Karl Kautsky

Die Sozialisierung der Landwirtschaft

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III. Landwirtschaft und Sozialismus


Alle die gewaltigen Hemmnisse, die der Kapitalismus der Entwicklung der Landwirtschaft in den Weg legt, werden durch dessen Ueberwindung beseitigt, sowohl das Privateigentum am Boden wie die Lohnarbeit und die koloniale Eroberungsund Erpressungspolitik. Damit ersteht die Möglichkeit, den heute schon sehr hohen und immer noch steigenden Gegensatz zwischen der möglichen und der wirklichen Produktivkraft der Landwirtschaft zu überwinden, in dieser alle die enormen Produktivkräfte zu entwickeln, die ihr der Stand der theoretischen Naturerkenntnis und der praktischen Technik schon bietet und zur Zeit der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat sicher in noch höherem Maße bieten wird. Denn Wissenschaft und Technik rasten nicht.

Die Ueberwindung des Kapitalismus durch das Proletariat bietet aber damit nicht nur die Möglichkeit, die Produktivkräfte der Landwirtschaft aufs höchste so schnell zu entfalten, als es die Produktivkräfte der Industrie gestatten, die ja der Landwirtschaft die Mittel ihres Aufschwunges zu liefern hat; sie bringt auch die Notwendigkeit mit sich, diesen Aufschwung möglichst zu beschleunigen, weil das siegreiche Proletariat trachten muß, mit allen Mitteln die Summe von Nahrung und Muße zu vermehren, die für die Bevölkerung erreichbar ist.

Ehe wir das näher erläutern, sei einem möglichen Mißverständnis vorgebeugt. Wir haben darauf hingewiesen, daß das Regime des siegreichen Proletariats zur Aufhebung des Privateigentums am Boden führen wird. Dies ist nur in der Weise aufzufassen, daß wir erwarten müssen, diese Aufhebung werde schließlich im Laufe der Entwicklung eintreten, die mit dem Siege des Proletariats anhebt. Keineswegs soll damit gesagt sein, daß wir forderten, das Proletariat solle, sobald es zur Macht gelangt, sie sofort dazu benutzen, alle Bauern zu expropriieren oder gar ihr Land zu konfiszieren.

Daran denkt niemand in der Sozialdemokratie. Das allein wäre indes noch keine Gewähr dafür, daß es zu einer derartigen Expropriation nicht käme. Wir können ja nur für uns sprechen, wissen aber nicht, wer von uns den Sieg des Proletariats erlebt, unter welchen Bedingungen er eintritt, welche Anschauungen die Sieger leiten werden. Es gibt jedoch noch einen anderen Faktor als das Wollen und Wünschen der heute lebenden Sozialdemokraten, einen Faktor, der eine viel bessere Gewähr dafür bietet, daß es zu einer Expropriation der Bauernschaft nicht kommen wird, und das ist die einfache Tatsache, daß dem Interesse des Proletariats diese Expropriation nicht nur nicht entspricht, sondern vielmehr entgegensteht.

Das siegreiche Proletariat hat alle Ursache, dafür zu sorgen, daß die Nahrungsmittelproduktion ungestört fortgeht. Eine Expropriation der Bauern würde diesen ganzen Produktionszweig in die tollste Unordnung bringen und das neue Regime mit Hungersnot bedrohen. Die Bauern mögen also unbesorgt sein. Ihre ökonomische Unentbehrlichkeit wird jede Expropriation verhüten, ganz abgesehen davon, daß schon die einfachste Regel der Klugheit gebietet, sich ohne Not nicht eine so starke Bevölkerungsschicht zu Feinden zu machen.

Die Kleinbauern werden durch den Sieg des Sozialismus nichts verlieren, sie können dadurch nur gewinnen. Erst durch ihn werden die Gegensätze der kapitalistischen Nationen aus dem Wege geräumt, die die wachsenden Kriegsrüstungen und Kriegsdrohungen erzeugen; erst durch ihn werden die Bedingungen der Abrüstung und des so heiß ersehnten ewigen Friedens geschaffen. Dadurch wird niemand so sehr entlastet wie der Bauer, denn keine andere Bevölkerungsschicht leidet so sehr unter dem Militarismus wie er.

Das siegreiche Proletariat wird aber auch die Mittel und das Interesse haben, den Bauer bei der technischen Vervollkommnung seines Betriebes zu unterstützen, ihm Dünger, Arbeitsvieh, verbesserte Werkzeuge zugänglich zu machen und dadurch die Menge seiner Produkte zu steigern.

