Karl Kautsky


Die Agrarfrage




Erster Abschnitt
Die Entwicklung der Landwirthschaft in der kapitalistischen Gesellschaft


VII. Die Schranken
der kapitalistischen Landwirthschaft


a) Die Daten der Statistik

Das Fazit der Untersuchungen des vorigen Kapitels lautet: Der Großbetrieb ist dem Kleinbetrieb in allen bedeutenden Zweigen der Landwirthschaft technisch überlegen, wenn auch nicht in dem Grade, wie in den entscheidenden Zweigen der Industrie. Das ist keine neue Wahrheit. Bereits in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, als das Maschinenwesen in der Landwirthschaft erst in seinen Anfängen lag, die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Landwirthschaft noch nicht gebildet waren, verlangte der Gründe der physiokratischen Schule, Quesnay, in seinen Maximes générales du gouvernement économique d’un royaume agricole:

„Die dem Kornbau gewidmeten Grundstücke sollten so viel als möglich in großen Pachtungen vereinigt sein, die von reichen Landwirthen ausgebeutet werden; denn in den großen landwirthschaftlichen Betrieben sind die Ausgaben für Erhaltung und Reparatur der Gebäude und verhältnißmäßig die Produktionskosten viel geringer und der Reinertrag (produit net) viel größer als in den kleinen.“

Auch in England waren um diese Zeit die Oekonomen vorwiegend Anhänger des Großbetriebs, z. B. A. Young. Wenn Adam Smith in seinem Wealth of Nations meint, ein Großgrundbesitzer sei selten ein großer Verbesserer der Landwirthschaft, so wendet er sich damit nicht gegen den kapitalistischen Großbetrieb, sondern gegen den feudalen Latifundienbesitz mit zahlreichen kleinen, zu den verschiedensten Diensten und Abgaben verpflichteten und dabei ganz von der Willkür ihres Grundherrn abhängigen Pächtern. Diesen gegenüber hob er die Vortheile des freien bäuerlichen Besitzes hervor. Aber, fügte er hinzu, „nach kleinen Grundbesitzern sind in jedem Lande reiche und große Pächter die Hauptverbesserer der Landwirthschaft“. (III, 2)

Bald wurde allgemein zugegeben, daß die große, kapitalistisch (nicht feudalistisch) betriebene Landwirthschaft den größten Reinertrag abwerfe. Aber so sehr die englische Landwirthschaft das Muster für die europäische wurde, die englischen Zustände erschienen nicht immer musterhaft. Und besonders die Expropriation der Bauernschaft zu Gunsten des Großbetriebs erschien bedenklich. Für die Monarchen und Politiker schon deshalb, weil die Bauernschaft den Kern des Heeres bildete. Die Engländer hielten kein großes Landheer, sie konnten des Bauern entbehren. Aber eine kontinentale Nation ohne Bauern konnte sich einem Nachbar gegenüber, der eine starke Bauernschaft aufwies, kaum behaupten. Dazu kam noch eine andere Erwägung: in England war die Bauernschaft ersetzt worden durch ein zahlreiches, ebenso elendes wie unruhiges Proletariat, das kein Gegengewicht in einer besitzenden arbeitenden Klasse fand. Die Menschenfreunde in den Reihen der Bourgeoisie, die nicht den Muth hatten, gleich den Utopisten zum Sozialismus vorzudringen, ebenso wie die Verfechter der kapitalistischen Ausbeutung, welche dem Privateigenthum an den Produktionsmitteln eine sichere Stütze im Volke zu geben suchten, wurden daher zu Lobrednern des ländlichen Kleinbetriebs, Sismondi und J. St. Mill ebenso wie die „Nichtsalsfreihändler“ und deren Gegenstück, die Agrarier. Sie behaupteten allerdings in der Regel nicht seine technische Ueberlegenheit, sondern gaben zu, daß der Großbetrieb den größeren Reinertrag abwerfe, sie wiesen blos auf die politischen und sozialen Gefahren des Letzteren hin.

„Die neuen Oekonomen auf der einen Seite“, rief Sismondi in seinen Études sur l’économie politique, „die gewiegtesten Agronomen auf der anderen werden nicht müde, die reichsten und intelligentesten Pächter zu preisen, die große Betriebe leiten; sie bewundern die Ausdehnung ihrer Baulichkeiten, die Vollendung ihrer Geräthe und Werkzeuge, die Schönheit ihres Viehes. Aber inmitten ihrer Bewunderung für die Sachen vergessen sie der Menschen, sie vergessen sogar, sie zu zählen. Die englische Quadratmeile enthält 640 Acres: das ist ungefähr die Ausdehnung einer schönen und reichen englischen Farm. Die früheren Wirthschaften, die eine Familie mit ihren Händen bearbeiten konnte, ohne fremde Hilfe, ohne Taglöhner, aber auch ohne Arbeitslosigkeit, die jedem Mitglied der Familie Arbeit für jeden Tag im Jahre sicherten, umfaßten nicht mehr an 64 Acres. Man brauchte zehn solcher Betriebe um einen modernen daraus zu machen. Zehn Familien von Bauern wurden vertrieben, um einem Pächter des neuen Systems Platz zu machen.“

Er bekämpft den Großbetrieb, weil er Proletarier schafft, nicht, weil der Kleinbetrieb mehr oder besseres leisten kann.

Seitdem hat sich die moderne große Landwirthschaft enorm entwickelt, aber gerade jetzt treten Oekonomen auf, die die Ebenbürtigkeit des ländlichen Kleinbetriebs gegenüber dem Großbetrieb behaupten, ja Oekonomen, die in den siebziger Jahren noch selbst die Unhaltbarkeit des ersteren verkündigt, prophezeien jetzt das Ende des letzteren, z. B. Dr. Rudolf Meyer, oder erklären es mindestens für zweifelhaft, welche Betriebsform rationeller. Wir haben Eingangs dieser Schrift eine dahingehende Aeußerung Sombarts mitgetheilt, eines Forschers, dessen Unbefangenheit in dieser Frage Niemand bestreiten wird, und der seine Behauptung nicht aufstellen würde, ohne sich auf bestimmte Thatsachen zu stützen.

Welches sind diese Thatsachen? Sie sind nicht auf dem Gebiet der Agronomie zu suchen, sie entstammen der Statistik. Diese zeigt, daß jenes rasche Verschwinden des ländlichen Kleinbetriebs vor dem Großbetrieb, das man nach dem Muster Englands auch auf dem Kontinent erwartete oder befürchtete, seitdem dort der kapitalistische Großbetrieb in ausgedehnterem Maße seinen Einzug hielt, also ungefähr seit den fünfziger Jahren, nicht eingetreten ist. Ja es ist sogar stellenweise eher die Tendenz nach einer Vermehrung der ihrer territorialen Ausdehnung nach kleinen Betriebe vorhanden. So fand man z. B. bei den deutschen Betriebszählungen:

Landwirthschaftliche
Betriebe

Zahl der Betriebe

  

Ab oder
Zunahme

  

Landwirthschaftlich benutzte
Fläche in Hektar

  

Zu- oder
Abnahme

1882

  

1895

1882

  

1895

unter 2 Hektar

3.061.831

3.236.367

+ 174.536

1.825.938

1.808.444

−   17.494

2–5 Hektar

   981.407

1.016.318

+   34.R1

3.190.203

3.285.984

+   95.781

5–20 Hektar

   926.605

   998.804

+   72.199

9.158s98

9.721.875

+ 563.477

20–100 Hektar

   281.510

   281.767

+        257

9.908.170

9.869.837

−   38s33

über 100 Hektar

     24.9R

     25.061

+          70

7.786.263

7.831.801

+   45.538

Nicht ganz in gleicher Richtung ging die Entwicklung in Frankreich. Dort zählte man:

Landwirthschaftliche
Betriebe

Zahl der Betriebe

  

Ab oder
Zunahme

  

Landwirthschaftlich benutzte
Fläche in Hektar

  

Zu- oder
Abnahme

1882

  

1892

1882

  

1892

unter 1 Hektar

2.167.667

2.235.405

+ 67.738

  1.083.833

  1.327.253

+ 243.420

1–5 Hektar

1.865.878

1.829.259

− 36.619

  5.597.634

  5.489.200

− 108.434

5–10 Hektar

   769.152

   788.299

+ 19.147

  5.768.640

  5.755.500

−   13.140

10–40 Hektar

   727.222

   711.118

− 16.104

14.845.650

14.313.417

− 532.243

über 40 Hektar

   142.088

   138.671

−   3.417

22.296.105

22.493.393

+ 197.288

Während in Deutschland die Mittelbetriebe (der von ihnen okkupirten Fläche nach) am meisten anwuchsen, finden wir in Frankreich, daß die größten und die kleinsten Betriebe an Boden zugenommen haben. Die mittleren nehmen an Zahl und Gebiet ab. Aber diese Abnahme ist eine unerhebliche, mit Ausnahme allerdings der eigentlich bäuerlichen Betriebe (10–40 Hektar). Jedenfalls ist die Entwicklung keine rasche.

In Großbritannien finden wir:

Landwirthschaftliche
Betriebe

Zahl der Betriebe

  

Ab- oder
Zunahme

  

Landwirthschaftlich benutzte
Fläche in Acres

  

Zu- oder
Abnahme

1885

  

1895

1885

  

1895

1–5 Acres (0,40–2 Hektar)

135.736

117.968

− 17.765

     389.677

     366.792

−   22.886

5–20 Acres (2–8 Hektar)

148.806

149.818

+   1.012

  1.651.827

  1.667.647

+   10.880

20–50 Acres (8–20 Hektar)

  84.149

  85.663

+   1.514

  2.824.527

  2.864.976

+   40.449

50–100 Acres (20–40 Hektar)

  64.715

  66.625

+   1.R0

  4.746.620

  4.885.203

+ 138.683

100–300 Acres (40–120 Hektar)

  79.573

  81.246

+   1.672

13.658.495

13.875.R4

+ 217.429

300–500 Acres (120–200 Hektar)

  13.876

  13.568

−      307

  5.241.168

  5.113.945

− 127.223

Ueber 500 Acres (über 200 Hektar)

    5.489

    5.219

−      270

  4.029.843

  3.803.036

− 226.807

Aehnlich wie in Deutschland finden wir auch in England ein Anwachsen der Betriebe mittlerer Ausdehnung. Allerdings sind es im Deutschen Reich die Betriebe von 5–20 Hektar, die am meisten an Boden gewonnen haben, in England die von 40–120 Hektar, die Niemand zu den Kleinbetrieben wird rechnen wollen. Die kleinsten Betriebe haben, im Gegensatz zu Deutschland, abgenommen. Ebenso aber auch die größten Betriebe über 120 Hektar.

Aus den über die amerikanische Landwirthschaft vorliegenden Daten haben verschiedene Oekonomen, so Schäffle, Dr. R. Meyer und Andere deduziren wollen, daß dort der Kleinbetrieb den Großbetrieb verdrängt. Wir wollen die darauf hinweisenden Zahlen des amerikanischen Zensus hier etwas näher betrachten, Es ist richtig, daß die Durchschnittsgröße der Farmen seit 1850 im Rückgang begriffen war, Sie betrug

1850

      

203 Acres

1860

199 Acres

1870

153 Acres

1880

134 Acres

aber 1890 war sie schon wieder höher, 137 Acres.

Der zeitweilige Rückgang in der Durchschnittsgröße der Betriebe ist hauptsächlich der Zerschlagung der großen Plantagen des Südens zuzuschreiben, die eine Folge der Negerbefreiung war. So verminderte sich 1860 bis 1890 die Durchschnittsgröße der Farm z. B. in Florida von 445 Acres auf 107, in Südkarolina von 488 auf 115, in Alabama von 347 auf 126, Mississippi von 370 auf 122, Louisiana 537 auf 138, Texas 5R auf 225. Im Allgemeinen nahm die Durchschnittsgröße der Farm in den südatlantischen Staaten in dem gesammten Zeitraum von 353 auf 134 Acres ab, in denen der südzentralen Zone von 321 auf 144. Einen Sieg des Kleinbetriebs über den modernen Großbetrieb wird kein Sachkundiger in diesen Zahlen sehen. Andererseits finden wir allerdings auch eine entschiedene Verkleinerung des Areals der Farmen in dem relativ alten Kulturland der nordatlantischen Staaten. Dort sinkt die Durchschnittsgröße stetig auch im letzten Jahrzehnt. Aber dies Sinken ist hauptsächlich der Verminderung des nicht kultivirten Farmlandes, nicht der Einengung des Betriebs zuzuschreiben. Es betrug in der Region der nordatlantischen Staaten:

 

Gesammtgröße
der Farm

Davon unkultivirtes
Land

1850

113 Acres

43 Acres = 38,44 Prozent

1860

108 Acres

39 Acres = 36,18 Prozent

1870

104 Acres

36 Acres = 34,47 Prozent

1880

  98 Acres

31 Acres = 31,77 Prozent

1890

  95 Acres

31 Acres = 32,52 Prozent

Die prozentuale Zunahme des unkultivirten Landes im letzten Jahrzehnt fällt zusammen mit einem Verkommen der Landwirthschaft, das sich in allgemeinem Rückgang des Farmlandes äußert. Dieses nahm in der genannten Region von 67.985.640 Acres (1880) auf 62.743.525 (1890), also um mehr als fünf Millionen, ab. Dagegen wuchs in den Staaten der nordzentralen Gegend, den eigentlichen Weizenstaaten, die Durchschnittsgröße der Farmen von 1880 bis 1890 von 122 auf 133 Acres.

