Otto Bauer

Die internationalen Ursachen der Teuerung

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Die Organisation der Produzenten


Die Wirkungen der Planlosigkeit in den kapitalistischen Produktionszweigen treffen auch die Unternehmer. Wenn die Rohstoffpreise steigen, hat jeder Unternehmer den Wunsch, den Preis seiner Ware zu erhöhen, um die neue Last auf die Verbraucher abzuwälzen. Er kann aber den Preis nicht erhöhen, wenn er fürchten muß, daß seine Konkurrenten ihn unterbieten. Wenn die Krise hereinbricht, wird der Konkurrenzkampf leidenschaftlich geführt; jeder Unternehmer setzt den Preis herab, um dem Konkurrenten die Kundschaft zu rauben. Der erbitterte Konkurrenzkampf senkt die Gewinne aller Unternehmer. Solche Erfahrungen wecken in den Unternehmern den Wunsch, die Konkurrenz auszuschalten, sich gegen die Kundschaft zu vereinigen, die Preise gemeinsam festzusetzen.

Dieser Wunsch führt zunächst zur Abschließung von Preisverabredungen. Die Unternehmer vereinbaren den Preis, zu dem sie ihre Ware verkaufen wollen, so daß keiner mehr befürchten muß, von seinen Konkurrenten unterboten zu werden. In Zeiten guten Geschäftsganges kommen solche Preiskonventionen in fast allen Industriezweigen vor. Auch dem Kleingewerbe sind sie längst nicht mehr fremd; zuweilen übernehmen die Gewerbegenossenschaften die Funktion solcher primitiver Kartelle. Auch die Landwirte vereinigen sich bereits zu solchen Preiskonventionen; das beweisen die Milchkartelle, die in jüngster Zeit vielen Städten den Milchpreis diktieren, und die Kartelle der Spiritusbrenner. [10]

Die Verteuerung vieler Waren wird durch solche Preiskartelle bewirkt. Doch darf ihre Bedeutung nicht überschätzt werden. In der Regel gelingt es ihnen nur dann, die Preise zu erhöhen, wenn die Lage des Marktes ihnen günstig ist. So beruhen die Erfolge der vielen lokalen Milchkartelle hauptsächlich darauf, daß die Entwicklung der Milchwirtschaft hinter dem angewachsenen Milchbedarf zurückgeblieben ist. Desgleichen können die vielen Preiskartelle der Industriellen und der Gewerbetreibenden in der Regel nur in Zeiten günstigen Geschäftsganges die Herrschaft auf dem Markte behaupten. Derartige Preiskonventionen führen die Teuerung also in der Regel nicht herbei; sie können sie nur beschleunigen und verschärfen. In Zeiten der Krise aber brechen solche Preiskonventionen oft wieder zusammen. Sie werden durch das Bedürfnis der einzelnen Unternehmer, sich durch herabgesetzte Preise größeren Absatz zu sichern, gesprengt. Der Konkurrenzkampf bricht von neuem aus. Die Preise beginnen wieder zu sinken.

Darum bleibt die Entwicklung bei solchen primitiven Preiskonventionen nicht stehen. Die Unternehmer streben nach dauerhafteren Gebilden, nach festgefügten Kartellen. Sie schaffen sich Kartellbüros, die den Verkauf der Ware besorgen, so daß die Kundschaft sich nicht mehr an den einzelnen Unternehmer, sondern nur an das Verkaufsbüro des Kartells wenden kann. Das Kartellbüro verteilt dann die Bestellungen auf die einzelnen Unternehmer. Es regelt den Umfang der Produktion, um Überproduktion zu verhindern.

Hand in Hand mit der festeren Organisation der Kartelle geht oft auch die Verschmelzung und Verflechtung der einzelnen Unternehmungen miteinander. Mehrere kleinere Unternehmungen werden zu einem größeren verschmolzen. Mehrere selbständige Unternehmungen werden miteinander dadurch eng verflochten, daß dieselbe Bank von ihnen allen einen großen Teil der Anteilscheine (Aktien) erwirbt oder sie alle als mächtiger Hauptgläubiger beherrscht. So bereitet sich die vollständige Aufsaugung der kartellierten Unternehmungen durch ein einziges Riesenunternehmen, einen Trust, vor.

