Karl Retzlaw

SPARTACUS
Aufstieg und Niedergang

* * *

19. Hitler fand alles fertig vor


Wenn ich mich recht erinnere. war es ein heißer Julitag, als ich das Gefängnis verließ. Mit meinen Büchern und einigen Kleidungsstücken auf dem Arm ging ich zur nahen Beusselstraße, wo meine Mutter noch wohnte. Meine drei politischen Mithäftlinge waren mit ihren Sachen bereits davongeeilt.

Aus den Unterredungen mit meinen Freunden und aus der Lektüre der Zeitungen und Zeitschriften entnahm ich, daß ich in einer politisch angespannten Situation aus dem Gefängnis gekommen war. Einige Wochen vorher, im Mai 1928, hatten die Wahlen zum Reichstag den Linksparteien und auch der Zentrumspartei große Stimmengewinne gebracht. Die Sozialdemokraten hatten über 9,1 Millionen Stimmen und 152 Abgeordnete, die Kommunisten über 3,9 Millionen Stimmen und 54 Abgeordnete erhalten, während die Nazis über 100.000 Stimmen verloren hatten und nur noch mit 12 Abgeordneten in den Reichstag einzogen. Ihre nächsten Freunde, die Deutschnationalen hatten ebenfalls starke Verluste zu verzeichnen, sie erhielten nur noch 4,7 Millionen Stimmen und 78 Abgeordnete. So hatte die neue Reichs-Regierung unter dem sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Hermann Müller als Reichskanzler eine feste Grundlage. Severing war Innenminister, Hilferding wiederum Finanzminister, hinzu kam Wissell als Arbeitsminister. Außerdem war immer noch Otto Braun Ministerpräsident des größten und wirtschaftlich stärksten deutschen Landes Preußen, der Grzesinski als Innenminister an der Seite hatte. Die Sozialdemokraten hatten somit die wichtigsten Ämter inne. Das Wahlergebnis verpflichtete den Reichstag dazu die Exzesse der politischen Justiz zu korrigieren. Daher war es unrichtig von einer Hindenburg-Amnestie zu reden.

Vom Zentralkomitee der KPD, gezeichnet Wilhelm Pieck erhielt ich eine Aufforderung, ihn zu besuchen und in der Roten Fahne wurden alle entlassenen Gefangenen zu einer Feier aufgerufen. Ich sprach mit Pieck, der mir mit vielen Worten nur sagte, daß er froh gewesen sei, daß sich aus meinem Prozeß keine Weiterungen ergeben hätten. Die ganzen „illegalen Sachen“ seien ihm ein Ärgernis gewesen. An der Feier der Amnestierten nahm ich nicht teil, ich wollte nicht gern herumgereicht werden. Mittelpunkt der Feier war Max Hoelz. Seine Angriffe und Beschuldigungen gegen das Zentralkomitee der KPD waren vergessen.

In der ersten Woche war ich tagsüber und abends unterwegs, meine Freunde zu besuchen. August Thalheimer traf ich als ersten. Er erzählte mir von seinen Vorlesungen an der Moskauer Universität über dialektischen Materialismus. Er habe aber auf eine Professur verzichtet, um in Deutschland politisch arbeiten zu können. Er sagte, daß auch Brandler amnestiert sei und demnächst aus Moskau zurückkehren werde. Er lud mich zur nächsten Zusammenkunft seiner Oppositionsgruppe ein. Aus diesen Zusammenkünften ging nach der Rückkehr Brandlers die „Kommunistische Partei Deutschland-Opposition“, KPO) hervor.

Mein früherer Chef James Thomas, den ich zum ersten Mal in seiner „legalen“ Wohnung besuchte, sagte mir, daß er selber kaltgestellt sei, weil er die Einladung Stalins, nach Moskau zu kommen, abgelehnt habe. Ich sprach in diesen Tagen noch mit Paul Levi, Fritz Schönherr, Valerie Marcu, Joseph Bomstein von der Zeitschrift Das Tagebuch. Das alle Gespräche beherrschende Thema war, was getan werden kann, um das Anwachsen der Völkischen, der Nazis und der Rüstung zu verhindern. Diese Politiker liessen sich durch den Rückschlag, den die Nazis bei den letzten Wahlen erlitten hatten, nicht irritieren.

Drollig war mein Besuch bei dem Historiker Valeriu Marcu. Als ich in den Hausflur in der Meineckestraße-Ecke Kurfürstendamm trat, kam mir ein hochgewachsener Mann entgegen, der gerade aus der Patterrewohnung Marcus getreten war. „Hast Du den Mann gesehen, der soeben das Haus verließ“, fragte mich Marcu nach der Begrüßung. Ich bejahte. „Das war General von Seeckt“, sagte Marcu lachend, „er besucht mich öfters, um über militärische Fragen zu philosophieren.“ Dann erzählte Marcu: „Als Seeckt zum ersten Mal zu mir kam, sagte er an der Tür, er möchte den Verfasser des Buches Scharnhorst, oder das große Kommando sprechen. Er hatte geglaubt, einen hohen pensionierten Offizier anzutreffen, der unter dem Pseudonym Marcu schrieb und er fand einen kleinen Juden vor.“ Marcu erzählte mir sehr belustigend, wie verlegen Seeckt war und sofort wieder umkehren wollte, als Marcu sich als Verfasser des Buches vorstellte. Dann aber hatte Seeckt einige Fragen an Marcu gestellt, sich gesetzt – und war vier Stunden geblieben, Marcu hatte Seeckt auf seine Frage nach Marcus Militärzeit geantwortet, daß er niemals Soldat gewesen sei und daß er zum Studium der preußischen Militärgeschichte von Lenin und Trotzki persönlich und durch die Schriften Friedrich Engels angeregt worden sei. Marcu erzählte ihm, daß er Trotzki aus der Vorkriegszeit her kenne, als beide, Trotzki und Marcu, in Bukarest Lebten und Trotzki dort in sozialistischen Zirkeln über seine Erlebnisse als Kriegskorrespondent im Balkankrieg referierte. In der Schweiz, während des Weltkrieges, hatte Marcu auch Lenin kennengelernt.

Die beiden nach Herkunft und Stellung völlig gegensätzlich eingestellten Männer, der Bohemien und Jude Marcu und der arrogante preußische General von Seeckt, freundeten sich an. Seeckt besuchte von nun an Marcu des öfteren. Er war dabei vorsichtig; wenn er Marcu besuchen wollte, vergewisserte er sich jedesmal vorher telefonisch, ob er auch keinen anderen Besucher antreffen würde.

Eine Episode aus dem Leben Marcus möchte ich noch einflechten. Marcu, der seit seinem Ausscheiden aus der Kommunistischen Partei gern die Worte „reale Tatsachen“ gebrauchte, lernte einmal mehr die „Realität“ der sozialdemokratisch geleiteten preußischen Polizei kennen. Eines frühen Morgens wurde Marcu von Kriminalbeamten des Raubdezernats aus dem Bett geholt, in Fesseln zum Polizeipräsidium gebracht, dort unter schweren Mißhandlungen stundenlang verhört. Die Beamten des Raubdezernats legten Marcu ein Jackett mit seinem Monogramm vor. Marcu bestätigte, daß es ihm gehöre. Es war in einer Villa im Grunewald vor einem erbrochenen Schreibtisch gefunden worden. Der Einbrecher war gestört worden und durch das Fenster geflüchtet. Die Jacke hatte der Einbrecher liegen lassen. Als gegen Mittag der Polizeipräsident kam, der Marcu persönlich kannte, ließ er Frau Marcu rufen und es stellte sich heraus, daß Frau Marcu die Jacke einige Tage vorher einem angeblichen Bettler geschenkt hatte. Die Polizei legte Frau Marcu ein Verbrecheralbum vor und sie konnte den Bettler identifizieren. Dieser war der Polizei wohlbekannt, und er konnte gleich aus seiner Stammkneipe geholt werden. Marcu aber hatte den handgreiflichen Beweis für die Methoden der Beliner Schlägerpolizei erhalten, die ihn außer den Prügeln auch mit Titeln wie „Saujude mit Doppelexistenz“ traktiert hatte.

Ich hatte mir in den Jahren der Haft vorgenommen, eine Berufsarbeit in einem Buchoder Zeitungsverlag zu suchen. Es war mir längst klar geworden, daß eine konspirative Parteistellung für mich nicht mehr in Frage kam, denn dafür war ich nicht mehr der Typ. Abgesehen davon mußte ich damit rechnen, ständig von der Polizei überwacht zu werden. Aber der Hauptgrund war, daß ich politischer tätig sein wollte, darin sah ich den Sinn meines Lebens. Wenn politische Arbeit eine das Leben ausfüllende Beschäftigung ist, so ist es noch unendlich schwerer, für eine revolutionäre Partei tätig zu sein und gleichzeitig eine Opposition innerhalb der eigenen Partei zu organisieren. Innerparteiliche Opposition ist nötig, wenn man glaubt, daß der politische Kurs der Parteiführung falsch ist, das heißt, nach Meinung der Oppositionellen nicht zum gesteckten Ziel führen kann. Nach mehreren Tagen und verschiedenen Unterredungen merkte ich, daß es illusorisch gewesen war anzunehmen, ich könnte eine „bürgerliche“ Arbeit finden.

Ich war ungefähr zehn Tage in Freiheit, als ich zufällig auf der Straße Willi Münzenberg traf. Wir kannten uns persönlich seit dem Jahre 1920. Ich hatte schon während des Weltkrieges im Jugendbildungsverein von ihm gehört und gelesen. Damals lebte er in der Schweiz und war Sekretär der Sozialistischen Jugendinternationale und gehörte zum Kreis um Lenin. Münzenberg war sieben Jahre älter als ich. Er hatte ein schmales Gesicht, das von Nachtarbeit und andauernder Aktivität gezeichnet war. Wie ich, hatte auch er nach seiner Schulentlassung als Arbeiter in einer Schuhfabrik gearbeitet. Vor Ausbruch des ersten Weltkrieges war er als Wanderbursche in die Schweiz gegangen und hatte dort Anschluß an internationale sozialistische Kreise gefunden. Jetzt als ich ihn auf der Straße traf war er Präsident der „Internationalen Arbeiterhilfe“, die im Jahre 1921 während der großen Hungersnot in Rußland unter Leitung Münzenbergs geschaffen worden war; ferner Chef des „Neuen Deutschen Verlages“ mit der Arbeiter Illustrierten Zeitung und der Buchgemeinschaft Universum-Bücherei. Außerdem kontrollierte er die Berliner Zeitungen Welt am Abend und Berlin am Morgen. Diesen Verlags- und Zeitungsinteressen verdankte er den Spitznamen „roter Hugenberg.“ Münzenberg legte bei jeder Gelegenheit großen Wert darauf zu betonen, daß er die „Internationale Arbeiterhilfe“ und die Verlage unabhängig von der Kommunistischen Partei leite, obwohl er zeitweilig auch Mitglied des Zentralkomitees war.

Als ich Münzenberg sagte daß ich auf Arbeitssuche sei, forderte er mich sogleich auf, ihn zum „Neuen Deutschen Verlag“ zu begleiten. Eine Stunde später war ich eingestellt, und anderntags begann ich mit der Arbeit. Einige Wochen später sagte er mir, daß er und seine Frau, Babette Gross die Ko-Geschäftsführerin des Neuen Deutschen Verlages und der Universums-Bücherei war, seit mehreren Jahren keinen Urlaub gehabt hätten. Sie wollten gern verreisen, ich solle den Verlag mit den anderen Ko-Geschäftsführern leiten. Ich stimmte zu, Münzenberg und seine Frau blieben zwei Monate fort. Nach beider Rückkehr ging der zweite Ko-Geschäftsführer zu einem anderen Verlag. Ich wurde an seiner Stelle Ko-Geschäftsführer und blieb es, bis die Nazis im Jahre 1933 den Verlag zerstörten.

In diesem Kapitel möchte ich meinen Bericht weiterhin im Rahmen der politischen Entwicklung halten, die Ereignisse nicht streng chronologisch, aber doch zusammenhängend aufzeichnen. Die Ereignisse überschnitten sich, alles geschah fast gleichzeitig. Ich geriet nach zwei Seiten in Opposition, also in völlige Einflußlosigkeit. Hinzu kam daß meine Verlagsarbeit mich stark in Anspruch nahm. Ich muß hier viel interne Parteigeschichte einfügen; ohne diese würde meine Darstellung dieser Zeit, so fürchte ich, ohne Wert sein. Die Ergebnisse der bisherigen Politik der regierenden Parteien der Weimarer Republik traten um diese Zeit markant hervor. Die Konterrevolution, erklärte eindeutig ihre Absichten. Hitler, im offenen Mercedeswagen, mit Ledermantel und Hundepeitsche ausgerüstet, reiste in den deutschen Ländern herum und propagierte konsequent seine Ziele. Außer in Preußen; hier hatte er bisher Redeverbot. Seine Nazipartei hatte um die Zeit bereits, oder erst, ca. 100.000 Mitglieder. Jetzt aber, ausgerechnet unter dem sozial-demokratischen Innenminister, wurde das Redeverbot in Preußen aufgehoben und kurz darauf im November 1928, hielt Hinter seinen erfolgreichen Einzug in Berlin. Während seines ersten Auftretens im Sportpalast demonstrierten wir, die Kommunistische Partei und andere Anti-Hitler-Leute, in den Straßen um den Sportpalast herum. Die gesamte Berliner Polizei, mit schweren Waffen ausgerüstet, schützten Hitler und seine Anhänger. Jetzt begann Hitlers sprunghafter Aufstieg. Formal war Hitler um diese Zeit noch ein „Staatenloser“. Die Reichsregierung und die Regierungen der Länder hätten also, wenn sie ernsthaft gewollt hätten, das heißt, wenn sie gegen Hitler so vorgegangen wären wie sie gegen Linke vorgingen, Mittel und Möglichkeiten gehabt, Hitler in seine Heimat zu befördern.

Ich sage in der Folge immer Hitler für Nazipartei. Die Nazipartei war, im Unterschied zu allen anderen Parteien, auf einer Person, Hitler, aufgebaut. Sie existierte nur durch ihn, Hinters Beseitigung in diesen Jahren wäre das Ende seiner Partei gewesen. Das sagte ich damals immer wieder in Parteiversammlungen und in Diskussionen in Oppositionsgruppen. Aber ich überzeugte nicht, meine Auffassung wurde als „unmarxistisch“ zurückgewiesen. Daß Hitler populäre antikapitalistische Redewendungen gebrauchte, beunruhigte die Kapitalisten sowenig, wie die Tatsache, daß er seine Partei „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ benannte.

Die Bezeichnung „Arbeiterpartei“’ hinderte nicht einmal kaiserliche Prinzen und Offiziere, dieser Partei beizutreten.

Wer den Ablauf der Ereignisse eingehend studiert, wird auch die Wahrheit finden, daß nämlich die verschiedenen bürgerlichen demokratischen Parteien, als Fraktionen eines Lagers, samt und sonders keine prinzipiellen Gegner der Diktatur und des Militarismus waren. Sie saßen um das von ihnen beliebte Bild zu wählen, „im gleichen Boot“ des Kapitalismus. Später nach der Gleichschaltung, rühmten sich die bürgerlichen Parteien im Kampf gegen Links, das Ihre beigetragen zu haben, um dann später nach dem Zusammenbruch des Hitlerregimes wieder alles erfolgreich zu leugnen. Die Sozialdemokratie aber wollte wie man es vor Einführung der chemischen Reinigung sagte, „den Pelz waschen, ohne ihn naß zu machen“. Sie zog in den entscheidenden Fragen hinter den bürgerlichen Fraktionen her. Otto Wels als Sprecher des Parteivorstandes rief zwar auf dein Parteitag in Magdeburg bombastisch aus: „Wenn schon Diktatur dann unsere!“ Aber in Wahrheit war ihre innere Kraft gebrochen, sie hatte sich in Schwäche umgewandelt, weil sie niemals gegen die Reaktion, gegen Nazipartei, Militarismus und Großkapital angewandt worden war, sondern immer nur gegen Linke und besonders gegen die Kommunisten. So hatte sich die Sozialdemokratie selbst entmannt.

Die Rechtsparteien, verfilzt mit der Großindustrie hatten diesen Zustand längst erkannt. Sie mißachteten die Sozialdemokratie und auch die Gewerkschaften soweit, daß sie es riskierten, das gesetzlich festgelegte Tarif und Schlichtungsrecht zu zerstören. Als im Oktober/November 1928 Lohnverhandlungen in der Metallindustrie stattfanden und der unparteiliche Schlichter einen Schiedspruch fällte, der den Metallarbeitern eine geringe Lohnerhöhung zusprach und die Reichsregierung diesen Schiedsspruch einige Tage später für verbindlich erklärte, lehnten die Unternehmer den Schiedsspruch trotz Rechtsverbindlichkeit ab und sperrten einige zehntausend Metallarbeiter aus. Es kam zu einem Kompromiß, doch die Unternehmer hatten grundsätzlich den ersten Schritt zur Zerstörung der Sozialgesetzgebung getan, die später von Hitler fortgesetzt werden sollte. Im Laufe dieser Aussperrung wurde der sozialdemokratische Innenminister von seinen eigenen Genossen gefragt, ob er die Polizei auch gegen Unternehmer einsetzen würde, wie er sie stets so eifrig gegen Arbeiter einsetzte. Severing blieb die Antwort schuldig.

Die Sozialdemokratie hat trotz Unterstützung durch Reichsbanner und Gewerkschaften aus dem Linksruck bei den Wahlen im Mai mit den über neun Millionen Wählerstimmen keine Kraft schaffen können. Im Gegenteil, die nicht überwachte, nicht kontrollierte Wirtschaft, die 1923 die Inflation bewußt organisiert hatte, begann jetzt die Arbeitslosigkeit in großem Maßstab herbeizuführen. Im Dezember 1928 war die Zahl der Arbeitslosen auf fast zwei Millionen angestiegen, ein halbes Jahr später waren es eine halbe Million mehr.

Je wirkungsloser die Politik der KPD wurde desto radikaler wurden ihre Parolen. Sie machte keine Politik mehr sie deklamierte nur noch. Für eine Machtübernahme durch die Kommunistische Partei war solange diese unter Führung Thälmanns, Heinz Neumanns, Schnelles bestand, niemals auch nur die Spur eines Möglichkeit gegeben. Radikale Parolen haben ihre Dynamik. Sie drängen nach rascher Durchführung, sonst besteht die Gefahr, daß sich die radikale Organisation ebenso auflöst, wie sich die Parolen verflüchtigen. Die KPD als Organisation war nicht kontinuierlich gewachsen. Zahlreiche begeisterte Menschen, die zur Partei kamen, verließen sie wieder, weil das innere Parteileben ihnen intellektuell und materiell zu wenig bot. Oder sie wurden durch den Ton der inneren Parteidiskussionen abgestoßen.