Wenn wir erwarten, daß dies nicht zu einer neuerlichen Befestigung der kleinbäuerlichen Produktionsweise führen wird, so folgt dies daraus, daß wir annehmen, auch die größte Entlastung und Unterstützung sei nicht imstande, dem bäuerlichen Kleinbetrieb die ganze moderne Technik im vollsten Ausmaß zugänglich zu machen, und die Kleinbauern werden dafür früher oder später, sobald die sozialistische Produktionsweise sich befestigt hat, selbst freiwillig ihre Betriebsform verlassen, die für sie eine Fessel des weiteren sozialen Aufsteigens wird. Die sozialistische Gesellschaft wird alle Ursache haben, ihnen beim Uebergang zu einer höheren Betriebsweise zu helfen, da sie ja einer Vermehrung ihrer Nahrungsmittel und Rohstoffe bedarf und daher dabei aufs stärkste interessiert ist.

Dieser Umwandlungsprozeß wird noch in anderer Weise beschleunigt werden.

Das sozialistische Regime hat es nicht allein mit den Kleinbauern zu tun, sondern auch mit den zahlreichen Lohnarbeitern der Landwirtschaft. Wie wird es sich zu jenen Betrieben stellen, die Lohnarbeiter im Gange halten?

Die Verehrer des bäuerlichen Betriebs um jeden Preis nehmen an, die ländlichen Lohnarbeiter seien wahre Fanatiker des Privateigentums am Boden und verlangten nichts sehnsüchtiger, als Zwergbauern zu werden. Die soziale Revolution sei für sie gleichbedeutend mit der Zerschlagung der großen Betriebe und der Verteilung der daraus gebildeten kleinen Betriebe an die bisherigen Lohnarbeiter.

Daß heute noch viele Landarbeiter so denken, unterliegt keinem Zweifel. Dieses Bedürfnis bildet einen der Gründe der fortschreitenden Zersplitterung des Bodens in manchen Gegenden und der hohen Preise, die gerade für kleine Parzellen gezahlt werden. Aber selbst heute schon, wo noch Teuerung und Arbeitslosigkeit den Proletarier bedrohen, übt der eigene Grundbesitz nicht mehr jenen überwältigenden Zauber auf den Landarbeiter aus wie ehedem. Wir sehen es, daß selbst Bauernkinder lieber in die Stadt ziehen, um der Oede des bäuerlichen Daseins zu entgehen, als daß sie das eigene Gütchen weiter bewirtschaften.

In einer sozialistischen Gesellschaft wird sich aber, das kann keinem Zweifel unterliegen, die Lage des industriellen Arbeiters noch weit günstiger gestalten als die eines Kleinbauern, wieviel sie auch diesem bieten mag.

Das allgemeine Sehnen der heutigen Arbeiterklasse geht nicht bloß nach mehr Nahrung, nach besserer Wohnung und Kleidung, sondern auch nach Verringerung der eintönigen Arbeit der modernen Massenproduktion, nach mehr Muße und Freiheit. Die Muße ist heute nicht minder ein unentbehrliches Lebensmittel geworden wie Fleisch und Brot.

Soll die Produktion gesteigert und gleichzeitig die Arbeitszeit erheblich verkürzt werden, dann ist es unerläßlich, nur die produktivsten Produktionsmittel anzuwenden, alle weniger produktiven möglichst außer Gebrauch zu setzen. Das wird in der Industrie geringe Schwierigkeiten machen. Auch hier, nicht bloß in der Landwirtschaft, gibt es noch zahlreiche höchst unrationelle, oft geradezu parasitische kleine Betriebe, Sie verschwinden nicht innerhalb des Kapitalismus, sondern haben die Tendenz, an Zahl zu wachsen, trotz des siegreichen Vordringens des Großbetriebs, ja durch ihn, weil sie immer mehr zu einer Erscheinungsform der industriellen Reservearmee, zu einer Zufluchtsstätte von Existenzen werden, die der Großbetrieb arbeitslos macht. Die ungeheure Mehrheit dieser zwerghaften Betriebe kann ohne jede Störung für die Produktion mit einem Schlage aufgegeben werden, und sie wird aufgegeben in dem Moment, in dem in den großen Betrieben die besten Arbeitsbedingungen, reicher Lohn und Sicherheit der Beschäftigung winken. Führt man etwa in den produktivsten Betrieben eine Verdreifachung der Arbeiterzahl ein, einen dreimaligen Schichtwechsel im Tage mit fünfstündiger Arbeitszeit für jede Schicht, und vielleicht im Sommer drei Monate lang zweimaligen Schichtwechsel im Tage und Beurlaubung der dritten Schicht für einen Monat, so daß jeder Arbeiter im Betrieb so lange Ferien erhält – wer der kleinen Handwerker und Krämer wollte da nicht Arbeiter in solchem Betrieb sein, wer wollte sich noch mit Rezepten zur Rettung des Kleinbetriebs abgeben? Auf die schmerzloseste Weise wird dieser in Handel und Industrie verschwinden, unter dem freudigen Aufatmen aller kleinen, bisher anscheinend „selbständigen“ Meister und Ladenbesitzer;

