August Bebel

Rede im Reichstag
zur Frage der Wahl
eines sozialdemokratischen Vizepräsidenten

(20. Februar 1912)


Stenographische Berichte, 13. Legislaturperiode, 1. Session, Bd.283 am 20.2.1912, S.165-168.
Abgedruckt in Peter Friedemann (Hrsgb.): Materialien zum politischen Richtungsstreit in der deutschen Sozialdemokratie 1890-1917, Bd.2, Frankfurt/M, 1978, S.690-693
Transkription und HTML-Markierung: J.L.W. für das Marxists’ Internet Archive.


Vizepräsident Scheidemann: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schiffer (Magdeburg).

Schiffer (Magdeburg), Abgeordneter: Meine Herren, ich habe mich lediglich zum Wort gemeldet, um Zeugnis abzulegen, das gestern von mir verlangt worden ist, und dem ich mich nicht entziehen kann - das Zeugnis über gewisse Vorgänge, die der Präsidentenwahl vorausgingen. Es handelt sich um die Erklärungen, die die Herren Vertreter der sozialdemokratischen Partei bezüglich ihrer Stellung zu den Repräsentationsverpflichtungen, Besuch bei Hofe und zur Ausbringung des Kaiserhochs übernommen haben sollten. Ich kann und muss nur bezeugen, dass die Darstellung meines Freundes Paasche die richtige ist. Herr Abgeordneter Bebel muss sich geirrt haben. Seine Darlegungen, soweit sie reichen, mögen zutreffend sein; sie reichen aber nicht bis zu demjenigen Moment, auf den es hier ankommt, nämlich nicht bis zu denjenigen Erklärungen, die bei der letzten Besprechung mit dem Zentrum, mit der Freisinnigen Volkspartei und mit uns von der Sozialdemokratie und ihm als dem Vertreter seiner Partei abgegeben worden sind. Bei dieser Besprechung haben die Äußerungen des Herrn Abgeordneten Bebel keinen anderen Sinn gehabt und konnten nicht anders aufgefasst werden als dahin, dass der sozialdemokratische Vizepräsident im Falle der Behinderung des ersten Präsidenten bereit sein würde, den Besuch bei Hofe zu machen, und bereit sein würde, das Kaiserhoch auszubringen. (Hört, hört! rechts.) Nicht bloß ich habe diese Auffassung gehabt, sondern der Herr Abgeordnete Bebel möge die anderen Teilnehmer der Besprechung befragen, und er wird die Antwort erhalten, dass sie genau denselben Eindruck gehabt haben wie ich.

Ich habe mich aber vorsichtiger- und glücklicherweise nicht damit begnügt, dasjenige bloß anzuhören, was Herr Bebel gesagt hat, sondern ich habe - wie mir auch bestätigt werden wird - mit der ausdrücklichen Begründung, es müssten alle Missverständnisse beseitigt und vermieden werden, diese seine Äußerungen auch festgestellt. (Abgeordneter Bebel: Vor wem?) - Vor Ihnen. (Abgeordneter Bebel: Ist nicht wahr!) - Vor den Vertretern der Sozialdemokratie und gegenüber den Herren vom Zentrum. Ich habe insbesondere Herrn Abgeordneten Gröber gegenüber ausdrücklich hervorgehoben: dies sind die Erklärungen der Sozialdemokratie - dies sind die weitergehenden Forderungen der Herren vom Zentrum - ich stelle hiernach fest, dass in diesen und diesen Punkten die Differenz beruht, nämlich darin, dass die Sozialdemokratie es ablehnt, neben dem ersten Präsidenten zu Hofe zu gehen, und dass die Sozialdemokratie es ablehnt, ihre Parteimitglieder während des vom Vizepräsidenten ausgebrachten Hochs im Saale zu lassen. Das habe ich ohne jeden Widerspruch festgestellt. Es ist damit anerkannt worden.

Wenn der Herr Abgeordnete Bebel sich dessen nicht erinnert, so wird er vielleicht sich einer scherzhaften Bemerkung erinnern, die er selbst gemacht hat, indem er nämlich sagte, er könne allerdings eine Garantie dafür, dass an dem entscheidenden Tag der sozialdemokratische Vizepräsident nicht an einer Darmverschlingung oder einer sonstigen schweren Krankheit leide, nicht übernehmen. (Stürmische Heiterkeit. - Hört, hört! rechts.)

