N. Bucharin

Die politische Ökonomie des Rentners

* * *

II. Kapitel

Die Werttheorie

1. Die Bedeutung des Wertproblems

Das Problem des Wertes gehört zu den grundlegenden Fragen der politischen Oekonomie, seit deren Entstehung bis auf unsere Zeit. Alle anderen Fragen, wie Arbeitslohn, Kapital, Rente, Akkumulation des Kapitals, der Kampf zwischen Groß- und Kleinbetrieb, Krisen usw. gehen direkt oder indirekt auf diese Grundfrage zurück.

„Die Lehre vom Wert steht sozusagen im Mittelpunkt der gesamten nationalökonomischen Doktrin“ [1], bemerkt mit Recht Böhm-Bawerk. Das ist ja auch begreiflich. Für die Warenproduktion im allgemeinen und die kapitalistische Warenproduktion, deren Kind die politische Oekonomie ist, im besonderen bildet der Preis, mithin also auch die Norm desselben – der Wert – die grundlegende allumfassende Kategorie. Die Warenpreise regulieren die Verteilung der Produktivkräfte der kapitalistischen Gesellschaft. die Tauschform, die die Preiskategorie voraussetzt, ist die Verteilungsform des gesellschaftlichen Produktes unter die verschiedenen Klassen.

Die Bewegung der Preise führt zu einer Anpassung des Angebots von Waren an die Nachfrage, da durch das Steigen und Fallen der Profitrate das Kapital aus dem einen Produktionszweig in den anderen strömt; niedrige Preise bilden die Waffe, mit der der Kapitalismus sich seinen Weg bahnt und schließlich die Welt erobert, mit niedrigen Preisen verdrängt das Kapital das Handwerk und der Großbetrieb den Kleinbetrieb.

In der Form des Kaufes der Arbeitskraft, d. h. in der Form eines Preisverhältnisses, vollzieht sich der Vertrag zwischen dem Kapitalisten und dem Arbeiter, – die erste Bedingung für die Bereicherung des Kapitalisten. Der Profit, d. h. der Geldwertausdruck, keinesfalls aber der „natürliche“ Ausdruck des Mehrprodukts, ist das treibende Motiv der modernen Gesellschaft; eben darauf beruht der ganze Prozeß der Kapitalakkumulation, der die alten Wirtschaftsformen zerstört und sich in seiner Entwicklung scharf von ihnen abhebt, als eine durchaus spezifische historische Phase der wirtschaftlichen Evolution usw. usw. Deshalb hat das Wertprobleme immer wieder die Aufmerksamkeit der Theoretiker der Oekonomie in viel höherem Maße auf sich gezogen als jedes andere Problem der politischen Oekonomie: Smith, Ricardo, Marx – sie alle machten die Wertanalyse zur Grundlage ihrer Forschungen. [2] Auch die österreichische Schule machte die Wertlehre zum Eckstein ihrer Theorie: sofern sie sich gegen die Klassiker und Marx wandte und ihr eigenes theoretisches System schuf, hatte sie sich hauptsächlich mit dem Wertproblem zu beschäftigen.

Und so kommt es, daß die Lehre vom Wert in Wirklichkeit noch immer im Mittelpunkt der gegenwärtigen theoretischen Diskussionen steht, obwohl bereits Mill sie in der Hauptsache für abgeschlossen hielt. [3] Im Gegensatz zu Mill glaubt Böhm-Bawerk, daß die Lehre vom Wert „eine der unklarsten, verworrensten und strittigsten Partien unserer Wissenschaft“ [4] blieb; dennoch hofft er, daß die Forschungen der österreichischen Schule diesem Zustand der Wissenschaft eine Ende machen werden. „Durch einige Bearbeitungen der jüngeren und jüngsten Zeit – meint er – scheint mir in die wogende Gährung endlich der lösende Gedanke gebracht zu sein, von dessen fruchtbarer Entwicklung die volle Klärung zu erwarten ist.“ [5]

Im folgenden wollen wir versuchen, diesen „erlösenden Gedanken“ einer gebührenden Kritik zu unterziehen; zunächst sei jedoch folgendes bemerkt: Sehr oft weisen die Kritiker der österreichischen Schule darauf hin, daß diese Wert und Gebrauchswert vermenge, ferner, daß ihre Lehre eher ins Gebiet der Psychologie als in das der politischen Oekonomie falle usw. An und für sich ist dies richtig. Trotzdem darf man sich, wie es uns scheint, nicht auf solche Erklärungen beschränken. Vielmehr muß man zunächst sich auf den Standpunkt der Vertreter der österreichischen Theorie stellen, das gesamte System in seinem inneren Zusammenhang begreifen, und dann erst seine Widersprüche und Unzulänglichkeiten auf decken, die aus den grundlegenden Fehlern hervorgehen. So gibt es z. B. eine Anzahl verschiedener Definitionen des Wertes. Die Definition Böhm-Bawerks muß sich notgedrungen von der Marxschen unterscheiden. Es genügt aber nicht, schlechthin zu erklären, daß Böhm-Bawerk das Wesen der Sache nicht treffe, d. h. er behandele überhaupt nicht das, was behandelt werden müsse; vielmehr muß gezeigt werden, warum man nicht so verfahren darf. Ferner muß bewiesen werden, daß die von der betreffenden Theorie gemachten Voraussetzungen entweder zu widersprechenden Konstruktionen führen, oder überhaupt eine Reihe wichtiger ökonomischer Erscheinungen weder erfassen noch erklären.