In der Kommunistischen Internationale wurde die deutsche Partei mehr und mehr ein Anhängsel eines Klüngels der russischen Partei, präziser gesagt, ihres Generalsekretärs. Stalin unterstellte nach Absetzung der früheren Präsidenten der kommunistischen Weltorganisation, Sinowjew und seines kurzlebigen Nachfolgers Bucharin, nicht nur die Leitung der Kommunistischen Internationale als solcher, sondern auch die einzelnen Parteien seinem Sekretariat.

Ich hatte noch meine blasse Gefängnisfarbe im Gesicht, als ich selber den neuen Ton in der Partei zu spüren bekam. Ausgerechnet Heinz Neumann stellte den ersten Antrag auf Ausschluß aus der Partei gegen mich. Neumann referierte in einer Funktionärsversammlung im westlichen Berliner Vorort Spandau. Er behandelte keine Grundsatzfragen, sondern die Tagespolitik. Neumann sprach in seiner Art aggressiv, arrogant. Er gab Instruktionen ohne Argumentation. Er war, wie damals die meisten der neuen Führungsschichten, indigniert als ich mich zur Diskussion meldete. Er meinte, alles Nötige gesagt zu haben. Ich betonte nur, daß ich die Linie der Partei grundsätzlich für richtig hielte, daß unsere Methoden jedoch zu sehr denen der Gegner ähnelten, sie verlören dabei in der Meinung der proletarischen Bevölkerung, nur diese zählte für uns, das moralische Übergewicht. Solche Selbstverständlichkeiten genügten schon, um Neumann zu reizen. Er rief in die Versammlung hinein, daß ich „sozialdemokratische Ideen“ verbreite. So gab ein Wort das andere. Das Verfahren gegen mich verlief im Sande.

Gegen Ende Oktober 1928 stand ich auf dem Bahnsteig des Schlesischen Bahnhofs in Berlin und wartete auf den Zug, der Brandler aus Moskau bringen sollte. Mit mir warteten noch andere Freunde, ich glaube es waren August Thalheimer, Robert Siewert, Karl Becker, Hans Tittel und Albert Schreiner, alle Gründungsmitglieder der KPD. Einige Tage später begannen die Konferenzen der Opposition. Das Zentralkomitee reagierte sofort. Auf Grund eines Beschlusses der „Reichsparteikonferenz“, die Anfang November 1928 in Berlin tagte, wurden bis Ende Dezember alle Führer und Bekenner zur Opposition, darunter fast alle alten Mitglieder des Spartakusbundes aus der Partei entfernt. Den zentralen Ausschlüssen folgten noch mehr in den Bezirken. Daraufhin kam es, gegen den Willen der Leitung der Opposition, auch zu massenhaften Protestaustritten von Funktionären und Mitgliedern. Die KPD verlor in diesen Monaten ungefähr 5.000 bis 6.000 aktive Funktionäre und Mitglieder.

Der Hauptbefürworter der Ausschlüsse war Stalin, der schon vor drei Jähren in einem Brief an den damals maßgeblichen Maslow geraten hatte, die alten Führer „rauszuschmeißen“. Stalin begünstigte neue Kräfte in der Parteileitung, die von Theorien und alten Vorstellungen vom Sozialismus als humanste Gesellschaftsordnung unbelastet waren und die natürlich seine russische Politik bedingungslos unterstützten.

Die offizielle Gründung der KPO erfolgte in den letzten Tagen des Jahres 1928. Ich machte den Schritt nicht mit, weil ich in verschiedenen Sitzungen der Opposition und in persönlichen Unterredungen mit Brandler die Angelegenheit Trotzkis zur Sprache brachte und stets auf Ablehnung gestoßen war. Thalheimer formulierte die Ablehnung der Oppositionsleitung:

„Die Opposition dürfe sich an keine russische Oppositionsgruppe anhängen, sondern müsse eine eigene Meinung zur Entwicklung Rußlands haben.“ Ich blieb mit den „Brandler-Leuten“, wie die Opposition in der Partei und in der Öffentlichkeit genannt wurde zwar immer befreundet aber ein Ausscheiden aus der KPD hielt ich damals für unlogisch, solange das erklärte Ziel der Brandler-Opposition war, die Partei zu erobern – das heißt wieder aufgenommen und wieder in die früheren leitenden Funktionen zurückgerufen zu werden. Diese mir immer unerklärlich gewesene Hoffnung gaben Brandler und Thalheimer niemals auf. Ich hatte damals und später das Bild gebraucht; Brandler und Thalheimer stehen vor der verschlossenen Tür der Kommunistischen Partei und warten auf Einlaß. Das behagte mir gar nicht.

Meine Gedanken waren bei Trotzki, von dem ich noch eine Änderung des russischen Kurses erhoffte. Wie in der Sowjet-Union und anderen Ländern bildeten sich auch in Deutschland Gruppen die sich als Anhänger Trotzkis bezeichneten. Sie entstanden nicht zentral gelenkt, sie benannten sich oft nicht nach Trotzki, sondern nach Lenin. Wir sahen in Trotzkis Politik keine neue Lehre, sondern die richtige Anwendung der Lehre Lenins. So entstanden in Berlin und in Hamburg unabhängig voneinander Lenin-Bünde. In Berlin war Anton Grylewitz ein aktiver und Trotzki ergebener Mann, Leiter der Gruppe. Im Hamburg war es für kurze Zeit Hugo Urbahns, das frühere Mitglied der Zentrale der KPD. Das Zentralkomitee der Partei nannte alle Oppositionellen einfach Brandleristen oder Trotzkisten. Die Bildung der Trotzki-Gruppen war naturgemäß sehr schwierig. Die Informationen über die Machtkämpfe innerhalb der KPdSU waren nicht nur sehr spärlich, sie waren auch schwer durchschaubar. Über die wirklichen Hintergründe, die Notlage der russischen Bevölkerung, über die brutale Form der von Stalin, gegen den Willen Trotzkis, angeordneten Zwangskollektivierung, die den Widerstand der Bauernschaft zur Folge hatte und zum Niedergang der russischen Landwirtschaft führte, erfuhren wir nur aus feindlich eingestellten Zeitungen.

Auch mit Wolfgang von Wiskow blieb ich befreundet. Er war über alle Vorgänge informiert und er stimmte mir in meiner „trotzkistischen“ und, in bezug auf die Gewerkschaften brandleristischen Einstellung zu. An Sitzungen oppositioneller Gruppen nahm er nicht teil. Er behauptete die Fluktuation der Mitgliedschaft der Partei sei auf die persönliche Verlumpung einiger führender Funktionäre zurückzuführen und er machte den Vorschlag, eine „Fraktion der Anständigen“ zu bilden. Das war anständig gedacht, aber Anständigkeit ist doch keine politische Richtung. Diese Einstellung aber war unter „alten“ Funktionären weit verbreitet. Auch die Brandler-Opposition verlangte im Jahre 1930 in einem Brief an die Mitglieder der KPD und an die Exekutive der Kommunistischen Internationale Neuwahlen der zentralen Körperschaften, ein Schiedsgericht, um die Korruptionsfälle zu untersuchen, und wieder die alte Forderung nach Finanzierung der Parteiarbeit durch die Mitgliederbeiträge. Die Exekutive antwortete wutentbrannt: „Die Gemeinheit dieser Botschaft die an die Komintern faktisch das Ansinnen stellt, sich aufzulösen ... Mit den Renegaten diskutiert man nicht, man schlägt sie.“

Walter Ulbricht, damals Sekretär der Bezirksleitung Berlin erklärte:

„Bekanntlich wurde durch den Ausschluß der Brandleristen die Einheit und Kampfkraft unserer Partei gestärkt, nicht aber geschwächt. Es ist Sache der Brandleristen, ob sie voll ihre Fehler anerkennen, dann werden wir von Fall zu Fall beurteilen, wen wir in die Partei aufnehmen. Im übrigen überlassen wir es ihnen selbst, auf dem Misthaufen der Geschichte zu verfaulen.“

Diese bombastische Sprache hat Ulbricht immer beibehalten. Mit Wiskow diskutierte ich außer über die gemeingefährlich, pervers-schwülstigen, nationalistischen Schriften von Ernst Jünger und Hanns Heinz Ewen, die in dieser Zeit aufsehenerregenden Bücher Aufstand in der Wüste eines britischen Obersten Lawrence, Luftkrieg von einem italienischen Fliegergeneral Douhet und über das Buch des Generals von Seeckt Gedanken eines Soldaten. Lawrence’s Buch hielt ich für außergewöhnlich instruktiv. Beinahe ein Lehrbuch für die politische und militärische Entschlossenheit und Kühnheit in der Durchführung eines Aufstandes, nicht eines Klassenkampfes, sondern eines Kampfes um nationale Unabhängkeit. Die Methoden selbst, die Lawrence schildert, sind primitiv; kampfwillige Stämme werden mit Geld und Aussicht auf Beute in den Kampf hineingezogen.

Das Buch Douhets entwickelte die erste mir bekannte Theorie der Vernichtung eines Volkes aus der Luft. Die Lehren des Luftkriegstheoretikers Douhet hat die deutsche Reichswehrleitung am konsequentesten übernommen. Mein Freund Otto Lehmann-Russbueldt zeigte mir später, im Exil in London, ein Dokument; es war eine Anweisung der Reichswehrleitung an die Flugzeugfirma Junkers in Dessau, vom 23. Juli 1932, also noch in der Zeit der Weimarer Republik, in der es hieß:

»Wie Ihnen schon länger mitgeteilt, lassen die riesigen Befestigungsbauten Frankreichs an unserer Westgrenze einen Infanterieangriff ganz und einen Artillerieangriff fast aussichtslos erscheinen. Danach bleibt nur die intensive Ausbildung und Weiterentwicklung der Luftwaffe übrig, um den Luftkrieg gegen militärisch und industriell wichtige Orte, sowie vor allem auch gegen die Zivilbevölkerung wirksam und rücksichtslos durchführen zu können.«

Das Seecktsche Buch trug das Motto, das den Stoff des Buches richtig wiedergab: Über Gräber vorwärts, nämlich zum Revanchekrieg.

In unseren täglichen Diskussionen und handgreiflichen Auseinandersetzungen mit den Rechtsorganisationen kam die Nachricht, die mich härter traf und mehr lähmte als die bisherigen Niederlagen; Trotzki war nach einjähriger Verbannung, die er in Alma Ata, an der Grenze Asiens, verbracht hatte, in die Türkei abgeschoben worden. Die türkische Regierung wies ihm unter Polizeiaufsicht einen Wohnsitz auf der Insel Prinkipo an, nahe Istanbul. Hier sollte Trotzki die nächsten Jahre verbringen.

Ich nahm an der von der deutschen „Liga für Menschenrechte“ veranstalteten Protestkundgebung im Hause des Preußischen Herrenhauses teil, in der Paul Levi als Hauptredner sprach. Levi protestierte in einer vehementen Rede gegen die Politik der KPdSU und der sowjetischen Regierung, und verlangte gleichzeitig von der deutschen Regierung, Trotzki das Asylrecht zu gewähren. Es war eine schauerliche Szene, als Levi prophetisch in den Saal rief: „Der Tag wird kommen, an dem auch Sinowjew und Bucharin im Ausland um Asyl flehen werden.“ Levi erkannte schon damals richtig, daß Stalin seine beiden Genossen im Triumvirat beseitigen würde.

Ich mußte während der Rede Levis an eine Episode aus der französischen Revolution denken. Danton, auf dem Henkerskarren stehend, unterwegs zur Guillotine, rief, als er am Hause Robespierres in der Rue St. Honore vorüberfuhr: „Du wirst mir folgen, Robespierre!“ Robespierre folgte sechs Monate später. In Rußland folgte Stalin nicht, dafür aber Millionen von Menschen, darunter Parteimitglieder, Funktionäre und Offiziere der Roten Armee.

Das Zentralkomitee der KPD und die Parteipresse kläffte servil alle Verleumdungen Stalins nach. Nicht Hitler, sondern Trotzki wurde zum Hauptfeind erklärt.

Ich hatte mittlerweile eine Wohnung in der neuerbauten Siedlung Britz, südlich des Stadtteils Neukölln bezogen. Mein weiter Weg zur Arbeitsstelle führte mich morgens und abends durch Neukölln. Wenn ich manchmal Zeit und Lust hatte, fuhr ich mit dem Fahrrad kreuz und quer durch diese Hochburg der Kommunistischen Partei. Dabei lernte ich den Stadtteil ziemlich genau kennen. Ich erwähne das, weil hier am 1. Mai 1929 ein Verbrechen geschah, das den Graben innerhalb der Arbeiterschaft weiter aufriß und ihn schwer überbrückbar machte.

Obwohl die sozialdemokratisch geführte preußische Regierung Feiern und Umzüge auf Straßen und Plätzen von Groß-Berlin am 1. Mai verboten hatte, forderte das Zentralkomitee der KPD Mitte April in einem Aufruf die Arbeiterschaft auf, den vierzigsten Jahrestag der Feier des 1. Mai mit Arbeitsniederlegung und öffentlichen Kundgebungen zu feiern. Da die Gewerkschaften das Verbot öffentlicher Kundgebungen akzeptiert hatten, wurde von Arbeitern Berliner Betriebe ein überparteilicher Maiausschuß gebildet, der die Organisierung der Maikundgebungen übernahm.

Der Berliner Polizeipräsident Zorgiebel hatte inzwischen im Einvernehmen mit dem preußischen Innenminister an die Polizei den Befehl gegeben, auf Demonstranten zu schießen. Drei Tage vor dem 1. Mai hatte das „Mai-Komitee“, das von der Schießorder des Berliner Polizeipräsidenten erfahren hatte, diesen gewarnt, schießen zu lassen und darauf hingewiesen, daß in allen anderen Großstädten Deutschlands, sogar in München, die öffentlichen Maikundgebungen erlaubt seien.

Am 1. Mai früh fuhr ich nicht wie üblich zu meiner Arbeitsstätte, sondern ging zum Platz vor dem Bahnhof Neukölln, der als Sammelpunkt zur Bildung eines Demonstrationszuges angegeben war. Ich fand den Platz bereits von Polizei besetzt, die, mit Karabinern, Panzer- und Überfallwagen ausgerüstet, die Straßen absperrte.

Die Ausrüstung der Polizei mit Panzerwagen verstieß zwar auch gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrages, aber dieser Vertrag wurde von den sozialdemokratischen Ministern genau so wenig eingehalten wie später von Hitler.

Es war wieder das deprimierende Bild. Immer wenn Polizisten eine Kette bildeten, die Gewehre im Anschlag, „Straße frei“ und „Fenster zu“ schrien und gleichzeitig schossen, rannten die Demonstranten und Passanten in die Haustore hinein, auch die Treppen hinauf, verfolgt von den Polizisten. Widerstand bemerkte ich nicht. Ich versuchte auf Umwegen in die innere Stadt zu kommen. An einer Straßenkreuzung sah ich umgekippte Wagen als Straßensperren. Diese Hindernisse wurden von Panzerwagen ohne weiteres überwunden. Später wurden sie in den Berichten der Polizei und auch in der kommunistischen Presse als „Barrikaden“ bezeichnet. Daß von Barrikadenkämpfen keine Rede war, beweist am besten die Tatsache, daß die Berliner Polizei am ersten Mai und an den folgenden Tagen nicht einmal einen einzigen Verletzten hatte. Wenn Schüsse gefallen waren, stammten sie aus Polizeischußwaffen. Die Polizei schoß auch auf Personen, die aus den Fenstern oder von Balkonen schauten.

Am Nachmittag, als es mir gelungen war, in die Innenstadt zu kommen, erfuhr ich, daß in Neukölln und im Wedding, dem anderen Arbeitervierteln zahlreiche Personen erschossen worden seien. Am folgenden Tag berichtete die Presse von 29 Toten und zahlreichen Verletzten, von denen noch mehrere starben. Bei den darauffolgenden Protestkundgebungen wurden weitere Personen erschossen. Insgesamt wurden 33 Personen getötet, in der Mehrzahl unbeteiligte Passanten, darunter Frauen, die einkaufen gegangen waren. Es war die blutigste Maifeier der deutschen Geschichte. Tags darauf wurde die Rote Fahne für drei Wochen verboten, zwei Tage später auch der „Rote-Frontkämpferbund“: dieser für immer. Eigentlich erst von dieser Zeit an wurde von der KPD der Beiname „Sozialfaschisten“ für Sozialdemokraten gebraucht. Ich habe ihn in meinen Referaten und Diskussionsreden niemals benutzt, weil er mir banal, sinnlos erschien. Jeder Faschismus gebärdet sich im Anfangsstadium „sozial“. Ohne Zweifel aber ebnete die Sozialdemokratie durch die Polizeibrutalitäten Hitler den Weg, und aus der Tatsache, daß die Masse der Bevölkerung schwieg, konnten Regierung und Polizei annehmen, daß sie sich alles erlauben könne. Zwar stellte ein Teil der bürgerlichen Presse fest, daß die Schuld einwandfrei bei der Polizei lag, daß sie nicht von Demonstranten angegriffen worden war. Auch Carl von Ossietzky hat in der Weltbühne gegen das Polizeimassaker protestiert, und ein Untersuchungsausschuß der „Liga für Menschenrechte“ stellte nach Zeugenaussagen fest, daß die Polizei unprovoziert wütend auf die Menschen eingeschlagen und geschossen hatte. Wie meistens nach Polizeimassakern, wurde hinterher offiziell behauptet, irgendein Polizeioffizier habe „die Nerven verloren.“

Das Zentralkomitee der KPD machte hinterher aus der politischen Menschenjagd einen Heldenkampf, als ob das ständige Verprügeltwerden und Davonlaufen heldenhaft wäre. Auf dem Parteitag, der Mitte Juni 1929, sechs Wochen nach den Maiereignissen, in Berlin-Wedding stattfand, redeten Thälmann und Walter Ulbricht von einem „Barrikadenkampf des 1. Mai“ und im Manifest des Parteitages hieß es:

»Die KPD bekannte sich stolz zu den Barrikadenkämpfen von Neukölln und Wedding, die den Polizeibestialitäten des Sozialfaschisten Zörgiebel aktiven Widerstand entgegensetzten und damit der ganzen Arbeiterklasse ein Beispiel kühnen, entschlossenen Kampfes gaben.«

Die Nazis aber zogen aus den Maiereignissen die Folgerung, daß zur Niederwerfung der KPD und ihrer Anhänger die Polizei genügt. Dem Polizeipräsidenten Zörgiebel zahlten die Nazis später die Pension, und gegenwärtig trägt eine Straße in Westberlin seinen Namen.

