August Thalheimer

 

Über den Faschismus

(1928)


Geschrieben 1928 als internes Dokument der Komintern.
Veröffentlicht in Gegen den Strom, theoretischer Zeitschrift der KPD(O), 1930.
Heruntergeladen mit Dank von der Webseite der britischen Zeitschrift What Next?
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Der beste Ausgangspunkt für die Untersuchung des Faschismus scheint mir die Marxsche und Engelssche Analyse des Bonapartismus (Louis Bonaparte) zu sein. Wohlverstanden, ich setze nicht Faschismus und Bonapartismus gleich. Aber es sind verwandte Erscheinungen mit sowohl gemeinsamen als auch mit abweichenden Zügen, die beide herauszuarbeiten sind.

Ich beginne mit einer Stelle aus Marx’ Vorwort zum 18. Brumaire, die lautet:

Schließlich hoffe ich, daß meine Schrift zur Beseitigung der jetzt namentlich in Deutschland landläufigen Schulphrase vom Cäsarismus beitragen wird.

Marx weist dann hin auf den grundlegenden Unterschied zwischen dem modernen und antiken Proletariat, aus dem sich weiter ergibt, daß der antike Cäsarismus und der moderne Bonapartismus klassenmäßig total verschiedene Dinge sind.

Marx unterstreicht aber die Notwendigkeit der bestimmten Klassenanalyse.

Aber nicht nur das. Neben der Analyse der klassenmäßigen sozialen und historischen Wurzeln des Bonapartismus sieht er als Ergebnis nicht nur das Vorhandensein bestimmter Klassen in einer gegebenen Gesellschaft, sondern auch eines bestimmten geschichtlich produzierten und darum geschichtlich sich auflösen den Verhältnisses dieser Klassen, einer bestimmten geschichtlichen Lage. Er untersucht auch aufs genaueste die politischen Erscheinungsformen des Bonapartismus, ihre ideologischen Wurzeln und Ausdrücke, ihre staatliche und parteimäßige Organisation. Marx entwickelt im einzelnen, wie die französische Bourgeoisie nach 1848-49 angesichts der Erhebung der Arbeiterklasse in der Junischlacht, um ihre soziale Existenz zu retten, ihre politische Existenz preisgibt, sich der Diktatur eines Abenteurers und seiner Bande preisgibt.

Indem also die Bourgeoisie“, sagt er, „was sie früher als „liberal“ gefeiert, jetzt als „sozialistisch“ verketzert, gesteht sie ein, daß ihr eigenes Interesse gebietet, sich der Gefahr des Selbstregierens zu überheben, daß, um die Ruhe im Lande herzustellen, vor allem ihr Bourgeoisieparlament zur Ruhe gebracht, um ihre gesellschaftliche Macht unversehrt zu erhalten, ihre politische Macht gebrochen werden müsse; daß die Privatbourgeois nur fortfahren können, die anderen Klassen zu exploitieren und sich ungetrübt des Eigentums, der Familie, der Religion und der Ordnung zu erfreuen unter der Bedingung, daß ihre Klasse neben den anderen Klassen zur politischen Nichtigkeit verdammt werde, daß, um ihren Beutel zu retten, die Krone ihr abgeschlagen und das Schwert, das sie beschützen soll, zugleich als Damoklesschwert über ihr eigenes Haupt gehängt werden müsse.

Die Bourgeoisie ist also eine der sozialen Grundlagen des Bonapartismus, aber um ihre soziale Existenz in einer bestimmten geschichtlichen Lage zu retten, gibt sie die politische Macht preis – sie unterwirft sich „der verselbständigten Macht der Exekutivgewalt“. Die andere tiefe und breite soziale Wurzel der „Verselbständigung der Exekutivgewalt“, der Diktatur Bonapartes und seiner „Bande“ ist der Parzellenbauer (der Zwerg- und Kleinbauer), und zwar nicht der revolutionäre, sondern der konservative Parzellenbauer, also nicht derjenige, der gegen die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse rebelliert, sondern derjenige, der sein bäuerliches Privateigentum erhalten und verteidigt wissen will gegenüber der drohenden proletarischen Revolution. Diese Verteidigung, diesen Schutz kann die Bauernklasse infolge ihrer ökonomischen und gesellschaftlichen Zersplitterung, infolge fehlender eigener ökonomischer und sozialer Organisation nicht selbst ausüben.

Insofern ein nur lokaler Zusammenhang unter den Parzellenbauern besteht, die Dieselbigkeit ihrer Interessen keine Gemeinsamkeit, keine nationale Verbindung und keine politische Organisation unter ihnen erzeugt, bilden sie keine Klasse. Sie sind daher unfähig, ihre Klasseninteressen im eigenen Namen, sei es durch ein Parlament, sei es durch einen Konvent, geltend zu machen. Sie können sich nicht vertreten, sie müssen vertreten werden. Ihr Vertreter muß zugleich als ein Herr, als eine Autorität über ihnen erscheinen, als eine unumschränkte Regierungsgewalt, die sie vor den anderen Klassen beschützt und ihnen von oben Regen und Sonnenschein schickt. Der politische Einfluß der Parzellenbauern findet also darin seinen letzten Ausdruck, daß die Exekutivgewalt sich das Parlament, der Staat sich die Gesellschaft unterordnet.

Was die Arbeiterklasse anlangt, so macht sie beim Entstehen des Bonapartismus insofern mit, als sie zum revolutionären Sturm auf die bürgerliche Gesellschaft geschritten ist, sie in Furcht und Schrecken gejagt hat, aber sich noch nicht als fähig erwiesen hat, selbst die Gewalt an sich zu reißen und zu halten. Eine schwere Niederlage des Proletariats in einer tiefen sozialen Krisis ist also eine der Voraussetzungen des Bonapartismus. Andererseits ist der Bonapartismus in verschiedene Sektionen und Parteien gespalten: Die Zerklüftung der Bourgeoisie, das Hervortreten der Gegensätze zwischen ihren einzelnen Schichten ist ihrerseits wieder eine Wirkung der Niederlage der Arbeiterklasse (und darauf folgend des Kleinbürgertums). Die Exekutivgewalt erscheint jetzt der Bourgeoisie als der ersehnte Repräsentant des gemeinsamen Interesses ihrer einzelnen Schichten, die nicht mehr aus sich heraus diese Einheit zustandebringen.

Diesen Gesichtspunkt hebt besonders Friedrich Engels hervor, wenn er in der Einleitung zum Bürgerkrieg in Frankreich später sagte:

Konnte das Proletariat (nach 1848) noch nicht Frankreich regieren, so konnte die Bourgeoisie es schon nicht mehr. Wenigstens damals nicht, wo sie der Mehrzahl nach noch monarchistisch gesinnte und in drei dynastische Parteien und eine vierte republikanische gespalten war. Ihre inneren Zänkereien erlaubten dem Abenteurer Louis Bonaparte, alle Machtposten – Armee, Polizei, Verwaltungsmaschinerie – in Besitz zu nehmen und am 2. Dezember 1851 die letzte feste Burg der Bourgeoisie, die Nationalversammlung, zu sprengen.