Aber wo ist in diesem Falle der Ausgangspunkt für eine Kritik überhaupt? Wenn der Wertbegriff selbst bei den verschiedenen Richtungen völlig verschieden ist, d. h. wenn der Wertbegriff bei Marx gar keine Berührungspunkte mit dem bei Böhm-Bawerk hat, wie ist dann eine Kritik überhaupt noch möglich? Hier kommt uns jedoch folgender Umstand zu Hilfe: Mögen die Wertdefinitionen noch so verschieden, ja mitunter geradezu entgegengesetzt sein, dennoch haben sie alle auch etwas Gemeinsames, und zwar besteht es darin, daß der Wert als Tauschnorm gedacht wird, daß der Wertbegriff zur Erklärung des Preises [6] dient. Freilich, mit der Erklärung der Preise allein ist es nicht getan, oder richtiger gesagt, man darf sich nicht auf die Erklärung der Preise beschränken, dennoch bildet die Werttheorie unmittelbar die Grundlage für eine Theorie des Preises. Wenn die betreffende Wertlehre die Preisfrage ohne innere Widersprüche löst, so ist sie richtig; wenn nicht, muß sie abgelehnt werden.

Von diesen Erwägungen ausgehend, wollen wir uns der Kritik der Böhm-Bawerkschen Theorie zuwenden.

Im vorhergehenden Abschnitt sahen wir, daß der Preis nach Böhm als Ergebnis individueller Schätzungen aufzufassen ist. Dementsprechend zerfällt seine „Lehre“ in zwei Teile: der erste Teil untersucht die Gesetze der Bildung der individuellen Schätzungen – „die Theorie des subjektiven Wertes“; der zweite Teil untersucht die Gesetze der Entstehung ihrer Resultante – „die Theorie des objektiven Wertes“.
 

2. Der subjektive und der objektive Wert. Definitionen

Wir wissen bereits, daß nach den Ansichten der subjektivistischen Schule die Grundlage der sozialökonomischen Erscheinungen in der individuellen Psychologie der Menschen zu suchen ist; beim Preis drückt sich dies darin aus, daß die Analyse des Preises auf die der individuellen Schätzungen zurückzuführen ist. Vergleicht man die Böhmsche Art der Behandlung der Wertfrage mit der von Marx, so wird der prinzipielle Unterschied zwischen beiden sofort klar: bei Marx bildet der Wertbegriff den Ausdruck für den sozialen Zusammenhang zweier sozialer Erscheinungen, nämlich zwischen der Produktivität der Arbeit und dem Preise; dabei ist dieser Zusammenhang in der kapitalistischen Gesellschaft (im Gegensatz zur einfachen Warenwirtschaft) komplizierter Natur. [7] Bei Böhm ist der Wertbegriff der Ausdruck für den Zusammenhang zwischen der sozialen Erscheinung des Preises und der individuell psychologischen Erscheinung der einzelnen Wertschätzung.

Die einzelne Wertschätzung setzt ein schätzendes Subjekt und ein abzuschätzendes Objekt voraus; das Ergebnis der Beziehungen zwischen denselben, das ist der subjektive Wert der österreichischen Schule. Der subjektive Wert ist somit keine besondere Eigenschaft, die den Gütern als solcher anhaftet, vielmehr ist er ein bestimmter psychischer Zustand des wertschätzenden Subjekts selbst. Sprechen wir von einem Ding, so meinen wir seine Bedeutung für ein gegebenes Subjekt. Also: „Wert im subjektiven Sinne ist die Bedeutung, die ein Gut oder ein Güterkomplex für die Wohlfahrtszwecke eines Subjekts besitzt.“ [8] Soweit die Definition des subjektiven Wertes.

Etwas anderes ist der objektive Wertbegriff Böhm-Bawerks: „Wert in objektivem Sinne heißt dagegen die Kraft oder Tüchtigkeit eines Gutes zur Herbeiführung irgendeines objektiven Erfolges. In diesem Sinne gibt es so viele Arten des Wertes, als es äußere Erfolge gibt, auf die man sich beziehen will. Es gibt einen Nährwert der Speisen, einen Heizwert von Holz und Kohle, einen Dungwert der verschiedenen Düngemittel, einen Sprengwert der Explosionsstoffe usw. In allen diesen Ausdrucksweisen ist aus dem Begriffe des ‚Wertes‘ jede Beziehung auf das Wohl und Wehe eines Subjekts verbannt.“ [9] (Letzter Sperrdruck vom Verfasser.)

Zu dieser Art von objektiven Werten, die in bezug auf das „Wohl und Wehe des Subjekts“ neutral sein sollen, zählt Böhm-Bawerk auch Werte von wirtschaftlichem Charakter, wie „Tauschwert“, „Ertragswert“, „Produktionswert“, „Mietwert“ und ähnliche. Die größte Bedeutung kommt darunter dem objektiven Tauschwert zu. Darunter ist nach Böhm-Bawerk zu verstehen: „... die objektive Geltung der Güter im Tausch, oder mit anderen Worten, die Möglichkeit, für sie im Austausch eine Quantität anderer wirtschaftlicher Güter zu erlangen, diese Möglichkeit als eine Kraft oder Eigenschaft der ersteren Güter gedacht.“ [10] So der Begriff des objektiven Tauschwertes.