Solche festgefügte Kartelle und Trusts beherrschen den Warenmarkt natürlich viel mächtiger als lockere Preiskonventionen. Die machtvolle Entwicklung der Kartelle und Trusts in den letzten beiden Jahrzehnten ist eine der wichtigsten Ursachen der Teuerung.

Ein Beispiel dieser Entwicklung bietet uns die Geschichte der österreichischen Eisenindustrie.

Die Anfänge der Kartellbewegung in der österreichischen Eisenindustrie fielen bereits in die siebziger Jahre. Im Jahre 1878 wurde das Kartell der Schienenwalzwerke gegründet, dem bald Kartellvereinbarungen über andere Eisenwaren folgten. Doch waren das ganz lockere Verbände, ohne jede Bürgschaft der Dauer, mit geringem Einfluß auf ihre Mitglieder und geringer Macht auf dem Markt. Erst als viele kleinere und bis dahin selbständige Unternehmungen in der Eisenindustrie von wenigen einheitlich geleiteten Riesenunternehmungen aufgesogen worden waren, wurde das mächtige Eisenkartell möglich.

Im Jahre 1881 wurde die Alpine Montangesellschaft gegründet, welche sofort die Betriebe von neun Privatunternehmungen, Aktiengesellschaften und Gewerkschaften in sich vereinigte und später noch die Betriebe von zwei weiteren Unternehmungen erwarb. Alle diese Betriebe gehörten nun einer Aktiengesellschaft, standen unter einheitlicher Leitung. Waren früher in jedem dieser Betriebe Waren verschiedener Art erzeugt worden, so wurde nun unter ihnen eine Arbeitsteilung durchgeführt; so wurde die ganze Federnfabrikation in Eibiswald, die Werkzeugstahlfabrikation in Kapfenberg, die Schienenerzeugung in Zeltweg konzentriert. Nachdem im Jahre 1897 die Aktien in neue Hände gekommen waren und eine neue Verwaltung eingesetzt worden war, wurde eine weitere Betriebskonzentration durchgeführt. Die großen und leistungsfähigen Betriebe wurden erweitert, die kleinen und weniger leistungsfähigen aufgelassen; so wurde 1897 bis 1904 die Zahl der Hochöfen von dreiundzwanzig auf sechs, der Siemens-Martin-Stahlwerke von vier auf zwei, der Puddelhütten von sechs auf zwei, der Walzhütten von neun auf vier reduziert. Die Gesellschaft besitzt heute Kohlen- und Eisenerzbergwerke, Hochöfen, Martin- und Bessemerhütten, Tiegelgußstahlöfen und Raffinierwerke verschiedener Art.

Neben dieser großen Fusion (Verschmelzung) in der alpenländischen Eisenindustrie vollzog sich ein noch wichtigerer Konzentra-titonsprozeß in Böhmen. Im Jahre 1880 wurde die Böhmische Montangesellschaft gegründet, welche die Montanwerke des Fürsten Fürstenberg erwarb. Infolge der Krise geriet sie in Schwierigkeiten, und ihre Aktien wurden von Karl Wittgenstein und dessen Freunden erworben; Wittgenstein war damals bereits der Leiter des Teplitzer Walzwerkes. Im Jahre 1886 wurde nun die Prager Eisenindustriegesellschaft mit dem Teplitzer Walzwerk vereinigt; Wittgenstein übernahm die Leitung der vereinigten Werke. So standen bereits die drei großen böhmischen Eisenwerke – die Prager Eisenindustriegesellschaft, das Teplitzer Walzwerk und die Böhmische Montangesellschaft – unter einheitlicher Leitung. Auch hier wurde eine Betriebskonzentration durchgeführt. Der Betrieb der Hermannshütte wurde 1886 reduziert, 1903 aufgelassen, das Teplitzer Walzwerk wurde 1908 eingestellt. So wurde die Erzeugung in Kladno konzentriert. Im Jahre 1904 wurde schließlich durch Aktienumtausch die vollständige Verschmelzung der Prager Eisenindustriegesellschaft mit der Böhmischen Montangesellschaft vollzogen, im Jahre 1909 auch der formelle Ankauf der Werke der Böhmischen Montangesellschaft durch die Prager Eisenindustriegesellschaft.