Nicht minder aber werden bei einer derartigen Gestaltung der Industrie auch die Arbeiter vom Lande ihr zuströmen, nicht nur bisherige Lohnarbeiter, sondern auch die selbständigen Kleinbauern, die nun jeglichen Eigentumsfanatismus loswerden und auf ihr Eigentum pfeifen, wenn sie dafür so herrliches Leben eintauschen können.

So erwünscht es sein wird, daß die kleinen Händler, Budiker, Handwerker ihre für die Gesellschaft zwecklosen Betriebe aufgeben und die Zahl der Arbeitskräfte in den produktivsten Großbetrieben der Industrie, und des Verkehrs vermehren, so gefährlich würde es für das neue Regime, wenn sich dazu eine Massenfluchl der landwirtschaftlichen Bevölkerung vom Lande weg zur Industrie gesellte. Die Ausstattung der ländlichen Lohnarbeiter mit Eigenbetrieben würde diese Gefahr nicht bannen.

Selbst wenn sich das sozialistische Regime nicht von vornherein, wie es wahrscheinlich ist, daran machen sollte, den Betrieb der Landwirtschaft möglichst anziehend zu gestalten, würde es bald durch die Landflucht gezwungen werden, dies zu bewirken.

Das ist aber in der Landwirtschaft weniger einfach als in der Industrie. In dieser schafft die kapitalistische Entwicklung bereits technisch höchst vollkommene Betriebe, Die neue sozialistische Gesellschaft wird in der Industrie zunächst weniger die Aufgabe haben, neue, höhere Betriebe zu schaffen als die, überlebte stillzusetzen und die Arbeitskräfte in den vollkommenen zu konzentrieren.

In der Landwirtschaft gibt es nur wenige Betriebe, die man als vollkommene bezeichnen darf, in denen das Maximum dessen erreicht wird, was bei dem heutigen Stande der Technik und des Wissens geleistet werden könnte. Und diese wenigen Betriebe wären bei Weitem unzureichend, den gesellschaftlichen Bedarf an Bodenprodukten zu decken. Es wird heißen, die ganze Landwirtschaft neu zu organisieren und auf eine höhere Stufe zu heben. Hier hat die ökonomische Entwicklung dem Sozialismus nur wenig vorgearbeitet, hier wird er sich seine technische Basis erst selbst schaffen müssen – mit Hilfe der Naturerkenntnis und der Technik, die der Kapitalismus in der Stadt entwickelt hat. Die technische Umwälzung der städtischen Industrie durch den Kapitalismus, aus der sich der Sozialismus erheben wird, kann und wird ihm die Mittel geben, die Landwirschaft technisch umzuwälzen.

Vor allem wird es wichtig sein, um der Landwirtschaft die größtmöglichste Produktivität zu gewähren, den einzelnen Betrieben jene Maximalgröße zu geben, bei der sie alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel am vollkommensten auszunützen vermögen. Diese Maximalgröße wird nicht für alle Gegenden und Betriebsarten, so wenig wie für alle Zeiten, die gleiche sein können. Wir wissen bereits, daß der Marxismus keineswegs behauptet, der größere Betrieb sei unter allen Umständen dem kleineren überlegen. Er behauptet das nicht von den Betrieben sondern von den Kapitalien.

Es ist aber kaum anzunehmen, daß jemals und irgendwo für irgendwelchen größeren Produktionszweig das Ausmaß des Eigenbetriebs eines Ehepaars als die rationellste Maximalgröße oder überhaupt als einigermaßen leistungsfähige Größe in Betracht kommen könne. Mag das heute noch bis zu einem gewissen Grade möglich sein, so nur deshalb, weil es dem bürgerlichen Hirn als selbstverständlich gilt, daß der Arbeiter ein Arbeitstier ist und ausschließlich seiner Arbeit lebt. Der kleinbäuerliche Familienbetrieb verliert seine Lebensfähigkeit in dem Moment, in dem die Massen der Landbevölkerung anfangen, die Muße zu den für sie unentbehrlichen Lebensmitteln zu rechnen.

