Karl Kautsky

Der Ursprung des Christentums


III. Das Judentum


1. Israel


a. Semitische Völkerwanderungen

b. Palästina

c. Die Gottesvorstellung im alten Israel

d. Handel und Philosophie

e. Handel und Nationalität

f. Die Völkerstraße Kanaan

g. Die Klassenkämpfe in Israel

h. Der Untergang Israels

i. Die erste Zerstörung Jerusalems


a. Semitische Völkerwanderungen

Die Anfänge der israelitischen Geschichte sind in tiefes Dunkel gehüllt, ebenso, ja noch mehr, wie die der griechischen und römischen. Denn diese Anfänge wurden nicht bloß viele Jahrhunderte hindurch nur mündlich überliefert, sie wurden auch, als man schließlich daranging, die alten Sagen zu sammeln und niederzuschreiben, aufs tendenziöseste entstellt. Nichts wäre irriger, als die biblische Geschichte für eine Erzählung wirklicher Geschichte zu halten. Wohl enthalten ihre Geschichten einen historischen Kern, aber es ist ungemein schwer, ihn herauszuschälen.

Erst lange nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil, im fünften Jahrhundert, erhielten die „heiligen“ Schriften der Juden jene Fassung, in der sie uns heute vorliegen. Alle alten Überlieferungen wurden damals mit größter Ungeniertheit zurechtgestutzt und durch Erfindungen erweitert, um den Ansprüchen der aufkommenden Priesterherrschaft zu dienen. Die ganze altjüdische Geschichte ward dabei auf den Kopf gestellt. Das gilt namentlich von alledem, was über die vorexilische Religion Israels erzählt wird.

Als das Judentum nach dem Exil in Jerusalem und seiner Umgebung ein eigenes Gemeinwesen begründete, da fiel dieses bald den anderen Völkern durch seine Absonderlichkeit auf, wie uns mehrfache Zeugnisse berichten. Dagegen ist uns aus der vorexilischen Zeit kein derartiges Zeugnis überliefert. Bis zur Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier wurden die Israeliten vom den anderen Nationen als ein Volk wie jedes andere auch betrachtet; es fiel ihnen nichts Besonderes an ihm auf. Und wir haben alle Ursache, anzunehmen, daß die Juden bis dahin tatsächlich gar nichts Absonderliches aufwiesen.

Das Bild des alten Israel mit voller Sicherheit zu entwerfen, ist bei der Dürftigkeit und Unzuverlässigkeit der überlieferten Quellen unmöglich. Die protestantische Bibelkritik, von Theologen betrieben, hat zwar vieles schon als gefälscht und erfunden nachgewiesen, aber sie nimmt immer noch viel zu sehr alles für bare Münze, was noch nicht als offenbare Fälschung aufgedeckt ist.

Wir sind im wesentlichen auf Hypothesen angewiesen, wollen wir den Entwicklungsgang der israelitischen Gesellschaft darstellen. Die Berichte des alten Testamentes werden uns dabei gute Dienste leisten kömnen, insoweit wir die Möglichkeit haben, sie mit Darstellungen von Völkern in ähnlichen Situationen vergleichen zu können.

Die Israeliten erhalten zuerst ein historisches Dasein bei ihrem Eindringen in das Land der Kanaaniter. Alle Erzählungen aus der Zeit ihres Nomadentums sind teils tendenziös zugerichtete alte Stammsagen oder Märchen oder spätere Erfindungen. Es ist eine große semitische Völkerwanderung, als deren Teilnehmer sie in der Geschichte auftauchen.

Die Völkerwanderungen spielten in der alten Welt eine ähnliche Rolle, wie heute die Revolutionen. Wir haben im vorigen Abschnitt den Verfall des römischen Weltreichs kennen gelernt und gesehen, wie sich dessen Überschwemmung durch die germanischen Barbaren, die man als Völkerwanderung bezeichnet, vorbereitete. Das war kein unerhörter Vorgang. Im alten Orient hatte er sich wiederholt vorher in kleinerem Maßstab, aber aus ähnlichen Ursachen, abgespielt.

In manchen fruchtbaren Gebieten großer Ströme des Orients entwickelte sich frühzeitig ein Ackerbau, der bedeutende Überschüsse an Lebensmitteln abwarf, es erlaubte, daß neben den Ackerbauern noch eine zahlreiche andere Bevölkerung lebte und wirkte. Da gediehen Handwerke, Künste und Wissenschaften, bildete sich aber auch eine Aristokratie, die ihre Zeit ausschließlich dem Waffenhandwerk widmen konnte und die um so notwendiger wurde, je mehr der Reichtum des Flußgebiets kriegerische nomadische Nachbarn zu räuberischen Einfällen lockte. Wollte der Landmann seine Fluren in Ruhe bebauen, bedurfte er des Schutzes solcher Aristokraten, mußte er ihn erkaufen. War aber die Aristokratie erstarkt, dann lag für sie die Versuchung nahe, ihre kriegerische Kraft dazu zu benutzen, um ihre Einkünfte zu vergrößern, um so mehr, als die Blüte der Handwerke und Künste alle Arten von Luxus aufkommen ließ, die große Reichtümer erforderten.

So beginnt nun die Unterdrückung der Bauern, beginnen aber auch Kriegszüge der in der Waffentechnik überlegenen Aristokraten und ihrer Vasallen gegen die benachbarten Völker, um bei diesen Sklaven zu erbeuten. Die Zwangsarbeit beginnt und treibt die Gesellschaft in dieselbe Sackgasse, in der später auch die Gesellschaft der römischen Kaiserzeit enden sollte. Der freie Bauer geht zugrunde und wird durch Zwangsarbeiter ersetzt. Damit schwindet aber auch die Grundlage der kriegerischen Kraft des Reiches. Gleichzeitig verliert, trotz der hohen Waffentechnik, die Aristokratie ihre kriegerische Überlegenheit, da der wachsende Luxus sie entnervt.

Ihre Fähigkeiten hören auf, deren sie zur Erfüllung jener Funktion bedarf, aus der ihre gesellschaftliche Stellung erwuchs: der Funktion der Verteidigung des Gemeinwesens gegen die Einbrüche räuberischer Nachbarn. Diese merken immer mehr die Schwäche der so reichen und verlockenden Beute, immer mehr und mehr drängen sie an ihre Grenzen, überfluten sie schließlich und entfesseln damit eine Bewegung, die immer weitere, nachdrängende Völker ergreift und lange nicht zur Ruhe kommt. Ein Teil der Eindringlinge nimmt das Land in Besitz und schafft so eine neue freie Bauernklasse. Andere, stärkere, bilden eine neue kriegerische Aristokratie. Daneben kann die alte Aristokratie als Bewahrerin der Künste und Wissenschaften der alten Kultur gegenüber den barbarischen Eroberern immer noch eine überlegene Stellung behaupten, aber freilich nicht mehr als eine Kaste von Kriegern, sondern nur noch als eine von Priestern.

Ist die Völkerbewegung zur Ruhe gekommen, dann beginnt die Entwicklung wieder von neuem diesen Kreislauf, der etwa dem von Prosperität und Krise der kapitalistischen Gesellschaft verglichen werden könnte – freilich kein zehnjähriger, sondern ein oft vielhundertjähriger Zyklus, ein Zyklus, den erst die kapitalistische Produktionsweise überwunden hat, so wie den Krisenzyklus von heute erst die sozialistische Produktion überwinden wird.

In den verschiedensten Gegenden Asiens und Nordostafrikas ging die Entwicklung in dieser Weise jahrtausendelang vor sich, am auffallendsten dort, wo fruchtbare breite Flußtäler an Steppen oder Wüsten grenzten. Jene erzeugten gewaltigen Reichtum, aber schließlich auch tiefgehende Korruption und Erschlaffung. Diese ließen arme, aber kriegerische Nomade1wölker heranwachsen, die stets bereit waren, ihren Standort zu wechseln, wenn eine Beute winkte, und die sich bei günstiger Gelegenheit aus weiten Gebieten rasch an einem Punkte in zahllosen Scharen sammeln konnten, um mit vernichtendem ungestüm in ein Gebiet einzufallen. Solche Flußtäler waren die des Hoangho und Jangtse-kiang, in denen sich das chinesische Gemeinwesen bildete; das des Ganges, in dem sich Indiens Reichtum konzentrierte; das des Euphrat und Tigris, wo die mächtigen Reiche Babylonien und Assyrien erstanden, und endlich das Niltal, Ägypten.

Zentralasien dagegen auf der einen Seite, Arabien auf der anderen, bildeten unerschöpfliche Reservoirs kriegerischer Nomaden, die ihren Nachbarn das Leben sauer machten und deren Schwäche zeitweise zu massenhaften Einwanderungen benutzten.

Aus Zentralasien ergossen sich von Zeit zu Zeit in solchen Perioden der Schwäche Ströme von Mongolen, stellenweise auch von sogenannten Indogermanen, über die Ufer der Zivilisation. Aus Arabien kamen jene Völker, die man unter dem Namen der Semiten zusammenfaßt. Babylonien, Assyrien, Ägypten und das dazwischenliegende Küstengebiet des Mittelmeers waren die Ziele der semitischen Eindringlinge.

Gegen das Ende des zweiten Jahrtausends vor Christo setzt wieder einmal eine große semitische Völkerwanderung ein; sie drängt nach Mesopotamien, Syrien, Ägypten und kommt ungefähr im elften Jahrhundert zum Abschluß. Unter den semitischen Stämmen, die.damals benachbartes Kulturland eroberten, waren auch die Hebräer. Bei ihrem beduinenhaften Umherziehen mochten sie schon früher an Ägyptens Grenze und am Sinai gewesen sein, aber erst nach erfolgter Seßhaftigkeit in Palästina erhält das Hebräertum eine feste Gestaltung, kommt es aus dem Stadium nomadenhafter Unstetigkeit heraus, die keine dauernden größeren Volksverbände kennt.


b. Palästina

Von nun an wird der Israeliten Geschichte und Eigenart nicht mehr bloß von den im beduinenhaften Stadium erworbenen und wohl eine Zeitlang behaupteten Eigenschaften bestimmt, sondern auch von der Natur und Lage Palästinas.

Freilich darf man den Einfluß des geographischen Faktors auf die Geschichte nicht übertreiben. Der geographische Faktor – Lage, Bodengestaltung, Klima – bleibt wohl in historischer Zeit im ganzen und großen in den meisten Ländern derselbe; er ist schon vor der Geschichte da und beeinflußt diese sicher auf das Gewaltigste. Aber die Art und Weise, wie der geographische Faktor die Geschichte eines Landes bestimmt, hängt selbst wieder von der Höhe ab, die dessen Technik und die gesellschaftlichen Verhältnisse erreicht haben.

So hätten zum Beispiel die Engländer sicher ihre weltbeherrschende Stellung im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert nicht erreicht ohne die besondere Natur ihres Landes, ohne seinen Reichtum an Kohle und Eisen und ohne seine insulare Lage. Aber solange in der Technik Kohle und Eisen nicht jene beherrschende Rolle spielten, die sie im Zeitalter des Dampfes erreichten, besaßen diese natürlichen Schätze des Bodens mir geringe Bedeutung. und solange nicht Amerika und der Seeweg nach Indien entdeckt, die Technik der Segelschiffahrt hochentwickelt, Spanien, Frankreich, Deutschland hochkultiviert worden waren; solange diese Länder von bloßen Barbaren bewohnt wurden, der Handel Europas sich im Mittelmeer konzentrierte und vorwiegend mit Ruderschiffen betrieben wurde, bildete die insulare Lage Englands einen Faktor, der es von der Kultur Europas abschloß und es in Schwäche und Barbarei erhielt.

Dieselbe Natur des Landes bedeutet daher unter verschiedenen gesellschaftlichen Verhältnissen etwas sehr Verschiedenes; auch wo die Natur des Landes durch den Wandel der Produktionsweisen nicht geändert wird, bleibt doch ihre Wirkung nicht notwendigerweise die gleiche. Auch hier stoßen wir immer wieder auf die Gesamtheit der ökonomischen Verhältnisse als das Entscheidende.

So war es auch nicht die absolute Natur und Lage Palästinas, sondern diese unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen, wodurch die Geschichte Israels bestimmt wurde.