Auf die gleiche Entwicklung, wie sie die Veränderungen in der Durchschnittsgröße der Farm anzeigen, weist die Bewegung der Anzahl der Großbetriebe hin. Sie gehen allerdings in der gesammten Union relativ etwas zurück. Leider sind die Zahlen von 1870 mit den späteren nicht vergleichbar, denn man klassifizirte damals die Farnen nach der Ausdehnung ihres bebauten, 1880 und 1890 nach der des von ihnen okkupirten Landes.

Man zählte:

 

  

Farmen

Davon mit
500–1.000 Acres

Ueber
   1.000 Acres   

1880

4.008.907

75.972

28.578

1890

4.564.641

84.395

31.546

Zunahme

13,8 Prozent

11,0 Prozent

10,3 Prozent

Die Zunahme der Großbetriebe blieb, wie man sieht, hinter der aller anderen zurück, aber auch diese Erscheinung ist nur eine Folge der Enwicklung in den ehemaligen Sklavenstaaten, wo die alte rückständige Plantagenwirthschaft unmöglich wurde, und des Verkommens der Landwirthschaft im ausgesogenen Nordosten.

Man zählte Farmen in den nordatlantischen Staaten:

 

  

Gesammtzahl

Davon mit
500–1.000 Acres

Ueber
  1.000 Acres  

1880

696.139

4.156

964

1890

658.569

3.287

733

Abnahme

5,4 Prozent

20,9 Prozent

23,9 Prozent

Hier nahmen die Großbetriebe viel rascher ab, als die kleineren Betriebe. Die Letzteren halten zäher in einer aussichtslosen Position aus. Ob das ein Vorzug des Kleinbetriebs ist, darf füglich bezweifelt werden.

Es waren Farmen in den südatlantischen Staaten:

 

  

Gesammtzahl

Davon mit
500–1.000 Acres

Ueber
1.000 Acres

1880

644.429

25.037

9.718

1890

749.600

21.736

8.030

Zunahme (+) resp.
Abnahme
(−)

+ 16,34 Prozent

− 17,2 Prozent

− 17,4 Prozent

In den südzentralen Staaten:

 

  

Gesammtzahl

Davon mit
500–1.000 Acres

Ueber
1.000 Acres

1880

   886.648

25.872

11.659

1890

1.086.772

26.663

12.295

Zunahme

22,5 Prozent

8,0 Prozent

4,6 Prozent

Dagegen im Westen:

 

  

Gesammtzahl

Davon mit
500–1.000 Acres

Ueber
1.000 Acres

1880

  83.723

5.299

3.247

1890

145.878

9.269

6.020

Zunahme

74,2 Prozent

74,9 Prozent

85,3 Prozent

Endlich in den Nordzentralstaaten, den eigentlichen Weizenstaaten:

 

  

Gesammtzahl

Davon mit
500–1.000 Acres

Ueber
1.000 Acres

1880

1.697.968

15.608

2.990

1890

1.923.822

23.437

4.668

Zunahme

18,3 Prozent

50,2 Prozent

49,4 Prozent

Diese letzteren Ziffern zeigen gerade keinen Rückgang des Großbetriebs an. Wo in Amerika die moderne Landwirthschaft vorwärts geht, nehmen die der Fläche nach großen Betriebe rasch zu. Nur dort behält der Kleinbetrieb die Oberhand, wo die Landwirthschaft verkommt oder wo vorkapitalistischer Großbetrieb in Konkurrenz mit bäuerlichem Betrieb tritt.

Aber immerhin, wenn in Amerika bisher die landwirthschaftliche Entwicklung rascher vor sich ging, als in Europa, und wenn diese sich auch dem Großbetrieb günstiger zeigt, an man in der Regel annimmt, von einer Verdrängung der kleinen Güter durch die großen kann auch da keine Rede sein.

Es wäre jedoch sehr voreilig, wollte man ans diesen und ähnlichen Ziffern schließen, in der Landwirthschaft gehe die ökonomische Entwickung in ganz anderer Richtung vor sich, als in der Industrie.

Zahlen beweisen! Sicher, aber es fragt sich, was sie beweisen. Zunächst beweisen sie nur das, was sie direkt sagen, das ist aber bei statistischen Zahlen in der Regel sehr wenig. Nehmen wir z. B. die Zahlen, die beweisen sollen, daß der Wohlstand der Volksmasse unter der kapitalistischen Produktionsweise zunimmt. Da wird unter Anderem hingewiesen auf das Anwachsen der Sparkasseneinlagen. Diese Ziffern sind nicht zu bestreiten. Aber was beweisen sie unumstößlich? Daß die Sparkasseneinlagen im Zunehmen begriffen sind. Nicht mehr und nicht weniger. Ueber die Ursache des Zunehmens lassen sie uns völlig im Dunkeln.

Eine Zunahme des Wohlstands kann, muß aber nicht dabei im Spiele sein. Ganz andere Ursachen können das gleiche Resultat zeitigen.

So muß z. B. schon die Vermehrung der Gelegenheiten, Ersparnisse in Sparkassen anzulegen, zu einer Vermehrung der Einlagen in diesen führen. Der Hindu vergrub ehedem seine Ersparnisse im Boden. Jetzt hat man Sparkassen in Ostindien gegründet und nun zieht er es vor, seine Ersparnisse dort anzulegen. Beweist das, daß er jetzt mehr sparen kann, daß sein Wohlstand wächst? Die chronische Hungersnoth spricht nicht dafür.

In Europa sind die Sparkassen älteren Datums. Aber auch hier wachsen immer noch die Gelegenheiten, ohne allzugroßen Zeitverlust Sparkasseneinlagen zu machen, sowohl durch Vermehrung der ländlichen Sparkassen wie durch Vermehrung der Bevölkerung in den Städten, in denen die besten Gelegenheiten vorhanden, mit den Sparkassen in Verbindung zu treten.

Ebenso kann die Zunahme der Zahl der Lohnarbeiter, Beamten und anderer Angestellten eine Zunahme der Sparkasseneinlagen bewirken. Ein Kleinbauer verwendet seine Ersparnisse zum Ankauf von Land, ein selbständiger Handwerker zur Verbesserung seiner Werkstatt. Wer für Gehalt oder Lohn arbeitet, weiß meist für seine kleinen Ersparnisse keine bessere Verwendung als ihre Deponirung in einer Sparkasse. Die Verdrängung selbständiger Kleinbetriebe durch kapitalistische Unternehmungen wird daher mit einer Zunahme der Sparkasseneinlagen verbunden sein. Diese ist da ein Produkt zunehmender Proletarisirung, sie kann mit einem Rückgang des Wohlstands der Volksmasse Hand in Hand gehen.

Endlich kann eine derartige Zunahme auch einer bloßen Veränderung der ökonomischen Gewohnheiten entspringen. Unter der Waarenproduktion kommen für jedes Unternehmen, jeden Haushalt bestimmte Zeitpunkte, in denen größere Zahlungen zu leisten sind, so daß für diese Gelegenheiten das dazu nöthige Geld ans den regelmäßigen Einkünften zurückgelegt werden muß. Vor der Entwicklung des Systems der Banken und Sparkassen müssen diese Geldsummen als todter Schatz liegen bleiben. Heute kann man sie bis zu ihrer Inanspruchnahme zinstragend anlegen. Je größer die Summen, die die einzelnen Unternehmungen und Haushaltungen für zeitweise Zahlungen zurückzulegen gezwungen sind – bei Arbeitern etwa für Miethe, Zeiten der Arbeitslosigkeit – und e mehr die Gewohnheit verbreitet ist, auch die geringste, nicht zum täglichen Konsum benöthigte Summe zinstragend anzulegen, desto höher werden die Sparkassenanlagen sein, auch ohne jegliche Zunahme des Wohlstands.

Die Ziffern der Sparkassenstatistik geben also für sich allein auf die Frage nach dem Wachsthum des Wohlstands gar keine Antwort; statt eine Aufgabe zu lösen, stellen sie eine.

Aehnlich geht es z. B. mit den Ziffern der Einkommensteuer, die angeblich auch unwiderleglich eine Zunahme des Wohlstands beweisen sollen. Thatsächlich beweisen auch sie für sich allein blos das, was sie besagen, nämlich, daß unter Umständen die Zahl der kleinsten versteuerten Einkommen, respektive der von der Einkommensteuer befreiten Einkommenweniger rasch wächst als die der nächsthöheren. Selbstverständlich kann dies eine Zunahme des Wohlstands anzeigen, aber sie folgt keineswegs nothwendiger Weise daraus. Wenn die Preise der Lebensmittel, Wohnungen &c. rascher wachsen als die Einkommen, dann kann deren Wachsthum sogar Hand in Hand gehen mit einem Rückgang des Wohlstands

Andere Verhältnisse können das gleiche bewirken. Nehmen wir z. B. einen Kleinbauern mit 400 Mark Geldeinkommen, der aber keine Miethe zahlt, einen großen Theil seiner Lebensmittel selbst produzirt. Er kann vielleicht ganz auskömmlich leben. Ein Unfall wirft ihn ins Proletariat; er muß in die Stadt ziehen, dort findet er eine Stelle mit 800 Mark jährlichem Einkommen. Sein Einkommen hat sich verdoppelt, und doch dürfte sich seine Lage verschlechtert haben. Er muß jetzt Miethe zahlen, vielleicht auch die Eisenbahnfahrt zur und von der Arbeitsstätte. Milch, Eier, Gemüse, Schweinefleisch, die ihn früher gar nichts kosteten, muß er jetzt theuer kaufen, seine Kinder dürfen nicht mehr barfuß laufen, die schlechteren hygienischen Bedingungen erfordern größere Auslagen für Arzt und Apotheker. Aber für den Einkommensstatistiker ist der Mann jetzt in doppelt so guter Lage wie früher, und der Beweis unwiderleglich erbracht, daß der Wohlstand der Bevölkerung in ständiger Zunahme. Der hier vorgebrachte Fall ist typisch; der Uebergang von Naturalwirthschaft zur Geldwirthschaft und die Zunahme der städtischen Bevölkerung auf Kosten der ländlichen geht ununterbrochen vor sich. Beide Prozesse können schon genügen, ohne die geringste Zunahme des Wohlstands, das Wachsen der Einkommen in der Bevölkerung zu erklären.

Wie die Zunahme des Fleischkonsums aufzufassen, das haben wir oben schon in einem anderen Zusammenhang gezeigt.

Die Zahlen der Statistik zeigen uns unwiderleglich, daß die moderne Gesellschaft in stetiger und rascher Umwälzung begriffen ist, und sie machen uns mit einigen oberflächlichen Massenerscheinungen derselben bekannt, mit Symptomen und Wirkungen, die uns bei der Aufsuchung der im Grunde wirkenden Tendenzen manchen werthvollen Fingerzeig geben, uns aber diese selbst noch nicht enthüllen.

So enthalten auch die Zahlen, welche keine Abnahme oder gar eine Zunahme der ländlichen Kleinbetriebe anzeigen, für uns noch kein Urtheil über die Tendenzen der kapitalistischen Entwicklung in der Landwirthschaft, sondern nur eine Aufforderung, ihnen weiter nachzuforschen. Sie zeigen uns auf den ersten Blick nur, daß die Entwicklung nicht so einfach vor sich geht, als bisher vielfach angenommen, daß dieser Prozeß in der Landwirthschaft wahrscheinlich komplizirter ist an in der Industrie.
 

b) Der Untergang des Kleinbetriebs in der Industrie

Der Entwicklungsgang der modernen Industrie ist schon ein höchst verwickelter, trotzdem er einfacher ist als der der Landwirthschaft; die verschiedensten Tendenzen wirken da in den verschiedensten Richtungen aufeinander, und oft sind die Grundtendenzen in dem Gewirr nur mühsam erkennbar.

Der Großbetrieb tritt nicht in allen industriellen Gebieten auf einmal auf. Er erobert eiues nach dem anderen. Wo er zur Herrschaft gelangt, verdrängt er die kleineren Betriebe, aber damit ist nicht gesagt, daß die kleineren Unternehmer nun alle Fabrikarbeiter werden. Sie wenden sich anderen Berufszweigen zu, in denen der Großbetrieb noch nicht vorherrscht, und überfüllen diese. So ruinirt die kapitalistische Konkurrenz auch jene Gewerbszweige, in denen die Großindustrie noch nicht herrscht. Dieser Prozeß tritt aber nicht in der Form der allgemeinen Verringerung der Kleinbetriebe zu Tage; im Gegentheil, er erzeugt stellenweise eine Vermehrung der Kleinbetriebe, so daß man, auf die bloßen Zahlen der Statistik gestützt, annehmen könnte, der Kleinbetrieb sei hier in besonderem Aufschwung begriffen. Die Gebiete der zahlreichen verelendeten Kleinbetriebe sind zugleich jene, in denen die moderne, kapitalistisch ausgebeutete Hausindustrie die besten Bedingungen ihres Aufkommens und raschen Wachsthums findet. Das Eindringen des Kapitals kann unter diesen Umständen statt zu einer Abnahme zu einer starken Zunahme der Gesammtzahl der Kleinbetriebe führen; aber wer die sozialen Verhältnisse kennt, die sich unter den statistischen Zahlen bergen, wird aus diesen nicht einen siegreichen Konkurrenzkampf mit dem Großkapital herauslesen.