Dieser Konzentrationsprozeß ist die Grundlage des Eisenkartells. In seiner festen und dauernden Gestalt ist es im Jahre 1886 entstanden, nachdem die Vereinigung der Prager Eisenindustriegesellschaft mit dem Teplitzer Walzwerk und der Böhmischen Montangesellschaft unter der Leitung Wittgensteins vollzogen war. Seine feste Fügung verdankt es der immer engeren Verknüpfung der einzelnen Aktiengesellschaften, aus denen es besteht. Diese Aktiengesellschaften sind nicht mehr unabhängig voneinander. So hat die Prager Eisenindustriegesellschaft 46.000 Aktien der Alpinen Montangesellschaft erworben, mehr als ein Achtel ihres Aktienkapitals; außerdem gehören auch den einzelnen Großaktionären der Prager Eisenindustriegesellschaft viele Aktien der Alpinen Montangesellschaft. So ist die völlige Verschmelzung der böhmischen mit der steirischen Eisenindustrie bereits angebahnt. Zwischen beiden Gruppen besteht ein Produktionsübereinkommen, das den ersten Ansatz zu einer Arbeitsteilung zwischen ihnen darstellt: die Prager sellschaft hat der Alpinen Montangesellschaft gegen eine Geldentschädigung die Erzeugung jener Mengen Grobblech überlassen, die durch den Kartellvertrag dem Teplitzer Walzwerk zugeteilt worden waren, wogegen die Alpine Montangesellschaft der Prager Eisenin-dustriegesellschaft einen Teil ihrer Stabeisen- und Schienenerzeugung überließ. Ebenso zeigt sich die enge Verbindung beider Gesellschaften darin, daß dieselben Personen im Verwaltungsrat beider Unternehmungen sitzen. Von den dreizehn Mitgliedern des Verwaltungsrates der Prager Eisenindustriegesellschaft sitzen sechs gleichzeitig auch im Verwaltungsrat der Alpinen Montangesellschaft. [11]

Wir sehen hier die typische Entwicklung der kapitalistischen Großindustrie zum Trust. An ihrem Anfang stehen lockere Preiskonventionen. Eine Reihe von Fusionen macht die Vereinigung zu einem festgefügten Kartell möglich. Die Verflechtung der Unternehmungen durch den Aktienbesitz bereitet ihre völlige Verschmelzung in einem Trust vor.

Dieser Konzentrationsprozeß bedeutet nun freilich einen gewaltigen technischen Fortschritt. Die Auflassung der minder ergiebigen Produktionsstätten, die Konzentration der Produktion in großen, mit den höchsten Errungenschaften moderner Technik ausgestatteten Riesenbetrieben vollzieht sich auf Kosten der in der Eisenindustrie beschäftigten Arbeiterschaft [12], aber sie macht es möglich, das Eisen mit billigeren Kosten herzustellen. Das Eisenkartell, durch die Zölle geschützt, kann trotzdem die hohen Eisenpreise festhalten: Der technische Fortschritt, der sich auf Kosten der Arbeiter vollzieht, bringt nicht den Verbrauchern billigeres Eisen, sondern dem Kartell höheren Profit.

Die hohen Eisenpreise wirken nun auf die ganze Volkswirtschaft ein. Jeder Fabrikant muß seine Maschinen, jeder Handwerker seine Werkzeuge, jeder Landwirt seine Geräte teurer kaufen, da das Kartell das Eisen verteuert. Dadurch werden auch die Herstellungskosten aller anderen Waren erhöht – in dem Preis jeder Ware steckt ein Tribut an das Eisenlkartell. Eisen ist ja der Rohstoff, aus dem unsere wichtigsten Arbeitsmittel geschaffen werden: teures Eisen – hohe Produktionskosten; hohe Produktionskosten – hohe Preise.

Die monopolistischen Organisationen des Kapitals bedienen sich verschiedener Mittel zur Beherrschung des Marktes.