Die letzte Definition ist ihrem Wesen nach weder zutreffend noch wäre sie richtig, wenn Böhm-Bawerk seinen Standpunkt konsequent durchgeführt hätte. Der Tauschwert der Güter wird hier als „ihre objektive Eigenschaft“ in eine Linie mit den physischen und chemischen Eigenschaften der Güter gestellt; anders gesagt: „der Nutzeffekt“ im technischen Sinne des Wortes wird mit dem ökonomischen Begriff des Tauschwerts identifiziert. Dies ist eben der Standpunkt des groben Warenfetischismus, der für die vulgäre politische Oekonomie so bezeichnend ist; in Wirklichkeit „hat die Warenform und das Wertverhältnis der Arbeitsprodukte, worin sie sich darstellt, mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen.“ [11]

Vom Standpunkt Böhm-Bawerks selbst kann seine Behauptung im Grunde genommen auch nicht aufrecht erhalten werden. Wenn der objektive Wert nichts anderes als ein Ergebnis der subjektiven Wertschätzungen ist, so darf er nicht mit den chemischen und physischen Eigenschaften der Güter in eine Linie gestellt werden; vielmehr ist er grundsätzlich von ihnen verschieden: Er enthält auch kein „Atom Materie“, da er von immateriellen Elementen abstammt und gebildet wird, wie dies der Fall bei den individuellen Wertschätzungen der verschiedenen „Wirtschaftssubjekte“ ist. Mag es noch so sonderbar klingen, wir müssen trotzdem konstatieren, daß der reine „Psychologismus“, der für die österreichische Schule und Böhm-Bawerk so bezeichnend ist, sich mit dem vulgären, extrem-materialistischen Fetischismus, also mit einem, dem Wesen nach sehr naiven und unkritischen Standpunkt, vertragen kann. Böhm-Bawerk protestiert zwar gegen eine Auffassung des subjektiven Werts, nach der dieser den Gütern als solchen, ohne Beziehung derselben zum wertschätzenden Subjekt, anhaften soll, stellt aber selbst bei der Definition des objektiven Wertbegriffs diesen auf eine Stufe mit den in bezug auf das „Wohl und Wehe des Subjekts“ neutralen technischen Eigenschaften der Dinge und vergißt dabei, daß damit der genetische Zusammenhang zwischen dem subjektiven und objektiven Wert verloren geht, den doch seine eigene Theorie voraussetzt. [12]

Wir haben also zwei Wertkategorien: die eine stellt eine grundlegende, die andere eine abgeleitete Größe dar. Daher ist es notwendig, zuerst die Theorie des subjektiven Wertes zu prüfen. Dazu kommt, daß gerade in diesem Teil der Theorie die meisten originellen Versuche unternommen wurden, die Wertlehre auf einer neuen Basis aufzubauen.
 

3. Nutzen ind Wert (Subjektiver)

„Der leitende Begriff (der österreichischen Schule) ... ist der Nutzen.“ [13] Während bei Marx der Nutzen nur die Bedingung der Entstehung des Wertes ist, seine Höhe aber nicht beeinflußt, wird bei Böhm-Bawerk der Wert vom Nutzen abgeleitet und ist der unmittelbare Ausdruck desselben. [14]

Böhm-Bawerk unterscheidet jedoch (im Gegensatz, wie er meint, zur alten Terminologie, nach der Nutzen und Gebrauchswert immer Synonyme sind) zwischen Nützlichkeit im allgemeinen und Wert, der sozusagen qualifizierte Nützlichkeit ist. „Die Beziehung zur menschlichen Wohlfahrt“ – sagt Böhm-Bawerk – „äußert sich in zwei wesentlich verschiedenen Formen: „Die niedrigere liegt dann vor, wenn ein Gut überhaupt die Fähigkeit hat, der menschlichen Wohlfahrt zu dienen. Dagegen erheischt die höhere Stufe, daß ein Gut nicht bloß taugliche Ursache, sondern zugleich auch unentbehrliche Bedingung eines Wohlfahrtserfolges sei ... Die niedrigere Stufe nennt sie (die Sprache) Nützlichkeit, die höhere Wert.“ [15]

Zwei Beispiele veranschaulichen diesen Unterschied: im ersten haben wir einen „Mann“, der „an einer reichlich sprudelnden Quelle guten Trinkwassers“ sitzt; im zweiten – „einen anderen Mann, der in der Wüste reist“. Es ist klar, daß ein Becher Wasser eine ganz verschiedene Bedeutung für die „Wohlfahrt“ der beiden haben muß. Im ersten Fall ist der Becher Wasser keinesfalls als „unentbehrliche Bedingung“ anzusehen; anders im zweiten Fall: hier tritt der Nutzen in seiner „höchsten“ Form hervor, da der Verlust eines jeden Bechers Wasser für unseren Reisenden sehr empfindlich werden kann.

Daraus ergibt sich folgende Formulierung der „Entstehung des Wertes“: „Güter erlangen dann Wert, wenn der verfügbare Gesamtvorrat an Gütern solcher Art so gering ist, daß er zur Deckung der von ihnen Befriedigung heischenden Bedürfnisse entweder nicht oder doch nur so knapp ausreicht, daß er ohne die Güterexemplare, um deren Schätzung es sich gerade handelt, schon nicht mehr ausreichen würde.“ [16]

Also der „qualifizierte Nutzen“ der Güter wird zum Ausgangspunkt für die Analyse der Warenpreise gemacht – dient doch jede Werttheorie vor allem zur Erklärung der Preise – d. h. also zum Ausgangspunkt wird gemacht gerade das, was Marx als eine nicht dazugehörende Größe aus seiner Analyse ausschließt.

Betrachten wir nun diese Frage eingehender. Wir dürfen nicht außer acht lassen, daß den Ausgangspunkt der österreichischen Schule die Motive der Wirtschaftssubjekte in ihrer „reinen“ d. h. einfachsten Form bilden. „Unsere Aufgabe soll nun sein, der kasuistischen Entscheidungspraxis des Lebens gleichsam den Spiegel vorzuhalten und die Regeln, die der gemeine Mann instinktiv so sicher handhabt, zu ebenso sicherer, dabei aber auch bewußter Anschauung zu bringen.“ [17] Sehen wir nun zu, wieder theoretische „Spiegel“ des Hauptes der neuen Schule diese „Praxis des Lebens“ widergibt.

