Marxists Internet Archive

Die Lage Der Linkskommunistischen Gruppen

1932


Veröffentlicht: 1932
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Nachdem die imperialistische Aufschwungsperiode des Vorkriegeskapitalismus die Arbeiterbewegung auf eine vollkommen reformistische Plattform gebracht hatte, stellte die Periode des Zusammenpralls der imperialistischen Gegensätze im Weltkrieg vor das Proletariat die Frage der Revolution. Im Kampf um die Entscheidung zwischen der Politik der reformistischen Stützung der imperialistische Bourgeoisie und der Politik des revolutionären, international ausgerichteten Kampfes gegen sie erfolgte zwangsläufig die Spaltung der Sozialdemokratie. Während aber die Masse der zur USPD gehenden Parteimitglieder sich lediglich aus einer immer stärker werdendem Antikriegshaltung entschied, kämpften einige kleine Gruppen, vor allen der Spartakusbund und die Gruppe Internationaler Sozialisten, um die klare revolutionäre Orientierung.

Wenn auch das, was sich hier durchrang, nicht vollkommen klar sehen konnte - wurden doch die engeren Probleme der Revolution erst in der Revolution selbst sichtbar - , so verkörperte es doch den Ansatz neuer revolutionärer Klassenorientierung und Klassenentwicklung Die Praxis der revolutionären Kämpfe und die mit ihnen erfolgende theoretische Auseinandersetzung führte de neugeschaffene KPD auf den Weg einer durch unvermeidliche taktische Fehler und Irrtümer und Niederlagen hindurch wachsenden revolutionären Klassenpolitik. Die radikale Abkehr von allen parlamentarischen, allen reformistischen Kampfmethoden einerseits, die Abkehr von den Konterrevolutionären Gewerkschaften durch die Bildung von Betriebsorganisationen anderseits bildete den Angelpunkt der kommunistische Taktik. Im Herbst 1919 jedoch bereits erfolgte die Spaltung der jungen kommunistischen Partei, der mit Hilfe übelster Apparatmethoden unter der Führung Paul Levys und unter dem Druck der zum Opportunismus übergehende Führer des Bolschewismus eine parlamentarische und gewerkschaftliche Politik aufgezwungen wurde. Die Ausgeschlossenen bildeten in Frühjahr 1920 die Kommunistische Arbeiterpartei, die die revolutionäre Linie des Spartakusbundes fortsetzte und an den nächsten Kämpfen der deutschen Arbeiterschaft einen hervorragenden Anteil nahm. Mit der KAP entwickelten sich die antigewerkschaftlichen Betriebsorganisationen zu teilweise bedeutendem Masseneinfluss in der Unionsbewegung. Indessen erfolgte bereits im Herbst 1920 die Lossage der ostsächsischen Unionsgruppen von der KAP und die Spaltung der Union selbst. Unter Rühles Führung wurde die Theorie von der wirtschaftlich-politischen Einheitsorganisation, also der Verneinung der revolutionären Partei, herausgestellt. Die Diskussion um die Fragen der Taktik, und zwar um die Fragen der Beteiligung an den Tageskämpfen der Arbeiterschaft einerseits führte1922 auch zur Spaltung der KAP in die „Berliner“ und „Essener“ Richtung. (Wesen der Entwicklung der KAP und Ursachen ihrer Spaltung sollen im Rahmen eines späteren Artikels behandelt werden).

Der Niedergang der revolutionären Kämpfe in Deutschland [und] die Besiegelung der Niederlage des deutschen Proletariats mit der kapitalistischen Stabilisierung brachte einen raschen Rückgang sowohl der unionistischen Bewegung als auch der beiden Richtungen der KAP. Es zeigte sich, dass die im revolutionären Kampf von den fortgeschrittensten Arbeitern gebildeten Betriebsorganisationen als die spezielle Kampfformation des revolutionären Proletariat mit dem Schwinden jeder revolutionären Kampfmöglichkeiten selbst verschwinden mussten. Der Reformismus gewann die Massen zurück, unterstützt durch die von der Autorität der russischen Revolution gedeckten opportunistischen Taktik der KPD. Die beiden parlamentarischen Arbeiterparteien beherrschten wieder das Feld gegenüber den ein konsequent revolutionäres Prinzip vertrerenden KAP-Gruppen.