Nach diesen Vorgängen, die, glaube ich, so charakteristisch sind, dass sie unmöglich irgendwie in Abrede gestellt werden können, die vielmehr meines Erachtens den Schluss zwingend erscheinen lassen, dass der Herr Abgeordnete Bebel diese Vorgänge vergessen hat, dass er sich geirrt hat, muss ich dabei stehen bleiben, dass die Erklärung, von der ich gesprochen habe, und die mein Freund Paasche hier vorgetragen hat, in der Tat abgegeben worden ist.

Allerdings muss ich jetzt annehmen, dass diese Erklärung nicht dem wahren Willen des Herrn Bebel und seiner Partei entsprochen hat. Aber ich muss sagen: das ist eine Klärung, die ich für erfreulich halte, eine Klärung, von der ich annehme, dass sie, soweit es notwendig ist, unseren politischen Entschließungen für die Zukunft eine außerordentliche Erleichterung gewähren wird. (Stürmische Rufe rechts und bei den Sozialdemokraten: Aha! - Große Heiterkeit.)

Vizepräsident Scheidemann: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bebel.

Bebel, Abgeordneter: Meine Herren, ich kann nur sagen, dass ich einfach starr bin über diese Erklärung, die soeben Herr Schiffer abgegeben hat. (Bewegung. - Zurufe: Und Gröber?) An der ganzen Darstellung ist aber auch fast kein wahres Wort. (Stürmische Heiterkeit. - Große Bewegung. - Rufe: Na, na!) - Fast kein wahres Wort, bitte, meine Herren!

Zunächst will ich konstatieren, dass der Herr Abgeordnete Schiffer überhaupt erst am zweiten Tage abends zu den Verhandlungen gelangte, und dass in dem Augenblick, wo er in den Verhandlungen erschien, der Herr Abgeordnete Bassermann verschwand. (Hört, hört! und Heiterkeit rechts und im Zentrum.) Die Verhandlungen zwischen dem Herrn Abgeordneten Bassermann, dem Herrn Abgeordneten Junck und - wenn ich nicht irre - dem Prinzen zu Schönaich-Carolath fanden am 7. Februar statt, an der Tage, an dem der Reichstag eröffnet wurde. Bei diesen Verhandlungen ist, wie ich Ihnen schon gestern mitzuteilen die Ehre hatte, von selten der nationalliberalen Herren - als wir äußerten, wir seien bereit, auf den ersten Präsidenten zu verzichten, auf den wie nach der bisher üblichen Praxis als stärkste Partei des Hauses Anspruch hätten, aber wir seien entschlossen, dafür den Ersten Vizepräsidenten zu stellen - die Frage an uns gerichtet worden, ob wir die staatsrechtlichen Verpflichtungen übernähmen. Darauf haben wir erklärt: selbstverständlich! - und darauf haben die Herren geantwortet, dagegen hätten sie nichts einzuwenden, mehr zu fordern hätten sie keinen Anlass. (Hört, hört! rechts.) Damit war für uns die ganze Frage der Hofgängerei usw. entschieden. Die Herren von der Freisinnigen Volkspartei, die dabei waren, haben diese Erklärung ebenfalls ihre Zustimmung gegeben. (Hört, hört! rechts.)