Für die moderne Produktionsweise ist es vor allem charakteristisch, daß sie nicht für den eigenen Bedarf der Produzierenden, sondern für den Markt produziert. Der Markt ist das letzte Glied einer Kette von mannigfaltigen Produktionsformen, in der die Entwicklung der Produktivkräfte und die ihnen entsprechende Entwicklung der Tauschverhältnisse das alte naturalwirtschaftliche System zerstörten und neue wirtschaftliche Erscheinungen ins Leben riefen. Es sind drei Entwicklungsstufen dieses Verwandlungsprozesses der Naturalwirtschaft in die kapitalistische Warenwirtschaft zu unterscheiden.

Auf der ersten Stufe liegt der Schwerpunkt in der Produktion für den eigenen Bedarf; auf den Markt kommt nur der „Ueberschuß an Produkten“; dieses Stadium ist für die Anfangsformen des Tausches charakteristisch. Allmählich führt die Entwicklung der Produktivkräfte und die Verschärfung der Konkurrenz zu einer Verschiebung des Schwerpunktes nach der Richtung der Produktion für den Markt hin. Innerhalb der eigenen Wirtschaft wird nur ein geringer Teil der hergestellten Produkte konsumiert (derartige Verhältnisse kann man gegenwärtig oft in der Landwirtschaft, nämlich in der Bauernwirtschaft, beobachten). Doch kommt damit der Entwicklungsprozeß noch nicht zum Stillstand; die gesellschaftliche Arbeitsteilung schreitet weiter vorwärts und erreicht endlich eine Höhe, bei der die Massenproduktion für den Markt zur typischen Erscheinung wird, wobei die hergestellten Produkte innerhalb der betreffenden Wirtschaft überhaupt nicht konsumiert werden.

Welches sind nun die Veränderungen in den Motiven und in der „Lebenspraxis“ der Wirtschaftssubjekte, Veränderungen, die parallel dem geschilderten Entwicklungsprozeß verlaufen mußten?

Man kann diese Frage kurz beantworten: die Bedeutung der subjektiven Schätzungen, die auf dem Nutzen fußen, vermindert sich: „Man stellt (um in heutiger Terminologie zu sprechen) noch keine Tauschwerte her (die rein quantitativ bestimmt sind), sondern ausschließlich Gebrauchsgüter, also qualitativ unterschiedliche Dinge.“ [18] Für die höheren Entwicklungsstufen kann dagegen die Regel gelten: „Der gute Hausvater soll mehr bedacht sein auf den Profit und die lange Dauer der Sachen, als auf eine momentane Befriedigung und gegenwärtigen Nutzen.“ [19]

Und in der Tat setzt die Naturalwirtschaft voraus, daß die von ihr produzierten Güter Gebrauchswert für diese Wirtschaft haben; auf der folgenden Entwicklungsstufe verliert der Ueberschuß die Bedeutung als Gebrauchswert; ferner wird schon der größere Teil der hergestellten Produkte von dem Wirtschaftssubjekt nicht dem Nutzen nach gewertet, da dieser für ihn nicht vorhanden ist; endlich stellt auf der letzten Entwicklungsstufe das gesamte innerhalb der Einzelwirtschaft hergestellte Produkt für sie selbst gar keinen „Nutzen“ dar. Und so ist es gerade das vollständige Fehlen von auf Nutzen beruhenden Wertungen der Güter, das für die sie herstellenden Wirtschaften charakteristisch ist. [20] Doch darf man nicht annehmen, daß sich der Tatbestand nur für den Verkäufer so stellt. Es steht auch nicht anders um den Käufer. Das tritt besonders klar zutage bei der Analyse der Wertungen seitens der Händler. Kein einziger Händler, vom Grossisten bis zum Hausierer, denkt auch nur im geringsten an den „Nutzen“ oder „Gebrauchswert“ seiner Ware. In seiner Psyche ist der Inhalt, nach dem Böhm-Bawerk vergebens sucht, einfach nicht vorhanden. Etwas komplizierter stellt sich die Sache für die Käufer, die die Produkte für den eigenen Bedarf kaufen. (Von den Produktionsmitteln ist noch weiter unten die Rede.) Aber auch hier ist der Böhm-Bawerksche Weg ungangbar. Denn jede „Hausfrau“ geht in ihrer „Praxis“ einerseits von den bestehenden Preisen, andererseits von der zu ihrer Verfügung stehenden Geldsumme aus. Nur innerhalb dieser Grenzen kann eine gewisse Wertung nach dem Nutzen erfolgen. Wenn man für eine gewisse Geldsumme x Ware A oder y Ware B oder z Ware C kaufen kann, so wird jedermann diejenige Ware vorziehen, die für ihn größeren Nutzen hat. Doch setzt eine derartige Wertung das Vorhandensein von Marktpreisen voraus. Und ferner: Die Wertung jeder einzelnen Ware wird keineswegs vom Nutzen derselben bedingt. Ein klares Beispiel stellen die Gegenstände des täglichen Gebrauchs dar: Keine einzige Hausfrau, die auf den Markt einkaufen geht, schätzt das Brot nach seinem unendlich hohen subjektiven Wert ein, im Gegenteil schwankt die Wertung um die bereits bestehenden Marktpreise; dasselbe gilt auch für jede andere Ware.