Die Eigenart Palästinas bestand darin, daß es ein Grenzgebiet bildete, wo feindliche Faktoren aufeinander stießen und einander bekämpften. Es lag dort, wo einerseits die arabische Wüste aufhörte und das syrische Kulturland begann und wo andererseits die Einflußsphären der beiden großen Reiche zusammenstießen, die an der Schwelle unserer Kultur stehen und sie beherrschen; des ägyptischen, das sich im Niltal bildete, und des mesopotamischen, das an den beiden Flüssen Euphrat und Tigris erstand und seinen Mittelpunkt bald in Babylon, bald in Ninive fand.

Endlich aber wurde Palästina von höchst wichtigen Handelsstraßen durchzogen. Es beherrschte den Verkehr zwischen Ägypten einerseits, Syrien und Mesopotamien andererseits, sowie den von Phönizien nach Arabien.

Betrachten wir zunächst die Wirkungen des ersteren Faktors. Palästina war ein fruchtbares Land; seine Fruchtbarkeit überschritt freilich nicht ein Mittelmaß, sie erschien aber ausnehmend üppig, verglich man es mit der benachbarten öden Stein- und Sandwüste. Für deren Bewohner galt es als ein Land, das von Milch und Honig überfließt.

Die hebräischen Stämme kamen als nomadische Viehzüchter; sie wurden seßhaft in stetem Kampfe mit den ansässigen Bewohnern Palästinas, den Kanaanitern, denen sie ein Stadt nach der anderen entrissen und die sie immer mehr ihrer Botmäßigkeit unterwarfen. Was sie aber in stetem Kriege gewonnen hatten, mußten sie in stetem Kriege behaupten, denn andere Nomaden drängten ihnen nach, die ebenso wie sie selbst nach dem fruchtbaren Lande lüstern waren, Edomiter, Moabiter, Ammoniter und andere. Auch in dem eroberten Lande blieben die Hebräer noch lange Hirten, obwohl sie seßhaft wurden. Doch nahmen sie allmählich von den Ureinwohnern deren Art der Bodenkultur an, den Anbau von Getreide, Wein, die Aufzucht von Öl- und Feigenbäumen usw., und sie vermischten sich mit ihnen. Aber noch lange bewahrten sie die Charaktereigenschaften des nomadischen Beduinentums, dem sie entstammten. Die nomadische Viehzucht in der Wüste scheint den technischen Fortschritt und die gesellschaftliche Entwicklung besonders wenig zu begünstigen. Die heutige Lebenweise der Beduinen Arabiens erinnert noch lebhaft an die in den alten israelitischen Sagen von Abraham, Isaak und Jakob dargestellte. Aus der Jahrtausende hindurch von Generation zu Generation fortgepflanzten ewigen Wiederholung derselben Tätigkeiten und Leiden derselben Bedürfnisse und Anschauungen ergibt sich schließlich ein zäher Konservatismus, der beim nomadischen Hirten noch tiefer sitzt als beim Ackerbauer und die Fortdauer alter Gewohnheiten und Einrichtungen auch beim Eintritt großer Veränderungen sehr begünstigt.

Als ein Beispiel davon darf es wohl gelten, wenn beim israelitischen Bauern der Herd keine feste Stellung im Hause hatte und keine religiöse Bedeutung. „In dem Punkte berührten sich die Israeliten mit den Arabern und unterschieden sich von den Griechen, denen sie sonst in den Dingen des täglichen Lebens viel näher standen,“ sagt Wellhausen, und fügt hinzu:

„Es gibt im Hebräischen kaum ein Wort für den Herd; der Name Aschphot hat bezeichnenderweise die Bedeutung Dreckhaufens angenommen. Das zeigt den Unterschied von dem indoeuropäischen Herde, dem Hausaltar; für das nicht verlöschende Herdfeuer tritt bei den Hebräern die ewige Lampe ein.“ [1]

Zu den Eigenschaften, die die Israeliten aus der Zeit des Beduinentums übernahmen und erhielten, dürfte aber namentlich der Sinn und die Vorliebe für den Warenhandel gehören.

Wir haben schon oben, bei der Untersuchung der römischen Gesellschaft, darauf hingewiesen, wie früh sich der Handel von Volk zu Volk, nicht der von Individuum zu Individuum, entwickelt. Seine ersten Träger werden nomadische Viehzüchter gewesen sein, die in Wüsteneien lebten. Die Art ihres Lebenserwerbes zwang sie zu unstetem Wandern, von einem Weideplatz zum anderen. Die karge Natur ihres Landes mußte am ehesten bei ihnen das Bedürfnis nach Produkten anderer, reicher begabter Länder erregen, deren Grenzen sie berührten. Sie tauschten etwa Getreide, Öl, Datteln oder Werkzeuge aus Holz, Stein, Bronze, Eisen gegen Vieh ein, das sie im Überfluß produzierten. Ihre Beweglichkeit erlaubte ihnen aber auch, nicht bloß Produkte für sich selbst aus der Ferne zu holen, sondern auch für andere Leute vielbegehrte und leichttransportable Produkte einzutauschen; also nicht um sie zu behalten und selbst zu verzehren oder zu benutzen, sondern um sie gegen ein Entgelt weiterzugeben. Sie wurden so die ersten Kaufleute. Solange es keine Landstraßen gab und die Schiffahrt wenig entwickelt war, mußte diese Form des Kaufhandels vorherrschen, und er konnte dazu führen, daß seine Träger große Reichtümer erwarben. In dem Maße, in dem später der Seeverkehr wuchs, sichere und fahrbare Landstraßen gebaut wurden, mußte der ehedem durch die Nomaden vermittelte Handel zurückgehen, diese wurden wieder ganz auf die Produkte ihrer Wüste angewiesen und mußten verarmen. Dem ist es wohl, mindestens zum Teil, zuzuschreiben, wenn die alte Kultur Zentralasiens seit der Entdeckung des Seewegs nach Ostindien so sehr zurückgegangen ist. Schon früher verarmte aus dem gleichen Grunde Arabien, dessen Nomaden zur Zeit der Blüte der phönizischen Städte mit diesen einen sehr profitablen Handel trieben. Sie lieferten für deren Webereien, die für den Export nach dem Westen arbeiteten, die hochgeschätzte Wolle ihrer Schafe; sie überbrachten ihnen aber auch Produkte des südlichen, reichen und fruchtbaren „glücklichen“ Arabiens, Räucherwerk, Gewürze, Gold und Edelsteine. Außerdem aber holten sie aus Aethiopien, das vom glücklichen Arabien nur durch eile schmale Meerenge getrennt wird, sehr wertvolle Waren, wie Elfenbein und Ebenholz. Auch der Handel mit Indien ging zumeist durch Arabien, an dessen Küsten am persischen Meerbusen und am indischen Meere die Waren von Malabar und Ceylon zu Schiffe gebracht und dann durch die Wüste nach Palästina und Phönizien transportiert wurden.

Allen Stämmen, durch deren Gebiete dieser Handel ging, brachte er erheblichen Reichtum, teils durch Kaufmannsprofit, teils durch die Zölle, die auf die durchziehenden Waren gelegt wurden.

„Es ist eine gewöhnliche Erscheinung, unter diesen Völkern sehr reiche Stämme zu finden,“ sagt Heeren. „unter den arabischen Nomaden scheinen keine sich früher mit mehr Vorteil des Karawanenhandels beflissen zu haben, als die Midianiter, die an der Nordgrenze dieses Landes, also in der Nähe von Phönizien, herumzuziehen pflegten. Es war eine Karawane undianitischer Kaufleute, die mit Gewürzen, Balsam und Myrrhe beladen, aus Arabien kommend nach Ägypten zog, an welche Joseph verkauft ward (1. Mose, 37, 28). Die Beute der Israeliten (die Gideon machte, als er einen Einfall der Midianiter in Kanaan zurückschlug) war von diesem Volke an Gold so groß, daß sie Verwunderung erregen muß; und dies Metall war unter ihnen so gemein, daß nicht nur ihr eigener Schmuck, sondern sogar die Halsbänder der Kamele davon gemacht waren.“

So heißt es im 8. Kapitel des Buches der Richter:

„Da stand Gideon auf und hieb Sebah und Zalmunna nieder. Und er nahm die kleinen Monde, die ihre Kamele an den Hälsen trugen ... Da sprach Gideon zu ihnen (den Männern Israels): Ich will mir etwas von euch erbitten. Ein jeglicher gebe mir die Ringe, die er erbeutet hat. Denn sie trugen nämlich goldene Ringe, weil sie Ismaeliten waren ... Und es betrug das Gewicht der goldenen Ringe, die er sich erbat, 1.700 Sekel Goldes [2], außer den Monden und Ohrgehängen und Purpurgewändern, die die Könige Midians trugen, und außer dem Schmucke an .den Hälsen ihrer Kamele.“

Heeren bespricht nun die Edomiter und fährt dann fort:

„Die Griechen begreifen die sämtlichen nomadischen Stämme, die im nördlichen Arabien herumzogen, unter dem Namen der nabatäischen Araber. Diodor, der ihre Lebensweise sehr schön beschreibt, vergißt auch ihren Karawanenhandel nach Yemen nicht. ‚Ein nicht geringer Teil von ihnen‘, sagt er, ‚macht es sich zur Beschäftigung, den Weihrauch, die Myrrhe und andere kostbare Gewürze, die sie von denen erhalten, die sie aus dem glücklichen Arabien bringen, nach dem Mittelmeer zu führen.‘ (Diodor, II, S. 390)

„Der Reichtum, den die einzelnen Wüstenstämme auf diese Weise erwarben, war groß genug, die Habgier griechischer Kriegsleute zu erregen. Einer der Stapelplätze der Waren, die durch das Gebiet der Edomiter gingen, war der befestigte Ort Petra, nach dem das nordwestliche Arabien die Benennung des peträischen erhielt. Demetrius Poliorketes versuchte, diesen Platz zu überfallen und zu plündern.“ [3]

In gleicher Weise wie die Midianiter müssen wir uns auch ihre Nachbarn, die Israeliten, in der Zeit ihres Nomadentunis vorstellen. Schon von Abraham wird berichtet, er sei reich gewesen nicht bloß an Vieh, sondern auch an Silber und Gold (1. Mose, 13, 2). Das konnten die nomadischen Viehzüchter nur durch Handel erlangen. Ihre spätere Situation in Kanaan war aber nicht dazu angetan, ihren aus dem Nomadentum hervorgewachsenen Handelsgeist einzudämmen und zu schwächen. Denn die Lage dieses Landes erlaubte ihnen, nach wie vor an dem Handel zwischen Phönizien und Arabien, ebenso wie an dem zwischen Ägypten und Babylonien teilzunehmen, und aus ihm Profit zu ziehen, teils dadurch, daß sie ihn vermittelten und förderten, teils dadurch, daß sie ihn störten, von ihren Bergfestungen aus Handelskarawanen überfielen und plünderten oder ihnen Zoll auferlegten. Vergessen wir nicht, daß der Kaufmann und der Räuber damals zwei eng verwandte Berufe waren.

„Schon ehe die Israeliten nach Kanaan kamen, stand der Handel dieses Landes auf einer hohen Stufe. In den Tell-el-Amarna-Briefen (aus dem fünfzehnten Jahrhundert vor Christo) ist von Karawanen die Rede, die unter Bedeckung durch das Land zogen.“ [4]

Aber bereits aus dem Jahre 2000 haben wir Zeugnisse über den engen Verkehr zwischen Palästina und Ägypten wie den Euphratländern.

Jeremias (der Leipziger Privatdozent, nicht der jüdische Prophet) gibt die Quintessenz eines Papyrus jener Zeit mit folgenden Worten wieder:

„Die Beduinenstämme Palästinas stehen also in engster Verbindung mit dem Kulturlande Ägypten. Ihre Scheichs verkehren nach dem Zeugnis des Papyrus gelegentlich am Hofe des Pharao und wissen Bescheid über die Vorgänge in Ägypten. Gesandte ziehen mit schriftlichen Botschaften zwischen dem Euphratland und Ägypten hin und her. Diese asiatischen Beduinen sind durchaus keine Barbaren. Die barbarischen Völker, die der ägyptische König bekämpft, werden ausdrücklich im Gegensatz zu ihnen genannt. Die Beduinenscheichs schließen sich selber zu Kriegszügen zusammen gegen ‚die Fürsten der Völker‘.“ [5]

In seiner Handelsgeschichte der Juden des Altertums handelt Herzfeld ausführlich von den Karawanenstraßen, die Palästina durchschnitten oder in der Nähe desselben vorbeiliefen. Er meint, solche Verkehrswege waren „im Altertum von vielleicht noch größerer merkantilischer Wichtigkeit, als es jetzt die Eisenbahnen sind“.

