Karl Kautsky

Der Ursprung des Christentums


II. Die Gesellschaft der römischen Kaiserzeit


2. Das Staatswesen


a. Staat und Handel

b. Patrizier und Plebejer

c. Der römische Staat

d. Der Wucher

e. Der Absolutismus


a. Staat und Handel

Neben der Sklaverei bestanden noch zwei große Ausbeutungsmethoden in der antiken Gesellschaft, die ebenfalls zur Zeit der Entstehung des Christentums ihren Höhepunkt erreichten, die Klassengegensätze aufs höchste verschärften, um dann den Niedergang der Gesellschaft und des Staates immer mehr zu beschleunigen: der Wucher und die Plünderung der unterworfenen Provinzen durch die erobernde Zentralgewalt. Beide Methoden hängen mit dem Charakter des damaligen Staatswesens aufs innigste zusammen, das überhaupt mit der Ökonomie so verquickt ist, daß wir seiner schon bei der Erörterung der Grundlage von Staat und Gesellschaft, der Produktionsweise, mehrfach gedenken mußten.

Vor allem müssen wir jetzt also den antiken Staat kurz kennzeichnen.

Die Demokratie des Altertums ist über den Rahmen der Stadtgemeinde oder der Markgenossenschaft nicht hinausgekommen. Die Markgenossenschaft wurde von einem oder mehreren Dörfern gebildet, die gemeinsam ein Gebiet besaßen und verwalteten. Dies geschah auf dem Wege der direkten Gesetzgebung durch das Volk, durch die Versammlung sämtlicher stimmfähigen Markgenossen. Das setzte bereits voraus, daß die Gemeinde oder Genossenschaft nicht ausgedehnt war. Ihr Gebiet durfte gerade nur so groß sein, daß es für jeden Genossen möglich war, von seinem Hof aus die Volksversammlung ohne übermäßige Mühe und Schädigung zu erreichen. Eine demokratische Organisation über diesen Rahmen hinaus zu entwickeln, war dem Altertum unmöglich. Es fehlten ihm dazu die technischen und ökonomischen Vorbedingungen. Erst der moderne Kapitalismus mit dem Buchdruck und dem Postwesen, mit Zeitungen, Eisenbahnen, Telegraphen hat die modernen Nationen nicht als bloße Sprachgemeinschaften, wie die alten, sondern als feste politische und ökonomische Organismen geschaffen. Das vollzog sich im wesentlichen erst im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts. Nur England und Frankreich waren durch besondere Verhältnisse in der Lage, früher schon Nationen im modernen Sinne zu werden und einen nationalen Parlamentarismus, die Grundlage einer Demokratie in einem weiteren Rahmen als dem der Gemeinde, zu begründen. Aber auch da wurde dies nur möglich durch die Führung zweier großer Gemeinden, London und Paris, und noch 1848 war die nationale, demokratische Bewegung vorwiegend die Bewegung einzelner überragender Gemeinden – Paris, Wien, Berlin.

Im Altertum mit seinem weit weniger entwickelten Verkehrswesen blieb die Demokratie auf den Rahmen der Gemeinde beschränkt. Wohl erreichte der Verkehr unter den Ländern am Mittelmeer schließlich, im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, eine ansehnliche Ausdehnung, so sehr, daß er dort zwei Sprachen zu internationaler Geltung brachte, das Griechische und das Lateinische. Aber das vollzog sich unglücklicherweise gerade zu der Zeit, wo die Demokratie und das politische Leben überhaupt ein Ende nahm – unglücklicherweise, aber nicht durch einen unglücklichen Zufall. Die Entwicklung des Verkehrs zwischen den Gemeinden war damals notwendigerweise an Bedingungen geknüpft, die auf die Demokratie tödlich wirkten.

Es ist nicht unsere Aufgabe, das an den Ländern des Orients darzutun, wo die auf die Gemeinde beschränkte Demokratie zur Grundlage für eine besondere Art des Despotismus wurde. Wir wollen hier bloß den besonderen Entwicklungsgang der hellenischen lind römischen Welt betrachten, und zwar nur an einem Beispiel, dein der Gemeinde Rom. Dieses zeigt die Tendenzen des antiken Entwicklungsganges besonders drastisch, weil er hier rascher und riesenhafter vor sich geht, als bei jeder anderen der Stadtgemeinden in der antiken Welt. Aber bei allen wirkten die gleichen Tendenzen, wenn auch vielfach schüchterner und kleinlicher.

Die Ausdehnung jeder Markgenossenschaft und Gemeinde hatte ihre engen Grenzen, über die sie nicht hinaus konnte, und die bewirkten, daß die verschiedenen Genossenschaften und Gemeinden einander ziemlich ebenbürtig blieben, solange die reine bäuerliche Wirtschaft herrschte. Es gab in diesem Stadium auch nicht viele Anlässe zu Eifersüchteleien und Kämpfen zwischen ihnen, da jede der Markgenossenschaften und Gemeinden im wesentlichen alles selbst produzierte, was sie brauchte. Höchstens mochte bei wachsender Bevölkerung Mangel an Boden eintreten. Aber die Zunahme der Bevölkerung konnte nicht zu einer Erweiterung der Markgenossenschaft führen. Diese durfte ja nicht so groß werden, daß nicht jeder Genosse die gesetzgebende Volksversammlung ohne übermäßige Mühe und Versäumnis für sich erreichen konnte. War wirklich aller kultivierbare Boden der Markgenossenschaft bebaut, dann machte sich die überschüssige kriegsfähige Jungmannschaft auf, um auszuwandern und eine eigene Markgenossenschaft zu gründen, entweder durch Vertreibung anderer, schwächerer Elemente, oder durch Niederlassung in Gegenden, in denen noch eine tiefere Produktionsweise herrschte und daher die Bevölkerung dünn war, es also noch Platz gab.

So blieben die einzelnen Gemeinden oder Markgenossenschaften einander ziemlich ebenbürtig. Aber das änderte sich, wenn neben der bäuerlichen Wirtschaft der Handel aufkam.

Wir haben schon gesehen, daß der Warenhandel sehr frühzeitig beginnt. Seine Anfänge reichen in die Steinzeit zurück. In Gegenden, wo manche sehr gesuchten Rohmaterialien leicht zu erlangen waren, die anderswo nur selten oder gar nicht vorkamen, lag es nahe, daß deren Bewohner mehr davon gewannen, als sie verbrauchten, auch in ihrer Gewinnung und Verarbeitung größere Geschicklichkeit erlangten. Die Überschüsse gaben sie dann gegen andere Produkte an ihre Nachbarn ab, die davon wieder manches weitergaben. Auf diesem Wege des Tauschhandels von Stamm zu Stamm konnten manche Produkte unglaublich weite Strecken zurücklegen. Die Vorbedingung dieses Handels war eine nomadische Lebensweise einzelner Horden, die bei ihrem Umherschweifen öfter aufeinander stießen und bei solchen Gelegenheiten ihre Überschüsse austauschten.

Diese Gelegenheiten nahmen ein Ende, wenn die Menschen seßhaft wurden. Aber das Bedürfnis nach dem Warenaustausch hörte darum nicht auf. Namentlich das Bedürfnis nach Werkzeugen oder dem Material, aus dem sie fabriziert wurden und das nur an wenigen Fundstätten zutage lag, das also meist nur durch Warenhandel zu erlangen war, mußte wachsen. Ihm zu genügen, mußte sich jetzt eine eigene Klasse von Nomaden bilden, die Kaufleute. Entweder waren es nomadische Stämme von Viehzüchtern, die sich jetzt darauf verlegten, mit ihren Lasttieren Waren von einer Landschaft, wo sie im Überfluß, also billig waren, zu anderen zu bringen, wo sie selten vorkamen und hoch im Preise standen, oder es waren Fischer, die sich mit ihren Fahrzeugen längs der Küsten oder von Insel zu Insel weiter wagten. Je mehr aber der Handel gedieh, desto mehr mochte er auch Ackerbauern veranlassen, sich mit ihm abzugeben. Indessen bewahrt der Grundbesitz in der Regel eine hochmütige Geringschätzung für den Handel, der römischen Aristokratie gilt wohl der Wucher, nicht aber der Handel für ein anständiges Gewerbe. Das hindert nicht, daß manchmal auch der Grundbesitz große Vorteile aus dem Handel zieht.

Dieser schlägt besondere Straßen ein, die lebhafter begangen werden. Gemeinden, die an solchen Straßen liegen, erhalten ihre Waren leichter als andere; und sie gewinnen in den Kaufleuten Abnehmer ihrer Produkte. Manche Punkte, die kein Abweichen von der Straße gestatten und nicht umgangen werden können, die dabei auch von Natur ans befestigt sind, erlauben es, daß ihre Bewohner und Herren, also ihre Grundbesitzer, die Kaufleute anhalten und schröpfen, ihnen Zölle auflegen. Andererseits gibt es Punkte, die zu Stapelplätzen werden, wo Waren umgeladen werden müssen, zum Beispiel Häfen oder Kreuzungspunkte von Straßen, wo Kaufleute in größeren Massen von den verschiedensten Seiten zusammentreffen und Waren oft längere Zeit lagern.