Und so kann der isolierte Mann Böhm-Bawerks (ganz gleich, ob er an einer Wasserquelle sitzt oder in der „glühenden Wüste“ reist) vom Standpunkte der „Wirtschaftsmotive“ aus nicht mehr verglichen werden – weder mit dem Kapitalisten, der seine Ware auf den Markt bringt, noch mit dem Händler, der die Ware zum Wiederverkauf erwirbt – nicht einmal mit dem einfachen Käufer, der unter die Bedingungen der Geld-Waren wirtschaft gestellt ist, ganz gleich, ob er Kapitalist oder Händler ist. Daraus folgt, daß man weder den Begriff des „Gebrauchswerts“ (von Marx) noch den des „subjektiven Gebrauchswerts“ (von Böhm-Bawerk) zur Grundlage einer Preisanalyse machen kann. Der Gesichtspunkt Böhm-Bawerks steht in krassem Widerspruch zur Wirklichkeit, die doch Böhm-Bawerk zu erklären sich zur Aufgabe stellte.

Das gewonnene Ergebnis, daß nämlich der Gebrauchswert keine geeignete Grundlage für die Analyse des Preises bietet, ist auch für diejenige Stufe der Warenproduktion richtig, auf der nicht das ganze Produkt auf den Markt kommt, sondern nur der „Ueberschuß des Produktes“, da es sich dabei nicht um den Wert des in eigener Wirtschaft konsumierten Produktes handelt, sondern gerade um den Wert dieses „überschüssigen“ Teils. Die Preise kommen nicht auf Grund der Wertungen der Produkte schlechthin, sondern der Ware zustande; die subjektiven Wertungen der in der Wirtschaft selbst konsumierten Produkte sind ohne Einfluß auf das Zustandekommen der Warenpreise. Insofern aber das Produkt zur Ware wird. h.rt der Gebrauchswert auf, seine frühere Rolle zu spielen. [21] „Daß diese Ware für andere nützlich, ist Voraussetzung für ihre Austauschbarkeit; aber als für mich nutzlos, ist der Gebrauchswert meiner Ware kein Maßstab auch nur meiner individuellen Wertschätzung, geschweige für eine objektive Wertgröße.“ [22]

Andererseits erstreckt sich bei genügend entwickelten Tauschverhältnissen die Wertschätzung der Produkte nach ihrem Tauschwert sogar auf denjenigen Teil derselben, der zum eigenen Bedarf des Produzenten gehört. Wie W. Lexis sehr richtig hervorhebt, werden überhaupt „in dem geldwirtschaftlichen Tauschsystem alle Güter als Waren angesehen und verrechnet, auch wenn sie für den eigenen Bedarf bestimmt sind.“ [23]

Doch nur bei der Massenproduktion für den Markt, bei der die gesamten Produkte in den Zirkulationsprozeß hineingezogen werden, wird es besonders klar, wie sehr der Gebrauchswert von seiner früheren Bedeutung eingebüßt hat, da hier die subjektive Wertschätzung nach dem Nutzen ganz augenscheinlich verschwindet in bezug auf das gesamte in der jeweiligen Wirtschaft hergestellte Produkt.

Daraus erklärt sich das Bestreben Böhm-Bawerks, die moderne sozialwirtschaftliche Organisation als eine unentwickelte Warenproduktion darzustellen; „... unter der Herrschaft der arbeitsteiligen Produktion (erfolgen) die geschäftlichen Verkäufe zumeist aus einem Ueberflusse“ [24]; bei der modernen Organisation der Arbeit produziert „jeder Produzent nur einige Artikel, diese aber weit über seinen persönlichen Bedarf.“ [25]

So stellt Böhm-Bawerk die kapitalistische „Volkswirtschaft“ dar. Eine derartige Darstellung kann freilich keiner Kritik stand halten; doch taucht sie immer wieder bei den Autoren auf, die die Werttheorie auf der Grundlage des Nutzens aufstellen. Von Böhm-Bawerk gilt deshalb wörtlich genau das, was Marx über Condillac sagte:

„Man sieht, wie Condillac nicht nur Gebrauchswert und Tauschwert durcheinanderwirft, sondern wahrhaft kindlich einer Gesellschaft mit entwickelter Warenproduktion einen Zustand unterschiebt, worin der Produzent seine Subsistenzmittel selbst produziert und nur den Ueberschuß über den eigenen Bedarf, den Ueberfluß, in die Zirkulation wirft.“ [26]

Marx hat es also durchaus mit Recht abgelehnt, den Gebrauchswert zur Grundlage einer Preisanalyse zu machen. Umgekehrt ist es ein Grundfehler der österreichischen Schule, daß „das leitende Prinzip“ ihrer Theorie nichts Gemeinsames mit der modernen kapitalistischen Wirklichkeit hat. [27] Dies muß, wie aus dem weiteren ersichtlich ist, unvermeidlich den ganzen Aufbau der Theorie beeinflussen.
 

4. Das Maß des Wertes und der Einheitswert

Wodurch läßt sich die Größe des subjektiven Wertes bestimmen? Mit anderen Worten: wovon hängt die Höhe der individuellen Schätzung des „Gutes“ ab? In der Beantwortung dieser Frage besteht hauptsächlich das „Neue“, das von den Vertretern der österreichischen Schule und deren ausländischen Anhängern gesagt worden ist.