„Eine solche Straße führte aus dem südwestlichen Arabien, der Küste des roten Meeres und seines älanitischen Busens parallel, die Produkte des glücklichen Arabiens sowie Aethiopiens und einiger Hinterländer des letzteren bis Sela, dem nachmaligen Petra, etwa 70 Kilometer südlich vom Toten Meere. Eine andere Karawanenstraße brachte Erzeugnisse Babyloniens und Indiens von Gerrha am persischen Meerbusen quer durch Arabien ebenfalls nach Petra. Von hier aber liefen drei andere Straßen aus: eine nach Ägypten mit rechtsseitigen Abzweigungen nach den arabischen Häfen am Mittelmeer; eine zweite nach Gaza, mit einer sehr wichtigen Fortsetzung nordwärts; eine dritte den östlichen Ufern des Toten Meeres und des Jordan entlang nach Damaskus. Auch war Ailat im innersten Winkel des nach ihm benannten älanitischen Meerbusens bereits zu einem Stapelplatz für die Waren der südlicher gelegenen Länder geworden und eine kurze Straße verband es gleichfalls mit Petra. Die schon angedeutete Straße von Gaza nordwärts führte durch die Niederungen von Judäa und Samarien, und mündete in der Ebene von Jisreel in eine andere, die von Osten her nach Acco lief. Von den auf diesen so verschiedenen Wegen herangeführten Gütern wurden die, welche nach Phönizien gehen sollten, teils in jenen arabischen Häfen, teils in Gaza und Acco zu Schiffe abgeholt, denn die Strecke von letzterem bis Tyrus und Sidon war sehr felsig und wurde erst viel später für den Landtransport gebahnt. Die schon erwähnte vielbesuchte Karawanenstraße aus dem Osten führte von Babylon an den mittleren Euphrat, dann durch jene arabisch-syrische Wüste, in welcher nachmals Palmyra prangte, und nach einer kurzen Strecke auf der Ostseite des oberen Jordan überschritt sie diesen Fluß und lief durch die Ebene von Jisreel an das Meer aus. Kurz bevor sie den Jordan erreichte, mündete sie in jene Straße von Gilead her, welche wir schon zu Josephs Zeiten benutzt sahen; und daß auch in der Ebene von Jisreel die Straße von Gaza her in sie einfiel, haben wir gesehen; vermutlich aber ging gleichfalls von Gaza die Bahn aus, welche nach 1. Mose 37, 25, 41, 57 von Palästina nach Ägypten führte ... Ein merkantilischer Einfluß hiervon (dieser Handelsstraßen und der an ihren Knotenpunkten sich bildenden Messen) auf die Israeliten kann zwar noch für längere Zeit nicht aus geschichtlich überlieferten Tatsachen nachgewiesen und bemessen werden, ist aber seiner inneren Notwendigkeit wegen nicht zu bezweifeln, und aus seiner Annahme wird auf manche unscheinbare alte Notiz ein Licht fallen, das ihn wirklich erkennen läßt.“ [6]

Weit weniger als der Handel gediehen dagegen Luxus- und Exportindustrie und Kunst bei den Israeliten. Wahrscheinlich deshalb, weil diese seßhaft wurden zu einer Zeit, wo ringsumher schon das Handwerk zu einer großen Höhe der Vollkommenheit gelangt war. Die Gegenstände des Luxus waren besser und billiger, wenn man sie durch den Handel bezog, als vom heimischen Handwerk anfertigen ließ. Dieses blieb auf die Produktion der einfachsten Waren beschränkt. Selbst bei den Phöniziern, die viel früher ein Kulturvolk wurden, verlangsamte sich durch die Konkurrenz der ägyptischen und babylonischen Waren, die sie vertrieben, der Aufschwung ihrer Industrie.

„Auf dem Gebiete der Industrie sind schwerlich die Phönizier den Bewohnern des übrigen Syriens frühzeitig überlegen gewesen. Herodot wird vielmehr recht haben, wenn er die ersten Phönizier, die an Griechenlands Küste landeten, Waren feilbieten läßt, die nicht Erzeugnisse ihrer Heimat, sondern Ägyptens und Assyriens, das heißt des syrischen Binnenlandes sind. Vorwiegend zu Industriestädten sind die Großstädte Phöniziens erst geworden, nachdem sie ihre politische Unabhängigkeit und einen großen Teil ihrer Handelsbeziehungen eingebüßt hatten.“ [7]

Vielleicht war es auch der ewige Kriegszustand, der die Entwicklung des Handwerks störte. Auf jeden Fall steht fest, daß es zu keiner hohen Entwicklung kam. Der Prophet Ezechiel stellt in seinem Klagelied über Tyrus sehr ausführlich dessen Handel dar, darunter auch den mit Israel. Der Export der Israeliten ist ausschließlich agrarischer Natur: „Juda und das Land Israels trieben Handel mit dir; Weizen von Minnith und Wachs, und Honig und Öl und Mastix lieferten sie dir als Ware.“ (27, 17).

Als David Jerusalem zu seiner Residenz machte, da sandte ihm der König Hiram von Tyrus „Zedernholz und Zimmerleute und Steinmetze, damit sie David einen Palast bauten“ (2. Samuel, 5, 11). Das gleiche geschah zur Zeit Salomos beim Bau des Tempels. Dafür bezahlte Salomo jährlich an Hiram 20.000 Kor Weizen und 20.000 Bath Öl (1. Könige, 5, 25).

Ohne ein hochentwickeltes Luxushandwerk, das heißt ohne ein Kunsthandwerk gibt es keine bildende Kunst, die bis zur Darstellung der menschlichen Persönlichkeit vordringt, die über die Andeutung des menschlichen Typus hinausgelangt, zu individualisieren und zu idealisieren versteht.

Eine solche Kunst setzt eine bedeutende Höhe des Handels voraus, der dem Künstler die mannigfachsten Materialien in den verschiedensten Qualitäten zuführt und es ihm so ermöglicht, die für seine Zwecke tauglichsten auszusuchen. Ferner eine weitgetriebene Spezialisierung und durch Generationen angehäufte Fülle von Erfahrungen in der Behandlung der einzelnen Materialien, endlich aber auch eine große Wertschätzung des Künstlers, die ihn über das Niveau der Zwangsarbeit erhebt, ihm Muße, Freude und Kraft verleiht.

Alle diese Elemente vereint finden wir nur in großen Handelsstädten mit starkem und altem Handwerk. In Theben und Memphis, in Athen, und später, seit dem Mittelalter, in Florenz, in Antwerpen und Amsterdam erreichten die bildenden Künste auf der Grundlage eines kraftvollen Handwerks die höchste Blüte.

Das fehlte den Israeliten, das wirkte aber wieder auf ihre Religion zurück.


c. Die Gottesvorstellung im alten Israel

Die Anschauungen von der Gottheit sind bei den Naturvölkern höchst unbestimmt und verworren, keineswegs so scharf umrissen, wie wir sie dann in den Mythologien der Gelehrten dargestellt finden. Die einzelnen Gottheiten werden weder klar gedacht, noch deutlich voneinander unterschieden; es sind unbekannte, geheimnisvolle Persönlichkeiten, die auf die Natur und die Menschen einwirken, diesen Glück oder Unglück bringen, die aber anfangs noch schattenhafter und verschwommener vorgestellt werden, wie die Traumgebilde.

Die einzige feste Unterscheidung der einzelnen Gottheiten voneinander besteht da in ihrer Lokalisierung. Jede Örtlichkeit, die die Phantasie des Naturmenschen besonders anregt, erscheint ihm auch als der Sitz einer bestimmten Gottheit. Hohe Berge oder einzelne Felsen, Haine in besonderer Lage und auch einzelne uralte Baumriesen, Quellen, Höhlen erhalten so eine Art Heiligkeit als Göttersitze. Aber auch schon eigenartig .geformte Steine oder Holzstücke können als Sitze einer Gottheit gelten, als Heiligtümer, deren Besitz den Beistand der Gottheit sichert, die sie bewohnt. Jeder Stamm, jedes Geschlecht suchte sich ein solches Heiligtum, einen solchen Fetisch zu erwerben. Das gilt auch von den Hebräern, deren Gottesvorstellung ursprünglich ganz der eben dargestellten Stufe entsprach, weit entfernt von Monotheismus war. Die Heiligtümer der Israeliten scheinen zuerst nichts anderes als Fetische gewesen zu sein, von dem „Götzen“ (Teraphim) an, den Jakob seinem Schwiegervater Laban stiehlt, bis zu der Bundeslade, in der Jahve steckt und die Sieg und Regen und Reichtum dem bringt, der sie rechtmäßigerweise besitzt. Die heiligen Steine, die Phönizier und Israeliten verehrten, führten den Namen Betel, Gottesbehausung.

Die Götter der einzelnen Lokalitäten und Fetische sind auf dieser Stufe noch nicht entschieden individualisiert, sie führen auch oft den gleichen Namen, bei den Israeliten und Phöniziern hießen zum Beispiel viele Götter El (Plural Elohim), andere hießen bei den Phöniziern Baal, der Herr. „Ungeachtet der gleichlautenden Benennung galten alle diese Baale von Haus aus für lauter voneinander verschiedene Wesen. Zur Unterscheidung wird häufig nichts weiter hinzugefügt als der Name des Ortes, an dem der betreffende Gott angebetet wurde.“ [8]

Eine schärfere Trennung der einzelnen Gottheiten voneinander im Volksbewußtsein wurde erst möglich, wenn die bildende Kunst hoch genug entwickelt war, menschliche Gestalten zu individualisieren und zu idealisieren, bestimmte Gestalten zu schaffen mit besonderer Eigenart, aber auch von einem Liebreiz, einer Hoheit oder einer Größe oder Furchtbarkeit, die sie über die Gestalt des gewöhnlichen Menschen erhob. Nun bekam die Vielgötterei eine materielle Grundlage, nun wurden die Unsichtbaren sichtbar und damit für jeden in derselben Weise vorstellbar; nun wurden die einzelnen Götter dauernd voneinander geschieden, wurde jede Verwechslung zwischen ihnen unmöglich. Von da an vermochte man aus der Zahl unzähliger Geisterwesen, die in der Phantasie des Naturmenschen bunt durcheinander wirbelten, einzelne Figuren besonders herauszuheben und zu individualisieren.

In Ägypten kann man es deutlich verfolgen, wie mit der Entwicklung der bildenden Kunst auch die Zahl der besonderen Götter wächst. In Griechenland ist es ebenfalls sicher kein Zufall, daß dort die größte Höhe der Kunstindustrie und der Menschendarstellung in der bildenden Kunst, zugleich aber auch die größte Mannigfaltigkeit und schärfste Individualisierung der Götterwelt miteinander zusammentreffen.

Den Fortschritt der industriell und künstlerisch entwickelten Völker, die Verdrängung des Fetischs, des Wohnortes des Geistes oder Gottes, durch das Bild des Gottes, haben die Israeliten infolge der Rückständigkeit ihrer Industrie und Kunst nicht vollzogen. Sie blieben auch in dieser Beziehung auf der Stufe der beduinischen Denkweise stehen. Ihre eigenen Götter in Bildern darzustellen, kam ihnen nicht in den Sinn. Was sie als Götterbilder kennen lernten, waren nur Bilder von Göttern der Fremden, der Feinde. Aus dem Ausland importierte oder dem Ausland nachgemachte.Und deshalb der Haß der Patrioten gegen diese Bilder.

Darin lag eine Rückständigkeit, aber diese mußte den Israeliten den Fortschritt über den Polytheismus hinaus erleichtern, sobald sie den philosophischen, ethischen Monotheismus kennen lernten, der auf der höchsten Stufe der Entwicklung der alten Welt in verschiedenen Großstädten erstand und auf dessen Ursachen wir schon hingewiesen haben. Wo das Götterbild im Bewußtsein des Volkes Wurzel gefaßt hatte, war damit auch für den Polytheismus eine feste Grundlage gewonnen, die sich nicht so leicht überwinden ließ. Dagegen bereitete die Unbestimmtheit des Gottesbildes sowie die Gleichheit der Namen der Gottheiten der verschiedenen Lokalitäten den Weg für die Popularisierung der Idee des einen Gottes, dem gegenüber alle anderen unsichtbaren Geister nur niedere Wesen sind.