II

In seinem nachgelassenen Aufsatz über Gewalt und Ökonomie bei der Herstellung des neuen Deutschen Reiches spricht F. Engels ebenfalls den Gegensatz zwischen der Rettung der sozialen Herrschaft der Bourgeoisie durch Louis Bonaparte bei Vernichtung ihrer politischen Herrschaft aus.

Louis Napoleon“, sagt hier Engels, „war jetzt der Abgott der europäischen Bourgeoisie. Nicht nur wegen seiner „Gesellschaftsrettung“ vom 2. Dezember 1851, wo er zwar die politische Herrschaft der Bourgeoisie vernichtet, aber nur um ihre soziale Herrschaft zu retten.

Und den sozialen Inhalt der Herrschaft Louis Bonapartes in bezug auf die Bourgeoisie kennzeichnet Engels folgendermaßen:

Als Kaiser machte er nicht nur die Politik dem kapitalistischen Erwerb und dem Börsenschwindel dienstbar, sondern betrieb auch die Politik ganz nach den Grundsätzen der Fondsbörse und spekulierte auf das „Nationalitätsprinzip“.

Marx gibt weiter im 18. Brumaire eine Analyse des Herrschaftsmechanismus Louis Bonapartes, seiner organisatorischen Stützen und Mittel.

Da ist zuerst die geheime Parteiorganisation Louis Bonapartes, die „Gesellschaft des 10. Dezember“.

Woraus besteht sie sozial?

Es ist zunächst das „Pariser Lumpenproletariat in geheimen Sektionen organisiert, an der Spitze bonapartistische Generale“.

Dann deklassierte Bourgeoiselemente: „zerrüttete Roués ... Spieler ... Literaten usw.“

Weiter deklassierter Adel.

Schließlich deklassierte bäuerliche Elemente.

Das Ganze faßt Marx unter dem Namen der „Bohème“ zusammen. Es sind also Deklassierte aller Klassen, aus denen Louis Bonaparte seine ihm eigentümliche Parteiorganisation bildet und die er als Vertrauensleute, Beamte usw. um sich gruppiert. Das ist natürlich kein Zufall, sondern liegt im Wesen der Sache. Wirtschaftlich und sozial entwurzelte, von der unmittelbaren Produktion ausgestoßene parasitische Elemente aller Klassen sind der natürliche Stoff, die natürlichen Werkzeuge der „verselbständigten Exekutivgewalt“. In diesem gesellschaftlichen Abhub sind die Unterscheidungsmerkmale der Klassen verwischt. Er ist frei von den ideologischen usw. Bindungen an die einzelne Klasse, deren Abfall er ist, insofern kann er sich über sie erheben und zwischen ihnen lavieren. Andererseits: Er stellt nicht die revolutionäre, sondern die konterrevolutionäre Aufhebung dieser Klassenmerkmale vor, die Negation des bürgerlichen Klassenprinzips, die innerhalb dieses Prinzips bleibt. Der Dieb z. B. vollzieht die Aufhebung des bürgerlichen Eigentums noch auch dem Boden des bürgerlichen Eigentums. Er hebt das Privateigentum anderer auf, um es für sich, also individuell herzustellen. Der bekannte Proudhonsche Satz: „La propriété c’est le vol“, „das Eigentum ist Diebstahl“, gilt also auch umgekehrt: „le vol c’est la propriété“, „Diebstahl ist das Eigentum“. Und so sind diese Deklassierten aller Klassen zugleich Fleisch vom Fleische, Bein vom Beine des Privateigentums, der bürgerlichen Gesellschaft, und also fähig, indem sie ihre politische Herrschaft vernichten, zugleich ihre soziale Herrschaft zu verteidigen und zu schützen gegenüber der Klasse und den Klassen, die die revolutionäre Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft, die gesellschaftliche Aufhebung des individuellen bürgerlichen Eigentums, vertreten, des industriellen Proletariats und der proletarisierten Teile des Bauerntums.

Ökonomisch haben diese deklassierten Elemente, die Parasiten aller Klassen, einen natürlichen Drang, sich in der Regierungsmaschine und der bonapartistischen Parteimaschine eine Existenzquelle zu sichern. Daher das ungeheure Anschwellen des verselbständigten Exekutivapparates.

Von diesem Gesichtspunkt aus lohnt es sich auch, sich den militärischen Teil des bonapartistischen Staatsapparates näher anzusehen. Auch er weist eigentümliche soziale Züge und im Zusammenhang damit auch militär-organisatorische Züge auf.

Hören wir darüber wieder Marx:

Der Kulminierpunkt der „idées napoléoniennes“ endlich ist das Übergewicht der Armee. Die Armee war der point d’honneur der Parzellenbauern, sie selbst in Heroen verwandelt nach außen hin den neuen Besitz verteidigend, ihre ebenert errungene Nationalität verherrlichend, die Welt plündernd und revolutionierend. Die glänzende Uniform war ihr eigenes Staatskostüm, der Krieg ihre Poesie, die in der Phantasie verlängerte und abgerundete Parzelle das Vaterland und der Patriotismus die ideale Form des Eigentumssinnes. Aber die Feinde, wogegen der französische Bauer jetzt sein Eigentum zu verteidigen hat, es sind nicht die Kosaken, es sind die Huissiers und Steuerexekutoren. Die Parzelle liegt nicht mehr im sogenannten Vaterland, sondern im Hypothekenbuch. Die Armee selbst ist nicht mehr die Blüte der Bäuernjugend, sie ist die Sumpfblume des bäuerlichen Lumpenproletariats. Sie besteht größenteils aus Remplaçants, aus Ersatzmännern, wie der zweite Bonaparte selbst nur Remplaçant, der Ersatzmann für Napoleon ist. Ihre Heldentaten verrichtet sie jetzt in Gems- und Treibjagden auf die Bauern, im Gendarmendienst, und wenn die inneren Widersprüche seines Systems den Chef der Gesellschaft des 10. Dezembers über die französische Grenze jagen, wird sie nach einigen Banditenstreichen kerne Lorbeeren, sondern Prügel ernten.