Im folgenden Herbst 1929 hatte ich Gelegenheit, mich wieder einmal persönlich über die Lage in Moskau zu informieren. Eine Konferenz der Leiter von Verlagen, die der Internationalen Arbeiterhilfe angeschlossen waren, sollte in Moskau stattfinden. Auch die Buchgemeinschaft „Universum-Bücherei“, zu deren Geschäftsleitung ich ebenfalls gehörte, war eingeladen.

Als deutsche Delegierte sollten Münzenberg und ein Professor Dr. Alfons Goldschmidt teilnehmen. Der Wirtschaftsprofessor Goldschmidt war um diese Zeit eine Art Paradepferd der Internationalen Arbeiterhilfe. Münzenberg sagte wegen Überbürdung mit anderen Arbeiten ab und beauftragte mich, nach Moskau zu fahren. Die Reise war mir sehr willkommen. Münzenberg hatte mich vor der Abreise gebeten, Professor Goldschmidt und seine Frau während der Reise zu betreuen, da beide äußerst unbeholfen seien. Goldschmidt fuhr zum ersten Male in die Sowjet-Union und er hielt mir während der Fahrt stundenlang Vorträge darüber, daß die gegenwärtigen Schwierigkeiten in der russischen Wirtschaft nur „Wachstumsschwierigkeiten“ seien. Das Wort Wachstumsschwierigkeiten gehörte zum Wortschatz der Nachrevolutionsjahre. Mich interessierte mehr ob die Not vermeidbar war. Um diese Frage redete der Professor herum, er hatte keine Meinung. Ich hatte klarere Einsichten über die Schwierigkeiten, den Sozialismus in einem rückständigen Bauernlande aufzubauen, als dieser akademische Opportunist.

Gleich nach Passieren der russischen Grenze spürte ich die Not. Den Speisewagen durften nur Reisende mit Sonderausweis betreten; ich hatte keinen. Ich bekam mit Mühe und Not ein Glas Tee, das ich mit ins Abteil nahm. Glücklicherweise hatte ich Brotschnitten mit. Die Bäuerinnen die noch 1924 auf den Stationen Körbe voll gebackener Hühner und Piroggen feilboten, waren nicht mehr zu sehen. Mit dem russischen Zoll hatte ich ein stupides Intermezzo. Münzenberg hatte mir für Frau Molotow einen neuartigen pfeifenden Wasserkessel aus Aluminium mitgegeben. Frau Molotow hatte sich den Kessel gewünscht und ich sollte bei dieser Gelegenheit Molotow kennenlernen. Der russische Zollbeamte aber beschlagnahmte den Kessel trotz meiner Hinweise, daß es sich um ein Geschenk für das bekannte Mitglied des Zentralkomitees handele. Ich wollte nun nicht mit leeren Händen zu Molotow gehen und verzichtete darauf, ihn kennenzulernen. In Moskau angekommen, fuhr ich zum Sitz der „Internationalen Arbeiter Hilfe“. Dort empfing mich Bela Kun. Er sah krank aus und klagte über Kreislauf- und Leberbeschwerden. Er sagte mir auch die Ursache seines Leidens: die gehässigen persönlichen Streitereien unter den ungarischen Flüchtlingen. Während unseres Gespräches setzte sich der italienische Journalist Misiano zu uns. Wir erkannten uns sofort wieder. Über Miliano erzählte ich im Abschnitt über die Kämpfe um den Vorwärts im Jahre 1919. Er hatte in der Zwischenzeit wieder in Italien gearbeitet mußte aber nach einiger Zeit erneut vor den Faschisten flüchten. Er arbeitete jetzt im Büro Bela Kuns.

Ich wurde in einem der Gästezimmer im gleichen Hause untergebracht. Die Verlagsbesprechungen begannen erst einige Tage später. Ich hatte einen Bericht zu geben über die Mitgliederbewegung der Buchgemeinschaft, über den Umsatz an Büchern und eine Leseranalyse. Bis dahin hatte ich freie Zeit.

Zuerst eilte ich zu Waldemar Rackow. Er sagte mir, daß er zur Zeit Direktor des Kalitrusts der Sowjetunion sei. Als ich in meinem blauen Maßanzug vor ihm saß, kam ihm die Idee, ich solle am Tage meiner Abreise meinen Anzug mit seinem tauschen. Er war trotz seiner hohen Stellung, vielleicht aber auch wegen dieser, sehr abgegriffen gekleidet. Sein Anzug war bereits gewendet worden, an seiner Hose waren Stopfstellen zu sehen. Wir probierten gleich, ob das möglich war. Es paßten ihm nur die Hosen, die Jacke war ihm zu eng. Für die Hosen lieh er mir für die fünf Tage meines Aufenthalts in Moskau, einen Wagen nebst Chauffeur. Er wollte nur morgens ins Büro gefahren werden. Einen Feierabend hatte er nicht, er blieb meistens bis Mitternacht im Büro, dann aber ging er zu Fuß nach Hause, um etwas Bewegung zu haben. Seine Frau arbeitete in seinem Sekretariat. Die Mahlzeiten nahmen sie in der Kantine ein.

Unsere Gespräche fanden teils in seinem Büro statt, teils saßen wir auf einer Bank auf dem nahen Boulevard. Gesprächsinhalt war natürlich die Lage in der Sowjetunion und die Politik der KPD. Rackows Ansichten über den innerparteilichen Kurs der KPdSU waren sehr pessimistisch. Er klagte, daß er durch sein Amt aus der eigentlichen Parteiarbeit gedrängt sei. Er käme zwar mit verschiedenen Regierungsleuten zusammen, aber diese machten in Rußland nicht die Politik. Wenn sie sie auch nach außenhin vertreten. Er sei kein „Trotzkianhänger“ fügte aber gleich hinzu, daß Trotzki in den meisten aktuellen Fragen recht habe, doch „die Partei müsse über alles stehen“. Trotzki habe früher einige Male Gelegenheit gehabt, Stalin kaltzustellen. „Warum hat er’s nicht getan?“ Rackow brauchte zum ersten Male den Vergleich mit Hamlet. Nur schien ein Vergleich Trotzki – Hamlet absurd. Der Tatmensch Trotzki war eh disziplinierter Parteimensch gewesen. Nicht Unschlüssigkeit, sondern falsche Einschätzung seiner Gegner und das vermeintliche Parteiwohl bestimmte sein Handeln. Rackow erklärte weiter, daß, wenn die Partei jetzt die Bauern nicht durch Kollektivierung zur erhöhten Produktion zwinge, so werde die Stadtbevölkerung, vor allem die Industriearbeiterschaft, verhungern. Ohne zwangsweise Kollektivierung sei auch die Industrialisierung der Sowjetunion nicht möglich. Zu einer freiwilligen humanen Kollektivierung, wie Trotzki sie vorschlägt sei nicht mehr die Zeit, das wäre ein Prozeß von Jahrzehnten. Die Deportierung Trotzkis sei jedoch ein Schurkenstreich Stalins gewesen.

In der Schlußfolgerung ähnlich war auch der Inhalt meiner Gespräche mit Willi Budich. „Stalin rettete die Partei,“ sagte Budich, alle Maßnahmen verteidigend, außer der Deportation Trotzkis.

Recht dramatisch war mein Besuch bei Alexander Dworin. Als ich an seiner Tür klingelte, öffnete niemand. Die Tür war nicht verschlossen. Ich trat ein und fand Dworin auf der Chaiselongue liegend mit einer Pistole in der Hand. Auf dem Stuhl vor ihm lag ein Brief. Als ich ihn erschreckt fragte, was los sei, ob er sich umbringen wolle, bejahte er und wies auf den Brief. Ich konnte den Brief nicht lesen, sah aber, daß der Briefkopf der des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei und daß er von Stalin unterzeichnet war. Dworin las ihn mir vor. Er war zum Gouverneur von Kamschatka ernannt worden und sollte in einigen Tagen Moskau verlassen. Fr erzählte mir, daß er sich ein Maleratelier eingerichtet habe und daß er malen und sonst nur an der Akademie lehren möchte.

Ich blieb den restlichen Abend bei ihm, es kamen mehrere telefonisch gerufene Freunde und diskutierten über den Zweck der Ernennung. Dworin entschloß sich auf allgemeines Drängen, anderntags zu Stalin zu gehen, um ihn zu bewegen, den Brief zurückzunehmen. Ein Austritt aus der Partei war für ihn so undiskutabel, wie für einen Bischof der Austritt aus der Kirche. Noch vor meiner Abreise erreichte es Dworin, daß die Ernennung zurückgestellt wurde. Nach einiger Zeit wurde sie widerrufen. Ich erfuhr nicht, um welchen Preis. Einige Jahre später las ich in der Tagespresse einen Bericht über die Völkerbundskonferenz in Genf. In einer Aufnahme der russischen Delegation, die unter Führung des Außenministers Litwinow stand, erkannte ich meinen Freund Alexander Dworin.

Als ich Radek besuchte, traf ich einen verbitterten Mann an. Wie immer war er fast über jede Einzelheit informiert und kommentierte witzig-ironisch die politischen Ereignisse. Über Trotzki wollte er nicht diskutieren. Obwohl er in den vergangenen Jahren in den meisten Streitfragen zeitweilig Trotzkis Meinung geteilt hatte, hatte er jetzt mit dem Zentralsekretariat der Partei Frieden geschlossen. Es sollte sich zeigen, daß dieser Friede nicht von Dauer war. Über Radeks Degradierung vom Rektor zum Lektor der Chinesischen Universität kursierte der nette Witz: „Stalin rief Radek an und sagte ihm, daß er als Rektor abgesetzt sei, daß er aber vorläufig als Lektor weiterarbeiten soll“. Radek habe geantwortet: „Das macht mir nichts aus, da die Chinesen der R nicht aussprechen können, haben sie schon immer Lektor zu mir gesagt.“

Die deutsche Arbeiterbewegung erlitt in diesem Winter einen unersetzbaren Verlust, den ich auch Persönlich als solchen empfand. Paul Levi starb durch Sturz aus dem Fenster. Es war am 9. Februar 1930. Das Datum ist mir immer gegenwärtig, weil es der Tag vor meinem Geburtstag war. Am Tage vor seinem Tode hatte ich an seinem Krankenbett gesessen. Levi war an einer schweren Grippe erkrankt, die mit heftigen Fieberanfällen verbunden war. Als ich ins Zimmer trat, saß er aufrecht im Bett und hielt ein Buch in den Händen. Er sagte gleich, daß er sich wieder besser fühle. Wir plauderten ungefähr eine Stunde über den zur Zeit stattfindenden Prozeß vor dem Reichsgericht in Leipzig gegen den Redakteur des Tagebuch, Joseph Bornstein, dessen Verteidigung Levi führte, über Russland, die kommende Diktatur in Deutschland, die Schwäche der beiden Arbeiterparteien. Ich bemerkte keinerlei Anzeichen einer stärkeren Nervosität oder Depression bei Levi.

Levi hatte ein Appartement im zweiten Stockwerk eines Hauses am Landwehrkanal gemietet, gegenüber der Stelle, an der 1919 die Leiche Rosa Luxemburgs aus den Wasser gezogen worden war. Die Wohnung hatte Levi ausbauen lassen, so auch ein schmales hohes Fenster, das nach Pariser Art bis zum Fußboden hinunterging und das sich nur nach außen öffnen ließ. Davor war ein nur kniehohes Gitter. Ich bin überzeugt, daß der Unfall passierte, als Levi das Fenster öffnen wollte; er bekam wahrscheinlich einen Schwindelanfall und stürzte in die Tiefe. Der Sturz war nicht bemerkt worden. Die Krankenschwester, die Levi betreute war gerade abwesend; als sie zurückkam und das Fenster geöffnet fand, sah sie Levi unten im Vorgarten liegen.

In der gegnerischen Presse wurde behauptet, daß Levi Selbstmord begangnen habe und auch in politischen Freundeskreisen wurde der Freitod für nicht ausgeschlossen gehalten. Ich glaubte nie an Selbstmord. Mit Levi war der intelligenteste marxistische Politiker der Sozialdemokratie und Deutschlands erster Verteidiger in politischen Prozessen der Weimarer Republik hingeschieden. Ich sagte schon an anderer Stelle, daß Levi keinen Machthunger besaß, die Leute im Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei hatten ihn darum nicht zu fürchten. Freunde hatte er allerdings in diesem Parteivorstand der Mittelmäßigkeit auch nicht. Levi sah manches Unheil kommen. Aber die in den späteren Klagegesprächen im Exil geäußerte Ansicht, daß Levi der einzige gewesen wäre, der die deutsche politische Emigration zu einer Kraft hätte vereinigen können, teile ich nicht. Dazu war Levi nicht hart, nicht einseitig genug. Er hätte die notwendigen Änderungen in den innerlich verrotteten Arbeiterparteien nicht durchsetzen können.

Deutschlands Regierung spielte in dieser Zeit weiterhin erfolgreich den armen Mann. Tatsächlich zahlte sie keine Reparationen mehr. Dafür wurden trotz der nach außen gezeigten Armut des Staates, die militärischen Rüstungen verstärkt fortgesetzt. Auf den Panzerkreuzer „A“ 1928 folgte jetzt der Panzerkreuzer „B“ mit Zustimmung der Sozialdemokratie. Auch eine Abstimmung unter Kieler Werftarbeitern hatte eine Mehrheit für den Panzerkreuzerbau ergeben. Die Zahl der Arbeitslosen war unter dem sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann Müller mit Severing als Innenminister im Frühjahr 1930 auf über 3 Millionen angestiegen. Nun wurde die Regierung gestürzt, ein „Kabinett der Frontsoldaten“ unter dem Führer der Zentrumspartei Heinrich Brüning gebildet, der Reichstag wurde aufgelöst. Die Neuwahlen fanden im September statt. Die KPD gewann sehr erheblich und erhielt über 4,5 Millionen Stimmen und 77 Abgeordnete. Das Zentralkomitee der Partei überschlug sich in maßloser Überschätzung dieses Erfolges und veröffentlichte eine Erklärung, in der es hieß;

»Die Kommunistische Partei Deutschlands ist als Sieger aus dem jetzt abgeschlossenen Wahlkampf hervorgegangen. Mehr als 4,5 Millionen Werktätige haben für die KPD gestimmt. In entscheidenden proletarischen Hochburgen Deutschlands wie Groß-Berlin, am Niederrhein, in Halle-Merseburg sind die Kommunisten zur stärksten aller Parteien geworden. Dieses Wahlergebnis ist ein glänzender außerparlamentarischer Sieg des revolutionären Proletariats. Seine Tragweite ist weit über die Grenzen Deutschlands hinaus von internationaler, weltweiter Bedeutung. Die Sozialdemokratische Partei geht aus diesen Wahlen besiegt und geschlagen hervor.«

Die angeblich „besiegte und geschlagene“ SPD hatte immer noch 8,5 Millionen Stimmen erhalten, beinahe doppelt so viele wie die KPD. Die wirklichen Sieger aber waren die Nazis, die von 810.000 Stimmen im Jahre 1928 in zwei Jahren auf über 6,3 Millionen anstiegen. Zu diesem alarmierenden Aufstieg erklärte der Aufruf des Zentralkomitees:

»Mit dem Siegesmarsch der Kommunistischen Partei kann der außerordentliche Stimmengewinn der Nationalsozialisten in keiner Weise verglichen werden. Ihr Gewinn ist nur eine Umgruppierung im bürgerlichen Lager.«

Ich sagte schon in einem anderen Zusammenhang, daß Erfolge maßlos aufzubauschen, gleichzeitig aus Siegen Niederlagen, aus Niederlagen Siege zu machen nicht etwa Selbsttäuschung waren, sondern diese Über- und Untertreibungen gehörten zur Taktik der KPD. Verstanden wurde diese „Taktik“ weder von Funktionären noch von „einfachen“ Parteimitgliedern, aber sie wurde hingenommen. Doch fand ich stets viel Zustimmung, wenn ich in Parteiversammlungen des öfteren sagte, daß es für eine revolutionäre Arbeiterpartei angemessener sei, nüchterner zu sprechen. Aber die „Parteipsychologen“ erklärten, daß man den eigenen Anhängern Siegeszuversicht suggerieren müsse. Die Gefährlichkeit dieser Taktik war, daß die Partei versäumte, die Stimmengewinne der Nazis zu analysieren. Die Analyse hätte nämlich bewiesen, daß es sich bei dem Stimmenzuwachs der Nazis nicht um „Umgruppierungen“ handelte, sondern um einen echten Einbruch in die Arbeiter- und Angestelltenschaft.

Nach dem Zusammentritt des neugewählten Reichstages fühlten sich die Nazis stark genug, ihre reaktionäre Gesinnung offen zu zeigen. Sie brachten einer Gesetzentwurf ein, der die Todesstrafe für antimilitaristische Agitation forderte. Dagegen lehnten sie einen Antrag der Kommunisten auf erhöhte Besteuerung der großen Vermögen ab, stimmten aber für Erhöhung der Zölle auf Lebensmitteleinfuhren. Die Geldgeber und Gönner der Nazis, Großkapital, Großgrundbesitzer und Militärs waren befriedigt, das „Volk“ rührte sich nicht.

Die Sozialdemokraten waren nun aus der Reichsregierung verdrängt aber im weitaus wichtigsten und stärksten Lande Preußen blieben sie führend und machten hier die Koalitionspolitik mit den gleichen Parteien weiter, von denen sie aus der Reichsregierung rausgesetzt worden waren. Severing wurde Innenminister von Preußen, Grzesinski Polizeipräsident von Berlin. Der politische und moralische Abstieg der Sozialdemokraten hielt weiter an. Wenn sie im Parlament oder in Parteiversammlungen für oder gegen eine Sache die Finger hochhoben, so nannten sie das „für eine Sache kämpfen“. Diese Bezeichnung war so lächerlich, wie die bombastischen Prahlerei der Kommunisten provozierend war. Lächerlichkeit tötet in der Politik nicht. Ein bürgerlicher Schriftsteller nannte die sozialdemokratische Reichstagsfraktion: „Eine Anzahl von Hintern auf einer Anzahl von Stühlen.“ Einen Dank dafür, daß sie der getreueste Verbündete der katholischen Zentrumspartei in Preußen und Stütze ihres Reichskanzlers Brüning im Reich war, erhielt die SPD auch vom Papst Pius XI nicht. Dieser schrieb in seinem Rundschreiben Quadragesimo anno vom 15. Mai 1931, daß eine grundsätzliche Einigung zwischen Katholizismus und Sozialismus unter allen Umständen ausgeschlossen sei. „Man kann nicht gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Sozialist sein.“

Trotz allen Zurücksetzungen setzte die Sozialdemokratie nicht nur die Koalitionspolitik fort, sondern sie verschärfte noch ihren servilen Kurs gegenüber der Reaktion. So schloß sie auf dem Parteitag in Leipzig, Juni 1931 neun Reichtagsabgeordnete und ihre Anhänger aus der Partei aus, die gegen den zweiten Panzerkreuzerbau gestimmt und agitiert hatten. Außerdem verbot sie ihren Mitgliedern die Zugehörigkeit zur „Deutschen Liga für Menschenrechte“ und zur „Deutschen Friedensgesellschaft“, dagegen erlaubte sie die Mitgliedschaft in den zahlreichen Militär- und Schützenvereinen. Friedrich Austerlitz, Chefredakteur der Wiener Arbeiterzeitung, des Zentralorgans der Sozialdemokratischen Partei Österreichs der als Gast auf dem Leipziger Parteitag war urteilte über die deutschen Genossen „Die deutsche Sozialdemokratie begeht Selbstmord aus Angst vor dem Tode“.

