(/15. Henri Storch. Unhistorische Betrachtung der Beziehungen zwischen materieller und geistiger Produktion. Seine Auffassung von der "immateriellen Arbeit" der herrschenden Klassen/)

Henri Storch, "Cours d'econ. politique etc.", ed. von J.-B.Say, Paris 1823 (Vorlesungen, gehalten dem Grossfuersten Nikolaus, geschlossen 1815), t. III.

Storch ist, seit Garnier, in der Tat der erste der Polemiker gegen A. Smiths Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit, der sich auf einen neuen Boden stellt.

Von den materiellen Guetern, den Bestandteilen der materiellen Produktion, unterscheidet er die "biens internes ou les elemens de la civilisation"398, mit den Gesetzen, von deren Produktion sich die "theorie de la civilisation"399 zu befassen hat. (l.c., t.III, p. 217.)

("Es ist klar, dass der Mensch niemals dahin kommt, Reichtuemer zu produzieren, solange er nicht innere Gueter besitzt, das heisst, solange er nicht seine physischen, intellektuellen und moralischen Faehigkeiten entwickelt hat, was die Mittel zu ihrer Entwicklung voraussetzt, wie die gesellschaftlichen Einrichtungen usw. Je zivilisierter also ein Volk ist, desto mehr kann sein nationaler Reichtum wachsen." (l.c., t. I, p. 136.)

Ebenso verhaelt es sich umgekehrt.)

Gegen Smith:

"Smith ... schliesst von den produktiven Arbeiten alle jene aus, die nicht direkt zur Produktion von Reichtuemern beitragen; auch hat er nur den nationalen Reichtum im Auge." Sein Fehler ist der, "nicht die immateriellen Werte von den Reichtuemern unterschieden zu haben." (t.III, p. 218.)

Damit ist die Sache eigentlich am Ende. Die Unterscheidung der travaux productifs von den travaux improductifs400 ist von entscheidender Wichtigkeit fuer das, was Smith betrachtet: die Produktion des materiellen Reichtums, und zwar eine bestimmte Form dieser Produktion, die kapitalistische Produktionsweise. Bei der geistigen Produktion erscheint andre Art von Arbeit produktiv. Aber Smith betrachtet sie nicht. Endlich die Wechselwirkung und der innre Zusammenhang beider Produktionen faellt ebensowenig in seinen Betrachtungskreis, kann uebrigens nur (/dann/) zu mehr als Redensarten fuehren, wenn die materielle Produktion sub sua propria specie401 betrachtet ist. Soweit er von nicht direkten travailleurs productifs spricht, geschieht es nur, sofern sie direkt an der Konsumtion des materiellen Reichtums teilnehmen, nicht aber an seiner Produktion.

Bei Storch selbst bleibt die Theorie de la civilisation, obgleich einige geistreiche apercus402 unterlaufen -- z.B., dass die materielle Teilung der Arbeit die Voraussetzung der Teilung der geistigen Arbeit -- 403, bei trivialen Redensarten. Wie sehr dies der Fall sein musste, wie wenig er sich auch nur die Aufgabe formuliert hatte, von ihrer Loesung gar nicht zu sprechen, geht aus einem einzigen Umstand hervor. Um den Zusammenhang zwischen der geistigen //409/ Produktion und der materiellen zu betrachten, vor allem noetig, die letztre selbst nicht als allgemeine Kategorie, sondern in bestimmter historischer Form zu fassen. Also z.B. der kapitalistischen Produktionsweise entspricht eine andre Art der geistigen Produktion als der mittelaltrigen Produktionsweise. Wird die materielle Produktion selbst nicht in ihrer spezifischen historischen Form gefasst, so ist es unmoeglich, das Bestimmte an der ihr entsprechenden geistigen Produktion und die Wechselwirkung beider aufzufassen. Es bleibt sonst bei Fadaisen404. Dies wegen der Phrase von "Zivilisation".

Ferner: Aus der bestimmten Form der materiellen Produktion ergibt sich eine bestimmte Gliederung der Gesellschaft -- Nr.I, zweitens ein bestimmtes Verhaeltnis der Menschen zur Natur. Ihr Staatswesen und ihre geistige Anschauung ist durch beides bestimmt. Also auch die Art ihrer geistigen Produktion.

Endlich versteht Storch unter geistiger Produktion zugleich die Berufstaetigkeiten aller Arten der herrschenden Klasse, die soziale Funktionen als ein Geschaeft treiben. Die Existenz dieser Staende, wie die Funktion derselben, nur aus der bestimmten historischen Gliederung ihrer Produktionsverhaeltnisse zu verstehn.

Indem Storch die materielle Produktion selbst nicht historisch fasst -- sie als Produktion von materiellen Guetern ueberhaupt fasst, nicht als eine bestimmte historisch entwickelte und spezifische Form dieser Produktion --, zieht er sich selbst den Boden unter den Fuessen weg, auf dem allein teils die ideologischen Bestandteile der herrschenden Klasse, teils die freie geistige Produktion dieser gegebnen Gesellschaftsformation begriffen werden kann. Er kann nicht ueber allgemeine schlechte Redensarten hinauskommen. Das Verhaeltnis ist daher auch nicht so einfach, wie er von vornherein denkt. Z.B., kapitalistische Produktion ist gewissen geistigen Produktionszweigen, z.B. der Kunst und Poesie, feindlich. Man koemmt sonst auf die Einbildung der Franzosen im 18. Jahrhundert, die Lessing so schoen persifliert hat.405 Weil wir in der Mechanik etc. weiter sind als die Alten, warum sollten wir nicht auch ein Epos machen koennen? Und die Henriade406 fuer die Iliade!