Die bonapartistische Armee besteht aus deklassierten bäuerlichen Elementen. Der Heeresdienst ist für sie Gewerbe, Ersatz für die verlorene oder nicht erreichbare Parzelle. Es sind größenteils Berufssoldaten mit langjähriger Dienstzet, zu jedem konterrevolutionären Zweck zu gebrauchen, militärisch aber ein faules Element, denn sie wollen für ihren Sold nicht sterben, sondern leben. Lossgelöst von ihrem Klassenboden sind sie das gegebene Machtwerzeug für die „verselbständigte Exekutive“, die bestrebt sein muß, ihren Gegensatz zur Volksmasse zu befestigen und noch zu verstärken. Die Korruption muß hier immer tiefer einfressen. Sie sind daher zugleich das denkbar ungeeignetste Werkzeug, um in einem ernsten Kriege nach außen die nationale Existenz zu verteidigen, Marx’ Voraussage über die künftige Niederlage der bonapartistischen Armee 1870/71 wurzelte in der tiefen and scharfen Klassenanalyse dieser Armee.

Schließlich kennzeichnet Marx die Rolle der bonapartistischen Tradition, der napoleonischen Legende für die Herrschaft Louis Napoleons. Die Kraft der napoleonischen Legende beruhte auf der Vereinigung dreier Momente: erstens des nationalen: des Ruhmesglanzes der napoleonischen Kriege, zweitens des revolutionären: des Kampfes gegen den Feudalismus außerhalb Europas, wie der Verteidigung des revolutionär erworbenen bäuerlichen Eigentums gegen die französischen Feudalherren, die Emigranten, die im Bunde mit den Feudalen Europas die bäuerliche Parzelle bedrohten, drittens die Unterordnung der Bourgeoisie unter die revolutionäre Armee und ihren Heros Napoleon: ihre politische Entrechtung und die Zähmung ihrer Ausbeutungsgelüste.

Schließlich entwickelt Marx die inneren Widersprüche des bonapartistischen Systems, die es zermürben und seine schließliche Auflösung herbeiführen müssen:

Bonaparte, als die verselbständigte Macht der Exekutivgewalt fühlt seinen Beruf, die „bürgerliche Ordnung“ sicherzustellen. Aber die Stärke dieser bürgerlichen Ordnung ist die Mittelklasse. Er weiß sich daher als Repräsentant der Mittelklasse und erläßt Dekrete in diesem Sinne. Er ist jedoch nur dadurch etwas, daß er die politische Macht der Mittelklasse gebrochen hat und täglich von neuem bricht. Er weiß sich daher als Gegner der politischen und literarischen Macht der Mittelklasse. Aber indem er ihre materielle Macht beschützt, erzeugt er von neuem ihre öffentliche, ihre politische Macht. Die Ursache muß daher am Leben erhalten, aber die Wirkung, wo sie sich zeigt, aus der Welt geschafft werden. Aber ohne kleine Verwechslungen von Ursache und Wirkung kann dies nicht abgehen, da beide in der Wechselwirkung ihre Unterscheidungsmerkmale verlieren. Neue Dekrete, die die Grenzlinie verwischen. Bonaparte weiß sich zugleich gegen die Bourgeoisie als Vertreter der Bauern und des Volkes überhaupt, der innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft die unteren Volksklassen beglücken will. Neue Dekrete, die die „wahren Sozialisten“ im voraus in ihrer Regierungsweisheit prellen. Aber Bonaparte weiß sich vor allem als Chef der Gesellschaft vom 10. Dezember, als Repräsentanten des Lumpenproletariats, dem er selbst, seine entourage, seine Regierung und seine Armee angehören, und für das es sich vor allem darum handelt, sich wohlzutun und kalifornische Lose aus dem Staatsschatz zu ziehen. Und er bestätigt sich als Chef der Gesellschaft vom 10. Dezember mit Dekreten, ohne Dekrete und trotz der Dekrete.

III

Schließlich finden wir die zusammenfassende Charakteristik und Perspektive des Bonapartismus oder „Imperialismus“ (nicht im modernen Sinne) als Form der bürgerlichen Staatsmacht in einer bestimmten Situation der bürgerlichen Klassengesellschaft im Bürgerkrieg in Frankreich.

Hier sagt Marx:

Das Kaisertum mit dem Staatsstreich als Geburtsschein, dem allgemeinen Stimmrecht als Beglaubigung und dem Säbel als Zepter, gab vor, sich auf die Bauern zu stützen, auf jene große Masse der Produzenten, die nicht unmittelbar in den Kampf zwischen Kapital und Arbeit verwickelt waren. Es gab vor, die Arbeiterklasse zu retten, indem es den Parlamentarismus brach und mit ihm die unverhüllte Unterwürfigkeit der Regierung unter die besitzenden Klassen. Es gab vor, die besitzenden Klassen zu retten durch Aufrechterhaltung ihrer ökonomischen Hoheit über die Arbeiterklasse; und schließlich gab es vor, alle Klassen zu vereinigen durch die Wiederbelebung des Trugbilds des nationalen Ruhmes. In Wirklichkeit war es die einzige mögliche Regierungsform zu einer Zeit, wo die Bourgeoisie die Fähigkeit, die Nation zu beherrschen, schon verloren, und wo die Arbeiterklasse diese Fähigkeit noch nicht erworben hatte ... Der Imperialismus ist die prostituierteste und zugleich die schließliche Form jener Staatsmacht, die von der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft ins Leben gerufen war als das Werkzeug ihrer eigenen Befreiung vom Feudalismus und die die vollentwickelte Bourgeoisiegesellschaft verwandelt hatte in ein Werkzeug zur Knechtung der Arbeit durch das Kapital.

Diese Stelle ist von der größten Wichtigkeit, gerade für die Einsicht in das Wesen des Faschismus.

Marx hebt hier am Bonapartismus oder Imperialismus die allgemeinen, die internationalen Züge heraus. Er sieht ab von den spezifisch französischen Zügen und nimmt sie als eine typische Enscheinungsform, als eine typische Form der Staatsmacht der kapitalistischen Gesellschaft in einem bestimmten Stadium ihrer Entwicklung. Sie ist nach ihm die „schließliche“, das heißt letzte Form der bürgerlichen Staatsmacht, die Form, die die Staatsmacht in der vollentwickelten Bourgeoisgesellschaft annimmt, die prostituierteste, das heißt entartetste, verfaulteste Form. Anders ausgedrückt, ist es die Form der Staatsmacht, mit der die bürgerliche Gesellschaft untergeht, ihre letzte Zuflucht vor der proletarischen Revolution und zugleich ihr Verderben, weil ihre äußerste Verderbnis.