Alle derart von der Natur für den Handelsverkehr begünstigten Gemeinden wachsen notwendigerweise über das Maß einer bäuerlichen Gemeinde hinaus an. Und wenn die Bevölkerung einer bäuerlichen Gemeinde bald eine bestimmte Grenze in der Ausdehnung ihres Gebiets und dessen Fruchtbarkeit findet, so ist die Bevölkerung einer Handelsstadt von der Fruchtbarkeit ihres Gebiets unabhängig und kann weit darüber hinauswachsen. Besitzt sie doch in den Waren, über die sie verfügt, die Mittel, alles zu kaufen, was sie braucht, also auch Lebensmittel außerhalb der Mark zu erwerben. Mit dem Handel von Werkzeugen für die Landwirtschaft, von Rohmaterialien und Wertzeugen für die Industrie und von Industrieprodukten für den Luxus entwickelt sich der Handel mit Lebensmitteln für die Städter.

Die Ausdehnung des Handels selbst findet aber auch keine feste Grenze, und seiner Natur nach strebt er immer wieder über die einmal erreichten Grenzen hinaus, immer wieder nach neuen Kunden, neuen Produzenten suchend, nach neuen Fundstätten seltener Metalle, nach neuen Industriegegenden, nach neuen Abnehmern für deren Erzeugnisse. So sind die Phönizier schon frühzeitig aus dem Mittelmeer heraus im Norden bis nach England gelangt, indes sie im Süden das Kap der guten Hoffnung umsegelten.

„In unglaublich früher Zeit finden wir sie in Kypros und Ägypten, in Griechenland und Sizilien, in Afrika und Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meere und der Nordsee. Ihr Handelsgebiet reicht von Sierra Leone (Westafrika) und Cornwall (England) im Westen bis östlich zur malabarischen Küste (Ostindien); durch ihre Hände gehen das Gold und die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein, die Löwen- und Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische Weihrauch, das Linnen Ägyptens, Griechenlands Tongeschirre und edle Weine, das cyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn, das Eisen von Elba.“ (Mommsen, Römische Geschichte, 6. Aufl., 1874, I, S. 484)

In den Handelsstädten siedeln sich mit Vorliebe auch die Handwerker an. Ja, die Handelsstadt bietet für viele Handwerke erst den Markt, dessen sie zu ihrem Entstehen bedürfen: einerseits die Kaufleute, die nach Waren suchen, andererseits die Landleute aus den umliegenden Dörfern, die an Markttagen zur Stadt ziehen, ihre Lebensmittel zu verkaufen und dafür Werkzeuge, Waffen und Schmuck zu kaufen. Die Handelsstadt sichert den Handwerkern aber auch die nötige Zufuhr von Rohmaterialien, ohne die sie ihr Gewerbe nicht ausüben können.

Neben den Kaufleuten und Handwerkern ersteht jedoch auch eine Klasse reicher Großgrundbesitzer in der Stadtgemeinde. Die Markgenossen dieser Stadt, die Anteil an der Stadtmark hatten, werden nun reich, da der Grundbesitz von den Zuziehenden gesucht wird, einen Wert erhält und stetig im Preise steigt. Ihnen kommt ferner zugute, daß unter den Waren, die der Kaufmann bringt, sich auch Sklaven befinden, wie wir schon gesehen haben. Einzelne Familien von Grundbesitzern, die, aus welchen Gründen immer, über die Schicht gewöhnlicher Bauern durch größeren Grundbesitz oder Reichtum aussteigen, erhalten die Möglichkeit, ihren landwirtschaftlichen Betrieb durch die Erwerbung von Sklaven zu erweitern, aber auch die Möglichkeit, ihn ausschließlich von Sklaven betreiben zu lassen, selbst in die Stadt zu ziehen und sich städtischen Geschäften, der Stadtverwaltung oder dem Kriege zu widmen. Ein solcher Grundherr, der bis dahin bloß seinen Gutshof in der Umgebung der Stadt bewohnte, vermag sich nun dazu noch ein Stadthaus zu erbauen, um es zu bewohnen. Diese Art Grundherren ziehen nach wie vor ihre ökonomische Kraft und gesellschaftliche Stellung aus dem Grundbesitz und der Landwirtschaft, sie werden dabei doch Städter und vergrößern die Stadtbevölkerung durch ihren Haushalt, der mit der Zeit durch die Luxussklaven zu einer ansehnlichen Ausdehnung gelangen kann, wie wir schon gesehen haben.

So nimmt die Handelsstadt immer mehr zu an Reichtum und Volkszahl. Mit ihrer Kraft wächst aber auch ihr kriegerischer Sinn und ihre Ausbeutungslust. Denn der Handel ist keineswegs so friedlichen Sinnes, wie die bürgerliche Ökonomie vermeint, und er war es am allerwenigsten in seinen Anfängen. Handel und Transportwesen waren damals noch nicht getrennt. Der Kaufmann konnte nicht, wie heute, in seinem Kontor bleiben, schriftlich die Bestellungen seiner Kunden entgegennehmen und sie durch Bahn und Dampfschiff und Post effektuieren. Er mußte die Waren selbst zu Markte bringen, und das erforderte Kraft und Mut. Durch pfadlose Wildnisse zu Fuß oder zu Pferd, oder durch stürmische Meere auf kleinen, offenen Schiffen hieß es monatelang, oft jahrelang, fern von der Heimat, unterwegs sein. Das brachte Strapazen mit sich, die denen eines Feldzugs nichts nachgaben und nur von kraftvollen Männern zu ertragen waren.

Aber auch die Gefahren der Reise waren nicht geringer als die eines Krieges. Nicht nur die Natur bedrohte den Kaufmann alle Augenblicke, hier mit Wogen und Klippen, dort mit Sandstürmen, dem Mangel an Wasser oder Nahrung, eisiger Kälte oder pestschwangerer Glut. Die wertvollen Schätze, die der Kaufmann mit sich führte, bildeten auch eine Beute, die jeden Stärkeren dazu verlockte, sie ihm zu nehmen. Hatte sich ursprünglich der Handel zwischen Stamm und Stamm vollzogen, so wurde er auch späterhin nur in größeren Gemeinschaften betrieben, von Karawanen zu Lande, von Handelsflotten zur See. Und jedes Mitglied eines solchen Zuges mußte gerüstet und fähig sein, mit gewaffneter Hand sein Gut zu verteidigen. So wurde der Handel eine Schule kriegerischen Sinnes.

Aber wenn der Reichtum an Waren, den er mit sich führte, den Kaufmann zwang, kriegerische Kraft zu ihrer Verteidigung zu entwickeln, so wurde andererseits diese kriegerische Kraft für ihn ein Antrieb, sie im Angriff zu benutzen. Der Profit des Handels erwuchs daraus, daß man billig erwarb und teuer verkaufte. Die billigste Art zu erwerben war. aber unstreitig die, daß man ohne Entgelt nahm, was man haben wollte. Raub und Handel sind so anfangs eng miteinander verbunden. Wo er sich als der Stärkere fühlte, wurde der Kaufmann leicht zum Räuber, wenn ihm eine wertvolle Beute winkte – und nicht die geringste darunter war der Mensch selbst.

Aber der Kaufmann brauchte seine kriegerische Kraft nicht nur, um seine Einkäufe und Erwerbungen möglichst billig zu besorgen, sondern auch, um Konkurrenten von den Märkten fernzuhalten, die er besuchte; denn je mehr Käufer, desto höher die Preise der Waren, die er zu kaufen hatte, und je mehr Verkäufer, desto niedriger die Preise der Waren, die er zu Markte brachte, desto niedriger also die Differenz zwischen dem Einkaufs- und Verkaufspreis, dem Profit. Sobald sich mehrere große Handelsstädte nebeneinander bilden, entspinnen sich daher bald Kriege zwischen ihnen, wobei dem Sieger nicht bloß der Vorteil winkt, daß er die Konkurrenz aus dem Felde schlägt, sondern auch noch der, daß er den Konkurrenten ans einem den Profit schädigenden in einen Profit bringenden Faktor verwandeln kann; entweder in radikalster Weise, die sich aber freilich nicht öfter wiederholen läßt, dadurch, daß man die Stadt des Gegners völlig ausplündert und deren Bewohner in die Sklaverei verkauft; oder aber weniger radikal, jedoch jährlich sich wiederholend, dadurch, daß man die besiegte Stadt dem Staate als „Bundesgenossen“ einverleibt, der verpflichtet ist, Steuern und Truppen zu liefern und sich jeder Schädigung des zum Herrn gewordenen Konkurrenten zu enthalten.

