Bismarck u. Lassalle: Briefwechsel

 

Lassalle an das Gesamtministerium

(Original) [1]

 

Berlin, 7. Februar 1864.
Potsdamer Str. 13.

An das hohe Gesammt-Ministerium des Staates.
Recurs an das Hohe Gesammtministerium von drei Verfügungen
Sr. Excellenz des Herrn Justizministers Grafen von Lippe.

Hohes Staatsministerium

Ich erlaube mir ein Hohes Gesammtministerium des Staats mit der gegenwärtigen, zu den Händen seines Vorsitzenden, Sr. Excellenz des Ministerpräsidenten Herrn von Bismarck eingereichten Beschwerde, über eine Verfügung Sr. Excellenz des K. Justizministers vom 31. Januar zu befassen.

Der Tatbestand. welcher meiner Beschwerde zugrunde liegt, ist in meinen drei Eingaben an Sr. Excellenz den Justizminister (Anlage A, C und E) sowie in den drei bescheiden desselben, (Anlage B, D und F) enthalten:

Es geht daraus hervor, daß in einer Sache, welche der Praxis nach sich in eine Geldstrafe von 50 Rt. aufzulösen pflegt, ein Instruktionsrichter zu Düsseldorf statt mich, wie dies allgemein üblich, durch Requisition der Gerichte in meinem Domizil vernehmen zu lassen, einen Vorführungsbefehl nach Düsseldorf gegen mich erlassen hat.

Gegen diesen Vorführungsbefehl richtete ich die Eingabe vom 20. Januar an den K. Justizminister (Anlage A) und erhielt darauf den sub B vorliegenden Bescheid desselben vom 24. Januar.

Selbst dieser Bescheid ist bereits zweifelhafter Natur.

Ich will davon absehen, daß man sagen könnte: Der Justizminister ist höchste, prozeßleitende Behörde im Staat, eine Stellung, welche er allerdings in Frankreich nicht hat und die ihm durch das französische Gesetz nicht übertragen ist.

Steht aber erst fest, daß er diese Stellung zum Preußischen Gesammtstaat einnimmt, so befinden sich im System der Rheinischen Provinzialgesetzgebung keine zwingenden negativen Bestimmungen, welche ihn nötigen, diese seine Stellung zum Preußischen Gesammtstaat für das Rheinland blos deshalb aufzugeben, weil sie ihm durch das Rheinische Provinzialgesetz nicht übertragen ist, wenn dies auch einer vielverbreiteten Ansicht entspricht.

Ich sehe inzwischen von jeder Diskussion dieser Ansicht ab.

Aber der Justizminister selbst schließt seinen Bescheid mit den Worten: „Nach dem von Ihnen selbst bezogenen Art. 57 der Kriminolprozeßordnung steht der Instruktionsrichter zunächst unter der Aufsicht des Generalprokurators, und es muß Ihnen überlassen bleiben, Ihre Beschwerde bei diesem einzureichen oder die geeigneten Rechtsmittel gegen die Verfügung des Instruktionsrichters zu ergreifen.“

Dieser Anweisung kam ich nun nach, unter ausführlicher rechtlicher und tatsächlicher Begründung an den K. Generalprokurator zu Köln einen Antrag auf:

Aufhebung des Vorführungsbefehls und Anordnung meiner requisitorischen Vernehmung zu Berlin richtend.

Den rekommandierten Postschein über diesen an den K. Generalprokurator ergriffenen Rekurs sandte ich mit meiner Eingabe vom 28. Januar (Anlage C) an Sr. Excellenz den Justizminister nunmehr auf Grund jenes Rekurses.

Sistierung der Ausführung des Vorführungsbefehls bis zur definitiven Entscheidung über meinen Rekurs begehrend.

Hierauf aber empfing ich wiederum den sub D. beigefügten abschläglichen Bescheid des Herrn Justizministers vom 31. Januar, und dieser Bescheid ist es zunächst, welchen ich durch den gegenwärtigen Rekurs an das Gesammtministerium angreife.

Dieser Bescheid ist nämlich keinesfalls mehr begründet, und es wird auch leicht sein, dies darzutun.

1. Ist dies schon durch die eben citierten Worte des Herrn Justizministers in seinem ersten Bescheide vom 24. Januar bewiesen. Der Herr Justizminister verweist mich in demselben ausdrücklich auf den ordentlichen Rekurs an den K. Generalprokurator, als der kompetenten Behörde. Derselbe mußte daher auch stellende, suspendierende Wirkung haben.

