Mao Tse-Tung


Über die Richtlinien für die Arbeit in Tibet

Direktive des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas [1]

(6. April 1952)


Mao Tse-tung: Ausgewählte Werke, Band V, Peking 1978, S.78-82.
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Das Zentralkomitee billigt im wesentlichen die Instruktionen, die das Regionalbüro Südwest und der Militärbezirk Südwest am 2. April an das Arbeitskomitee Tibet und den Militärbezirk Tibet telegraphiert haben, und ist der Ansicht, daß die darin festgelegten grundlegenden Richtlinien (außer dem Punkt über die Reorganisierung der tibetischen Truppen) und verschiedenen konkreten Schritte korrekt sind. Nur durch ihre Befolgung kann sich unsere Armee in Tibet eine Position der Unbesiegbarkeit schaffen.

Die Bedingungen in Tibet sind verschieden von denen in Sinkiang. Tibet steht politisch wie ökonomisch viel schlechter da als Sinkiang. Aber selbst in Sinkiang achteten die Armee-Einheiten unter Wang Dschen nach ihrem Einzug zuallererst und vor allem darauf, äußerst sparsam zu wirtschaften, sich auf die eigene Kraft zu stützen und sich durch eigene Produktion selbst zu versorgen. Nun sind sie fest verankert und erfreuen sich der herzlichen Unterstützung durch die nationalen Minderheiten. jetzt wird gerade die Herabsetzung der Pacht- und Darlehenszinsen durchgeführt, und im kommenden Winter wird die Bodenreform eingeleitet werden, was mit Sicherheit dazu führen wird, daß uns die Massen noch mehr unterstützen werden. Sinkiang ist durch Autostraßen gut mit dem Kerngebiet des Landes verbunden, das ist eine große Hilfe für die Verbesserung des materiellen Lebens der nationalen Minderheiten. Doch in Tibet kann sowohl mit der Herabsetzung der Pachtzinsen als auch mit der Bodenreform frühestens in zwei oder drei Jahren begonnen werden. In Sinkiang leben einige Hunderttausende Han, in Tibet dagegen gibt es kaum welche – unsere Armee befindet sich dort in einem ganz andersartigen Minderheitengebiet. Zwei grundlegende politische Maßnahmen sind es, durch die allein wir die Massen auf unsere Seite ziehen und unbesiegbar werden können. Die erste ist sparsamstes Wirtschaften, verbunden mit Selbstversorgung durch eigene Produktion. Auf diese Weise werden die Massen beeinflußt; das ist das entscheidende Kettenglied. Auch wenn einmal Straßen gebaut sind, können wir nicht darauf zählen, daß auf ihnen große Mengen Getreide transportiert werden können. Indien wird sich wahrscheinlich bereit erklären, Getreide und andere Güter im Austausch nach Tibet zu liefern, aber unsere Haltung muß sein, dafür zu sorgen, daß sich unsere Armee auch dann weiter halten kann, wenn Indien eines Tages seine Lieferungen einstellen sollte. Wir müssen unser Bestes tun und angemessene Schritte unternehmen, um den Dalai und die große Mehrheit der ihn umgebenden Spitzengruppe zu gewinnen und die Handvoll üble Elemente zu isolieren, damit das ökonomische und politische System Tibets innerhalb einiger Jahre allmählich und auf unblutige Weise umgestaltet wird. Andererseits müssen wir uns auf die Möglichkeit vorbereiten, daß die üblen Elemente die tibetischen Truppen in eine Rebellion und zu einem Angriff gegen uns führen; das müssen wir tun, damit unsere Armee auch in einer solchen Situation bestehen und sich weiter in Tibet halten kann. All das hängt vom sparsamen Wirtschaften und von der Produktionstätigkeit zur Selbstversorgung ab. Nur mit dieser grundlegenden Politik als Stützpfeiler unserer Arbeit können wir unser Ziel erreichen. Die zweite Maßnahme, die ergriffen werden kann und muß, ist die Aufnahme von Handelsbeziehungen mit Indien und mit dem Kerngebiet unseres Landes sowie die Verwirklichung eines generellen Gleichgewichts zwischen den Warenlieferungen von Tibet und denen nach Tibet, damit der Lebensstandard der tibetischen Bevölkerung wegen der Anwesenheit unserer Armee nicht im geringsten gesenkt, sondern im Gegenteil durch unsere Anstrengungen angehoben wird. Gelingt es uns nicht, diese zwei Probleme Produktion und Handel zu lösen, werden wir der materiellen Grundlage, die unsere Anwesenheit sichert, verlustig gehen; die üblen Elemente werden Kapital daraus schlagen, werden keinen Tag verlassen, an dem sie nicht die rückständigen Elemente in der Bevölkerung und die tibetischen Truppen zum Kampf gegen uns aufhetzen. In diesem Fall wird unsere Politik des Zusammenschlusses mit der Mehrheit und der Isolierung der Minderheit ohne Wirkung bleiben und scheitern.

