Karl Kautsky


Die Agrarfrage




Erster Abschnitt
Die Entwicklung der Landwirthschaft in der kapitalistischen Gesellschaft


III. Die Landwirthschaft der Feudalzeit


a) Die Dreifelderwirthschaft

Es ist hier nicht der Ort, den Ursprüngen der bäuerlichen Eigenthumsverhältnisse nachzuforschen. Für unsere Zwecke genügt es, jenen Zustand der bäuerlichen Eigenthums- und Betriebsverhältnisse festzustellen, der sich nach den Stürmen der Völkerwanderung in den von Germanen besetzten Ländern entwickelte und dort mit geringen Ausnahmen – worunter die wichtigste England – bis tief ins 18. Jahrhundert, stellenweise bis in unsere Zeit sich erhielt. Es war ein Kompromiß zwischen dem Gemeineigenthnm an Grund und Boden, wie es die bäuerliche Weidewirthschaft erheischte, und dem Privateigenthum am Boden, das den Bedürfnissen der bäuerlichen Ackerwirthschaft entsprach.

Wie jede Bauernfamilie eine Hausgenossenschaft bildet, die sich selbst genügte, so bildete auch jedes Dorf eine wirthschaftlich in sich geschlossene, sich selbst genügende Genossenschaft, die Markgenossenschaft.

Wir sehen hier ab von der Form der Ansiedlung in zerstreuten Einzelhöfen, statt in geschlossenen Dörfern, eine Form, die lange als die ursprüngliche galt, die aber, wie heute feststeht, nur eine ausnahmsweise, durch besondere Eigenheiten der historischen Tradition wie auch der Bodengestaltung herbeigeführte war. Normal und typisch ist das Dorfsystem, und nur mit diesem haben wir es in Folgendem zu thun.

Den Ausgangspunkt der Bauernwirthschaft bildete die Haushofstätte, die in Sondereigenthum übergegangen war. Zu ihr gehörte außer dem Wohnhaus und den nöthigen Wirthschaftsgebäuden ein Stück Land um die Gebäude herum, das eingezäunt war. Diese Einzäunung umschloß den Garten mit den nothwendigsten Küchengewächsen, mit Gemüse, Flachs, Obstbäumen u. s. w. Das Dorf bestand aus einer größeren oder kleineren Anzahl solcher Hofstätten. Außerhalb des Dorfes lag die vertheilte Feldmark, das Ackerfeld. Dasselbe war dort, wo die Dreifelderwirthschaft herrschte, was meist der Fall, in drei Fluren oder Zelgen eingetheilt. Jede Zelge zerfiel wieder in verschiedene Gewanne oder Kampe, das heißt, Ackerflächen, die nach Lage und Bodengüte von einander verschieden waren. In jedem Kamp besaß jede Hofstätte ein eigenes Ackerloos. Außerhalb der vertheilten Feldmark lag die unvertheilte Feldmark (Allmende, gemeine Mark), das heißt, Wald und Weide.

Die unvertheilte Feldmark wurde von der Genossenschaft gemeinsam bewirthschaftet. Auf dem Ackerland bebaute jede Familie ihre besonderen Loose für sich. Aber nicht nach Willkür. Auf dem Acker wurde Korn gebaut, zur Ernährung der Menschen. Aber die Viehzucht, die Weidewirthschaft, beherrschte noch den ganzen landwirthschaftlichen Betrieb. Und wenn der Ackerbau Privatsache der einzelnen Familien geworden war, so blieb die Weidewirthschaft eine gemeinsame Angelegenheit der gesammten Gemeinde. Diese Gestaltung der Wirthschaft wirkte auf die Eigenthumsverhältnisse zurück. Als Ackerland war der Boden Privateigenthum, als Weideland Gemeineigenthum. Das heißt, jedes Feld fiel, sobald es abgeerntet worden, der Viehweide anheim und unterlag als solche dem Verfügungsrecht der Gemeinde, die alle Felder gemeinsam abweiden ließ. Und wie das Stoppelfeld, so wurde auch das Brachfeld als gemeinsame Viehweide für das gesammte Vieh des Dorfes benutzt. Das wäre aber unmöglich gewesen, wenn jeder Dorfgenosse seine Ackerloose nach seinem Belieben bebaut hätte. Es herrschte daher der Flurzwang, innerhalb jeder Flur oder Zelge mußten sämmtliche Eigner von Ackerloosen dieselben in gleicher Weise bebauen. In jedem Jahre lag die eine der drei Ackerfluren brach, die zweite wurde mit Winterkorn, die dritte mit Sommerkorn bestellt. Jährlich wechselte die Bestellung der Flur. Außer der Stoppel- und Brachweide lieferten Wiesen, ständige Weiden und Wälder das Futter für das Vieh, dessen Arbeitskraft, Dünger, Milch und Fleisch gleich wichtig für die bäuerliche Wirthschaft waren.

Dies laudwirthschaftliche Betriebssystem kam allenthalben zur Herrschaft, wo germanische Völker sich niederließen. Es machte in dieser Beziehung keinen Unterschied, ob die Bauern in der Lage waren, ihre volle Freiheit zu wahren, ob sie sich als Zinsbauern auf dem Gebiete eines Grundherrn niederließen, ob sie ihre Unabhängigkeit dahingaben, um unter den Schutz und Schirm eines mächtigen Herrn zu kommen, oder ob sie durch Gewalt in Abhängigkeit gebracht wurden.

Es war ein Betriebssystem von merkwürdiger Kraft und Widerstandsfähigkeit, konservativ, erhaltend, im besten Sinne des Wortes. Nicht minder wie an dem häuslichen Handwerk beruhte auf der markgenossenschaftlichen Verfassung der Wohlstand und die Sicherheit der bäuerlichen Existenz. Das Dreifeldersystem mit Wald und Weide bedurfte keiner Zufuhr von Außen. Es produzirte selbst das Vieh und den Dünger, die nothwendig waren, um das Feld zu bebauen und der Bodenerschöpfung vorzubeugen. Die Gemeinsamkeit der Weide und der Ackerflur erzeugte aber auch einen festen Zusammenhalt der Dorfgenossen, der sie gegen übermäßige Ausbeutung durch äußere Mächte wirksam schützte.