Zwischen dem 24. und dem 31. Januar muß der Herr Justizminister seine Ansicht aber gänzlich geändert haben. Hatte der ordentliche Rekurs an den K. Generalprokurator keine suspendierende Kraft, so verlieren die angezogenen Schlußworte in dem Bescheide des Herrn Justizministers vom 24. Januar allen und jeden Sinn.

2. Aber auch abgesehen von dem Bescheid des Herrn Justizministers vom 24. Januar wird es leicht sein, die Begründung meines Anspruchs und die irrige Ansicht, welche dem Bescheide des Herrn Justizministers vom 31. Januar zugrunde liegt, darzutun.

Es ist eine ganz irrige Ansicht, daß ich, wie der Bescheid vom 31. Januar meint, selbst noch in meiner Eingabe vom 28. Januar von dem Herrn Justizminister ein „Eingreifen in den geschlichen Gang der Untersuchung“ verlange.

Dies ist durchaus nicht der Fall. Alles, was ich daselbst verlange, ist der gesetzliche Suspensiveffekt, welchen der Natur der Sache gemäß mein Regreß an die kompetente Behörde, den K. Generalprokurator in Köln haben muß.

Die Kompetenz des Generalprokurators steht durch Art. 57 des code d’instruction criminelle fest, welcher verordnet:

Les juges d’instruction seront quant aux fonctions de police judiciaire sous la surveillance du procureur-général.

Und ebenso Artikel 279 code d’instruction criminelle:

Tous les officiers die police judiciaire, même les juges d’instruction, sont soumis à la surveilance du procureur-général.

Und der ministerielle Bescheid vom 24. Januar hat diese Kompetenz im vorliegenden Falle selbst anerkannt. Steht aber diese Kompetenz erst fest, so muß der an diese kompetende Behörde eingelegte Rekurs auch noch Analogie aller gesetzlichen Regeln Suspensiveffekt haben.

Ich bemerke ausdrücklich, daß dies bereits eintreten muß, wenn auch nur die generelle Kompetenz des Generalprokurators feststeht. Die Frage, ob der K. Generalprokurator sich für befugt erachten würde, jene generelle Kompetenz, die ihm die angezogenen Gesetzartikel in bezug auf den Instruktionsrichter einräumen, auf die Aufhebung eines Vorführungsbefehls zu erstrecken, mußte der Entscheidung des Generalprokurators überlassen bleiben, wie es stets Sache der generell kompetenten Behörde ist, die Grenze ihrer Befugnis zu bestimmen. Diese Bemerkung überhebt mich eigentlich vollkommen der Notwendigkeit, die Befugnis des Generalprokurators zu der bestimmten Maaßregel, zu welcher ich ihn angerufen habe, zu diskutieren.

In Kürze mag dies gleichwohl geschehen.

Selbst im Falle eines Verhaftbefehls würde man nach den angeführten Artikeln nicht mit Fug bezweifeln können, daß – so wenig dies auch mit gewissen gang und gäben Irrtümern übereinstimmt – ein Rekurs vom instruktionsrichterlichen Verhaftsbefehl an den K. Generalprokurator und resp. von diesem an den Justizminister, als die höchste vorgesetzte Behörde, zulässig ist.

Und ich muß gestehen, daß es mich befremdet, zu sehen, wie bei dieser Gelegenheit der Herr Justizminister sich selbst alle Kompetenz für solche Fälle, deren sehr wichtige und nicht vorherzusehende eintreten könnten, abspricht!

Inzwischen der hier qu. Fall steht noch bei weitem günstiger, als der Fall eines Verhaftsbefehls.

Und zwar aus zwei Gründen:

a. Der Rheinische Vorführungsbefehl gegen einen Beschuldigten zum Zweck seiner Vernehmung kann nicht mit denselben Gründen, wie ein Verhaftsbefehl für eine richterliche Handlung ausgegeben werden, wenn er auch ziemlich allgemein irrig als solche betrachtet wird.

Als eine richterliche Handlung kann bei der richtigen Betrachtung nach Rheinischem System nur eine solche gelten, die irgend welche Elemente einer Entscheidung, eines Urteilens, wenn auch eines ganz vorläufigen und provisorischen, in sich trägt.

Gegen jede solche richterliche Handlung des Instruktionsrichters muß dann auch Berufung an das Gericht zulässig sein.

Und so kann in der Tat, wenn ein Instruktionsrichter einen ungesetzlichen Verhaftsbefehl erlassen hat, die Ratskammer um Aufhebung desselben angegangen werden, s. Art. 128 code d’instruction criminelle.