Aber auch auf jenen Gebieten, deren sich die Maschine bemächtigt hat,daß das Vordringen der Großindustrie nicht nothwendig zu einem Verschwinden der kleinen Betriebe führen. Sie ruinirt diese, sie macht sie ökonomisch überflüssig, aber es ist unglaublich, welche Zähigkeit derartige überflüssige Existenzen entfalten können. Hunger und Ueberarbeit verlängern ihren Todeskampf aufs Aeußerste; das Elend der schlesischen und sächsischen Handweber ist seit einem Jahrhundert sprichwörtlich, und doch sind sie bis heute nicht ausgestorben. Kann man sich in der Produktion nicht behaupten, dan geht man zu Thätigkeiten über, die dem Großbetrieb zu geringfügig erscheinen, Flickereiarbeiten, oder sucht als Agent und Zwischenhändler des großen Unternehmens sein Brot.

Auch die demokratischen Formen der modernen Staaten können sich als eins der Momente erweisen, die der Konservirung überlebter Kleinbetriebe dienen.

Daß die Staatsgewalt aus politischen Gründen soziale Schichten stützt, die ihren ökonomischen Halt verloren haben, ist nichts außergewöhnliches. So überflüssig das Lumpenproletariat des verfallenden alten Roms geworden war, politische Rücksichten zwangen den Staat, es zu erhalten. In neuerer Zeit bietet uns ein ähnliches Beispiel der und der „Edelsten und Besten“, der Adel, der seit dem 17. Jahrhundert immer überflüssiger und immer mehr bankerott wurde; aber durch seine Unterwerfung unter das absolute Fürstenthum wußte er sich eine Schmarotzerexistenz zu verschaffen, die an dem Marke der Gesellschaft zehrte um deren Beseitigung eine Revolution erforderte.

Die Traditionen dieses Schmarotzerlebens sind trotzdem in Osteuropa noch sehr lebendig, und unsere Junker verstehen es, ebenso laut zu schreien, wie vor zwei Jahrtausenden das römische Lumpengesindel; nur sind sie in ihren Forderungen weniger bescheiden als dieses. Mit trockenem Brot sind sie nicht zufrieden, und ihre Spiele sind kostspieliger, als jene, die der Staat den römischen Lumpenproletariern geben mußte. Blos die Gladiatoren liefern sie, Dank ihrer besonderen Standesehre, selbst.

Bei ihren Forderungen an den Staat haben sie gelehrige Schüler gefunden in einem Theile des Kleinbürgerthums. Allerdings ein Theil desselben, der sich schon als Proletarier fühlt, schließt sich den Lohnarbeitern an, um, wenn nicht für sich, so doch für seine Kinder, bessere Lebensbedingungen zu erkämpfen. Ein anderer Theil aber glaubt weiter zu kommen, wenn er der Regierung seine Dienste gegen Staatsunterstützung verkauft. Die herrschenden Klassen bedürfen dieser Elemente, sie brauchen unter dem allgemeinen Wahlrecht eine breite Volksklasse, die sie dem andrängenden Proletariat entgegensetzen können, und sie sind bereit, jenen Theil des Kleinbürgerthums, der zu erkaufen ist, zu kaufen. Es sind nicht die besten Elemente des Kleinbürgerthums, die den Regierungen zurufen, sie seien monarchisch bis in die Knochen, aber wenn man ihnen nicht Privilegien auf Kosten der Gesammtheit verleihe, würden sie sozialdemokratisch werden. Aus solchen Drohungen spricht eine recht lumpige Gesinnung, aber wer Prätorianer braucht, ist bei ihrer Anwahl nicht skrupulös. Hat man 1848 das Lumpenproletariat auf die Arbeiter gehetzt, warum jetzt nicht jene Theile des Kleinbürgerthums, die sich zu dieser schmutzigen Arbeit hergeben. Es sind ja auch thatsächlich die Arbeiter, nicht die Großbetriebe, auf deren Kosten den Kleinbetrieben das Leben verlängert werden soll, durch Privilegirung von Zwischenhändlern auf Kosten der Konsumvereine, durch Privilegirung von Innungsmeistern auf Kosten ihrer Gesellen und Lehrlinge, durch billigen Kredit, billige Versicherungen und dergleichen auf Kosten der Steuerzahler.

Je mehr der Klassenkampf sich zuspitzt, je bedrohlicher die Sozialdemokratie, desto mehr werden die Regierungen geneigt sein, den ökonomisch überflüssigen Kleinbetrieben auf Kosten der Gesellschaft eine mehr oder weniger schmarotzerhafte Existenz zu ermöglichen. Der Prozeß ihres Verschwindens kann vielleicht dadurch verlangsamt werden – dahin müssen schon die Hoffnungen wirken, die durch die Versprechungen und Maßnahmen der Regierungen erweckt werden und die Manchen veranlassen, einen aussichtslosen Kampf noch länger weiter zu kämpfen, den er sonst schon längst aufgegeben hätte. Aber kein Vernünftiger wird darin eine Widerlegung des Marxschen „Dogmas“ sehen, das nur von ökonomischen Tendenzen spricht.

Wenn die „Staatshilfe“ der herrschenden Klassen ökonomisch bankerotte Existenzen noch eine Zeitlang über Wasser halten und dadurch den Niedergang des Kleinbetriebs verhüllen kann, so ist die Verschwendung, welche diese Klassen treiben, nicht minder in dieser Richtung thätig.

Die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise bedeutet Wachsthum der Masse des Mehrwerths, Wachsthum nicht nur des akkumulirten Kapitals, sondern auch der Revenuen der Kapitalisten, damit aber auch Zunahme der Verschwendung unter ihnen. Diese führt unter Anderem dahin, feudale Formen wieder zu beleben, die ökonomisch längst überwunden worden. So bemühen sich zum Beispiel die Finanzkönige und Latifundienbesitzer, Jagdreviere von der Ausdehnung der mittelalterlichen Wälder zu schaffen. Aus den Schilderungen des Kapital von Marx ist es bekannt, wie brutaler Uebermuth einer Klasse, die Geld nicht zu schonen brauht und Menschen zu schonen für lächerlich hält, in Schottland von weiten Gebieten die Ackerbauern verjagt hat, um sie zuerst durch Schafe, dann durch Hirsche zu ersetzen. Derselbe Prozeß spielt sich heute in einzelnen Theilen Frankreichs, Deutschlands, Oesterreichs ab. In Oesterreich hat das Waldgebiet nach den Angaben von Endres im Handwörterbuch der Staatswissenschaften seit der Mitte des Jahrhunderts bis heute um fast 700.000 Hektar, fast 2 Prozent der Gesammtfläche, zugenommen, vor Allem in den Alpen- und Küstenländern, auf die fast 600.000 Hektar der Zunahme entfallen. Von 1881 bis 1885 wurden 671 Hektar Waldland gerodet, dagegen 59.031 Hektar Neuaufforstungen angeordnet.

In Frankreich betrug die Fläche der Privatwaldungen 1781 rund 6 Millionen Hektar, sie verminderte sich bis zum Jahre 1844 auf 4,7 Millionen Hektar und stieg von da ab bis heute wieder auf 6,2 Millionen Hektar. Dies trotz des Verlustes von Elsaß-Lothringen.

In Deutschland ist eine Vergleichung der Zählung von 1895 mit der von 1882 leider nicht möglich, denn 1 882 wurde das Forstland nur insoweit aufgenommen, als es mit landwirthschaftlichen Betrieben in Zusammenhang stand, 1892 dagegen wurden sämmtliche Forstbetriebe gezählt.

Daß es in Oesterreich nicht blos Oedländereien sind, die man aufforstet, sondern auch Viehweide und Ackerland, dafür findet man zahlreiche einzelne Beispiele in Teifens Buch über Das soziale Elend und die besitzenden Klassen in Oesterreich. Bezeichnend ist auch die Thatsache, daß im Salzburgischen der Rinderstand von 1869 bis 1880 um 10,6 Prozent und von 1880 bis 1890 um weitere 4,1 Prozent abnahm, wesentlich „durch den überhandnehmenden Verkauf von Alpen an Jagdbesitzer.“ (Drill, Die Agrarfrage in Oesterreich)

Eine andere feudale Form, die durch das Wachsen der kapitalistischen Revenuen mit neuem Leben begabt wird, ist ein zahlreiches zu persönlichen Diensten gehaltenes Gesinde, das Bediententhum, dessen Livree schon auf frühere Jahrhunderte hinweist und anzeigt, daß es im Widerspruch steht zum Geist des 19. Jahrhunderts. Diesen feudalen Tendenzen entspricht der Vorzug, den die vornehme Welt der Handarbeit vor der Maschinenarbeit bei Produkten giebt, die ihrem persönlichen Konsum dienen. Die Maschinenprodukten, die für den Massenkonsum thätig ist, für Alle in gleicher Weise wirkt, individuellen Launen und Bedürfnissen sich nicht anschmiegt, ist zu demokratisch für die Geldaristokratie. Daß die Handarbeit gegenüber der Maschine eine Verschwendung von Arbeitskraft bedeutet, läßt jene nur um so kostbarer und geeigneter erscheinen, ihre Käufer über die Masse des Pöbels zu erheben.

So fällt dem Handwerk neben der Hausdustrie, dem armseligsten und miserabelsten der modernen Produktionszweige, auch der vornehmste derselben zu, die Erzeugung hervorragender Qualitäten. Aber so wie jene wird auch diese Art des Handwerks eine Domäne kapitalistischer Ausbeutung. Die Produktion hervorragender Qualitäten, sei es nun von Kleidern und Schuhwerk, von Papier oder Textilprodukten, von Gemüse oder Obst, erfordert hervorragende Kenntnisse, großen Arbeitsaufwand und auserlesene Produktionsmittel, alles Dinge, die Geld kosten, viel Geld. Mögen die Werkstätten, denen so auserlesene Produkte entstammen, für den Statistiker kleine sein, so sind sie doch für den Oekonomen solche, die einen großen Kapitalaufwand erfordern, in denen hochqualifizirte Handarbeiter kapitalistisch ausgebeutet werden. Sie sind in vielen Fällen eher ein Mittel, die Kunst zur kapitalistischen Industrie herabzudrücken, als eines, dem Handwerk zu einer neuen Blüthe zu verhelfen.

Aber selbst wenn dies nicht der Fall, wäre es absurd, von der Zunahme der kapitalistischen Verschwendung eine Neubelebung des Kleinbetriebs zu erwarten. Die Zunahme dieser Verschwendung setzt das stete und rasche Wachsen der Großindustrie, der Massenproduktion, also die stetige Verdrängung von Kleinbetrieben, die stetige Zunahme des Proletariats voraus. Für einzelne Gegenden, für einzelne Gewerbszweige mag die Verschwendung der Kapitalisten eine Art von Blüthe des Kleinbetriebs hervorrufen, sie kann es nicht für die Gesammtmasse der Nation, denn sie selbst ist ein Produkt fortschreitender Proletarisirung der Gesammtmasse der eigenen Nation und auch anderer Nationen. Dem Handwerk als Rettungsweg den Uebergang zur Produktion auserlesener Qualitäten anpreisen, das ist ungefähr ebenso berechtigt, als es die Annahme wäre, die kapitalistische Produktionsweise habe die Tendenz, jene Nationen, in denen sie zur Herrschaft gelangt, in Jägervölker zurückzuverwandeln. Statistisch ließe sich das ohne Mühe nachweisen.

Alles das beweist nicht, daß das „Marxsche Dogma“ falsch, sondern nur, daß der Prozeß des Untergangs des Kleinbetriebs ein höchst verwickelter ist, den mannigfache Gegentendenzen durchkreuzen, die ihn jedoch nur stören und verlangsamen, hier und da äußerlich in sein Gegentheil verdrehen, nirgends aber in Wirklichkeit aufhalten können.
 

c) Die Beschränktheit des Bodens

Dieselben Gegenströmungen und Gegentendenzen, die den Prozeß in der Industrie verwirren, machen sich auch in der Landwirthschaft geltend; und die Analogie ist so naheliegend, daß wir nicht weiter dabei zu verweilen brauchen. Aber in der Landwirthschaft machen sich noch Gegentendenzen geltend, die in der Industrie nicht wirken, und dadurch wird der ganze Vorgang noch verwickelter.

Diese der Landwirthschaft im Unterschied von der Industrie eigenthümlichen Gegentendenzen sollen uns im Folgenden beschäftigen.

Da fällt uns vor Allem der große Unterschied auf, daß die Produktionsmittel der Industrie beliebig vermehrbar sind, während das entscheidende Produktionsmittel der Landwirthschaft, der Grund und Boden, unter gegebenen Verhältnissen eine gegebene, nicht beliebig vermehrbare Größe ist.

In Bezug auf das Kapital kann man zwei große Bewegungen unterscheiden: Die Akkumulation und die Zentralisation. Die Akkumulation ist ein Resultat der Mehrwerthsbildung. Der Kapitalist konsumirt nicht den gesammten Profit, der ihm zufällt, sondern nur einen Theil davon; einen Theil legt er unter normalen Verhältnissen zurück und verwendet ihn zur Vergrößerung seines Kapitals. Diese Bewegung verschlingt sich mit einer anderen, der Vereinigung verschiedener kleiner Kapitalien in einer Hand zu einem großen Kapital, der Zentralisation den Kapitals.

