung herumkommt. Die objektiven Tatsachen sind so, daß die Sozialisierung kommen muß, und wenn alle dagegen ankämpfen. Auch die Gewerkschaften können höchstens den Zeitpunkt des Zusammenbruches des bürgerlichen Staates aufschieben, aber um so rascher wird er zusammenbrechen. Wenn diese Gewerkschaften in ihrer Form schlecht gewesen [sind] und die Leute, die ihnen vorstanden, viele schlimme Dinge verbrochen haben, so ist nicht damit gesagt, daß diese Verbände unter einem neuen historischen Zustand ebenso schlecht weiterwirken werden. Ich weiß es nicht. Wir werden Institutionen haben müssen, die die Produktion in die Hände nehmen und kontrollieren. Wir werden Verbindungen von Fabrik zu Fabrik und von Beruf zu Beruf benötigen, und zu diesem Zwecke ist es notwendig, daß bestimmte Gewerkschaftsverbände der Arbeiter bestehen. Ich bin der Ansicht, daß wir die Gewerkschaften auf dieses Gebiet hinüberschieben können, die objektiven Tatsachen zwingen sie dazu. Das Unterstützungswesen wird nicht mehr die demoralisierende Rolle spielen können wie bisher. Das Volk ist so sehr erschüttert in seiner Gesamtheit, daß man mit den bisherigen Unterstützungen die Frage nicht mehr lösen kann.

Es müssen also in der nächsten Zukunft, wenn wir nicht einen vollständigen Zusammenbruch erleben wollen, andere Mittel angewendet werden. Die Arbeitslosenunterstützung muß eine Reichsunterstützung werden. Wie wir sie dann durch unsere Kraft auszugestalten imstande sind, hängt davon ab, welche Kräfte wir entwickeln. Die gewerkschaftlichen Arbeitslosenunterstützungen werden keine so bedeutende Rolle spielen können. Jetzt kommt es darauf an, die gewerkschaftlichen Arbeiter in der politischen Bewegung zu erfassen. Wenn uns das gelingt, dann werden wir die Gewerkschaftsbewegung in andere Bahnen lenken, weil es einfach ganz unmöglich ist, unter einem anderen geschichtlichen Zustand, wenn die große Masse der Arbeiter in Bewegung gesetzt wird, nicht für ein bestimmtes großes Ziel zu arbeiten, für das jetzt gekämpft werden muß. Ich habe nicht die Befürchtung, daß die Gewerkschaften noch solchen Schaden anrichten können, es bedeutet aber sehr großen Schaden, wenn wir jetzt die Austrittsparole geben.

Genossin Luxemburg [Zentrale]: Genossen! Ich bedauere nicht nur [nicht], daß in der heutigen Debatte eine sogenannte Gewerkschaftsdebatte sich entwickelt, sondern ich begrüße es. Es verstand sich von selbst, daß in dem Moment, wo wir an die Aufgabe herantreten, die wirtschaftlichen Aufgaben zu behandeln, wir sofort stolpern über den großen Wall, der in den Gewerkschaften vor uns aufgerichtet ist. Die Frage des Kampfes für die Befreiung ist identisch mit der Frage der Bekämpfung der Gewerkschaften. Wir haben dazu in Deutschland zehnmal mehr Grund als in anderen Ländern. Denn Deutschland ist das einzige Land, in dem während der vier Jahre des Weltkrieges keine Lohnbewegungen stattgefunden haben, und zwar durch Parole der Gewerkschaften. Wenn die Gewerkschaften nichts anderes getan hätten, so wären sie zehnmal wert, daß sie zugrunde gehen. Die offiziellen Gewerkschaften haben sich im Verlaufe des Krieges und in der Revolution bis zum heutigen Tage als eine Organisation des bürgerlichen Staates und der kapitalistischen Klassenherrschaft gezeigt. Deshalb ist es selbstverständlich, daß der Kampf um die Sozialisierung in Deutschland sich in erster Linie befassen muß mit der Liquidierung dieser Hindernisse, die die Gewerkschaften der Sozialisierung entgegenstellen. In welcher Weise ist diese Liquidierung durchzusetzen? Welches positive Gebilde ist an die Stelle der Gewerkschaften zu setzen?

Ich muß mich entschieden gegen die Anregung der Genossen aussprechen, die hier in einem Bremer Antrag die sogenannte Einheitsorganisation vorschlagen. Sie haben eins nicht bemerkt. Wir sind daran, die Arbeiter- und Soldatenräte zu Trägern sämtlicher politischen und wirtschaftlichen Bedürfnisse und Machtmittel der Arbeiterklasse auszugestalten. Dieser Gesichtspunkt in erster Linie hat maßgebend zu sein für die Organe für den wirtschaftlichen Kampf.