Hier stutzt der Leser. Ist nicht augenscheinlich die Marxsche Analyse hier in eine Sackgasse geraten? Der „Bonapartismus“ oder „Imperialismus“ (im alten Sinne) soll die letzte Form der bürgerlichen Staatsmacht sein? Aber, wird er sofort antworten, ist nicht in Frankreich selbst 1870 nach dem Sturz des bonapartistischen Systems im Gefolge von Sedan und nach dem kurzen Zwischenspiel der Kommune die dritte Republik an dessen Stelle getreten? Rein zeitlich also, wird er folgern, ist der Bonapartismus nicht die „schließliche“ oder die letzte Form der bürgerlichen Staatsmacht. In Frankreich ist es jedenfalls die bürgerlich-parlamentarische Republik. Weiter wird er fragen, wenn der Bonapartismus die letzte und verfaulteste Form der bürgerlichen Staatsmacht ist, was ist dann der Faschismus? Weiter wird er fragen, der Bonapartismus soll die Staatsform der „vollentwickelten Bourgeoisherrschaft“ sein? Aber der Kapitalismus befand sich im Frankreich Louis Bonapartes noch im Stadium der freien Konkurrenz. Seitdem hat der Kapitalismus eine neue höhere Stufe erreicht, die des Monopols, darunter auch in Frankreich. Sicherlich kann mit weit mehr Recht der imperialistische Kapitalismus als die „vollentwickeltste“ Bourgeoisherrschaft bezeichnet werden als der vorimperialistische. Aber wo ist da der Bonapartismus? Oder wenn wir gutmütigerweise uns die faschistische Staatsform als ein modernes Äquivalent des Bonapartismus einreden lassen wollen: so ist die faschistische Staatsform nicht herrschend in den kapitalistisch entwickeltsten Ländern, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, in England, in Deutschland, in Frankreich. Hier ist die Staatsform die bürgerlich-parlamentarische Republik, im englischen Fall noch mit der Krone als äußerlicher Dekoration. Die faschistische Staatsform herrscht gerade in Ländern, die in der kapitalistischen Entwicklung sicher nicht an der Spitze stehen. In Italien, das in Hinsicht der kapitalistischen Entwicklung sicher hinter all den genannten Ländern zurücksteht, mit einem höheren Prozentsatz ländlicher Bevölkerung als die genannten Staaten, mit noch starken feudalen Einschlägen in der Landwirtschaft (vor allem in Sizilien). In Polen, in Bulgarien, Ländern mit schwacher Industrie, mit vorwiegend bäuerlicher Bevölkerung, kapitalistisch gesprochen rückständig. Noch mehr gilt das von Spanien.

Dieser Knäuel von Widersprüchen ist jedoch gerade geeignet, uns über die Tiefe und Scharfe der Marxschen Analyse aufzuklaren, den Wesenskern aus ihr herauszuschälen und damit auch den Schlüssel zum Wesen des Faschismus zu finden.

Es ist an Hand der angeführten Tatsachen klar, daß der Bonapartismus als „schließliche“ Staatsform der bürgerlichen Gesellschaft nicht rein äußerlich und zeitlich gemeint sein kann. Daß sie auch nicht eine einfache Funktion des ökonomischen Entwicklungsgrades der bürgerlichen Gesellschaft sei. In diesem Falle hätte man der Marxschen Analyse schon zu ihrer Zeit vorwerfen können, daß ja England im Vergleich zu Frankreich in den Jahren 1850-1870 zweifellos das kapitalistisch weit höher entwickelte Land, und mit weit mehr Recht als das Land der „vollentwickelten Bourgeoisherrschaft“ zu bezeichnen sei. Daraus ergibt sich klar die Lösung.

Das Entscheidende ist die Gesamtheit der Klassenverhältnisse eines gegebenen Landes, einer gegebenen Gesellschaft. Der Bonapartismus, die Verselbständigung der Exekutivgewalt ist die „schließliche“ und zugleich verfaulteste Form der bürgerlichen Staatsmacht in dem Stadium, nachdem diese bürgerliche Gesellschaft am stärksten bedroht gewesen ist durch den Ansturm der proletarischen Revolution, und nachdem die Bourgeoisie ihre Kraft erschöpft hat in der Abwehr dieses Ansturmes wenn alle Klassen erschöpft und entkraftet am Boden liegen und die Bourgeoisie nach der stärksten Verschanzung für ihre soziale Herrschaft ausschaut. Der Bonapartismus ist also eine Form der bürgerlichen Staatsmacht im Zustand der Verteidigung, der Verschanzung, der Neubefestigung gegenüber der proletarischen Revolution. Er ist eine Form der offenen Diktatur des Kapitals. Seine andere Form, aber nahe verwandte Form, ist die faschistische Staatsform. Der gemeinsame Nenner ist die offene Diktatur des Kapitals. Ihre Erscheinungsform ist die Verselbständigung der Exekutivgewalt, der Vernichtung der politischen Herrschaft der Bourgeoisie und die politische Unterwerfung aller übrigen Gesellschaftsklassen unter die Exekutive. Ihr sozialer oder klassenmäßiger Inhalt aber ist die Herrschaft der Bourgeoisie und der Privateigentümer überhaupt über die Arbeiterklasse und alle anderen kapitalistisch ausgebeuteten Schichten.

Der Bonapartismus ist die „schließliche“ Form der bürgerlichen Staatsmacht insofern er eine Form der offenen kapitalistischen Diktatur ist und insofern die offene kapitalistische Diktatur eintritt, wenn die bürgerliche Gesellschaft, eben am Rande des Grabes angelangt, tödlich bedroht war von der proletarischen Revolution. Dasselbe ist im Wesen der Faschismus: eine Form der offenen kapitalistischen Diktatur.

Hier ist die wichtigste anzubringende Korrektur. Sie besteht nur in einem kleinen Wörtchen. Statt zu sagen, der Faschismus ist die offene Diktatur der Bourgeoisie, ist zu setzen: er ist eine Form.

Das Z.K. der Kommunistischen Partei Italiens gibt in seinen Thesen zur zweiten Parteikonferenz über die italienische Lage und die Aufgaben der Partei folgende Begriffsbestimmung des Faschismus:

Was ist der Faschismus? Wir haben den Faschismus definiert als den Versuch der Stabilisierung des italienischen Kapitalismus, das heißt des Kapitalismus eines Landes mit vorwiegender Landwirtschaft, versehen mit Rohstoffen und Auslandsmärkten und einem großen Innenmarkt ... Die Formen der kapitalistischen Stabilisierung sind verschieden von Land zu Land und entsprechend der wirtschaftlichen Struktur der verschiedenen Länder und dem Grade ihres Reichtums ... Der Faschismus stellt nicht eine fortschrittliche Stufe des italienischen Kapitalismus vor. Er hat nur neue Formen der industriellen Organisation (Truste usw.) und der Bankorganisation (Vereinheitlichung der Emissionsbanken) entwickelt, aber diese neuen Formen bleiben im Dienste der traditionellen politischen Ökonomie der herrschenden Klassen Italiens, sie sind ferner ein Mittel, mit dem diese Politik unter neuen Bedingungen fortgesetzt und erschwert wird.

Der Kapitalismus stellt daher eine höhere kapitalistische Form der Staatsorganisation vor, einen Typus der Organisation, durch den der Staat sich enger verschmilzt mit den leitenden Gruppen des Kapitalismus und sich in den Produktionsprozeß einmischt, nachdem er die Kräfte konzentriert und zusammengeballt hat. (Lo stato operaio, März 1928.)