Ganz anders steht’s mit dem Grund und Boden. Die Summe des Bodens, die in alten Kulturländern der Kultur neu hinzugewonnen werden kann, ist eine minimale Größe, die kaum in Betracht kommt, wenn in Vergleich gesetzt zu den Summen welche von der Kapitalistenklasse jahraus jahrein akkumulirt werden. Der Grundbesitzer kann seinen Grundbesitz nur vergrößern durch den Prozeß der Zentralisation, der Vereinigung mehrerer Betriebe zu einem.

In der Industrie kann der Prozeß der Akkumulation unabhängig von dem der Zentralisation vor sich gehen, ja, jener geht in der Regel diesem voraus. Ein großes Kapital kann gebildet, ein großes industrielles Unternehmen gegründet werden ohne Antastung kleinerer Kapitalien, ohne Aufhebung der Selbständigkeit kleinerer Betriebe. Letztere ist in der Regel die Folge, nicht die Voraussetzung der Bildung eines industriellen Großbetriebs. Um an einem Orte eine Schuhfabrik zu gründen, ist es nicht nothwendig, die dortigen Schustermeister zu expropriiren. Erst wenn die Schuhfabrik besteht und gedeiht, bewirkt sie den Ruin der kleinen Schuhmacherbetriebe und die Expropriation derselben durch den großen. Es ist der Prozeß der Akkumulation, der Anhäufung neuen Kapitals aus nichtkonsumirten Profiten, der das große Kapital zur Gründung der Schuhfabrik schafft.

Dagegen kann dort, wo aller Grund und Boden in Privateigenthum übergegangen ist und lauter kleiner Grundbesitz herrscht, das wichtigste Produktionsmittel des Landwirths, der Grund und Boden, für einen Großbetrieb nur gewonnen werden durch Zentralisation mehrerer kleinen Besitzthümer. Der Untergang mehrerer Kleinbetriebe ist da die unbedingte Voraussetzung des Aufkommens eines Großbetriebs und nicht nur das, sondern die expropriirten Kleinbetriebe müssen eine zusammenhängende Fläche bilden, wenn aus ihrer Zentralisation ein Großbetrieb sich soll bilden können. Einer Hypothekenbank mögen im Jahr einige hundert subhastirte Bauernstellen zufallen; sie kann doch keinen Großbetrieb daraus bilden, weil diese, weit entfernt davon, zusammenzuhängen, in den verschiedensten Oertlichkeiten zerstreut sind. Die Bank weiß mit ihnen nichts anderes anzufangen, als sie ebenso gesondert zu verkaufen, wie sie ihr zugefallen sind, ja mitunter, wenn sie für kleinere Parzellen leichter Käufer findet, sie zu zersplittern, noch kleinere Betriebe daraus zu machen.

So lange das Belieben der Grundherrn entschied, war es für diese sehr leicht, das Land zur Begründung eines Großbetriebs zu erhalten. Sie vertrieben ganz einfach mit mehr oder minder verschleierter Gewalt jene Bauern, die ihnen im Wege waren.

Aber die kapitalistische Produktionsweise bedarf der Sicherheit des Eigenthums. Sobald sie aus ihren revolutionären Zeiten heraus ist und ihre Herrschaft fest begründet hat, erkennt sie nur noch einen Grund der Expropriation an, die Unfähigkeit, Schulden zu bezahlen. So lange der Bauer seine Schulden an den Kapitalisten und den Staat zahlen kann, ist sein Eigenthum heilig. Das Privateigenthum an Grund und Boden ist fest begründet. Wir werden noch sehen, welch’ unzureichenden Schutz es für den Bauern bildet; aber es erweist sich als ein höchst wirksames Hinderniß der Bildung eines großen Grundbesitzes, der Vorbedingung des landwirthschaftlichen Großbetriebs.

Wo heute ausschließlich kleiner Grundbesitz herrscht, da wird sich nur schwer ein großer Grundbesitz bilden können, mag auch der kleine Grundbesitz noch so verkommen, der Großbetrieb noch so überlegen sein.

Aber auch wo großer Besitz und kleiner aneinandergrenzen, wird der erstere nicht immer leicht sich auf Kosten des letzteren vergrößern können, denn nicht immer sind jene Grundstücke der Kleinbetriebe, die aus Noth oder anderen Gründen verkäuflich werden, gerade jene, die zur „Arrondirung“ und Vergrößerung des Gutes nothwendig.

Der Landwirth, dem sein Gut zu klein geworden ist, der die Mittel erworben, ein größeres zu bewirthschaften, zieht in der Regel dem langwierigen, von Zufällen abhängigen Prozeß des Auskaufens der Nachbarn den viel einfacheren und übersichtlicheren Vorgang vor, sein Gut zu verkaufen und ein größeres zu kaufen. In dieser Form geht vornehmlich die Erweiterung des Betriebs der einzelnen Unternehmer in der Landwirthschaft vor sich und dies ist einer der Gründe der großen Mobilisirung des Grundbesitzes der vielen Käufe und Verkäufe von Landgütern im Zeitalter des Kapitalismus. Daß die Kauflustigen auch immer Verkauflustige finden, dafür sorgen das Erbrecht und die Verschuldung, auf die wir noch zu sprechen kommen.

Hier wollen wir nur feststellen, daß die eigenthümliche Natur des Grund und Bodens unter der Herrschaft des Privateigenthums in allen Ländern des Kleingrundbesitzes ein gewaltiges Hinderniß der Entwicklung des landwirthschaftlichen Großbetriebs ist, wie überlegen dieser auch sein mag, ein Hinderniß, das die Industrie nicht kennt.
 

d) Der größere Betrieb nicht nothwendig der bessere

Dazu gesellt sich noch ein anderer Unterschied zwischen Industrie und Landwirthschaft. In der ersteren ist der größere Betrieb unter normalen Umständen dem kleineren stets überlegen. Natürlich hat auch in der Industrie jeder Betrieb unter gegebenen Umständen eine Grenze, über die er nicht hinausgehen kann, soll er nicht unrentabel werden. Die Größe des Marktes, des verfügbaren Kapitals, der Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte, der Zufuhr von Rohmaterial, der Höhepunkt der Technik setzen jedem Betrieb seine Grenzen. Aber unter den Betrieben, welche diese Grenzen innehalten, wird der größere dem kleineren überlegen sein.

In der Landwirthschaft gilt das nur bis zu einem gewissen Grade. Dieser Unterschied rührt daher, daß in der Industrie jede Vergrößerung des Betriebs auch eine steigende Konzentration von Produktivkräften darstellt, mit allen Vortheilen, die ihr eigen sind, der Ersparniß an Zeit, Kosten, Material, Erleichterung der Aufsicht &c. In der Landwirthschaft dagegen bedeutet jede Vergrößerung des Betriebs unter sonst gleichen Umständen, namentlich gleicher Kulturmethode, auch eine größere räumliche Ausdehnung des Betriebs, also Vermehrung der Materialverluste, des Aufwands an Kräften, Mitteln, Zeit, welche die Transporte von Arbeitskräften und Material mit sich bringen. Diese fallen bei der Landwirthschaft um so mehr ins Gewicht, weil es sich da um die Fortbewegung von im Verhältniß zum Gewicht oder Volumen sehr geringwerthigen Stoffen handelt – Dünger, Heu, Stroh, Korn, Kartoffeln – und die Methoden der Fortbewegung im Verhältniß zur Industrie sehr primitiv sind. Je ausgedehnter das Gut, desto schwieriger auch die Aufsicht über die einzelnen Arbeiter, was beim Lohnsystem sehr in Betracht kommt.

Wie mit steigender Ausdehnung des Gutes diese Verluste wachsen, das illustrirt anschaulich eine Tabelle, die Thünen aufgestellt hat und die wir hier wiedergeben, umgerechnet in metrisches Maß und die Zahlen abgerundet. Thünen berechnete die Grundrente verschiedener Grundstücke, die in verschiedener Entfernung vom Wirthschaftshof liegen, pro Hektar bei einem Roggenertrag von:

Entfernung des Grundstücks
in Metern

25 Hektoliter
Mk.

23 Hektoliter
Mk.

20 Hektoliter
Mk.

18 Hektoliter
Mk.

15 Hektoliter
Mk.

0

23   

19

15

11

7

1.000

17   

15

11

  7

4

2.000

14   

11

  7

  4

0

3.000

10   

  7

  3

  0

 

4.000

  5   

  2

  0

 

4500

  0,5

  0

 

5.000

  0   

 

Darnach könnte es freilich scheinen, daß die Landwirthschaft um so profitabler, je kleiner das Gut. Das ist natürlich nicht der Fall. Die Vortheile des Großbetriebs sind so gewaltige, daß sie die Nachtheile der größeren Entfernung mehr als aufwiegen; aber nur für eine gewisse Flächenausdehnung. Von deren Grenze an wachsen die Vortheile des Großbetriebs in geringerem Maße an die Nachtheile der Entfernung, so daß von diesem Punkte an jede weitere Ausdehnung der Gutsfläche ihre Rentabilität vermindert.

Es ist unmöglich, im Allgemeinen die Grenze genau zu bestimmen, von der an dies eintritt. Sie ist für die verschiedenen technischen und Bodenverhältnisse und für die verschiedene Betriebsarten eine verschiedene. Einige Tendenzen der Entwicklung gehen dahin, diese Grenze weiter hinauszuschieben; dahin wirkt z. B. die Einführung des Dampfes oder der Elektrizität als Motor oder die der Feldbahnen; andere dagegen gehen dahin, sie immer mehr zu verengern. Je mehr im Verhältniß zur Fläche Menschen und Arbeitsthiere beschäftigt werden, je mehr Lasten fortbewegt werden, Dünger, Ernteprodukte, Maschinen und schwere Geräthe, desto fühlbarer wird sich der Einfluß der großen Entfernungen machen. Man kann sagen, daß im Allgemeinen die Maximalausdehnung eines Gutes, über die hinaus seine Rentabilität abnimmt, um so kleiner, je intensiver die Wirthschaft, je mehr Kapital in die gleiche Bodenfläche gesteckt wird, daß aber dies Gesetz durch die technische Entwicklung von Zeit zu Zeit durchbrochen wird.

In ähnlicher Richtung wirkt das Gesetz, daß, je intensiver ein Gut bewirthschaftet wird, desto kleiner bei gegebener Kapitalmenge sein Areal sein muß. Ein intensiv bewirthschaftetes kleines Gut kann ein größerer Betrieb sein als ein umfangreiches, extensiv bewirthschaftetes. Die Statistik, die uns nur über das Areal eines Betriebs Auskunft giebt, läßt uns ganz im Dunkeln darüber, ob eine eventuelle Verkleinerung seines Gebietsumfangs auf einer thatsächlichen Verkleinerung oder einer Intensifizirung der Wirthschaft beruht.

Der größten Ausdehnung ist die Wald- und die Weidewirthschaft fähig. Erstere braucht gar keinen Mittelpunkt, keinen Wirthschaftshof, um den sie sich gruppirt. In ihrer extensivsten Form ist die Ernte, das Fällen und Transportiren des Holzes, die einzige Arbeit, deren sie bedarf. Das Holz ist unempfindlich gegen die Einflüsse der Witterung, es braucht nicht in Scheunen gesammelt werden. Man läßt es liegen, wo man es gefällt hat, bis Zeit und Gelegenheit günstig, es zum Markt zu transportiren. In der Holzriese, im Fluß bewegt es sich von selbst vorwärts.

Ebenso wenig wie das Holz im Walde, bedarf, wenigstens bei günstigem Klima, das Vieh auf der Weide der Zufuhr von Nahrungsstoffen durch den Menschen, der Unterbringung in Baulichkeiten; und es ist im lebendigen Zustand noch weit leichter transportabel als das Holz.

Wo sich der nöthige Markt entwickelte, da waren denn auch die Wald- und die Weidewirthschaft die ersten Formen kapitalistischen Großbetriebs in der Ausbeutung des Bodens, wie wir schon gesehen. (S. 18 ff.) Sie bedurfte keiner Maschinen, keines wissenschaftlich geschulten Verwaltungspersonals, keines angesammelten Kapitals. Sie bedurfte blos der Kraft einzelner Grundherrn, die Wald- und Weideflächen für sich zu monopolisiren und die Bauern ihres Eigenthums daran zu berauben. Das ist denn auch, wo die Verhältnisse dazu günstig waren, reichlich geschehen.

Auch in den Kolonien, wo Arbeitskräfte spärlich, Grund und Boden reichlich vorhanden, bildet die Ausbeutung der Wälder und namentlich die Weidewirthschaft die erste Foren des kapitalistischen Großbetriebs in der Landwirthschaft, so in den Vereinigten Staaten, in Argentinien, in Uruguay und Australien. Die einzelnen Weidebezirke erreichen da mitunter die Ausdehnung deutscher Fürstenthümer. In Australien kam der Fall vor, daß auf einer einzigen Station 200.000 Schafe in einem Jahre geschoren wurden.

Viel beschränkter in ihrer Ausdehnung als die forst- und weidewirthschaftlichen Betriebe sind die der Ackerwirthschaft. Aber auch da überragen die Maximal- und Durchschnittsgrößen der extensiven die der intensiven Betriebe.