Es ist jedenfalls kein Zufall, daß alle monotheistischen Volksreligionen Nationen entstammen, die noch in der Denkweise des Nomadentums befangen waren und keine hohe Industrie und Kunst entwickelt hatten: neben den Juden waren es die Perser und später die Araber des Islam, die den Monotheismus annahmen, sobald sie mit einer höheren, städtischen Kultur in Berührung kamen. Nicht bloß der Islam, sondern auch die Zendreligion ist zu den monotheistischen Religionen zu rechnen. Diese kennt ebenfalls nur einen Herrn und Schöpfer der Welt, Auramazda. Angromainju (Ahriman) ist ein untergeordneter Geist, wie der Satan.

Daß zurückgebliebene Formen einen Fortschritt leichter übernehmen und weiter entwickeln, als weiter fortgeschrittene, erscheint sonderbar, ist aber eine Tatsache die schon in der Entwicklung der Organismen zutage tritt. Hochentwickelte Formen sind oft weniger anpassungsfähig und sterben leichter aus, indes niedere, die ihre Organe weniger spezialisiert haben, sie leichter neuen Bedingungen anpassen können, daher imstande sind, eher den Fortschritt weiter zu führen.

Beim Menschen entwickeln sich die Organe aber nicht bloß unbewußt, sondern er bildet neben seinen körperlichen Organen mit Bewußtsein andere, künstliche, deren Herstellung er von anderen Menschen erlernen kann. Soweit diese künstlichen Formen in Betracht kommen, können daher einzelne Personen oder Gruppen sogar ganze Stadien der Entwicklung überspringen, freilich nur dann, wenn das höhere Stadium vor ihnen bereits von anderen erreicht wurde, von denen sie es übernehmen. So ist es bekannt, daß in vielen Bauerndörfern die elektrische Beleuchtung leichter Eingang fand als in den Großstädten, die bereits ein großes Kapital in der Gasbeleuchtung investiert hatten. Das Bauerndorf konnte den Sprung von der Öllampe zum elektrischen Licht über das Stadium des Leuchtgases hinweg machen; aber mir deshalb, weil in den Großstädten die technischen Kenntnisse bis zur Herstellung des elektrischen Lichtes gelangt waren. Das Bauerndorf hätte diese Kenntnisse nie aus sich selbst entwickeln können. So fand der Monotheismus bei der Volksmasse der Juden und Perser leichter Eingang als bei der Masse der Ägypter, Babylonier und Hellenen, aber zuerst wurde seine Idee von den Philosophen dieser hochentwickelten Kulturnationen entwickelt.

Indes in der Zeit, von der wir hier handeln, der vorexilischen, halten wir noch nicht soweit. Da dominiert noch der primitive Götterkult.


d. Handel und Philosophie

Andere Denkweisen wie Handwerk und Kunst entwickelt der Handel.

In seiner Kritik der politischen Ökonomie und dann später im Kapital weist Marx auf den Doppelcharakter der in den Waren dargestellten Arbeit hin. Jede Ware ist gleichzeitig Gebrauchswert und Tauschwert, so kommt auch die Arbeit, die in ihr steckt, gleichzeitig in Betracht als besondere, bestimmte Art von Arbeit – etwa Weberarbeit oder Töpferarbeit oder Schmiedearbeit – und als abstrakte allgemein menschliche Arbeit.

Die bestimmte produktive Tätigkeit, die bestimmte Gebrauchswerte schafft, interessiert natürlich vor allem den Konsumenten, der nach bestimmten Gebrauchswerten verlangt. Wenn er Tuch braucht, interessiert ihn die Arbeit, die zur Herstellung des Tuches verwendet wird, weil sie eben diese besondere, Tuch produzierende Arbeit ist. Aber auch für den Erzeuger der Ware – und das sind auf der Stufe, auf der wir handeln, in der Regel noch nicht Lohnarbeiter, sondern selbständige Bauern, Handwerker, Künstler oder deren Sklaven – kommt die Arbeit in Betracht als die bestimmte Tätigkeit, die ihm ermöglicht, bestimmte Produkte herzustellen.

Anders der Kaufmann. Seine Tätigkeit besteht darin, daß er billig kauft, um teuer zu verkaufen. Welche besondere Ware er kauft oder verkauft, ist ihm im Grunde gleichgültig, wenn sie nur einen Käufer findet. Ihn interessiert wohl die Menge Arbeit, die am Ankaufs- und Verkaufsort, sowie zu der Ankaufs- und Verkaufszeit gesellschaftlich notwendig ist zur Erzeugung jener Waren, mit denen er handelt, denn das wirkt bestimmend auf ihren Preis, aber diese Arbeit interessiert ihn nur als wertgebende, allgemein menschliche Arbeit, als abstrakte Arbeit, nicht als konkrete, bestimmte Gebrauchswerte produzierende Arbeit. Das kommt dem Kaufmann freilich nicht in dieser Form zum Bewußtsein, denn es dauert lange, ehe die Menschen zur Aufdeckung der Bestimmung des Wertes durch die allgemein menschliche Arbeit gelangen. Erst dem Genie eines Karl Marx ist das bei hochentwickelter Warenproduktion vollständig gelungen. Aber viele Jahrtausende vorher findet schon die abstrakte, allgemein menschliche Arbeit im Gegensatz zu den konkreten Arbeitsarten ihren greifbaren Ausdruck, der zu seinem Erfassen nicht des geringsten Abstraktionsvermögens bedarf, im Geld. [9] Das Geld ist der Repräsentant der allgemein menschlichen Arbeit, die in jeder Ware steckt; es repräsentiert nicht eine besondere Art Arbeit, nicht etwa Weber- oder Töpfer- oder Schmiedearbeit, sondern jede Arbeit, alle Arbeit, heute diese, morgen jene Art Arbeit. Den Kaufmann aber interessiert die Ware nur als Repräsentant von Geld, ihn interessiert an ihr nicht ihre besondere Nützlichkeit, sondern ihr besonderer Preis.

Den Produzenten – Bauern, Handwerker, Künstler – interessiert die Besonderheit seiner Arbeit, die Besonderheit des Stoffes, den er zu bearbeiten hat; Lid er wird die Produktivität seiner Arbeitskraft um so mehr steigern, je mehr er seine Arbeit spezialisiert. Seine besondere Arbeit fesselt ihn aber auch an einen besonderen Ort, an seine Scholle oder Werkstätte. So erzeugt die Bestimmtheit der Arbeit, die ihn beschäftigt, eine gewisse Beschränktheit der Denkweise in ihm, die die Griechen als Banausentum (von Banausos = der Handwerker), kennzeichneten. „Mögen die Schmiede, Zimmerleute und Schuster in ihrem Fache geschickt sein“, meinte Sokrates im fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, „die meisten sind Sklavenseelen, sie wissen nicht, was schön, gut und gerecht ist.“ Dieselbe Ansicht sprach der Jude Jesus Sirach um das Jahr 200 v. Chr. aus. So nützlich das Handwerk ist, meint er, so wenig taugt der Handwerker zur Politik, zur Rechtspflege, zur Verbreitung sittlicher Bildung.

Erst die Maschine bringt die Möglichkeit mit sich, diese Beschränktheit für die Masse der arbeitenden Klassen aufzuheben, aber erst die Aufhebung der kapitalistischen Warenproduktion wird die Bedingungen schaffen, unter denen die Maschine ihre herrliche Aufgabe der Befreiung der arbeitenden Masse in vollstem Maße erfüllen kann.

Ganz anders als auf den Handwerker wirkt auf den Kaufmann seine Tätigkeit. Er darf sich nicht auf die Kenntnis eines besonderen Produktionszweiges einer besonderen Gegend beschränken; je weiter sein Blick, je mehr Produktionszweige er umfaßt, je mehr Gegenden mit ihren besonderen Produktionsbedingungen und Bedürfnissen, desto eher wird er die Waren herausfinden, deren Vertrieb jeweilig am profitabelsten ist; desto eher jene Märkte, wo er am profitabelsten kaufen, und jene, wo er am profitabelsten verkaufen kann. Bei aller Mannigfaltigkeit der Produkte und Märkte, mit denen er handelt, interessieren ihn aber in letzter Linie immer nur die Verhältnisse der Preise, das heißt die Verhältnisse verschiedener Mengen abstrakt menschlicher Arbeit, also abstrakte Zahlenverhältnisse. Je mehr der Handel sich entwickelt, je mehr räumlich und zeitlich Kauf und Verkauf auseinanderliegen, je verschiedener die Münzverhältnisse, mit denen der Kaufmann zu tun hat, je mehr die Akte des Kaufs und der Zahlung auseinanderfallen, Kreditsystem und Zinszahlung sich entwickeln, desto verwickelter und mannigfaltiger gestalten sich diese Zahlenverhältnisse. So muß der Handel das mathematische Denken, damit aber auch das abstrakte Denken entwickeln. Indem er gleichzeitig den Horizont über die lokale und professionelle Beschränktheit hinaus erweitert, dem Kaufmann die Kenntnis der verschiedensten Klimate und Bodengestaltungen, der verschiedensten Kulturstufen und Produktionsweisen vermittelt, regt er ihn zu Vergleichen an, ermöglicht er es ihm, aus der Fülle des Besonderen das Allgemeine, aus der Fülle des Zufälligen das Gesetzmäßige, das sich unter bestimmten Verhältnissen immer von neuem Wiederholende herauszufinden. Dadurch wird ebenso wie durch das mathematische Denken die Abstraktionskraft ungemein gefördert, während Handwerk und Kunst mehr den Sinn für das Konkrete, aber auch den für die Oberfläche, nicht für das Wesen der Dinge entwickeln. Es sind nicht die „produktiven“ Tätigkeiten, Ackerbau und Handwerk, sondern es ist der „unproduktive“ Handel, der jene geistigen Fähigkeiten bildet, welche die Grundlagen des wissenschaftlichen Forschens ausmachen.

Aber damit ist nicht gesagt, daß der Handel schon dies Forschen selbst erzeugt. Uninteressiertes Denken, das Suchen nach Wahrheit, nicht nach persönlichem Vorteil, ist gerade dem Kaufmann am wenigsten eigen. Der Bauer wie der Handwerker leben nur von ihrer Hände Arbeit. Der Wohlstand, den sie erringen können, ist in bestimmte Grenzen gebannt; aber innerhalb dieser Grenzen ist er bei primitiven Zuständen einem jeden gesunden Durchschnittsindividuum sicher, wenn nicht Krieg oder übermächtige Naturgewalten das ganze Gemeinwesen zerrütten und ins Elend stürzen. Ein Streben über das Durchschnittsmaß hinaus ist da weder notwendig, noch aussichtsvoll. Heitere Zufriedenheit mit dem ererbten Lose kennzeichnet diese Berufe, solange nicht das Kapital, zunächst in der Form des Wucherkapitals, sie oder ihre Herren sich unterwirft und bedrängt.

Ganz anders als das Verrichten konkreter, nützlicher Arbeit wirkt aber das Handeln mit allgemein menschlicher Arbeit. So sehr der Erfolg der ersteren Arbeit durch die Kräfte des Individuums beschränkt ist, so unbeschränkt der Erfolg des Handels. Der Handelsprofit findet bestimmte Grenzen nur in der Menge von Geld, von Kapital, das der Händler besitzt, und diese Menge läßt sich unbeschränkt ausdehnen. Andererseits ist aber dieser Handel auch weit größeren Wechselfällen und Gefahren ausgesetzt, als das ewige Einerlei der bäuerlichen und handwerksmäßigen Arbeit in der einfachen Warenproduktion. Der Kaufmann schwebt stets zwischen den Extremen des üppigsten Reichtums und völligen Ruins. Da werden die Leidenschaften des Erwerbes ganz anders aufgepeitscht, als bei den produktiven Klassen. Unersättliche Habgier, aber auch rücksichtsloseste Grausamkeit sowohl gegen Konkurrenten wie gegen Ausbeutungsobjekte kennzeichnen den Kaufmann. Heute noch macht sich dies in einer für Leute, die von ihrer eigenen Arbeit leben, abstoßendsten Weise überall dort geltend, wo der Ausbeutungsdrang des Kapitals nicht auf kräftigen Widerstand stößt, also namentlich in den Kolonien.

Das ist keine Denkweise, die persönlich uninteressiertes wissenschaftliches Denken ermöglicht. Der Handel entwickelt die dazu erforderliche geistige Begabung, nicht aber deren wissenschaftliche Anwendung. Im Gegenteil, wo er auf die Wissenschaft Einfluß gewinnt, wirkt er nur dahin, ihre Ergebnisse für seine Interessen zurechtzufälschen, wofür ebenfalls bis heute die bürgerliche Wissenschaft zahllose Belege liefert.

