Karl Kautsky

Die Klassengegensätze im Zeitalter
der Französischen Revolution


IV. Der Beamtenadel


Eine eigentümliche Mittelstellung zwischen den beiden ersten Ständen und dem dritten Stande nahmen die Organe der Staatsverwaltung ein.

Zum Teil hatten sich noch die Organe der alten, feudalen Verwaltung erhalten, ihrer wesentlichen Funktionen, aber nicht ihrer Einkünfte beraubt. Da diese Stellen zu den vornehmsten Mitteln gehörten, den Staat zugunsten des Feudaladels auszubeuten, wurden sie keineswegs in dem Maße eingezogen, in dem sie überflüssig wurden. Im Gegenteil, gerade die lukrativsten und überflüssigsten unter ihnen wurden im Laufe des 18. Jahrhunderts noch vermehrt, wie wir gesehen.

Neben diesen nutzlosen Organen mußten jedoch andere geschaffen werden in Justiz, Polizei, Steuerwesen, die der neuen Monarchie besser entsprachen. Man schuf immer mehr Beamtenstellen, deren Inhaber vom Könige ernannt wurden. Aber anfänglich wurden sie vom König nur unbedeutend oder gar nicht besoldet, und vielmehr auf den Ertrag von Abgaben, Sporteln verwiesen, mit denen die Bevölkerung ihre Funktionen zu bezahlen hatte. In dem Maße, in dem der Wirkungskreis der Ämter wuchs, wuchsen ihre Einkünfte; da lag es für die in ewiger Geldnot befindlichen Könige nahe, Ämter, die so gute Einkommen lieferten, nicht einfach zu verleihen, sondern zu verkaufen. Bereits im 15. Jahrhundert begann in Frankreich dieser Gebrauch und bürgerte sich rasch ein als begann Hausmittel der Könige, Geld zu erlangen. Zu diesem Zweck wurden die Staatsämter rasch vermehrt. Nicht bloß die Vorstände der Zünfte und anderer Korporationen, auch die Handwerksmeister selbst wurden zu Staatsbeamten, die ihre Stellen zu bezahlen hatten, wenn nicht ihre Zunft reich genug gewesen war, ihre Selbständigkeit zu erkaufen; man nahm auch den Städten ihre Autonomie, um, falls sie nicht diese mit schwerem Geld wieder einlösten, die städtischen Ämter und Würden zu staatlichen machen, natürlich auf Kosten der städtischen Bevölkerung, von der sie ihre Sporteln bezogen. Aber auch das genügte nicht, und der ewigen Geldnot der Monarchen ein Ende zu machen, und 11 wurden schließlich die absurdesten Ämter erfunden und verkauft, damit aber auch die Bevölkerung zu Abgaben an sie verpflichtet. So wurden zum Beispiel in den letzten Jahren Ludwigs XVI. folgende „Ämter“ neu geschaffen; Die Perückenaufseher, die Schwein- und Ferkelbeschauer, die Heuzähler, die Aufseher des Holzaufschichtens (conseillers du roi controleurs aux empilements des bois), die Beschauer der frischen, die Verkoster der gesalzenen Butter usw. Von 1701 bis 1715 nahm der König für den Verkauf von neuen Ämtern 542 Millionen Livres ein. Wer der Käufer war, kam nicht in Betracht. Die Zahlmeister der-Armee kauften die Stellen derjenigen, die sie überwachen sollten, und befreiten sich dadurch von jeder Kontrolle.

Mit einer solchen Beamtenschaft ließ sich auf die Dauer ein großer moderner Staat nicht regieren. Unter ihr erstand eine neue Beamtenschicht, eine stramm zentralisierte, vom König völlig abhängige Bureaukratie, die nicht bloß die Funktionen der feudalen Verwaltungsorgane, sondern auch die der Kaufämter immer überflüssiger machte, ohne jedoch deren Zahl und die durch sie geübte Ausbeutung zu verringern.

Im Gegenteil, die Kaufämter entwickelten aus sich eine neue Aristokratie. Mit Steuerfreiheit und anderen Privilegien bedacht, wurden die wichtigsten unter ihnen gegen eine bestimmte Abgabe erblich und verliehen den Adelsrang. Sie bildeten den Adel des Amtstalars (noblesse du robes) gegenüber dem alten feudalen Adel, dem Adel. des Degens (noblesse de l’épée). Ökonömisch vom König unabhängig, zeigte sich der neue Adel mitunter recht unbotmäßig, oft unbotmäßiger als der alte Adel.

An der Spitze dieser Beamtenaristokratie standen die Parlamente, mit welchem Namen man die höchsten Gerichtshöfe bezeichnete.

Die neuaufstrebende kapitalistische Produktionsweise hatte die Klasse der Juristen besonders wichtig und unentbehrlich gemacht. Je mehr die Warenproduktion zur herrschenden Form der Produktion wurde, desto zahlreicher und verwickelter wurden die Verträge zwischen den einzelnen Warenbesitzern, desto strittiger die Verhältnisse, die daraus erwuchsen, Das feudale Recht und die feudale Gerichtsbarkeit standen diesen Verhältnissen hilflos gegenüber; diese erforderten ein neues Recht, das man anfangs aus dem kanonischen Recht zu entwickeln suchte, als dessen geeignetste Grundlage man aber bald das römische Recht fand. Die neuen Verhältnisse erforderten aber auch Leute, die ihr ganzes Leben der Aufgabe widmeten, sich in den verschlungenen Irrgängen des neuen Rechtes zurechtzufinden. Die Klasse der Juristen, Richter und Advokaten, wuchs rasch an und wurde ebenso angesehen wie unentbehrlich. In der Tat, eine Arbeitseinstellung von ihrer Seite drohte den ganzen Handel und Wandel ins Stocken zu bringen.