Die größte Ausdehnung unter den ersteren haben die nordamerikanischen Weizengüter erlangt, bei denen eine eigenthümliche Mischung von bedeutender Extensität des Betriebs mit Anwendung einer hochentwickelten Technik zu finden ist.

Die amerikanische Landwirthschaft war bisher überwiegend eine Raubwirthschaft. So lange jungfräulicher Boden im Ueberfluß vorhanden war, der noch Niemandes Eigenthum geworden, konnte der Landwirth sich den fruchtbarsten Boden aussuchen, diesem Ernte auf Ernte entlocken und sobald er ihn ausesogen, sein Gut im Stiche lassen und weiter wandern. Dieser nomadischen Landwirthschaft standen die ausgezeichnetsten Werkzeuge und Maschinen einer hochstehenden Industrie zu Gebote, und da der Landmann den Boden nicht zu kaufen brauchte, konnte er fast sein ganzes Kapital zum Ankauf dieser technischen Behelfe anwenden.

Diese Art der Landwirthschaft bedurfte keines Düngers; sie brauchte nicht viel Vieh zu halten. Und wo das Klima es erlaubte, konnte sie der Stallfütterung entbehren. Sie brauchte auch keine Fruchtfolge. Sie baute jahraus jahrein dasselbe Produkt, in der Regel Weizen, war eine reine Weizenfabrik. Alle ihre Geräthe, Maschinen, Arbeitskräfte dienten diesem einen Zweck. Der Betrieb war einfach und übersichtlich. Unter diesen Verhältnissen konnten einzelne Güter einen ungeheuren Umfang annehmen. Bekannt sind ja die großen Bonanzafarmen der Herren Dalrymple, Glenn &c., die eine Ausdehnung von 10.000 und mehr Hektar erreichten.

In England dagegen mit seiner intensiven Kultur, welche starke Viehhaltung, Fruchtfolge, starke Düngung bedingt, sind Farmen über 500 Hektar eine Seltenheit, 1.000 Hektar das Maximum.

Wie die kapitalistischen Großbetriebe in Amerika an Flächenausdehnung den europäischen überlegen sind, so die bäuerlichen Kleinbetriebe. In Deutschland ist im Allgemeinen ein Bauer, der 20–100 Hektar Land besitzt, schon ein Großbauer. Man zählte im Deutschen Reiche 1895 unter 5½ Millionen landwirthschaftlicher Betriebe:

Größenklasse

   2–5 Hektar   

  5–20 Hektar  

20–100 Hektar

Betriebe

1.016.318

998.804

281.767

Dagegen 1890 in den Vereinigten Staaten unter 4½ Millionen:

Größenklasse

20–50 Acres
  (8–20 Hektar)  

50–100 Acres
 (20–40 Hektar) 

100–500 Acres
(40–200 Hektar)

Betriebe

902.777

1.121.485

2.008.694

Die Mehrzahl der Bauerngüter in Amerika hat also den Umfang deutscher Rittergüter.

Die Grundlagen für diese extensive Landwirthschaft schwinden, sobald aller Grund und Boden in Privateigenthum übergegangen und der fruchtbare Boden nicht mehr im Ueberfluß vorhanden ist. An Stelle des Wechsels zwischen Ackerland und Brache muß der Landwirth den Fruchtwechsel setzen, an Stelle des Raubbaues Düngung, also starke Viehhaltung und Stallwirthschaft. Der Landwirth muß jetzt mehr Arbeitskräfte und Kapital auf der gleichen Fläche anwenden. Kann er diese Arbeitskräfte und Kapitalien in der nöthigen Menge nicht finden, dann muß er seinen Betrieb verkleinern, die Maximalgröße der Großbetriebe wird eingeschränkt, die Bonanzafarmen hören auf, sich zu rentiren. Das ist das Bild, daß uns von der jetzigen Entwicklung in Amerika entworfen wird. Und die in dieser Richtung treibenden Tendenzen sind zweifellos vorhanden, wenn auch nicht in dem hohen Maße, wie es in den letzten Jahren öfter dargestellt wurde. Von dem „nahenden Ende“ des landwirthschaftlicheu Großbetriebs ist in Amerika nicht zu sprechen, das zeigen schon die oben mitgetheilten Zensuszahlen.

Trotzdem wollen wir nicht für ausgeschlossen erklären, daß die amerikanische Landwirthschaft, wenn sie völlig die europäische Betriebsweise annimmt, damit auch die europäischen Maße der Betriebsfläche annehmen wird. Die Bonanzafarmen mögen dann wohl verschwinden, die Großbetriebe über eine Ausdehnung von 1.000 Hektar nicht hinausgehen, die bäuerlichen Betriebe auf das deutsche Durchschnittsmaß sinken – wenn nicht die technische Entwicklung, z. B. die Einführung der Elektrizität in die Landwirthschaft, neue Bedingungen schafft, die die Maximalgrenzen des Großbetriebs auch bei intensiver Wirthschaft ausdehnen. Jedenfalls würde aber dieser Rückgang in der Flächenausdehnung nicht einen Sieg des kleineren über den größeren Betrieb, sondern nur eine größere Verdichtung des Betriebs auf kleinerer Fläche anzeigen, die Hand in Hand gehen kann, ja meist gehen muß mit einer Vergrößerung der in ihm steckenden Kapitalsumme, oft auch mit einer Vermehrung der in ihm beschäftigten Personenzahl, also mit einer thatsächlichen Vergrößerung des Betriebs.

Ebenso wie der Uebergang von einfachem Raubbau zu einem geregelten, auf dauernde Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit gerichteten Ackerbau, so muß auch die Verdrängung der extensiven Weidewirthschaft durch den Ackerbau die Tendenz nach Verkleinerung der Durchschnittsgröße der Güter – bei gleichbleibender oder selbst wachsender Betriebsgröße erzeugen. In gleicher Richtung wirkt aber wieder die Ersetzung des Getreidebaues durch intensive Viehhaltung, die gerade in den alten Kulturländern jetzt in weitem Maße vor sich geht.

In England betrug 1880 die Durchschnittsgröße der Viehwirthschaften 52,8 Acres, die der Getreidewirthschaften 74,2 Acres. Von der Bodenfläche nahmen die einzelnen Größenkategorien ein:

Prozente der Bodenfläche für jede Größenkategorie der Wirthschaften

 

    Bis 50    
Acres

  50–100  
Acres

 100–300 
Acres

 300–600 
Acres

600–1.000
Acres

Ueber 1.000
Acres

Viehwirthschaft

17,2

18,9

43,7

13,8

  7,2

2,2

Getreidewirthschaft

  9,9

10,2

37,8

21,4

17,0

3,7

Es ist klar, wenn in England, wie das jetzt der Fall, der Getreidebau immer mehr zurückgeht und an seine Stelle intensive Viehhaltung tritt, dies die Tendenz zu einer Verkleinerung der Farmen erzeugen muß; es hieße aber sehr oberflächlich nrtheilen, wollte man daraus auf einen Rückgang des Großbetriebs schließen.

Uebrigens lassen trotzdem die neueren Ziffern eine durchschnittliche Verkleinerung des Areals der Farmen nicht erkennen. Die Durchschnittsgröße der landwirthschaftlichen Betriebe von mehr als 1 Acre Umfang (nur deren Fläche wurde 1895 aufgenommen) betrug in Großbritannien 1885 61 Acres, 1895 62 Acres, hat also etwas zugenommen.

In Ostelbien drängt der Uebergang zu intensiverer Wirthschaft ebenfalls zur Einengung der Betriebsflächen größerer Güter.

„Die meisten unserer großen Güter“, sagt Sering in seinem bereits erwähnten Buche über Die innere Kolonisation im östlichen Deutschland, „sind gegenwärtig viel zu umfangreich, als daß sie einen ausreichend intensiven Betrieb auf der ganzen Wirthschaftsfläche gestatteten. Sie sind zu einer Zeit entstanden und angewachsen, wo die allgemeinen wirthschaftlichen Voraussetzungen nicht jene Konzentration der Kapital- und Arbeitskraft auf die einzelne Ackerparzelle erforderten, die gegenwärtig eine privat- und volkswirthschaftliche Nothwendigkeit ist ... So kommt es, daß die Außenschläge – oft ein Fünftel bis ein Viertel des ganzen Areals – heute fast durchwegs ganz extensiv, z. B. durch Anbau von Lupinen oder als perennirende Futterschläge bewirthschaftet werden ... Auf intensiv bewirthschafteten Gütern Neuvorpommerns mit schwerem Boden rechnet man, daß Ackerländereien, die mehr als zwei Kilometer vom Haupthof entfernt sind, überhaupt nicht mehr nutzbringend zu bestellen sind ... Der verbreitete Mangel an ausreichendem Betriebskapital wird durch die zu große Ausdehnung der Güter mit verschuldet. –

„Die Verkleinerung des Gutsareals (durch Verkauf oder Verpachtung seiner entlegenen Theile an kleinbäuerliche Kolonisten) wird also nach zwei Richtungen hin die Bodenproduktion steigern. Indem die Kolonisation die bisherige Gutsfläche mit einer größeren Zahl von Wirthschaftszentren bedeckt, werden auch die bisher wegen ungünstiger Lage zum Gutshof ungenügend bestellten Schläge in volle Kultur gebracht. Für die zurückbehaltenen Restgüter steht aber eilte erhöhte Summe von Arbeit und Kapitalkraft zur Verfügung und ihre Besitzer werden bei verminderter Zinsenlast bald den gleichen oder einen höheren Reinertrag als vorher von der ungetheilten Gutsfläche erzielen.“ (S. 92, 93.)

Daher werden die großen Güter in Ostelbien verkleinert, neben ihnen kleine Bauernwirthschaften geschaffen, nicht weil der Kleinbetrieb dem großen überlegen ist, sondern weil die bisherigen Gutsflächen den Bedürfnissen extensiver Wirthschaft angepaßt waren.
 

e) Das Latifundium

Aus alledem folgt zweierlei. Einmal die Thatsache, daß die bloßen Zahlen der Flächenstatistik der Betriebe sehr wenig beweisen. Zweitens, daß der Prozeß der Zentralisation von Grund und Boden zur Ausdehnung eines Landguts, der an und für sich schon viel mehr erschwert ist, als der der Akkumulation und Zentralisation von Kapital, außerdem unter gegebenen Verhältnissen für den einzelnen Betrieb seine bestimmten Grenzen findet.

Nur dort, wo das Pachtsystem vorherrscht, besteht daher das Bestreben der Großgrundbesitzer, die einzelnen Güter ins Endlose auszudehnen. Dort fällt der Betrieb mit dem Besitz nicht zusammen. Der einzelne Grundbesitzer läßt nicht sein ganzes Gut, wenn dieses zu groß, von einem einzigen Unternehmer bewirthschaften. Er theilt es in mehrere Pachtungen, deren Größe er so abmißt, daß sie ihm den größten Vortheil bringen. Dabei sind Rücksichten auf die rationellste Bewirthschaftung des Pachtguts nicht allein maßgebend, sondern auch solche auf die Kapitalkraft der sich anbietenden Pächter.

Wo das System der Bewirthschaftung des Gutes durch den Besitzer, respektive dessen Beamte vorherrscht, wo Besitz und Betrieb zusammenfallen, da äußert sich die Zentralisationstendenz, sobald ein Großbetrieb einmal arrondirt und mit genügendem Grund und Boden versehen ist, nicht mehr in dem Bestreben, ihn noch weiter auszudehnen, sondern darin, außer ihm einen zweiten zu erwerben.

Und diese Tendenz kommt unter Umständen recht stark zur Geltung. Eine treffliche Illustration derselben giebt uns Dr. Rudolf Meyer in seinem interessanten Buche über das Sinken der Grundrente. Er hat die Entwicklung des Großgrundbesitzes in Pommern auf das Eingehendste verfolgt und dabei gefunden, daß von dem reichen adeligen Grundbesitz daselbst 62 Besitzer 1855 229 Güter besaßen, 1891 dagegen 485 Güter mit einem Flächeninhalt von 261.795 Hektar. Die Familien, denen diese 62 Besitzer angehörten und die 1891 125 Mitglieder zählten, besaßen 1855 339, 1891 409 Guter mit 334.771 Hektar. Ferner besaßen 62 wohlhabende adelige Gutsbesitzer 1865 118 Güter, 1891 203 mit 147.139 Hektar, und endlich 85 reiche bürgerliche Gutsbesitzer 1855 25, 1891 94 Güter mit 54.000 Hektar, deren Gesammtfamilien mit 47 Mitgliedern 1855 30, 1891 110 Güter. Außerdem führt Dr. Rudolf Meyer noch 76 adelige Besitzer mit 182 Gütern von zusammen 109.950 Hektar und 119 bürgerliche Gutsbesitzer mit 295 Gütern (131.198 Hektar) an, bei denen ihr früherer Besitzstand nicht ersichtlich.

Diese Zahlen zeigen eine sehr kräftige Zentralisationstendenz, die bei einzelnen Besitzern noch einen besonders starken Ausdruck findet.

Unter diesen finden wir:

Namen der Besitzer

Zahl der Güter

Im Jahre 1891

1855

1891

Hektar

Grundsteuer-
reinertrag

Mk.