Einzelne, durch ihre Lage oder sonstige Verhältnisse besonders begünstigte Handelsstädte können auf diese Weise viele andere Städte mit ihren Gebieten zu einem staatlichen Organismus vereinigen. Dabei kann in jeder Stadt eine demokratische Verfassung fortbestehen bleiben. Aber die Gesamtheit der Städte, der Gesamtstaat, wird doch nicht demokratisch regiert, denn die eine siegreiche Stadt regiert allein und die anderen haben zu gehorchen, ohne die geringste Einwirkung auf Gesetzgebung und Verwaltung des Gesamtstaates.

In Griechenland finden wir zahlreiche derartige Stadtstaaten, von denen der mächtigste der athenische wurde. Aber keine der siegreichen Städte war stark genug, auf die Dauer alle anderen zu unterjochen, mit allen Rivalen fertig zu werden. So zeigt die Geschichte Griechenlands nichts als ewigen Krieg der einzelnen Städte und Stadtstaaten untereinander, der nur selten durch gemeinsame Abwehr eines gemeinsamen Feindes unterbrochen wird. Diese Kriege haben den Verfall Griechenlands ungemein beschleunigt, sobald sich einmal die schon geschilderten Folgen der Sklavenwirtschaft geltend machten. Aber es ist lächerlich, sich nach Art maucher unserer Professoren darüber sittlich zu entrüsten. Die Bekämpfung des Konkurrenten ist mit dem Handel naturnotwendig gegeben. Die Formen dieses Kampfes wechseln, er nimmt aber unvermeidlich die Form des Krieges an, wo souveräne Handelsstädte einander gegenüberstehen. Die Selbstzerfleischung Griechenlands war daher unvermeidlich, sobald der Handel anfing, seine Städte groß und mächtig zu machen.

Das Endziel jedes Konkurrenzkampfes ist aber der Ausschluß oder die Erdrückung der Konkurrenten, das Monopol. Dazu bekam keine Stadt Griechenlands die Kraft, auch nicht das so gewaltige Athen. Es gelang einer Stadt Italiens. Rom wurde zum Beherrscher der ganzen Kulturwelt um das Mittelmeer herum.


b. Patrizier und Plebejer

Die Konkurrenz mit den Nebenbuhlern ist jedoch nicht die einzige Kriegsursache für eine große Handelsstadt. Wo ihr Gebiet an das kräftiger Bauern grenzt, namentlich viehzüchtender Bauern im Gebirge, die in der Regel ärmer sind als Ackerbauern in fruchtbaren Ebenen, aber auch weniger an die Scholle gebunden, mehr an Blutvergießen und Jagd, diese Schule des Krieges, gewöhnt, da erregt der Reichtum der Großstadt leicht die Beutegier der Bauern. An kleinen Landstädten, die nur dem lokalen Handel einer beschränkten Landschaft dienen und daneben ein paar kleine Handwerker bergen, mögen sie achtlos vorbeigehen, die Schätze eines großen Handelszentrums müssen sie dagegen aufs äußerste reizen und verlocken, sich in Massen zu einem räuberischen Angriff auf das reiche Gemeinwesen zusammenzuscharen. Andererseits trachtet dieses wieder, sein Landgebiet und die Menge seiner Untertanen zu erweitern. Wir haben ja gesehen, wie durch das Anwachsen der Stadt in dieser ein ausgedehnter Markt für Produkte der Landwirtschaft entsteht, und der Grund und Boden, der für die Stadt Waren produziert, selbst einen Wert erhält, wie auf diese Weise der Hunger nach mehr Land und nach Arbeitskräften erwächst, die das neugewonnene Land für seine Eroberer bebauen sollen. Daher steter Kampf zwischen der Großstadt und den sie umgebenden Bauernvölkern. Siegen die letzteren, dann wird die Stadt geplündert und muß ihre Laufbahn wieder von vorn anfangen. Siegt dagegen die Stadt, dann nimmt sie den unterliegenden Bauern einen größeren oder geringeren Teil ihrer Mark ab, um ihn ihren eigenen Grundbesitzern zuzuwenden, die mitunter landlose Söhne dort ansiedeln, meist aber das gewonnene Land durch Zwangsarbeiter für sich bebauen lassen, die auch das eroberte Land zu liefern hat, entweder in der Form von Pächtern oder Hörigen oder Sklaven. Mitunter tritt aber auch ein milderes Verfahren ein, die unterworfene Bevölkerung wird nicht nur nicht geknechtet, sondern sogar unter die Bürger der siegreichen Stadt aufgenommen, allerdings nicht Ämter die Vollbürger, deren Versammlung die Stadt und den Staat regiert, sondern unter die Bürger zweiten Ranges, die volle Freiheit und allen gesetzlichen Schutz des Staates genießen, an seiner Regierung aber keinen Anteil haben. Solche Neubürger brauchte die Stadt so mehr, je größer mit dem Wachsen ihres Reichtums ihre kriegerischen Lasten wurden, je weniger die Familien der Altbürger ausreichten, die nötige Zahl von Bürgersoldaten zu stellen. Kriegspflicht und Bürgerrecht sind aber ursprünglich eng miteinander verbunden. Wollte man die Zahl der Krieger rasch vermehren, mußte man neue Bürger in den Staatsverband aufnehmen. Rom ist nicht zum mindesten dadurch groß geworden, daß es mit der Verleihung des Bürgerrechtes an Zuziehende wie auch an benachbarte unterworfene Gemeinden sehr freigiebig war.

Die Zahl dieser Neubürger konnte man beliebig erweitern. Für sie bestanden die Grenzen nicht, die die Zahl der Altbürger beschränkten. Diese Grenzen waren zum Teil technischer Natur. Wurde die Staatsverwaltung in der Versammlung der Altbürger geregelt, dann durfte diese Versammlung nicht so groß werden, daß sie jede Verhandlung unmöglich machte. Die Bürger durften aber auch nicht so weit vom Versammlungsort entfernt wohnen, daß sie ihn nicht ohne Beschwerde und Vernachlässigung ihrer Wirtschaft zu bestimmten Zeiten erreichen konnten. Solche Bedenken bestanden für die Neubürger nicht. Auch wo man ihnen einige politische Rechte, selbst (was allerdings selten von vornherein geschah) das Stimmrecht in den Bürgerschaftsversammlungen, einräumten war es – wenigstens vom Standpunkt der Altbürgerschaft aus – durchaus nicht notwendig, daß sie stets die Möglichkeit besaßen, an diesen Versammlungen teilzunehmen. Je mehr die Altbürger unter sich blieben, desto lieber war es ihnen.

Die Schranken, die die Zahl dieser einengten, bestanden also nicht für die Zahl der Neubürger.

Die Zahl der Bürger letzterer Art konnte beliebig erweitert werden, sie fand ihre Grenzen nur in der Größe des Staates und in dem Bedarf des Staates an zuverlässigen Soldaten. Denn auch dort, wo von den unterworfenen Provinzen Truppen zu stellen waren, bedurfte das Heer eines Kernes, der ihre Zuverlässigkeit sicherte, und der konnte nur durch ein starkes Kontingent von Bürgersoldaten gebildet werden.

Auf diese Weise ersteht aber mit dem Anwachsen der Stadt eine zweite Form undemokratischer Organisation für den Staat. Wird auf der einen Seite die große Stadtgemeinde zur absoluten Herrin zahlreicher Gemeinden und Provinzen, so bildet sich andererseits innerhalb der Bürgerschaft der Gemeinde, die sich nun weit über das Gebiet der alten Stadtmark hinaus erstreckt, der Gegensatz zwischen Voll- oder Altbürgern (Patriziern) und Neubürgern (Plebejern). Auf diesem wie auf jenem Wege wird aus der Demokratie eine Aristokratie, nicht durch Verengerung des Kreises der vollberechtigten Bürger, nicht durch Erhebung einiger Bevorrechteten über diese, sondern dadurch, daß der Staat wächst, indes jener Kreis der gleiche bleibt, so daß alle zur alten Gemeinde oder Markgenossenschaft neu hinzukommenden Elemente minderberechtigt oder gar rechtlos bleiben.

Aber diese beiden Wege der Entwicklung der Aristokratie aus der Demokratie verfolgen nicht die gleiche Richtung. Die eine Art der Ausbeutung und Beherrschung des Staates durch eine privilegierte Minderheit, die Herrschaft einer Gemeinde über ein ganzes Reich, kann, wie uns das Beispiel Roms zeigt, an Umfang stets wachsen; und sie muß wachsen, solange der Staat lebenskräftig ist und nicht vor einer überlegenen Macht zusammenbricht. Anders dagegen steht es mit der politischen Rechtlosigkeit der Neubürger. Solange diese fast ausschließlich Bauern sind, nehmen sie ihren Mangel an Rechten mehr oder weniger ruhig hin. Sie sind ja, bei der großen Entfernung ihrer Betriebe von der Stadt, meist gar nicht in der Lage, wenn sie morgens von ihrem Heim fortgehen, mittags bei der Bürgerversammlung auf dem Marktplatz der Stadt anwesend zu sein und abends wieder zu Hause einzutreffen. Und mit dem Wachstum des Staates werden dessen inneren wie äußeren Verhältnisse immer komplizierter, wird die Politik und auch die Kriegführung ein Geschäft, das Vorkenntnisse erfordert, die dem Bauern unerreichbar sind. Er versteht also doch nichts von allen den persönlichen und sachlichen Fragen, die in den politischen Versammlungen der Stadt entschieden werden, hat daher kein großes Bedürfnis, sich das Recht zu erobern, an ihnen teilnehmen zu dürfen.