Die neun ausgeschlossenen Reichstagsabgeordneten unter Führung des bekannten Rechtsanwalts Dr. Kurt Rosenfeld und Max Seydewitz bildeten in der Folge die „Sozialistische Arbeiter Partei“ (SAP).

Die wichtigste Publikation des Neuen Deutschen Verlages war die wöchentlich einmal erscheinende Arbeiter Illustrierte Zeitung (AIZ), die im Kupfertiefdruck hergestellt eine Auflage bis zu 200.000 Exemplare pro Nummer erreichte. Um diese Illustrierte vertreiben zu können, mußten wir eine Organisation mit mehreren tausend Mitarbeitern schaffen. Hugenberg hatte mit der Drohung, daß Händler die auch linke Zeitungen verkaufen, keine Blätter seines Konzerns erhalten würden, diese vom Verkauf der AIZ abgehalten. Der Hugenberg-Korzern mit seinen 99 Zeitungen und Zeitschriften kontrollierte faktisch auch die Bahnhofsbuchhandlungen und die meisten Kioske in allen Städten Deutschlands. Der Aufbau eines eigenen Vertriebsapparates des Neuen Deutschen Verlages wurde dadurch erleichtert, daß es Millionen von Arbeitslosen gab, die sich gern einige Mark durch Verkauf oder Austragen unserer Zeitung verdienen wollten.

Unser Bestreben, den überparteilichen Charakter des Verlages zu wahren, führte des öfteren zu Reibereien mit dem Zentralkomitee der KPD, das öfters versuchte, unfähige Parteisekretäre im Verlage unterzubringen. Soweit sie umgeschult werden konnten, wurden sie übernommen. So übernahmen wir auch Willi Kreykemeier in Magdeburg, der später Direktor der Deutschen Reichsbahn in der DDR wurde. Von diesem Direktorposten wurde er eines Tages verhaftet und verschwand spurlos.

Die Buchabteilung des Neuen Deutschen Verlages brachte Bücher internationaler Autoren heraus, die sonst in Deutschland keinen Verleger fanden. Ich lernte hierbei viele interessante Menschen kennen, Schriftsteller, Journalisten, Theaterleute. So Andersen Nexö, Kurt Kersten, Egon Erwin Kirch, Erich Weinert, Arthur Koestler, den Regisseur und Schauspieler Otto Katz, der 1952 im Slansky Prozeß in Prag als „André Simon“ zum Tode verurteilt und gehängt wurde. Hans von Zwehl und andere. Bei uns erschienen unter anderem Kurt Kersten Bismarck und seine Zeit; von meinem Früheren Chef James Thomas die Illustrierte Geschichte der russischen Revolution; Knecht Jan des Belgiers Stijn Streuwels (Frank Lateur), der später in seiner Heimat den Staatspreis für Prosa erhielt; Pater Amaro des Portugiesen Eca de Queiros; Otto Katz’ Drei Männer im Eis, die Geschichte des Nordpolfluges des Italieners Nobile; ferner Werke von Andersen, Kurt Tucholsky und Albert Hotopp.

Im Neuen Deutschen Verlag veröffentlichte John Heartfield seine aggressiven und berühmt gewordenen Photomontagen. Die Buchproduktion des Neuen Deutschen Verlages war dadurch gesichert, daß die Bücher außer durch den Buchhandel auch durch die „Universum-Bücherei“ verkauft wurden.

Dies war eine Buchgemeinschaft, die ihre Bücher an die 20.000 bis 25.000 Mitglieder in Deutschland, Österreich, der deutschsprachigen Schweiz und dem deutschsprachigen Teil der Tschechoslowakei abgab. Die leitenden Mitarbeiter der Universum-Bücherei waren Hans Holm, Hans von Zwehl, Otto Katz. Vielfach waren die Vertriebsstellen des Neuen Deutschen Verlages gleichzeitig Geschäftsstellen der Universum-Bücherei, in denen auch Vorlesungen veranstaltet wurden.

Das ununterbrochene Anwachsen und die lange Dauer der Arbeitslosigkeit begünstigte nicht nur die Ausbreitung der Nazibewegung, sondern parallel damit wucherte die Hoffnungslosigkeit und auch Zersetzung weiter Kreise der Arbeiterschaft. Ich bemerkte das schmerzhaft auch auf Nebengebieten. So auch bei meinen Revisionen der Verlags- Vertriebsstellen. Wir hatten in Deutschland und im benachbarten Ausland 28 Auslieferstellen, von Königsberg bis Wien, Reichenberg, Basel, die ich mindestens zweimal im Jahr besuchen mußte, gewöhnlich am Wochenende. Es häuften sich in der letzten Zeit vor Hitlers Machtübernahme die Fälle, in denen die Verkäufer unserer Zeitungen das Abrechungsgeld verbrauchten. Es waren in den einzelnen Fällen keine größeren Summen, aber die zahlreichen Fälle summierten sich und erreichten empfindliche Größen. Gewerkschaftsführer und -kassierer, die ich gelegentlich sprach, erzählten mir, daß die gleichen Erscheinungen, Nichtabgabe von kassierten Beträgen, auch bei ihren Vertrauensleuten an der Tagesordnung seien.

Meine Reisen waren auch politisch sehr informativ. Ich sah politische Menschen und Mitarbeiter aus früheren Jahren, die mich über die politischen Verhältnisse und Vorgänge in ihren Gebieten informierten, die nicht in Zeitungen zu lesen waren.

Im Zuge meiner Revisionsreisen kam ich eines Samstags nach Reichenberg, tschechisch Liberec, in der Tschechoslowakei. Ich wollte den folgenden Sonntag auf der „Königshöhe“ im Isergebirge in der Nähe von Reichenberg verbringen. Um mich erst zu vergewissern, ob ich im Gasthof Naturfreundehaus, Königshöhe übernachten könne, wollte ich telefonisch ein Zimmer bestellen. Das versuchte ich vergeblich. Die Verbindung wurde böswillig blockiert. Ich verlangte am Telefon in deutscher Sprache Liberec und die Nummer. Es meldete sich eine Stimme die sagte es heiße „Reichenberg“ und hängte ein. Ich verlangte nun Reichenberg und die Nummer, daraufhin sagte die Stimme vom Amt: „Wir sind hier in der Tschechoslowakei und es heißt Liberec.“ Ich konnte nicht sogleich begreifen ob ich einen Fehler gemacht hatte und welchen. Ich wiederholte den Versuch mit dem gleichen negativen Ergebnis. So wanderte ich dann aufs geradewohl zur Königshöhe hinauf.

Dem Mann an der Theke des Naturfreundehauses sagte ich, um mich zu entschuldigen, daß ich vergeblich versucht hätte, telefonisch ein Zimmer zu bestellen. „Wir nehmen nur Verbindungen an, wenn Reichenberg gesagt wird,“ antwortete der Mann und gestand lachend, daß er zweimal eingehängt hatte, als er Liberec gehört hatte. Die Bedeutung dieses lächerlichen Wortgeplänkels kam mir erst später zum Bewußtsein, als der nationalistisch provozierte Konflikt in der Tschechoslowakei auf die Spitze getrieben wurde. Das Naturfreundehaus auf der Königshöhe stand damals unter sozialdemokratischer „sudetendeutscher“ Leitung.

Gegen Ende des Jahres 1930 wurden die Parteiorganisationen angewiesen, einen Beschluß des Internationalen Roten Gewerkschaftskongresses durchzuführen, der die Partei verpflichtet hatte, in Deutschland eigene „rote“ Gewerkschaften zu gründen. Der Beschluß war fast ein Jahr zuvor in Moskau gefaßt worden, nachdem der Kongreß festgestellt hatte, daß die bisherige Taktik, die die Mitglieder der KPD verpflichtete, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein und sich innerhalb ihrer Gewerkschaft zu Fraktionen zusammenzuschließen, fruchtlos geblieben war. Die kommunistischen Fraktionen konnten die Gewerkschaftsleitungen nicht zu einer aktiveren Politik, zum Kampf um Kontrolle der Wirtschaft und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bewegen. Jetzt hieß es, nur eigene Gewerkschaften könnten dem gewerkschaftlichen Kampf neue Impulse geben. Als erste kommunistische Gewerkschaft wurde Ende 1930 der „Rote Metallarbeiterverband“ gegründet.

Ich hielt den Beschluß und die Begründung für irrig und machte die Spaltung nicht mit, sondern blieb Mitglied meiner Gewerkschaft „Zentralverband der Angestellten“ (ZdA). In meiner Haltung befand ich mich in Übereinstimmung mit den brandleristischen und trotzkistischen Oppositionsgruppen, die den Beschluß der Roten Gewerkschaftsinternationale entschieden ablehnten.

Trotz richtiger Einschätzung der Gewerkschaftsbürokratie, die sich selbst als „Arzt des Kapitalismus, nicht als dessen Totengräber“ bezeichnet hatte, ging die Gründung eigener, kommunistischer Gewerkschaften von falschen Voraussetzungen aus. Die Schwäche der Kommunisten in den Gewerkschaften entsprach der politischen Schwäche der Partei. Diese hatte gar nicht den Einfluß unter Betriebsarbeitern und Angestellten, sie hatte nicht einmal die Mehrheit unter den Arbeitslosen, um die maßgeblichen Funktionen in den Gewerkschaften besetzen zu können. Das war entscheidend. Mir brachte meine Ablehnung der „Roten Gewerkschaften“ ein weiteres Parteiverfahren ein, das aber wie das frühere im Sande verlief. So wie auch der Versuch der Gewerkschaftsneugründung versandete.

Den politischen Wust, den das Zentralkomitee der KPD anhäufte, vergrößerte es noch durch den sogenannten „Roten Volksentscheid“. Die KPD lehnte zuerst den Volksentscheid der Rechtsparteien entschieden ab, dann aber griff sie ihn auf, nannte ihn um in „Roter Volksentscheid“ und kam so in ihrem Bestreben, die preußische Regierung zu stürzen, in die Nachbarschaft der Nazis. Das Gefährliche dabei war, daß die Kommunisten in der Propaganda auch mit den gleichen Nationalismen hausierten. Die Oppositionsgruppe innerhalb und außerhalb der Kommunistischen Partei, die „Brandleristen“ und „Trotzkisten“, wandte sich mit aller Energie gegen diesen sinnlosen Streich des Zentralkomitees. Wir Oppositionelle haben bestimmt nichts Gemeinsames mit den krummen Rücken der preußischen sozialdemokratischen Minister Braun-Severing, aber in dieser Situation mußte sich die KPD eindeutig von den Rechtspateien distanzieren. Auch Trotzki beteiligte sich von Prinkipo aus an der Diskussion. Er nannte den Roten Volksentscheid „das böseste Abenteuer, daß man sich vorstellen kann“, und schrieb weiter: »Die Nazis nationalistisch überschreien zu wollen, ist keine revolutionäre Politik, sondern ein Kniff kleinbürgerlicher Konkurrenz.«

Die Agitationen um den „Roten Volksentscheid“ dauerte den ganzen Sommer über. Die Masse der Parteimitglieder folgte urteilslos. Aber wie schon bei früheren Aktionen war es erkennbar, daß es nicht mehr bloße Parteidisziplin der Mitglieder war, die nach eigener Einsicht und Verantwortung diese Politik mitmachte, sondern die Bereitschaft zur Unterordnung. Diese aber höhlte auch die Partei aus, so daß die Brandleropposition in ihrem Organ schreiben konnte:

»... daß die Kommunistische Partei aufhört, in der Wirklichkeit die Trägerin des Kommunismus zu sein, daß sie sich in einen leerlaufenden, selbstgenügsamen Apparat verwandelt, der mit dem wirklichen Kampf der Arbeiterklasse nichts mehr zu tun hat und der schließlich bei der ersten ernsten revolutionären Probe an seiner inneren Hohlheit zusammenbricht.«

Der Volksentscheid wurde ein Fehlschlag. Bei der Abstimmung fehlte ein großer Teil der bisherigen kommunistischen Wähler. Ich ging auch nicht zur Abstimmung.

Trotzkis Beurteilung der Vorgänge in der Sowjetunion blieb für uns maßgebend. Trotzki hielt eindeutig an der These fest, daß die Sowjetunion trotz Stalin ein Arbeiterstaat sei, und nur wer diese dies anerkenne, dürfe sich zu seiner Gruppe zählen. Der Kampf gegen Stalin dürfe niemals zu einem Kampf gegen die Sowjetunion werden. »Bolschewiki müssen Bolschewiki bleiben«, schrieb er. Die Vorgänge in der Sowjetunion seien keine Konterrevolution. »Der Feind ist Stalin und die Apparatbürokratie«. Sein Urteil über die Situation in Deutschland im Jahre 1923 hatte Trotzki inzwischen geändert. Erbittert über das Versagen der deutschen Kommunisten schrieb er:

»Hätte Ende 1923 die Revolution in Deutschland gesiegt – was vollkommen möglich war –, die Diktatur des Proletariats wäre in Rußland ohne innere Erschütterungen geeinigt und gefestigt worden. Die deutsche Revolution aber endete mit einer der schrecklichsten Kapitulationen in der Geschichte der Arbeiterklasse. Die Niederlage der deutschen Revolution war ein mächtiger Antrieb für alle Reaktionsprozesse in der Sowjetrepublik. Daher der Kampf in der Partei gegen die permanente Revolution und gegen den Trotzkismus, die Entwicklung der Theorie des Sozialismus in einem Lande.« u. s. w.

Ich stimmte Trotzki in seinen Feststellungen, daß im Jahre 1923 in Deutschland die Entscheidung für die Entwicklung zum Nazismus gefallen war, zu, nicht aber darin, daß ein Sieg der Revolution im Herbst 1923 möglich gewesen war. Trotzki wies alle Einwände zurück und beschränkte seine Meinung, indem er schrieb:

»Im Jahre 1923 hat Brandler die Kraft des Faschismus ungeheuerlich überschätzt und damit die Kapitulation verdeckt. Die Folgen dieser Strategie trägt die Weltarbeiterbewegung bis zum heutigen Tag. Die historische Kapitulation der deutschen Kommunistischen Partei und der Komintern im Jahre 1923 lag dem darauffolgenden Wachstum des Faschismus zugrunde.«

Jahre später, als Trotzki in Frankreich war, traf ich ihn in Royan und Paris, und wir kamen in unseren Gesprächen wieder auf dieses Thema zurück. Nur schwer konnte ich ihn davon überzeugen. daß im Jahre 1923 nicht nur die Nazis die Gegner einer Arbeiterrevolution waren, sondern auch die Staatsmacht, also Reichswehr und Polizei, und daß die Arbeitermassen, die der Sozialdemokratie folgten, uns abweisend gegenüberstanden. Wenn wir es nur mit den Nazis von 1923 zu tun gehabt hätten, wären wir mit ihnen sicherlich fertig geworden.

Trotzki war auf der Insel Prinkipo in schöpferischer Verfassung. Obwohl er durch die Zensur sehr behindert war, arbeitete er viel in der aktuellen Politik mit, wenngleich ihn deutsche Zeitungen oft erst mit wochenlanger Verspätung erreichten. So konnte er uns seine Anregungen und Kritik oft nur verspätet mitteilen. Nachdem er bisher Zeitungsartikel und Broschüren geschrieben hatte, kamen jetzt seine großen Werke Mein Leben und ein Jahr später Die Geschichte der Russischen Revolution zu uns. Beide Bücher waren von Alexandra Ramm, der Frau Franz Pfemferts übersetzt worden.

Das Erscheinen von Mein Leben war zweifellos das literarische Ereignis des Jahres 1930. Mit diesem Werk stellte Trotzki sich ebenbürtig neben Maxim Gorki als ersten lebenden russischen Schriftsteller. Gorki war kein Freund von Trotzki, er hat ihn auch früher nie gemocht. Gorki war einst einer der Rufer nach der Revolution gewesen um dann vor dem „häßlichen Gesicht“ der Revolution zu erschrecken.

Zwischen Mein Leben und der Geschichte der Russischen Revolution erschien Trotzkis theoretisches Hauptwerk: Die Permanente Revolution.

Diese Schrift ist die geistvollste und polemisch schärfste Widerlegung aller Meinungen, die seine Lehre der permanenten Revolution bekämpfen. Trotzkis Klarstellung seiner Theorie gegen Entstellungen Stalins, Radeks, Bucharins verlangt allerdings sehr eingehende Kenntnis der Schriften von Karl Marx, ferner der Geschichte der russischen sozialistischen Bewegung von ihren Anfängen an und vor allem der theoretischen Diskussion der Exilzeit der Bolschewiki und ihrer Haltung in den Wochen der Oktoberrevolution von 1917.

Franz Pfemfert hatte den Mut, Die Permanente Revolution in seinen Verlag „Die Aktion“ herauszubringen. Das Buch wurde bald darauf von den Nazis beschlagnahmt und verbrannt; der Verlag wurde zerstört. In der Permanenten Revolution sind die Auseinandersetzungen zwischen der chinesischen und der russischen kommunistischen Partei der späteren Jahre vorweggenommen. Während Stalin, Bucharin und auch Radek die chinesischen Kommunisten für so schwach hielten, daß sie diese aufforderten, mit der Kuomintang Tschiang Kai-Scheks zusammenzugehen, sich faktisch dieser unterzuordnen, unterstützte Trotzki das selbständige Vorgehen der Kommunistischen Partei Chinas. Er schrieb:

»... die neue chinesische Revolution kann das bestehende Regime stürzen und die Macht den Volksmassen übertragen ausschließlich in der Form der Diktatur des Proletariats ... Nicht nur die Agrarfrage, sondern auch die Nationale Frage weist der Bauernschaft, die in den zurückgebliebenen Ländern die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung bildet, einen außerordentlichen Platz in der demokratischen Revolution an. Ohne ein Bündnis des Proletariats mit der Bauernschaft können die Aufgaben der demokratischen Revolution nicht nur nicht gelöst, sondern auch nicht ernstlich gestellt werden ... Nun hat die Erfahrung gezeigt ..., daß die „demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ nur als Diktatur des Proletariats, das die Bauenmassen führt, denkbar ist.«

Die chinesischen Kommunisten wissen wohl, daß Stalin an Tschiang Kai-Schek Waffen liefern ließ. Daß trotzdem Mao Tse-tung Stalin gegen Trotzki verteidigt, gehört zu den Merkwürdigkeiten des Verhältnisses China-Sowjetunion, die ich hier nicht erörtern kann.