Aber so festgefügt dies Wirthschaftssystem auch war, die Entwicklung der städtischen Industrie und damit der Geldwirthschaft versetzte auch ihm den Todesstoß, ebenso wie dein bäuerlichen Handwerk.
 

b) Die Einengung der Dreifelderwirthschaft durch den Großbetrieb der Grundherren

Wir haben gesehen, wie die städtische Industrie das Geldbedürfniß des Bauern vernehrte, aber auch das Geldbedürfniß der Mächte, die aus dem Bauern ganz oder zum Theil ihre Lebenskraft sogen – des Feudaladels und des aufstrebenden modernen Staates. Wir haben auch gesehen, wie dadurch der Bauer gezwungen wurde, Lebensmittel zum Verkauf zu produziren, sür die sich der Markt in den wachsenden Städten aufthat. Schon dadurch aber wurde das Gleichgewicht der Mark ins Schwanken gebracht, deren ganze Wirthschaftsordnung darauf berechnet war, daß sie sich völlig selbstgenügte, nichts oder so gut wie nichts von außen empfing, aber auch nichts, oder wenigstens nichts von Bedeutung, nach außen abgab.

Ursprünglich war es denn auch in fast allen Marken auf das Strengste verboten, Marknutzungen irgend einer Art ohne Erlaubniß der Markgenossen aus der Mark auszuführen oder außerhalb der Mark zu veräußern, z. B. Holz, Heu, Stroh, Dünger &c. Auch die in der Mark gezogenen Früchte sollten so viel als möglich in der Mark selbst verarbeitet und verzehrt werden. Dasselbe galt von den in der Dorfmark aufgezogenen Thieren. In der Mark gemästete Schweine durften nicht außerhalb der Mark verkauft werden. Ebenso war bestimmt, daß die in der Dorfmark gewachsenen Feldfrüchte und Weine in der Mark selbst gemahlen, gebacken, gegessen beziehungsweise gekeltert und vertrunken werden sollten, woraus in vielen Dorfmarken sich Bannrechte entwickelten. Das Bedürfniß, nichts zu exportiren, alles im Dorf selbst konsumiren zu lassen, nahm unter der feudalen Ausbeutung oft kuriose Formen an.

G. L. v. Maurer erzählt uns in seiner Geschichte der Dorfverfassung, (I, S. 316) von einem Edelmann im Elsaß, der 1540 seinen Bauern als Frohnarbeit das Austrinken seiner sauren Bannweine auflegte, damit seine Fässer für den gutgerathenen Wein dieses Jahres frei würden. „Sie mußten“, heißt es nach Maurer in einer alten Chronik, „alle Wochen dreimal zum Weine gehen und bezahlten nicht mehr dem Edelmann, denn Käs und Brot. Wenn nun die Bauern voll waren, schlugen sie einander, da büßte sie der Junker für den Frevel und bekam also mehr Geld für den Wein als wenn er ihn verkauft hätte.“ Unsere Schnapsjunker sollten diesem wackeren christlich-germanischen Helden ein Denkmal setzen, der bereits in jenen fernen Zeiten so kräftig für Alkoholismus, Profit und christliche Zucht einzutreten verstand.

Die Beschränkungen durch die Bannrechte wurden unhaltbar oder nutzlose Chikanen, sobald die Produktion für den Markt sich den Bauern als eine Nothwendigkeit aufdrängte. Die stete Ausfuhr in die Stadt von Nahrungsstoffen, die nicht mehr dem Boden zurückgegeben wurden, mußte aber diesen allmälig erschöpfen und ärmer machen.

Das ökonomische Gleichgewicht der Mark wurde indeß noch in ganz anderer Weise gestört. In dem Maße, in dem die Produkte des Bodens zu Waaren wurden, einen Marktwerth erhielten, wurde auch der Boden selbst zu einer Waare, die einen Werth besaß. Als die landwirthschaftliche Waarenproduktion größere Ausdehnung annahm, im Beginn der neueren Zeit, da war der Grund und Boden nicht mehr so sehr im Ueberflusse vorhanden, wie damals, als die Germanen sich ansässig gemacht und an Stelle der nomadischen Weidewirthschaft, ergänzt durch ausgedehnte Jagd und geringen, höchst primitiven Feldbau, die Dreifelderwirthschaft gesetzt hatten, von der wir hier handeln.

Jeder Produktionsweise entspricht ein Maximum von Volkszahl, die ein bestimmter Landstrich ernähren kann. Ob dies Maximum von den Germanen zur Zeit der Völkerwanderung erreicht war, ob Uebervölkerung sie trieb, ins römische Reich einzubrechen und nicht vielmehr dessen Wehrlosigkeit, darüber kann man streiten. Gewiß ist, daß der Uebergang zu einer höheren landwirthschaftlichen Betriebsweise, den sie ihrer Berührung mit der römischen Kultur verdankten, den Nahrungsraum der germanischen Völker in der Zeit nach der Völkerwanderung enorm erweiterte. Die geringe Volkszahl genügte nur wenig den Bedürfnissen der neuen Produktionsweise, diese selbst war der Aufziehung einer zahlreichen Nachkommenschaft sehr günstig. Sobald daher die Stürme der Völkerwanderung und ihrer Ausläufer sich gelegt und einigermaßen Friede und Sicherheit in Europa eingetreten waren, begann die Bevölkerung sich rasch zu vermehren. Der Volkszuwachs fand in den ausgedehnten Wildnissen leicht den nöthigen Grund und Boden. Wuchs die Volkszahl im Dorfe, dann wurde entweder die Feldflur des Dorfes durch Neurodungen in der unvertheilten Feldmark vergrößert, oder es wurde ein Theil der letzteren ausgeschieden und daraus das Territorium einer neuen Markgenossenschaft geschaffen, eines Tochterdorfes, das neben dem Urdorf entstand. Anderseits schenkten die Fürsten an Klöster oder adelige Gefolgsleute große, kaum oder gar nicht kultivirte Landstrecken, auf denen die Grundherrn gegen geringen Zins Markgenossenschaften einwandernder Kolonisten anlegten. Durch das stete Zurückdrängen der Slaven wurden der germanischen Kolonisation immer wieder neue Gebiete erschlossen.