Aber die Neubürgerschaft bleibt nicht auf Bauern beschränkt. Fremde, die in die Stadt ziehen und ihr nützlich werden, erhalten das Bürgerrecht. Die eroberten und mit dem Bürgerrecht begabten Landstriche umfassen auch nicht bloß Dörfer, sondern Städte mit Handwerkern und Kaufleuten, sowie Großgrundbesitzern, die neben ihrem Landhaus ein Stadthaus besitzen. Sobald sie das römische Bürgerrecht gewinnen, bekommen sie dadurch einen starken Anreiz, aus der kleineren Stadt in die größere zu ziehen, in der sie nicht bloß geduldet sind, und wohin sie leichterer Verdienst und mehr Kurzweil lockt. Gleichzeitig aber werden in der von uns schon gekennzeichneten Weise durch Krieg und Sklavenwirtschaft immer mehr Bauern expropriiert. Die beste Zuflucht solcher an die Luft gesetzten Elemente ist nun ebenfalls die Großstadt, deren Bürger sie sind und in der sie versuchen, sich fortzubringen als Handwerker oder Lastträger, Schenkwirte, Krämer, oder gar nur als Schmarotzer irgend welches reichen Herrn, dem sie sich als Klienten zu allen möglichen Diensten zur Verfügung stellen und dessen Höflinge sie bilden – richtige Lumpenproletarier.

Diese Elemente haben weit mehr Zeit und Gelegenheit als die Bauern, sich um die städtische Politik zu kümmern, deren Folgen sie auch viel deutlicher und unmittelbarer verspüren. Sie empfinden das lebhafteste Interesse daran, auf diese Politik Einfluß zu gewinnen, an Stelle der Versammlung der Altbürger die der gesamten Bürgerschaft zu setzen, für die letztere das Recht der Erwählung der Staatsbeamten und der Erlassung von Gesetzen zu erringen.

Mit der Größe der Stadt wuchs die Zahl aller dieser Elemente immer mehr, indes sich der Kreis der Altbürgerschaft nicht erweiterte. Er wurde daher relativ immer schwächer, um so mehr, da er über eine von der Bürgerschaft gesonderte Kriegsmacht nicht verfügte, die Neubürger ebensogut wie die Altbürger Wehrmänner, im Besitz von Waffen und mit deren Handhabung vertraut waren. So entbrennt in allen Städten dieser Art ein erbitterter Klassenkampf zwischen Altbürgern und Neubürgern, der regelmäßig früher oder später mit dem Siege der letzteren, also der Demokratie endet, die aber ihrerseits auch wieder nichts anderes ist als eine Erweiterung der Aristokratie, da ja die Rechtlosigkeit und Ausbeutung der außerhalb des Bürgerrechtes stehenden Provinzen fortdauert. Ja, oft wird das Gebiet und mitunter auch der Grad der provinzialen Ausbeutung in derselben Zeit vergrößert, in der die Demokratie innerhalb der herrschenden Gemeinde Fortschritte macht.


c. Der römische Staat

Alle diese, jede aufblühende Handelsstadt des Altertums kennzeichnenden Kämpfe finden wir in Rom in vollem Gange, zu der Zeit, wo es in der Geschichte auftaucht.

Seine Lage macht es zu einem sehr geeigneten Stapelplatz. Es liegt ziemlich entfernt von der Meeresküste am Tiber, aber das bildete damals, bei der Kleinheit der Seefahrzeuge, kein Hindernis für den Seehandel, es war sogar ein Vorzug, da man tiefer im Lande drin vor Seeräubern und Wogengang geschützter war als an der Seeküste. Nicht umsonst sind so viele der großen älteren Handelsstädte nicht direkt am Meere, sondern an schiffbaren Flüssen ziemlich weit von deren Mündung gelegen – so Babylon und Bagdad, London und Paris, Antwerpen und Hamburg.

Die Stadt Rom bildete sich an einem Platz, wo an den noch schiffbaren Tiber zwei leicht zu befestigende Hügel herantreten, die den Magazinen für die aus- und einzuschiffenden Waren Schutz und Sicherheit gewährten. Die Landschaft, in der Rom entstand, war noch roh, rein bäuerlich, aber nördlich und südlich von ihr lagen ökonomisch hochentwickelte Landschaften, Etrurien und Kampanien, mit starker Industrie, ausgedehntem Handel und auch schon einer auf unfreier Arbeit beruhenden Landwirtschaft. Und von Afrika her kamen mit ihren Waren die Karthager, die auf gleicher Höhe der Entwicklung standen wie die Etrusker und die griechischen Kolonien in Süditalien.

Diese geographische Lage versetzte Rom in eine eigenartige Doppelstellung. Ihrer nächsten Umgebung, den Latinern und Volskern gegenüber, erschien die Handelsstadt als der Vertreter einer höheren Kultur; der weiteren Umgebung, den Etruskern und italischen Griechen gegenüber, traten dagegen die Römer als rohes Bauernvolk auf. In der Tat blieb die Landwirtschaft für die Römer der Haupterwerbszweig, trotz aller Zunahme des Handels. Vom Meere entfernt, verstanden sie nichts von Seefahrt und Schiffbau. Sie überließen es fremden Kaufleuten und Schiffern, zu ihnen zu kommen und ihren Handel zu treiben. Und das änderte sich nicht. Dadurch erklärt es sich teilweise, Warum zur Zeit Cäsars und seiner ersten Nachfolger, also zur Zeit der Entstehung des Christentums, die Juden eine so starke Kolonie in Rom bildeten. Sie hatten damals einen Teil des römischen Handels an sich gebracht. So liegt ja auch heute noch zum Beispiel in Konstantinopel der Handel vornehmlich in den Händen von Nichttürken.

Je mehr Rom durch seinen Handel aufblühte, desto mehr kam es in Konflikt mit seinen Nachbarn. Der Markt für Lebensmittel, den der Handel erschloß, erzeugte in den römischen Grundbesitzern den Drang, ihren Grundbesitz auf Kosten ihrer Nachbarn zu erweitern, indes diese wieder nach dem Reichtum der Stadt lüstern wurden. Andererseits entbrannten nun Konkurrenzkämpfe mit den etruskischen Städten. Es waren zahlreiche lange und harte Kriege, die das junge Gemeinwesen zu bestehen hatte, aber siegreich ging es aus ihnen hervor, dank seiner oben schon angedeuteten Doppelstellung. Über die Bauern siegte die höhere Technik und die geschlossene Organisation der großen Stadt; über die Etrusker wieder, die schon infolge der Verdrängung der freien Bauernschaft durch Zwangsarbeit an militärischer Kraft verloren hatten, siegte die Zähigkeit und Ausdauer der römischen Bauern.

Sobald aber Rom stark genug geworden war, mit den Etruskern fertig zu werden, erfuhr es dabei, welch vortreffliches Geschäft der Krieg werden könne. Weit mehr Reichtum als durch den Handel, den doch meist Ausländer trieben, und durch die Landwirtschaft, die bei kleinbäuerlichem Betrieb nur geringe Überschüsse im Jahre abwarf, war durch glückliche Kriege zu gewinnen, wenn sie gegen reiche Städte und Nationen geführt wurden, die man plündern und tributpflichtig machen konnte. Handel und Raub sind von Anfang an miteinander verwandt, aber wohl keine Handelsstadt hat so sehr das Räuberhandwerk in den Vordergrund gestellt und zu einer staatlichen Einrichtung, ja zur Grundlage der Größe der Stadt erhoben, so sehr alle staatlichen Institutionen darauf eingerichtet, wie Rom. Sobald es die etruskischen Städte erobert, geplündert und sich zinsbar gemacht hatte, wendete es sich gegen seine reichen Nachbarn im Süden, deren wachsender Reichtum ein Schwinden ihrer militärischen Kraft aus den schon öfter hier auseinandergesetzten Gründen mit sich gebracht hatte, so daß die Beute in demselben Maße begehrenswerter war, wie sie leichter zu gewinnen schien. Aber dieser Reichtum lockte gleichzeitig ein anderes Bauernvolk, die Samniten. Diese mußten erst aus dem Felde geschlagen sein, ehe man sich der griechischen Städte in Süditalien bemächtigen konnte. Bauernvolk rang gegen Bauernvolk, aber die Samniten hatten keine große Stadt, wie Rom, in ihrer Mitte, die den bäuerlichen Streitkräften eine zentralisierte Organisation gegeben hätte. So unterlagen sie, und damit war für Rom der Weg nach den reichen Städten Süditaliens offen, die nun geplündert und unterjocht wurden.