Der vorläufige endgültige Niedergang der deutschen Revolution also wurde zur objektiven, geschichtlichen Ursache des Niedergangs der KAP- und Unionsbewegung. Die Tatsache, dass ein grosser Teil der verbliebenden Träger dieser Bewegung, die nach 1923 vollkommen geänderte Situation nicht begriff, fügte zu diesem objektiven Moment das subjektive einer wütenden Diskussion über die Frage, wer am Niedergang und Spaltung der Bewegung schuld sei. Der Gang der kapitalistischen Entwicklung in der Periode der Stabilisierung entzog den verschiedenen kapistischen und unionistischen Gruppen alle praktisch-revolutionäre Betätigungsmöglichkeit. Aus starken, aktiv handelnden Organisationen wurden schwache, mehr und mehr nur auf die Propaganda angewiesenen Gruppen, die sich zudem noch in starker Feindschaft gegenüber standen. Der Versuch, 1926 eine kartell-artige Einigung der einzelnen Richtungen herbeizuführen, scheiterte an der programmatisch nichtvorhandenen Einheit und führte nur zu einer neuen Spaltung, als deren Produkt schliesslich ein neuer „Spartakusbund“ unter der Führung Pfemferts zum Vorschein kam.

Die verbliebenen Mitglieder der Essener Richtung der KAP haben in der weiteren Entwicklung die selbständige Organisation aufgegeben undihre politische Arbeit auf dem Boden anderer Organisationen fortgesetzt. Die KAP Berliner Richtung arbeitet heute noch mit einigen wenigen Gruppen und Einzelmitgliedern selbständig. Ein winziger Rest der mit ihr früher verbundenen Allgemeinen Arbeiterunionen existiert noch neben ir. Die grosse Mehrheit der AAU jedoch hat sich im Herbst 1931 mit der Union-Einheitsorganisation zur Kommunistischen Arbeiter-Union verschmolzen. Mit einigen Gruppen existiert der Pfemfertsche Spartakusbund, der auch auf dem Boden der Einheitsorganisation steht, ebenfalls noch weiter.

Alle diese Gruppen sind Reste einer geschichtlich bedeutsamen Bewegung, Trümmer eines historischen Niedergangs. Sie tragen deutlich den Stempel dieser ihrer Herkunft und Existenz. Einmal ist in ihnen natürlich verkörpert ein Stück vergangener revolutionärer Erfahrung und revolutionärer Tradition. In Bezug auf den Gedanken der revolutionären Selbstaktivität der Massen, revolutionären Antiparlamentarismus und der Notwendigkeit der Überwindung der gewerkschaftlichen Taktik und Organisation haben sie auch wesentliche Stücke des in schweren Kämpfen erworbenenrevolutionären Prinzips aufrechterhalten. Dieser positive Seite stehen jedoch eine Reihe von negativen gegenüber.

Zum überwiegenden Teil hat sich in der ganzen linkskommunistischen Bewegung eine für ihre Taktik verhängnisvolle Haltung herausentwickelt. Die an sich notwendige grundsätzliche Konsequenz führte zu einer starken, rein sektenhaften Abschliessung von der Arbeiterschaft. Als Trost für die fehlende Wirkungsmöglichkeit entwickelte sich zum Teil eine ironische Überheblichkeit heraus, die sich jahrelang in impotenter Selbstgefälligkeit versicherte, dass sie schon immer recht gehabt habe und einzig und allein 100% Träger eines 100% revolutionären Programms sei. Dazu tritt, dass diese programmatischen 100%tigkeit geformt worden ist in einer geschichtlichen niedergehenden Situation der Zersetzung der Bewegung. So wurde geistig stabilisiert, was in einer bestimmten Phase der rückläufigen Entwicklung im Mittelpunkt der Diskussion stand. Alle theoretische Aufmerksamkeit wurde teilweise vollständig nur auf die Reinhaltung gerade dieser einmal fixierten Prinzipien verwandt. Und so weit heute noch der Blick der Mitglieder dieser Organisationen nach Rückwärts gerichtet ist ergibt sich eine totale Unfähigkeit, die heutige, vollkommen andere Situation überhaupt zu begreifen, oder in einer gegenseitigen Annäherung aneinander das wirklich Gemeinsame, vom wirklich, nicht vom Scheinbaren nur eingebildeten Trennenden zu scheiden. Wo die Fähigkeit zur Einfühlung in die heutige Situation der Arbeiterbewegung aber nicht gegeben ist, verbaut ein blinder Dogmatismus jegliche Wirkungsmöglichkeit. Die Tradition der verschiedenen linkskommunistischen Gruppen hat den grösseren Teil ihre Arbeitsfähigkeit totgeschlagen.

