August Bebel

Aus meinem Leben

Dritter Teil


Die Züricher August-Konferenz

Während sich die erwähnten Erörterungen abspielten, war man in den leitenden Kreisen der Partei allgemein zu der Überzeugung gekommen, daß eine gründliche Aussprache in einer Zusammenkunft, wie ich sie schon in meinem Briefe vom 4. Januar an Auer befürwortet, eine zwingende Notwendigkeit sei. Die Konferenz wurde in Nummer 35 des Sozialdemokrat öffentlich angekündigt, um den Parteigenossen die beruhigende Gewißheit zu geben, daß die strittigen Fragen einer gründlichen Erörterung unterzogen werden würden. Teilnehmer der Konferenz waren die Fraktion, die Redaktion und die Verwaltung des Sozialdemokrat, Auer und ich. Als Zeit der Verhandlung wurden drei Tage angesetzt, vom 19. bis 21. August, als Tagesordnung: Taktik, Organisation, Regelung des Flugblattwesens, Stand und Haltung des Parteiorgans, Verhalten zur deutschen Presse. Darunter war die Stellungnahme zu den farblosen Blättern verstanden, die die Parteigenossen an einzelnen Orten herausgaben, Blätter, die sich allmählich in die Parteiangelegenheiten im Sinne des Bremsens mischten und an denen Reichstagsabgeordnete Mitarbeiter waren. Weiter stand auf der Tagesordnung: Errichtung eines Parteiarchivs, Kassenangelegenheiten, Einberufung eines Kongresses für das Frühjahr 1883, Anträge und Beschwerden.

Das war eine sehr umfangreiche Tagesordnung, die keine Parteifrage unberührt ließ. Wäre noch ein Zweifel über die Notwendigkeit einer Konferenz gewesen, die Verhandlungen hätten ihn beseitigt. Da von einer Veröffentlichung derselben keine Rede sein konnte, herrschte bei derselben eine herzerfrischende Offenheit und Rücksichtslosigkeit. Man sagte sich gegenseitig gründlich die Wahrheit, und was der eine oder der andere seit Jahren auf dem Herzen hatte, wurde nunmehr abgeladen. Die angesetzten drei Tage wurden redlich durch die Verhandlungen in Anspruch genommen. Die Wirkung war die eines die Luft reinigenden Gewitters. Mißverständnisse und Irrtümer wurden aufgeklärt und verschiedene persönliche Differenzen durch offene Aussprache beseitigt.

Die Wirkung der Konferenz zeigte sich namentlich auch in der nächsten Reichstagssession, in der die Fraktionsredner entschiedener und geschlossener als vorher den Kampf führten.

Die wichtigsten Beschlüsse der Konferenz waren: daß im nächsten Frühjahr wieder ein Parteikongreß im Ausland abgehalten werden sollte, wofür von einer Anzahl Parteiorte Anträge vorlagen, und daß die Gründung des Parteiarchivs in Zürich vorgenommen werden sollte. Als Schlüter 1884 nach Zürich übersiedelte, übernahm er dessen Einrichtung und Leitung.

Das Jahr 1882 brachte auch eine verbesserte Position für unsere Züricher Unternehmungen. Das unter der Firma Schweizerische Vereins- und Volksbuchhandlung bestehende Geschäft, im dem der Sozialdemokrat und die Parteischriften gedruckt wurden, und das bisher in den Händen eines schweizerischen Genossen gewesen war, ging in unser Eigentum über. Und zwar wurde der Genosse C. Conzett, der von Chur nach Zürich übersiedelte, Leiter desselben unter der Firma C. Conzett, Schweizerische Genossenschaftsdruckerei und Volksbuchhandlung. Das Betriebskapital brachten wir durch unverzinsliche Darlehenscheine à 5 Franken auf, zu deren Zeichnung Auer, Dietz, Grillenberger, Liebknecht und ich im Sozialdemokrat aufforderten.



Zuletzt aktualisiert am 1.7.2008