Von Süditalien war dann nur noch ein Schritt nach Sizilien, das, nicht minder reich wie das griechische Italien, die römischen Raubscharen ebensosehr anlockte. Da aber stießen sie auf einen gefährlichen Feind, die Karthager. Karthago, eine mächtige Handelsstadt in der Nähe des heutigen Tripolis, hatte, von dem gleichen Räuberdrang wie Rom ergriffen, sich die westliche Nordküste Afrikas und Spanien unterworfen und versuchte jetzt das gleiche mit Sizilien. Es war eine Kolonie der Phönizier, die durch die Beschaffenheit ihres Landes frühzeitig zur Seefahrt gedrängt worden waren und auf dem Gebiet der Seefahrt ihre große Überlegenheit erlangt hatten. Auch Karthago erlangte seine Größe und seinen Reichtum durch die Seefahrt. Es bildete Seefahrer, nicht Bauern. An Stelle der Bauernwirtschaft entwickelte es die Latifundienwirtschaft mit billigen, erbeuteten Sklaven und daneben den Bergbau. Es fehlte ihm daher an einem bäuerlichen Volksheer. Sobald es gezwungen wurde, von der Küste ins Innere des Landes vorzuschreiten, um seine Eroberungen festzuhalten, und eine Kriegsmacht zu Lande zu entfalten, mußte es zur Anwerbung von Söldnern greifen.

Das Ringen zwischen Rom und Karthago, die drei sogenannten Punischen Kriege, begann 264 v. Chr. und endete erst 146 völlig mit der Zerstörung Karthagos. Entschieden war es freilich schon nach der Niederwerfung Hannibals, die 201 zur Beendigung des zweiten Punischen Krieges führte. Diese Kämpfe wurden Kriege zwischen Söldnerheeren und Bauernheeren, zwischen dem Berufsheer und der Milizarmee. Oft siegte das erstere, es brachte Rom unter Hannibal dem Untergang nahe, aber das Milizheer, das den eigenen Herd verteidigte, erwies sich schließlich doch als ausdauernder und es zwang am Ende des furchtbaren Ringens den Gegner völlig nieder. Karthago wurde dem Erdboden gleich gemacht, seine Einwohnerschaft vertilgt. Sein ungeheurer Besitz an Latifundien, Bergwerken, unterjochten Städten, fiel als Beute dem Sieger anheim.

Damit war der gefährlichste Gegner Roms gefallen. Von nun an herrschte es unumschränkt im westlichen Becken des Mittelmeers. Und bald auch im östlichen Becken. Dessen Staaten waren auf dem Leidenswege der alten Kultur, der Verdrängung der freien Bauern durch Zwangsarbeit von Sklaven oder von Fronbauern und ihrer Ruinierung durch ewige Kriege, endlich der Ersetzung der Milizen durch Söldner, schon so weit vorgeschritten und militärisch geschwächt, daß sie den Heeren Roms keinen nennenswerten Widerstand mehr leisten konnten. Mit leichter Mühe warfen die römischen Heere eine Stadt nach der anderen, ein Land nach dem anderen nieder, um sie zu plündern und zu ständiger Zinsbarkeit zu verurteilen. Von nun an blieb Rom die Herrin der alten Kulturwelt, bis es den germanischen Barbaren gelang, ihm dasselbe Schicksal zu bereiten, das es selbst den Griechen bereitet hatte, trotzdem diese wissenschaftlich und künstlerisch hoch über ihm standen. Wie in der Ökonomie und Politik blieb Rom den Griechen gegenüber auch in Philosophie und Kunst stets nur der Plünderer. Seine großen Denker und Dichter waren fast durchgehends Plagiatoren.

Die reichsten Länder der damaligen Welt, in denen unzählige Schätze einer Jahrhunderte, ja, wie in Ägypten, Jahrtausende alten Kultur aufgestapelt waren, wurden der Plünderung und Erpressung durch Rom eröffnet.

Den enormen kriegerischen Kraftaufwand, der dieses glänzende Resultat zeitigte, hatte Rom aber nur entfalten können als Demokratie, als eine Stadt, an deren Existenz alle Klassen ihrer Bevölkerung, wenn auch nicht alle in gleicher Weise, interessiert waren. In langem und zähem Ringen vom sechsten bis zum vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung hatten die Neubürger, die Plebejer, den Altbürgern, den Patriziern, ein Vorrecht nach dem anderen zu entreißen gewußt, bis schließlich jeder rechtliche Unterschied der beiden Stände verschwunden war und die Volksversammlung sämtlicher Bürger über die Gesetze zu entscheiden und die höchsten Beamten, die Konsuln, Prätoren, Ädilen, zu wählen hatte, die dann, nach Bekleidung ihres Amtes in den Senat eintraten, der tatsächlich den ganzen Staat regierte.

Aber das römische Volk erlangte damit nicht die Herrschaft im Staate, sondern nur das Recht, sich seine Herren zu wählen. Und je mehr in der Stadt Rom das Lumpenproletariat vorherrschte, desto mehr wurde dies Recht der Demokratie ein Mittel des Erwerbes, ein Mittel, Unterstützungen und Vergnügungen von den Kandidaten zu erpressen.

Wir haben schon die Klienten kennen gelernt, die sich reichen Herren für alle möglichen Dienste zur Verfügung stellten. Besaßen sie das Stimmrecht, dann war unter den Diensten, die sie zu leisten vermochten, keiner wichtiger als die Abstimmung im Sinne des Schutzherrn, des Patrons. Jeder reiche Römer, jede reiche Familie verfügte so über zahlreiche Stimmen in der Gemeindeversammlung, die sie im Interesse der Clique dirigierten, der sie angehörten. Ein paar Cliquen reicher Familien behielten in dieser Weise die Regierung des Staates in der Hand, setzten immer wieder die Wahl ihrer Angehörigen in die höheren Beamtenstellen und damit in den Senat durch. Die Demokratie änderte darin nicht mehr, als daß sie nun auch reichen plebejischen Familien erlaubte, sich in diesen Kreis einzudrängen, der unter dem aristokratischen Regiment auf die Patrizier beschränkt geblieben war.

Die gewählten Konsuln und Prätoren hatten das erste Jahr ihrer Amtstätigkeit in Rom zu verbringen. Im zweiten Jahre übernahm jeder von ihnen die Verwaltung einer Provinz und suchte sich nun dort schadlos zu halten für die Kosten, die ihm die Bewerbung ums Amt verursacht hatte, und darüber hinaus noch einen Gewinn für sich herauszuschlagen. Denn ein Gehalt bezog er nicht. Die Ämter waren „Ehrenämter“. Andererseits war wieder die Aussicht auf den Gewinn, der in der Provinz durch Erpressung und Bestechung, mitunter durch direkten Raub zu holen war, ein Grund, die Bewerbung ums Amt möglichst nachdrücklich zu betreiben, so daß sich dabei die verschiedenen Kandidaten in ihren Leistungen für das Volk immer mehr in die Höhe steigerten.

Je größer aber durch die verschiedenen Methoden des Stimmenkaufs die Aussichten für die Lumpenproletarier wurden, aus dem Verkauf der Bürgerrechte Vorteil zu ziehen, desto mehr mußten sich jene Bauern, die das römische Bürgerrecht besaßen, getrieben fühlen, ihre dürftige und mühevolle, bedrängte Existenz auf dem Lande aufzugeben, um nach Rom zu ziehen. Das vermehrte wieder die Zahl der stimmberechtigten Lumpenproletarier und damit auch die Ansprüche, die an die Kandidaten gestellt wurden. Zur Zeit Cäsars gab es in Rom nicht weniger als 320.000 römische Bürger, die unentgeltlich Brotkorn vom Staate bezogen: ungefähr ebenso groß wird die Zahl der käuflichen Stimmen gewesen sein. Man kann sich denken, welche Summen eine Wahl verschlang.

Im Jahre 53 vor unserer Zeitrechnung verursachte der Stimmenkauf eine solche Nachfrage nach barem Gelde, daß der Kapitalzins stark in die Höhe ging und eine Geldkrisis eintrat. [1]

„Die Nobilität (der Amtsadel) hatte schwer zu zahlen,“ bemerkt Mommsen. „Ein Fechterspiel kostete 720.000 Sesterze (150.000 Mark). Aber sie zahlte es gern, da sie ja damit den unvermögenden Leuten die politische Laufbahn verschloß.“ [2]

Und sie hatte sehr oft zu zahlen, denn jedes Jahr gab es neue Wahlen. Aber sie zahlte nicht aus idealem Ehrgeiz, sondern weil sie wußte, daß sie damit nur die Erlaubnis zu der weit einträglicheren Plünderung der Provinzen erkaufte und ein sehr gutes Geschäft dabei machte.