Sie suchen zunächst den Umfang der Produktion zu regeln, damit nicht durch großes Angebot die Preise gedrückt werden. Insbesondere in Zeiten schlechten Geschäftsganges pflegen die Unternehmerverbände Produktionseinschränkungen anzuordnen. So haben zum Beispiel in den Jahren 1908 und 1909 der Verband der Baumwollspinner und das Jutekartell eine sechzehnprozentige Betriebseinschränkung durchgeführt, so daß ihre Betriebe einen Tag in jeder Woche Stillständen. Noch weiter ist das internationale Spiegelglaskartell gegangen; es hat wiederholt seine Betriebe einen ganzen Monat lang ruhen lassen.

Am wirksamsten kann die Produktion dort eingeschränkt werden, wo der Monopolbesitz an Naturschätzen den Unternehmern jeden Wettbewerb fernhält. So haben die österreichischen Kohlengrubenbesitzer jahrelang die Produktion künstlich eingeschränkt. Sie haben viele Freischürfe erworben, ließen aber den Betrieb ruhen, obwohl das Berggesetz vorschreibt, daß alle verliehenen Freischürfe und Grubenmaße möglichst vollkommen abgebaut werden müssen. Die gefälligen Bergbehörden haben ihnen immer wieder die Frist zur Aufnahme des Betriebes verlängert. Am 23. Oktober 1907 haben die sozialdemokratischen Abgeordneten Schuhmeier und Reumann in einer Interpellation an den Ackerbauminister gefordert, der Minister möge die Bergbehörden anweisen, solche Fristverlängerungen nicht mehr zu gewähren. In dem Antrag Reumann über die Vorbereitung der Enteignung der Kohlenbergwerke wurde diese Forderung erneuert. Im Mai 1908 hat die Regierung in der Tat eine solche Aufforderung an die Bergbehörden gerichtet. Wird dieser Erlaß wirklich durchgeführt, dann wird die schnellere Erschließung der Grubenfelder die von den Grubenbesitzern künstlich verschärfte Kohlennot allmählich mildern.

Zuweilen fördert der Staat die Monopolisierung der Naturschätze durch ein Kartell. Im Jahre 1907 und 1908 war der Preis des Rohöls in Galizien infolge der Überproduktion gesunken. Diese günstige Gelegenheit suchte der allmächtige amerikanische Petroleumtrust zu benützen, um den galizischen Rohölbergbau seiner Herrschaft zu unterwerfen. Die österreichische Regierung wollte die Abschließung eines Vertrages zwischen dem amerikanischen Trust und den galizischen Rohölproduzenten verhindern. Sie wußte dazu kein anderes Mittel als die Förderung der Bildung eines österreichischen Rohölkartells. Die Bergbehörden zwangen die Produzenten durch Androhung bergpolizeilicher Schikanen, dem Landesverband der galizischen Rohölproduzenten beizutreten und ihm den Verkauf ihrer Ware zu überlassen. Der Staat baute den Unternehmern Lagerräume. Die Staatseisenbahnen kauften dem Landesverband große Mengen Rohöl weit über dem Marktpreis ab. Eine aus Staatsmitteln erbaute Raffinerieanlage wurde dem Landesverband zur Verfügung gestellt. So wurde die Bildung eines Rohölkartells vom Staat gefördert und zur Verteuerung des Rohöls, natürlich auch des Petroleums, das ja durch Raffinierung des Rohöls gewonnen wird, die Vorbedingung geschaffen. Verantwortlich für diese staatliche Förderung eines Kartells, das sehr gefährlich werden wird, sobald die Überproduktion im galizischen Rohölgebiet verschwindet, sind Herr Doktor Geßmann, der damals Minister für öffentliche Arbeiten, und Herr Derschatta, der damals Eisenbahnminister war, für die Fortführung der Aktion der Finanzminister Bilinski. [13]

Zuweilen suchen die Kartelle nicht nur den Umfang der Produktion, sondern auch das Arbeitsverfahren zu beeinflussen. So griff vor wenigen Jahren der europäische Verband der Flaschenfabriken ein, um eine technische Umwälzung in der Flaschenproduktion zu verhindern. Die Flaschenindustrie fühlte sich damals durch die Owensche Flaschenmaschine bedroht, die die Arbeit des Glasbläsers durch den automatischen Betrieb zu ersetzen ermöglicht. Die Einführung der neuen Maschine hätte die gelernte Arbeit aus den Flaschenfabriken verdrängt, über die Glasbläser furchtbares Unheil gebracht. Aber sie hätte auch die Erzeugungskosten der Haschenindustrie verringert, die alten Werke entwertet, die Kartelle gesprengt. Da griff das internationale Kartell ein. Es kaufte das Patent der Maschine um zwölf Millionen Mark an und regelte ihre Einführung so, daß die einzelnen Werke nur allmählich und nur in einem festen Verhältnis zu ihrer Gesamtproduktion die neue Maschine verwenden dürfen. So sicherten sich die kartellierten Unternehmer vor den bedrohlichen Folgen einer allzu plötzlichen Einführung der neuen Maschine.

