Karl Kautsky

Wie der Weltkrieg entstand


3. Deutsche Provokationen


Zunächst freilich bedeutete die deutsche Politik noch nicht den Krieg Deutschlands gegen die ganze Welt, wohl aber die Gefahr eines solchen Krieges. Je stärker die Einkreisung, je größer die hoHerung Deutschlands, desto dringender heischte daher sein eigenes Interesse, daß es jede Provokation unterließ, die es in einen Krieg verwickeln konnte.

Ein Marxist, der da behauptet, der Imperialismus hätte auf jeden Fall den Krieg gebracht, wie immer die deutsche Politik war, erinnert an einen Verteidiger dummer Jungen, die sich damit vergnügten, brennende Zündhölzer in ein Pulverfaß zu werfen. Nicht die Jungens, meint der Verteidiger entschuldigend, hätten die zerstörende Explosion verschuldet, die ihrem Treiben folgte; Schuld sei das Vorhandensein des Pulvers im Faß. Wäre Wasser drin gewesen, hätte nichts passieren können. Stimmt. Nur wußten in unserem Falle die Jünglinge, daß Pulver im Faß war, ja, sie hatten selbst einen recht erheblichen Teil davon hineingetragen,

iMan kann sagen, daß die Provokationen aus Deutschland um so zahlreicher wurden, je größer seine Isolierung und je bedrohlicher die Gefahr des Weltkrieges.

Gerade die wachsende Gefahr vermehrte die Erbitterung auf beiden Seiten, im Auslande, wie in Deutschland, sie bildete einen neuen Antrieb zur Vermehrung der Rüstungen und damit zum Erstarken der kriegerischen Elemente. Sie vermehrte in verhängnisvoller Weise die Zahl derjenigen, die den Krieg für imvermeidlich hielten, und daher beinahe drängten, daß er bei günstiger Gelegenheit vom Zaune gebrochen werde als Präventivkrieg, wenn die Umstände das eigene Land begünstigten und die Gegner hemmten.

In Deutschland wuchs aber auch mit der Kriegsrüstung das Vertrauen zu ihrer Kraft, machte sich in vielen Kreisen ein wahrhafter Größenwahn geltend, der sich stützte auf die preußische Kriegsgeschichte, die seit anderthalb Jahrhunderten mit Ausnahme Jenas fast nur Siege zu verzeichnen hatte.

Namentlich die alldeutschen Kreise konnten sich in provokatorischen Äußerungen nicht genug tun. Sie erhielten ernsthafte Bedeutung dadurch, daß die Kreise des Alldeutschtums den entschiedensten Teil gerade jener gesellschaftlichen Schichten darstellten, die Deutschland beherrschten und denen seine Regierung entsprang. Das Übel wurde noch verstärkt durch die Persönlichkeit des Kaisers, der durch und durch militärisch denkend, dabei oberflächlich und maßlos eitel, auf Theatereffekte erpicht, vor den herausforderndsten Gesten und Reden nicht zurückschreckte, wenn er glaubte, damit seiner Umgebung zu imponieren.

Wir haben schon gesehen, daß er in den Tagen der ersten Haager Friedenskonferenz im Gegensatz zu Schiedsgerichten und Abrüstung ein scharf geschliffenes Schwert für die beste Friedensgarantie erklärt.

Ein Jahr darauf proklamiert er vor den nach China ziehenden Truppen in Bremerhaven, 27, Juli 1900, folgende schönen Grundsätze der Kriegführung:

„Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht ... so möge der Name Deutscher jetzt in China auf tausend Jahre in einer Weise betätigt werden, daß es niemals ein Chinese wieder wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.“

Wenn später im Weltkriege die Art der deutschen Kriegführung auf ein bei kaltem Blut ersonnenes System von Grausamkeit zurückgeführt wurde, das den Deutschen den Namen von Hunnen eintrug, darf sich das deutsche Volk dafür bei seinem Kaiser bedanken.

Wurde durch solche Äußerungen der Abscheu vor dem deutschen Volke bei allen human denkenden Menschen großgezogen, so trug Wilhelm gleichzeitig keine Bedenken, auch den Imperialisten des Auslandes die Fehde anzusagen. Den Anfang machte 1896 das Telegramm an den Burenpräsidenten Krüger, in dem Wilhelm in dem beginnenden Konflikt zwischen England und den Buren offen diese seiner Freundschaft versicherte.

Bald darauf, 1898, proklamierte er sich als den Schutzpatron der 300 Millionen Mohammedaner der Erde. Das galt denen des von Frankreich beherrschten Algier ebenso wie den unter englischer Herrschaft in Ägypten und Indien lebenden, den Mohammedanern in Rußland und den von diesem Staate bedrohten Mohammedanern der Türkei.

Es war nur eine Fortsetzung dieser herausfordernden Politik, wenn Wilhelm, als Frankreich begann, Interesse für Marokko zu betätigen, 1905 in Tanger dem Sultan von Marokko seinen Schutz gegen jedermann zusagte, der seine Unabhängigkeit bedrohe, und später, 1911, ebenfalls um des gleichen Streitgegenstandes willen, plötzlich ein Kriegsschiff vor den marokkanischen Hafen Agadir schickte.

Beidemale ward so der Weltfriede in Frage gestellt. Die Sache wurde nicht besser dadurch, daß Wilhelm jedesmal, wenn es galt, die Drohung wahr zu machen, die Courage verlor und diejenigen im Stiche ließ, die er seines Schutzes versichert hatte. So den Sultan von Marokko und besonders würdelos die Buren. Das trug nur dazu bei, daß sich zum Haß noch die Mißachtung gesellte.

Bei diesen Konflikten waren es auf beiden Seiten Imperialisten, die gegeneinander standen. Bei dem Kampf des großen England gegen die kleinen Burenrepubliken hatte sich die öffentliche Meinung der ganzen zivilisierten Welt einmütig auf die Seite der Kleinen, und Schwachen gestellt. In den Marokkokonflikten waren die Arbeiter Deutschlands wie Frankreiciis in vollster Übereinstimmung ihren Regierungen entgegengetreten und hatten damit nicht wenig zur Erhaltimg des bedrohten Weltfriedens beigetragen. Durch diese Haltung des sozialistischen Proletariats wurde das Unberechenbare, Sprunghafte, Provokatorische der deutschen Weltpolitik etwas gemildert.


Zuletzt aktualisiert am: 25.11.2008