Die „Demokratie“, das heißt die Beherrschung der Bevölkerung des ganzen römischen Reiches mit etwa 50 bis 60 Millionen Einwohnern durch einige Hunderttausende römischer Bürger, wurde so eines der kräftigsten Mittel, die Ausraubung und Aussaugung der Provinzen aufs höchste zu steigern, indem sie die Zahl der Teilhaber daran erheblich vermehrte. und nicht nur die Statthalter taten das Möglichste an Erpressungen, sondern jeder nahm noch einen Schwarm von „Freunden“ mit, die ihm bei der Wahl geholfen hatten und nun auszogen, um dafür unter seinem Schutze zu stehlen und zu rauben.

Aber nicht genug damit, wurde auch das römische Wucherkapital auf die Provinzen losgelassen, wo es Gelegenheit fand, seine ganze vernichtende Macht zu entfalten und zu einer beherrschenden Größe anzuwachsen, die es nirgends sonstwo in der alten Welt erreicht hat.


d. Der Wucher

Der Wucher selbst ist uralt, fast ebenso alt wie der Handel. Wohl läßt er sich nicht bis zur Steinzeit verfolgen, aber er ist wohl älter als das Geldwesen. Sobald sich verschiedene Haushaltungen mit bestimmtem Familienbesitz bildeten, konnte die Möglichkeit eintreten, daß die eine Familie reicher wurde als andere, an Vieh, an Land, an Sklaven, indes andere verarmten. Da lag es nahe, daß Bauern, die in einer Notlage waren, von dem besser situierten Nachbarn etwas entlehnten, was dieser im Überfluß besaß, etwa Getreide oder Vieh, wofür sie sich verpflichten mußten, es mit einer Zugabe zurückzustellen oder eine gewisse Arbeit dafür zu leisten – der Anfang der Schuldknechtschaft. Solche Wuchergeschäfte sind möglich und kommen vor bei bloßer Naturalwirtschaft, ohne Dazwischentreten von Geld. Großgrundbesitz und Wucher sind von ihren Anfängen an eng miteinander verwandt, und das Wucherkapital – heute die hohe Finanz genannt – und der Großgrundbesitz haben vielfach miteinander aufs beste harmoniert. Auch in Rom waren die Großgrundbesitzer Wucherer, soweit man ihre Geschichte zurückverfolgen kann, und der Kampf zwischen Patriziern und Plebejern war nicht bloß ein Kampf zwischen Aristokratie und Demokratie um politische Rechte, nicht bloß ein Kampf zwischen Großgrundbesitz und Bauernschaft um die staatlichen Allmenden, sondern auch ein Kampf zwischen Wucherern und Verschuldeten.

Indes war die Produktivität der bäuerlichen Arbeit und daher der Überschuß, den sie erzeugte, so gering, daß die Ausbeutung großer Menschenmassen dazu gehörte, den Ausbeutern erheblichen Reichtum zu verschaffen. Solange die römischen Aristokraten nur die Bauern des Gebiets um Rom herum auswucherten, mochten sie diese dadurch sehr bedrücken, für jene selbst schaute nicht allzuviel dabei heraus. Dagegen mußten die Geschäfte der römischen Wucherer um so glänzender florieren und um so bedeutendere Reichtümer einbringen, je mehr ihnen die ganze damalige Kulturwelt erschlossen wurde.

Damit trat aber auch eine Arbeitsteilung ein. Die Bewucherung der Nachbarn war kein Geschäft, das besondere Aufmerksamkeit erforderte. Das konnten die Aristokraten neben der Bewirtschaftung ihrer Güter und der Besorgung der Staatsverwaltung mühelos besorgen. Dagegen ging es doch schwer, Spanien und Syrien, Gallien und Nordafrika auszuwuchern und daneben noch die Geschäfte eines so ungeheuren Staates zu leiten. Das Wuchergeschäft sondert sich nun immer mehr vom Regierungsgeschäft. Neben dem Amtsadel, der die Provinzen durch seine Funktionen als Feldherr und Landvogt ausraubte, dabei freilich auch sich durchaus nicht scheute, Geldgeschäfte zu machen, bildete sich mm eine besondere Klasse der Wucherkapitalisten, die auch eine besondere ständische Organisation erhielten, als die Klasse der „Ritter“. Je zahlreicher aber wieder die Klasse von Geldkapitalisten wurde, die sich ausschließlich mit Geldgeschäften abgaben, desto mannigfaltiger konnten diese werden.

Ein Hauptmittel, die Provinzen zu plündern, bestand darin, daß man das Eintreiben ihrer Steuern pachtete. Noch gab es keine Bureaukratie, der man das Einziehen der Steuern hätte übergeben können. Der bequemste Weg dafür war der, daß man diese Funktion für eine Provinz einem römischen Geldmann übergab, der den geforderten Steuerbetrag an den Staat ablieferte und zusah, wie er sich dafür schadlos hielt. Es war ein Steuersystem ähnlich dem, das heute noch vielfach im Orient herrscht und ihn verwüstet. Denn der Pächter begnügt sich natürlich nicht mit dem, was ihm zusteht. Die Provinzialen sind ihm wehrlos preisgegeben und werden bis zum Weißbluten geschröpft.

Sehr oft passiert es aber nun, daß einzelne Städte oder tributpflichtige Könige die ihnen auferlegten Summen nicht zahlen können. Da sind wieder die römischen Geldmänner bereit, sie ihnen vorzuschießen, natürlich gegen entsprechende Verzinsung. So machte zum Beispiel der große Republikaner Junius Brutus „ausgezeichnete Spekulationen, indem er dem König von Kappadokien und der Stadt Salamis Geld borgte; mit dieser schloß er eine Anleihe zu einem Zinsfuß von 48 Prozent ab“. (Salvioli, a. a. O., S. 42) Das war kein ungewöhnlich hoher Zinsfuß. Es kamen, wie Salvioli in seinem Buche berichtet, Zinsen für die Anleihen von Städten bis zu 75 Prozent vor. Bei besonderem Risiko stieg der Zinsfuß noch höher. So borgte das große Bankhaus des Rabirius zur Zeit Cäsars dem vertriebenen König Ptolemäos von Ägypten sein ganzes Vermögen und das seiner Freunde gegen 100 Prozent Zinsen. Freilich verspekulierte sich Rabirius dabei, denn als Ptolemäos wieder in die Regierung gekommen war, zahlte dieser nichts und ließ den unbequemen Gläubiger, der den ganzen ägyptischen Staat als seine Domäne behandeln wollte, ins Gefängnis werfen. Indes entkam der Finanzmann nach Rom, und Cäsar gab ihm Gelegenheit, ein neues Vermögen zu erwerben durch Lieferungen für den afrikanischen Krieg.

Das bildete wieder eine andere Methode, Geld zu machen. Die Tribute der unterworfenen Provinzen, die in den römischen Staatskassen zusammenflossen, waren ungeheuer. Aber die ewigen Kriege kosteten auch wieder Geld. Sie wurden ein Mittel, wodurch den Geldmännern selbst von jenem Teile der in den Provinzen gemachten Beute, der ihnen nicht direkt zufiel, sondern an den Staat abgeliefert wurde, wieder erhebliche Summen in ihre unergründlichen Taschen zuflossen. Sie übernahmen Kriegslieferungen für den Staat – ein Mittel, das heute noch große Vermögen schafft. Sie gingen aber auch dazu über, den eigenen Staat selbst zu bewuchern, wenn dieser gelegentlich in einer Geldklemme war, was nicht selten vorkam, denn je mehr er aus den Provinzen zu ziehen vermochte, desto mehr wuchsen die Ansprüche aller möglichen Staatsparasiten an ihn. Große Summen muten mitunter dem Staate vorgeschossen werden, größere, als sie ein einzelner besaß. Da halfen Aktiengesellschaften aus, die sich bildeten. Wie der Wucher die erste Form der kapitalistischen Ausbeutung darstellt, so bildet er die erste Funktion von Aktiengesellschaften.

Die Geldleute Roms „gründeten Gesellschaften, entsprechend unseren Aktienbanken, mit Direktoren, Kassierern, Agenten usw. Zur Zeit Sullas bildete sich die Gesellschaft der Asiani mit einem so ansehnlichen Kapital, daß sie dem Staate 20.000 Talente borgen konnte, 100 Millionen Mark. Zwölf Jahre später ließ sie diese Schuld auf 120.000 Talente anwachsen ... Die kleinen Kapitalien wurden in Aktien der großen Gesellschaften angelegt, so daß, wie Polybius (VI, 17) sagt, die ganze Stadt (Rom) an den verschiedenen finanziellen Unternehmungen beteiligt war, die einige hervorragende Firmen leiteten. Die kleinsten Ersparnisse hatten ihren Anteil au den Unternehmungen der Publicani, das ist an der Pachtung der Steuern und der Staatsländereien, Unternehmungen, die außerordentliche Profite abwarfen.“ (Salvioli, a. a. O., S. 40, 41.)