Richtig dagegen hebt Storch hervor -- und mit spezieller Polemik gegen Garnier, der eigentlich der Vater dieser Polemik gegen Smith --, dass Smiths Gegner die Sache am falschen Ende auffassen.

"Was machen Smiths Kritiker? Weit entfernt, diese Unterscheidung" (zwischen valeurs immaterielles407 und richesses408) "zu etablieren, vollenden sie die Konfusion dieser beiden Arten von Werten, die so evident verschieden sind."

(Sie behaupten, die Produktion geistiger Produkte oder die Produktion von Diensten sei materielle Produktion.)

"Indem sie die immaterielle Arbeit fuer produktiv halten, nehmen sie an, sie produziere Reichtuemer" (d.h. direkt), "das heisst materielle und austauschbare Werte, waehrend sie doch nur immaterielle und unmittelbare Werte produziert; sie gehen von der Voraussetzung aus, die Produkte der immateriellen Arbeit seien denselben Gesetzen unterworfen wie die der materiellen Arbeit, waehrend sich doch die ersten nach anderen Prinzipien regeln als die zweiten." (t. III, p. 218.)

Folgende Saetze des Storch zu bemerken als von den Spaetren abgeschrieben:

"Daraus, dass die inneren Gueter zum Teil das Produkt von Dienstleistungen sind, hat man geschlossen, dass sie nicht mehr Dauer haetten als die Dienstleistungen selbst und dass sie notwendigerweise in dem Masse konsumiert werden, wie sie produziert werden." (t. III, p. 234.) "Die urspruenglichen (/inneren/) Gueter, weit entfernt, durch den Gebrauch zerstoert zu werden, verbreiten und vermehren sich durch ihre Ausuebung, so dass die Konsumtion selbst ihren Wert vermehrt." (l.c. p. 236.) "Die inneren Gueter sind faehig, akkumuliert zu werden wie die Reichtuemer und Kapitalien zu bilden, die man zur Reproduktion anwenden kann etc." (l.c. p. 236.) "Die materielle Arbeit muss geteilt und ihre Produkte muessen akkumuliert sein, ehe man daran denken kann, die immaterielle Arbeit zu teilen." (p. 241.)

Dies sind nun nichts als allgemeine oberflaechliche Analogien und Beziehungen zwischen geistigem und materiellem Reichtum. Ebenso z.B., dass unentwickelte Nationen ihre geistigen Kapitalien im Ausland pumpen, wie materiell unentwickelte Nationen ihre materiellen Kapitalien (l.c. p. 306), dass die Teilung der immateriellen Arbeit von der Nachfrage nach ihr, kurz, vom Markt abhaengt, etc. (p. 246.)

Folgendes sind aber die eigentlich abgeschriebenen Saetze:

//410/ "Die Produktion der inneren Gueter, weit entfernt, den nationalen Reichtum durch die Konsumtion materieller Produkte zu verringern, deren sie bedarf, ist vielmehr ein maechtiges Mittel, sie zu vermehren, wie umgekehrt die Produktion der Reichtuemer ein ebenso maechtiges Mittel ist, die Zivilisation zu vermehren." (l.c. p. 517.) "Es ist das Gleichgewicht der beiden Arten der Produktion, was die nationale Wohlfahrt vorwaertsbringt." (l.c. p. 521.)

Nach Storch produziert der Arzt Gesundheit (aber auch die Krankheit), Professoren und Schriftsteller les lumieres409 (aber auch den Obskurantismus), Poeten, Maler etc. den gout410 (aber auch die Geschmacklosigkeit), die Moralisten etc. die moeurs411, Prediger den Kultus, die Arbeit der Souverains die Sicherheit, etc. (p. 347--350.) Ebensogut kann gesagt werden, dass die Krankheit Aerzte, die Dummheit Professoren und Schriftsteller, die Geschmacklosigkeit Poeten und Maler, die Sittenlosigkeit Moralisten, der Aberglauben Prediger und die allgemeine Unsicherheit Souveraine produziert. Diese Manier, in der Tat zu sagen, dass alle diese Taetigkeiten, diese services, einen wirklichen oder eingebildeten Gebrauchswert produzieren, ist von den Spaetren wiederholt, um zu beweisen, dass sie travailleurs productifs im Smithschen Sinn sind, d.h. direkt nicht die Produkte sui generis412, sondern die Produkte der materiellen Arbeit produzieren und daher direkt Reichtum. Bei Storch dieser Bloedsinn noch nicht, der uebrigens sich in zweierlei aufloest:

1. dass die verschiednen Funktionen in der buergerlichen Gesellschaft sich wechselseitig voraussetzen;

2. dass die Gegensaetze in der materiellen Produktion eine Superstruktur ideologischer Staende noetig machen, deren Wirksamkeit -- sei sie gut oder schlecht -- gut, weil noetig ist;

3. dass alle Funktionen im Dienst des Kapitalisten sind, zu seinem "Guten" auslaufen;

4. dass selbst die hoechsten geistigen Produktionen nur anerkannt und vor dem Bourgeois entschuldigt werden sollen, dass sie als direkte Produzenten von materiellem Reichtum dargestellt und faelschlich nachgewiesen werden.

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