Daß die obersten Gerichtshöfe besonderes Ansehen genossen, ist natürlich. Dies Ansehen wurde noch erheblich vermehrt durch ihre politische Stellung. Die französischen Könige sahen in den Parlamenten, die sich aus dem dritten Stande rekrutierten und auf Grundlage eines dem Absolutismus günstigen Rechtes, des römischen, urteilten, treffliche Werkzeuge, den Widerstand des Feudaladels zu brechen, und erweiterten zu diesem Behufe ihre Befugnisse und ihre Macht im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts immer mehr. Die Käuflichkeit der Parlamentsämter aber, die im 16. Jahrhundert eingeführt wurde, die ökonomische Selbständigkeit der Parlamente, deren Wichtigkeit für das gesamte soziale und politische Leben immer mehr zunahm, deren Mitglieder immer reicher wurden, dank den fetten Sporteln, die sich zusehends mehrten, brachte es dahin, daß die Gerichtshöfe, die zu ihren Machtbefugnissen als Werkzeuge des Absolutismus gelangt waren, schließlich es wagten, von dieser Macht zur Wahrung ihrer Selbständigkeit und ihrer Privilegien gegenüber dem absoluten Königtum selbst in einer Zeit Gebrauch zu machen, in der jede andere Schranke desselben niedergerissen war, so daß es allmächtig schien.

Alle diese Umstände erscheinen uns jedoch noch nicht hinreichend, die gewaltige Rolle zu erklären, die das oberste und älteste der Parlamente, das Pariser, vom 16. bis in das 18. Jahrhundert spielte. Weder sein Alter noch sein Rang machen diese Rolle begreiflich, sondern nur der Umstand, daß dies Parlament eben das Parlament von Paris war, von Paris, das bereits in den Hugenottenkriegen gezeigt hatte, daß kein König es ungestraft mißachten durfte. In der Macht der öffentlichen Meinung von Paris lag nicht zum geringsten Teil die Macht des dortigen Parlaments. Aber eben deswegen mußte es dieser Meinung Konzessionen machen, mußte es seine Haltung danach einrichten, daß sie den Beifall der Pariser fand. Das führte zu ganz merkwürdigen Resultaten.

Es ist natürlich, daß die vom König ökonomisch unabhängigen Beamten nicht bloß sehr unbotmäßig waren, sondern auch bei ihrer Amtsführung in der Regel nur ihren persönlichen Vorteil im Auge hatten. Weder Furcht vor Absetzung, noch Hoffnung auf Beförderung, oder etwa gar Interesse für das betreffende Gebiet, das sie zu verwalten hatten, wirkten auf sie e|n. Sie begnügten sich nicht mit ihren regelmäßigen Einkünften und Sporteln, sondern suchtest dieselben durch Mißbrauch ihrer Amtsgewalt zu erhöhen, wo sie nur konnten. Die Steuerbeamten betrogen den Fiskus, sahen den Reichen die Steuern nach, die ihre Gunst erkauften, und deckten den Ausfall durch desto ärgere Erpressungen aus den Taschen der Armen. Käuflich war die Justiz, käuflich die Polizei; Verwirrung, Unsicherheit, Korruption herrschten auf allen Gebieten der Staatsverwaltung.

Die Parlamente standen an derb Spitze des Beamtenadels, in ihnen war dementsprechend auch die Korruption aufs höchste gediehen. Gemeinheit, Bestechlichkeit, Habsucht wucherten ebenso üppig in ihrer Mitte, wie aristokratischer Dünkel und fanatischer Haß gegen alle Neuerungen, die ihre Privilegien bedrohten, Eigenschaften, die ihnen im Laufe des 18. Jahrhunderts die Feindschaft der vorwärtsstrebenden, der rechtlichen Elemente und zahlreiche moralische Züchtigungen zuzogen. Mit voller Energie bekämpfte Voltaire „die Mörder von Calas, Labarre und Lally“, und die Memoiren, die Beaumarchais 1774 veröffentlichte, legten die volle Korruption des damaligen Gerichtswesens in vernichtender Weise dar.

Aber um diese Korruption, um ihre Privilegien wahren zu können, mußte das maßgebende Parlament, das von Paris, die Gunst der Pariser sich erhalten; mußte es die in Paris geläufigen Schlagworte zu den seinigen machen. Zusammen mit den Parisern und dem rebellischen Teil der Aristokratie stiegen die Parlamentsmitglieder im Jahre 1648, in der Bewegung der Fronde, auf die Barrikaden; im Einklang mit den Parisern trat das Pariser Parlament dem „Despotismus“ der Minister Ludwigs XVI. gegenüber für „das Selbstbestimmungsrecht“ und die „Freiheit der Nation“ ein, wobei es allerdings sich selbst als die einzig berufene Volksvertretung bezeichnete.

Von den vielen sonderbaren Erscheinungen des vorrevolutionären Frankreich sind die Parlamente nicht die mindest sonderbaren, die fair die Volksrechte eintraten, um ihre Privilegien zu wahren, die ihnen die Ausbeutung des Volkes sicherten.


Zuletzt aktualisiert am 02.08.2010