Der Mangel dieser Begriffsbestimmung ist, daß über dem sozialen Inhalt nicht die besondere politische Form des Faschismus, sein Charakter als besondere Form der bürgerlichen Staatsmacht, zur Geltung kommt. Die Stabilisierung des Kapitalismus in Deutschland und in Italien hat wesentlich denselben ökonomischen und sozialen Inhalt; dagegen sind die Formen der Staatsmacht, unter denen die eine und die andere sich vollzieht, verschieden. Die Form der Staatsmacht ist also bei der Begriffsbestimmung des Faschismus die spezifische Differenz, das Artmerkmal.

Dasselbe gilt für den Bonapartismus. Die Korrektur ist formell unscheinbar, inhaltlich aber weittragend.

Verwenden wir zunächst diese Lösung für die Vergangenheit. Daß der Faschismus eine Spezies, eine Art der „schließlichen Form der bürgerlichen Staatsmacht“ sei, das beweist die Kommune. Dem Zusammenbruch des Bonapartismus folgte die proletarische Revolution. Sie wurde nach kurzer Dauer niedergeworfen, das französische Proletariat vermochte zwar jetzt für einige Monate seine Herrschaft aufzurichten, aber noch nicht sich zu halten. Aber der Bonapartismus war dann auch nicht mehr wiederherzustellen. Die katastrophale Niederlage des Bonapartismus nach außen, gegen Deutschland, hatte die napoleonische Legende bis auf den Grund zerstört. Dazu kam die Wirkung der Korruption des Systems. Seine inneren Widersprüche hatten sich so ausgewirkt, vor allem in bezug auf die Bourgeoisie. Die materielle Stärkung, die der Bonapartismus hatte fördern müssen, während er die politische Macht verweigert, hatte ihrerseits zu ihrer politischen Stärkung geführt. Sie wollte und konnte jetzt, nachdem sie der Kommune Herr geworden, auch politisch unmittelbar herrschen. Ebenso war die Bauernschaft politisch erstarkt. Sie wollte mitregieren. Louis Bonaparte hatte ihr den Krieg gebracht, sie wollte den Frieden. Die Arbeiterklasse aber hatte eben im Kommuneaufstand ihre gegenüber 1848 gewachsene Kraft und Reife bewiesen. Es war der Bourgeoisie klar, daß sie nach dem alljährigen Versuch des bonapartistischen Regimes, nicht mehr offen diktatorisch niederzuhalten war. Man konnte ihr jetzt, nachdem sie niedergeschlagen war, den bürgerlich demokratischen Schein geben. Und schließlich machte der französischen Bourgeoisie die Niederlage, die sie mit der bonapartistischen Armee der „Ersatzleute“, der Berufssoldaten, erlitt, klar, daß das Heer auf eine andere organisatorische Grundlage gestellt werden müsse, so wirkliche Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht, Verkürzung der Dienstzeit, um nicht nur das dörfliche Lumpenproletariat, sondern die ganze wehrpflichtige Volksmasse hereinzuziehen. Aber ohne bonapartistische Armee kein Bonapartismus als Form der Staatsmacht.

Das Ergebnis war die bürgerlich-parlamentarische Republik, die Staatsform der materiell und politisch gestärkten Bourgeoisie und zugleich der gestärkten Arbeiterklasse.

Die Hauptbasis Louis Bonapartes in der Bourgeoisie war nicht die alte Bank- und Finanzaristokratie (die unter dem Bürgerkönig Louis Philip geherrscht hatte), sondern die junge, emporstrebende, noch schwache und traditionslose industrielle Bourgeoisie, ohne politische Schulung und feste Parteibildung. Sie war noch nicht in der Lage, selbst zu regieren. Louis Bonaparte, der Emporkömmling und Abenteurer, war der dieser Emporkömmlingsbourgeoisie angemessene Schutzherr. Der militärische Zusammenbruch Louis Bonapartes zusammen mit ihrer materiellen Stärkung während der Periode 1850-1870 schufen die Voraussetzungen fiir ihre politische Selbstandigkeit in der dritten Republik. Die militärischen Prügel, mit denen die Herrschaft Louis Bonapartes endete, waren eine drastische politische Schule für sie. (Auch an der deutschen Bourgeoisie zeigt es sich, welchen politischen Erziehungswert militärische Niederlagen besitzen. Hatten die Schläge, die das bismarckische Deutschland 1870/71 Louis Bonaparte versetzte, den Bonapartismus eriedigt, so revanchierte sich dafür Frankreich im Weltkrieg, indem es durch die Niederlage, die es im Bunde mit den Alliierten dem hohenzollernschen Deutschland beibrachte, das hohenzollern-bismarckische Regime stürzte und die preußisch-deutsche Großbourgeoisie direkt in den Sattel setzte. Nicht nur geschlagene Feldherren, auch geschlagene Klassen lernen gut.)

Formen der offenen Diktatur der Bourgeoisie sind also dem Wesen nach keine einmaligen Erscheinungen: sie sind an ein bestimmtes Gesamtverhältnis der Klassen gebunden und sie kehren periodisch wieder, sobald dies Verhältnis wiederkehrt – solange nicht der Zusammenbruch der oder jener Form dieser kapitalistischen Diktatur die Herrschaft der Arbeiterklasse dauernd macht, wodurch dieser Zyklus, wenigstens für das betreffende Land, abgeschlossen wird.

Aus dem Gesagten ergibt sich auch, warum nicht in England nach 1848/49 die offene Diktatur der Bourgeoisie eintrat. Sie war dafür zu stark, sozial und politisch. Der Chartistenaufmarsch 1848 war nur eine unbedeutende Episode, der die Ohnmacht der englischen Arbeiterklasse bewies, ernsthaft die bürgerliche Gesellschaft zu erschüttern. Daher auch, um auf die Gegenwart zu kommen, in Deutschland 1923 kein Sieg des Faschismus, der bei der ersten Probe kläglich in sich zusammensank, sondern der großen Bourgeoisie, Befestigung ihrer direkten politischen Herrschaft in Gestalt der bürgerlich-parlamentarischen Republik. Daher auch heute keine faschistische Form der Staatsmacht in Amerika, in England, in Frankreich.