Dann sind im Laufe des Mittwochs und Donnerstags verschiedene Verhandlungen gewesen. Am Mittwoch abend baten uns die Herren von der nationalliberalen und Freisinnigen Volkspartei, wir als die Vertreter der stärksten Partei möchten uns mit dem Zentrum ins Benehmen setzen, um zu hören, wie man dort über die Besetzung des Präsidiums denke. Das haben wir getan. Wir haben uns nach dem Bericht, den der „Vorwärts“ am 17. Februar, verfasst von uns drei Delegierten, veröffentlicht hat, mit dem Freiherrn V. Hertling am Donnerstag Vormittag zwischen 10 und 11 Uhr, als er in einer Konferenz mit Vertretern der Rechten im Zimmer des Seniorenkonvents war, zusammengesetzt. Herr Freiherr v. Hertling hat hier erklärt, seine persönliche Ansicht bezüglich des Präsidiums decke sich mit der, die Windthorst vertreten habe, nämlich von der Stellung des Präsidenten Abstand zu nehmen, er wisse jedoch nicht, wie seine Fraktion zu der Frage stehe, und insofern könne er kein Urteil abgeben; für ihn und seine Partei sei sehr wesentlich, dass derjenige, der auf eine Präsidentenstelle Anspruch erhebe, auch alle höfischen Verpflichtungen übernehme; einen Präsidenten der Nationalliberalen würden sie unter keinen Umständen wählen - diese Frage wurde nämlich auch aufgeworfen. Auf seine Frage - ich bemerke, diese Verhandlung war an demselben Tag, an dem abends die Zusammenkunft mit dem Herrn Abgeordneten Schiffer stattfand - wie wir uns zum Kaiserhoch verhalten werden, erwiderten wir: es würde in dieser Beziehung eine Änderung unserer Haltung nicht eintreten. Nachdem die Verhandlungen mit Freiherrn v. Hertling zu Ende waren, bin ich zu den Herren der nationalliberalen und der Freisinnigen Volkspartei gegangen und habe ihnen diese Unterhaltung Wort für Wort berichtet, auch dass wir weitere Ansprüche, die dort gestellt worden seien, abgelehnt hätten. Und nun soll ich am Abend desselben Tages, und zwar wie Herr Schiffer sagt, in Gegenwart der Zentrumsherren, das zurückgenommen und feierlichst widerrufen haben! Kein wahres Wort an der Sache! (Lachen und Zurufe rechts.)

Wie trug sich die Sache zu? Am Nachmittag des Mittwochs hatten wir mit den Herren von den liberalen Parteien eine Zusammenkunft. Da hieß es, es sei mittlerweile der Plan aufgetaucht, statt drei Präsidenten vier Präsidenten zu wählen: einen aus dem Zentrum, drei aus den verschiedenen anderen Parteien, aber die äußerste Rechte und die äußerste Linke sollten dabei ausscheiden. (Heiterkeit.) Darauf haben wir erklärt: darüber ist nicht zu reden! Dann hieß es, es sei noch ein anderer Plan im Werke: das Zentrum, die Freisinnige Volkspartei und die Nationalliberalen sollten das Präsidium stellen. Wir erklärten wieder: auch davon kann keine Rede sein. Darauf antworteten die Herren Liberalen: dann existierten diese Pläne für sie ebenfalls nicht.

Nun ging Donnerstag Nachmittag von den Liberalen - Herr Schiffer war noch nicht dabei -, den Nationalliberalen und den Freisinnigen, die Aufforderung an uns, an einer Besprechung teilzunehmen, zu der sie die Herren vom Zentrum eingeladen hätten. Wir antworteten: wir sind nicht eingeladen worden. Aber da kam uns der Gedanke, dass Herr Freiherr v. Hertling am Vormittag der Verhandlungen uns versprochen hatte, er wolle uns am Mittag die Beschlüsse seiner Fraktion mitteilen, was nicht geschehen war; dieses Versehen war sehr erklärlich, weil an jenem Tage Herr Freiherr V. Hertling die Nachricht bekam, dass er den Ministerpräsidentenposten in Bayern übernehmen solle. Wir sagten uns also: gut, wir werden bei dieser Gelegenheit erfahren, wie die Dinge stehen. Wir gingen also in das Sprechzimmer auf jener rechten Seite des Saales, in dem die Besprechung stattfinden sollte. Die Herren vom Zentrum waren noch nicht anwesend. So entstand eine zwanglose Unterhaltung, wobei auch die Frage des Zuhoferedens usw. erwähnt wurde. Wenn ich Herrn Dr. Paasche richtig verstanden habe, sprach er gestern von einer feierlichen Erklärung, die ich dabei abgegeben haben soll. Es ging aber bei dieser Unterhaltung sehr unfeierlich zu. Es wurde viel gescherzt, über Wadenstrümpfe usw. (Heiterkeit.) Diese Unterhaltung war also zwanglos, wie sie in einem kleinen Kreis von bekannten Herren stattfindet. Hierbei wurde von Herrn Schiffer an uns die Frage gestellt, wie wir zu den höfischen Verpflichtungen ständen. Darauf antwortete ich: davon kann keine Rede sein, - und jetzt gibt Herr Schiffer die Erklärung ab: ich speziell hätte erklärt, der sozialdemokratische Vizepräsident werde, wenn der Präsident verhindert sei, sogar das Kaiserhoch ausbringen. Ich habe nur gesagt - das habe ich auch am Vormittag zu Herrn Freiherrn v. Hertling geäußert-: wenn der Präsident verhindert ist, die offiziellen Verpflichtungen zu erfüllen, weil er krank oder sonst verhindert ist, so versteht es sich von selbst, dass alsdann der Vizepräsident eintreten muss. (Zuruf bei den Nationalliberalen.) - Bitte, hierbei war von Hofegängerei und vom Hoch auf den Kaiser nicht die Rede. (Zurufe bei den Nationalliberalen.) - Freilich fragten Sie, Herr Schiffer: nun, wie steht's mit dem Hoch auf den Kaiser? Darauf antwortete ich: Das warten Sie doch ab. Beiläufig bemerkt, war das nicht die Verhandlung, sondern eine Unterhaltung vor der Zusammenkunft, ehe die Herren vom Zentrum anwesend waren.