Ebensowenig wie eine Arbeitsteilung erlaubt der kleinbäuerliche Familienbetrieb einen Schichtwechsel – oder gar Ferien, ein längeres Aussetzen von der Arbeit. Ununterbrochen, tagaus, tagein, vom Morgen bis in die Nacht müssen der Zwergbauer und seine Gattin sich schinden; niemand ist da, sie abzulösen.

Wenn sich neben seinem Zwergbetrieb eine große landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft erhebt, in der etwa während des Frühjahrs, Sommers und Herbstes in drei Schichten von je fünf Stunden gearbeitet wird, während der drei Wintermonate in zwei Schichten, indes in jedem Monat eine Schicht Ferien hat, wer wollte glauben, daß da der Kleinbauer daneben noch das Evangelium der Herrlichkeit des bäuerlichen Familienbetriebs nachbeten wird, das uns jetzt einige Sozialisten predigen? Er wird alles aufbieten, Mitglied der Produktionsgenossenschaft zu werden.

So wird das Privateigentum am Boden aufhören. Zuerst für die großen Betriebe, dann ohne jeden Zwang auch für die kleinen, die in den großen aufgehen.

Mit der Organisierung mehr oder weniger großer Produktivgenossenschaften für die Landwirtschaft und der Herabsetzung ihrer Arbeitszeit wäre es natürlich noch nicht getan. Sollen sie ihr Vollkommenstes leisten, müssen intelligente und wissenschaftlich gebildete Arbeitskräfte aufs Land, muß die Arbeit auf dem Lande für geistig regsame und gebildete Leute erträglich gemacht werden. Bessere und höhere Schulen sind dort zu gründen, Bibliotheken und Lesezimmer, Stätten geselligen Kunstgenusses. Damit wird das Bedürfnis nach Kirche und Gottesdienst auch auf dem flachen Lande verschwinden.

Natürlich müssen die neuen Betriebe aufs beste ausgestattet werden mit allen Behelfen der modernen Wissenschaft und Technik, was wieder die Beschaffung zahlreicher motorischer Kräfte erheischt, die teils durch Dampf, teils durch Wasserbauten zu liefern sind. Sollen diese Kraftanlagen völlig ausgenutzt werden, dann erfordert dies seinerseits eine Verbindung von Industrie und Landwirtschaft, da diese nicht das ganze Jahr in gleichem Ausmaß motorischer Kräfte bedarf. Das gleiche gilt von den menschlichen Kräften. Auch diese können beim Vorhandensein eines industriellen Betriebs neben dem landwirtschaftlichen gleichmäßiger beschäftigt werden.

Die Verlegung der Industrie aufs flache Land, die im Interesse der Steigerung der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit liegt, wird aber auch den geistigen Bedürfnissen der ländlichen wie der industriellen Arbeiter entsprechen. Diese kommen dadurch leichter in Verbindung mit der Natur, für jene wird mit der Verdichtung der Bevölkerung auf dem Lande die Möglichkeit mannigfaltigerer Geselligkeit und freien Genießens und Produzierens in Kunst und Wissenschaft vermehrt.

Es wird eine gewaltige Umwälzung der Landwirtschaft sein, die der Sozialismus auf diese Weise bewirkt. Sie wird nicht ausschließlich die Erzeugung der Bodenprodukte erhöhen; weit mehr wird sie für die landwirtschaftliche Bevölkerung das Ausmaß ihrer Muße vergrößern, sie wird sie aus Lasttieren, die sie heute sind, zu freien Menschen machen.

Allenthalben wird diese Umwälzung der Landwirtschaft eine tiefgehende sein. Aber noch riesenhafter als in den Industrieländern wird die umwälzende Wirkung des Sozialismus in den primitiven Agrarländern auftreten, weil dort der Unterschied zwischen der wirklichen und der möglichen Produktivität der Arbeit ein viel größerer ist, der Sprung von jener zu dieser also ein noch weit mächtigerer.