Da der Nutzen eines Gutes in dessen Fähigkeit, irgendein Bedürfnis zu befriedigen, besteht, so ist es selbstverständlich notwendig, diese Bedürfnisse zu analysieren. Nach der Lehre der österreichischen Schule muß beachtet werden: erstens die Verschiedenheit der Bedürfnisse; zweitens die Dringlichkeit der Bedürfnisse nach irgendeinem Gegenstand einer bestimmten Art. Die verschiedenen Bedürfnisse lassen sich je nach dem Grad ihrer zu- oder abnehmenden Wichtigkeit für das „Wohlsein des Subjektes“ einteilen. Andererseits ist die Dringlichkeit der Bedürfnisse einer bestimmten Art von dem Maße abhängig, in dem die Sättigung erfolgt. Je mehr ein Bedürfnis befriedigt wird, um so weniger „dringlich“ ist das Bedürfnis. [28]

Auf Grund dieser Erwägungen stellte Menger die berühmte „Bedürfnis-Skala“ auf, die in der einen oder anderen Form in allen Werken der österreichischen Schule über den Wert figuriert. Wir geben diese Skala in der Form wieder, wie sie bei Böhm-Bawerk angeführt ist.

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

10

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9

9

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6

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5

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3

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3

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3

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2

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2

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1

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Die Vertikalreihen, die mit römischen Ziffern bezeichnet sind, drücken die verschiedenen Arten von Bedürfnissen aus, beginnend mit den wichtigsten. Die Zahlen innerhalb jeder Vertikalreihe bedeuten die Abnahme der Dringlichkeit eines Bedürfnisses je nach dessen Befriedigung.

Aus der Tabelle geht unter anderem hervor, daß das konkrete Bedürfnis einer wichtigen Kategorie seiner Größe nach geringer sein kann als das konkrete Bedürfnis einer weniger wichtigen Kategorie, je nach dem Grad der Befriedigung. Die „Sättigung“ in der vertikalen Reihe [29] kann die Größe des Bedürfnisses der ersten Reihe bis zu 3, 2 und 1 herabsetzen, während bei geringer Sättigung in der VI. Reihe die Größe dieses abstrakt weniger wichtigen Bedürfnisses konkret durch die Zahlen 4 und 5 ausgedrückt werden kann. [30]

Um nun zu entscheiden, welchem konkreten Bedürfnis ein gewisses Gut entspricht (denn eben dies bestimmt seinen subjektiven Nutzwert), muß man zusehen, „welches Bedürfnis um seine Befriedigung käme, wenn man das zu schätzende Gut nicht hätte: dieses Bedürfnis ist offenbar das abhängige“. [31]

Auf Grund dieser Methode kommt Böhm-Bawerk zu folgendem Resultat: Da jeder es vorzieht, das geringste Bedürfnis unbefriedigt zu lassen, so wird das Gut nach dem geringsten Bedürfnis geschätzt, das es befriedigen kann. „Die Größe des Wertes eines Gutes bemißt sich nach der Wichtigkeit desjenigen konkreten Bedürfnisses oder Teilbedürfnisses , welches unter den durch den verfügbaren Gesamtvorrat an Gütern solcher Art gedeckten Bedürfnissen das mindest wichtige ist.“ Oder einfacher: „Der Wert eines Gutes bestimmt sich nach der Größe seines Grenznutzens.“ [32] Das ist die berühmte Lehre der ganzen Schule, nach der auch diese Theorie den Namen „Grenznutzentheorie“ [33] erhalten hat; das ist das allgemeine Prinzip, von dem alle anderen „Gesetze“ abgeleitet werden.

Die angeführte Methode der Wertbestimmung setzt ein bestimmtes Maß des Wertes voraus. In der Tat, die Größe des Wertes ist ein Resultat des Messens; das setzt aber eine bestimmte Maßeinheit voraus. Worin besteht nach Böhm-Bawerk die Maßeinheit?