Das alles mutet uns sehr modern an, und es bezeugt in der Tat, daß die römische Gesellschaft zur Zeit der Entstehung des Christentums bis an die Schwelle des modernen Kapitalismus gelangt war, und doch waren die Wirkungen jenes antiken Kapitalismus ganz anderer Art als die des modernen.

Die Methoden, die wir hier beschrieben, sind so ziemlich dieselben, durch die der moderne Kapitalismus begründet wurde, jene, die Marx als die der „ursprünglichen Akkumulation“ gekennzeichnet hat: Enteignung des Landvolkes, Plünderung der Kolonien, Sklavenhandel, Handelskriege und Staatsschulden. und in der neueren Zeit wie im Altertum finden wir auch dieselben zerstörenden und verheerenden Wirkungen dieser Methoden. Aber der Unterschied zwischen der neueren Zeit und dem Altertum ist der, daß dieses nur die zerstörenden Wirkungen des Kapitalismus zu entwickeln wußte, indes der Kapitalismus der neueren Zeit aus der Zerstörung die Bedingungen erzeugt zum Aufbau einer neuen, höheren Produktionsweise. Sicher ist die Methode der Entwicklung des modernen Kapitalismus nicht minder barbarisch und grausam als die des antiken; aber sie schafft doch die Grundlage zu einem Aufstieg über dieses grausame, zerstörende Wirken hinaus, indes der antike Kapitalismus darauf beschränkt blieb.

Den Grund davon haben wir schon im vorigen Kapitel kennen gelernt. Was der moderne Kapitalismus durch Plünderung und Erpressung und andere Gewalttat zusammenrafft, dient nur zum geringsten Teile dem Genießen, wird zum größten Teile benutzt, neue, höhere Produktionsmittel zu erzeugen, die Produktivität der menschlichen Arbeit zu steigern. Der Kapitalismus der antiken Welt fand die Bedingungen dazu nicht vor. Soweit er in die Produktionsweise eingriff, wußte er nur die Arbeit des freien Bauern durch die des Sklaven zu ersetzen, die auf den entscheidenden Gebieten der Produktion einen technischen Rückschritt bedeutete, eine Verminderung der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit, eine Verarmung der Gesellschaft.

Soweit die Gewinne der römischen Geldmänner ebenso wie die Beute der römischen Generäle und Beamten nicht wieder zu neuen Wuchergeschäften, also neuen Plünderungen dienten, konnten sie nur einerseits im Genießen sowie bei der Herstellung von Genußmitteln verschwendet werden – und zu den Genußmitteln sind nicht bloß Paläste, sondern auch Tempel zu rechnen –, andererseits konnten diese Gewinne, wenn wir von den paar Bergwerken absehen, dazu verwendet werden, Grundeigentum zu erwerben, das heißt freie Bauern zu enteignen und durch Sklaven zu ersetzen.

Die Plünderung und Verheerung der Provinzen diente also nur dazu, den Geldmännern Roms die Mittel zu geben, die Verminderung der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit durch Verbreitung der Sklaverei noch rascher vorangehen zu lassen, als es sonst der Fall gewesen wäre. Die Verwüstung hier wurde nicht durch einen ökonomischen Aufschwung dort wett gemacht, wie das beim heutigen Kapitalismus wenigstens zeitweise der Fall ist, sondern die Verwüstung hier beschleunigte noch den Niedergang dort. So trat dank der Weltherrschaft Roms die allgemeine Verarmung der antiken Welt seit dem Beginn unserer Zeitrechnung noch früher ein, als sie sonst gekommen wäre.

Aber lange wurden die Anzeichen des ökonomischen Bankrotts durch den blendenden Glanz überstrahlt, der daraus hervorging, daß innerhalb weniger Jahrzehnte in Rom fast alles zusammengetragen wurde, was Jahrhunderte, ja Jahrtausende emsiger künstlerischer Arbeit in allen Kulturstätten um das Mittelmeer herum geschaffen hatten. Weit eher als der ökonomische Bankrott trat der politische Bankrott des Systems klar zutage.


e. Der Absolutismus

Rom tötete das politische Leben in allen Gebieten, die es eroberte, indem es ihre Widerstandsfähigkeit brach und ihnen jede Selbständigkeit raubte. Die ganze Politik des ungeheuren Reiches konzentrierte sich in der einen Stadt Rom. Wer aber waren dort die Träger des politischen Lebens geworden Geldmenschen, die nur daran dachten, wie man Zins auf Zins häufen könne; Aristokraten, die von einem Genuß zum anderen taumelten, denen jede regelmäßige Arbeit, jede Anstrengung, selbst die des Regierens und Kriegführens, verhaßt wurde; endlich Lumpenproletarier, die nur davon lebten, daß sie ihre politische Macht an den Meistbietenden verkauften.

So berichtet zum Beispiel Sueton in seiner Biographie Cäsars von dessen Spenden nach den Bürgerkriegen:

„Dem Volke spendete er pro Mann außer zehn Modien Getreide und ebensoviel Pfund Öl noch die 300 Sesterze, die er ehedem versprochen, und 100 als Verzugszinsen dazu. (Also 80 Mark zu einer Zeit, wo man mit 10 Pfennig im Tage auskam. – K.) Auch übernahm er (für die in Mietwohnungen Lebenden.. – K.) die Bezahlung der Jahresmiete in Rom bis zum Betrage von je 2.000 Sesterzen (400 Mark) und in Italien bis zum Betrage von 500 (100 Mark). Dazu fügt er einen Festschmaus (für 200.000 Personen.. – K.) und eine Fleischverteilung, und nach dem Siege über Spanien noch zwei Frühstücke hinzu. Weil nämlich das erste ihm kärglich und seiner Freigebigkeit nicht würdig vorkam, ließ er fünf Tage darauf ein zweites, sehr reichliches veranstalten.“ (Kap. 28)

Dazu gab er Spiele von unerhörter Pracht. Ein Schauspieler, Decimus Laberius, erhielt für eine Aufführung allein 500.000 Sesterze, 100.000 Mark!

Und von Augustus berichtet Sueton:

„Häufig verteilte er Spenden an das Volk, aber nicht immer in gleichem Betrage, bald 400 (80 Mark), bald 800 (60 Mark), manchmal nur 250 Sesterze (50 Mark) pro Mann. Und dabei überging er nicht einmal jüngere Knaben, obwohl diese sonst erst vom elften Jahr ab etwas bekamen. Desgleichen ließ er in Teuerungsjahren oft um ganz geringen Preis, manchmal auch unentgeltlich, an jeden einzelnen Brotkorn austeilen und verdoppelte dann die Anweisungen auf Geldspenden.“ (Octavius, Kap. 41)

Daß ein Proletariat, das sich in dieser Weise kaufen ließ, das die Käuflichkeit in ein System brachte und sie ganz offen zur Schau trug, jede politische Selbständigkeit verlor, ist klar. Es war nur noch ein Werkzeug in der Hand des Meistbietenden. Der Kampf um die Macht im Staate wurde ein Konkurrenzkampf zwischen einigen Räubern, die imstande gewesen waren, die größte Beute zusammenzuraffen, und die dabei den größten Kredit bei den Geldleuten genossen.

Dies Moment wurde noch enorm verstärkt durch das Aufkommen des Söldnerwesens. Die Armee wurde damit immer mehr die Herrin der Republik. In dem Maße, wie das Söldnerwesen zunahm, ging auch die Wehrhaftigkeit der römischen Bürger zurück – oder vielmehr, der Rückgang dieser Wehrhaftigkeit bedingte das Anwachsen des Söldnerwesens. Alle wehrhaften Elemente des Volkes waren in der Armee zu finden; der außerhalb dieser stehende Teil des Volkes verlor immer mehr an Kampffähigkeit und Kampfeslust.

Zwei Faktoren waren es aber, die besonders dahin wirkten, daß die Armee immer mehr zu einem willigen Werkzeug jedes Feldherrn herabsank, der ihr genügend Sold und Beute bot oder versprach, und daß sie immer weniger von politischen Erwägungen beherrscht wurde. Einmal die wachsende Zahl von Nichtrömern, von Provinzialen, ja schließlich von Ausländern im Heer, von Elementen, die kein Bürgerrecht besaßen, also von der Teilnahme am politischen Leben Roms von vornherein ausgeschlossen waren; dann aber die wachsende Unlust der genußsüchtigen, verweichlichten Aristokratie, am Kriegsdienst teilzunehmen. Diese hatte bis dahin die Offiziere geliefert, jetzt trat an deren Stelle immer mehr der Berufsoffizier, der nicht ökonomisch unabhängig war, wie der Aristokrat, dabei keinerlei Interesse für die Parteikämpfe in Rom besaß, die in Wirklichkeit Kämpfe aristokratischer Cliquen waren.