Im Anfang des 15. Jahrhunderts machten die Hussitenkriege in Böhmen und die Niederwerfung der Macht des deutschen Ordens in Polen dem weiteren Vordringen der deutschen Kolonisation nach Osten ein Ende. Um dieselbe Zeit aber hatte die Bevölkerung Mitteleuropas, wenn auch noch nicht das Maximum erreicht, dessen sie bei der damaligen Wirthschaftsweise fähig war, so doch eine genügend starke Ausdehnung erlangt, so daß ein Mangel an Menschen, an Arbeitskräften, nicht mehr bestand und Grund und Boden aufhörte, in solchem Ueberfluß vorhanden zu sein, daß man seiner nicht mehr achtete. So entstand die Möglichkeit, aber auch der Drang, das wichtigste aller Produktionsmittel zu monopolisiren. Die hartnäckigsten und erbittertsten Kämpfe darum entspannen sich zwischen den Bauern und dem Feudaladel, die bis in die neuere Zeit hineindauern, eigentlich nie ganz aufhören, deren Entscheidungsschlachten aber in Deutschland schon im 16. Jahrhundert geschlagen werden. Sie fallen fast allenthalben zu Gunsten des Feudaladels aus, der sich der aufkommenden Staatsmacht unterwirft und dafür ihre Hilfe gegen die Bauern gewinnt.

Der siegreiche Adel fängt an, selbst Waaren zu produziren auf eine Art, die ein seltsames Gemisch von Kapitalismus und Feudalismus darstellt. Er fängt an, in Großbetrieben Mehrwert zu produziren, aber in der Regel nicht durch Lohnarbeit, sondern durch feudale Zwangsarbeit. Seine Forstpolitik ebenso wie seine Weide- und Ackerwirthschaft schmälert das Bauernland und untergräbt das Gleichgewicht des Dreifeldersystems.

Am leichtesten zur feudalkapitalistischen Ausbeutung, zur Waarenproduktion im Großbetrieb auf dem Lande, eignete sich die Forstwirthschaft. Sobald das Städtewesen das Holz zu einer gesuchten Waare machte – und es wurde damals noch nicht durch Steinkohle und Eisen ersetzt und wurde daher als Brenn- und Baumaterial relativ viel mehr gebraucht, als heutzutage – da suchten die Grundherrn sich des Waldes zu bemächtigen, entweder indem sie ihn der Markgenossenschaft nahmen, die ihn eignete, oder, wo er von vornherein ihr Eigenthum war, indem sie die Nutzungsrechte der Markgenossen in Bezug auf Holz- und Streubezug und Weidenutzung möglichst beschränkten.

Schon in den zwölf Artikeln der aufständischen Bauern von 1525 lautet ein Artikel (der fünfte):

„Zum fünften sind wir auch beschwert der Beholzung halb, denn unsere Herrschaften haben sich die Hölzer (Wälder) alle allein zugeeignet, und wenn der arme Mann etwas bedarf, muß er’s um doppelte Geld kaufen. Unsere Meinung ist, was für Hölzer Geistliche oder Weltliche, die sie immer haben, nicht erkauft haben, die sollen einer ganzen Gemeinde wieder anheimfallen, und einem Jeglichen aus der Gemeinde soll ziemlicher Weise frei sein, daraus seine Nothdurft ins Haus umsonst zu nehmen, auch zum Zimmern, wenn es von Nöthen sein würde, soll er es umsonst nehmen dürfen, doch mit Wissen derer, die von der Gemeinde dazu erwählt werden, wodurch die Ausbeutung des Holzes verhütet werden wird.“

Der Ausschluß der Bauern von der Benutzung des Waldes wurde gefördert durch die Entwicklung des Jagdwesens.

Die Waffen der Jagd waren ursprünglich auch die Waffen des Krieges, die Jagd selbst die Vorschule des Kriegs. Jagd und Krieg hingen aufs Engste zusammen. So lange die Jagd zur Deckung der Bedürfnisse des Gemeinfreien nothwendig war, war dieser auch ein Krieger. Das Zurücktreten der Jagd hinter den Ackerbau als Quelle der Gewinnung von Nahrungsmitteln förderte die Arbeitstheilung von „Nährstand“ und „Wehrstand“, die allerdings noch andere Ursachen hatte. Und umgekehrt, je mehr der Krieg ausschließlich dem Adel zufiel, desto mehr wurde die Jagd ein ausschließlich adeliger Sport.

Als der Adel überflüssig wurde, als der moderne Staat ihm die Funktionen abnahm, die er im Mittelalter geübt, Krieg, Rechtsprechung, Polizei, da wurde der Adel zum Hofadel, der sich am Hofe des Monarchen zusammendrängte, um sich zu amüsiren und den Staat zu plündern, und der, wenn er einmal seine Güter besucht, dort kein anderes Vergnügen wußte, als die Jagd.

Das Gedeihen der Jagd und das der Bodenkultur schließen jedoch einander aus. Ein starker Wildstand kann sich nur in großen, ausgedehnten Forsten halten und er bildet eine beständige Quelle von Verlusten und Schäden für den Bauern.

Je überflüssiger und übermüthiger der Adel wurde, desto mehr siegte in dem Widerstreit der Interessen der Bodenkultur. Und der Jagd für ihn die letztere. Den Fortschritten der Bodenbebauung, die den Wildstand einzuschränken drohten, wurde ein Ziel gesetzt, Rodungen in den Wäldern verboten, die Jagd der Bauern aufs Strengste bestraft, ja, diese wurden sogar verhindert, das Wild, das ihre Felder verwüstete, zu tödten.