Bei einem Vorführunusbefehl kann sie dies nicht, vergl. von Daniels, Grundsätze des Rheinischen Strafverfahrens, Seite 61: „Sie (die Ratskammer) ist weder Instanz bei Beschwerden gegen Handlungen des Untersuchungsrichters, noch Behörde zur Einwirkung auf den Gang der Untersuchung durch Zwischenverfügung.“

Alle Maaßregeln aber, welche keinerlei Elemente eines Urteilens in sich tragen und deshalb auch nicht der Kompetenz des Gerichts unterliegen – wie die Vorführung des Beschuldigten zum Zweck der Vernehmung – charakterisieren sich hierdurch als die Fuktion eines Beamten der police judiciaire im Instruktionsrichter entflossen, welche derselbe mit seiner Richtereigenschaft verbindet und in Bezug auf welche er unter den K. Generalprokurator gestellt ist. –

Diese Ansicht, von der ich weiß, daß sie keineswegs die Gunst der herrschenden Meinung für sich hat, ist gleichwohl allein die richtige.

Merlin sagt (Répert. To.XIX pag.239, v. mandat d’amener) vom mandat d’amener – und ebenso vom mandat d’arrêt – „c’est un acte par lequel un officier de police judiciaire enjoint au prevenu d’un crime ou d’un délit de comparaître, soit devant lui, soit devant un autre officier de la même qualité.“ Merlin also, der scharfsinnigste französische Jurist, weiß daran festzuhalten, daß das mandat d’amener – und er behauptet dasselbe sogar vom Verhaftsbefehl – der Eigenschaft eines Beamten der police judiciaire im Instruktionsrichter entflossen ist, wonach er also in bezug auf diesen Akt nach den obigen Gesetzartikeln unter der Kompetenz des Generalprokurators steht.

b. Ein mehr auf der Hand liegender Unterschied und Grund ist folgender:

Der Verhaftsbefehl ist eine provisorische Maaßregel, weshalb bei ihm keinesfalls ein Suspensiveffekt infolge eines Rekurses eintreten könnte.

Die Anordnung einer Vernehmung aber, und einer Vorführung zu diesem Zwecke ist eine definitive Maaßregel, die durch die bewirkte Vernehmung erschöpft ist. Ist aber gegen eine definitive Maaßregel der Rekurs an eine kompetente Behörde ergriffen worden, so folgt aus allen elementaren Rechtsregeln und der Analogie aller sonstigen Vorschriften von selbst, daß die Vollziehung der definitiven Maaßregel bis zur Entscheidung der angerufenen kompetenten Behörde suspendiert sein muß, weil sonst nicht res integra bleibt.

Wenn ich am 31. Januar zwangsweise zur Vernehmung nach Düsseldorf abgeführt werde, so kommt eine etwa am 10. Februar erlassene Verfügung des K. Generalkurators, daß das mandat d’amener aufzuheben sei und meine Vernehmung requisitorisch in Berlin erfolgen solle, genau so zurecht, wie die Kassation eines Todesurteils nach der Köpfung des Verurteilten.

Die lnhibierung also, die ich durch meine Eingabe vom 28. Januar von dem Herrn Justizminister verlangte, war nicht ein außergeseetziches Eingreifen, sondern nur der regelmäßige, gesetzliche Suspensiveffekt für den Rekurs gegen eine definitive Maaßregel an die kompetente Behörde.

Indem der Herr Justizminister mir diesen Suspensiveffekt versagte, hat er sogar in den gesetzlichen Gang der Sache eingegriffen, er hat der zunächst allein kompetenten Entscheidung des K. Generalprokurators vorgegriffen, indem er sie durch Versagung des Suspensiveffekts illusorisch machte.

3. Jedenfalls aber ist der dritte Bescheid des Herrn Justizministers vom 5. Februar d.J. nicht aufrecht zu halten.

Nach dem Bescheide des Herrn Justizministers vom 31. Januar nämlich und da ich voraussah, daß auch der K. Generalprokurator bei der im Rheinland vorherrschenden Interpretation sich nicht für befugt erachten würde, den instruktionsrichterlichen Vorführungsbefehl aufzuheben. entschloß ich mich, den ordentlichen Rechtsweg gegen diesen einzuschlagen, indem ich von dem Vorführungsbefehl, auf dessen Aufhebung antragend, an den Anklagesenat des Rheinischen Appellationsgerichtshofes in Köln appellierte.

Den rekommandierten Postschein über diesen Rekurs übersandte ich von neuem dem Herrn Justizminister (Anlage E) auf Erteilung des erforderlichen Suspensiveffekts [Inhibitoriums) bis zur Entscheidung des Rheinischen Anklagesenats über den Vorführungsbefehl antragend.

Und gleichwohl erhielt ich hierauf die wiederum negative Verfügung vom 5. Februar (Anlage F).