Hier stößt die österreichische Schule auf eine sehr große Schwierigkeit, die sie bis jetzt noch nicht überwunden hat und auch nicht überwunden wird. Man muß zunächst auf die kolossale Rolle hinweisen, die die Auswahl der Werteinheit vom Standpunkt Böhm-Bawerks hat. „Die Tatsache ist, daß unser Werturteil gegenüber einer und derselben Gütergattung zur selben Zeit und unter denselben Verhältnissen verschieden ausfallen kann, bloß je nachdem wir nur einzelne Exemplare oder größere Mengen derselben als geschlossene Einheit der Wertschätzung unterziehen.“ [34] Dabei hängt von der Wahl der Maßeinheit nicht nur die Größe des Wertes ab, sondern es kann die Frage nach dem Bestehen eines Wertes überhaupt gestellt werden. Wenn (nach dem Beispiel Böhm-Bawerks) ein Landwirt 10 Hektoliter Wasser pro Tag braucht und er hat 20 Hektoliter, so hat das Wasser für ihn keinen Wert. Wenn wir aber als Einheit ein größeres Maß als das 10-Hektoliter-Maß nehmen, so wird das Wasser einen Wert erhalten. Auf diese Weise hängt der Wert schon an und für sich von der Wahl der Einheit ab. Im Zusammenhang damit steht auch eine andere Erscheinung. Angenommen, wir sind im Besitz einer Reihe von Gütern, deren Grenznutzen mit der Vergrößerung ihrer Zahl sinkt. Nehmen wir an, daß der sinkende Wert durch folgende Zahlenreihe ausgedrückt wird: 6, 5, 4, 3, 2, 1. Wenn wir 6 Einheiten eines gegebenen Gutes besitzen, so wird der Wert jedes einzelnen von ihnen durch den Grenznutzen eben dieser Einheit bestimmt, d. h. er wird eben gleich 1 sein. Nehmen wir als Einheit die Verbindung zweier früheren Einheiten, so wird der Grundnutzen dieser 2 Einheiten nicht 1×2, sondern 1+2, d. h. nicht 2, sondern 3 sein; und der Wert von 3 Einheiten nicht mehr 1×3, sondern 1+2+3, d. h. nicht 3, sondern 6 usw. Mit anderen Worten, der Wert einer größeren Anzahl von Gütern befindet sich nicht im Verhältnis zum Werte eines einzelnen Exemplars dieser materiellen Güter. [35] So spielt die Maßeinheit eine wesentliche Rolle. Welches ist aber die Maßeinheit? Auf diese Frage kann Böhm-Bawerk (auch die anderen Oesterreicheri keine bestimmte Antwort geben. [36] Böhm-Bawerk beantwortet diese Frage folgendermaßen: „Dieses Bedenken ist nicht begründet. Denn die Menschen können die Schätzungseinheit nicht nach Willkür wählen, sondern dieselben äußeren Umstände ... enthalten zugleich ein völlig zwingendes Gebot darüber, über welches Quantum sie eine einheitliche Wertschätzung zu fällen haben.“ [37] Indes ist es klar, daß diese Maßeinheit hauptsächlich in den Fällen vorhanden sein kann, wenn der Warenaustausch eine zufällige, nicht typische Erscheinung des Wirtschaftslebens ist. Umgekehrt fühlen die Vermittler des Warenaustausches bei einer entwickelten Warenproduktion sich nicht an zwingende Normen bei der Wahl der „Werteinheit“ gebunden. Der Fabrikant, der sein Leinen verkauft, der Grossist, der es kauft und verkauft, eine ganze Reihe von Kleinhändlern – sie alle können ihre Waren nach Meter und Zentimeter oder nach Stück (d. h. nach einer großen Anzahl von Metern, die als Einheit genommen wird) messen, wobei in allen diesen Fällen kein Unterschied in der Bewertung gemacht wird. Sie entäußern sich ihrer Waren (die moderne Form des Verkaufs ist ein regulärer Prozeß der Entäußerung der Waren durch den Produzenten oder durch seine sonstigen Inhaber); ihnen ist es völlig gleichgültig, nach welchem physischen Maßstabe die verkauften Güter gemessen werden. Die gleiche Erscheinung beobachten wir bei der Analyse der Motive der Käufer, die für den eigenen Gebrauch kaufen. Die Sache ist eben sehr einfach. Die heutigen „Wirtschaftssubjekte“ bewerten die Güter nach deren Marktpreisen, die Marktpreise aber hängen keineswegs von der Wahl der Maßeinheit ab.

Dabei noch eins. Wir haben schon oben gesehen, daß der Gesamtwert der Einheiten nach Böhm-Bawerk keineswegs dem Werte der Einheit, multipliziert mit deren Zahl, gleich ist. Wenn wir eine Reihe haben: 6, 5, 4, 3, 2, 1, so ist der Wert dieser 6 Einheiten (des gesamten „Vorrates“) gleich der Summe 1+2+3+4+5+6. Das ist die völlig logische Schlußfolgerung aus den Grundvoraussetzungen der Grenznutzentheorie. Trotzdem ist es absolut unrichtig. Und daran sind eben die Ausgangspunkte der Böhm-Bawerkschen Theorie schuld, seine Mißachtung des sozial-historischen Charakters der ökonomischen Erscheinungen. In der Tat berechnet kein Agent der heutigen Produktion und des Austausches, weder der Verkäufer noch der Käufer, den Wert des „Vorrates“, d. h. die Gesamtheit der Güter nach der Böhm-Bawerkschen Methode. Der theoretische Spiegel des Hauptes der neuen Schule verzerrt hier nicht nur die „Praxis des Lebens“: sein Spiegelbild zeigt überhaupt keine entsprechenden Tatsachen. Für jeden Verkäufer von n Einheiten erscheint die Summe dieser Einheiten n-mal mehr als eine Einheit. Das gleiche läßt sich auch in bezug auf den Käufer sagen. „Für einen Fabrikanten hat die 50. Spinnmaschine in seiner Fabrik ganz dieselbe Bedeutung und denselben Wert als die erste, und der gesamte Wert aller 50 ist nicht 50+49+48+ ... 2+1 = 1.275; sondern ganz einfach 50×50 = 2.500.“ [38] Indes dieser Widerspruch zwischen der „Theorie“ Böhm-Bawerks und der „Praxis“ ist so auffallend, daß Böhm-Bawerk selbst diese Frage nicht umgehen konnte. Er schreibt darüber: „In unserem gewöhnlichen praktischen Wirtschaftsleben haben wir nicht häufig Gelegenheit, die geschilderte kasuistische Besonderheit (d. h. das Fehlen der Proportionalität zwischen dem Werte der Summe und dem der Einheit [N. B.]) wahrzunehmen. Das kommt davon, daß unter der Herrschaft der arbeitsteiligen Produktion die geschäftlichen Verkäufe zumeist (!) aus einem Ueberflusse (!!) erfolgen, der zur Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse des Eigentümers gar nicht bestimmt ist ...“ [39] Schön, aber die Frage besteht eben in folgendem: wenn diese „kasuistische Besonderheit“ im heutigen Wirtschaftsleben nicht festgestellt werden kann, so ist es klar, daß die „Grenznutzentheorie“ alles andere, nur kein Gesetz der kapitalistischen Wirklichkeit ist, weil eben diese „Besonderheit“ eine logische Folge der Grenz-Nutzen-Theorie ist, der sie logisch entspringt, mit der sie fällt.