Zehrt die KAP berliner Richtung von dem gesamten theoretischen Gedankengut der linksrevolutionären Praxis aus der Periode bis 1923, so hat sie anderseits in vollemUnverständnis für die Arbeit anderer revolutionärer Kräfteeinen gehässigen Organisationsegoismus entwickelt, der im umgekehrten Verhältnis zu ihrer wirklichen Arbeit in der Klasse steht. Auf der Gegenseite sind im Spartakusbund die unfruchtbaren Kräfte einer dogmatischen Begriffsreiterei am ausgeprägsten. In der Kommunistische Arbeiter-Union, die die grösste der genannten Gruppen darstellt, hat sich eine lebendigere Taktik und Auffassung durchgesetzt, die allerdings zu einem Teil schon opportunistischen Charakter besitzt. So wurde bei der Einigung der beiden Unionen über die ganz wesentliche Frage der Stellung zum Problem der revolutionären Partei keine Klarheit geschaffen. Während ein Teil der KAU fanatischer Verneiner der revolutionären Partei überhaupt ist und den alten Rühle’schen Gedanken der Einheitsorganisation vertritt, lässt ein anderer diese Frage einfach offen. Ein dritter Teil endlich bejaht die Notwendigkeit der revolutionären Partei nach wie vor. Eine Einigung aber die auf dem Verschweigen dieser Differenzen aufgebaut ist, trägt die stete Gefahr einer neuen Spaltung in sich.

Keine der bestehenden linkskommunistischen Gruppen ist ihrem Programm und ihrer Taktik nach als die kommende und notwendige revolutionäre kommunistische Organisation, die revolutionäre „Partei“ anzusprechen. Ihre lebendigen Kräfte jedoch können zu Ansatzpunkten der Herausentwicklung einer solchen kommunistischen Kernorganisation werden, wenn sie ihre eigene Stellung in der heutigen Situation begreifen und dementsprechend handeln.

Die erste Erkenntnis, die dazu nötig ist, ist die, dass alle diese linkskommunistischen Gruppen eben nur die Überreste einer historisch aufgeriebenen Bewegung sind, die nicht einfach mit den Programmen und noch viel weniger mit der Taktik von damals wieder aufgebaut werden können. Die tatsächliche Situation zeigt, dass aus der beginnende Zersetzung der gesamten Arbeiterbewegung heraus lebendig aus der heutigen Situation und dem heutigen Bewusstseinstand der Arbeiterschaft die klaren Ansätze einer organisatorisch neu zu fundierenden linkskommunistischen Bewegung geschaffen werden müssen. So lange irgend eine linkskommunistische Gruppe von sich behauptet, die alleinige revolutionäre Organisation zu sein, wird sie überhaupt nichts wesentliches für die zukünftige Arbeit und Entwicklung bedeuten.

Die zweite Erkenntnis, die erfasst werden muss, ist die, dass dieser Neubeginn unter ganz anderen Voraussetzungen beginnt, als es in der Periode bis 1923 der Fall war. Dort handelte es sich un eine meher oder minder offen revolutionäre Situation mit vielen grossen Massenaktionen. Heute handelt es sich um die Situation einer nahezu vollendeten Diktatur und um die Situation des kompletten Versagens aller Arbeiterbewegung. Zu dem müssen wenigstens die besten Kräfte aus der jungen Generation erfasst werden, die noch keinerlei wirklich revolutionäre Erfahrung hinter sich haben, und die deshalb nur sehr schwer in die Ideologie des Linkskommunismus hineinwachsen können. Darum muss das Programm der linkskommunistischen Bewegung neu formuliert, neu herausentwickelt werden.

Die dritte Erkenntnis, auf die es ankommt, ist endlich die, dass auch keine mechanische Einigung, der einzelnen linken Gruppen ohne wirkliche einheitliche Basis das Tempo der Fundierung der neuzuschaffenden revolutionären Organisation beschleunigen kann. Im Gegenteil. Alle von oben her gemachte Einigung bringt nur neue Gefahren mit sich. Die Einheitlichkeit der linkskommunistischen Bewegung kann nur durch die Praxis selbst geschaffen werden. In praktischer Zusammenarbeit und in mit dieser zusammengehender theoretischen Diskussion können die lebendigen Kräfte aus allen vorhandenen Gruppen zusammenwachen. Die organisatorische Verbindung kann nichts sein als die Anerkennung eines praktisch schon gegebenen Zustandes. Jedenfalls steht sie nicht am Anfang, sondern erst im weiteren Verlauf einer gemeinschaftlichen politischen Arbeit.

Es wird noch viel Schutt beiseite zu räumen sein, und wahrscheinlich wird es ohne eine rücksichtslose Trennung von allen verbohrten und unfähig gewordenen Elementen nicht abgehen. Aber für eine kommende revolutionäre Situation werden nicht Diejenigen die wertvollsten Kräfte sein, die angeblich das reinste Programm vertreten, sonder Diejenigen, die ihre linkskommunistische Überzeugung in zäher und unermüdlicher Arbeit schon heute in der Praxis der Arbeiterklasse umsetzen lernen.

 


Zuletzt aktualisiert am 09.07.2011