Daß diese nicht mehr begründet ist, darüber kann nicht mehr der Schatten eines Zweifels obwalten!

Um dies zu beweisen, handelt es sich zuvor nur zu beweisen, daß der Anklagesenat das zur Aufhebung des Vorführungsbefehls kompetente Gericht ist. Das kann aber schlechterdings nicht bestritten werden, schon aus dem Grunde, weil es die Ratskammer nicht ist, (siehe oben von Daniels) und der Instruktionsrichter unmöglich souverän hierbei sein kann.

Dies sind auch die eigenen Worte Merlins (Repert. To.XIX p.127 v. juge d’instruction). Darüber zu erkennen, sagt er, ist „nécessairement à la première (à la chambre d’accusation) si ce n’est pas à la seconde (à la chambre de conseil) car le juge d’instruction n’est en aucun cas investi par la loi de prononcer souverninement.“

Dasselbe ist aber auch bereits von dem Kassationshof von Paris durch Urteil vom 1. August 1822 entschieden worden. Der Kassationshof entschied in diesem Urteil ausdrücklich: „que cependant les actes faits dans l’exercisc du pouvoir discrétionnaire de ce juge, ne sont point affranchis par la loi de tout recours par voie d’opposition ou d’appel; mais que ces actes ne peuvent être ainsi attaqués que devant la chambre des mises en accusation de la cour royale du ressort.“

Die Befugnis des Anklagesenats, den instruktionsrichterlichen Vorführungsbefehl auf eingelegten Appell aufzuheben, ist also durch dieses Kassationsurteil ausdrücklich festgestellt und nicht zu bestreiten.

Ist dies aber der Fall, so muß die Appellation auch den Suspensiveffekt haben, den jede Appellation hat und den sie hier vor allem haben muß, da sie sonst gegenstandslos würde.

Wie also hier der Herr Justizminister noch von einem „Eingreifen“ in den gesrtzlichen Gang sprechen kann ist nicht abzusehen, da ich nur die Erfüllung des gesetzlichen Ganges, die Bescheinigung des gesetzlichen Suspensiveffektes der Appellation in dem Inhibitorium verlange.

Vielleicht soll der betreffende Satz den Sinn haben, daß es nicht Sache des Herrn Justizministers sei, diesen Suspensiveffekt zu bescheinigen. Dies wäre im Rheinland ganz richtig. Dort würde der an den Anklagesenat eingelegte Appellakt hinreichen, um jeden Oberprokurator, der mich infolge des instruktionsrichterlichen Vorführungsbefehls nach Düsseldorf abführen lassen wollte, zur Stellung zu veranlassen.

Die Berliner Behörden sind aber weder verpflichtet noch in der Lage, das französische Gesetz zu kennen. Ich kann dies von dem hiesigen Polizeipräsidenten keineswegs verlangen. Die einzige Behörde, welche hier das französische Gesetz kennen muß, ist der Justizminister.

Es ist also ganz in der Ordnung, daß der Herr Justizminister, durch das Inhibitorium den der requirierten Behörde unbekannten Suspensiveffekt bescheinigt, den mein Appell an den Rheinischen Anklagesenat haben muß.

Ich erlaube mir daher, auf die vorhergehende Ausführung gestübt, die beiden folgenden Anträge an das hohe Staatsministerium zu richten:

I. Es möge dem hohen Staatsministerium gefallen, die Inhibierung des gedachten Vorführungsbefehles zu verordnen. bis über meinen Rekurs an den Rheinischen Anklagesenat definitiv entschieden sein wird.

II. Und es möge – da es bis zur Entscheidung des hohen Staatsministeriums, wie natürlich, einige Zeit dauern kann – dem hohen Staatsministerium resp. seinem Vorsitzenden, dem Herrn Ministerpräsidenten von Bismarck gefallen, die gedachte Inhibierung bis zur Entscheidung des hohen Staatsministeriums hierüber verfügen zu wollen.

Ich bemerke noch, daß ich ein dringendes Interesse an diesen beiden Maaßregeln habe, da augenblicklich meine Abführung nach Düsseldorf meines Gesundheitszustandes halber nicht bewerkstelligt werden konnte, eben deshalb aber, falls dieser tatsächliche Hinderungsgrund fortfiele, die gedachte Maaßregel wieder zur Ausführung kommen kann.

Mit ausgezeichneter Hochachtung eines hohen Staatsministerii
ergebenster
F. Lassalle.

 

Anmerkung

1. Von Schreiberhand. Mit Überschrift und Unterschrift vom Lassalle.

 


Zuletzt aktualisiert am 16.10.2004