Der Einfluß der Kartelle bleibt aber nicht auf die Produktion beschränkt. Die Einschränkung der Produktion ist ja nur ein Mittel, dem Kartell die Beherrschung des Marktes zu sichern. Daher schreiben die Kartelle ihren Mitgliedern auch vor, wieviel von den erzeugten Waren auf den Markt gebracht werden darf. So bestimmt zum Beispiel das Zuckerkartell regelmäßig, wieviel Zucker für den nächsten Monat liberiert. das heißt zum Verkauf freigegeben wird. In neuerer Zeit lassen bei niederen Getreidepreisen die landwirtschaftlichen Genossenschaften an ihre Mitglieder die Aufforderung ergehen, kein Getreide feilzubieten. So werden die Getreidepreise durch Verringerung des Angebots in die Höhe getrieben. Die Landwirte verkaufen ihre Ware dann später, sobald der Preis gestiegen ist. Wo die Unternehmer selbst nicht imstande sind, den Markt durch die künstliche Verringerung des Angebots zu beherrschen, greift zuweilen der Staat ein. So wird zum Beispiel das Angebot an brasilianischem Kaffee durch die sogenannte Kaffeevalorisation künstlich eingeschränkt. Die Kaffeeproduktion ist gerade in den letzten Jahrzehnten überaus schnell gestiegen. Da die Erzeugung schneller stieg als der Bedarf, sanken die Kaffeepreise. Dadurch wurde insbesondere Brasilien betroffen, auf das drei Viertel der Weltproduktion von Kaffee entfallen, am stärksten der brasilianische Staat Sao Paulo, der fünfzig bis sechzig Prozent der Kaffeeernte der Erde liefert. Um das weitere Absinken der Kaffeepreise zu verhindern, übernahm der Staat Sao Paulo selbst die Aufgabe eines die Produktion regelnden Kartells. Er versuchte zunächst, die Produktion einzuschränken. Zu diesem Zwecke wurden Neupflanzungen mit einer hohen Steuer belegt. Die Kaffeeausfuhr wird mit einem Ausfuhrzoll belastet, die auszuführende Menge auf zehn Millionen Sack beschränkt. Von jedem Sack Kaffee, der über diese Höchstmenge hinaus ausgeführt werden soll, wird ein zwanzigprozentiger Zuschlag zum Ausfuhrzoll eingehoben. Da aber diese Maßnahmen nicht genügen, kauft der Staat Kaffee auf, um den Markt zu entlasten; die Mittel dazu borgt ihm ein aus englischen, französischen, deutschen und amerikanischen Banken bestehendes Konsortium. Der Staat hat bereits acht Millionen Sack Kaffee im Werte von mehr als vierhundert Millionen Kronen aufgekauft. Er will den Kaffee erst dann verkaufen, wenn dies geschehen kann, ohne den Kaffeepreis zu drücken; bietet sich dazu keine Gelegenheit, dann muß er den aufgespeicherten Kaffee vernichten, wenn er den Zweck der ganzen Operation erreichen will. So handelt der Staat Sao Paulo als ein Kartell der Kaffeepflanzer, das von einer internationalen Bankengruppe geführt wird. Durch die künstliche Entlastung des Marktes wird der Kaffeepreis höher gehalten, als er bei freiem Wettbewerb nach dem Stande von Angebot und Nachfrage sein könnte. [14]

Oft verteilen auch die kartellierten Unternehmer das Marktgebiet untereinander (Rayonierung). Jeder Unternehmung wird dabei ein fest umgrenzter Kundenkreis zugewiesen, in den die Konkurrenten nicht eindringen dürfen. Bekannt ist zum Beispiel das Kundenschutzsystem der Brauherrenverbände.