IV

Kommen wir nun zur heutigen Form der offenen Diktatur der Bourgeoisie in Italien, dem faschistischen Staat. Unverkennbar sind wesentliche Züge gemeinsam mit der bonapartistischen Form der Diktatur: wieder die „Verselbständigung der Exekutivgewalt“, die politische Unterwerfung aller Massen, einschließlich der Bourgeoisie selbst, unter die faschistische Staatsmacht bei sozialer Herrschaft der Großbourgeoisie und der Großgrundbesitzer. Gleichzeitig will der Faschismus, wie der Bonapartismus, der allgemeine Wohltäter aller Klassen sein: daher ständige Ausspielung einer Klasse gegen die andere, standige Bewegung in Widersprüchen im Innern. Der Herrschaftsapparat trägt ebenfalls dieselben Züge. Die faschistische Partei ist ein Gegenstück zu der „Dezemberbande“ Louis Bonapartes. Ihr sozialer Bestand: Deklassierte aller Klassen, des Adels, der Bourgeoisie, des städtischen Kleinbürgertums, der Bauernschaft, der Arbeiterschaft. Was die Arbeiterklasse anlangt, so hängen hierbei zwei entgegengesetzte Pole der Deklassierung zusammen: unten das Lumpenproletariat, „oben“ Teile der Arbeiteraristokratie und -bürokratie, der reformistischen Gewerkschaften und Parteien. Die Verwandtschaft trifft auch zu auf die bewaffnete Macht. Die faschistische Miliz ist sozial das Gegenstück zur bonapartistischen Armee. Wie sie, ist sie Existenzquelle für deklassierte Elemente. Daneben besteht in Italien die Armee der allgemeinen Wehrpflicht. Sie findet kein Gegenstück in Frankreich. Der Existenz neben der faschistischen Miliz entspricht das Bedürfnis der Organisation der Wehrmacht unter imperialistischen Verhältnissen, das eine bloße Berufs- oder Söldnerarmee allein als ungenügend erscheinen läßt und Massenheere mit breitester Ausdehnung der Wehrpflicht fordert.

Ebenso findet sich Übereinstimmung in der Situation des Klassenkampfes, aus der hier die bonapartistische, dort die faschistische Form der Staatsmacht hervorging. Im Falle des italienischen Faschismus, wie in dem des Bonapartismus, ein gescheiterter Ansturm des Proletariats, darauffolgende Enttauschung in der Arbeiterklasse, die Bourgeoisie erschöpft, zerfahren, energielos nach einem Retter ausschauend, der ihre soziale Macht befestigt. Übereinstimmung auch in der Ideologie: als Hauptmittel die „nationale“ Idee, der Scheinkampf gegen parlamentarische und bürokratische Korruption, Theaterdonner gegen das Kapital usw. Verwandte Züge schließlich bei den „Helden“ des Staatsstreiches.

Friedrich Engels hebt folgende Züge an dem Helden des Staatsstreiches hervor, die ihn zu seiner Rolle befähigen:

„In allen Wassern gewaschen“, karbonaristischer Verschwörer in Italien, Artillerieoffizier in der Schweiz, verschuldeter vornehmer Lumpacivagabundus und Spezialkonstabler in England, aber stets und überall Prätendent.

Die Bourgeoisie, sagt er weiter, erblickt in ihm den ersten „großen Staatsmann“, Fleisch von ihrem Fleische – er ist wie sie Emporkömmling. Auch Mussolini ist Emporkömmling, Maurersohn. Den veränderten Zeiten entsprechend ist jetzt der Emporkömmling aus der Arbeiterklasse geeigneter als der aus dem Kleinadel, wie dies bei Bonaparte der Fall war. Der Betätigung Louis Bonapartes bei den italienischen Karbonari entspricht die Mussolinis bei der italienischen Sozialdemokratie. Überhaupt ist in neuerer Zeit der Durchgang durch die Sozialdemokratie obligatorisch für die „großen Staatsmänner“ und Gesellschaftsretter der Bourgeoisie. In allerneuester Zeit auch der Durchgang durch den Kommunismus: siehe China. Bei Mussolini wie bei Louis Bonaparte lange Jahre der Emigration, des Elends. Sie schärfen in bestimmten Naturen den Hunger nach Macht und nach Reichtum, den Blick für Menschen, härten den Willen und schaffen die nötige Geschmeidigkeit. Das gibt unter bestimmten objektiven und subjektiven Voraussetzungen stahlharte und erfahrene Revolutionäre, unter anderem den „in allen Wassern gewaschenen“ zynischen konterrevolutionären Staatsstreichler.

Die inneren Widersprüche zwischen der materiellen und sozialen Stärkung der Bourgeoisie, bei ihrer politischen Niederhaltung. Der Schein der Beschützung der materiellen Interessen des Proletariats bei ihrer wirklichen Auslieferung an das Kapital. Der faschistische Staat als „Vermittler“ zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse, der sich als solcher ständig in praktischen Widersprüchen bewegen muß. Dasselbe in bezug auf die Bauern und Kleinbürger. Faschismus und Bonapartismus haben der bürgerlichen Gesellschaft „Ruhe und Sicherheit“ versprochen. Aber um ihre Unentbehrlichkeit als permanente „Retter der Gesellschaft“ zu erweisen, müssen sie die Gesellschaft ständig als bedroht erscheinen lassen: also beständige Unruhe und Unsicherheit. Die materiellen Interessen der Bourgeoisie wie der Bauernschaft erfordern sparsame Staatswirtschaft, ein „Regime der Ökonomie“. Das materielle Interesse der Parasitenbande, die die faschistische Parteiorganisation, die faschistischen Staats- und Gemeindebeamten, die faschistische Miliz zusammensetzen, erfordern umgekehrt die ständige Erweiterung und Bereicherung der faschistischen Staats- und Parteimaschine. Daher abwechselnde Verletzung beider Interessen. Jede Zügelung der faschistischen Bande im Interesse der bürgerlichen „Ruhe und Ordnung“ wie ihrer Ökonomie muß alsbald kompensiert werden durch eine neue Erlaubnis zu terroristischen Exzessen, Plünderungen usw.

Die inneren Widersprüche, wie die national-imperialistische Ideologie, treiben den Diktator zu Vorstößen nach außen. Schließlich zum Krieg. Aber hier stößt das italienische Gegenstück zum Louis Bonaparte nicht nur auf den alten Widerspruch, daß das militärische Herrschaftsinstrument im Innern, in diesem Falle die nationale Miliz, durch die innere Funktion wie ihre soziale Zusammensetzung untauglich gemacht wird als imperialistisches Eroberungswerkzeug gegen Staaten, die noch nicht genötigt waren, die „prostituierteste“ aller Formen der bürgerlichen Staatsmacht sich anzulegen, sondern auch auf den weiteren Widerspruch zwischen der privilegierten faschistischen Truppe und der regulären Armee.

Welche wesentlichen Unterschiede bestehen zwischen Bonapartismus und Faschismus?

Sie sind teils lokal bedingt – durch die lokale Verschiedenheit der Klassenverhältnisse, geschichtlichen Traditionen usw. In Frankreich und Italien wurzeln sie teils in der Veränderung des allgemeinen Charakters der bürgerlichen Gesellschaft und des kapitalistischen Systems.