Ebensosehr wie die kapitalistische muß die sozialistische Gesellschaft trachten, die Ueberschüsse an Bodenproduktion zu erhöhen, die die Landwirtschaft liefert. Aber sie kann nur noch die Methoden der Produzierung des relativen, nicht mehr die der Produzierung des absoluten Mehrproduktes anwenden. Sie befreit die Bewohner der Agrarländer von der auf ihnen lastenden und sie ruinierenden kapitalistischen Ausbeutung, um ihrer Landwirtschaft neues Leben einzuflößen und sie auf die höchste Stufe der Vollkommenheit durch Zuführung des modernen Wissens und der modernen Technik zu bringen.

Dazu bedarf es keiner Kolonialpolitik, keiner Eroberung, keines Zwanges. Mittel zur Vermehrung der Produktion und zur Ersparnis der Arbeit nimmt jeder gern entgegen; die rückständigen Völker wenden sich gegen die modernen Produktionsmittel nur dort, wo sie ihnen als Mittel der Ausbeutung und Knechtung entgegentreten. Gerade die Aufhebung jeden Zwanges ist die erste Vorbedingung, den modernen Produktionsmitteln raschen Zugang in den agrarischen Ländern zu eröffnen. In einer sozialistischen Gesellschaft wird die Ausbreitung der modernen Produktionsmethoden innerhalb der agrarischen Länder in demselben Tempo vor sich gehen können, in dem die Industrie der Industrieländer die erforderlichen Produktionsbehelfe sowie die Mittel ihres Transportes beschafft, und in dem die geistige Bildung der Bevölkerung in den Agrarstaaten die zur Anwendung dieser Produktionsbehelfe erforderliche Höhe erreicht. Wir haben keine Ursache, anzunehmen, daß der zweite Faktor langsamer fortschreiten wird als der erstere.

Die überlegene Klugheit irgendeines weisen Realpolitikers wird auch hier wieder meine „Phantasien“ mit der Bemerkung verspotten wollen, ich erwartete, daß die sozialistische Gesellschaft ohne weiteres den Kongonegern Dampfpflüge zur Verfügung stellen werde, um damit den Urwald zu pflügen.

Solche erhabene Kritiker mögen bedenken, daß zu den Agrarländern, die hier in erster Linie in Betracht kommen, Länder gehören, in denen modernes Wissen heute schon nicht ganz unbekannt ist: Irland wie Spanien, Süditalien wie Ungarn, Rumänien und Rußland, die Balkanländer, Kleinasien, Persien, Aegypten, Ostindien, die tropischen und subtropischen Länder Amerikas. Bis es gelungen ist, in allen diesen Ländern die kulturfähige Fläche auf die Höhe moderner Produktivität zu bringen, bis nur alle die Anlagen der Entwässerung hier und der Bewässerung dort vollendet sind, die Aufforstung in den einen und die Rodung von Urwald in anderen, und ihre allgemeine Ausstattung mit den besten Produktionsbehelfen und ausgiebigen motorischen Kräften vollzogen ist – bis wir so weit sind, wird wohl einige Zeit vergehen, die vielleicht genügen wird, auch bei den Kongonegern die Bedingungen zur Anwendung des Dampfpflugs zu schaffen – wenn es bis dahin noch einen solchen geben und nicht ein weit wirksamerer und einfacherer Apparat ihn verdrängt haben sollte. Jedenfalls liegt nicht die mindeste Notwendigkeit vor, mit der Verbreitung des Dampfpflugs in agrarischen Gebieten gerade bei den Kongonegern zu beginnen.

Das Tempo des ungeheuren Prozesses der Umwälzung und Modernisierung der Landwirtschaft in der sozialistischen Gesellschaft hängt von der Masse der Produktionsbehelfe ab, die die Industrie für die Landwirtschaft zu liefern vermag. Der größte Teil der Arbeitskräfte der Metallindustrie und des Baugewerbes, die heute der Erweiterung der Großstädte sowie dem Kriegswesen dienen, sie werden dann dazu verwendet werden, Bauten, Maschinen, Werkzeuge für die Landwirtschaft zu schaffen. Der Sieg des industriellen Proletariats, er wird schließlich am meisten der Landwirtschaft zugute kommen und der landwirtschaftlichen Bevölkerung ein höheres Dasein bringen.

Der Kapitalismus hat im neunzehnten Jahrhundert vor allem und fast ausschließlich Industrie und Verkehr umgewälzt; der Sozialismus, dem hoffentlich noch der größte Teil des zwanzigsten Jahrhunderts gehören wird, muß viel mehr die Landwirtschaft als die Industrie umwälzen.