In den Leitsätzen [13] ist ein leitender Gedanke ausgeführt: Die Arbeiterräte sind berufen, die wirtschaftlichen Kämpfe zu leiten und zu beaufsichtigen, und zwar von ihren Betrieben aus. Betriebsräte, gewählt durch Betriebsobleute, im Zusammenhang mit Arbeiterräten, die gleichfalls aus den Betrieben herauskommen, in die Spitze der Reichswirtschaftsräte zusammenlaufend. Sie werden sehen, daß die Leitsätze auf nichts anderes herauskommen als auf eine vollständige Aushöhlung aller Funktionen der Gewerkschaften. (Beifall.) Wir expropriieren die Gewerkschaften aus den Funktionen, die sie von den Arbeitern anvertraut bekamen und veruntreut haben. Wir ersetzen die Gewerkschaften durch ein neues System auf ganz neuer Grundlage. Die Genossen, die die Einheitsorganisation propagieren, scheinen befangen in den Gedanken ... [14]

Das waren Mittel und Wege, die man ergreifen konnte vor der Revolution. Heute müssen wir uns auf das System der Arbeiterräte konzentrieren, müssen die Organisationen nicht durch Kombination der alten Formen, Gewerkschaft und Partei, zusammengeschlossen, sondern auf ganz neue Basis gestellt werden. Betriebsräte, Arbeiterräte, und weiter aufsteigend, ein ganz neuer Aufbau, der nichts mit den alten, übernommenen Traditionen gemein hat.

Es geht nicht an, zwischen Tür und Angel einen solchen Antrag von Bremen und Berlin [15] anzunehmen. Auch die Parole des Austritts aus den Gewerkschaften hat einen kleinen Haken für mich. Wo bleiben die kolossalen Mittel in den Händen jener Herren? Das ist nur eine kleine praktische Frage. Ich möchte nicht, daß man alle Gesichtspunkte vergißt bei der Liquidierung der Gewerkschaften, und ich möchte nicht eine Trennung, bei der vielleicht noch ein Teil der Machtmittel in jenen Händen bleibt.

Ich schließe mit dem Antrag: Ich möchte Sie bitten, die hier eingebrachten Anträge zu überweisen derselben Wirtschaftskommission, die hier diese Leitsätze ausgearbeitet hat. Sie ist gewählt von den Arbeiter- und Soldatenräten, die auf dem Boden des Spartakusbundes stehen, und sie arbeitet unter Hinzuziehung von Mitgliedern der Spartakuszentrale. Sie fühlt sich nicht befugt, endgültige Beschlüsse zu fassen, sondern hat die Leitsätze ausgearbeitet, um sie den Genossen im Lande vorzulegen. Die Mitgliedschaften sollen sich damit befassen, damit alles auf die breiteste demokratische Grundlage gestellt wird, damit jeder einzelne teilnimmt. Dann werden wir sicher sein, daß das, was geschaffen ist, eine reife Frucht des Kampfes ist. Ich bitte Sie, die Anregungen nur als Anregungen zu betrachten, sie der wirtschaftlichen Kommission zu überweisen und die Richtlinien den Mitgliedschaften vorzulegen.

Genosse Pieck: Die noch zu bewältigende Tagesordnung zwingt uns, die Diskussion über die wirtschaftlichen Kämpfe nicht allzu lange auszudehnen. Wir müssen Schluß der Debatte eintreten lassen. Wir können keinen endgültigen Beschluß fassen, da wir den Mitgliedschaften Gelegenheit geben müssen, sich über die Frage zu äußern. Ich beantrage daher, die Anträge, die zu diesem Punkte gestellt wurden, einer einzusetzenden Programm- und Organisationskommission, die aus Vertretern aller Bezirke zusammengesetzt ist, zu überweisen, womit eine weitere Diskussion überflüssig ist.

Als Mitunterzeichner des Antrages Schmidt wünscht Sturm das Wort. Er beantragt, daß hier auf der Reichskonferenz eine Kommission gewählt werden soll, die dann ihre Beschlüsse dem ersten Parteitag der Kommunistischen Partei vorzulegen hätte. Er zieht daher seinen Antrag zurück und bittet, ihn als Material der Kommission zuzuweisen.

Rieger zieht ebenfalls seinen Antrag zurück mit der Maßgabe der Überweisung an die Kommission.

Genosse Frölich beantragt, über die Frage des Austritts aus den Gewerkschaften getrennt abzustimmen. Da der Antrag zurückgezogen ist, wird auch der Antrag Frölich gegenstandslos.

Es wird hierauf die Debatte abgebrochen.