Durch die lokale geschichtliche Tradition bedingt ist natürlich, daß der Diktator in Frankreich auf Grund der napoleonischen Legende und der Rolle, die sie bei der Bauernschaft spielt, als „Kaiser“ auftritt; in Italien muß er sich mit der Rolle des „Duce“ begnügen und neben sich die Krone bestehen lassen. Statt der napoleonischen Maskerade die altrömische, sullanische und caesarianische, die aber künstlicher ist als jene. Diese Unterschiede sind aber unwesentlich.

Wichtiger sind aber die Unterschiede, die der Veränderung des allgemeinen Charakters des Kapitalismus entspringen. Der dritte Napoleon operierte noch im Zeitalter des Kapitalismus der freien Konkurrenz und der unvollendeten bürgerlichen Revolution in Italien, in Deutschland. Der revolutionäre Rechtstitel, der für gewisse Zeit auf der Seite Napoleons I. gewesen war, und den er auszubeuten sucht, arbeitet jetzt wider ihn. Im italienischen Krieg zieht er die italienische Befreiungsbewegung an, um sie alsbald von sich abzustoßen, indem er im Interesse seiner dynastischen Eroberungen sie nach kurzem Anlauf im Stiche läßt. Im deutsch-französischen Kriege stößt er unmittelbar mit dem revolutionären Interesse Deutschlands nach nationaler Einigung zusammen und zerschellt daran. Der dynastische Eroberungskrieg, den er, getrieben von der napoleonischen Legende und von den inneren Widersprüchen des Systems, führen muß, ist zeitwidrig: zu spät, da er kein revolutionäres Prinzip mehr vertritt, zu früh, da er das imperialistische Prinzip im modernen Sinne, mangels der geeigneten ökonomischen Basis, noch nicht vertreten kann. Mussolinis Außenpolitik dagegen ist von vornherein imperialistisch im modernen Sinne des Wortes begründet und gerichtet. Sie ist so „zeitgemäß“, wenn auch antik maskiert, aber von vornherein und often reaktionär. Sie muß zerschellen an dem Widerspruch einerseits zwischen den überspannten Zielen, die sie sich steckt, und den geringen Mitteln zu ihrer Ausführung, andererseits an dem Widerspruch zwischen dem Zuschnitt und der sozialen Struktur einer militärischen Organisation, entsprechend dem Bedürfnis, alle Klassen der Gesellschaft niederzureißen und auf ihre Kosten zu leben, und mit den abweichenden Bedürfnissen imperialistischer Kriegführung.

Ein weiterer Unterschied, der durch die allgemeine Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und den Stand des internationalen Klassenkampfes bedingt ist, zeigt sich in den organisatorischen Grundlagen und Mitteln der faschistischen Staatsmacht. Die „Dezemberbande“ von Louis Napoleon war das Gegenstück zu der kleinen revolutionären Geheimorganisation der damaligen französischen Arbeiterklasse. Die faschistische Partei ist das konterrevolutionäre Gegenstück zur Kommunistischen Partei Sowjetrußlands. Sie ist also, im Unterschied von der Louis Napoleons, von vornherein eine breite Massenorganisation. Das macht sie in gewissen Stadien stärker, aber steigert auch die Widersprüche in ihrem Innern, die Widersprüche zwischen den sozialen Interessen dieser Massen und dem Interesse der herrschenden Klassen, denen sie dienstbar gemacht wird.

Behandeln wir noch kurz den Faschismus in Polen. Die Grundlage für die faschistische Diktatur Pilsudskis ist hier ebenfalls ein abgeschlagener revolutionärer Ansturm von seiten des Proletariats (der russisch-polnische Krieg von 1920), andererseits die Schwäche, Energielosigkeit und Zerrissenheit der einheimischen Bourgeosie, die es nicht zu einem einheitlichen Auftreten, nicht einmal für die Stabilisierung, zu bringen vermag. Das konterrevolutionäre Interesse der Bourgeoisie und der Großgrundbesitzer ist die soziale Grundlage der faschistischen Staatsmacht in Polen; der Faschismus verstand es leicht, sich die Enttäuschung der Bauernmasse über die bisherige Sabotage der Agrarreform zunutze zu machen, obwohl seine Politik ausgesprochen den Interessen der Großgrundbesitzer und der bäuerlichen Oberschicht dient. Der „Held“ des Staatsstreichs stützt sich ideologisch auf die Tradition des national-revolutionären Befreiungskampfes, organisatorisch auf die Legionäre, auf ihre Enttäuschung über das Resultat des nationalen Befreiungskampfes – die bürgerliche Fäulnis –, und auf ihr ökonomisches Bedürfnis nach einem Erwerb, das auf dem Felde der Produktion nicht befriedigt werden kann. Also auch Deklassierte aller Klassen als Material des faschistischen Heeres. Die parteimäßige Organisation wird gestellt von Überläufern aus allen Parteien, die von Adjutanten des Marschalls, früheren Terroristen und Legionären geführt werden.

In Polen aber spielt bereits ein Faktor hinein, der in Spanien und in einer Reihe anderer Länder ausschlaggebend ist, und dort die „faschistische Staatsmacht“ nur äußerlich dem italienischen Faschismus und dem französischen Bonapartismus an die Seite stellt, während das klassenmäßige Wesen grundverschieden ist.

Ich wähle zur Illustration die extremen Fälle des Regimes, der Formen der Staatsmacht in sudamerikanischen Republiken. Auch hier ist das Heer Träger der politischen Macht, die Exekutive „verselbständigt“. Gewöhnliche politische Kursänderungen vollziehen sich in Militärputschen, die, obwohl äußerlich gewaltsam, keineswegs revolutionär sind, da sie an dem bestehenden Machtverhältnis der Klassen grundsätzlich nichts ändern.

Hier ist die Militärdiktatur, die Verselbständigung der Exekutive, nicht Wirkung der „vollentwickelten bürgerlichen Gesellschaft“, ihrer Oberreife, ihrer Betonung durch die proletarische Revolution und der Notwendigkeit für die bürgerliche Gesellschaft, sich dagegen schließlich zu verschanzen, sondern gerade umgekehrt. Es ist hier die Unreife der bürgerlichen Entwicklung, die zahlenmäßige und organisatorische Schwäche der Bourgeoisie, der noch feudale Grundbesitzelemente gegenüberstehen, die es noch nicht zu einer starken politischen Organisation der Bourgeoisie kommen läßt. Das Heer, vielmehr sein Offizierkorps, ist hier die festeste und entwickeltste politische Organisation. Es übt die Herrschaft aus an Stelle der Bourgeoisie, die sie noch nicht ausüben kann. Im Fall des Bonapartismus und des italienischen Faschismus konnte sie sie in der gegebenen Situation des Klassenkampfes nicht mehr ausüben.