Nichts verkehrter, als der Sozialdemokratie Feindseligkeit oder auch nur Gleichgültigkeit gegenüber der Landwirtschaft anzudichten. Nicht der Landwirtschaft gilt unsere Gegnerschaft, sondern der Grundrente, die von müßigen Grundbesitzern und Wucherkapitalisten eingesackt wird. Nicht gegen den Kleinbauernstand wenden wir uns, wohl aber gegen jene, die den Landarbeitern einreden wollen, ihr Endziel habe die Existenz des Kleinbauern zu bilden; darauf hin sollten sie mit aller Macht streben und alle ihre Kraft konzentrieren. Das heißt ihnen die ewige Arbeitsfron zum Endziel setzen, es heißt aber auch, ihre Widerstandskraft gegenüber ihren Ausbeutern in der Gegenwart herabsetzen, denn ihre wirksamste Waffe ist die drohende Versagung der Arbeit durch Auswanderung, und diese Waffe legen sie aus der Hand, sobald sie sich an die Scholle binden.

Der Prozeß der Umwälzung der Landwirtschaft durch die Industrie, der mit dem Siege des Proletariats beginnen muß, ist ein so riesenhafter, daß er nicht so bald zu einem Abschluß, ja nicht einmal zur Verlangsamung kommen kann. Sein Tempo hängt in erster Linie von der Menge Arbeitskräfte ab, die der Industrie zur Verfügung stehen. Je rascher diese wachsen, desto rascher werden sich die Produktivkräfte der Landwirtschaft entfalten. Auch wenn die heute schon in Anbau genommene Kulturfläche der Welt nicht erweitert würde, wenn hygienische, technische, ästhetische Rücksichten nicht erlauben würden, sie auf Kosten des Waldes im ganzen weiter auszudehnen, wenn dieser hier gewinnen sollte, was er dort verliert; und auch wenn der Drang nach Muße die allgemeine Arbeitszeit für die notwendigen Arbeiten weit unter deren jetzige Ausdehnung herabsetzen wird; auch dann wird die Lebensmittelproduktion rasch zunehmen, denn im Vergleich zu der heute schon möglichen Produktivität der landwirtschaftlichen Arbeit ist deren wirkliche Produktivität in fast allen Ländern, außer den alten kapitalistischen Industrieländern noch winzig. Solange dieser Unterschied zwischen wirklicher und möglicher Produktivität der landwirtschaftlichen Arbeit nicht ausgeglichen ist, wird jede neue Arbeitskraft, die der Industrie hinzugefügt wird, eine Vermehrung der Produktivkräfte für die Landwirtschaft, eine Vermehrung ihrer Produktivität und ihrer Ueberschüsse, also auch des Nahrungsspielraums bedeuten können. Wie sehr sich dieser noch ausdehnen läßt, dafür nur einige Andeutungen.

Niemand wird behaupten wollen, daß die deutsche Landwirtschaft auf der Höhe der Vollkommenheit stehe. Eine jüngst veröffentlichte Untersuchung der Frage, ob „die deutsche Landwirtschaft unter dem Drucke des Gesetzes vom abnehmenden Bodenertrag steht“, schließt der Verfasser, Dr. J. Rybark, mit den Worten:

„Wer Land und Leute kennt und weiß, wie viele Bauernhöfe, ja selbst größere Güter es gibt, wo noch kein Körnchen künstlicher Dünger hineingekommen ist, wo seit Großvaters Zeiten dieselbe Getreideund Kartoffelsorte gebaut wird, wo die Ackergeräte dürftig, die Bodenbearbeitung mangelhaft ist, wo Stallmistpflege, Fruchtfolge und sonstige technische und wirtschaftliche Maßnahmen an Rationalität noch viel zu wünschen übrig lassen, der ist sich darüber klar, daß die deutsche Landwirtschaft als Ganzes trotz aller Fortschritte noch lange nicht auf dem Punkte angelangt ist, wo größere Erträge nur mit unverhältnismäßig höheren Kosten erzielt werden können.“ (Zeitschrift für Sozialwissenschaft, S. 445, 1909)

Das gleiche gilt von England:

„Vom englischen Landwirt wird ... gesagt, daß er ein guter Viehzüchter sei, aber im eigentlichen Ackerbau nicht ganz mit der Zeit fortgeschritten und im Gebrauch des Kunstdüngers noch wenig erfahren ist. Dies kommt wohl zum Teil von der Rückständigkeit des landwirtschaftlichen Unterrichtes, dürfte aber auch mit ... den kurzen und unsicheren Pachtverträgen, durch welche angebrachte Meliorationen nicht ausreichend vergütet werden, in Zusammenhang stehen.“ (Ad. Mayer, Ueber den Erfolg der Reform der Pachtgesetzgebung in England, Zeitschrift für Sozialwissenschaft, S. 660, 1909)