Below-Saleske

  1

  5

  4.047

  38.046

Graf Douglas

  6

  1.592

  22.815

Knebel-Döberitz-Dietersdorf

  3

  8

  5.629

  24.356

Graf Armin Schlagenth

  8

  3.692

  25.101

Fürst Bismarck

  1

  9

  9.047

  31.658

Plötz-Stuchow

  4

10

  6.214

  51.937

Heyden-Jürgen-Cartlow

  6

11

4.635

108.969

Fürst Hohenzollern-Sigmaringen

11

10.998

  44.350

Königliche Familie

  1

12

24.513

128.399

Graf Behr-Negendank

  6

12

  5.696

104.318

Lanken-Boldewitz

  3

13

  4.183

  95.382

Graf Behr-Bandelin

  3

13

  6.576

131.285

Graf Krassow-Divis

  5

15

  4.613

112.652

Lanken-Pluggentin

  6

16

  2.648

  68.355

Graf Platen-Osten

  8

16

10.520

  79.845

Graf Flemming-Benz

13

24

14.258

107.794

Furst Putbus

53

85

17.113

302.892

Professor J. Conrad veröffentlicht in seinen Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik eine Reihe von werthvollen Abhandlungen, Agrarstatistische Untersuchungen, die namentlich die jetzige Ausdehnung der preußischen Latifundien beleuchten. Er fand Inhaber von 5.000 Hektar und mehr:

In

          

Besessene
Gesammtfläche

Hektar

Aecker und
Wiesen

Hektar

Ostpreußen

11

  67.619

  34.000

Westpreußen

18

105.996

  48.000

Posen

33

300.716

147.310

Pommern

24

182.752

102.721

Schlesien

46

671.649

192.443

Die 46 Latifundienbesitzer, die in Schlesien 1887 verzeichnet waren, besaßen zusammen nicht weniger als 843 Güter. Darunter:

 

Besitzungen

Gesammt-
fläche

Hektar

Grundsteuer-
reinertrag

Mk.

Kronprinz Friedrich Wilhelm
(nachmaliger Kaiser Friedrich III.)

19

  8.879

118.959

R. Friedenthal, Staatsminister a. D.

24

  9.090

106.740

König Albert von Sachsen

50

31.072

271.782

Herzog von Ujest

52

39.742

238.701

Fürst Pleß

75

51.112

324.042

Das sind Daten, die keineswegs auf ein „nahendes Ende“ des Großgrundbesitzes hindeuten.

Ueber die Ausdehnung österreichischer Großbesitzes, die mehrere Güter umfassen, giebt G. Krafft in seiner Betriebslehre folgende Ziffern an:

Name des Besitzers

Größe in Hektar

Bestandtheile

mährischer Besitz des Erzbischofs von Olmütz

  54.500

?

böhmischer, mährischer, niederösterreichischer Besitz
des Kaisers Franz Josef

  79.300

?

ungarischer Besitz der Grafen Schönborn-Buchheim

134.013

2 Domänen mit
449 Meierhöfen
u. 10 Forstreviere

böhmischer Besitz des Fürsten Schwarzenberg

177.930

20 Domänen

mährischer, böhmischer und schlesischer Besitz
des Fürsten Lichtenstein

180.900

?

ungarischer und schlesischer Besitz des Erzherzogs Albrecht

192.181

72 Oekonomiedistrikte,
780 Meierhöfe,
58 Forstreviere

ungarischer Besitz des Fürsten Esterhazy

431.700

35 Domänen

Diese Art der Zentralisation von Grund und Boden, die Vereinigung verschiedener Güter in eitler Hand, läßt ebenso wie die Zentralisation durch die Hypothekenbanken die Größe der einzelnen Betriebe unverändert. Aber sie unterscheidet sich von der letzteren dadurch, daß mit der Zentralisation des Besitzes auch eine Zentralisation der Verwaltung eintritt und damit eine neue Betriebsform ersteht, das Latifundium. Dies und nicht die ungemessene Ausdehnung der einzelnen Gutswirthschaft ist die Form, in der der moderne Riesenbetrieb in der Landwirthschaft sich entwickelt; und diese Form kennt ebenso wenig wie die Zentralisation des Kapitals irgendwelche Grenzen.

Es wird damit die höchste Produktionsweise angebahnt, deren die moderne Landwirthschaft fähig ist. Die Vereinigung mehrerer Betriebe in einer Hand führt früher oder später zu ihrer Verschmelzung in einen Gesammtorganismus, zu einer planmäßigen Arbeitstheilung und Kooperation der einzelnen Betriebe.

Einige Stellen aus der Betriebslehre (S. 167 ff.) von G. Krafft, der die österreichischen Latifundien aus eigener Anschauung kennt, mögen das illustriren.

„Der Großgrundbesitz (so nennt Krafft das Latifundium) wird gebildet an der Vereinigung mehrerer Großgüter oder Domänen, uneigentlich auch Herrschaften genannt. Bei sehr umfangreichen Großgrundbesitzungen werden die Domänen in Gruppen, den Domänendistrikten, zusammengefaßt.“

Der Verwaltungsorganismus eines Latifundiums gliedert sich etwa in folgender Weise: An der Spitze steht der Besitzer, der entweder selbst die Oberleitung führt, oder, was wohl meist der Fall, sie einer Zentralkanzlei überläßt. „Die Aufsicht über eine Domänengruppe oder einen Domänendistrikt ist einem Wirthschaftsrath (oder Oekonomieinspektor) anvertraut“ – Krafft gebraucht angesichts der hohen Entwicklung des Latifundienwesens in Oesterreich die dort gebräuchlichen Bezeichnungen.

„Die Thätigkeit des Wirthschaftsraths erstreckt sich auf die Ueberwachung der zur Ausführung gelangenden, über Referat der Zentralkanzlei genehmigten Organisationspläne der einzelnen Domänen ... Er führt den Vorsitz bei den jährlichen Konferenzen sämmtlicher Domänenvorstände, um die Beziehungen zwischen den einzelnen Domänen zu regeln; begutachtet die von den Domänenvorständen erstatteten, eventuell zu rechtfertigenden Ausweise über die Ertragsergebnisse des abgelaufenen Verwaltungsjahrs, sowie die von den Vorständen mit den Präliminarien für das nächste Jahr eingebrachten Vorschläge zu wirthschaftlichen Verbesserungen und Abänderungen, und leitet dieselben zur Genehmigung des Besitzers an die Zentralkanzlei.

„Für eine Domänengruppe werden außerdem gewisse organisatorische Arbeiten in einer Hand vortheilhaft zentralisirt. So findet man häufig, daß die Aufstellung der Züchtungsgrundsätze und die gesammte Leitung der Thierzucht, getrennt nach den einzelnen Thierarten, einem kundigen Spezialisten (Schäfereiinspektor &c.) übertragen werden. Durch eine derartige Organisation werden unstreitig bedeutendere Erfolge errungen, als wenn die Feststellung der Richtung der Thierzüchtung in einer Mehrzahl von Händen versplittert wird, welchen immerhin die unmittelbare Ausführung der in ihren Zielen festgestellten Züchtung überlassen bleibt.

„Ebenso wird für jene Domänenbestandtheile, welche einen größeren Umfang besitzen, ein Zentralorgan für eine Domänengruppe oder den gesammten Großgrundbesitz geschaffen. Beispielsweise besteht auf Großgrundbesitzungen, woselbst viele Neubauten von Zuckerfabriken, Brauhäusern &c., viele umfangreiche kulturtechnische Unternehmungen zur Ausführung gelangen, für sämmtliche Domänen eine Baudirektion, welche sowohl die Pläne und Kostenanschläge von größeren Bauten zu verfassen, als auch die von den Domänenbaumeistern eingesandten Pläne und Kostenüberschläge zu begutachten und nebenbei die Ausführung der Bauten zu überwachen hat. Ebenso findet man häufig für die Forstwirthschaft sämmtlicher Domänen eine Forstinspektion, an deren Spitze ein Oberforstmeister steht; für den gesammten Bergbau eine Berginspektion“ &c. ...

„Das hervorragendste Moment bei der Organisation der Domäne (Großgut) bildet die Feststellung des Zusammenwirkens der einzelnen Verwaltungszweige der Domäne zur nachhaltigen Erzielung des größtmöglichen Reinertrags ... Außer der Organisation der Domäne liegt es nahe, die Verschiedenheiten der örtlichen Lage, der sozialen, klimatischen und Bodenverhältnisse der einzelnen Domänen durch Verbindung derselben zu einem organischen Ganzen – durch die Organisation des gesammten Großgrundbesitzes im Interesse des Ertrags zu verwerthen. Dieselbe erstreckt sich hauptsächlich auf die Ermöglichung billigerer Produktion und besserer Verwerthung der gewonnenen Produkte, auf die Erzzielung einer Vereinfachung der Verwaltung und im Zusammenhang damit, auf bessere Ausnutzung der vorhandenen Hilfskräfte.

„Die billigere Produktion kann angestrebt werden durch wohlfeilere Beschaffung von Produktionsmitteln, namentlich von Kapital, im Wege des dem Großgrundbesitzer leichter gewährten Kredits, durch Benutzung von arbeitsparenden Maschinen, deren Anwendung nur bei großer Ausdehnung des Arbeitsfeldes möglich ist, wie der Dampfpflüge in der Landwirthschaft, der modernen Bringungsanstalten (Drahtseilriesen, Eisenbahnen, Forsteisenbahnen &c.) in der Forstwirthschaft, der zeitgemäßen Maschineneinrichtungen bei den verschiedenen Gewerben &c., durch Theilung der Arbeit in dem Sinne, daß die verschiedenen Wachsthumsverhältnisse der Domänen im Interesse der Pflanzenproduktion verwerthet werden. Es geschieht dies durch die Zusammenfassung mehrerer Domänen zur Lieferung von Rohmaterial für ein vortheilhafter im größeren Maßstab, unter weitestgehender Benutzung der Maschinenkraft zu betreibendes technisches Gewerbe, durch Einrichtung von Saatgutpepinieren, Klee- und Grassamenschulen auf jenen Domänen und Meierhöfen, welche besonders schwere und schöne Samen hervorbringen und daher die Aufgabe übernehmen, mit besonderer Sorgfalt diese Samen zu bauen, welche als Saatwaare zur Erzielung eines geeigneten Samenwechsels von den übrigen Meierhöfen abzunehmen sind. Der besondere Wiesen- und Strohreichthum einer Domänengruppe kann in Fällen der Noth unter Anwendung von transportablen Pressen, welche das Heu und Stroh und selbst den Stallmist in einen transportfähigen Zustand bringen, zur Abhilfe für wiesen- und stroharme Domänengruppen herangezogen werden.

„Im Interesse der billigeren Produktion kann es liegen, die Zucht der Nutzthiere nach einem gemeinsamen Plane zu organisiren. Die Zucht des Pferdes für den eigenen Bedarf wird auf eine dazu geeignete, entlegene Domäne zu beschränken sein. Bei der Rindviehzucht können einige Domänen oder Meierhöfe zur Aufzucht des Bedarfs von Nutzvieh für die übrigen bestimmt werden. Die Mästung läßt sich in günstig an einer Eisenbahn, in der Nähe eines technischen Gewerbes gelegenen Zentralmaststationen konzentriren, die von entlegeneren Domänen mit ungemästeten oder auch – zur besseren Ausnutzung von disponiblen, jedoch zur Vollmast nicht ausreichenden Futterstoffen – in halbgemästeten Zustand befindlichen Thieren versorgt werden. Für die Verwerthung der Milch kann es vortheilhaft sein, für mehrere Meierhöfe an geeigneten Punkten einige wenige Molkereifabriken zur Verringerung der Verwaltungskosten auf größeren Betrieb unter Anwendung von Milchzentrifugen einzurichten. Gleichzeitig müßte dann die Trennung der Aufzucht von der eigentlichen Milchviehnutzhaltung zur Ersparung von Verwaltungskosten zur Durchführung gelangen. Bei der Schafzucht kann gleichfalls eine Trennung nach den einzelnen Nutzungsrichtungen durchgeführt werden. Der Bedarf von Zuchtböcken ist dann aus geeigneten Pepiniereherden zu befriedigen.

„Die gemeinschaftliche Verwerthung der auf einer Mehrzahl von Domänen gewonnenen Produkte kann durch eigene Verarbeitung oder durch Verkauf an Fremde geregelt werden, durch Verarbeitung in eigenen großen Körner- und Oelmühlen, Zuckerfabriken, Brauereien, Brettsägen &c. oder durch Verkauf auf eigenen Märkten.

„Im Interesse einer besseren Produktenverwerthung ist die Errichtung der verschiedenartigsten Transportanstalten, wie Sekundärbahnen und Pferdebahnen zur Verbindung mit einer Haupteisenbahntrace, Drahtseilbahnen, Straßenzüge, Triftanstalten, Kanäle &c. auf eigene Kosten oder durch Unterstützung fremder Unternehmer wesentlich zu fördern.

„Eine Vereinfachung der Verwaltung läßt sich dadurch erzielen, daß man die Ausdehnung des Besitzes und die benachbarte Lage der einzelnen Domänen dazu benutzt, eine Theilung der Arbeit herbeizuführen ...

