Karl Kautsky

Kriegsmarxismus


Vorwort

Das Buch Renners, das die vorliegende Schrift veranlasste, erschien schon im Frühsommer des vorigen Jahres. Es lenkte sofort meine Aufmerksamkeit auf sich, sowohl wegen seines Stoffes wie wegen seines Verfassers. Aber zunächst war ich in Anspruch genommen durch meine Arbeiten über die Befreiung der Nationen, Serbien und Belgien, Elsass-Lothringen, die ich im Sommer 1917 verfasste.

Im September hatte ich letztere beendet und machte mich nun an die Auseinandersetzung mit Renner. Dazu fand ich bald ausreichend Zeit, nachdem der Vorstand der Deutschen Sozialdemokratie mich meuchlings aus der Redaktion der Neuen Zeit entfernt hatte, die von mir mit Dietz 1882 gegründet und 1901 der Deutschen Sozialdemokratie abgetreten worden war.

Ich hatte beabsichtigt, meine Kritik Renners in der Neuen Zeit zu veröffentlichen. Daraus wurde nun nichts. Doch wurde ich dadurch auch der Rücksicht auf den beschränkten Raum der Zeitschrift enthoben und legte daher die Darstellung etwas breiter an, als ich ursprünglich geplant. Trotzdem war die Arbeit Ende November druckfertig.

Wenn sie erst jetzt erscheint, so liegt das also keineswegs daran, dass die Rennerschen Ideen mir besondere Kopfschmerzen verursachten, sondern nur daran, dass die außergewöhnlichen Zeitläufte der Fertigstellung in Druck einige Monate lang äußere Hindernisse in den Weg legten.

Seit der Niederschrift meiner Kritik Renners haben die Ereignisse an der von ihm verfochtenen Politik des 4. August bereits starke Kritik geübt. Die Urheber dieser Politik haben selbst jede Freude an ihr verloren, trotzdem scheint mir eine theoretische Kritik der Rennerschen Anschauungen immer noch am Platze. Denn das Ansehen, das diese in manchen sozialistischen Kreisen zeitweise gewannen, deutet auf eine weit verbreitete Unklarheit über die von Renner behandelten Fragen des Wirtschaftsgebietes, des Staates, der Organisation hin. Das Ergebnis solcher Unklarheit mag durch die praktische Kritik der Tatsachen ad absurdum geführt werden, damit wird jedoch nur die schon bestehende Unsicherheit noch vermehrt, wenn nicht gleichzeitig theoretische Kritik Klarheit bringt.

Diese unerlässliche Klärung herbeizuführen, das ist die Aufgabe meiner Arbeit.

April 1918

K. Kautsky


Zuletzt aktualisiert am 3. September 2016