Auch davon legen bereits die zwölf Artikel der Bauern von 1525 Zeugniß ab, in deren vierten es heißt:

„Zum vierten ist bisher im Brauch gewesen, daß kein armer Mann Gewalt gehabt hat, das Wildpret, Geflügel oder Fische im fließenden Wasser zu fangen, was uns ganz unziemlich und unbrüderlich dünkt und dem Worte Gottes nicht gemäß. Auch hegt in etlichen Orten die Obrigkeit das Gewild uns zum Trutz und mächtigem Schaden, weil wir leiden müssen, daß uns das unsere, was Gott dem Menschen zu Nutze hat wachsen lassen, die unvernünftigen Thiere zu unnutz verfressen, und wir sollen dazu stillschweigen, was wider Gott und den Nächsten ist.“

Aber in den folgenden Jahrhunderten wurde es noch viel ärger. Erst die große Revolution machte diesen Zuständen in Frankreich ein Ende. In Deutschland aber durften noch hundert Jahre nach der französischen Revolution im Reichstag preußische Junker es wagen, die Forderung zu stellen, daß der Bauer verpflichtet sei, ihre Hasen mit seinem Kohl zu füttern, ohne ernstlichen Widerstand bei der Majorität zu finden.

Wenn dort, wo ein Markt für das Holz sich gebildet hat, es nahe lag und ziemich einfach war, den Wald in Privateigenthum zu verwandeln, das nach kapitalistischen Grundsätze, wenn auch noch unter feudalen Formen bewirthschaftet wurde, so war es kaum weniger naheliegeud und einfach, dort, wo ein großer Markt für ein Produkt der Weidewirthschaft (namentlich Wolle) sich gebildet hatte und Boden und Klima diese gestatteten, zu kapitalistischer Weidewirthschaft überzugehen, die ja auch, ebenso wie die Forstwirthschaft, weder ein ausgedehntes Lohnproletariat uoch große Kapitalanlagen erfordert und deren Technik höchst einfacher Natur. Wie die kapitalistische Forstwirthschaft verlangt auch die extensive Form der kapitalistischen Weidewirthschaft fast nur das Privateigeuthum an ausgedehnten Weideflächen, und dies zu schaffen, haben die Grundherrn dort, wo die oben angegebenen Verhältnisse dazu drängten, sich redlich bemüht, im 15. und 16. Jahrhundert in England und Spanien, später in mancheu Gegenden des nördlichen Deutschland, die für die Schafzucht günstige Bedingungen boten. Die mildeste Form war der Monopolisirung der Schäfereigerechtigkeit, des Rechts, Schafe auf die gemeine Weide zu treiben, durch die Gutsherrschaft. Die Klagen darüber beginnen in Deutschland erst nach dem Bauernkrieg. Vielfach aber trieb die Rentabilität der Schafzucht die Grundherrn auch dahin, die gemeine Weide in Privateigenthum zu verwandeln, mitunter auch dazu, Bauernstellen einzuziehen, das Ackerfeld in Weideland zu verwandeln.

Wo sich ein Markt für Produkte des Ackerbaues bildete, trachteten die Feudalherren danach, auch diese in ihren eigenen Betrieben herzustellen. Das war allerdings weniger einfach, als die Forst- und Weidewirthschaft. Es erforderte in geringerem Maße, als diese, zusätzliches Land, in höherem dagegen zusätzliche Arbeitskräfte und einen gewissen Kapitalaufwand.

Im Mittelalter hatte jeder Grundherr in der Regel nur einen Teil seines Laudes selbst bewirthschaftet, entweder direkt oder durch einen Vogt. Den Rest seines Gebietes hatte er an Zinsleute ausgegeben, die ihm theils Naturallieferungen, theils Frohnarbeiten in seiner eigenen Wirthschaft, dem Frohnhof, entrichten mußten Wir haben gesehen, wie das Aufkommen des städtischen Marktes für Lebensmittel auf der einen Seite die Möglichkeit, auf der anderen den Drang entwickelte, diese Leistungen in Geldabgaben zu verwandeln. Aber diese Tendenz wird dort, wo der Frohnhof auch zum Verkauf zu produziren anfängt, durch eine andere durchkreuzt: noch ist die Lohnarbeit wenig entwickelt, die Landwirthschaft des Frohnhofs ist auf die Zwangsarbeit der Zinsbauern angewiesen. Je mehr Ueberschuß au Lebensmitteln der Frohnhof liefern soll, desto mehr Arbeitskräfte braucht er, desto mehr Land braucht er aber auch. Dies erzeugt auf der einen Seite das Streben nach Ausdehnung des gutsherrlichen Gebiets auf Kosten des bäuerlichen, entweder durch Verkürzung der ungetheilten Feldmark, namentlich der Weide, oder aber direkt durch Austreibung, Legung von Bauern; auf der anderen Seite das Streben nach Vermehrung der Frohnden der Bauern, ein Streben, welches das Bauernlegen in gewissen Grenzen hält, denn je weniger Bauern im Dorf, um so weniger Arbeitskräfte auf dem Herrengut; welches aber selbst wieder durch das Bauernlegen aufs Stärkste angestachelt wird, denn je weniger Arbeiter auf dem Herrengut, um so mehr Arbeitslast muß jedem Einzelnen aufgebürdet werden.

So sehen wir, daß die Entwicklung der Waarenproduktion die verschiedensten Tendenzen auf dem Lande erzeugte, die aber alle dahin wirkten, das Ackerland und namentlich Weide und Wald für den Bauern immer mehr einzuschränken, lange ehe noch eine wirkliche Uebervölkerung eingetreten, das heißt, jene Volkszahl erreicht war, die das herrschende landwirthschaftliche Betriebssystem hätte ernähren können.

Die bäuerliche Existenz wurde dadurch aufs Tiefste erschüttert.

Die tiefgehende Umwandlung der bäuerlichen Existenzbedingungen zeigte sich bereits in der Nahrung des Bauern.
 

c) Der Bauer wird ein Hungerleider

Man gestatte uns, hier eine kleine Abschweifung zu machen, um ein Thema zu besprechen, das nur lose mit dem Gesammtthema zusammenhängt, das uns aber geeignet scheint, doch einiges Licht auf dieses zu werfen,

Eine heute weitverbreitete Schule, die auf Comte und Spencer basirt, liebt es, die Naturgesetze ohne Weiteres auf die Gesellschaft zu übertragen. Die Erfolge der Naturforschung in unserem Jahrhundert waren so glänzende, daß sie den Naturforscher nur zu leicht zu dem Glauben verleiteten, er besitze nun den Schlüssel zu allen Räthseln in der Tasche, auch auf Gebieten, die ihm ganz fern lagen. Auf der auderen Seite war es für manchen Soziologen sehr bequem, einfach die feststehenden Gesetze der Natur auf sein Gebiet zu übertragen, statt die besonderen Gesetze des letzteren durch komplizirte Forschungen zu ermitteln.