Je mehr die Nichtrömer im Heer zunahmen und die aristokratischen Offiziere durch Berufsoffiziere ersetzt wurden, desto williger das Heer, sich dem Meistbietenden zu verkaufen, ihn zum Beherrscher Roms zu machen.

So waren die Grundlagen gegeben zum Cäsarismus, dazu, daß der reichste Mann Roms die Republik auskaufte, ihr die politische Macht abkaufte. Andererseits war das wieder ein Grund, daß ein glücklicher Feldherr, der über die Armee verfügte, nun auch trachtete, zum reichsten Manne Roms zu werden, was er am einfachsten dadurch erreichte, daß er seine Gegner expropiierte, ihre Güter konfiszierte.

Das politische Leben des letzten Jahrhunderts der Republik besteht im Grunde in nichts anderem, als in „Bürgerkriegen“ – einer sehr falschen Bezeichnung, da die Bürger in diesen Kriegen gar nichts zu sagen haben. Es waren nicht Kriege der Bürger, sondern Kriege einzelner Politiker untereinander, die meist ebenso gierige Geldmenschen wie hervorragende Feldherren waren und sich gegenseitig totschlugen und ausraubten, bis es schließlich Augustus vermochte, nach Überwindung jeder Konkurrenz seine dauernde Alleinherrschaft zu begründen.

Bis zu einem gewissen Grade war das vor ihm schon Cäsar gelungen, der sich zur Gewinnung der Staatsgewalt als tief verschuldeter aristokratischer Abenteurer mit zwei der reichsten römischen Geldmenschen verschworen hatte, mit Pompejus und Crassus. Den letzteren zeichnet Mommsen folgendermaßen:

„Güterkäufe während der Revolution begründeten sein Vermögen; aber er verschmähte keinen Erwerbszweig: er betrieb das Baugeschäft in der Hauptstadt ebenso großartig wie vorsichtig; er ging mit seinen Freigelassenen bei den mannigfachsten Unternehmungen in Kompagnie; er machte in und außerhalb Rom, selbst oder durch seine Leute, den Bankier; er schoß seinen Kollegen im Senat Geld vor und übernahm es, für ihre Rechnung, wie es fiel, Arbeiten auszuführen oder Richterkollegien zu bestechen. Wählerisch im Prositmachen war er eben nicht ... Die Erbschaft nahm er darum nicht weniger, weil die Testamentsurkunde, in der sein Name stand, notorisch gefälscht war.“ [3]

Aber nicht besser war Cäsar. Kein Mittel erschien ihm zu schlecht, um zu Geld zu kommen. Der schon mehrfach zitierte Suetonius erzählt in seiner Biographie Cäsars non diesem, den später Mommsen so verherrlichte:

„Uneigennützigkeit zeigte er weder als Feldherr noch als Staatsverwalter. Wie nämlich mehrfach bezeugt ist, nahm er in Spanien als Prokonsul von den Bundesgenossen Geld an, das er ihnen abbettelte, um Schulden zu bezahlen, und plünderte mehrere Städte Lusitaniens, als wenn es feindliche wären, obwohl sie seinen Befehlen nachkamen und gleich bei seiner Ankunft ihm die Tore öffneten. In Gallien beraubte er die mit Geschenken reichgefüllten Tempel und Heiligtümer; die Städte zerstörte er häufiger um der Beute, als um ihrer Vergehen willen. Daher besaß er Gold in solchem Überflüsse, daß er es zu 3.000 Sesterzen (600 Mark) das Pfund in Italien und den Provinzen feilbieten ließ und verkaufte. [4] Während seines ersten Konsulats stahl er dreitausend Pfund Gold aus dem Kapitol und ersetzte es durch ebensoviel vergoldetes Kupfer. Bündnisse und Königreiche verkaufte er um Geld; so nahm er zum Beispiel dem Ptolemäus (König von Ägypten) allein in seinem und des Pompejns Namen fast 6.000 Talente (30 Millionen Mark) ab. Später bestritt er die drückendsten Kosten der Bürgerkriege, Triumphe und Festlichkeiten durch die gröbsten Erpressungen und Tempelberaubungen.“ (Julius Cäsar, Kap. 54)

Den Krieg gegen Gallien, das bis dahin noch von römischer Herrschaft frei und daher ungeplündert geblieben war, unternahm Cäsar hauptsächlich des Gelderwerbs wegen. Die reiche Beute, die er dort raubte, ermöglichte es ihm, sich auf eigene Füße zu stellen und seinem Kompagnon Pompejus, mit dem er bis dahin das Herrschaftsgeschäft gemeinsam betrieben hatte, die Freundschaft zu kündigen. Der dritte Kompagnon Crassus war bei einem Raubzuge gegen die Parther in Asien gefallen, durch den er, wie Appian sagt, „nicht bloß viel Ruhm, sondern auch massenhaft Geld einzuheimsen hoffte“ [5] – auf dieselbe Weise, wie es gleichzeitig Cäsar in Gallien tatsächlich gelungen war.

Nach Crassus’ Tod stand Cäsar nur noch Pompejus im Wege, um den sich die Reste der noch politisch tätigen Aristokratie scharten. In einer Reihe von Feldzügen wurde der große Julius mit ihnen fertig, was ihm wieder reiche Beute brachte.

„Man berichtet, daß er in seinem Triumphzug (am Ende des Bürgerkrieges) 60.000 Talente Silber aufführte, sowie 2.822 goldene Kronen, die 2.414 Pfund wogen. Unmittelbar nach seinem Triumph bediente er sich dieser Schätze zur Befriedigung seiner Armee, und indem er über seine Versprechungen hinausging, schenkte er jedem Soldaten 5.000 attische Drachmen (über 4.000 Mark), jedem Unteroffizier das Doppelte, den höheren Offizieren das Doppelte dessen, was die Unteroffiziere erhielten.“ [6]

Was er den Proletariern Roms damals schenkte, haben wir schon oben nach Sueton berichtet.

Von da an war Cäsars Alleinherrschaft öffentlich unbestritten, und nur noch durch Meuchelmord wagten die Republikaner zu protestieren. Cäsars Erben, Antonius und Augustus, gaben ihnen dann den Rest.

So wurde das römische Reich die Domäne, der Privatbesitz eines einzigen, des Cäsar oder Kaiser. Jedes politische Leben hörte auf. Die Verwaltung dieser Domäne wurde Privatsache ihres Besitzers. Wie jeder Besitz, fand auch dieser mannigfache Anfechtungen; Räuber, das heißt glückliche Feldherren, die eine starke Armee hinter sich hatten, bedrohten nicht selten den jeweiligen Besitzer, den mitunter seine Leibgarde selbst erschlug, um den freigewordenen Thron an den Meistbietenden zu veräußern. Aber das war ein Geldgeschäft, nicht schlimmer als viele andere, die gleichzeitig vollzogen wurden, und kein politischer Akt. Das Politische Leben hörte völlig auf, ja bald trat, zuerst bei den unteren Klassen, dann aber auch bei den oberen, nicht nur Gleichgültigkeit für den Staat, sondern Haß gegen den Staat und seine Funktionäre ein, gegen seine Richter, seine Steuerbeamten, seine Soldaten, gegen die Kaiser selbst, die schließlich ja niemand mehr schützten, die selbst für die besitzenden Klassen eine Geißel wurden, vor der diese bei den Barbaren Schutz suchten.

Nur wenige Stätten gab es im römischen Weltreich, wo sich nach Cäsars Sieg noch Reste eines politischen Lebens erhielten. Auch diese Reste wurden von den Nachfolgern Cäsars rasch ausgestampft. Am längsten erhielt sich ein kraftvolles politisches Leben in der Großstadt Palästinas, in Jerusalem. Es bedurfte der gewaltigsten Anstrengungen, um auch diese letzte Festung politischer Freiheit im römischen Reiche niederzuwerfen. Nach langer und hartnäckiger Belagerung wurde im Jahre 70 unserer Zeitrechnung Jerusalem dem Boden gleichgemacht und das jüdische Volk jeglichen Heims beraubt.


Fußnoten

1. Salvioli, Le capitalisme dans le monde antique, S. 243, 1906.

2. Römische Geschichte, I, S. 809.

3. Römische Geschichte, III, 14.

4. Sonst galt das Pfund Gold 4.000 Sesterze. Durch Cäsars gallische Plünderungen fiel es in Italien um ein volles Viertel ihn Wert.

5. Geschichte der Bürgerkriege, II. Buch, 3. Kapitel. Appian bezeugt, daß die Parther nicht die geringste Feindseligkeit begangen hatten. Der Krieg gegen sie war also tatsächlich nur ein Raubzug.

6. Appian, Geschichte der Bürgerkriege, II, Kap. 15.


Zuletzt aktualisiert am 26.12.2011