Die Mandatsprüfungskommission teilt noch mit, daß von [den Internationalen] Kommunisten 29 Genossen anwesend sind, so daß im ganzen 127 Delegierte aus 56 Orten teilnehmen. [16]

 

 

Schlußwort des Genossen Lange [Zentrale]: Nur wenige Worte: Der Genosse Sturm hatte die Liebenswürdigkeit zu sagen, die Kommission sei nicht ganz auf der Höhe gewesen. Ich will die Kommission nicht weiter in Schutz nehmen. Ich möchte mich aber mit der Höhe des Genossen Sturm beschäftigen. Wenn er nämlich sagt, es müsse unbedingt daran festgehalten werden, daß die 48stündige Arbeitszeit beibehalten wird, und man dann später in einer sozialistischen Gesellschaft die Arbeitszeit verkürzen kann, so waren wir der Meinung, daß später, wenn die Arbeiter für die sozialistische Wirtschaftsordnung arbeiten, daß man dann darüber reden kann, wie die Arbeitszeit festgesetzt wird, daß wir aber nicht sagen können, in der kapitalistischen Gesellschaft muß die Arbeitszeit unbedingt 48 Stunden betragen. Ich glaube im Gegenteil, daß die Arbeiter in einer sozialistischen Gesellschaft eher geneigt sein werden, etwas länger zu arbeiten als in der kapitalistischen Gesellschaft. Denn in der sozialistischen Gesellschaft arbeiten sie für sich selbst, sie haben aber keine Ursache, für den Kapitalisten möglichst lange zu arbeiten.

Wenn hier auf die Gewerkschaften eingegangen ist, will ich feststellen, daß selbst in bürgerlichen Berufsorganisationen längst über den Achtstundentag hinausgegangen ist. Ich erinnere daran, daß im vergangenen Monat im Zirkus Busch eine Versammlung von 5.000 Angestellten stattfand, die ihrerseits die 7stündige Arbeitszeit gefordert haben. Ich möchte ferner daran erinnern, daß in verschiedenen Berufen schon vor dem Kriege die 7stündige Arbeitszeit vorhanden war. Wir wollen jedenfalls nicht hinter den freien Gewerkschaften zurückbleiben. Der Genosse Sturm hat sich über die Wöchnerinnenunterstützung ausgesprochen, daß die Wöchnerin noch weiter von der Arbeit verschont bleiben muß, als in Paragraph 13 vorgesehen ist, weil sie zu leicht erschöpft ist. Die männlichen Arbeiter sind auch schon bei 8stündiger Arbeit vollständig erschöpft, es gibt Berufe, wo unbedingt die 8stündige Arbeitszeit eingeführt werden muß.

Ich will nicht auf die Einzelheiten der Forderungen weiter eingehen, weil es schon genügend zum Ausdruck gebracht ist, daß diese Leitsätze nur Material zur Kenntnisnahme sein sollen. Betreffs der Frage der Organisation des Spartakusbundes und der wirtschaftlichen Kämpfe hat sich Heckert meiner Ansicht nach etwas reichlich optimistisch über die künftige Tätigkeit der Bewegung ausgesprochen. Ich teile diesen Optimismus nicht, nachdem alles, was die Gewerkschaften nach der Revolution getan haben, so das Abkommen vom 15. November, die Bildung der Arbeitsgemeinschaft, zeigt, daß die Gewerkschaften nicht mit der Zeit fortgeschritten sind, nicht revolutioniert worden sind, sondern noch immer ihren alten reaktionären Charakter beibehalten haben. Ich bin nicht so optimistisch zu glauben, daß sich das über Nacht ändern würde.

Wenn wir die Frage dahin zuspitzen, ob wir für oder gegen die Gewerkschaften sind oder für den Austritt aus denselben, so meine ich, wir sind nicht verpflichtet, dafür zu sorgen, daß unsere Mitglieder den Gewerkschaften beitreten. Die Frage ist die, daß wir die wirtschaftliche Organisation durch die Betriebsräte durchführen wollen. Die Betriebsräte ersetzen die Gewerkschaften. Wir haben in den letzten Monaten das Charakteristikum zu verzeichnen, daß es keine entschiedenere Bekämpfung der Gewerkschaften gibt als die [durch die] Arbeiter- und Betriebsräte. Wenn Sie die Lohnbewegungen in den letzten Wochen und Monaten verfolgen, so werden Sie gefunden haben auf der einen Seite die Gewerkschaften und Unternehmer und auf der anderen Seite die Betriebsräte und die Arbeiter. Wir wollen daher die Betriebsräte fördern und stützen und sind der Überzeugung, daß sie das Werk der Bekämpfung der Gewerkschaften auf das entschiedenste fortsetzen werden, daß wir aber nicht den Arbeitern die Bedingung stellen können: Du mußt, ehe Du bei uns beitrittst, aus der Gewerkschaft ausscheiden. Der Spartakusbund will keine politische Einheitsorganisation in dem Sinne sein, daß wir die politischen und wirtschaftlichen Kämpfe zu besorgen hätten. Wir sind eine politische Organisation und stützen die Betriebsräte, die die wirtschaftlichen Aufgaben durchzuführen haben.

 


Zuleztzt aktualisiert am 15.10.2003