Das wissenschaftliche Denken konnte sich nur bei einer Klasse entwickeln, die unter dem Einfluß aller der Begabungen, Erfahrungen und Kenntnisse stand, die der Handel mit sich brachte, die zugleich aber von der Erwerbsarbeit befreit war und so Muße, Gelegenheit und Freude zu unbefangenem Forschen, zum Lösen von Problemen ohne Rücksicht auf deren nächsten, praktischen und persönlichen Ergebnisse erhielt. Nur in großen Handelszentren entwickelte sich die Philosophie, aber auch nur in solchen, in denen sich außerhalb des Handels Elemente fanden, denen ihr Besitz oder ihre gesellschaftliche Stellung Muße und Freiheit verlieh. Das waren in einer Reihe griechischer Handelsstädte große Grundbesitzer, die durch ihre Sklaven der Arbeit enthoben wurden und die nicht auf dem Lande, sondern in der Stadt lebten, nicht in der rohen Kraftmeierei des auf dem Lande lebenden Krautjunkers aufgingen, sondern die Einflüsse der Stadt und ihres Großhandels auf sich einwirken ließen.

Eine solche Klasse in der Stadt lebender und philosophierender Großgrundbesitzer scheint aber nur in Seestädten aufgetreten zu sein, deren Landgebiet gerade groß genug war, um einen solchen Landadel zu produzieren, aber nicht groß genug, um ihn von der Stadt fernzuhalten und sein Interesse auf die Ausdehnung seines Grundbesitzes zu lenken. Derartige Verhältnisse finden wir vor allem in griechischen Seestädten. Das Landgebiet der phönizischen Seestädte war dagegen zu gering, einen solchen Grundbesitz zu produzieren. Da lebte alles vom Handel.

In Städten wiederum, die von einem großen Landgebiet umgeben waren, scheint der große Grundbesitz mehr unter den Einflüssen des Landlebens geblieben, mehr die Denkweisen des Krautjunkertums entwickelt zu haben. In den großen Handelszentren des asiatischen Binnenlandes waren am meisten von der Erwerbsarbeit befreit und am wenigsten von praktischen Geschäften in Anspruch genommen die Priester einzelner Kultstätten. Nicht wenige unter diesen Stätten gewannen Bedeutung und Reichtum genug, um besondere Priester ständig erhalten zu können, deren Arbeit eine recht geringe war. Dieselbe gesellschaftliche Aufgabe, die in den griechischen Seestädten der Aristokratie zufiel, wurde in den großen Handelszentren des orientalischen Festlandes, namentlich Ägyptens und Babyloniens, den Priestern der Kultstätten zuteil: die Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens, der Philosophie. Damit erhielt aber das orientalische Denken eine Schranke, von der das griechische frei blieb: die stete Beziehung und Rücksicht auf den religiösen Kultus. Was die Philosophie dadurch verlor, gewann dieser und mit ihm gewannen es die Priester. Blieben diese in Griechenland einfache Kultusbeamte, Hüter der Kultusstätten und Vollzieher der religiösen Handlungen bei ihnen, so wurden sie in den großen Handelszentren des Orients zu den Bewahrern und Verwaltern des gesamten Wissens, des naturwissenschaftlichen wie des sozialen, der Mathematik, der Astronomie, der Medizin, wie der Geschichtschreibung und des Rechtes. Ihr Einfluß in Staat und Gesellschaft wurde dadurch enorm gesteigert. Die Religion selbst konnte aber dort eine geistige Vertiefung erlangen, deren die griechische Mythologie nicht fähig war, da die hellenische Philosophie diese bald beiseite liegen ließ, ohne zu versuchen, ihre naiven Anschauungen mit tieferer Erkenntnis zu erfüllen und zu versöhnen.

Neben der Höhe der bildenden Kunst ist es wohl das Fernbleiben der Philosophie vom Priestertum, was der Religion des Griechentums ihren sinnlichen, lebensvollen und genußfreudigen, künstlerischen Charakter gibt. Dagegen mußte in einer Gegend mit starkem, internationalem Handel, aber ohne entwickelte bildende Kunst, ohne eine profane Aristokratie mit intellektuellen Neigungen und Bedürfnissen, aber mit starkem Priestertum, eine Religion, die von vornherein keinen Polytheismus mit scharf ausgeprägten Götterindividualitäten entwickelt hatte, leichter einen abstrakten, vergeistigten Charakter annehmen, die Gottheit leichter aus einer Persönlichkeit zu einer Idee oder einem Begriff werden können.


e. Handel und Nationalität

Der Handel beeinflußt das menschliche Denken noch in anderer Weise, als der eben auseinandergesetzten. Er fördert ungemein das nationale Empfinden. Wir haben schon die Beschränktheit des bäuerlichen und kleinbürgerlichen Horizonts erwähnt im Gegensatz zu dem weiten Blick de~ Kaufmanns. Den erlangt dieser dadurch, daß er immer weiter fortstrebt, weg von dem Orte, in den ihn der Zufall der Geburt versetzte. Am auffallendsten tritt das zutage bei den Völkern des Seehandels, so im Altertum bei den Phöniziern und Griechen, von denen über das Mittelmeer hinaus jene sich weit in den Atlantischen Ozean hinauswagten, diese das Schwarze Meer aufschlossen. Der Landhandel erlaubte nicht so weitreichende Züge. Und der Seehandel setzte eine hohe Technik, vor allem des Schiffbaues voraus, es war ein Handel von hochstehenden zu tiefer stehenden Völkern, die leicht unterjocht wurden, was zu Gründungen von Kolonien durch das Handelsvolk führte. Der Landhandel wurde am ehesten und leichtesten betrieben von Nomaden, die zu höherentwickelten Völkerschaften kamen, bei denen sie bereits Überschüsse von Produkten des Ackerbaues und der Industrie vorfanden. Von einer Kolonialgründung durch einzelne Expeditionen konnte da keine Rede sein. Mitunter mochte eine ganze Anzahl von Nomadenstämmen sich vereinigen, um das reichere, höher stehende Land zu plündern oder zu erobern, aber auch dann kamen sie nicht als Kolonisten, als Träger einer höheren Kultur. Solche Vereinigungen von Nomadenstämmen fanden aber nur selten unter außergewöhnlichen Umständen statt, da die ganze Natur der nomadischen Viehzucht die einzelnen Stämme und Gentes, selbst Familien voneinander isoliert und über einen weiten Raum zerstreut. Die Händler aus diesen Stämmen konnten in der Regel in das reiche und mächtige Staatswesen, mit dem sie handelten, nur gelangen als geduldete Schutzflehende.

Das gilt auch von den Händlern der kleinen Völkerschaften, die sich an der Völkerstraße von Ägypten nach Syrien seßhaft gemacht hatten. Wie die Phönizier und Griechen gründeten auch diese Niederlassungen in den Ländern, nach denen sie handelten, von Babylonien bis Ägypten, aber es waren keine Kolonien im strengen Sinne des Wortes: Nicht kraftvolle Städte, nicht Mittel der Beherrschung und Ausbeutung von Barbaren durch ein Kulturvolk, sondern schwache Gemeinden von Schutzflehenden innerhalb mächtiger und hochkultivierter Städte. Um so notwendiger war es, daß die Mitglieder dieser Gemeinden aufs innigste zusammenhielten gegenüber den Fremdlingen, in deren Mitte sie wohnten, um so dringender aber auch ihr Bedürfnis nach Macht und Ansehen ihrer Nation, da davon ihre eigene Sicherheit und ihr Ansehen in der Fremde und damit auch die Bedingungen ihres Handelsverkehrs abhingen.

Überall ist, wie ich schon in meinem Buche über Thomas More bemerkte, der Kaufmann bis ins neunzehnte Jahrhundert gleichzeitig der internationalste wie der nationalste Teil der Gesellschaft. Bei Kaufleuten kleiner Völker, die wehrlos zahlreichen Mißhandlungen in der Fremde ausgesetzt waren, mußte aber dieses nationale Empfinden, mußte das Bedürfnis nach nationalem Zusammenschluß und nationaler Größe ebenso wie der Haß gegen die Fremden besonders stark anwachsen.

In dieser Situation waren auch die israelitischen Händler. Frühzeitig dürften die Israeliten nach Ägypten gezogen sein, schon als wandernde Viehzüchter, lange ehe sie seßhafte Bewohner Kanaans wurden. Von kanaanitischen Einwanderern in Ägypten berichten bereits Zeugnisse, die vielleicht bis in das dritte Jahrtausend hinaufreichen. Ed. Meyer schreibt darüber:

„Eine berühmte Darstellung im Grabe des Chnemhotep in Benihassan zeigt uns, wie eine Beduinenfamilie von 37 Mann unter Führung ihres Häuptlings Abscha im sechsten Jahre Usertesens III. [10] nach Ägypten kam. Sie werden als Amu, das ist Kanaanäer bezeichnet und sind durch ihre Gesichtszüge deutlich als Semiten charakterisiert. Sie tragen die bunten Gewänder, welche in Asien seit alter Zeit beliebt waren, sind mit Bogen und Lanze bewaffnet und führen Esel und Ziegen mit sich; einer von ihnen versteht auch die Leier zu spielen. Als kostbare Habe führen sie die Augenschminke Meszemut mit sich. Jetzt begehren sie Einlaß und wenden sich daher an den Grafen von Menatchufu, Chnemhotep, dem die östlichen Gebirgslande unterstellt sind. Ein königlicher Schreiber Neferhotep führt sie demselben vor zu weiterer Verfügung und Berichterstattung an den König. Ähnliche Szenen wie die hier verewigten mögen sich noch abgespielt haben, und zweifellos haben sich daneben kananäische Händler und Gewerbetreibende in großer Zahl in den östlichen Städten des Delta niedergelassen, wo wir ihnen später noch begegnen werden. Umgekehrt sind ägyptische Händler gewiß vielfach in syrische Städte gekommen. Wenn auch durch viele Zwischenglieder vermittelt, wird sich der ägyptische Handel in dieser Zeit doch jedenfalls schon bis nach Babylon hin ausgedehnt haben.“

Einige Jahrhunderte nach dieser Zeit, etwa um das Jahr 1800, in einer Zeit des Niedergangs der ägyptischen Gesellschaft, wurde Nordägypten durch die Hyksos erobert, zweifellos kananäische Wanderstämme, denen die Ohnmacht der ägyptischen Regierung die Verlockung und Möglichkeit bot, in das reiche Nilland einzufallen, wo sie sich über zwei Jahrhunderte lang behaupteten.

„Die weltgeschichtliche Bedeutung der Hyksosherrschaft besteht vor allem darin, daß durch sie eine rege, seitdem nicht wieder unterbrochene Verbindung Ägyptens mit den syrischen Landschaften hergestellt worden ist. Kananäische Kaufleute und Gewerbetreibende kamen in Menge nach Ägypten, kananäischen Personennamen und Kulten begegnen wir daher im neuen Reich auf Schritt und Tritt, kananäische Worte beginnen ins Ägyptische einzudringen. Wie rege der Verkehr war, zeigt der Umstand, daß ein ums Jahr 1550 v. Chr. geschriebenes medizinisches Werk ein Augenrezept enthält, das von einem Amu aus Kepni, das ist höchstwahrscheinlich aus der phönizischen Stadt Byblos, verfertigt war.“ [11]

Wir haben keinen Grund, anzunehmen, daß unter den „Amu“, den semitischen Beduinen und Städtern östlich und nordöstlich von Ägypten, die dahin zogen, nicht auch Hebräer gewesen seien, wenn diese auch nicht ausdrücklich genannt werden. Andererseits ist es heute schwer, herauszufinden, was wir als den historischen Kern in den Sagen von Joseph, dem Aufenthalt der Hebräer in Ägypten und ihrem Auszug unter Moses zu betrachten haben. Ihre Gleichsetzung mit den Hyksos, mit der Josephus operiert, ist unhaltbar. So viel scheint aber doch daraus hervorzugehen, daß – nicht ganz Israel, sondern einzelne Familien und Karawanen der Hebräer früh nach Ägypten zogen, wo sie je nach den wechselnden Situationen im Lande mehr oder weniger gut behandelt, einmal freudig aufgenommen, dann wieder gequält und als „lästige“ Ausländer verjagt wurden. Das ist das typische Schicksal solcher Niederlassungen fremder Händler aus schwachen Völkern, die sich in starken Reichen niederlassen.