Eines Tages im Frühsommer 1931 besuchte mich der Leiter der Berliner Trotzkigruppe, Anton Grylewitz, und lud mich ein, ihn am Abend zu treffen, er wolle mich mit einem ausländischen Freund bekannt machen. Als wir uns am Abend trafen, stellte er mir einen jungen Mann vor, Mitte Zwanzig, blasse, weiche Gesichtszüge, mittelgroß, unauffällig gekleidet. Es war Leon Sedow, der älteste Sohn Trotzkis.

Ich fand zuerst bei ihm wenig Ähnlichkeit mit seinem Vater. Sedow wirkte bescheiden und höflich, er sprach leise, doch mit Bestimmtheit das gewählte Deutsch des gebildeten Ausländers. Er hatte es in der Schule gelernt und bei seinem Vater und dessen deutschen Sekretären geübt. Er war, wie ich von ihm erfuhr, bereits einige Monate in Deutschland. Sedow war an der Technischen Hochschule in Berlin immatrikuliert, er wolle Ingenieur werden. Er hatte den Zug der neuen Parteigenerationen in sich, den ich schon bei einigen jungen „roten Professoren“ bemerkte, die ich in Moskau bei Dworin kennengelernt hatte: Parteimensch sein, aber auf keinen Fall nur Parteimensch. „Als Ingenieur kann ich immer Redakteur oder Sekretär der Partei sein,“ sagte er. Er war der Meinung, daß künftighin jeder Parteisekretär der bolschewistischen Partei Techniker und Naturwissenschaftler sein müsse, ohne akademische Bildung werde es in der Sowjetunion immer schwerer sein, politischen Einfluß zu gewinnen.

Wie Sedow mir sagte, seien seine Tage voll ausgefüllt mit dem Studium, Korrespondenz, hauptsächlich mit seinem Vater, und dem Sammeln von Material über die Entwicklung in der Sowjetunion. Er dürfe keine Vorlesung versäumen, er wolle weder der Schulleitung noch der Fremdenpolizei Anlaß zur Annahme geben, als ob er sich mit der Immatrikulation das deutsche Visum erschlichen habe. Er sprach wenig von sich wenn wir uns trafen. Ich entnahm dem wenigen, daß er sehr zurückgezogen lebte, er ging zu keiner politischen Versammlung, auch nicht zu Sitzungen der Trotzkigruppe. Zu seinen wenigen Bekannten gehörte das Ehepaar Pfremfert-Ramm. Vor mir wollte er jedesmal meine Meinung über die Situation in Deutschland hören und immer wieder fragte er mich, ob ich glaube daß die Nazis zur Macht kommen wurden. Mein Pessimismus machte ihn ungeduldig. Seine Enttäuschung über die numerische Schwäche und politische Bedeutungslosigkeit der deutschen Trotzkisten verhehlte er mir nicht. Er hatte den dogmatischen Glauben des echten Marxisten an die Arbeiterschaft, die den Nazismus nicht zulassen werde. Wenn ich sagte, daß weit größere Massen der Arbeiterschaft eher Nazis als Kommunisten seien, empfand er das als eine persönliche Kränkung. Ich hatte aber immer den Eindruck, daß er mir vertraute.

Im Zusammenhang mit der Bekämpfung der kommunistischen Oppositionsgruppen begann um die Jahreswende 1931/32 erneut systematischer als früher, die Verunglimpfung Rosa Luxemburgs, Franz Mehrings, Karl Liebknechts. Damit wollte das Zentralkomitee der KPD die Gruppen besonders treffen, die sich in ihren Schriften und Reden auf diese Vorkämpfer des Sozialismus beriefen. Thälmann und Heinz Neumann und auf deren Anweisung die gesamte zentral belieferte Parteipresse erklärten nicht nur die theoretischen Arbeiten Rosa Luxemburgs für nicht zeitgemäß auch ihre Politik in der Vergangenheit sei falsch und sozialdemokratisch gewesen. Es wurde wiederum der Meinungsstreit Rosa Luxemburg mit Lenin von 1903 ausgetragen und ihr besonders vorgeworfen, daß sie die Gründung der KPD viel zu lange verzögert habe.

Die Anweisung zur Auslöschung des Andenkens an die linken sozialistischen Führer der Vorkriegszeit und des Spartakusbundes der Kriegszeit kam von Stalin. Die wenigen jungen Intellektuellen wie Heinz Neumann, Werner Hirsch, Paul Dietrich, Kurt Sauerland schrieben jetzt auf Geheiß Stalins skrupellose Artikel gegen den Luxemburgismus. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sollten von der Partei zwar noch als Märtyrer, nicht aber als politische Vorbilder und Theoretiker im Gedenken behalten werden. Trotzki schrieb dazu: »Karl Liebknecht wurde durch Scheringer ersetzt (Scheringer war ein Reichswehrleutnant, der mit einem Bein bei den Nazis, mit dem anderen bei den Kommunisten sein wollte)«.

Das Zentralkomitee der KPD erreichte mit den Schmähungen Rosa Luxemburgs, Karl Liebknechts, Franz Mehrings nur eine weitere Verwirrung bei den Funktionären. Daß dagegen die einfachen Parteimitglieder von dieser Diskussion kaum berührt wurden, erlebte ich in einigen Mitgliederversammlungen meines Parteibezirks. Als ich hier gegen die Artikel sprach, gab ich mir unnötige Mühe, niemand hatte die Artikel gelesen. Und doch gehörten die Schmähungen zum Kapitel Selbstzerstörung. Stalin ließ mehrere Jahre später die obengenannten Redakteure Heinz Neumann, Werner Hirsch, Paul Dietrich, Kurt Sauerland, die nach Hitlers Machtantritt nach Moskau gerufen oder geflüchtet waren, „liquidieren“; sie verschwanden spurlos in russischen Gefängnissen.

Die Nazis wurden indessen immer aggressiver. Anfang Januar 1931 wurde der Hauptmann Röhm, der aus Bolivien zurückgekehrt war, wo er als Söldner im dortigen Generalstab gedient hatte, von Hitler zum „Stabschef“ der „Sturm-Abteilung“ (SA) ernannt. Unter der Leitung Röhms schlug die SA Hitler den Weg zur Macht frei. Von jetzt an konnten die Zusammenstöße der Kommunisten mit der SA wirklich als Straßenschlachten bezeichnet werden. Die SA erwies sich als stärker als wir, sie schlug härter. Es kamen gewöhnlich auf ein Opfer der Nazis zehn bis fünfzehn kommunistische. Ich protestierte einmal mehr vergebens gegen die unpräzise Bezeichnung „Faschisten“. Ich verlangte, daß eindeutig Nazis oder Nationalsozialisten gesagt wird. Der Kampf mußte sich in erster Linie gegen die aufstrebende Nazidiktatur, dann erst gegen die halbfaschistische Regierung Brüning richten, die unter Pervertierung der Demokratie und des Parlamentarismus mit Ermächtigungsgesetzen regierte. An der weiteren Entwicklung zur Nazidiktatur waren die Abgeordneten, die den Ermächtigungsgesetzen zustimmten, mitschuldig.

Das Verhängnisvolle war, daß in den Straßenkämpfen gegen die Nazis meistens Arbeiter gegen Arbeiter standen. Bald riskierte es die SA, auch in Berlin auf dem Bülow-Platz, gegenüber dem Haus des Zentralkomitees der KPD zu demonstrieren. Damit begann der Einzug der Nazis auch in den bisher „roten Wedding“ in Berlin.

Interessant hierzu war ein Bericht, den Röhm einige Zeit später über die soziologische Gliederung seiner SA gab. Er behauptete darin, daß 81 % der Mitglieder Arbeiter und Angestellte seien. Das war ein höherer Prozentsatz „Arbeitnehmer“ als selbst in der SPD organisiert war. Diese Tatsache mußte natürlich für uns Marxisten ein harter Schlag sein. Die Verelendungstheorie Marxens schien sich bestätigt zu haben, es gab Millionen Arbeitslose, die zum großen Teil in unwürdigen Verhältnissen lebten. Zahlreiche Arbeiter und Angestellte boten ihre Arbeitskraft buchstäblich nach Art der Sklavenmärkte an. Der größte Teil der SA bestand ebenfalls aus Arbeitslosen und bezog von der Nazipartei ein „Handgeld“, viele SA-Leute konnten außerdem in „SA-Heimen“ übernachten.

Gegen alle diese Erscheinungen und Gefahren anzukämpfen, war eigentlich auch die Aufgabe der Sozialdemokratie, der Gewerkschaften und des Reichsbanners. Diese jedoch schauten den Saal- und Straßenkämpfen zwischen Kommunisten und Nazis entrüstet und moralisierend zu. Daß es hierbei auch um ihr eigenes Schicksal ging, wollten sie immer noch nicht begreifen. Dieses Distanzieren nutzte ihnen auf die Dauer nicht, sie wurden bei verschiedenen Gelegenheiten in Zusammenstöße mit den Nazis hineingezogen, wobei sie meistens, wie wir, die Unterlegenen waren.

Die Erkenntnis der Gefahren, die durch den Nazismus drohten, war zweifellos bei den Kommunisten am klarsten. Diese Erkenntnis bewog die Partei auch immer wieder Einheitsfrontangebote an die Sozialdemokraten zu machen. Auch die Brandleropposition machte mehrmals Angebote, gemeinsam zu kämpfen. Alle Angebote wurden arrogant abgelehnt. Als Anfang Oktober 1931 die Reichsregierung nochmals weiter nach rechts umgebildet, der General Groener zum Reichswehrminister und gleichzeitig zum Reichsinnenminister ernannt wurde, antwortete ein sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter auf ein Einheitsfront-Angebot der Kommunisten „Lieber zehnmal mit Groener, als einmal mit den Kommunisten“. Das Anwachsen der Nazis jagte den Sozialdemokraten aber doch Furcht ein, und Anfang Dezember 1931 wurde in Berlin die „Eiserne Front“ gegründet, bestehend aus SPD, den Gewerkschaften dem Reichsbanner und Arbeitersportvereinen. Aus dem „zuverlässigen Kern“ der genannten Organisationen wurden außerdem Schufos – Schutzformationen – gebildet. Die „Eiserne Front“ gab sich eine „Reichskampfleitung“, deren Vorsitzender jener Karl Höltermann wurde, der im Mai 1919 als Freiwilliger Weißgardist zur Niederschlagung der Räterepublik in München mitmarschierte. Die Gewerkschaften gründeten zudem noch aus den zuverlässigen Funktionären die „Hammerschaften“ zur Bekämpfung der Roten Gewerkschaften.

Die preußische Regierung Braun-Severing ließ weiter auf Demonstranten schießen. Sie organisierte „Polizei-Hundertschaften zur besonderen Verwendung“, die später zum großen Teil von der Gestapo übernommen wurden, aber die Arbeitslosigkeit verminderte die Regierung nicht. Diese stieg weiter. Mitte November 1931 wurden 4,84 Millionen Arbeitslose registriert. Für die Masse des Volkes war es ein härteres Leben als selbst in der Inflation von 1923. Das war auch der Grund, warum die Arbeitslosen immer wieder protestierend auf die Straßen gingen.

Die Sozialdemokraten kamen indessen nicht zur erhofften Einheitsfront mit dem General Groener. In Groeners kurzer Amtszeit konnte Hitler seinen Sitz nach Berlin verlegen, bald darauf auch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Die Nazipartei meldete am 1. April 1930 eine Million eingeschriebene Mitglieder, das waren mehr als die Kommunistische und Sozialdemokratische Partei zusammen hatten. Beim Stahlhelm- Aufmarsch am 1. April in Berlin beteiligten sich ca. 200.000 Mann. Bei den Wahlen zum Preußischen Landtag, Mitte April, wurden die Nazis stärkste Partei mit 162 Abgeordneten. Groener und sein Chef Brüning hatten die Aushöhlung der Weimarer Republik genügend vorangetrieben. Hindenburg schickte sie jetzt fort. Den Rest besorgten nun Papen und Schleicher. Mit früheren Freunden, die noch im Apparat geblieben waren traf ich mich gelegentlich, ohne daß jemals über interne Einzelheiten ihrer Tätigkeit gesprochen wurde. Dann kam es zum Fall Duda, der mich sehr er regte. Duda war ein Lehrer aus Leipzig; er leitete die Zersetzungs-Propaganda in der Polizei und der Reichswehr. Das für die illegale Arbeit verantwortliche Mitglied des Zentralkomitees war nicht mehr Hugo Eberlein sondern Ernst Schneller. Schneller hatte sich selbst um diese Stellung beworben. Als Reichstagsabgeordneter war er zudem immun. Schneller war der Typ des „Kartothekowitsch“, äußerst fleißig, unzugänglich bis zur Arroganz; er hatte niemals Zeit.

Duda hatte in einer Berliner Druckerei Flugblätter für die Schutzpolizei drucken lassen. Die Politische Polizei durchsuchte zahlreiche Druckereien, so auch diese, verglich die Drucktypen usw. Die Flugblätter waren fortgeschafft worden, die Polizei fand keine Spuren, sie behielt aber doch den Verdacht und ließ zwei Kriminalbeamte Tag und Nacht in der Druckerei.

Dem Druckereibesitzer gelang es, einen Zettel an das Zentralkomitee zu schicken, mit der Mitteilung, daß die Druckerei von der Politischen Polizei besetzt sei. Der Zettel wurde Schneller übergeben.

Zwei Tage später ging Duda in die Druckerei. Er wurde verhaftet und sogleich nach Leipzig ins Untersuchungsgefängnis des Reichsgerichts gebracht. Am folgenden Morgen wurde Duda in der Zelle tot aufgefunden. Die Gefängnisdirektion teilte Dudas Schwester, die in Leipzig wohnte, mit, ihr Bruder habe sich erhängt. Die Schwester rief einen Bekannten in Berlin an, der zu Schneller ging und ihm den Tod Dudas mitteilte. Schneller faßte in die Rocktasche und zog die vergessene Warnung des Druckereibesitzers heraus.

Schneller wurde 1933 von den Nazis verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht. Er sah die Freiheit nicht wieder. Nach mehreren Jahren grausamer Haft wurde er ermordet.

Der illegale Militär-Apparat der KPD wurde im Kern schon vor Hitlers Machtantritt zerstört. Das Zentralkomitee verschuldete die Zerstörung selber. Es hatte sich ein früherer Polizeihauptmann Giesecke als Mitglied gemeldet. Die nationalistische, nach Diktatur rufende Politik der NSDAP hatte ihn zur KPD gezogen. Er versprach sich in der KPD eine schnellere Karriere als in der Nazipartei. Das Zentralkomitee beauftragte Kippenberger, den Leiter des M-Apparates, Hauptmann Giesecke in den Apparat einzuführen. Kippenberger fuhr mit Giesecke zu den wichtigsten Gruppen in Deutschland und Giesecke lernte den sagenhaften Militär-Apparat persönlich kennen. Er hielt sogar in einigen Gruppen Vorträge über Wehrausbildung und Straßenkampftaktik.

Aber Giesecke wollte nicht im dunkeln arbeiten, er wollte sofort Reichstagsabgeordneter werden. Das Zentralkomitee erklärte ihm vor den Wahlen im Juli 1932, daß er, Giesecke, noch nicht lange genug in der Partei sei, um einen Abgeordnetensitz zu erhalten. Bei der zweiten Wahl im November 1932 verlangte Giesecke wiederum ein Mandat, wieder lehnte die Partei ab. Daraufhin ging Giesecke dorthin, wo er hergekommen war, zu den Nazis und berichtete über das in der KPD Gesehene und Erlebte. Hunderte von Funktionären und Apparatmitglieder wurden nun in ganz Deutschland verhaftet, Waffenlager, geheime Druckereien, Verstecke für den Notfall wurden aufgedeckt. Natürlich gab die Politische Polizei weit mehr an als gefunden wurde, um die kommunistische Gefahr maßlos vergrößert an die Wand zu malen.

Es war um die Mitte Juli 1932, als ich einen Revisionsbesuch in unserer Verlags-Auslieferstelle in Stettin beendet hatte und anschließend zur Ostsee fuhr. In dem kleinen Fischer- und Badeort Rewahl-Horst wollte ich eine Woche Urlaub verbinden. Beim Schlendern durch den Ort las ich auf einem, an eine Telegraphenstange geklebten Plakat, daß am kommenden Sonnabend eine Bauern- und Landarbeiterversammlung in einem benachbarten Dorf stattfinden sollte. Unterzeichnet war das Plakat mit „Kommunistische Partei“. Es sollte eine Kundgebung zu den Reichstagswahlen am 31. Juli sein. Ich lieh mir von meinen Wirtsleuten ein Fahrrad und radelte zum Versammlungsort. Dort traf ich auf dem Marktplatz bereits ungefähr hundert Personen an. Es kamen ständig weitere hinzu. In der Mitte des Platzes waren ein Tisch und einige Stühle aufgestellt, um die mehrere Personen, anscheinend die Einberufer, standen. Etwas abseits standen zwei Gendarmen mit einigen Männern, die, mit grünen Joppen und Schaftstiefeln bekleidet, unverkennbar leitende Angestellte von den umliegenden Gütern waren. Außerdem standen am Rande der Versammelten junge Burschen in Militärjacken, die Hosen in die Stiefel gesteckt, jeder ein Gewehr im Arm. Diese Burschen waren ebenfalls von den umliegenden Gütern gekommen.