Zu den Axiomen dieser naturwissenschaftlichen Soziologie gehört auch der enge Zusammenhang zwischen Klima und Nahrung.

„Selbst wenn wir dem Gewicht nach gleiche Quantitäten Speise in kalten und warmen Gegenden genieße1i“, sagt Liebig, „so hat eine unendliche Weisheit die Entrichtung getroffen, daß diese Speisen höchst ungleich in ihrem Kohlenstoffgehalt sind. Die Früchte, welche der Südländer genießt, enthalten in frischem Zustande nicht über 12 Prozent Kohlenstoff, während der Speck und Thran des Polarländers 66 bis 80 Prozent Kohlenstoff enthalten.“ (Chemische Briefe, S. 246.)

Buckle schloß daraus, daß die Sklaverei der Hindus der „natürliche“ Zustand des Volkes sei, zu dem es „durch die unwiderstehlichen Gesetze der Natur verdammt sei“. (Geschichte der Zivilisation, deutsch von Ruge, I, S. 171) Denn das Klima macht sie zu Vegetariern, die Pflanzen wachsen aber reichlich unter den Tropen, dadurch wird die Volksvermehrung erleichtert und der „Arbeitsmarkt“ überfüllt.

Nun fällt es uns nicht ein, den allgemein anerkannten physiologischen Satz leugnen zu wollen, daß der Mensch in einem kälteren Klima ein größeres Bedürfniß nach Kohlenstoff, respektive Fleischnahrung hat, als in einem warmen.

Aber dieser unterschied ist nicht so groß, als man gewöhnlich annimmt. Auch unter dem Polarkreis sucht der Mensch nach vegetabilischer Nahrung.

„Außer Fisch und Fleisch“, erzählt Nortenskjöld, „verzehren die Tschuktschen eine ungeheure Masse von Gemüsen und anderen Nahrungsmitteln aus dem Pflanzenreich ... Die Schriftsteller, welche auf die Tschuktschen als ein Volk hinweisen, welches nur von dem Thierreich entnommenen Stoffe lebt, begehen daher einen großen Irrthum. Die Tschuktschen scheinen mir im Gegentheil zu gewissen Zeiten des Jahres mehrPflanzenesser‘ zu sein, als irgend ein anderes, mir bekanntes Volk.“ (Die Umseglung Asiens und Europa auf der Vega, II, 108 ff.)

Anderseits besteht auch unter den Tropen nicht die „gewöhnliche Nahrung fast gänzlich a1is Obst, Reis und anderen Pflanzen“, wie Buckle meint (S. 54), sondern der ausschließliche Vegetarianismus ist eine Ausnahme. „Daß man in Afrika weniger Fleischbedürfniß hat, ist eine Fabel“, sagt Buchner (Kamerun, S. 153. Vgl. auch S. 116), und die Thatsacheu bestätigen seine Wahrnehmung. In ganz Afrika ist die Fleischnahrung sehr gesucht. Besonders appetitlich muß die Kost der Kongoneger sein, von denen Schwenlfurth erzählt, daß sie, Hund und Mensch ausgenommen, kein thierisches Nahrungsmi1tel verschmähen, auch nicht Ratten, Schlangen, Aasgeier, Hyänen, Skorpione, Ameisen und Raupen. Aehnlich heißt es von den Indianern Britisch Guyauas, die unter dem Aequator leben: „Wild und Fische bilden ihre Hauptnahrung, doch verschmähen sie auch Ratten, Affen, Alligatoren, Frösche, Würmer, Raupen, Ameisen, Larven und Käfer nicht.“ (Appun bei Peschel, Völkerkunde, S. 163.)

Weit entfernt, blos von Früchten zu leben, haben sogar viele unter den Tropen lebende Völkerschaften das Menschenfleisch ihrer Nahrung einverleibt. Ja es scheint, als sei der Kannibalismus den Tropen vorzugsweise eigenthümlich.

Erst auf einer sehr hohen Kulturstufe erlangt der Mensch ein solche Herrschaft über die Natur, daß er sich seine Nahrung seinen Bedürfnissen entsprechend frei wählen kann. Je tiefer er steht, desto mehr muß er mit dem vorlieb nehmen, was er findet; desto mehr muß er, statt sich die Nahrung anzupassen, sich der Nahrung anpassen, die für ihn verfügbar ist. Wenn der Eskimo vorzugsweise von Fleisch und Thran lebt, so weniger deswegen, weil das Klima ihm diese Nahrungsmittel vorschreibt, als deswegen, weil er andere nicht findet. Er könnte nicht von Früchten leben aus dem einfachen Grunde, weil in Grönland nicht genug wachsen. Daß die ausschließliche Fleischnahrung von ihm nicht aus physiologischen Rücksichten gewählt worden, zeigt der Werth, den er auf die spärlichen Vegetabilien legt, die ihm zugänglich sind. Die südlichen Eskimos sammeln im Sommer ein paar Beeren; die im Norden wohnenden kennen kaum irgend welche Vegetabilien, die ausgenommen, welche sie in einem halbverdauten Zustande in den Renthiermagen finden, und diese betrachten sie als eine große Delikatesse,