Als jetzt die Herren vom Zentrum kamen, haben wir zunächst an diese die Frage gestellt, wie es mit den Beschlüssen ihrer Fraktion bezüglich unseres Anspruchs auf den Vizepräsidenten stände. Darauf gab uns, ich glaube, es war Herr Gröber, die Antwort, seine Fraktion hätte beschlossen, keinen nationalliberalen ersten Präsidenten zu wählen, aber auch keinen sozialdemokratischen Vizepräsidenten, weil sie fordern müsse, dass derselbe alle höfischen Verpflichtungen erfülle. In Gegenwart des Herrn Schiffer hat er diese Erklärung abgegeben, und nun soll ich auf einmal zum Gegenteil mich bekannt haben. (Heiterkeit.) Das ist doch unmöglich, dass ein Mensch mit gesunden Sinnen sich innerhalb weniger Stunden derartige Widersprüche zu Schulden kommen lässt! (Heiterkeit.)

Weiter wurden die Herren vom Zentrum gefragt - nicht von uns, soviel ich mich erinnere -: was die Verhandlungen eigentlich für einen Zweck hätten, worauf sie erklärten: wir sind nur hier, um mit den Vertretern der bürgerlichen Parteien zu verhandeln. Darauf antworteten wir: dann haben wir hier nichts mehr zu tun - und entfernten uns, worauf sich die Herren von der Freisinnigen Volkspartei und von der nationalliberalen Partei uns anschlössen und ebenfalls das Zimmer verließen. (Heiterkeit.)

Nunmehr war die entscheidende Stunde gekommen. Eine Vereinbarung über die Besetzung des Präsidiums durch die bürgerlichen Parteien war nicht vorhanden, der Versuch des Zentrums, eine solche herbeizuführen, war gescheitert, und so traten wir mit den Liberalen zusammen, um zu verhandeln. Jetzt musste ein Entschluss gefasst werden. Diese Verhandlungen fanden statt im Fraktionszimmer der Nationalliberalen. Hier wurde aber von Hofgängerei und sonstigen Verpflichtungen kein Wort geredet. (Zuruf rechts: Waren denn die Nationalliberalen dabei?) - Freilich waren sie dabei. (Zuruf rechts: Das ist mir von Wert, festzustellen!) Herr Schiffer war zugegen, Herr Bassermann nicht mehr, das habe ich schon gesagt. Darauf erneuerten wir unsere Vorschläge: wir seien bereit, den nationalliberalen Kandidaten als ersten Präsidenten zu wählen, wir stellten ihnen also zweieinhalbmal mehr Stimmen zu Verfügung, als sie selbst hätten, sie würden zugeben, das sei ein großes Entgegenkommen; (sehr richtig! rechts - Heiterkeit) wir seien ferner bereit, den Kandidaten der Freisinnigen Volkspartei als Zweiten Vizepräsidenten zu wählen, dafür verlangten wir aber, dass sie Ihrerseits uns den Ersten Vizepräsidenten gäben. Und zwar wünschten wir darüber von der nationalliberalen Fraktion ausdrücklich eine Erklärung. Hiergegen sträubte sich nun Herr Schiffer gewaltig. Ohne diese Erklärung, sagten wir, können wir uns aber auf nichts einlassen. Wir wüssten zwar, dass in ihrer Partei ein sehr rechts stehender Flügel bestehe, und dass die Angehörigen dieses Flügels unseren Kandidaten nicht wählen würden, auch wenn ihre Fraktion es beschlösse - um so mehr müssten wir aber auf einer solchen Erklärung bestehen. Darauf antwortete Herr Schiffer: wenn Sie selbst zugeben, dass eine Erklärung unsererseits unsere Leute nicht alle bindet, warum verlangen Sie denn trotzdem die Erklärung? (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) - Nein, nicht sehr richtig! Wir sagten uns: es ist doch ein großer Unterschied, ob Sie diese Erklärung geben; denn wenn Sie keine geben, können Sie nachher machen, was Sie wollen, dann wählen wir Ihren Präsidenten, und Sie lassen uns mit dem Vizepräsidenten möglicherweise im Stich. (Heiterkeit.) - Darauf erklärten die Herren von der nationalliberalen Partei, sie halten am nächsten Tage mittags Fraktionssitzung; dort wollten sie die Angelegenheit der Fraktion vortragen und wollten ihre Beschlüsse uns mitteilen. Damit gingen wir auseinander.