Ich beobachtete, wie ein Radfahrer kam und auf die am Tisch stehenden Personen aufgeregt einredete. Ich ging zur Gruppe und fragte nach dem Grund der Aufregung. Der Mann, der sich als der Vorsitzende bezeichnete, sagte mir, daß der Radfahrer von der Eisenbahnstation gekommen sei und mitgeteilt habe, daß der Zug zwar fahrplanmäßig, aber der erwartende Redner aus Stettin nicht gekommen sei. Er fügte erbittert hinzu, daß sie schon mehrmals im Stich gelassen worden seien. Ich wies mich nun als Mitglied der KPD aus und erbot mich das Referat zu halten. Es waren mittlerweile ungefähr zweihundert Personen versammelt. Ein für die hiesigen Verhältnisse außerordentlich zahlreicher Besuch, sagte der Vorsitzende. Ich stieg auf den Tisch und hielt meine Rede. Glücklicherweise war ich gut aufgelegt zum Reden und begann mit dem Thema das in dieser Zeit die gesamte deutsche Landbevölkerung östlich der Elbe interessierte: die „Osthilfe“. Unter diesem Namen hatte der Reichstag ein Gesetz zur Unterstützung der ostdeutschen Landwirtschaft angenommen. Die Durchführung dieses Gesetzes wurde zu einem der größten Korruptionsskandale der Weimarer Republik. Millionenreiche Großgrundbesitzer und Bankrotteure, die ihre Güter durch ihr Herrenleben zugrunde gewirtschaftet hatten erhielten Hunderttausende von Mark, bedürftige Bauern erhielten nur kaum etwas, Landarbeiter überhaupt nichts. Der Reichspräsident Hindenburg wurde als eine der Hauptfiguren im Skandal genannt. Die Großgrundbesitzer unter Führung des schon aus der Kaiserzeit berüchtigten Junkers Oldenburg-Januschau hatten Geld gesammelt und dem Reichspräsidenten das Gut Neudeck geschenkt. Jetzt erhielten diese Herren das Mehrfache des gespendeten Geldes durch die „Osthilfe“ zurück.

Ich hatte einige Tage vorher eine Broschüre und auch verschiedene Artikel mit allen Angaben und Zahlen über die Osthilfe gelesen und konnte diese aus dem Gedächtnis zitieren und so meinen Zuhörern recht instruktiv die Geschichte dieses Skandals schildern. Es fiel mir auch leicht, auf die bewaffneten Burschen am Rande der Versammelten hinzuweisen und den Bauern zu sagen, daß für diese illegale Bewaffnung und Ausbildung Unsummen ausgegeben werden und daß der preußische Innenminister sehr wohl von dem Treiben auf den Gütern wüßte, es sogar fördere. Den Bauern gegenüber wurde die illegale Bewaffnung mit angeblichen polnischen Angriffsabsichten begründet. Wahrscheinlich waren die bewaffneten Burschen zumeist Söhne der anwesenden Landarbeiter und Bauern, sie wurden unruhig und zogen es vor, nacheinander zu verschwinden.

Als ich mein Referat beendet hatte, kamen zahlreiche Anfragen über die Politik der Nazis und der Deutschnationalen, die in dieser Gegend führend waren, und Gruppen Diskutierender blieben bis gegen Mitternacht zusammen. Einige Tage darauf machte ich wieder eine Fahrt durch die Felder und Dörfer. Überall wurde ich mit freundlichen, aber auch mit einigen feindlichen Zurufen bedacht.

Ich erzählte dieses zufällige Begebnis, weil das Interesse und die entgegengebrachte Sympathie der Landbevölkerung mich damals verleitete zu glauben, daß ein Sieg der Deutschnationalen und der Nazis noch längst nicht sicher war. Später erfuhr ich, daß in diesem Gebiet östlich Stettin bis nach Kalberg hinaus, die Mitglieder der dortigen Ortsgruppen der KPD sämtlich von den Nazis in Konzentrationslager gebracht worden waren.

Als ich vom Ostseestrand nach Berlin zurückkam, war die Vorentscheidung zu Hitlers Machtübernahme bereits gefallen. Der Reichskanzler Papen war zusätzlich zum Reichskommissar für Preußen eingesetzt worden. Am gleichen Tage hatte er die Preußenregierung für abgesetzt erklärt und den militärischen Ausnahmezustand verhängt. Die Rote Fahne wurde verboten. Der preußische Ministerpräsident Braun war gerade nicht im Amt, der Innenminister Severing erhielt den Absetzungsbescheid von seinen eigenen Polizeileuten. Mit ihm erhielten zahlreiche hohe preußische Staatsbeamte ihre Entlassung.

Die Wahlen zum 6. Reichstag, die mehrere Tage später am 31. Juli erfolgten, ergaben einen weiteren Aufstieg der Nazis und auch einen Zuwachs der Kommunisten. Die Nazis erhielten 13,7 Millionen Stimmen, ca. eine halbe Million mehr als die Sozialdemokraten (7,9 Millionen) und die Kommunisten (5.2 Millionen) zusammen. Nun versuchten die ohnmächtigen Kommunistischen Oppositionsgruppen wiederum, die beiden großen Arbeiterparteien zur Einheit und Aktion zu drängen. Die „Brandleristen“ schrieben in ihrem Organ:

»Die Gefahr einer Katastrophe der Arbeiterbewegung besteht, und wir wären nichtswürdige Wichte, wenn wir am Tage der Katastrophe uns sagen wollten: Es ist gekommen, wie wir es warnend prophezeit haben, man hat nicht auf uns gehört, aber wir haben recht behalten! Wenn wir uns so trösten wollten und uns doch sagen müßten, daß wir nicht alles getan haben, um das Unheil zu verhindern.«

Und in einem weiteren Artikel:

»... außer der Arbeiterklasse existiert keine Kraft, die die Flut der faschistischen Konterrevolution zum Stehen bringt. Die Arbeiterklasse trägt vor der Geschichte eine hohe Verantwortung. Ihr Kampf ist mehr als die Verteidigung der nackten Existenz. Sie ist die Trägerin der Aufwärtsentwicklung der menschlichen Gesellschaft, sie ist das Bollwerk der Menschheitskultur. Fällt dieses Bollwerk, werden die faschistischen Banden das Reich der Barbarei aufrichten, gegen das alles verblassen wird, was in der Menschheitsgeschichte an finsterer Reaktion jemals zu verzeichnen war.«

Am klarsten und eindringlichsten jedoch versuchte der Russe Trotzki von seinem Verbannungsort aus die KPD und die deutschen Arbeiter aufzurütteln. Er schrieb:

»Es ist Pflicht der linken Opposition, Alarm zu schlagen; die Leitung der Komintern führt das deutsche Proletariat zu einer gewaltigen Katastrophe, deren Kern die panische Kapitulation vor dem Faschismus ist.

Hält man wirklich das Ungeheuerliche und Unwahrscheinliche für möglich, daß die Partei tatsächlich dem Kampf ausweichen wird und damit das Proletariat auf Gnade und Ungnade seinem Todfeind ausliefert, so bedeutet das nur eines: die grausamen Schlachten würden sich nicht vor der Machtergreifung der Faschisten, sondern nach ihr entspinnen.

Zehn proletarische Aufstände, zehn Niederlagen, eine nach der anderen, könnten die deutsche Arbeiterklasse nicht so verbluten und entkräften lassen, wie ihr Zurückweichen vor dem Faschismus …

– ... für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre würde der Sieg des Faschismus in Deutschland ... bedeuten, Zusammenbruch der Komintern, Triumph des Weltimperialismus in seinen abscheulichsten und blutgierigsten Formen.

Der Sieg des Faschismus in Deutschland würde den unvermeidlichen Krieg gegen die Sowjetunion bedeuten.

Für jeden revolutionären Arbeiter muß zum Axiom werden: der Versuch der Faschisten zur Machtergreifung in Deutschland kann nicht anders als die Mobilisierung der Roten Armee nach sich ziehen. Für den proletarischen Staat wird es hier im direktesten und unmittelbarsten Sinn um die revolutionäre Selbstverteidigung gehen.«

Mit diesem Alarmruf hatte Trotzki nicht nur den zweiten Weltkrieg vorausgesagt, von nun an keimte der Plan Stalins, Trotzki „beseitigen“ zu lassen. Es braucht keine direkte Order Stalins gewesen zu sein.

Doch alle Appelle an die Sozialdemokratische und Kommunistische Partei und an die Arbeiterklasse insgesamt verhallten unbeachtet. Während der Parteivorstand der Sozialdemokraten seine Hoffnung auf die Reichswehr und die Monarchisten zu setzen begann, verstärkte das Zentralkomitee der KPD seine Nazi-Konkurrenz-Linie und proklamierte im Oktober 1932 gemeinsam mit der französischen Bruderpartei unter anderem:

»Das räuberische Diktat von Versailles unterdrückt zahllose Millionen in Elsass-Lothringen, West- und Ostpreußen, Posen, Oberschlesien, Südtirol ohne sie zu befragen, durch brutale Annexion ... Die Bourgeoisie Deutschlands, gestützt auf Hitlers faschistische Bewegung, auf die monarchistischen Abenteurer, auf den „Stahlhelm“ und die Mithilfe der SPD schlägt einen Kurs ein, der militärische Aufrüstung, imperialistische Abenteuer, nationalistische Hetze und militaristische Vergiftung der Jugend bedeutet.

Das faschistische Polen bereitet sich zur Annexion Danzigs und Ostpreußens vor ...«

Die angeblichen Pläne der Polen, Danzig und Ostpreußen zu annektieren, waren vom „Stahlhelm“ in die Welt gesetzt worden. Diese vermeintlichen Pläne hatten auch Severing als Vorwand gedient, die illegale Bewaffnung der Wehrverbände in Pommern, West- und Ostpreußen zu begünstigen.

Vor einiger Zeit, 1964, hörte ich in der Frankfurter Goethe-Universität einen Vortrag eines stellvertretenden Vorsitzenden der SPD. Er sprach über die „Machterschleichung“ der Nazis im Jahre 1933 und erwähnte dabei, daß ein von der KPD ausgelöster Streik der Verkehrsarbeiter im Herbst 1932 in Berlin der Machtergreifung Hitlers Vorschub geleistet habe, weil der Streik gemeinsam mit den Nazis geführt worden sei. Diese, nach Ort und Thema völlig deplazierte Behauptung, greife ich in meinen Erinnerungen auf, weil ich zufällig Zeuge dieses Streiks war und dabei Begleiterscheinungen erlebte, die zur vergifteten Atmosphäre der damaligen Zeit gehörten. Ich war mittlerweile von Neukölln Britz nach dem Norden von Berlin in die „Friedrich-Ebert-Siedlung“, Müllerstraße umgezogen. Direkt gegenüber der Siedlung war ein großer Straßenbahn Betriebshof. Hier brach Anfang November der Streik aus. Es war ein Streik um Lohn der nur bemerkenswert war, weil er sich gegen Maßnahmen der Berliner Stadtverwaltung richtete, in der die Sozialdemokraten die Mehrheit hatten. Die Streikleitung fand kein Lokal in der Nähe; ich stellte ihr darum für einige Tage meine Wohnung zur Verfügung. An den Besprechungen nahm ich nicht teil.

Ich gehörte nicht dazu und mußte tagsüber zur Arbeit gehen. Aber ich nahm Anteil an der Sache und stand an mehreren Morgen schon früh um 4 Uhr mit anderen Mitgliedern der Partei meines Parteidistrikts vor dem Tor des Straßenbahn-Betriebshofes, um Flugblätter an Strassenbahner zu verteilen.

Zu meiner und meiner Genossen bösen Überraschung kamen auch Nazis mit Flugblättern. Die Leitung der Berliner Nazipartei bemühte sich um die Sympathien der Arbeiter und hatte zur Teilnahme am Streik aufgefordert. Die Nazis kamen geschlossen anmarschiert, zum Teil in SA-Uniform. Auch hier sah ich wieder, daß es meistens Arbeiter waren. Ich bemerkte unter ihnen einige Gesichter, die mir als frühere Kommunisten oder Sozialdemokraten bekannt waren. Wir kommunistischen Mitglieder standen zusammen, die Nazis stellten sich uns gegenüber auf. Die Diskussion, die sich nun entwickelte, war ganz und gar nicht freundlich. Wenn unsere riefen: „Ihr seid doch auch Proletarier“, so antworteten sie: „Nein, wir sind es nicht, wir sind nationalgesinnte Arbeiter und keine Judenhörige.“ Die Nazis riefen uns zu: „Wo sind denn Eure Juden so früh am Morgen?“ Solche Bemerkungen beeindruckten einige meiner Genossen. „Oben haben sie – die Juden eine große Schnauze“, sagte einer, „hier, früh um 4 Uhr kommt kein Aas“. „Zum Plakate ankleben und Flugblätterverteilen kommen sie nicht.“ sagte ein anderer und so fort.

Ich erzähle die Episode, weil ich hier die Wirkung der antisemitischen Propaganda spürte, wie weit sie latent auch bei Mitgliedern der KPD wirkte. Die Nazipropaganda hatte sich vielleicht schon viel mehr auch in Arbeitergehirne eingefressen, als äußerlich erkennbar war. Die Haßpropaganda gegen die Juden, die in der Weimarer Republik weit stärker betrieben wurde als früher im Kaiserreich, hatte in der Arbeiterschaft im allgemeinen keinen Erfolg gehabt. Erst recht nicht in der Kommunistischen Partei, deren verehrte Führer, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, selber Juden waren.

Der Antisemitismus war daher kein Problem, das die Partei besonders beschäftigte. Nur gelegentlich, bei Aufflammen starker antijüdischer Hetze, wie zum Beispiel nach dem ersten organisierten Judenpogrom der SA in Berlin-Charlottenburg, auf dem Kurfürstendamm im September 1932, wurde über Antisemitismus und Zionismus diskutiert. Doch waren nur wenige daran interessiert, die Diskussionen beschränkten sich auf kleine Kreise. Wir betrachteten den Zionismus als eine religiöse, reaktionäre Utopie. Der Sieg des Sozialismus in Deutschland würde den Antisemitismus ausmerzen und den Staats-Zionismus überflüssig machen. Ich hatte geglaubt, wie es damals meine jüdischen Freunde, Bekannten und Parteigenossen auch glaubten, die neidischen Kleinbürger, die es auf die gutgehenden Praxen oder Geschäfte der Juden abgesehen hatten, könnten von Verbrechen abgehalten werden, wenn man ihnen energisch entgegentrat. Nur wenige Juden hatten die Phantasie, sich die Größe der Gefahr vorzustellen.

Ich wurde Zeuge eines weiteren Aktes der Tragödie Trotzki. Leon Sedow hatte mir bei einem Rendezvous im November erzählt, daß seine Schwester Sina (Sinaida Wolkowa) seit einiger Zeit in Berlin sei. Er sagte sehr bedrückt, daß er ihr völlig hilflos gegenüberstehe, ihre Nerven seien überreizt, sie weise jede Hilfe und Zuspruch zurück und isoliere sich völlig. Anfang Januar 1933 rief er mich an und sagte, daß seine Schwester in den Freitod gegangen sei, die Beerdigung sei anderntags.

Wir trafen uns vor dem Friedhof. Es waren neben Sedow Franz Pfemfert und seine Frau Alexandra Ramm, Anton Grylewitz und ich am Grabe. Gesprochen wurde nicht. Jeder legte einige Blumen auf den Sarg und wartete, bis das Grab zugeschaufelt war.

Trotzkis Tochter hatte nicht die Kraft, die Verbannung ihres verehrten Vaters zu ertragen. Ihre eigene Trennung von Familie und Heimat ertrug sie eher. Doch als sie von der Berliner Polizei einen kurzfristigen Ausweisungsbefehl erhielt, ging sie in den Tod.

Einige Tage, nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, erhielten wir beiden Geschäftsführer des Neuen Deutschen Verlages, Frau Gross und ich, eine Vorladung sofort zur Politischen Abteilung im Polizeipräsidium zu kommen. Ein noch ziemlich junger Mann, Rudolf Diels, empfing uns hinter seinem Schreibtisch sitzend und sagte nur, daß die Arbeiter Illustrierte Zeitung bis auf weiteres verboten sei. Das war alles. Zu meinem Glück war es das einzige Mal, daß ich dem ersten Chef der im Aufbau begriffenen Mordorganisation Gestapo, die aus der Polizei-Abteilung IA hervorging, in seinem Zimmer gegenüberstand.

Mit dem Verbot der Zeitung war der Verlag noch nicht vernichtet; der Überfall und die Zerstörung folgten noch. Hitler hat die Macht ebensowenig „erobert“, wie Mussolini nach Rom marschiert ist. Mussolini fuhr im Schlafwagen, Hitler kam durch Intrigen zur Macht. Die sogenannte „Nationale Revolution“ wurde im Einvernehmen mit der Staatsmacht gemacht. In einem seiner Romane der Comedie Humaine, sagte Balzac, daß es nichts Einfacheres gäbe, als mit der Staatsmacht im Rücken Revolution zu machen. Aber die Nazipartei war von Jahr zu Jahr gewachsen, und deutsche Männer und Frauen entschieden mit jedem Ja für Hitler ihr eigenes Schicksal. Sie wußten, was Hitler wollte. Hitler selbst und die Opposition gegen Hitler hatten es ihnen gesagt. Sie sollten auch noch einmal wählen dürfen, denn am Tage, nachdem der Reichspräsident Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte, löste er auch ein weiteres Mal den Reichstag auf. Bei den Neuwahlen zum Preußischen Landtag und zum Reichstag, die am 5. März 1933 erfolgen sollten, glaubten wir, noch eine Chance zu haben.

Den Fackelzug am 30. Januar in Berlin hatte ich nicht gesehen. Ich diskutierte mit Genossen die ganze Nacht darüber, was nun zu tun sei. Als ich am anderen Morgen durch die Straßen meines Bezirks ging, des bisher sogenannten „roten Wedding“, sah ich Hunderte roter Fahnen aus den Fenstern hängen, aus denen ich auch früher rote Fahnen habe hängen sehen, jetzt aber war das Hakenkreuz eingenäht.

Nun ging es in allen Diskussionen darum, wer mehr Schuld hatte, daß die Kräfte der Arbeiterklasse nicht aufstanden. Die verächtliche Nachgiebigkeit und Gefügigkeit der SPD, die nicht einmal versuchte, Widerstand zu leisten, war bestimmt noch verantwortungsloser als das leere Geschrei der Kommunisten, die von ihren Anhängern Leistungen verlangten, zu denen sie weder die Kraft noch die Befähigung hatten. Tucholsky hatte das einmal so formuliert: „Der redseligen Schlappheit von links steht der zielbewußte Machtkampf von rechts gegenüber.“

Wo war die „Eiserne Front“? Ich nahm noch am 7. Februar 1933 an der Kundgebung dieser Organisation im Lustgarten teil. Wohl die gesamte Mitgliedschaft der KPD beteiligte sich und rief auch jetzt noch nach der Einheitsfront der Arbeiterschaft. Die „Eiserne Front“ verhielt sich uns gegenüber kalt ablehnend; wir waren ihr ungeladene Störenfriede. Der Leiter der „Reichskampfleitung“, Karl Höltermann, prägte als erster die gemeinsten und dümmsten Worte des Jahrzehntes: „Nach Hitler kommen wir!“ Höltermann flüchtete bald nach England. Er fand in London eine Anstellung in einer Buchhandlung.