Wie weit zurück noch die europäische Landwirtschaft is{, wie wenig sie sich noch von den technischen Fortschritten angeeignet hat, bezeugt uns unter anderem ein Vortrag, den Dr. Ed. v. Seidl am 16. Februar 1910 an der Wiener Hochschule für Bodenkultur gehalten hat. Er hat seit 1889 einen Gutskomplex in Mähren gepachtet, der 2.135 Hektar umfaßt, und bewirtschaftet ihn mit ausreichendem Kapital nach modernen Prinzipien, ohne dabei alle Neuerungen einzuführen. Die Elektrizität zum Beispiel spielt bei ihm noch keine Rolle, Der Boden des Gutes ist nicht besonders günstig, zum Teil sumpfig, zum Teil stark geneigt, die Ackerflächen mit vielen Parzellen anderer Besitzer gemischt, oft klein und unregelmäßig. Die Arbeiter, zum Teil slowakische Wanderarbeiter, deren Arbeit geringwertig, die Nachbarn jedem Fortschritt feindlich, was zum Beispiel die Dränage sehr erschwert. Und doch gelang es Seidl, seit 1890 durch Anwendung von Maschinen und Ergebnissen der modernen Chemie und Biologie die Produktivität des Gutes gewaltig zu steigern.

Wie eine einzige Verbesserung wirken kann, zeigt der Erfolg der Trocknung der Rübenschnitte, die als Viehfutter dienen:

„Die Rübenschnittrocknung allein gibt mir aus derselben Rübenmenge Schnittfutter für 1.000 Mastochsen im Jahre mehr als früher, wo ich nur nasse Schnitte verfütterte.“

Hätten alle 200 Zuckerfabriken Oesterreichs diese Methode eingeführt, so könnten sie an 200.000 Ochsen im Jahre mehr mit denselben Erträgnissen füttern. Aber erst etwa ein Dutzend Fabriken wendet das Verfahren an.

Nicht minder wichtig ist ein Verfahren der Strohaufschließung, das nicht nur jede Art Stroh sondern auch Kartoffelkraut in gutes Viehfutter verwandelt. Seidl führte die Methode 1905 ein und konnte seitdem die dem Futterbau gewidmete Fläche von 430 Hektar auf 250 reduzieren.

Nicht minder bedeutend wie in der Produktion von Viehfutter waren Seidls Erfolge auf dem des Körnerbaus:

„Düngung, zeitgemäße Bodenbearbeitung (für 80 000 Kronen Dampfpflüge!) und richtige Sortenauswahl ermöglichten es mir, ... die Gelreideproduktion von 9.000 Meterzentner auf 27 000 Meterzentner pro Jahr, also auf das Dreifache, zu steigern.

Ich ließ aber auch die Fortschritte auf dem neu erschlossenen Gebiete der Pflanzenzüchtung keineswegs außer acht ... Es ist gelungen, aus einer Landrasse von Winterroggen ein Saatkorn zu erzielen, das im Vorjahr auf 5 Hektar 33 Meterzentner und im letzten Jahre im feldmäßigen Anbau sogar 37 Meterzentner pro Hektar ergab.“

Dabei war im Vorjahr im allgemeinen die Ernte keine gute.

Im Durchschnitt wurden in Mähren während des letzten Jahrfünfts jährlich 13,4 Meterzentner pro Hektar geerntet! Im Deutschen Reiche im Durchschnitt der Jahre von 1899 bis 1907 auch nur 15,5 Meterzentner.

Die Erzielung dieser hohen Erträge war keineswegs eine kostspielige Spielerei. Herr Seidl ist ein guter Geschäftsmann. Die Höhe seiner Profite freilich verschweigt er. Aber er sagt uns doch, daß seine jährlichen Einnahmen von 1889 bis 1909 von 420.000 Kronen auf 798.000 stiegen, die Ausgaben für Arbeitslöhne dagegen nur von 100.000 auf 15. 000. Sie waren bis 1906 auf 189.000 Kronen gewachsen, seitdem durch Einführung von Maschinen um 32 000 Kronen herabgedrückt wordenl

Aber freilich, Kapital mußte in das Gut hineingesteckt werden. Mit den Mitteln bäuerlicher Wirtschaft wäre die Steigerung nicht zu erzielen gewesen.