Unter demselben äußeren Anstrich des Faschismus (wie in Spanien) verbergen sich also total verschiedene Klassenverhältnisse, Stufen des Klassenkampfes, Entwicklungsstufen der bürgerlichen Gesellschaft.

Ohne die konkrete Klassenanalyse gerät man also hier theoretisch wie praktisch in die größten Irrtümer.

Von unseren italienischen Genossen ist, wenn ich richtig unterrichtet bin, die Frage aufgeworfen worden, ob der faschistischen Form der Staatsmacht unmittelbar die proletarische Diktatur folgen müsse oder ob sie noch durch die eine oder andere Form der bürgerlichen Staatsmacht, etwa die bürgerlich-demokratisch-parlamentarische Republik, abgelöst werden könne. Die Antwort darauf ist bereits durch Lenin auf dem II. Kongreß der Kommunistischen Internationale gegeben worden. Auf die Frage, ob die Krise des Kapitalismus nach Kriegsende unvermeidlich zur sozialistischen Revolution führen müßte, antwortet Lenin bekanntlich, die Antwort darauf sei nicht theoretisch zu geben. Das sei nur Wortmacherei, Scholastik. Die Antwort darauf könne nur der wirkliche Kampf geben. Die Aufgabe der kommunistischen Parteien bestehe darin, ihn möglichst gut vorzubereiten. Dieselbe Antwort gibt das Ende des Bonapartismus. Die eine oder die andere Form der offenen Diktatur des Kapitals in vollentwickelter bürgerlicher Gesellschaft wird dann die „schließliche“ oder letzte Form bürgerlicher Staatsmacht sein, wenn die Arbeiterklasse des Landes als Führer in der übrigen werktätigen Klasse Stark genug ist, die Krise dieses Regimes zur dauernden Aufrichtung der proletarischen Diktatur zu benutzen. Das entscheidet der Kampf. Und diesen entscheidet der objektive wie der subjektive Faktor zusammen: die tatsächliche Kraft und Reife der Arbeiterklasse, ihr Verhältnis zu den anderen Klassen der Werktätigen, die Situation des internationalen Klassenkampfes und nicht zuletzt die Stärke, Reife und Kampffähigkeit der Kommunistischen Partei der betreffenden Länder.

Eine andere Frage ist, ob auf den Sturz des Faschismus in Italien unmittelbar, ohne Zwischenglied, die Aufrichtung der proletarischen Diktatur folgen kann. In Frankreich folgte bekanntlich auf den Sturz des Bonapartismus am 4. September 1870 als Zwischenglied die Republik mit Thiers, Favre & Co., den Legitimisten und Orleanisten, der Bourgeoisie und den Junkern an der Spitze. Erst nachdem sie sich abgewirtschaftet hatten, folgte am 18. Marz 1871 die Kommune. Die bürgerlich-republikanische Zwischenperiode, in der die bürgerlich-demokratischen Elemente einstweilen zur Macht gelangen, ist aus allgemeinen Gründen auch möglich in Italien, ja wahrscheinlich. Sie mag Monate, Wochen, ja nur Tage dauern. Sie mag Formen einer Doppelregierung oder andere eigenartige Formen annehmen. Aber der geschichtlichten Erfahrung und den italienischen Klassenverhältnissen entsprechend wird es eines gewissen Zeitabschnittes und einer gewissen Massenerfahrung bedürfen, um bei der Masse der Kleinbürger, Bauern und auch bei Teilen der Arbeiterschaft die kleinbürgerlich-demokratischen Illusionen und Hoffnungen zu zerstören. Es steht nicht im Belieben der Kommunistischen Partei, ob ein solches Zwischenstück eintritt oder übersprüngen wird. Aber es hängt jedenfalls in hohem Maße von ihr ab, wie stark die Machtpositionen sind, die die Arbeiterklasse im Augenblick des Sturzes des Faschismus einnimmt und wie schnell sie das Zwischenstadium erledigt.

Eine weitere Folgerung, die wir aus den bisherigen Ergebnissen ziehen, ist die, daß die offene Diktatur des Kapitals in anderen Ländern, wie in Polen, Italien, Bulgarien, andere Formen annehmen kann und wahrscheinlich wird als in diesen Ländern. Gewisse Züge werden dieselben sein, andere verschieden. Sie theoretisch von vornherein zu konstruieren ist unmöglich. Die Formen offener Diktatur der Bourgeoisie sind aber nicht wirklich, nicht in beliebigen Situationen des Klassenkampfes und bei beliebiger Struktur der Klassenverhältnisse möglich. Sie sind an ganz bestimmte Klassenverhältnisse und Situationen des Klassenkampfes gebunden, die oben angegeben worden sind.

Ziemlich allgemein ist heute in der Bourgeoisie vollentwickelter kapitalistischer Länder das Bestreben, das parlamentarische System abzubauen, einzuengen, stärkere politische Garantien für die Bourgeoisherrschaft zu schaffen. Solche Strömungen sind vor allem sichtbar in solchen hochkapitalistischen Ländern wie England, Deutschland, Frankreich, die durch das Ergebnis des Krieges mehr oder weniger sozial und ökonomisch erschüttert worden sind. Das bewegt sich in der Richtung des Faschismus, es kann in kritischen Situationen zu Formen offener Diktatur des Kapitals ruhren. Aber diese müssen nicht identisch sein mit denen des Faschismus.

Dabei ist noch folgendes sich klarzumachen. Die Aushöhlung des bürgerlich-parlamentarischen Regimes erfolgt schrittweise. Und die Bourgeoisie selbst ist dabei der Hauptagent. Marx’ 18. Brumaire schildert gerade diesen Aushölungsprozeß in seinen einzelnen Etappen. Die Herstellung der offenen Diktatur selbst kann aber nur durch einen Sprung, einen Putsch oder einen Staatsstreich erfolgen, bei dem die Bourgeoisie selber das passive Element ist. Ihre Sache ist es, die Bedingungen zu scharfen, damit sie sozial „gerettet“ und politisch vergewaltigt werden kann. Das Vergewaltigen selber aber besorgt der Held des Staatsstreiches oder Putsches. Das Individuum oder die Organisation findet sich dazu immer, wenn ein Bedürfnis dazu da ist. Die entsprechenden Organisationen fördert die Bourgeoisie selber aktiv oder passiv.

Das Noskeregiment in Deutschland war zweifellos ein Regiment offener konterrevolutionärer Gewalt. Aber die Form der Staatsmacht war nicht die faschistische. Das Noskeexperiment war keine „Verselbständigung der Exekutive“. Es führte, da es eine Säbelherrschaft herstellte, dazu, daß ein Versuch in dieser Richtung errolgte. Dieser Versuch der militärischen Exekutivgewalt, der Kapp-Putsch, schlug aber fehl.


Zuletzt aktualisiert am 18.7.2008