Die „bürgerlichen“ Mittelparteien haben durch ihre Koalitionspolitik den Nazis die Möglichkeit gegeben, den Staatsapparat zu durchdringen. Daß die Nazis sie am Schluß an die Wand drückten und ihre ausschließliche Diktatur errichteten haben die Mitte Parteien mitverschuldet. Hitler verachtete sie so, daß er ihre „Gleichschaltung“ nicht einmal zur Kenntnis nahm.

Wir waren uns darüber klar, daß, hätte die KPD allein losgeschlagen, sich die „Eiserne Front“ den Nazis angeschlossen hätte, wie im Jahre 1918/19 und nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch. Die Kommunisten wären zu Zehntausenden niedergemacht worden. Die zahlreichen bei Demonstrationen von der Polizei erschossenen Kommunisten, besonders in Dresden und Hamburg-Altona, noch im Jahre 1933 vor Hitlers Machtübernahme, bezeugen das. Doch gerade weil kein Widerstand geleistet wurde, sollten die Opfer mit der Zeit noch größer werden. Das Gemunkel der Sozialdemokraten, die Reichswehr werde in letzter Minute die Machtübernahme Hitlers verhindern, blieb Gemunkel. Aber die millionenstarken Gewerkschaften waren noch da. Hitler war bereits 8 Tage Reichskanzler, als ich an der Versammlung der Delegierten meiner Gewerkschaft, des Zentralverbandes der Angestellten von Berlin-Nord, teilnahm. Die Tagesordnung sah vor, daß der Gewerkschaftssekretär Hans Gottfurcht einen Bericht über den Verbandstag in Rotnenburg ob der Tauber geben sollte, der einige Wochen zuvor stattgefunden hatte. Als zweiter Punkt der Tagesordnung sollte eine Vorlesung aus dem neuen Roman von Hans Fallada Kleiner Mann, was nun? folgen. Ich beantragte gleich zu Beginn der Versammlung, beide belanglosen Themen abzusetzen und über das zu befürchtende Schicksal der Gewerkschaften und über die zu treffenden Maßnahmen zu sprechen, die infolge des Sieges Hitlers erforderlich seien. Gottfurcht sprach mit der ihm eigenen Selbstgefälligkeit heftig dagegen und betonte immer wieder, daß Hitler es nicht wagen werde, Gewaltmaßnahmen gegen die Gewerkschaften zu unternehmen. Bei der Abstimmung erhielt ich sieben, Gottfurcht über sechzig Stimmen. Also blieb es bei der mehrere Wochen vorher festgelegten Tagesordnung.

Es bewahrheitete sich eben noch einmal, was im Spartakusbrief vom April 1917 über die Gewerkschaften gesagt worden war:

„Die Disziplin ist in den sogenannten freien Gewerkschaften zu einem solchen Selbstzweck geworden, daß die Massen folgen, ob die Führer sie zum Kampf oder zur Kapitulation, ob in Macht und Glanz oder in Korruption und Schmach führen ...“

Willi Münzenberg, der sich bereits seit der Machtübernahme Hitlers verborgen hielt, bestellte mich Mitte Februar zu einem Treffen, um mir zu sagen, daß er an einer Konferenz der Internationalen Arbeiterhilfe in Moskau teilnehmen wollte, jetzt aber nicht fahren möchte. Er gab mir sein Mandat mit dem Auftrag, über die aktuelle Situation des Neuen Deutschen Verlages und der Universum-Bücherei zu berichten.

Ich traf mich mit Leon Sedow, der mir Briefe an Freunde in Moskau mitgeben wollte. Während ich einige Tage auf das Visum wartete, konnte er die Briefe noch schreiben und wir verabredeten zwei Rendezvous mit seinen Freunden in Moskau. Auf dem Bahnhof Friedrichstraße sah ich zwar mehr Kriminalbeamte als sonst, aber ich wurde nicht behelligt. Ich bestieg den Zug nach Königsberg und wechselte erst in Ostpreußen in einen Wagen nach Riga über. Die deutsche Grenzkontrolle fragte routinemäßig nach dem Zweck der Reise. Es fuhren in dieser Zeit noch vielfach Spezialarbeiter, Techniker, Eisenbahner im Auftrag deutscher Großbetriebe nach Rußland, so daß meine Erklärung, daß ich zur Arbeit rüberfahre, genügte. Die große Flucht der Antinazis aus Deutschland hatte noch nicht begonnen. Die Fahrt jenseits der Grenze durch die schier endlosen verschneiten Felder und Wälder verlief recht eintönig. Ich war allein im Abteil, auch die anderen Abteile waren nur spärlich besetzt. Im kalten Februar fährt man nur, wenn es unbedingt sein muß nach Rußland. Ich las viel. Zwischendurch ging ich im Seitengang des ausreichend geheizten Waggons auf und ab. Im Speisewagen des Zuges erhielt ich mehrmals am Tage Tee. Auf den Stationen bemerkte ich kaum Leben. Nicht nur die bittere Kälte, auch die drückende wirtschaftliche Not ließ alles erstarren. In Moskau angekommen, fuhr ich wieder zum Hause der „Internationalen Arbeiterhilfe“, wo ich ein Zimmer erhielt. Eine Stunde später war ich schon im Bürohaus der Kommunistischen Internationale bei Piatnitzki. Er sagte mir nach der Begrüßung, daß ich mich für den nächsten Tag vorbereiten solle, ich werde sicherlich zu einer außerordentlichen Sitzung des Büros der Exekutive hinzugezogen werden. Er fügte hinzu, daß mein Verlagsbericht nicht mehr interessiere, aus Berlin sei die Nachricht gekommen, daß das Karl Liebknecht Haus, das Büro des Zentralkomitees der KPD von den Nazis besetzt worden sei und wahrscheinlich auch inzwischen der Neue Deutsche Verlag. In der Zeit vom Abend meiner Abreise aus Berlin bis zum Vormittag des übernächsten Tages hatten die Nazis schwere Schläge gegen die Partei geführt. Wie ich mit Sedow verabredet hatte, traf ich den ersten Freund vor dem Puschkin-Denkmal am Twerskoj Boulevard, den anderen, der in Begleitung eines weiteren Freundes war, im Vorsaal des Gewerkschaftshauses. Beide Male wurde ich, nachdem ich die Losungsworte gesagt hatte, mit überschäumender Herzlichkeit begrüßt. Ich bestellte die Grüße Sedows, übergab die Briefe und ging wieder fort. Ich habe niemals erfahren, wer die Empfänger waren. Erst drei Jahre später, als die Moskauer Prozesse gegen die alten oppositionellen Bolschewiki stattfanden, wurde mir bewußt, wie gefährlich mein Freundschaftsdienst für alle Beteiligten hätte sein können. Sedows Verbindungen mit seinen Freunden in Moskau müssen schnell und zuverlässig gewesen sein, denn als ich Sedow etwa vierzehn Tage später in Berlin wieder traf, sagte er mir, daß er von dem Empfänger der Briefe bereits Antwort erhalten habe, sie ließen mich grüßen und nochmals danken. Die Sitzung des Büros der Exekutive der Kommunistischen Internationale hatte anderntags im Zimmer Piatnitzkis bereits begonnen. Als ich hineingerufen wurde, waren wohl zehn Personen anwesend, darunter bemerkte ich den bisherigen Vertreter der Exekutive in Deutschland, Knorin. Von den deutschen Teilnehmern habe ich nur Leo Flieg in Erinnerung. Es war eigentlich keine Konferenz, sondern eher ein Verhör, das ungefähr sechs Stunden dauerte. Ich sollte meine Ansicht über das Versagen der Organisationen, besonders des „Apparates“, darlegen. Als ich die zahlreichen Verhaftungen von Apparatfunktionären nach der Giesecke- Affäre erwähnte, lehnte sich Knorin hinter den Rücken Piatnitzkis zurück und gab mir mit dem Finger auf dem Mund Zeichen zu schweigen. Ich ließ mich nicht abhalten. Piatnitzki sagte, er höre diesen Namen zum ersten Male und wollte nun alle Einzelheiten über die Giesecke-Affäre wissen. Ich sagte, daß die Tageszeitung Tägliche Rundschau die Enthüllungen Gieseckes veröffentlicht habe. Piatnitzki ließ den ganzen Jahrgang der Zeitung aus einem Archiv holen. Wir blätterten die Ausgaben des Monats, in dem der Bericht erschienen war, durch: die betreffende Nummer fehlte. Der Jahrgang 1932 war bis auf diese Nummer komplett. Piatnitzki wurde rot und blaß, dann ließ er das Archiv im Außenministerium anrufen und die Zeitung bringen. Der Bericht wurde verlesen, und er bestürzte ihn ebenso wie die Hinterhältigkeit, daß man ihm die Sache verschwiegen hatte. Knorin gab zu, von der Sache gewußt zu haben, den Bericht in der Täglichen Rundschau habe er aber nicht gelesen. Es stimme jedoch, daß auf Grund der Giesecke- Enthüllungen zahlreiche Verhaftungen von Funktionären der Kommunistischen Partei erfolgt waren.

Zu mir gewandt sagte Piatnitzki, daß die russischen Mitglieder der Exekutive, auch er selber, in den letzten Jahren so sehr mit innerrussischen Problemen beschäftigt gewesen seien, daß sie den Überblick über die Einzelheiten der internationalen Organisationen, auch der deutschen, vernachlässigt hätten. Man habe sich auch auf die optimistischen Berichte von Knorin, Thälmann, Pieck verlassen. „Aber Deutschland ist nicht Italien,“ sagte er zum Schluß. Diesen Satz bekam ich nun mehrmals täglich zu hören.

Als ich anderntags ins Büro kam, fielen mir sogleich Gruppen von Funktionären auf, die aufgeregt redend und gestikulierend in den Korridoren standen. Ein Funktionär kam auf mich zu, ergriff meine rechte Hand und sagte: „Endlich habt Ihr das Richtige getan!“ Ich wußte nicht, wovon die Rede war, ich hatte keine Zeitungen gelesen. Im Vorzimmer Piatnitzkis sagte man mir, daß das Reichstagsgebäude in Berlin brenne. Ich protestierte bei Piatnitzki in heftigen Worten gegen das idiotisch-euphorisch anmutende Verhalten der Funktionäre im Haus und sagte, daß es sich bestimmt um eine Provokation handele. Von Seiten der KPD könne der Brand nicht gelegt worden sein. Piatnitzki war der einzige, der mir vorbehaltlos zustimmte und sehr beunruhigt war. „Jawohl, es kann sich nur um eine Provokation handeln,“ wiederholte er mehrere Male. „Das Ganze ist zu sinnlos“, fügte er hinzu.

Am Nachmittag war ich zu Radek eingeladen. In seiner Atelierwohnung in der obersten Etage des neuen „Sowjet-Hauses“ an der Moskwa, schräg gegenüber dem Kreml, von deren Veranda aus man fast ganz Moskau übersehen kann, erzählte ich ihm von den Dingen, die in den letzten Jahren in Deutschland passiert waren. Ihn interessierte besonders die Tätigkeit der Oppositionsgruppen. Als ich von der Sitzung am Vortage im Zimmer Piatnitzkis erzählte, dabei auch das unaufrichtige Verhalten der Sekretäre in der Giesecke-Affäre erwähnte, suchte er aus seiner Mappe die Tägliche Rundschau mit den Enthüllungen heraus. Er war wie stets informiert. Radek wurde recht dramatisch. Er stand am Fenster und drohte mit der Faust zum Hause der Kommunistischen Internationale hinüber: „Dort sitzen die Schuldigen, die alles so weit haben kommen lassen.“ Dann nach einer kurzen Pause: „Und Stalin ist der Hauptschuldige.“ Während wir sprachen, ich war über drei Stunden bei ihm, klingelte wohl ein Dutzend Mal das Telephon. Einige Male hielt er die Sprechmuschel zu und sagte zu mir: „Er kommt an den Apparat.“ Radek sprach natürlich russisch, ich verstand nur, daß er wiederholt „Provokation“ sagte. „In seinem Büro kann ich Stalin nicht mehr sprechen“, sagte Radek zu mir, „aber er ruft mich täglich an.“

Radek redete jetzt so pessimistisch, wie Monate vorher Trotzki in seinem stärksten Appell an die Mitglieder der Kommunistischen Partei geschrieben hatte. Radek sagte, er glaube, daß Kommunisten und überhaupt linke Leute zu Hunderttausenden erschlagen werden und daß unsere Generation sich nicht mehr gegen die Nazis erheben könnte. „Die Hoffnungen der sozialdemokratischen Führer auf die Reichswehroffiziere sind unsinnig,“ sagte er weiter, „solange Hitler den Offizieren ihre Existenz als Kaste garantiert, stehen sie zu Hitler.“ Das einzige Richtige wäre jetzt möglichst viele Funktionäre und Mitglieder aus Deutschland zu retten. Illegale Arbeit ist vorerst wirkungslos und würde niemals die Opfer rechtfertigen sagte er. Dann meinte er, ich solle in Moskau bleiben. Für die erste Zeit bis ich genügend Russisch sprechen könne, würde er mir helfen. Ich lehnte ab, mit der Begründung, daß ich hier nicht arbeiten könne und verabschiedete mich. Ich habe Radek nicht wiedergesehen.

Am gleichen Abend ging ich zu Waldemar Rackow, der mir erzählte, daß er in den letzten Jahren einer Kommission angehört hatte, die zur Untersuchung der Auswirkungen der Hungersnot und der Bauernerhebungen nach der Zwangskollektivierung in die Ukraine und die Kaukasusländer geschickt worden war. Er sagte, daß es die schrecklichste Zeit seines Lebens gewesen sei, „Kommunistische Parteisekretäre,“ sagte Rackow, die den Plan der Regierung zu 100% erfüllten, wurden wegen ihrer notwendigerweise rigorosen Haltung gegenüber den Bauern als Saboteure erschossen; Sekretäre, die den Plan zu 80 % erfüllten, wurden gelobt, die ihn nur zu 60% erfüllten, wurden, wie es bei diesen hieß, wegen Schwächlichkeit und Sabotage erschossen.“ Er fügte hinzu, „Stalin glaubte, die Erschießung von einigen Sekretären würde den Bauern Genugtuung geben und sie beruhigen.“ Zur Machtübernahme Hitlers sagte Rackow, daß nach seiner Meinung die Sowjetunion die schwerste Zeit seit Beendigung des Bürgerkrieges durchmache. Dies sei der Grund, warum die Sowjetunion die Ereignisse in Deutschland völlig passiv hinnehme. Rackow meinte aber, daß die Sowjetregierung sich über die Gefahren, die ihr von seiten einer deutschen Naziregierung drohen, im klaren sei. Als ich spät in der Nacht nach Hause ging, sah ich die Folgen der Politik Stalins handgreiflich. In Seitenstraßen, die ich passierte, kamen Männer aus Hausfluren und bettelten. Wenn eine Haustür geöffnet wurde, sah ich, daß der Flur voll von Menschen war. Ich konnte immer nur weitereilen, da ich ihre Worte nicht verstand und nichts hatte, was ich in ihre ausgestreckten Hände legen konnte.

Am nächsten Tag fragte ich Alexander Dworin nach diesen Menschen. Er sagte, es seien aus Moskau ausgewiesene Personen, die heimlich zurückgekehrt wären, tagsüber obdachlos, arbeitssuchend durch die Straßen streiften und in Hausfluren übernachteten. Er schätze diese Obdachlosen auf einige Zehntausend. Fast täglich würde die Polizei in den frühen Morgenstunden Erfrorene auflesen.

Selbstverständlich sahen das auch die Mitglieder der Botschaften und Missionen, mit denen die Sowjetunion Beziehungen unterhielt und berichteten darüber.

Ich traf mich im Café des Hotels Metropol mit Erich Wollenberg, der bereits als Flüchtling in Moskau lebte. Er erzählte mir, daß er am Vortage auf dem Baltischen Bahnhof die Abreise von etwa 90 deutschen Eisenbahnern gesehen habe. Diese hätten aus den Fenstern des Zuges die Arme zum Hitlergruß ausgestreckt und abwechselnd „Heil Hitler“ gebrüllt und das Deutschlandlied gesungen. Als der Zug sich in Bewegung setzte, hätten sie auch das ihnen mitgegebene Propagandamaterial aus den Fenstern geworfen.

Aufregend war mein Besuch bei Max Hoelz. Er bewohnte zwei Zimmer in einem der größten Hotels Moskaus. Hoelz sagte mir, daß sein Hauptanliegen die Rückkehr nach Deutschland sei. Er habe schon seit langem Gesuche an das Büro der Kommunistischen Internationale gerichtet, um zur politischen Arbeit nach Deutschland fahren zu können. Alle Gesuche seien abgelehnt worden. Die Verhältnisse in der Sowjetunion deprimierten ihn so sehr, daß er lieber jede Verfolgung in Deutschland in Kauf nehmen wolle. Ich konnte ihm diesen Gedanken nicht ausreden, ich hatte um diese Zeit selber noch Illusionen, konspirativ arbeiten zu können. Aber dann fragte er mich, ob ich etwas über das Leben und Wirken Trotzkis wüßte. Er erzählte mir, daß er kürzlich zu einer Militär-Manöverübung eingeladen war. Einige Offiziere hatten ihn, jeder einzeln, beiseite genommen und gefragt, wie es „Lew Davidowitseh“ gehe. Die Offiziere hätten ihm gesagt, daß sie die Stalinschen Behauptungen über Trotzkis angeblich feindliche Haltung gegenüber der Sowjetunion nicht glauben. Einige Offiziere hätten auch gefragt, ob Trotzki sich blutig rächen würde, wenn er zurückkäme; so habe man es ihnen in Instruktionsstunden gesagt.

Ich erzählte Hoelz von Trotzkis Leben und Arbeiten auf Prinkipo. Alles war ihm neu. Er hatte nichts von den Büchern und Broschüren gewußt, die Trotzki in der Verbannung geschrieben hatte.

Das Verhalten Hoelz’ bedrückte mich wiederum, ähnlich wie seinerzeit, als ich ihn im Zuchthaus zu Breslau besuchte. Als ich nach dem Zimmerkellner klingelte, um Tee zu bestellen, sagte er zu mir: „Der Kellner ist ein GPU-Spion, nicht sprechen, wenn er im Zimmer ist.“ Als ich mich verabschiedete, sagte er, die Putzfrau auf dem Flur und der Fahrstuhlführer seien ebenfalls mit seiner Überwachung betraut. Den Eindruck hatte ich nicht. Das war bei Hoelz alles nicht nötig, er breitete seine Unzufriedenheit in den gröbsten Ausdrücken vor jedem Besucher aus. Die Partei- und Regierungsfunktionäre kannten seine Einstellung.

Mehrere Monate später schrieb ich in der Zeitung der deutschen Trotzkisten Unser Wort, die in Paris in deutscher Sprache erschien, den Nachruf auf Max Hoelz: Er war beim Baden in der Oka, einem Nebenfluß der Wolga, ertrunken.