Betriebe wie der Seidische sind nicht das letzte Wort der modernen landwirtschaftlichen Technik. Trotzdem bilden auch sie noch sehr vereinzelte Erscheinungen.

Wie weit stehen aber noch andere Länder, die Kornkammern der Welt, hinter Deutschland und England zurück!

Nach der Statistik des englischen landwirtschaftlichen Amtes betrug im Durchschnitt der letzten fünf Jahre (bis 1907) der Weizenertrag pro Acre in Bushels in:

Großbritannien

31,32

Deutschland

29,59

Belgien

34,09

Dagegen:

Vereinigte Staaten

13,57

Argentinien

10,58

Australien

  8,76

Europäisches Rußland (ohne Polen)

  9,72

Indien

11,44

Der Ertrag der letztgenannten Länder ließe sich, nach diesen Zahlen zu urteilen, also schon verdreifachen, auch wenn man sie bloß mit jenen Hilfsmitteln ausstattete, die heute schon in England und Deutschland allgemein angewandt werden. Die technisch mögliche Steigerung ginge weit darüber hinaus.

Andererseits könnte man die für menschliche Nahrungsmittel bereitstehende Bodenfläche erheblich vermehren, wenn man das Pferd durch mechanische motorische Kräfte ersetzte. Im Deutschen Reiche sind nicht ganze zwei Millionen Hektar mit Weizen bebaut, dagegen über vier Millionen mit Hafer, in Rußland mit diesem fast siebzehn Millionen, in den Vereinigten Staaten dreizehn Millionen.

Wieviel Boden durch Entwässerungsund Bewässerungsanlagen gewonnen werden kann, dafür nur einige Angaben, Im Deutschen Reiche umfassen die Hochmoore allein 27.500 Quadratkilometer – mehr als das Rheinland, mehr als der Weizenboden des ganzen Reiches. Das Sumpfland der Vereinigten Staaten umfaßte 1900 75 Millionen Acres, dagegen der mit Weizen besäte Boden bloß 50 Millionen.

Ueber das Terrain, das durch künstliche Bewässerung in den Vereinigten Staaten zu gewinnen ist, zitiert Simons aus dem Bericht einer Kommission des Senats:

„Mehr als zwei Fünftel des Gebiets der Vereinigten Staaten, abgesehen von Alaska, erfordern Bewässerungsanlagen, sollen sie regelmäßige Ernten liefern, und in wenigstens vier Fünfteln dieser Landstriche ist die künstliche Bewässerung Vorbedingung jeglicher Produktion auf ihnen. Die dürre Region umfaßt 1.200.000 bis 1.300.000 (englische) Quadratmeilen, sie ist um ein Drittel größer als Britischindien und diesem im allgemeinen Charakter sehr ähnlich ... Die Zeugen sind einig in der Erklärung, daß ein Acre Boden in Montana unter Bewässerung an Produktivkraft ebensoviel besitzt wie drei bis fünf Acres in den feuchten, dem Regen ausgesetzten Staaten.“

Dieses Gebiet umfaßt rund 1.000 Millionen Acres – gegenüber den rund 50 Millionen Weizenboden der Vereinigten Staaten; es liefert schon bei den jetzt dort üblichen Methoden des Anbaus im Durchschnitt 35 Bushel Weizen pro Acre, gegenüber dem Durchschnitt der Vereinigten Staaten von 13% Bushel. Man kann sich vorstellen, welch ungeheure Erweiterung des Nahrungsspielraums die Bewässerung dieses Gebiets ergeben muß. 1899 waren davon rund 7 Millionen Acres unter Bewässerung. Die Bewässerungsbauten hatten 64 Millionen Dollars, etwas über 250 Millionen Mark, gekostet, der jährliche Wert der Ernten belief sich auf 84 Millionen Dollars, fast 350 Millionen Mark. (Vergleiche darüber A. M. Simons, The American Farmer, S. 176 ff., Chicago 1902)

Und ähnliches kann in den Mittelmeerländern erreich i werden sowie in Mesopotamien, im tropischen Afrika und Amerika.

Solange dieser Prozeß fortdauert, kann von einer Uebervölkerung keine Rede sein, wie rasch auch die Bevölkerung anwachsen mag. Es ist aber sicher nicht übertrieben, wenn wir erwarten, dieser ganze riesenhafte Prozeß der Umwälzung der Landwirtschaft der gesamten Erde durch den Sozialismus werde auch nach einem Jahrhundert noch nicht beendet sein.


Zuletzt aktualisiert am 17. April 2021