Abschweifung (ueber produktive Arbeit)

//V-182/ Ein Philosoph produziert Ideen, ein Poet Gedichte, ein Pastor Predigten, ein Professor Kompendien usw. Ein Verbrecher produziert Verbrechen. Betrachtet man naeher den Zusammenhang dieses letztren Produktionszweigs mit dem Ganzen der Gesellschaft, so wird man von vielen Vorurteilen zurueckkommen. Der Verbrecher produziert nicht nur Verbrechen, sondern auch das Kriminalrecht und damit auch den Professor, der Vorlesungen ueber das Kriminalrecht haelt, und zudem das unvermeidliche Kompendium, worin dieser selbe Professor seine Vortraege als "Ware" auf den allgemeinen Markt wirft. Damit tritt Vermehrung des Nationalreichtums ein. Ganz abgesehn von dem Privatgenuss, den, wie uns ein kompetenter Zeuge, Prof. Roscher, (/sagt,/) das Manuskript des Kompendiums seinem Urheber selbst gewaehrt.128

Der Verbrecher produziert ferner die ganze Polizei und Kriminaljustiz, Schergen, Richter, Henker, Geschworene usw.; und alle diese verschiednen Gewerbszweige, die ebenso viele Kategorien der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit bilden, entwickeln verschiedne Faehigkeiten des menschlichen Geistes, schaffen neue Beduerfnisse und neue Weisen ihrer Befriedigung. Die Tortur allein hat zu den sinnreichsten mechanischen Erfindungen Anlass gegeben und in der Produktion ihrer Werkzeuge eine Masse ehrsamer Handwerksleute beschaeftigt.

Der Verbrecher produziert einen Eindruck, teils moralisch, teils tragisch, je nachdem, und leistet so der Bewegung der moralischen und aesthetischen Gefuehle des Publikums einen "Dienst". Er produziert nicht nur Kompendien ueber das Kriminalrecht, nicht nur Strafgesetzbuecher und damit Strafgesetzgeber, sondern auch Kunst, schoene Literatur, Romane und sogar Tragoedien, wie nicht nur Muellners "Schuld" und Schillers "Raeuber", sondern selbst "Oedipus" und "Richard der Dritte" beweisen. Der Verbrecher unterbricht die Monotonie und Alltagssicherheit des buergerlichen Lebens. Er bewahrt es damit vor Stagnation und ruft lene unruhige Spannung und Beweglichkeit hervor, ohne die selbst der Stachel der Konkurrenz abstumpfen wuerde. Er gibt so den produktiven Kraeften einen Sporn. Waehrend das Verbrechen einen Teil der ueberzaehligen Bevoelkerung dem Arbeitsmarkt entzieht und damit die Konkurrenz unter den Arbeitern vermindert, zu einem gewissen Punkt den Fall des Arbeitslohns unter das Minimum verhindert, absorbiert der Kampf gegen das Verbrechen einen andern Teil derselben Bevoelkerung. Der Verbrecher tritt so als eine jener natuerlichen "Ausgleichungen" ein, die ein richtiges Niveau herstellen und eine ganze Perspektive "nuetzlicher" Beschaeftigungszweige auftun.

Bis ins Detail koennen die Einwirkungen des Verbrechers auf die Entwicklung der Produktivkraft nachgewiesen werden. Waeren Schloesser je zu ihrer jetzigen Vollkommenheit gediehn, wenn es keine Diebe gaebe? Waere die Fabrikation von Banknoten zu ihrer gegenwaertigen Vollendung gediehn, gaebe es keine //183/ Falschmuenzer? Haette das Mikroskop seinen Weg in die gewoehnliche kommerzielle Sphaere gefunden (siehe Babbage) ohne Betrug im Handel? Verdankt die praktische Chemie nicht ebensoviel der Warenfaelschung und dem Bestreben, sie aufzudecken, als dem ehrlichen Produktionseifer? Das Verbrechen, durch die stets neuen Mittel des Angriffs auf das Eigentum, ruft stets neue Verteidigungsmittel ins Leben und wirkt damit ganz so produktiv wie strikes auf Erfindung von Maschinen. Und verlaesst man die Sphaere des Privatverbrechens: Ohne nationale Verbrechen, waere je der Weltmarkt entstanden? Ja, auch nur Nationen? Und ist der Baum der Suende nicht zugleich der Baum der Erkenntnis seit Adams Zeiten her? Mandeville in seiner "Fable of the Bees" (1705) hatte schon die Produktivitaet aller moeglichen Berufsweisen usw. bewiesen und ueberhaupt die Tendenz dieses ganzen Arguments:

"Das, was wir in dieser Welt das Boese nennen, das moralische so gut wie das natuerliche, ist das grosse Prinzip, das uns zu sozialen Geschoepfen macht, die feste Basis, das Leben and die Stuetze aller Gewerbe und Beschaeftigungen ohne Ausnahme; hier haben wir den wahren Ursprung aller Kuenste und Wissenschaften zu suchen; und in dem Moment, da das Boese aufhoerte, muesste die Gesellschaft verderben, wenn nicht gar gaenzlich untergehen."

Nur war Mandeville natuerlich unendlich kuehner und ehrlicher als die philisterhaften Apologeten der buergerlichen Gesellschaft. /V-183//

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