Durch die fortschreitende Organisierung der Kapitalisten wird das gesamte Bild der kapitalistischen Gesellschaft verändert.

Wohl stockt auch unter der Herrschaft der Kartelle und Trusts der technische Fortschritt nicht. Immer noch wird die Ermäßigung der Erzeugungskosten mit dem Untergang vieler selbständiger Existenzen, mit dem Elend, der Arbeitslosigkeit vieler Arbeiter erkauft. Aber das Kartellwesen kann, indem es die Konkurrenz zwischen den Unternehmern beseitigt, die Preise seiner Waren hochhalten, wie-sehr auch die Erzeugungskosten sinken. Der technische Fortschritt senkt nicht mehr die Preise; er erhöht nur noch die Gewinne der kartellierten Unternehmer.

Die Erhöhung der Preise durch die Kartelle legt allen Volksklassen schwere Lasten auf. Die Industrie und das Gewerbe fühlen sich durch die Erhöhung der Preise ihrer Arbeitsmittel und ihrer Rohstoffe bedroht. Die breite Schicht der Beamten und Angestellten leidet unter der Verteuerung aller Waren. Am schwersten aber wird die Arbeiterklasse getroffen. Sie leidet auf dem Arbeitsmarkte unter den Wirkungen des technischen Fortschrittes; sie leidet auf dem Warenmärkte darunter, daß der technische Fortschritt nicht mehr das Sinken der Preise herbeiführt. Sie ist auf dem Arbeitsmarkte das Opfer der technischen Entwicklung, auf dem Warenmärkte aber erfährt sie, daß die Gewinne, die aus der Entfaltung der Produktionskräfte fließen, von den kartellierten Unternehmern monopolisiert werden. So wird die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums verändert. Ein schnell wachsender Teil des jährlichen Arbeitsproduktes fallt den Kapitalmagnaten zu. Nicht mehr wohlfeile, sondern hohe Preise sind heute »die schwere Artillerie« der Bourgeoisie.

Je mehr der Widerstand gegen die Ausbeutung der ganzen Gesellschaft durch die kapitalistischen Privatmonopole erstarkt, desto mehr werden aber auch die Bedingungen zur Befreiung der Gesellschaft geschaffen. In den kartellierten Produktionszweigen ist bereits der Kapitalist aus der Produktion ausgeschaltet, die gesellschaftliche Arbeit planmäßig organisiert und geleitet. Alle Arbeit wird von entlohnten Proletariern geleistet. Die Aufgabe der Leitung und Gliederung der Arbeit, die Aufsicht über die Arbeiter ist entlohnten Angestellten und Beamten übertragen, die Leitung der ganzen Indu-strie im Kartellbüro konzentriert. Aber die Arbeit ist hier vergesellschaftlicht nicht für die Gesellschaft und durch die Gesellschaft, sondern für das Kapital und durch das Kapital. Den Massen, die unter der Teuerung leiden, ist so der Weg gewiesen, sich von der Ausbeutung durch die organisierten Kapitalsmächte zu befreien. Es gilt, die vom Kapital vergesellschaftlichten Arbeitsmittel den Händen der Kapitalisten zu entwinden und sie in das Eigentum der Gesellschaft selbst überzuführen.