Von allen im Telegramm des Regionalbüros Südwest vom 2. April geäußerten Auffassungen bedarf eine einzige der weiteren Überlegung; es geht dabei um die Frage, ob es möglich und ratsam ist, binnen kurzem die tibetischen Truppen zu reorganisieren und eine militärisch-administrative Kommission zu bilden. Unserer Meinung nach sollten gegenwärtig weder die tibetischen Truppen reorganisiert, noch formelle Militärunterbezirke oder eine militärischadministrative Kommission gebildet werden. Für den Augenblick laßt alles, wie es ist, laßt die Situation sich hinziehen und greift diese Fragen nicht auf, bis unsere Armee in ein oder zwei Jahren tatsächlich fähig ist, ihren Bedarf durch Produktion selbst zu decken, und die Unterstützung der Massen gewonnen hat. In der Zwischenzeit gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine ist, daß unsere Einheitsfrontpolitik gegenüber der Oberschicht, die eine Politik des Zusammenschlusses mit der Mehrheit und der Isolierung der Minderheit ist, Wirkung zeitigt und daß die tibetischen Massen allmählich näher an uns heranrücken, so daß die üblen Elemente und die tibetischen Truppen nicht zu rebellieren wagen. Die andere Möglichkeit ist, daß die üblen Elemente in der Meinung, wir wären schwach und könnten kleingekriegt werden, die tibetischen Truppen in eine Rebellion führen und daß unsere Armee in Selbstverteidigung zum Gegenangriff antritt und ihnen kräftige Schläge versetzt. Beide Möglichkeiten sind günstig für uns. In den Augen der Leute der Spitzengruppe in Tibet gibt es jetzt keinen ausreichenden Grund für die vollständige Durchführung des Abkommens [2] oder für die Reorganisation der tibetischen Truppen. Aber in einigen Jahren werden die Dinge anders liegen. Dann werden sie wahrscheinlich finden, daß sie keine andere Wahl haben, als das Abkommen als Ganzes durchzuführen und die tibetischen Truppen zu reorganisieren. Wenn die tibetischen Truppen einmal oder gar mehrere Male rebellieren und jedes Mal von unserer Armee zurückgeschlagen werden, werden wir die Reorganisierung der tibetischen Truppen mit noch mehr Recht durchführen. Offenbar haben nicht nur die zwei Silons [3], sondern auch der Dalai und die meisten seiner Gruppe das Abkommen nur widerwillig akzeptiert und wollen es nicht durchführen. Jetzt haben wir weder eine materielle Basis für die restlose Durchführung des Abkommens noch eine Grundlage dafür im Sinne einer Unterstützung durch die Massen und durch Leute in der Oberschicht. Seine Verwirklichung zu erzwingen würde also mehr schaden als nützen. Sie sind nicht willens, das Abkommen in die Tat umzusetzen, gut, wir können es vorläufig sein lassen und abwarten. je länger das hinausgezögert wird, desto stärker wird unsere Position und desto schwächer die ihre. Die Verzögerung wird uns wenig schaden, im Gegenteil, sie kann zu unserem Vorteil sein. Sollen sie weiter Greueltaten gegen die Volksmassen verüben, während wir uns auf gute Taten konzentrieren Produktion, Handel, Straßenbau, Gesundheitsdienst, Einheitsfrontarbeit (Zusammenschluß mit der Mehrheit und geduldige Erziehung) usw., um die Massen auf unsere Seite zu ziehen und den rechten Augenblick dafür abzuwarten, die Frage der restlosen Durchführung des Abkommens aufzuwerfen. Wenn sie meinen, es sollten keine Grundschulen errichtet werden, dann kann auch damit Schluß gemacht werden.