Die „Diaspora“, die Zerstreuung der Juden in der Welt, beginnt auf keinen Fall erst mit der Zerstörung Jerusalems durch die Römer, auch nicht mit dem babylonischen Exil, sondern viel früher; sie ist eine natürliche Folge des Handels, eine Erscheinung, die die Juden mit den meisten Handelsvölkern teilen. Aber freilich, die Landwirtschaft blieb, wie bei den meisten dieser Völker, so auch bei den Israeliten, der Hauptnahrungszweig bis zur Zeit des Exils. Der Handel bildete ehedem für die nomadischen Viehzüchter nur eine Nebenbeschäftigung. Als sie seßhaft geworden waren und eine Arbeitsteilung eintrat, der herumziehende Kaufmann und der an der Scholle klebende Landmann zwei verschiedene Personen wurden, blieb die Zahl der Kaufleute relativ gering, der Bauer bestimmte den Charakter des Volkes. Und die Zahl der im Ausland lebenden Israeliten war auf jeden Fall klein, verglichen mit den im Lande verbleibenden. Die Hebräer unterschieden sich dadurch in nichts von den übrigen Völkern.

Aber sie lebten in Verhältnissen, die den Fremdenhaß und die starke nationale Empfindung, ja Empfindlichkeit, die im Kaufmann erwuchsen, auch der Masse des Volkes mehr mitteilten, als das in der Regel bei Bauernvölkern der Fall war.


f. Die Völkerstraße Kanaan.

Wir haben gesehen, welche Wichtigkeit Palästina für den Handel von Ägypten, Babylonien, Syrien besaß. Seit jeher hatten denn auch diese Staaten sich bestrebt, das Land in ihre Häme zu bekommen.

Im Kampfe gegen die schon erwähnten Hyksos (etwa 1800 bis 1530) war ein kriegerischer Geist in Ägypten erwachsen, gleichzeitig aber hatten die Hyksos den Verkehr zwischen Ägypten und Syrien sehr gefördert. So erstand nach der Vertreibung der Hyksos in den Ägyptern das Streben nach kriegerischer Expansion, vor allem danach, den Handelsweg nach Babylonien zu beherrschen. Sie drangen bis an den Euphrat vor, besetzten Palästina und Syrien. Aus letzterem Lande wurden sie bald wieder durch die Cheta zurückgedrängt, in Palästina behaupteten sie sich länger, vom fünfzehnten bis ins zwölfte Jahrhundert. Dort hielten sie auch eine Reihe von Zwingburgen besetzt, darunter Jerusalem.

Aber schließlich erlahmte die kriegerische Kraft Ägyptens, und vom zwölften Jahrhundert an konnte es Palästina nicht mehr halten, indes gleichzeitig die syrischen Chetiter durch die beginnende Ausbreitung der Assyrier geschwächt und an weiterem Vordringen nach dem Süden aufgehalten wurden.

So entstand eine Unterbrechung der Fremdherrschaft in Palästina. Diese benutzte eine unter dem Namen der Israeliten zusammengefaßte Gruppe von Beduinenstämmen, um in das Land erobernd einzudringen und es nach und nach zu besetzen. Noch waren sie damit nicht zu Ende gekommen, noch standen sie mit den früheren Einwohnern des Landes in lebhaftem Kampfe, da erstanden ihnen neue Feinde in anderen Beduinenstämmen, die ihnen in das „gelobte Land“ nachdrängten. Gleichzeitig aber stießen sie in der Front auf einen Gegner, die Bewohner der Ebene, die das von den Israeliten besetzte Höhenland vom Meere trennte. Das waren die Philister. Diese mußten sich durch das Vordringen eines so streitbaren Volkes wie die Israeliten aufs lebhafteste bedroht fühlen. Andererseits wird die Küstenebene besondere Verlockungen auf die Israeliten ausgeübt haben. Ging doch durch diese der Hauptweg, der Ägypten mit dem Norden verband. Wer ihn beherrschte, beherrschte damit auch fast den ganzen Außenhandel Ägyptens nach dem Norden und Osten. Der Seehandel Ägyptens auf dem Mittelmeer war damals noch sehr gering. Erwiesen sich aber die Bewohner der Höhenzüge, die die Ebene begleiteten, als ein kampffähiges und raublustiges Geschlecht, dann mußten sie eine stete Bedrohung des Handels nach und von Ägypten und der Reichtümer, die er abwarf, bilden. Und sie waren kampffähig und raublustig. Von der Bildung von Räuberbanden in Israel wird uns öfter berichtet, so zum Beispiel von Jephtha, der „lose Leute um sich sammelte, die auszogen mit ihm“ (Richter 11, 3) Auch von räuberischen Einfällen ins Land der Philister ist öfter die Rede. So kam über Simson „der Geist Jahves, daß er hinabging gegen Askalon und dreißig Mann von ihnen erschlug. Denen nahm er ab, was sie an sich hatten,“ um damit eine verlorene Wette zu bezahlen (Richter 14, 19). David wird in seinen Anfängen ebenfalls als der Führer einer Räuberbande geschildert, „und es scharten sich um ihn allerlei Bedrängte und alle, die Schulden hatten, und alle Mißvergnügten, und er wurde ihr Hauptmann. Bei vierhundert Mann schlossen sich ihm an.“ (1. Sam. 22, 2.)

Kein Wunder, daß zwischen den Philistern und den Israeliten fast ständige Fehde herrschte, und daß jene alles aufboten, die unbequemen Nachbarn zu bändigen. Auf der einen Seite von den Beduinen, auf der anderen von den Philistern bedrängt, versank Israel in Abhängigkeit und Not. Es erlag den Philistern um so mehr, als das Gebirgsland, das es bewohnte, den Kantönligeist, die Stammeszersplitterung begünstigte, indes die Ebene die Zusammenfassung der verschiedenen Stämme und Gemeinden der Philister zu einem einheitlichen Vorgehen förderte. Erst als es dem starken Heerkönigtum Davids gelang, die verschiedenen Stämme Israels zu einer festen Einheit zusammenzuschweißen, nahm dessen Bedrängnis ein Ende.

Nun wurden die Philister niedergeworfen und auch die letzten festen Städte im Höhenlande Kanaans, die den Israeliten noch Widerstand geleistet hatten, erobert, darunter Jerusalem, ein ungemein fester, schwer einnehmbarer Platz, der den Israeliten am längsten Widerstand geleistet hatte und der die Zugänge vom Süden nach Palästiua beherrschte. Es wurde die Hauptstadt des Reiches und der Sitz des Bundesfetischs, der Bundeslade, in der der Kriegsgott Jahve hauste.

David gewann nun die Herrschaft über den ganzen Handel zwischen Ägypten und dem Norden, und reicher Gewinn floß ihm daraus zu, was ihn wieder instand setzte, seine Kriegsmacht zu vergrößern und das Gebiet seines Staates nach dem Norden und Süden hin zu erweitern. Er unterwarf die räuberischen Beduinenstämme bis an das Rote Meer, sicherte die Handelsstraßen dahin und begann mit Hilfe der Phönizier, denn die Israeliten verstanden von Schiffahrt nichts, auf dem Roten Meere den Handel zu betreiben, der bis dahin zu Lande von Südarabien (Saba) nach dem Norden gegangen war. Es war das goldene Zeitalter Israels, dem aus seiner die wichtigsten Handelsstraßen jener Zeit beherrschenden Position eine es berauschende Fülle von Macht und Reichtum zuströmte.

Und doch sollte gerade diese Position sein Verderben werden. Blieb ja deren wirtschaftliche Bedeutung den großen Nachbarstaaten nicht verborgen. Je mehr das Land unter David und Salomo aufblühte, um so mehr mußte es die Gier der großen Nachbarn reizen, deren kriegerische Kraft gerade um diese Zeit wieder erstarkte; in Ägypten namentlich dadurch, daß die bäuerlichen Milizen durch Söldner ersetzt wurden, die zu Angriffskriegen leichter bereit waren. Freilich, Palästina dauernd zu erobern, dazu reichte Ägyptens Kraft nicht mehr hin. Aber um so schlimmer für Israel. Statt in dauernde Abhängigkeit von einem Großstaat zu geraten, dessen Macht ihm wenigstens Frieden und Schutz vor äußeren Feinden gebracht hätte, wurde es der Spielball der sich bekämpfenden Ägypter und Syrier, später auch Assyrier, und bildete Palästina den Kriegsschauplatz, auf dem diese Mächte feindlich zusammentrafen. Zu den Verheerungen der Kriege, die es selbst für seine eigenen Interessen zu führen hatte, gesellten sich nun die Verheerungen der großen Armeen, die dort für Interessen kämpften, denen die Bewohner des Landes völlig fremd gegenüberstanden. Und die Lasten der Tributpflichtigkeit und Abhängigkeit, die jetzt zeitweise den Israeliten auferlegt wurden, wurden nicht gemildert dadurch, daß es nicht immer der gleiche Herr war, der sie ihnen auferlegte, daß je nach den Launen des Kriegsglücks ihre Herren beständig wechselten, jeder seinen Besitz für einen prekären hielt, aus dem er rasch möglichst viel herauszuholen suchte.

Palästina war damals in einer Situation ähnlich der, in welcher sich zum Beispiel Polen im achtzehnten Jahrhundert oder Italien, namentlich Norditalien, vom Mittelalter an bis ins vorige Jahrhundert hinein befand. Wie ehedem Palästina, sahen sich später Italien und Polen außerstande, eine eigene Politik zu machen, und bildeten den Kriegsschauplatz und das Ausbeutungsobjekt fremder Großmächte; Polen Rußlands, Preußens, Österreichs; Italien Spaniens und Frankreichs, sowie der Herren des Deutschen Reiches, später Österreichs. Und wie in Italien und Polen trat auch in Palästina eine nationale Zersplitterung ein, die wohl der gleichen Ursache entsprang: In Palästina wie in Italien wurden die verschiedenen Landesteile durch die Nachbarn in verschiedener Weise beeinflußt. Der Norden des von den Israeliten besetzten Gebiets ward am meisten von den Syriern und dann den Assyriern bedroht, aber auch beherrscht. Der Süden, Jerusalem mit seinem Landkreis, im wesentlichen das Gebiet des Stammes Juda, war mehr von Ägypten je nachdem entweder bedroht oder abhängig. Für das eigentliche Israel erschien daher oft eine andere äußere Politik angemessen als für Juda. Diese Differenz in der äußeren Politik wurde wohl die Hauptursache, daß sich Israel in zwei Reiche spaltete im Gegensatz zu früher, wo die äußere Politik die Ursache gebildet hatte, die die zwölf Stämme gegen den einen gemeinsamen Feind vereinigte, der sie alle in gleicher Weise bedrängte, die Philister.

Aber noch in anderer Weise mußte die ähnliche Situation die gleiche Wirkung in Palästina wie in Italien und Polen hervorrufen: hier wie dort finden wir den gleichen nationalen Chauvinismus, die gleiche nationale Empfindlichkeit, den gleichen Haß gegen die Fremden, der das Maß dessen überschreitet, was die nationalen Gegensätze bei anderen Völkern der gleichen Zeit erzeugen. Und dieser Chauvinismus muß wachsen, je länger diese unerträgliche Situation für das Land dauert, die es ununterbrochen zum Spielball der Launen und zum Kriegschauplatz der Raubzüge der großen Nachbarn macht.

Bei der Bedeutung, welche im Orient aus den schon erwähnten Gründen die Religion gewann, mußte der Cha1ivinismus auch in ihr zutage treten. Der starke Handelsverkehr mit den Nachbarn brachte auch deren religiöse Anschauungen, Kulte und Götterbilder ins Land. Der Haß gegen die Fremden mußte aber andererseits immer wieder zu einem Haß gegen ihre Götter werden, nicht weil man an deren Existenz zweifelte, sondern gerade, weil man in ihnen die wirksamsten Helfer des Feindes erblickte.

Das ist nichts, was die Hebräer von anderen Völkern des Orients unterscheidet. Der Stammgott der Hyksos in Ägypten war Sutech. Als es gelang, jene zu vertreiben, da mußte auch ihr Stammgott weichen, er wurde identifiziert mit dem Gott der Finsternis, Seth oder Sutech, von dem sich die Ägypter mit Abscheu abwandten.