Als im Jahre 1907 infolge der Hochkonjunktur der Kohlenbedarf schnell stieg, nützten die Kohlengrubenbesitzer und Kohlenhändler den günstigen Geschäftsgang zu einer unerhörten Erhöhung der Kohlenpreise aus. Damals forderten selbst bürgerliche Kreise die Aufhebung des Sondereigentums an den Kohlenschätzen, und das Abgeordnetenhaus nahm am 22. Oktober 1907 eine Revolution des deutschradikalen Abgeordneten Kraus an, in der die Verstaatlichung des Kohlenbergbaues gefordert wurde. Die Regierung hat sich freilich um diese Resolution nicht gekümmert. Was sollte auch heute die Verstaatlichung des Kohlenbergbaues nützen? Der Staat müßte ja den Kapitalisten die Kohlengruben ablösen. Er würde ihnen in jedem Jahre eine hohe Einlösungsrente zahlen. In dieser Form würden sie die hohen Gewinne weiter beziehen, die ihnen heute das Eigentum an den Kohlengruben sichert. Die Kohle würde nicht billiger, die Bergarbeiter würden nicht bessergestellt, wir würden von der kapitalistischen Ausbeutung nicht befreit. Was der Staat den Kohlenverbrauchern abnimmt, müßte er ja als Einlösungsrente den ehemaligen Kohlengrubenbesitzern abführen. Der Staat würde auf diese Weise nur zum Kassier der Kapitalisten. Was also tun? Wir können uns von den Kohlenbaronen nur in einer Weise wirklich befreien: wenn wir ihr Eigentum an den Kohlengruben, das zum Hemmnis der wirtschaftlichen Entwicklung geworden ist, für verwirkt erklären und wenn wir ihnen die Kohlengruben nicht abkaufen, nicht ablösen, sondern sie enteignen, expropriieren. Davon aber wollen die besitzenden Klassen nichts hören. Sie fürchten nämlich, den Volksmassen könnte beim Essen der Appetit kommen. Wenn wir mit der Enteignung der Kohlengrubenbesitzer anfangen, warum sollten wir dann vor den Latifundien der Großgrundbesitzer, vor dem städtischen Grund- und Hausbesitz, vor den Erzbergwerken .und Rohölschächten, vor den Zuckerfabriken, Branntweinbrennereien, Bierbrauereien, vor den großen Dampfmühlen, den Petroleumraffinerien, den Hochöfen, Walzwerken und Maschinenfabriken, vor den Spinnereien und den Webereien untätig stehenbleiben?

Besitzende, die selbst die Enteignung zu fürchten haben, können keine Enteignung durchführen. Das große Werk kann nur vollbracht werden, wenn die Klasse, die nichts besitzt, nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hat, die politische Macht erobert und die Staatsgewalt in ihren Dienst stellt. Dann werden wir als Arbeiter in den Betrieben und Werken des Staates die Güter schaffen und zugleich als vollberechtigte Staatsbürger diese Betriebe und Werke beherrschen, diese Güter verteilen. Dann werden Bodenschätze und Arbeitsprodukte nicht mehr der Bereicherung einer Minderheit dienen, sondern die Bedürfnisse aller befriedigen. Die Klagen über die Teuerung, der Kampf gegen die Teuerung enden im Sozialismus. [15]

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Fußnoten

10. Die kleingewerblichen Kartelle werden durch unsere Mittelstandspolitik gefördert. Durch den Befähigungsnachweis, noch wirksamer durch das Konzessionssystem, wird die Zahl der konkurrierenden Unternehmer eingeschränkt; desto leichter ist es, eine Preisverabredung herbeizuführen. Und wenn ein Meister sich nicht fügt, kann die Genossenschaft über ihn Strafen verhängen. Die Milchkartelle werden bekanntlich durch Subventionen aus Landesmitteln gefördert. Natürlich gebärden sich die kartellierten Zünftler und Agrarier trotzdem als Gegner der Kartelle.

11. Eines der gemeinsamen Verwaltungsmitglieder ist Herr Karl Fürstenberg, der Geschäftsinhaber der Berliner Handelsgesellschaft, einer der sechs Berliner Großbanken. Er stellt die Verbindung zum reichsdeutschen Bankkapital und zu den reichsdeutschen Eisenkartellen her.

12. Im Teplitzer Eisenwerk waren 780 Arbeiter beschäftigt. Als das Werk aufgelassen und die Produktion nach Kladno verlegt worden war, wurden nur achtzig Arbeiter nach Kladno übernommen.

13. Uber die Aktion des Sozialdemokratischen Verbandes bei dieser Gelegenheit vergleiche: Die Tätigkeit des Sozialdemokratischen Verbandes im Abgeordnetenhaus. XIX. Session, Wien 1909, Seite 27.

14. Schmidt, Die Kaffeevalorisation, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, III. Folge, 38. Bd., S. 662 ff.

15. Über den Antrag Kraus, betreffend die Verstaatlichung des Kohlenbergbaues, und über den sozialdemokratischen Antrag Reumann, betreffend die Vorbereitung der Enteignung der Kohlenbergwerke, vgl.: Die Tätigkeit des Sozialdemokratischen Verbandes im Abgeordnetenhause, XVIII. Session, Seite 16 ff.

 


Leztztes Update: 18. Februar 2023