Die jüngste Demonstration in Lhasa sollte nicht bloß als das Werk der zwei Silons und anderer übler Elemente, sondern als ein Wink aufgefaßt werden, den uns die große Mehrheit der Dalai-Gruppe gegeben hat. Ihre Petition ist sehr taktvoll gehalten, denn sie gibt nicht dem Wunsch nach einem Bruch mit uns Ausdruck, sondern lediglich dem Verlangen, daß wir Konzessionen machen mögen. Eine Stelle deutet an, daß die Praxis der Tjing_Dynastie wiederhergestellt werden sollte, was heißen will, daß keine Einheiten der Befreiungsarmee in Tibet stationiert sein sollten, aber nicht darum geht es ihnen in Wirklichkeit. Sie wissen genau, daß dies unmöglich ist; sie versuchen einfach, diesen Punkt zum Tausch gegen andere anzubieten. In der Petition wird der Vierzehnte Dalai kritisiert, um jegliche politische Verantwortung für die Demonstration von ihm zu nehmen. Sie treten als Beschützer der Interessen der tibetischen Nationalität auf, im Bewußtsein dessen, daß sie uns zwar militärisch unterlegen, aber an sozialem Einfluß überlegen sind. Wir sollten diese Petition inhaltlich (jedoch nicht formell) akzeptieren und die vollständige Durchführung des Abkommens verschieben. Sie haben den Zeitpunkt für die Demonstration nach genauer Überlegung so gewählt, daß sie vor der Ankunft des Pantschen in Lhasa stattfand. Nach seinem Eintreffen ,werden sie ihn wahrscheinlich mit aller Kraft bearbeiten, damit er sich ihrer Gruppe anschließt. Wenn wir unsere Arbeit gut machen und der Pantschen nicht in ihre Falle geht, sondern Schigatse sicher erreicht, wird die Situation günstiger für uns werden. Dennoch wird sich am Widerwillen der Dalai-Gruppe gegen die vollständige Durchführung des Abkommens nichts ändern, weil sich im Augenblick nichts daran ändern wird, daß es uns an einer materiellen Grundlage fehlt und daß ihr sozialer Einfluß dem unseren überlegen ist. Gegenwärtig sollten wir dem Anschein nach in die Offensive gehen und die Demonstration wie die Petition als nicht zu rechtfertigen (weil das Abkommen unterminierend) verurteilen, aber in Wirklichkeit bereit sein, Zugeständnisse zu machen, um später, wenn die Bedingungen reif sind, zur Offensive überzugehen (d.h. die Verwirklichung des Abkommens durchzusetzen).

Teilt uns telegraphisch mit, wie ihr darüber denkt.


Anmerkung

1. Parteiinterne Direktive, von Genossen Mao Tsetung für das ZK der KP Chinas aufgesetzt. Sie richtete sich an das Regionalbüro Südwest und das Arbeitskomitee Tibet und wurde auch dem Regionalbüro Nordwest und dem Zweigregionalbüro Sinkiang mitgeteilt.

2. Gemeint ist die Vereinbarung zwischen der Zentralen Volksregierung und der Lokalregierung Tibets über Maßnahmen für die friedliche Befreiung Tibets vom 23. Mai 1951.

3. Die „Silons“ waren die höchsten Verwaltungsbeamten unter dem Dalai. Bei den beiden genannten handelt es sich um die reaktionären Feudalherren Lukhangwa und Lozang Taschi.


Zuletzt aktualisiert am 11.8.2008