Die Patrioten Israels und ihre Führer, die Propheten, mußten sich mit gleicher Wut gegen die fremden Götter wenden, wie etwa die deutschen Patrioten unter Napoleon sich über französische Moden und französische Worte in der deutschen Sprache entrüsteten.


g. Klassenkämpfe in Israel

Bei dem Fremdenhaß blieben aber die Patrioten nicht stehen. Sie mußten auch trachten, den Staat zu regenerieren, ihm höhere Kraft zu verleihen.

In demselben Maße, wie die Bedrängnis von außen, stieg in dem israelitischen Gemeinwesen die soziale Zersetzung. Der Aufschwung des Handels seit David brachte große Reichtümer ins Land. Aber wie überall im Altertum so blieb auch in Palästina die Landwirtschaft die Grundlage der Gesellschaft und der Grundbesitz der sicherste und ehrenvollste Besitz. Wie anderswo suchten auch in Palästina die reichgewordenen Elemente Grundbesitz zu erwerben oder, wenn sie schon welchen hatten, ihn zu vergrößern. Auch hier begann nun das Streben nach Latifundienbildung. Dieses wurde erleichtert dadurch, daß in Palästina wie anderswo der Bauer unter den neuen Verhältnissen verkam. Waren früher die Kämpfe der Israeliten meist nur kleine, lokale Fehden gewesen, die den bäuerlichen Milizsoldaten nicht lange und nicht weit von seiner Scholle entfernten, so änderte sich das, seitdem Israel ein größerer Staat und in die Kämpfe der Großstaaten verwickelt wurde. Der Kriegsdienst ruiniert jetzt den Bauern und macht ihn abhängig vom geldbesitzenden größeren Nachbarn, der ihm nun als Wucherer entgegentritt, in dessen Belieben es steht, ihn von seinem Gütchen zu vertreiben oder dort zu belassen, aber als Schuldsklaven, der seine Schuld abarbeiten muß. Der letztere Modus wird oft vorgezogen worden sein, denn von stammfremden Kaufsklaven hören wir in Palästina nur wenig. Soll die Kaufsklaverei mehr als ein kostspieliger Luxus fair den Haushalt, soll sie eine profitable Geldanlage in der Produktion werden, dann setzt sie stete, glückliche Kriege voraus, die zahlreiches und billiges Sklavenmaterial liefern. Davon war bei den,Israeliten keine Rede. Sie zählten meist zu jenen unglücklichen Völkern, die Sklaven lieferten, nicht die Sklaven machten. Um so mehr mußten die Latifundienbesitzer, die billiger und abhängiger Arbeitskräfte bedurften, die Schuldsklaverei der eigenen Volksgenossen bevorzugen, ein System, das auch anderswo, zum Beispiel seit Aufhebung der Leibeigenschaft bis in unsere Tage in Rußland, vom Großgrundbesitz gern angewandt wird, wenn ihm Sklaven oder Leibeigene fehlen.

Je mehr diese Entwicklung voranging, desto mehr mußte mit den freien Bauern die kriegerische Kraft Israels abnehmen und seine Widerstandsfähigkeit gegenüber den äußeren Feinden sinken. So vereinigten sich die Patrioten mit den Sozialreformern und Volksfreunden, um diese verderbliche Entwicklung aufzuhalten. Sie riefen das Volk und Königtum auf, ebenso zum Kampf gegen die fremden Götter wie gegen die Bauernfeinde im eigenen Lande. Sie verkündeten den Untergang des Staates, wenn es nicht gelänge, der Unterdrückung und Verelendung der Bauernschaft ein Ende zu machen.

„Wehe euch!“ rief Jesaja, „die ihr Haus an Haus reiht und Feld an Feld, bis kein Raum mehr da ist und ihr allein das Land besitzet! Es schwor vor meinem Ohre der Herr der Heerscharen: Fürwahr, viele Häuser sollen verwüstet werden, große und schöne menschenleer.“ (5, 8 und 9)

Und der Prophet Amos verkündete:

„Höret dies Wort, ihr fetten Kühe auf dem Berge Samarias, die die Armen unterdrücken, die Dürftigen niedertreten, die zu ihrem Herrn sprechen: Schaff uns zu trinken! Der Herr Jahve schwört bei seiner Heiligkeit: Fürwahr, sehet, es werden Tage über euch kommen, da wird man euch an Angeln bis auf die letzten an Fischhaken emporziehen!“ (4, 1 und 2)

„Höret dieses, die ihr die Armen verschlingt und die Dürftigen des Landes verderbet, indem ihr denkt: Wäre doch nur schon der Neumond vorüber, daß wir das Getreide verkaufen, und der Sabbat, daß wir die Frucht zum Verkauf bringen könnten, daß wir das Maß klein, den Kaufpreis aber groß machen und falsches Gewicht anwenden, daß wir die Armen um Geld uns kaufen und die Dürftigen um ein Paar Schuhe, und die Spreu für Korn verkaufen! Jahve hat bei dem, der der Ruhm Jakobs ist, geschworen: Nimmer werde ich diese ihre Handlungen vergessen! Sollte nicht um solcher willen die Erde erbeben müssen und alle Einwohner trauern?“ (Amos 8, 4 bis 8.)

„Daß die Besitzenden und Herrschenden den Regierungsapparat dazu benutzten, die neue Ordnung durch eine Gesetzgebung zu sanktionieren, geht aus den unaufhörlichen Klagen der Propheten über das bestehende Recht deutlich hervor: ‚Wehe den Rechtsgelehrten‘, ruft der redegewaltige Jesaja, ‚die unrechte Gesetze machen, auf daß sie beugen die Sache der Armen und Gewalt üben im Rechte der Begehrlichen unter meinem Volke‘ (10, 1). ‚Zion muß durch Recht erlöst werden‘ (daselbst 1, 17). ‚Ist’s doch eitel Lüge, was die Rechtsgelehrten sagen!‘ (Jesaja 8, 8.) ‚Denn ihr verwandelt das Recht in Galle und die Gerechtigkeit in Wermut!‘ (Amos, 6, 12.)“ [12]

Ein Glück für die Propheten, daß sie nicht in Preußen oder Sachsen lebten! Sie wären aus den Aufreizungs-, Beleidigungs- und Hochverratsprozessen nicht herausgekommen.

Aber so kraftvoll ihre Agitation war und so dringenden Bedürfnissen sie auch entsprang, sie konnte doch keinen Erfolg haben, wenigstens keinen dauernden Erfolg in der Gesellschaft, wenn es ihnen auch gelegentlich gelingen mochte, gesetzliche Bestimmungen zur Linderung der Not oder zur Ausgleichung der sozialen Gegensätze zu erringen. Ihr Bestreben konnte nur dahin gehen, die Vergangenheit wiederherzustellen, den Strom der ökonomischen Entwicklung zu hemmen. Das war unmöglich, ebenso wie zum Beispiel die ähnlichen Bestrebungen der Gracchen in Rom von vornherein zum Scheitern verurteilt waren. Der Niedergang der Bauernschaft und damit des Staates war in Israel ebenso unaufhaltsam ivie später in Rom. Aber der Untergang des Staates war im kleinen Israel kein so langsames Absterben wie im römischen Weltreich. Gewaltige, übermächtige Gegner machten ihm ein plötzliches Ende, lange, ehe es seine Lebenskraft erschöpft hatte. Diese Gegner waren die Assyrier und Babylonier.


h. Der Untergang Israels

Von Tiglatpilesar I. (ungefähr 1115 bis 1050 v. Chr.) an beginnen, mit zeitweisen Unterbrechungen, die Assyrier ihre Eroberungspolitik großen Stils, die sie immer näher an Kanaan heranführt. Diese kraftvollen Eroberer brachten aber eine neue Methode der Behandlung der Besiegten auf, die den Israeliten höchst verderblich werden sollte.

Im Stadium des Nomadentums war das ganze Volk an einem Kriegszug interessiert, aus dem jeder Volksgenosse Vorteil zog. Entweder diente der Zug bloßer Plünderung oder der Eroberung eines fruchtbaren Landes, in dem sich die Siege als aristokratische Ausbeuter der eingeborenen Volksmasse niederließen.

Im Stadium des seßhaften Ackerbaus hatte die Masse der Bevölkerung, hatten die Bauern und Handwerker kein Interesse mehr an einem Eroberungskrieg; um so mehr freilich an einem erfolgreichen Verteidigungskrieg, denn im Falle der Niederlage drohte ihnen der Verlust ihrer Freiheit und ihres Landes. Nach gewaltsamer äußerer Expansionspolitik verlangten dagegen die Handelsherren, die Sicherung der Handelsstraßen und der Märkte im Ausland brauchten, was meist nur durch militärische Besetzung wenigstens einiger Punkte desselben erreichbar war. Ebenso drängte nach kriegerischer Expansion der Grundadel, den nach mehr Land und neuen Sklaven verlangte; und gleich kriegerisch empfanden die Könige, die nach vermehrten Steuereingängen lüstern waren

Aber solange es kein stehendes Heer und keine Bureaukratie gab, die vom Lande losgelöst und überallhin verpflanzt werden konnte, war eine dauernde Besetzung und Verwaltung eines besiegten Landes durch den Sieger in diesem Stadium schwer möglich. Dieser begnügte sich in der Regel nach einer ausgiebigen Plünderung und Schwächung des unterlegenen Volkes mit dem Versprechen der Treue und bestimmter Tributleistungen, ließ aber die herrschenden Klassen des unterworfenen Landes in ihrer Stellung und änderte nichts an dessen politischer Verfassung.

Das hatte indes den Nachteil, daß der Besiegte die erste beste Gelegenheit ergriff, das verhaßte Joch abzuschütteln, so daß wieder ein neuer Kriegszug erforderlich wurde, um ihn zu unterwerfen, was dann natürlich nicht ohne die barbarischste Bestrafung der „Rebellion“ abging.

Die Assyrier kamen auf ein System, das ihren Eroberungen größere Dauer versprach: wo sie auf hartnäckigen Widerstand stießen oder gar die Erfahrung wiederholter Rebellionen machten, da lähmten sie das Volk dadurch, daß sie ihm seinen Kopf nahmen, das heißt die herrschenden Klassen raubten, indem sie die vornehmsten, reichsten, intelligentesten und kriegstüchtigsten Einwohner, namentlich der Hauptstadt, in eine entfernte Gegend verbannten, wo die Deportierten ohne die Unterschicht der beherrschten Klasse völlig machtlos waren. Die zurückbleibenden Bauern und kleinen Handwerker bildeten aber nun eine zusammenhanglose Masse, die zu jedem gewaltsamen Widerstand gegen die Eroberer unfähig wurde.

Salmanassar II. (859 bis 825 v. Chr.) war der erste assyrische König, der ins eigentliche Syrien (Aleppo, Hamath, Damaskus) vordrang, und der erste zugleich, der uns Kunde von Israel gibt. In einem keilschriftlichen Bericht vom Jahre 842 erwähnt er auch einen Tribut des israelitischen Königs Jehu. Und diese Tributsendung wird illustriert. Es ist die älteste Darstellung israelitischer Gestalten, die auf uns gekommen ist. Von da an geriet Israel in immer engere Berührung mit Assyrien, je nachdem entweder tributzahlend oder sich empörend, indes sich gleichzeitig auch die eben beschriebene Praxis des Verpflanzens der Oberschicht besiegter, namentlich rebellischer Völker bei den Assyriern immer mehr entwickelte. Es war da nur noch eine Frage der Zeit, wann den unbesiegten und anscheinend unbesiegbaren Assyriern gegenüber auch für Israel der Tag des Unterganges kommen werde. Es bedurfte tatsächlich keiner großen Prophetengabe, um dies Ende vorauszusehen, das die jüdischen Propheten so lebhaft voraussagten.

Für das nördliche Reich kam das Ende unter dem König Hosea, der 724 Assyrien den Tribut verweigerte, im Zutrauen auf ägyptische Hilfe. Aber diese blieb aus. Salmanassar IV. zog nach Israel, schlug Hosea, nahm ihn gefangen und belagerte seine Hauptstadt, Samaria, die erst nach dreijähriger Belagerung von Sancheribs Nachfolger Sargon erobert werden konnte (722). Die „Blüte der Bevölkerung“ (Wellhausen), 27.290 Menschen nach den assyrischen Berichten, wurde nun hinweggeführt in assyrische und medische Städte. An ihre Stelle brachte der König von Assyrien Leute aus rebellischen babylonischen Städten „und siedelte sie an Stelle der Israeliten in den Städten Samariens an. In dieser Weise nahmen sie Samarien in Besitz und wohnten in seinen Städten“ (2. Könige 17, 24).