Das ist allerdings ein extremer Fall; der weitaus größte Theil der Erdoberfläche trägt eine reiche Fülle der verschiedenartigsten thierischen wie pflanzlichen Nahrungsmittel; nicht überall ist der Mensch in der Wahl derselben so beschränkt, wie in der Nähe der Pole. Aber nirgends steht es ihm frei, nach Willkür zu wählen, welche Nahrung er will. Die weitaus meisten Nahrungsmittel findet der Mensch nur in beschränktem Maße, nicht ohne Weiteres und nicht zu jeder Zeit. Welche Nahrungsquellen im Stande sind, ihm einen ausreichenden und ständigen Lebensunterhalt zu gewähren, das hängt weder von ihrem Gehalt an Kohlenstoff, noch von seinem Bedürfniß darnach ab, sondern in erster Linie von der Art und Höhe sein technischen Wissens, seiner Kunst, die Natur zu meistern, mit einem Worte: von seiner Produktionsweise. Gegenüber deren Einfluß wird der des Klimas, der Bodenkonfiguration und anderer physischen Verhältnisse geradezu ein verschwindender. Man nehme die verschiedenen wilden Indianerstämme Amerikas, die auf der gleichen Kulturstufe stehen, und man wird finden, daß sie in den Pampas wie in den Rocky Mountains, am Amazonenstrom wie am Missouri Fisch, Wild und Vegetabilien im Ganzen und Großen ungefähr in den gleichen Verhältnissen zu sich nehmen, die nur durch lokale Bedingungen, etwa größeren Fischreichthum eines Flusses und dergleichen, nicht durch klimatische Einflüsse merkliche Abänderungen erfahren.

Aendert sich die Produktionsweise eines Volkes, so ändert sich auch seine Nahrung, ohne daß das Klima sich ändert. Wenn der heutige Lazzaroni Neapels sich mit Makkaroni, Sardellen und Knoblauch begnügt, so dankt er dies nicht dem herrlichen Klima, unter dem er lebt. Unter demselben Klima haben die Menschen des griechischen Heldenzeitalters, wie wir aus der Ilias und Odyssee wissen, ein Vergnügen daran gefunden, große Mengen nicht nur von Fleisch, sondern auch von „blühendem“ Fett zu verzehren, eine Nahrung, die auch einen Eskimo befriedigen könnte.

Auch die Hindus sind nicht immer Vegetarianer gewesen. Ehe sie in das Gangesthal einbrachen und dort seßhaft wurden, waren sie nomadische Hirten, deren Nahrung hauptsächlich aus der Milch und dem Fleisch der Herdenthiere bestand. Erst als ihre Produktionsweise sich geändert hatte, der Ackerbau die Viehzucht zurückdrängte, da das Gangesgebiet wohl für jenen, nicht aber für eine ausgedehnte Weidewirthschaft günstige Bedingungen bot, da wurde das Schlachten eines Rindes, des Pflügers und Milchspenders, allmälig zu einer sündhaften Verschwendung.

Eine ähliliche Revolutionirung der Nahrung des Bauern vollzog sich in unseren Gegenden vom 15. Jahrhundert an. Noch im 14. Jahrhundert lieferten Wald, Weide, Wasser und Geflügelhof reichliche Fleischnahrung. Fleisch war damals die gewöhnliche tägliche Speise des gemeinen Mannes in ganz Deutschland. Zwei bis drei Fleischspeisen für Taglöhner im Tag waren nichts Ungewöhnliches.

Wie verbreitet der Fleischkonsum in jener Zeit war, zeigt uns eine Berechnung Klödens, der zufolge in Frankfurt an der Oder im Jahre 1308 der Fleischkonsum mindestens 250 Pfund pro Kopf der Bevölkerung betrug, während heute der Fleischverbrauch Berlins pro Kopf zwischen 130–150 Pfund schwankt. In Breslau betrug er 1880–1889 gar nur 86 Pfund.

Im 16. Jahrhundert fiel die Entscheidung gegen die Bauern. Der Wald und das Wasser wurden ihnen verschlossen, das Wild, statt dem Bauern Nahrung zu geben, verwüstete seine Nahrung. Die Weide wird eingeschränkt, was der Bauer noch an Vieh und Geflügel aufzieht, muß er, abgesehen vom Zugvieh, in die Stadt verkaufen, um das nöthige Geld aufzutreiben. Der Tisch des deutschen Bauern wird nun rasch arm, dieser selbst ein Vegetarier, gleich dem Hindu.

Schon 1550 jammerte der Schwabe Heinrich Müller:

„Noch bei Gedenken meines Vaters, der ein Bauersmann war, hat man bei den Bauern ganz anders gegessen an jetzt. Da waren jeden Tag Fleisch und Speisen im Ueberflnß, und auf Kirmessen und anderen Gastereien, da bersteten die Tische von alledem, was sie tragen sollten; da soff man Wein, als wäre es Wasser, da fraß man in sich und nahm mit sich, was man wollte, denn da war Wachsthum und Ueberfluß. Es ist jetzt anders geworden. Es ist eine gar kostspielige und schlechte Zeit geworden seit vielen Jahren, und ist die Nahrung der besten Bauern fast viel schlechter als von ehedem die der Taglöhner und Knechte war.“

Aber der Rückgang in der Viehproduktion mußte bald auch einen Rückgang der Körnerproduktion nach sich ziehen. Denn je weniger Vieh, um so weniger Dünger. Vielfach litt aber auch die Bestellung des Ackers, wo die Abnahme der Viehzucht zu einer Verringerung des Spannviehs führte. In derselben Richtung wirkte die Vermehrung der feudalen Hand- und Spanndienste, welche die Arbeitskräfte des Bauern gerade dann, wenn er ihrer in der eigenen Wirthschaft am nothwendigsten bedurfte, für die Wirthschaft des Gutsherrn in Anspruch nahmen.

Gerade damals, als die Menge der Produkte wuchs, welche die Landwirthschaft an die Stadt abzugeben hatte, und als es nothwendig wurde, das dadurch entstehende Defizit durch vermehrte Düngerzufuhr und intensivere Bearbeitung des Bodens zu decken, wurde die Düngerzufuhr und die Bodenbearbeitung immer mehr reduzirt. Die Folge davon war der Rückgang der bäuerlichen Wirthschaft, zunehmende Aussaugung des Bodens, wachsende Unfruchtbarkeit der Aecker. Kaum genügten diese, in guten Jahren den Bauer über Wasser zu halten; ein Mißjahr oder ein feindlicher Einfall, ehedem ein vorübergehendes Uebel, reichten nun hin, ihn gänzlich zu ruiniren.