Wir kamen alsdann überein, da höchstwahrscheinlich aus der Sache nichts werde, selbständig vorzugehen; wir beschlossen, unseren eigenen Präsidentenkandidaten durch alle Wahlgänge durch zu wählen und abzuwarten, was dabei herauskomme. Anders sollte verfahren werden, wenn die Herren Nationalliberalen eine Erklärung abgeben würden, dass sie unsern ersten Vizepräsidenten wählten, dann wollten wir auf den Präsidentschaftskandidaten verzichten. Unser Vorschlag wurde von unserer Fraktion einstimmig angenommen. Das geschah am Wahltag, am Freitag. Kurz nachdem unsere Fraktionssitzung zu Ende war, kamen die Herren von der nationalliberalen Partei und erklärten folgendes: 1. Sie würden den Prinzen Schoenaich-Carolath als Präsidentenkandidaten präsentieren; 2. eine Mehrheit für einen ersten Vizepräsidenten den Sozialdemokratie sei in ihrer Fraktion nicht zu haben gewesen; dagegen habe sich eine große Mehrheit bereit erklärt, der Sozialdemokratie den zweiten Vizepräsidentensitz einzuräumen. Daran fügten die Herren weiter die Erklärung, aber als ehrliche Männer müssten sie uns sagen, eine Garantie, dass nun auch alle ihre Parteigenossen unseren Kandidaten wählten, könnten sie nicht übernehmen. Wir entschieden uns nunmehr, bei unserem Beschluss zu bleiben.

Die Wahl fand statt. Die Herren Nationalliberalen hatten ausdrücklich abgelehnt, für unseren ersten Vizepräsidenten zu stimmen. Wir waren aber nicht wenig überrascht, als im dritten Wahlgang, ich bei der Präsidentenwahl, wie Sie wissen, 175 Stimmen erhielt. Es war klar, dass eine Anzahl Nationalliberaler mich gewählt hatten. (Heiterkeit rechts und im Zentrum.) Wir haben uns darüber gefreut; das können Sie sich vorstellen.

Dann kam die Wahl des ersten Vizepräsidenten. Hier erlangte mein Parteigenosse Scheidemann die Mehrheit, es hatte also offenbar im Gegensatz und im Widerspruch mit der an uns abgegebenen Erklärung eine bedeutend größere Zahl von Nationalliberalen unseren Kandidaten gewählt. Darauf haben wir unsererseits sofort den von der nationalliberalen Partei aufgestellten Herrn Dr. Paasche als zweiten Vizepräsidenten gewählt; er erhielt unsere sämtlichen 110 Stimmen.

Diese Vorgänge haben draußen, wie Sie wissen, großes Aufsehen erregt. Dieses wurde noch vermehrt, als die nationalliberale Partei den von ihr selbst aufgestellten Vizepräsidenten moralisch zwang, wieder auf seinen Sitz zu verzichten. Die Proteste draußen im Lande gegen die Herren sind bekannt. Die Herren waren - ich begreife das, es würde uns an ihrer Stelle genauso gegangen sein - in einer sehr unangenehmen und peinlichen Lage. Das war aber nicht unsere Schuld; (sehr richtig! und Heiterkeit rechts und im Zentrum) und nun scheint mir, dass sie die üble Lage, in die sie gekommen sind, dadurch auszugleichen versuchen, dass sie sich irgendeinen Sündenbock suchen. (Sehr richtig! rechts und im Zentrum.) Und der Sündenbock soll ich sein. (Heiterkeit rechts und im Zentrum.) Meine Herren, zu einer derartigen Rolle habe ich mein Leben lang nicht gepasst, und dazu gebe ich mich auch jetzt nicht her.