Also nicht die gesamte Bevölkerung der nördlichen zehn Stämme Israels wurde weggeführt, sondern nur die Vornehmsten aus den Städten, die man dann mit Fremdlingen besiedelte. Aber das genügte, der Nationalität dieser zehn Stämme ein Ende zu bereiten. Der Bauer ist eben für sich allein nicht imstande, ein besonderes Gemeinwesen zu bilden. Die nach Assyrien und Medien verpflanzten israelitischen Städter und Aristokraten aber verloren sich im Laufe der Generationen in ihrer neuen Umgebung, mit der sie sich vermischten.


i. Die erste Zerstörung Jerusalems

Nur Jerusalem mit seinem Landbezirk, Judäa, blieb übrig vom Volke Israel. Es schien, als sollte dieser kleine Rest bald das Schicksal der großen Masse teilen und der Name Israels damit ausgetilgt sein vom Erdboden. Aber es war nicht den Assyriern beschieden, Jerusalem einzunehmen und zu zerstören.

Freilich, daß das Heer des Assyrers Sanherib, der gegen Jerusalem zog (701), durch Unruhen in Babylon gezwungen war, heimzukehren, und daß Jerusalem dadurch gerettet wurde, das bedeutete bloß einen Aufschub. Judäa blieb ein assyrischer Vasallenstaat, der jeden Moment ausgelöscht werden konnte.

Aber von Sanheribs Zeit an wurde die Aufmerksamkeit der Assyrier immer mehr nach dem Norden abgelenkt, wo kriegerische Nomaden immer drohender heranrückten, und immer größere Kraft zu ihrer Abwehr erheischten, Kimmerier, Meder, Skythen. Die letzteren brachen um das Jahr 625 in Vorderasien ein, zogen plündernd und verwüstend bis an die Grenze Ägyptens, verliefen sich aber schließlich wieder nach 28 Jahren, ohne ein eigenes Reich begründet zu haben. Sie verschwanden jedoch nicht, ohne starke Spuren zu hinterlassen. Ihr Einfall erschütterte die assyrische Monarchie in ihren Grundfesten. Die Meder konnten sie nun mit besserem Erfolg angreifen, Babylon riß sich los und machte sich frei, indes die Ägypter die Situation benützten und Palästina unter ihre Oberhoheit brachten. Der judäische König Josia wurde von den Ägyptern bei Megiddo geschlagen und getötet (609), worauf Necho, der ägyptische König, Jojakim als seinen Vasallen in Jerusalem einsetzte. 606 endlich wurde Ninive von den vereinten Babyloniern und Medern zerstört. Das Reich der Assyrier hatte sein Ende erreicht.

Aber damit war Judäa keineswegs gerettet. Babylonien trat nun in die Fußstapfen Assurs und versuchte sofort, sich der Straße nach Ägypten zu bemächtigen. Dabei stießen die Babylonier unter Nebukadnezar auf Necho, der bis nach Nordsyrien vorgedrungen war.,J11 der Schlacht bei Karkemisch (605) wurden die Ägypter geschlagen und bald darauf Judäa zu einem babylonischen Vasallenstaat gemacht. Man sieht, wie es von Hand zu Hand ging, jede Selbständigkeit verloren hatte. Von Ägypten angestachelt, verweigerte Judäa 597 den Babyloniern ihren Tribut. Fast kampflos brach die Rebellion zusammen. Jerusalem wurde von Nebukadnezar belagert und ergab sich seiner Gnade.

„Alls nun Nebukadnezar, der König von Babel, die Stadt angriff, während seine Diener sie belagerten, da ging Jojakim, der König von Judaä, hinaus zum Könige von Babel, er und seine Mutter und seine Diener, seine Obersten und seine Höflinge. Und der König von Babel nahm ihn gefangen im achten Jahre seiner Herrschaft. Und er führte von da fort alle Schätze des Tempels Jahves und die Schätze des königlichen. Palastes, und zerschlug alle die goldenen Gefäße, die Salomo, der König von Israel, für den Tempel Jahves angefertigt hatte, so wie Jahve geredet hatte. Ganz Jerusalem aber und alle Obersten und alle wehrfähigen Männer führte er als Gefangene hinweg, 10.000 an der Zahl, dazu alle Schmiede und Schlosser; nichts blieb zurück als die geringen Leute der Landbevölkerung. Und er führte den Jojakim weg nach Babel, und die Mutter des Königs sowie die Weiber des Königs und seine Höflinge und die Vornehmen des Landes führte er gefangen weg von Jerusalem nach Babylon; dazu alle wehrfähigen Leute, 7.000 an der Zahl, und die Schmiede und Schlosser, 1.000 an der Zahl; kriegstüchtige Männer.“ [13]

Babylon setzte also die alte Methode Assyriens fort; aber auch hier wurde nicht das gesamte Volk fortgeführt, sondern nur der königliche Hof, die Aristokraten, die Kriegsleute und die besitzenden Stadtbürger, zusammen 10.000 Menschen. Die „geringeren Leute der Landbevölkerung“, jedenfalls auch der Stadt, blieben zurück. Daneben aber wohl auch ein Teil der herrschenden Klassen. Dennoch wurde Judäa nicht ausgetilgt. Ein neuer König wurde ihm durch den Herrn Babylons verliehen. Aber nun wiederholte sich noch einmal, zum letztenmal, das alte Spiel. Die Ägypter stachelten den neuen König, Zedekia, an, von Babylon abzufallen.

Daraufhin rückte Nebukadnezar vor Jerusalem, eroberte es und machte der so unbotmäßigen und wegen ihrer beherrschenden Stellung an der Völkerstraße von Babylon nach Ägypten so unbequemen Stadt völlig ein Ende (586).

„Nebusaradan, der Oberste der Leibwache, des Königs von Babel vertrauter Diener, kam nach Jerusalem und verbrannte den Tempel Jahves und den Palast des Königs und alle Häuser Jerusalems, ja, jedes große Haus verbrannte er mit Feuer. Und die Mauern Jerusalems ringsum riß das ganze Heer der Chaldäer, welches bei dem Obersten der Leibwache war, nieder. Und den Rest des Volkes, der in der Stadt geblieben, und die Überläufer, die zum König von Babel übergegangen waren, und den Rest der Landbevölkerung führte Nebusaradan, der Oberste der Leibwache, hinweg nach Babel. Und von den geringen Leuten im Lande ließ der Oberste der Leibwache etliche als Winzer und Ackerleute zurück.“ [14]

Ebenso heißt es bei Jeremias 39, 9, 10:

„Den Rest des Volkes, die in der Stadt übrig gebliebenen und die Überläufer, die zu ihm übergegangen waren, und den Rest des Volkes, die Übriggebliebenen, führte Nebusaradan, der Oberste der Leibwache, gefangen nach Babel. Von den geringen Leuten jedoch, die gar nichts ihr Eigen nannten, ließ Nebusaradan, der Oberste der Leibwache, einige im Lande Judäa zurück, und verlieh ihnen an jenem Tage Weinberge und Äcker.“

Eine Reihe von bäuerlichen Elementen blieben also zurück. Es wäre ja auch sinnlos gewesen, das Land völlig menschenleer, ohne Anbauer zu lassen. Es hätte dann auch keine Steuern zahlen können Die Babylonier wollten offenbar, wie auch sonst, vor allem jenen Teil der Bevölkerung fortschaffen, der die Nation zusammenzuhalten und zu führen vermochte und dadurch der Oberhoheit der Babylonier gefährlich werden konnte. Der Bauer allein hat selten verstanden, sich von einer Fremdherrschaft zu befreien.

Die Mitteilung des 39. Kapitels aus Jeremias wird sehr wohl verständlich, wenn wir uns der Latifundienbildung erinnern, die auch in Judäa stattgefunden hatte. Es lag nahe, daß jetzt die Latifundien zerschlagen und den expropriierten Bauern verliehen, oder daß die Schuldsklaven und Pächter in freie Besitzer des Bodens verwandelt wurden, den sie bebauten. Ihre Zwingherren waren gerade die Führer Judäas im Kampfe gegen Babylon gewesen. Nach dem assyrischen Bericht betrug die Bevölkerung Judäas unter Sanherib 200,000 Menschen, ohne die Jerusalems, die auf 25,000 veranschlagt werden kann. Die Zahl der größeren Grundbesitzer wird auf 15.000 geschätzt. 7.000 davon führte Nebukadnezar nach der ersten Eroberung Jerusalems weg. [15] Er ließ also 8.000 zurück. Trotzdem erzählt das Buch der Könige, 2, 24, 14, es seien schon damals nur „die geringen Leute der Landbevölkerung“ übrig geblieben. Diese 8.000 wurden nun, bei der zweiten Zerstörung, weggeführt. Ihre Weinberge und Äcker werden es gewesen sein, die den „geringen Leuten, die gar nichts ihr eigen nannten“, verliehen wurden.

Auf jeden Fall führte man auch diesmal nicht das ganze Volk fort, wohl aber die gesamte Bevölkerung Jerusalems. Die Landbevölkerung blieb mindestens zum großen Teil zurück. Aber die Zurückbleibenden hörten auf, ein besonderes jüdisches Gemeinwesen zu bilden. Das ganze nationale Leben des Judentums konzentrierte sich jetzt bei den fortgeführten Städtern im Exil.

Dieses nationale Leben erhielt aber nun eine eigenartige Färbung, entsprechend der eigenartigen Lage dieser städtischen Juden. Waren bis dahin die Israeliten ein Volk gewesen, das sich in nichts von den anderen Völkern seiner Umgebung so streng unterschied, daß es unter ihnen aufgefallen wäre, so wurden seine Reste, die noch ein besonderes nationales Leben fortführten, nun zu einem Volk, das seinesgleichen nicht hatte. Nicht erst seit der Zerstörung Jerusalems durch die Römer, sondern schon seit der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar beginnt die abnorme Situation des Judentums, die es zu einer einzigartigen Erscheinung in der Geschichte macht.


Fußnoten

1. Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte, S. 87, 88.

2. Ein Sekel Goldes gleich 16,8 Gramm = 47 Mark.

3. Heeren, Ideen über die Politik, den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der alten Welt, 1817, I, 2, S. 84 bis 86.

4. Franz Buhl, Die sozialen Verhältnisse der Israeliten, 1899, S. 76.

5. Jeremias, Das alte Testament im Lichte des alten Orients, 1906, S. 800.

6. Handelsgeschichte der Juden, S. 22 bis 25.

7. R. Pietschmann, Geschichte der Phönizier, 1889, S. 238.

8. Pietschmann, Geschichte der Phönizier, S. 183, 184.

9. Früher, wie als Zirkulationsmittel, tritt das Geld als Wertmesser auf. Es wird als solcher benutzt, während noch Tauschhandel herrscht: So heißt es von Ägypten, es habe dort die Gewohnheit geherrscht, „Kupferbarren (Uten) im Gewicht von 91 Gramm zu verwerten, zwar noch nicht als wirkliches Geld, gegen das man alle anderen Waren eintauschen kann, aber doch als Wertmesser beim Warenaustausch, mittels dessen man die gegeneinander verhandelten Waren abschätzt. So wird einmal im Neuen Reich ein Ochse, dessen Wert auf 119 Uten Kupfer bestimmt ist, bezahlt mit einem Stock mit eingelegter Arbeit zu 25 Uten, einem anderen zu 12 Uten, 11 Krügen Honig zu 11 Uten usw. Daraus ist später die ptolemäische Kupferwährung hervorgegangen.“ (Ed. Meyer, Die wirtschaftliche Entwicklung des Altertums, 1895, S. 11.)

10. Eines Herrschers der zwölften Dynastie, die ungefähr von 2100 bis 1900 v. Chr., vielleicht noch ein paar Jahrhunderte früher, regierte.

11. Ed. Meyer, Geschichte des alten Ägyptens, 1887, S. 182, 210.

12. M. Beer, Ein Beitrag zur Geschichte des Klassenkampfes im hebräischen Altertum, Neue Zeit, XI, 1, S. 447.

13. 2. Könige 24, 12 bis 16.

14. 2. Könige 25, 8 bis 12,

15. Vergl. F. Buhl, Die sozialen Verhältnisse der Israeliten, S. 52, 53.


Zuletzt aktualisiert am 26.12.2011