Wir haben gesehen, wie der Bauer im 16. Jahrhundert ein Vegetarier wurde, im 17. und 18. hörte er in manchen Gegenden überhaupt auf, sich satt zu essen. Bekannt ist die Beschreibung, die hundert Jahre vor der großen Revolution Labrunère vom französischen Bauern gab:

„Es giebt eine Art menschenscheuer Thiere, Männchen und Weibchen, schwarz, hager und sonnenverbrannt; sie finden sich auf dem Lande und sind an den Boden gekettet, den sie mit unbesiegbarer Ausdauer aufwühlen und umgraben. Sie haben etwas wie eine artikulirte Stimme und zeigen, wenn sie sich aufrichten, ein menschliches Gesicht. In der That, es sind Menschen, die sich des Nachts in Höhlen zurückziehen, wo sie von Schwarzbrot, Wurzeln und Wasser leben.“

In manchen Dörfern lebten die Bauern nur von Gras und Feldkräutern. Massillon, Bischof von Clermond-Ferrand, schrieb 1740 an Fleury: „Unser Landvolk lebt in furchtbarem Elend ... Die meisten entbehren das halbe Jahr hindurch sogar das Gersten- und Haferbrot, das ihre einzige Nahrung bildet.“

Geradezu entsetzlich wurden die Zustände in Mißjahren, und angesichts der zunehmenden Unfruchtbarkeit des Bodens nahmen diese immer mehr zu. Von 1698 bis 1715 verringerte sich die Bevölkerung Frankreichs in Folge der sich häufenden Nothstände von 19 auf 16 Millionen.

Die Regierung Ludwigs XV. war friedlicher als die Ludwigs XIV., ihre Kriegslasten geringer; aber der Druck der Feudallasten blieb. Sie wurden unerträglich, viele Bauern entflohen freiwillig ihrem Besitthum, das sie ans Elend kettete, und fanden es vortheilhafter, Lohnarbeiter oder selbst Bettler oder Räuber zu werden. Schon 1750 gab Quesnay an, ein Viertel des pflugfähigen Bodens sei unangebaut; unmittelbar vor der französischen Revolution erklärte Arthur Young, ein Drittel des Ackerlandes (mehr als 9 Millionen Hektaren) liege wüst! Der landwirthschaftlichen Gesellschaft zu Rennes zufolge lagen zwei Drittheile der Bretagne brach.

Nicht überall war es so schlimm, wie in Frankreich, wo die Regierungsgewalt den Bauern absolut beherrschte, dabei aber völlig in den Händen eines ebenso übermüthigen wie gewissenlosen, habgierigen und kurzsichtigen Hofadels war. Indessen war auch in Deutschland die Lage der Bauern eine klägliche, das Entweichen von ihrem Grundbesitz sehr häufig.
 

d) Das Dreifeldersystem wird zu einer unerträglichen Fessel der Landwirthschaft

Auch in den Gegenden, in denen kein Junkerübermuth den Nahrungsspielraum gewaltsam einengte, den das herrschende landwirthschaftliche Betriebssystem bot, selbst dort wurde dieses im Laufe des 18. Jahrhunderts immer mehr zu einer drückenden Fessel. Stellenweise war die Bevölkerung bereits so dicht geworden, daß sie nach einer Erweiterung des Nahrungsspielraums durch Uebergang zu einem höheren Betriebssystem verlangte. Ein solches hatte sich auch bereits entwickelt, in England, wo in Folge einer eigenartigen Gestaltung der Verhältnisse die Grundlagen der feudalen Landwirthschaft in einer Reihe von Revolutionen von der Reformation Heinrich VIII. bis zur „glorreichen Revolution“ von 1688 zertrümmert worden und die Bahn für die Entwicklung einer kapitalistischen, intensiven Landwirthschaft frei gemacht worden war, welche die Weidewirthschaft durch Stallfütterung und Anbau von Futterpflanzen ersetzte Und neben Getreide auch Hackfrüchte anbaute. Es zeigte sich aber unmöglich, deren Ergebnisse auf dem europäischen Festlande ohne eine Revolutionirung der bestehenden Eigenthumsverhältnisse allgemein einzuführen. Die Gemenglage der einzelnen Ackerstreifen und der Flurzwang machten jede Erneuerung in dem althergebrachten Dreifeldersystem unmöglich. Soweit einzelne Landwirthe zu dem Anbau neueingeführter Kulturpflanzen, z. B. den Kartoffeln, übergingen, geschah es in ihren Hofgärten, für die der Flurzwang nicht galt, oder auf größeren Gütern, die aus der Feldgemeinschaft ausgeschieden waren.

Neben dem Bedürfniß nach einer Ausdehnung der Lebensmittelproduktion war es auch das Bedürfniß, die Produktion der Nachfrage des Marktes anzupassen, was die herkömmliche Betriebsweise unerträglich wenigstens für die größeren Landwirthe machte, die einen bedeutenden Ueberschuß für den Markt produzirten.

Die mittelalterliche Produktionsweise war trefflich den Bedürfnissen einer Genossenschaft von Gleichen angepaßt, die alle die gleiche Lebenshaltung hatten und für den Selbstgebrauch produzirten. Da paßte die Feldgemeinschaft mit ihrem festen Turnus von Sommergetreide, Wintergetreide und Brache. Nun entstand der Markt mit seinen wechselnden Bedürfnissen, nun entwickelte sich die Ungleichheit unter den Dorfgenossen, von denen die einen kaum oder nur gerade so viel auf ihrem Boden produzirten, als sie selbst verbrauchten, indeß andere einen Ueberschuß produzirten. Die einen, die kleineren, produzirten nach wie vor für den Selbstgebrauch, sie hielten an der Feldgemeinschaft fest. Für die anderen wurde sie eine Fessel, denn, was immer der Markt verlangen mochte, sie durften auf ihren Feldern nichts anderes erzeugen, als was die Feldgemeinschaft vorschrieb.