Der Sachverhalt war so, wie ich eben geschildert habe, und ich muss jede anders geartete Schilderung entschieden als unrichtig zurückweisen. (Bravo bei den Sozialdemokraten!)

Vizepräsident Dove: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haase (Königsberg).

Haase (Königsberg), Abgeordneter: Meine Herren, ich will nur wenige Erklärungen abgeben, die es vielleicht plausibel machen, wie der Herr Abgeordnete Schiffer zu seiner Auffassung gelangt ist. Herr Abgeordneter Schiffer hat an den grundlegenden Verhandlungen gar nicht teilgenommen (hört, hört!), er weiß deswegen aus eigener Wahrnehmung nicht, was seine Parteifreunde bei dieser Gelegenheit erklärt haben. (Hört, hört! rechts und im Zentrum.) Ich kann nur konstatieren - und seine eigenen Parteifreunde werden es ihm bestätigen -, dass die Nationalliberalen sofort bei Beginn der Verhandlungen aus eigenem Antrieb unumwunden die Erklärung abgegeben haben: „Wir erkennen den Anspruch der sozialdemokratischen Fraktion auf den Vizepräsidentenposten an, da ja die Sozialdemokratie die staatsrechtlichen Verpflichtungen übernimmt, die mit diesem Amt verbunden sind; mehr zu fordern, haben wir keinen Anlaß.“ (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten und rechts.) Damit war die Grundlage für alle Verhandlungen geschaffen, und zwar eine durchaus sichere und klare Grundlage.

Erst als der Abgeordnete Schiffer auf der Bildfläche erschien, wurde diese Grundlage von ihm wieder in Zweifel gezogen und eine Verwirrung in den klaren Sachverhalt hineingetragen. Er brachte die an sich schon erledigte Frage noch einmal aufs Tapet. Er wird sich erinnern, dass ich ihm sogleich erwidert habe, die Frage der sogenannten höfischen Verpflichtungen sei längst erledigt (hört, hört! bei den Sozialdemokraten), seine Freunde hätten in dieser Beziehung ohne alle Umschweife erklärt, dass sie der sozialdemokratischen Partei solche Bedingungen nicht stellten. Er hat darauf erwidert, das müßte ein Mißverständnis sein. Er bekam von mir zur Antwort, davon könne keine Rede sein, weil in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise sich seine Parteifreunde aus eigener Initiative, bevor noch von uns eine Frage in dieser Richtung gestellt worden war, so geäußert habe, wie ich es wiedergegeben habe. Ich kann hinzusetzen - die Situation zwingt mich dazu -: aus dem Kreis der nationalliberalen Fraktion heraus ist mir noch weiter erklärt worden, es könne doch niemand der sozialdemokratischen Fraktion, die die stärkste des Hauses geworden sei und einen großen Machtfaktor im öffentlichen Leben darstelle, zumuten, dass ein Angehöriger von ihr zu Hofe gehe (hört, hört! bei den Sozialdemokraten und rechts); man müsse, so wie die Dinge sich entwickelt hätten, auch Rücksicht nehmen auf die Anschauungen und Gefühle der sozialdemokratischen Wähler. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.)

Es ist nun wohl richtig, dass ganz zum Schluss, als der Abgeordnete Schiffer dabei war, meinem Parteifreund Bebel auf die Frage „was wird denn geschehen, wenn der Präsident krank ist?“ - die Erklärung abgegeben hat, dann wird eben unser Vizepräsident die durch die Geschäftsordnung begründeten Pflichten erfüllen. Und ich erinnere mich, dass mein Parteifreund Bebel bei dieser Gelegenheit auf den § 12 der Geschäftsordnung ausdrücklich hingewiesen und bemerkt hat: er wird selbstverständlich in einem solchen Falle auch die Anzeige über die Konstituierung des Präsidiums erstatten.

 


Zuletzt aktualisiert am 2.7.2008