„Ein wichtiges Moment bei der Organisation des Großgrundbesitzes ist schließlich die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der verwendeten Hilfskräfte durch Ermöglichung einer richtigen Verwendung derselben. Wenn eine Persönlichkeit für die eine oder andere Produktionsrichtung besonderes Geschick zeigt, so ist sie an jenen Platz zu stellen, wo sie die größte Leistungsfähigkeit entwickeln kann. Durch zeitweiliges Wechseln der Verwaltungsorgane ist übrigens dadurch zu sorgen, daß die Ausartung zum schablonenmäßigen Wirthschaften vermieden werde. Bei kleineren Verwaltungskörpern kann diesen Grundsätzen nicht immer entsprochen werden.

„Die größten Schwierigkeiten bei der Organisation des Großgrundbesitzes in dem oben angedeuteten Sinne ergeben sich dann, wenn die einzelnen Bestandtheile desselben, die Domänen, sehr weit von einander gelegen sind. Andererseits werden die Erfolge einer solchen Organisation dort am auffälligsten hervortreten, wo die einzelnen Domänen räumlich nicht geschieden sind.

„Für alle Fälle verdient die Organisation des Großgrundbesitzes – eine bisher noch wenig oder gar nicht beachtete Seite des landwirthschaftlichen Betriebs – die weitestgehende Pflege, weil sie bei ihrer fortschrittlichen Entwicklung, unterstützt durch die vorschreitende Ausbildung der Landwirthschaft als Wissenschaft, berufen zu sein scheint, jenes Moment zu bilden, durch welches die Großwirthschaft ihre höchsten Erfolge erreichen wird.“

In derartigen Riesenbetrieben und nicht im bäuerlichen Zwergbetrieb erblickt eine der ersten lebenden landwirthschaftlichen Autoritäten, ein alter „Praktiker“, der aber freilich bewaffnet ist mit dem weiten Blick und dem Wissen des Theoretikers, die Zukunft der modernen, rationellen Landwirthschaft.

Aber auch dieser Riesenbetrieb findet eine Schranke, die die Großindustrie nur in Ausnahmefällen in ihrer Entwicklung hindert: Mangel an Arbeitern.
 

f) Der Mangel an Arbeitskräften

Die Ausdehnung des Marktes, der Besitz von Geldmitteln, das Vorhandensein der nöthigen technischen Vorbedingungen, das alles allein genügt nicht zur Bildung eines kapitalistischen Großbetriebs. Die Hauptsache sind die Arbeiter. Mögen alle anderen Bedingungen vorhanden sein, wo die besitzlosen Arbeitskräfte fehlen, die sich dem Kapitalisten verkaufen müssen, da ist ein kapitalistischer Betrieb unmöglich.

Aber die städtische Industrie hat in alten Kulturstaaten an Arbeitermangel nicht zu leiden. Das Proletariat selbst vermehrt sich und liefert dem wachsenden Kapital zahlreiche neue Arbeitskräfte.

Daneben aber wendet sich der städtischen Lohnarbeit vorwiegend auch der Nachwuchs der Kleinbürger und Kleinbauern zu, dem es nicht möglich ist, sich selbständig zu machen, sowie die Masse jener gewesenen Kleinbürger und Kleinbauern, die ins Proletariat geschleudert worden. und die Großindustrie kann sie alle brauchen, mögen sie aus der Stadt oder vom Lande kommen.

Ganz anders die Landwirthschaft. Die städtische Arbeit geht heute unter Bedingungen vor sich, die den Arbeiter für die Landarbeit untauglich machen. Wer in der Stadt aufwächst oder in der Jugend sich ihr zuwendet, ist für die Landwirthschaft verloren. Diese kann unter den heutigen Bedingungen aus dem städtischen, industriellen Proletariat nicht ihren Arbeiterbedarf ergänzen.

Aber der landwirthschaftliche Großbetrieb ist unter den heutigen Verhältnissen auch nicht im Stande, selbst den nöthigen Nachwuchs an Lohnarbeitern zu produziren und festzuhalten.

Wir suchen den Grund dieser Erscheinung in einer Eigenthümlichkeit, welche die Landwirthschaft von der modernen Industrie streng scheidet. In dieser ist, im Gegensatz zur mittelalterlichen Industrie der Wirthschaftsbetrieb vom Haushalt völlig getrennt. Im mittelalterlichen Handwerk – und bis heute noch in seinen Ausläufern – sind beide vereinigt. Während der Zunftzeit gehörten die Arbeiter in einem Handwerksbetrieb zum Haushalt, zur Familie des Meisters. Ein Arbeiter konnte nicht zu einem eigenen Haushalt, zu Ehe und Familie gelangen, ohne einen selbständigen Betrieb zu beginnen, ohne Meister zu werden.

In der modernen Industrie dagegen sind Haushalt und Betrieb getrennt. Hier hat der Arbeiter die Möglichkeit, einen eigenen Haushalt zu gründen, ohne als Arbeiter selbständig zu werden, und wir wissen, er macht reichlichen Gebrauch von dieser Möglichkeit und vermehrt so das Lohnproletariat, das nun eine besondere Klasse wird. Die Trennung des Haushalts vom Betrieb macht aber auch erst den Proletarier zum freien Mann außer der Arbeit und ermöglicht es ihm, jene Qualitäten zu erlangen, die ihn befähigen werden, die Herrschaft im Staate zu erobern und zu behaupten.

Lohnarbeiter gab es schon früher, aber sie hatten keine Möglichkeit, eigene Kinder aufzuziehen, da der eigene Haushalt, die eigene Familie ihnen fehlte. Sie waren die Kinder von Handwerksmeistern oder Kleinbauern und nur als Meister konnten sie wieder eigene Kinder aufziehen. Gleich den Studenten waren die Handwerksgesellen, eben weil nicht Weib und Kind sie beschwerten, gegenüber der Obrigkeit und den Meistern ein streitbares Geschlecht; aber ebenso wenig wie die Studenten konnten sie daran denken, die politische Macht im Staate zu erobern, und die Gesellschaft nach ihren Klasseninteressen umzugestalten. Erst dem modernen Lohnproletarier mit eigenem Haushalt, mit Kindern, die verurtheilt sind, Proletarier zu bleiben, konnte diese Idee kommen.

Was aber für die Industrie überwunden, besteht für die Landwirthschaft noch fort. Sie ist mit dem Haushalt fest verbunden. Es giebt keinen landwirthschaftlichen Betrieb ohne eigenen Haushalt, es giebt aber auch keinen ständigen, festen Haushalt auf dem Lande ohne etwas Landwirthschaft.

Das dürfte zum Theil in der Zerstreuung der Bevölkerung – im Gegensatz zu ihrer Konzentrirung in der Stadt – begründet sein. Die Erbauung von Miethskasernen ist da nicht angängig, der Kleinbetrieb in der Ausbeutung des Wohnungsbedürfnisses lohnt aber nicht, ausgeommen als Nebengewerbe.

Vor Allem aber kommt in Betracht die enge ökonomische Verbindung zwischen Haushalt und Landwirthschaft, namentlich im Kleinbetrieb. Dieser produzirt zum großen Theil für den direkten Konsum jener. Andererseits liefert die Haushaltung in ihren Abfällen Dünger und Viehfutter, die Wartung des Viehes erfordert die stete Anwesenheit der damit betrauten Personen auf dem Wirthschaftshof, also ihre Zugehörigkeit zum Haushalt u. s. w.

Die Position des Lohnarbeiters nimmt unter diesen Umständen auf dem Lande einen ganz anderen Charakter an als in der Stadt. Der völlig besitzlose Lohnarbeiter, der im eigenen Haushalt lebt, ist da eine Ausnahmserscheinung. Die Lohnarbeiter eines landwirthschaftlichen Großbetriebs sind theils Mitglieder seines Haushalts – Knechte und Mägde; soweit sie eigenen Haushalt führen, sind sie in der Regel auch selbständige Landwirthe, auf eigenem oder gepachtetem Grund und Boden, die nur einen Theil ihrer Arbeitszeit der Lohnarbeit, einen anderen Theil der Arbeit im eigenen Betrieb widmen.

Eine eigenartige Zwischenstellung nehmen die sogenannten „Deputanten“ ein, die festen Jahreslohn, daneben bestimmte Naturalien und ein Stück Land, sowie eine Wohnung auf dem Hofe erhalten, und daneben die Instleute, die auf den ostelbischen großen Gütern eine wichtige Rolle als Arbeiter spielen. Sie wohnen auf dem Hofe, aber in eigenen Wohnungen und erhalten an Entgelt für ihre Leistungen theils, wie die Deputanten, bestimmte Quantitäten in Naturalien und in Land, das sie selbst zu bewirthschaften haben, theils einen Lohn, aber nicht Jahreslohn, wie die Deputanten, sondern Taglohn oder Akkordlohn (Antheil am Erdrusch).

„Kein vollkommen besitzloser Arbeiter kann in das Instmannsverhältniß treten. Einmal ist die gestellte Wohnung regelmäßig ohne Mobiliar, ferner hat der Instmann die nöthigen Arbeitswerkzeuge, namentlich Sense und Dreschflegel, zu stellen. Vor Allem aber setzt die Annahme einer Inststelle – ebenso wie diejenige eines verheiratheten Knechtes – im Allgemeinen den Besitz einer Kuh oder doch einer oder mehrerer Ziegen voraus, sofern nicht die Herrschaft die Mittel für deren Beschaffung vorschießt. Endlich muß der Instmann in der Lage sein, behufs Bestellung des ihm zugewiesenen Landes, abgesehen von dem Dünger, welchen er nebst seinem Vieh produzirt, auch das nöthige Saatgut zu beschaffen. “ (Dr. Max Weber in der Enquete über die Verhältnisse der Landarbeiter in Deutschland, III, S. 13.)

Der Instmann ist ein Mittelding zwischen Knecht und Pächter, der meist der Gesindeordnung untersteht, ein Ueberbleibsel aus der Feudalzeit, wo der Grundherr sein Land nicht besser zu verwerthen wußte, als daß er es gegen Verpflichtung zu bestimmten Diensten verlieh. Mit moderner kapitalistischer Landwirthschaft und hoher Grundrente verträgt er sich nicht. In der Provinz Sachsen z. B. hat die Rübenkultur dem Instmannwesen ein Ende bereitet.

Der Stellung des Instmannes im Nordosten Deutschlands kommt sehr nahe die des Heuermannes im Nordwesten.

„Heuerleute sind ländliche Arbeiterfamilien, die von dem Arbeitgeber eine Wohnung und ein Stück Land gegen billigen, gegenüber den normalen, ortsüblichen Summen gewöhnlich um die Hälfte billigeren, Zins pachten und dafür verpflichtet sind, eine bestimmte, in verschiedenen Gebieten und selbst auf verschiedenen Gütern wechselnde Anzahl von Tagen ihre Arbeitskraft gegen einen billigen, gegenüber den normalen ortsüblichen Summen gewöhnlich um die Hälfe billigeren Tagelohn zur Verfügung zu stellen.“ (Dr. K. Kärger in Die Verhältnisse der Landarbeiter &c., I, S. 3)

Auch diese Ueberbleibsel aus der Feudalzeit ist ebenso wie das Instverhältniß im Schwinden begriffen.

Neben diesen Arbeiterkategorien finden sich auch „freie“ besitzlose Taglöhner, die bei Bauern sich einmiethen, „Einlieger“, „Losleute“, „Heuerlinge“, und ihre Arbeitskraft dort verkaufen, wo sie gerade einen Käufer finden. Sie kommen dem städtischen Lohnproletarier am nächsten, aber unterscheiden sich doch wesentlich von ihm. Sie bilden das Anhängsel einer fremden Haushaltung und „immer ist, auch in der bäuerlichen Verfassung, das Wohnen unter fremdem Dache Grundlage der wirthschaftlichen Unselbständigkeit“ . (Weber, a. a. O., S. 38)

Diese Verhältnisse sind der Fortpflanzung der besitzlosen Arbeiter auf dem Lande nicht günstig. Das Gesinde ist in den meisten Fällen von vornherein von der Ehe, von der Begründung eines selbständigen Hausstandes (als solches) ausgeschlossen und ihm damit das Ausziehen einer Nachkommenschaft verleidet und erschwert. Der Geschlechtstrieb läßt sich dadurch freilich nicht beeinflussen, aber er wird oft auf unnatürliche Bahnen gedrängt, um eine Nachkommenschaft nicht aufkommen zu lassen. Erweist sich die Natur stärker als alle künstlichen Vorkehrungen, dann greift die unglückliche Mutter mitunter zum Verbrechen, um sich ihrer Leibesfrucht zu entledigen. Sie weiß nur zu gut, warum, denn weder ihr noch ihrem Kinde winkt eine erfreuliche Zukunft. Die unehelichen Kinder werden den ungünstigsten Verhältnissen ausgesetzt, ein großer Theil von ihnen stirbt frühzeitig, ein anderer nicht geringer Theil bevölkert später die Zuchthäuser.

Wo noch patriarchalische, naturalwirthschaftliche Verhältnisse herrschen, wie auf manchen großen Bauernhöfen der Alpenländer, da gilt freilich das Kind der Magd ebenso als Mitglied des Haushalts, wie diese selbst. Es wächst als der Gespiele der Bauernkinder auf, ißt mit ihnen an einem Tische und merkt den sozialen Unterschied erst, wenn’s an die Arbeit geht; dann gehört es eben zum Gesinde, wie die Mutter auch.

Aber wo die Waarenproduktion und das reine Lohnverhältniß vorherrscht, da ist das Kind der Magd eine unerwünschte Last, deren man sich am liebsten entledigt, so gut man kann.