Ebenso entwickelte sich ein Interessengegensatz in Bezug auf die Reste der gemeinen Weide. Der kleine Bauer bedurfte ihrer, er besaß nicht die Mittel, zu einer höheren Betriebsform überzugehen, die Auftheilung der gemeinen Weide hätte ihm die Viehhaltung fast unmöglich gemacht. Was er am nothwendigsten brauchte, war mehr Dünger. Die Auftheilung der gemeinen Weide brachte ihm etwas mehr Land, verringerte aber seine Düngerzufuhr, da sie ihn zwang, seinen Viehstand einzuschränken. Die Großbauern dagegen hielten es für sündhafte Verschwendung, Land als Weideland zu verwenden, das sie mit ihren Mitteln viel wirksamer ansbeuten konnten. Und auf ihrer Seite standen die Theoretiker, die Vertreter der höheren in England entwickelten Betriebsweise,

Um zu dieser überzugehen, war es nothwendig, den Kompromiß zwischen Bodenkommunismus und Privateigenthum über den Hausen zu werfen, den das mittelalterliche Betriebssystem darstellte; es wurde nothwendig, das volle Privateigenthum herzustellen, die gemeine Weide aufzutheilen, die Feldgemeinschaft und den Flurzwang aufzuheben, die Gemenglage der zerstreuten Ackerstreifen zu beseitigen, diese zusammenzulegen und so den Grundbesitzer zum vollen Eigenthümer seines in einer zusammenhängenden Fläche vereinigten Bodens zu machen, auf dem er nun ausschließlich den Geboten der Konkurrenz und des Marktes gemäß wirthschaften konnte.

Aber so nothwendig diese Revolutionirung der ländlichen Eigenthumsverhältnisse auch würde, die ökonomische Entwicklung erzeugte in der Landbevölkerung keine Klasse, welche den erforderlichen Antrieb und die Kraft zu dieser Revolution hätte erzeugen können.

Die Landwirthschaft ist indeß heute kein Gebilde, das für sich allein sein besonderes Dasein in der Gesellschaft führt; ihre Entwicklung hängt auf das Innigste zusammen mit der gesellschaftlichen Entwicklung. Jene revolutionäre Initiative und Kraft, die die Landwirthschaft nicht aus sich selbst heraus erzeugte, sie wurden ihr von den Städten zugeführt. Die ökonomische Entwicklung der Stadt hatte die ökonomischen Verhältnisse auf dem Lande völlig umgewälzt und eine Umwälzung der Eigenthumsverhältnisse nothwendig gemacht. Dieselbe Entwicklung schuf in der Stadt jene revolutionären Klassen, die durch ihre Erhebung gegen die Feudalmacht die politische und juristische Revolution aufs Land hinaus trugen, wo sie die nothwendig gewordene Neuordnung der Verhältnisse, oft unter dem Jubel der Masse der bäuerlichen Bevölkerung, mitunter aber auch trotz ihres Widerstrebens durchsetzten.

Zuerst war es die städtische Bureaukratie des aufgeklärten Absolutismus, welche diese Neuordnung versuchte, nicht immer glücklich, oft schablonenhaft, meist, trotz ihres hochfahrenden Tones, recht unentschlossen und kleinlich. Erst als 1789 die revolutionären Klassen von Paris sich erhoben, politisch geführt von der Bourgeoisie, und die Erstürmung der Bastille die geknechteten Bauern zur Abschüttlung der Feudallasten aufrief, da nahen die Umwälzung der ländlichen Eigenthumsverhältnisse zuerst in Frankreich selbst und dann unter dessen Einfluß bei seinen Nachbarn ein rasches und entschiedenes Tempo an

Ungesetzlich und gewaltsam vollzog sich die Umwälzung in Frankreich, das heißt, mit einem Schlage und in einer Weise, daß die Bauern nicht nur ihre Lasten los wurden, sondern auch in den konfiszirten Kirchen- und Emigrantengütern noch Land bekamen, so weit nicht die Bourgeoisie sich dessen bemächtigte.

Preußen wurde die Umwälzung durch die Niederlage von Jena aufgezwungen. Sie ging dort wie in Deutschland überhaupt friedlich und gesetzlich vor sich, das heißt, die Bureaukratie vollzog den unabwendbar gewordenen Prozeß so schleppend und zögernd, mit so viel Arbeits- und Kostenaufwand als möglich, stets ängstlich bemüht, die Zustimmung der Junker zu erhalten, zu deren Gunsten die ganze Prozedur schließlich ausfiel, die 1848 noch nicht vollendet war. Die Bauern mußten den friedlichen und gesetzlichen Weg theuer au die Junker bezahlen – mit baarem Geld, einem Theil ihres Landes und mit neuen Steuern.

„Wir können die von den Bauern an Adel und Fiskus, zur Befreiung von widerrechtlich aufgelegten Lasten, gezahlte Summe auf mindestens 300.000.000 Thaler, vielleicht eine Milliarde Mark annehmen.

„Eine Milliarde Mark, um nur den kleinsten Theil des seit vierhundert Jahren geraubten Bodens lastenfrei zurückzuerhalten! Den kleinsten Theil, den weitaus größten Theil behielt und Fiskus ohnehin zurück in Gestalt von Majorats- und anderen Rittergüten und Domänen.“ (Fr. Engels in seiner Einleitung zu Wilhelm Wolffs trefflicher Schlesischen Milliardc, die zuerst in der Neuen Rheinischen Zeitung 1849 erschien, 1886 im Separatabdruck in Zürich)

Die neueren Forschungen haben Wolffs Darstellung nur bestätigt.

In ähnlicher Weise vollzog sich die Modernisirung der Landwirthschaft nach dem Krimkrieg in Rußland. Die Bauern wurden nicht nur der Leibeigenschaft, sondern auch ihres besten Bodens entledigt.

Aber wie kläglich auch vielfach die Revolution dort, wo sie friedlich und gesetzlich vor sich ging, ausfallen mochte, ihr Endresultat war überall das gleiche, die Aufhebung der feudalen Lasten auf der einen, der Reste des urwüchsigen Bodenkommunismus auf der anderen Seite, die Herstellung des vollen Privateigenthums an Grund und Boden. Der Weg für die kapitalistische Landwirthschaft war eröffnet.


Zuletzt aktualisiert am 27.2.2012