Als ich nach dem Besuch bei Max Hoelz in mein Hotelzimmer zurückkam, fand ich eine Einladung von Clara Zetkin vor. Sie war seit einigen Monaten wegen Krankheit in Moskau und wohnte im Flügel des Kremlpalastes, in dem die meisten Regierungsmitglieder wohnten. Der Ausweis, um dort hineinzukommen, lag bei.

Es war nicht nur die Schwäche ihrer 76 Jahre, daß sie schon bei der Begrüßung die Tränen zu laufen begannen. Einige Monate zuvor, im August 1932, hatte sie als Alterspräsidentin mit dem Rest ihrer Kraft den Reichstag eröffnet. Jetzt saß sie im Lehnstuhl am Fenster. Ihre erste Frage war:

“Was glaubst du, wie alles enden wird?“ Unwillkürlich fragte ich zurück: „Wo, hier oder in Deutschland?“ Clara Zetkin sprach impulsiv wie immer und ihre Fragen waren schmerzhaft eindringlich. Sie wollte wissen, ob ein illegaler Apparat funktioniere der die Funktionäre und Mitglieder zusammenhalten könne, ob die bekannteren Funktionäre in Sicherheit seien, wie lange wohl die Naziherrschaft dauern würde; sie fügte ein, daß sie selber nicht an eine längere Zeit glauben könne, ob wir einen Krieg verhindern können, der nach ihrer Ansicht sicher bevorstehe, wenn die Arbeiterschaft keinen Widerstand leistete. Am meisten interessierte sie das Schicksal der Funktionäre und Mitglieder der Partei, die bereits in den Händen der Nazis seien. Clara Zetkin hatte ein scharfes Gedächtnis und sie fragte nach zahlreichen Genossen aus ganz Deutschland.

Clara Zetkin erlebte die Ermordung ihrer alten Freunde, der Bolschewiki, nicht mehr. Das wenigstens blieb ihr erspart. In ihrer letzten Reichstags-Eröffnung im August 1932 hatte sie noch gesagt:

“Ich eröffne den Reichstag in Erfüllung meiner Pflicht als Alterspräsidentin und in der Hoffnung trotz meiner jetzigen Invalidität das Glück zu erleben, als Alterspräsidentin den ersten Rätekongreß Sowjetdeutschlands zu eröffnen.“

Diesen Optimismus nahm sie mit ins Grab. Sie sagte beim Abschied: „Ich habe die Gewißheit, daß die Faschisten nicht lange am Ruder bleiben werden, ich glaube aber nicht, daß ich Deutschland wiedersehen werde.“

In der Nacht vor meiner Abreise schrieb ich einen Brief an Stalin und Piatnitzki, in dem ich noch einmal meine Ansicht über die Ursachen des Zusammenbruchs der KPD darlegte. Als ich am Vormittag wieder ins Büro Piatnitzkis kam, war inzwischen bekannt, daß Thälmann in Berlin verhaftet worden war. Nachdem Piatnitzki über das Versagen des Apparates, der nicht fähig gewesen sei, Thälmann zu schützen, entrüstet geschimpft hatte, fragte er mich, ob ich wieder im Apparat arbeiten würde. Als ich bejahte, sagte er, daß er mit den deutschen Vertretern sprechen werde. Er wies seinen Sekretär Grollmann an, mir meinen Paß mit dem Ausreisevisum zu geben. So konnte ich mich verabschieden.

Unterwegs zum Bahnhof gab ich meinen in der Nacht geschriebenen Brief in der Poststelle des Bürohauses der Kommunistischen Internationale ab. Es war am Abend des ersten März 1933 als ich mit dem Nachtzug nach Leningrad fuhr. In Leningrad ging ich zu meinem Freund Willi Elberfeld, der früher als Photoreporter für die Arbeiter Illustrierte Zeitung gearbeitet hatte. Er hatte Deutschland vor einiger Zeit verlassen müssen und war jetzt in einem Ausländeramt im Hafen tätig. Als ich ihn von meinem Moskauer Gespräch und dem Brief an Stalin erzählte hatte, riet er mir, nicht die vorgeschriebene Route über Estland, sondern über Finnland zu fahren. Er brachte mich mit seinem Dienstauto unter Umgehung der russischen Grenzkontrolle direkt zur finnischen Grenze. Von dort nahm ich den Zug über Helsinki nach Abo-Turku. Ich erreichte in der Nacht das Schiff nach Stockholm und fand einen Platz in der Touristenkabine. Schlafen konnte ich nicht, die Ereignisse beschäftigten mich, und die ganze Nacht über polterten die Eisschollen gegen den Schiffsrumpf.

In Stockholm hatte ich gerade so viel Zeit, um einen kurzen Bericht und einige Sachen an Münzenberg zu schicken, mit dem ich vor meiner Reise für alle Fälle eine Deckadresse in Strasbourg vereinbart hatte. Daß Münzenberg Deutschland bereits verlassen hatte, wußte ich nicht. Von Stockholm fuhr ich wieder nachts über Malmö nach Kopenhagen. Hier saß ich gegen Mittag auf einer Bank in der Nähe des Hauptbahnhofes und überlegte die weitere Reise. Ein alter Mann, der neben mir saß, fragte mich, ob ich ein deutscher Flüchtling sei. Als ich „noch nicht“ antwortete, warnte er mich, nach Deutschland zurückzufahren und erzählte mir, was die Zeitungen in den letzten Tagen über die Vorgänge in Deutschland berichtet hatten. Was der Mann erzählte, war alles sehr schlimm, aber ich wollte meinen Auftrag erledigen und abwarten, ob ich das Mandat von Piatnitzki erhalten würde. Als ich in der Bahnhofshalle nach einem günstigen Zug schaute, sah ich einen Zug stehen, der als Sonderzug für Sportler aus Oslo bezeichnet war. Aus den lebhaften Gesprächen der herumstehenden Personen entnahm ich, daß in Norwegen die berühmten Holmenkollen-Skirennen stattgefunden hatten. Die Sportler, die mit dem Schiff aus Oslo gekommen waren, fuhren mit diesem Zug nach Berlin weiter. Ich stieg ein. Der Zug fuhr über Saßnitz, Stralsund nach Berlin durch. In den Abteilen und Gängen des Zuges ging es hoch her, man feierte die Erfolge. Niemand beachtete mich. Die Paß- und Zollbeamten liefen durch den Zug, ohne zu kontrollieren. Im Lokalbahnhof Berlin-Gesundbrunnen stand das Signal auf Halt. Ich stieg aus und verließ inmitten von Fahrgästen eines Lokalzuges den Bahnhof. Damit vermied ich, in den Empfang der Sportler auf dem Stettiner Bahnhof hineinzugeraten. Die Berliner Naziprominenz samt einem riesigen Polizeiaufgebot waren auf dem Bahnhof gewesen, berichteten die Zeitungen am folgenden Tag.

Es war Sonnabend, der 4. März, als ich in Berlin ankam, der Tag vor der letzten Reichstagswahl der Weimarer Republik.

Ich wagte es nicht, zu meiner Wohnung zu gehen, sondern ging zu Bekannten, die mir sagten, daß meine Wohnung in der Nacht nach dem Reichstagsbrand von SA-Leuten besetzt worden war. Die SA-Männer waren mit einem Lastwagen, auf dem mehrere Gefangene standen, vorgefahren und hatten Bücher und Zeitschriften aus den Fenstern geworfen. Aus Furcht, die SA könnte wiederkehren, waren meine Frau und meine Tochter in derselben Nacht aus der Wohnung geflohen und erst nach einigen Tagen zurückgekehrt. Ich habe diese Wohnung und meine Bibliothek nicht wiedergesehen. Bei den Bekannten übernachtete ich und ging am Morgen dem 5. März zu meinem Wahllokal in Berlin-Nord, Müllerstraße. Nach Art der „Sandwichmänner“ trug ich zwei Plakate umgehängt und verteilte die Wahlzettel der KPD. Damals war es üblich, daß die Parteien ihre Wahlzettel selbst vor den Lokalen austeilten.

Die SA hatte für diesen Tag die Anweisung, die Wahlen nicht zu stören, der endgültige Schlag gegen die Opposition war für später geplant. Am Nachmittag argwöhnte ich aus dem Verhalten der Nazis und SA-Leute, die wie Mitglieder der anderen Parteien ebenfalls mit Plakaten umgehängt standen, daß sie nach Abschluß der Wahlhandlung über mich herfallen würden. Es war Zeit fortzugehen. Ich ging ins Lokal, stellte meine Plakate ab und verschwand über den Hof durch den Hinterausgang.

Die KPD erhielt bei diesen letzten Wahlen immerhin noch über 4,8 Millionen Stimmen.

Für mich kamen böse Wochen mit bitteren Enttäuschungen und Entbehrungen. Manche Parteigenossen, denen ich begegnete, liefen grußlos vorüber. Ich bemerkte auch einige, die zur anderen Straßenseite gingen, um mir auszuweichen. Andere sagten kurz: „Ich will von Ihnen nichts mehr wissen!“

Bekannte, die ich bat, mich eine Nacht zu beherbergen, lehnten ab mit der Begründung, daß sie selber eine Hausdurchsuchung zu befürchten hätten. Die meisten Nächte im Monat März verbrachte ich in Hausfluren, einige Male ging ich auch in Hotels, die ich morgens früh verließ, ehe die Meldezettel von der Polizei durchgesehen waren. Am gefährlichsten in diesen ersten Wochen der Naziherrschaft war die SA. Diese hatte von der Politischen Polizei Listen mit Namen und Adressen von Kommunisten, Pazifisten, Abonnenten linker Zeitungen, Juden erhalten. Täglich sah ich die SA mit Lastwagen durch die Stadt fahren, beladen mit Verhafteten die in SA-Keller, Gefängnisse oder Konzentrationslager geschleppt wurden. Nach einigen Tagen traf ich mich mit Leon Sedow. Er war noch unbehelligt geblieben. Er sagte mir, daß er zur Abreise ins Ausland gerüstet sei. Ich berichtete ihm ausführlich über meine Moskauer Gespräche und Eindrücke. Vor seiner Abreise traf ich Sedow ein zweites Mal bei dem er mir sagte, daß er seinem Vater über unser erstes Gespräch geschrieben habe. Dieser Brief ist im Archiv Trotzkis erhalten geblieben. Sedow konnte einige Tage später Deutschland verlassen.

Ich traf mich weiter mit Mitgliedern der Trotzkigruppe: Grylewitz und Schwalbach, Dr. Bauer, der als deutscher Sekretär zu Trotzki ging, Kurt Landau aus Wien, der später in Barcelona von den Stalinisten ermordet wurde. Robert Siewert, mit dem ich mich in einem Café in der Friedrichstraße traf, sagte mir, daß er die Leitung der Brandler-Opposition übernommen habe, sie werde auf kleinste Zirkel umgestellt, sonst aber sei alles aufgelöst worden. Dann sprach ich noch Karl Becker, der später in Frankreich verhaftet, nach Deutschland ausgeliefert und hingerichtet wurde. Ich sah noch weitere Bekannte, doch erwähne ich nur die obengenannten namentlich, weil diese auch jetzt ungebrochen den Kampfgeist Spartakus’ zeigten und den Widerstand gegen das Naziregime weiterhin organisieren wollten. Keiner von ihnen glaubte an die Illusion des Zentralkomitees der KPD, daß die Hitlerherrschaft nur von kurzer Dauer sein werde.

Endlich erhielt ich auch über eine Deckadresse den Bescheid, mich mit einem Kurier vom Büro Piatnitzki zu treffen. Durch ihn erfuhr ich, daß von Moskau aus an die russisch-estnische Grenzstelle telegraphiert worden war, daß ich zurückkommen sollte. Mein Freund Elberfeld hatte richtig geahnt. Die spontanen Zusagen und Pläne Piatnitzkis über meine Verwendung wurden vom Exekutivkomitee zurückgewiesen. Einige Wochen später erklärte das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale in seiner ersten offiziellen Sitzung nach der Zerschlagung der KPD sogar, daß die Politik des Zentralkomitees unter Führung Thälmanns bis zum 30. Januar 1933 richtig gewesen sei. Daß mit dem Siege Hitlers nicht nur die deutsche Partei, sondern auch die Kommunistische Internationale tödlich getroffen war, wollte das Exekutivkomitee nicht erkennen.

Weitere zehn Jahre später, im Mai 1943, wurde die Internationale auf Befehl Stalins aufgelöst, nachdem Stalin fast alle russischen Gründungsmitglieder, auch Piatnitzki, hatten töten lassen.

Es war Ende März geworden. Mein letztes Geld war fast verbraucht. Ich war ohne Obdach und erschöpft vom Herumstreifen durch Berlin, immer auf der Suche nach Aktivität und Diskussion, bei wenig Schlaf und wenig Nahrung. Es blieb mir nichts übrig, als ins Ausland zu gehen. Aus meinem Paß mußte ich das russische Visum entfernen. Mein Freund Reinhold Lehmann in Friedenau besorgte mir Paßblätter mit den gleichen Serienummern. Ich wechselte sie so sorgfältig aus, daß keine Spuren zu entdecken waren. Über Reinhold Lehmann erfuhr ich Jahre später, daß dieser junge tapfere Streiter gegen das Verbrecherregime von der Gestapo verhaftet und in einem Konzentrationslager ermordet wurde.

Mein Zug fuhr abends. Um nicht auf den Straßen herumzulaufen oder in einem Café zu warten ging ich in ein Kino am Nollendorfplatz. Es gab den amerikanischen Film: Ich bin ein entflohener Kettensträfling mit Paul Muni in der Hauptrolle. Es war ein deprimierender Film, aneinandergekettete Gefangene beim Eisenbahnbau, Aufseher mit Hunden und Peitschen. Es war eine Vorwegnahme der deutschen Konzentrationslager. Ich dachte, daß dies mein Schicksal sein würde, wenn mich nicht eine Kugel oder das Beil am Genick trifft.

Ich schlief im Abteil des Zuges nach Basel und überfuhr am 30. März die schweizerische Grenze. Als Gepäck hatte ich nur eine Aktentasche mit Toilettensachen bei mir, die Paßkontrolle beanstandete meinen Paß nicht. Wie Verlierer zu allen Zeiten hatte auch ich in diesen Wochen der Verlorenheit Tag und Nacht über den Ablauf der Ereignisse vom Beginn des Weltkrieges an gegrübelt, was in den vergangenen Jahren falsch gedacht und falsch gemacht worden war, und kam zum Ergebnis: unsere Schuld war Schwäche.

Auf die Weimarer Republik, ihre Präsidenten Ebert und Hindenburg, über ihre Regierungen in diesen fast 14 Jahren, trifft der Bibelspruch zu:

»An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.«

Spartakus war beim Versuch, die Krebsgeschwulst des deutschen Militarismus nach dem ersten Weltkrieg wegzuoperieren, niedergeschlagen worden, die Geschwulst Militarismus wucherte weiter zum Nazismus. „Hitler fand alles fertig vor“ konnte nach dem Siege Hitlers der General Roland im Radio verkünden. Auch die Gestapo war ja zum großen Teil aus Severings Politischer Polizei hervorgegangen.

Es ist nicht wahr, daß die Kommunisten die Demokratie bekämpften. Es gab keine. Wir hatten das Wahlrecht, wir durften Abgeordnete wählen, doch diejenigen bürgerlichen und sozialdemokratischen Abgeordneten, die den Ermächtigungsgesetzen zustimmten, gaben damit die Demokratie auf. Sozialdemokratische Minister hatten sich im Staat wohl recht breit gemacht, aber sie haben den Staatsapparat niemals beherrscht. Geherrscht hat die Ministerialbürokratie, die in ihrer Mehrheit reaktionär-antidemokratisch eingestellt war. Die politische Justiz war der demokratischen Republik offen feindlich gesinnt und das zweitgrößte Land, Bayern, hat sie niemals effektiv anerkannt. Die Misere der parteilosen Intellektuellen formulierte Karl Kraus am klarsten: „Zu Hitler fällt mir nichts ein,“ schrieb er bei einer Gelegenheit. Sein Ausspruch war gültig für seinen Kreis. Ein Revolutionär, also ein Mensch, der die Gesellschaftsordnung zum Guten ändern will, muß sich darüber klar sein, daß er wie ein Bergsteiger in einer Gruppe, die eine steile Felswand erklimmen will, nicht einfach auf halber Höhe umkehren kann, da sonst die ganze Seilschaft in die Tiefe gerissen würde. Es ist nötig, eine klare Vorstellung vom Ziel zu haben. Die Diskussion über Theorie und Praxis mußten demnach immer den breitesten Raum einnehmen. Der Meinungsstreit ist kein Streit um des Streites willen, er ist der Baustoff der neuen Gesellschaft und das Studium der gesellschaftlichen Kräfte ist folglich Voraussetzung einer politischen Tätigkeit. Eine neue Gesellschaftsordnung kommt nicht von selbst. Wenn in einer Generation die revolutionären, also über das Gegenwärtige hinausstrebenden Kräfte niedergeschlagen sind, werden mit der neuen Generation neue ökonomische Notwendigkeiten, neue Erkenntnisse, neue Wissenschaften entstehen oder sich entwickeln, die die Menschen zwingen werden, ihre Gesellschaftsordnung zu ändern. Die gleichen Menschheitsziele einer Welt ohne Krieg und ohne Unterdrückung werden möglicherweise unter anderen Namen formuliert.

Wenn Marx schrieb, daß der Kapitalismus seine eigenen Totengräber schaffte, so traf das auch auf den Sozialismus zu. Die von Lenin charakterisierte „Arbeiteraristokratie“ organisierte sich in der Sozialdemokratischen Partei; sie stellte sich in den Tagen der Entscheidung gegen die Revolution, nicht aber gegen den imperialistischen Weltkrieg.

Den freundlichen Leser, der den Eindruck hat, daß ich sehr viel gegen die Sozialdemokratie polemisiere, möchte ich an ein serbisches Märchen das ein Gleichnis ist, erinnern: „Ein Vogel kommt zur gewaltigen Eiche geflogen und ruft ihr zu: „Ein Mensch kommt, er hat ein Stück Eisen in der Hand“. Die große Eiche antwortet: „Sei unbesorgt er kann nicht viel Schaden anrichten“. Der Mensch zog wieder ab. Nach einiger Zeit kommt der Vogel wieder geflogen und ruft der Eiche zu: „Der Mensch kommt wieder diesmal trägt er ein Stück Eisen über der Schulter, das mit einem Ast von einer Eiche verbunden ist.“ „Oh“, ruft die stolze Eiche aus, „jetzt kommt unser Ende!“

 


Zuletzt aktualiziert am 11. Januar 2023