Wie die Zentralisation des Grundbesitz auf die Häufigkeit der unehelichen Geburten einwirkt, zeigen die Untersuchungen, die L. Fick in seinem Buche Die bäuerliche Erbfolge im rechtsrheinischen Bayern über die Häufigkeit der unehelichen Geburten unter der bayerischen Landbevölkerung anstellte.

„Wenn wir die Bezirksämter“, sagt er S. 307, „nach der Anzahl der in ihnen vorkommenden außerehelichen Geburten zusammenfassen, so erhalten wir folgendes Resultat, das für die Beurtheilung des Zusammenhanges zwischen Grundbesitzvertheilung und unehelichen Geburten von Interesse ist:

 

Von 100 Geburten
sind unehelich

Von 100 Einwohnern
haben Grundbesitz

Gruppe I

  3,4–  5

28,2

Gruppe II

  5,1–10

20,2

Gruppe III

10,1–15

17,0

Gruppe IV

15,1–20

15,5

Gruppe V

20,1–25

13,3

Gruppe VI

25,1–30

14,9

Nicht viel bessere Bedingungen für die Aufziehung einer Nachkommenschaft bieten die freien Taglöhner ohne eigenen Haushalt, die Einlieger.

Es sind die Besitzer (oder Pächter) der kleinen Betriebe, die eine selbständige Haushaltung mit selbständiger Landwirthschaft verbinden, in denen sich auf dem Lande die besten Bedingungen für die Aufziehung eines zahlreichen arbeitsfähigen Nachwuchses finden. Sie liefern nicht blos genug Arbeitskräfte für sich selbst, sondern auch noch einen Ueberschuß. Entweder dadurch, daß sie als Häusler, deren Landwirthschaft sie nicht völlig in Anspruch nimmt, selbst als Taglöhner im Großbetrieb arbeiten, oder aber dadurch, und das thun sie alle, ob Häusler oder Bauern, daß sie in ihren Kindern einen Ueberschuß von Arbeitern liefern, die in der Familienwirthschaft nicht Raum finden, die dem Großbetrieb als Gesinde oder Taglöhner zur Verfügung stehen.

Diese Produktionsstätten neuer Arbeitskräfte verringern sich immer mehr dort, wo der Großbetrieb vorschreitet und den Kleinbetrieb verdrängt. Durch das Bauernlegen vermehrt der Großbetrieb sein Land, vermindert aber die Leute, die es bebauen sollen. Das allein schon bewirkt, daß er, bei aller technischen Ueberlegenheit, nie dazu gelangen kann, in einem Lande allein zu herrschen. Der große Grundbesitz mag alle freien Bauern verjagen, ein Theil von ihnen wird immer wieder seine Auferstehung feiern als kleine Pächter. Auch die Alleinherrschaft des Großgrundbesitzes kann nicht zur Alleinherrschaft des Großbetriebs führen.

Selbst in Großbritannien waren 1895 von 520.106 nicht weniger als 117.968 Farmen unter 5 Acres, 149.818 umfaßten 5–20 und 185.663 20–50 Acres. Also die große Mehrzahl Kleinbetriebe.

Wo der Kleinbetrieb zu weit zurückgedrängt ist, da wird der Großbetrieb immer weniger rentabel und fängt an, zurückzugehen. Eine derartige Erscheinung macht sich heute vielfach bemerkbar; sie veranlaßt bereits eine Reihe hervorragender landwirthschaftlicher Theoretiker, „das nahende Ende des landwirthschaftlichen Großbetriebs“ zu verkünden. Das heißt jedoch das Kind mit dem Bade ausschütten. Unter manchen Umständen wird sicher der Mangel an Arbeitskräften zum Rückgang des Großbetriebs und zur Vermehrung der Kleinbetriebe führen entweder in der Weise, daß der Großgrundbesitzer oder Großbauer einen Theil seines Besitzes parzellirt, um die einzelnen Stücke an kleine Landwirthe zu verkaufen oder zu verpachten, oder in der Weise, daß ganze große Besitzungen freiwillig verkauft oder subhastirt und in kleine Besitzungen zerschlagen werden.

Aber wie die Verdrängung des Kleinbetriebs durch den Großbetrieb, setzt auch der umgekehrte Prozeß sich selbst seine Schranken. In dem Maße, in dem die Zahl der kleinen Landwirthe neben den großen wächst, vermehrt sich auch die Zahl der Arbeitskräfte, die dem Großbetrieb zur Verfügung stehen, und wächst damit die Lebensfähigkeit des letzteren, sowie seine Ueberlegenheit über den Kleinbetrieb. Wo neben dem Großbetrieb viel Kleinbetrieb sich gebildet, da muß wieder die Tendenz zum Vordringen des Großbetriebs erstehen – natürlich, so weit nicht störende Momente, z. B. die Verpflanzung einer großen Industrie aufs flache Land, eine Gegenwirkung ausüben. Wir haben in der kapitalistischen Produktionsweise ebenso wenig das Ende des landwirthschaftlichen Großbetriebs als das Ende des Kleinbetriebs zu erwarten.

Das widerspricht durchaus nicht dem „Marxschen Dogma“. Vielmehr hat Marx das frühzeitig erkannt. Im 4. Heft der Revue Neue Rheinische Zeitung (1850) besprach er eine Schrift Emils de Girardin: Le socialisme et l’impôt in der dieser eine Kapitalsteuer vorschlug, die unter Anderem

„die Kapitalien von wenig einträglichem Grund und Boden zu einträglicherer Industrie hinüberziehen, die Bodenpreise zum Fallen bringen, die Konzentrirung des Grundbesitzes, die große englische Kultur und damit die ganze entwickelte englische Industrie nach Frankreich verpflanzen würde“.

Marx weist demgegenüber darauf hin, daß

„nicht durch Wegziehen des Kapitals vom Ackerbau, sondern im Gegentheil durch Hinüberwerfen des industriellen Kapitals auf den Grund und Boden die englische Konzentration und der englische Ackerbau zu Stande gekommen“,

und fährt fort:

„Die Konzentration des Grundeigenthums in England hat ferner ganze Generationen der Bevölkerung vollständig weggeschwemmt. Dieselbe Konzentration, zu der die Kapitalsteuer durch schnelleren Ruin der Bauern allerdings beitragen muß, würde in Frankreich diese große Masse der Bauern in die Städte treiben und die Revolution nur um so unvermeidlicher machen. Und endlich, wenn in Frankreich die Umkehr aus der Parzellirung zur Konzentration schon angefangen hat, so geht in England das große Grundeigenthum mit Riesenschritten seiner abermaligen Zerschlagung entgegen und beweist unwiderleglich, wie der Ackerbau sich fortwährend in diesem Kreislauf von Konzentrirung und Zersplitterung des Bodens bewegen muß, so lange die bürgerlichen Verhältnisse überhaupt fortbestehen.“

Dieser Kreislauf äußert sich allerdings keineswegs so rasch und so schroff, wie Marx dies 1850 hinstellte, wo er noch mit der Energie und dem Tempo einer raschen revolutionären Entwicklung rechnete; der Aufschwung der Technik und der Wissenschaft haben die Tendenz zur Vergrößerung der Betriebe in England länger wirken lassen, als Marx erwartete; erst jüngst ist sie im Stocken gekommen. Auf der anderen Seite haben sich Gegentendenzen entwickelt, die wir noch kennen lernen werden und die der Konzentration eines zersplitterten Grundbesitzes entgegenwirken.

Aber die Tendenz, auf die Marx hier hingewiesen, besteht und macht sich überall geltend, wo Konzentration oder Zersplitterung ein gewisses Maß überschreiten.

Der Mehrzahl der bürgerlichen Oekonomen erscheint denn auch eine Mischung von großen und kleinen Betrieben in der Landwirthschaft als der wünschenswertheste Zustand. Für die völlige Verdrängung des Großbetriebs durch den kleinen erwärmen sich nur einige kleinbürgerliche Demokraten und Sozialisten.

„Schon Friedrich List und nach ihm v. Schütz, v. Rumohr, Bernhardi, Hanssen, Roscher und viele Andere haben es ausgesprochen, daß das Ideal der Grundeigenthumsvertheilung unter den gegebenen Verhältnissen – Herrschaft des Privateigenthums und System der freien Konkurrenz – in einer richtigen Mischung von großen, mittleren und kleinen Gütern besteht, so daß die großen Güter gleichsam die Spitze der Pyramide und die kleinen die Basis derselben bilden.“ (A. v. Miaskowski, Das Erbrecht und die Grundeigenthumsvertheilung im Deutschen Reich, S. 108. In gleichem Sinne spricht sich erst jüngst wieder Buchenberger in seiner neuesten Schrift, Grundzüge der Agrarpolitik, aus.)

Der Großgrundbesitz, so sagen diese Oekonomen alle, ist unentbehrlich als Träger des technischen Fortschritts und der rationellen Bodenkultur. Der Großbauer erscheint hauptsächlich wünschenswerth aus politischen Gründen – er und nicht der Kleinbauer ist der feste Hort des Privateigenthums; dabei ist sein Betrieb dem des Kleinbauern weit überlegen. Diesen aber braucht man als besten Lieferanten von Arbeitskraft. Allenthalben, wo der Großbetrieb die kleinen Betriebe zu sehr verdrängt, streben weitersehende konservative Politiker und Großgrundbesitzer jetzt selbst dahin, die Letzteren durch staatliche und private Maßnahmen wieder zu vermehren.

„In allen europäischen Ländern“, schreibt Sering im Handwörterbuch der Staatswissenschaften (1. Supplementband) „mit stark entwickeltem Großgrundbesitz macht sich neuerdings unter dem Druck der gewerblichen Umwälzungen, der übermäßigen Abwanderung der Landarbeiter in die Industrialbezirke, der landwirthschaftlichen Krise und Schuldennoth eine starke Bewegung geltend, welche durch planmäßige Begründung neuer und die Erweiterung von zu kleinen alten Bauernstellen den ländlichen Mittelstand mehren, die Landarbeiter durch Verleihung von Bodenbesitz seßhaft machen will. Fast gleichzeitig haben Deutschland, England und Rußland entsprechende Gesetze erlassen, in Italien und Ungarn steht ähnliches in Aussicht.“

Für Preußen kommen hier in Betracht die Gesetze von 1886 über die Beförderung deutscher Ansiedlungen in Posen und Westpreußen und die von 1890 und 1891 über die Bildung von Rentengütern mit Hilfe des Staatskredits und der Staatsmacht.

„Man kann annehmen“, sagt Sering über die Erfolge dieser Gesetzgebung, „daß durch die Rentengutsbildungen schon jetzt eine ebenso große Fläche an den Bauernstand zurückgefallen ist, wie er im Laufe dieses Jahrhunderts im Wege des freien Güterverkehrs an den Großgrundbesitz verloren hat (in den 6 östlichen Provinzen rund 100.000 Hektar).“

Diese künstliche Neuschaffung von Kleinbetrieben mußte dem Großgrundbesitz nicht etwa wider seinen Willen aufgedrängt werden. Nein, sie ist das Werk einer Regierung und eines Parlaments, denen nichts mehr am Herzen liegt, als das Wohl des Junkerthums.

„Der Großgrundbesitzer erzielt die höchsten Roh- wie Reinerträge“, sagt v. d. Goltz „,wenn er kleinere und mittlere Grundbesitzer, welche ihm Arbeitskräfte liefern und sichere Abnehmer für die von ihm im Ueberfluß erzeugten Produkte sind, in großer Zahl neben und um sich wohnen hat.“ (Handbuch der Landwirthschaft, I, S. 649)

Aus alledem ergiebt sich’s, daß nicht daran zu denken ist, der kleine Grundbesitz werde in der heutigen Gesellschaft verschwinden und völlig von dem Großbesitz verdrängt werden. Wir haben ja gesehen, daß, wo die Konzentration des Grundbesitzes zu weit fortgeschritten, die Tendenz zur Zersplitterung einsetzt, und daß Staat und Großgrundbesitzer selbst nachhelfen, wenn diese zu großen Hindernissen begegnet.

Aber gerade diese Bestrebungen des Großgrundbesitzes zeigen uns, daß nichts verkehrter ist, als die Ansicht, die Erhaltung des Kleinbetriebs sei eine Folge seiner Konkurrenzfähigkeit dem Großbetrieb gegenüber. Sie ist vielmehr eine Folge davon, daß er aufhört, ein Konkurrent des letzteren zu sein, daß er aufhört, als Verkäufer jener landwirthschaftlichen Produkte, die der Großbetrieb neben ihm erzeugt, in Betracht zu kommen. Diese Rolle hört er auf zu spielen, wo der kapitalistische Großbetrieb neben ihm sich entwickelt. Da verwandelt er sich aus einem Verkäufer in einen Käufer der Produkte, die der Großbetrieb „im Ueberfluß erzeugt“; die Waare, die er selbst im Ueberfluß erzeugt, ist aber gerade jenes Produktionsmittel, dessen der Großbetrieb dringend bedarf, die Waare Arbeitskraft.

Wo die Dinge so weit gediehen sind, da schließen Großbetrieb und Kleinbetrieb in der Landwirthschaft einander nicht aus, da bedingen sie einander, wie Kapitalist und Proletarier, da nimmt aber auch der kleine Landwirth immer mehr den Charakter des Letzteren an.


Zuletzt aktualisiert am: 25. April 2019