So sehen wir, daß das Fehlen einer Proportionalität zwischen dem Wert der Summe und der Anzahl der addierten Einheiten für die heutigen wirtschaftlichen Verhältnisse eine Fiktion ist; dabei widerspricht sie so der Wirklichkeit, daß Böhm-Bawerk selbst außerstande ist, seinen eigenen Standpunkt folgerichtig weiter zu führen. Beim Hinweis auf die Fülle der indirekten Wertungen führt er aus: „Wenn wir aber befähigt sind zu urteilen, daß uns ein Apfel gerade so lieb ist als acht Pflaumen, und eine Birne gerade so lieb als sechs Pflaumen, so sind wir auch befähigt, auf dem Umwege eines Schlusses aus den beiden ersten Urteilen das dritte Urteil zu bilden, daß uns ein Apfel gerade um ein Drittel lieber ist als eine Birne.“ [40] (Es handelt sich um die subjektiven Wertschätzungen.) Diese Betrachtung ist dem Wesen nach richtig, aber sie ist unrichtig vom Standpunkte Böhm-Bawerks aus. Und zwar: „Warum kommen wir in diesem Falle zum „dritten Urteil“, daß ein Apfel um ein Drittel „teurer“ als eine Birne ist? Ja eben darum, weil der Wert von acht Pflaumen den Wert von sechs Pflaumen um ein Drittel übersteigt. Dies setzt seinerseits eine Proportionalität zwischen dem Werte der Summe und der Menge der Einheiten voraus: nur in dem Falle ist der Wert von acht Pflaumen um ein Drittel höher als der Wert von sechs Pflaumen, wenn der Wert von acht Pflaumen achtmal und der Wert von sechs Pflaumen sechsmal so hoch als der Wert von einer Pflaume ist.

An diesem Beispiele sehen wir noch einmal, wie wenig die Böhmsche Theorie mit den wirtschaftlichen Erscheinungen in der Wirklichkeit übereinstimmt. Diese Erörterung eignet sich vielleicht zur Erklärung der Psychologie des „Reisenden in der Wüste“, des „Ansiedlers“, des Mannes an der Quelle“, und dies auch nur insofern, als diese „Individuen“ die Möglichkeit zu produzieren entbehren. In einer modernen Wirtschaft wären derartige Motive, wie sie Böhm postuliert, psychologisch unmöglich und unsinnig.

* * *

Fußnoten

1. Böhm-Bawerk: Grundzüge der Theorie des wirtschafrtlichen Güterwerts, S. 8

2. „Bei einem Gesellschaftszustande ... wo das System der Erwerbstätigkeit gänzlich auf Kaufen und Verkaufen beruht ... ist die Frage vom Werte fundamental. Fast jede Ansicht in bezug auf die kommerziellen Interessen einer so konstituierten Gesellschaft schließt irgendeine Theorie des Wertes in sich, der geringste Irrtum in dieser Beziehung verbreitet den entsprechenden Irrtum über alle unsere anderen Schlußfolgerungen“ (Stuart Mill, Grundsätze der politischen Oekonomie, übers, von Soetbeer, 3. Aufl., 1869, Bd. II, S. 10).

Freilich wurden in letzter Zeit, angeregt durch Herrn Struve, Stimmen laut, nach denen das Wertproblem in keinem Zusammenhang mit dem Verteilungsproblem stehe, während Ricardo z. B. das Wertproblem zum Grundproblem der politischen Oekonomie zählt. (Siehe Grundgesetze der Volkswirtschaft.)

Dieselbe Ansicht vertritt auch Tugan-Baranowsky, wenn auch seine „Verteilungstheorie“ durchaus das gewichtigste Argument gegen diese „Neuerung“ ist. Struve gibt der Frage eine logisch reinere Form, die die Aufstellung einer Verteilungstheorie unmöglich macht.

Dasselbe gilt für Schaposchnikow. (Siehe seine Wert- und Verteilungstheorie, Moskau 1912, S. 11.)

3. J. Stuart Mill, 1. c., S. 109.

4. Böhm-Bawerk: Grundzüge usw., S. 8.

5. Ib., S. 8.

6. Die einzige Ausnahme bildet die Werttheorie von Struve, der den Wert auf einen statistisch berechneten Preisdurchschnitt zurückführt. Doch bedeutet dies in Wirklichkeit die Vernichtung jeglicher Theorie.

Bulgakow seinerseits wirft in seiner Wirtschaftsphilosophie Marx vor, er habe das Problem der Arbeit und deren Rolle „von der prinzipiellen Höhe in die merkantile Praxis auf dem Markt“ übertragen (106); dies sei nichts anderes als ein pseudo-prinzipieller Standpunkt – die Kehrseite der Vulgarität. Derselbe „Kritiker“ schreibt: „... ist eine allgemeine Theorie der kapitalistischen Wirtschaft von Nutzen? Ich glaube, ja ... Doch kann man auch denselben Nutzen von den einzelnen Theorien – des Wertes, des Profits, des Kapitals annehmen? ... Ich glaube, nein ...“ (289). Der tiefsinnige Herr Professor glaubt also, daß es möglich sei, eine allgemeine Theorie des Kapitalismus zu geben, ohne eine Theorie „des Wertes, des Profits, des Kapitals“.

7. Wir verstehen darunter die Tatsache, daß die Preise mit dem Wert nicht zusammenfallen, ja nicht einmal sich um den Wert herumbewegen, sondern sich den sogenannten „Produktionspreisen“ nähern.

8. Böhm-Bawerk: Grundzüge usw.“, S. 4.

Aehnlich K. Menger: „Der Wert ist ... nichts den Gütern Anhaftendes, keine Eigenschaft derselben, sondern vielmehr lediglich jene Bedeutung, welche wir zunächst der Befriedigung unserer Bedürfnisse, bzw. unserem Leben und unserer Wohlfahrt beilegen und in weiterer Folge auf die ökonomischen Güter, als die ausschließenden Ursachen derselben, übertragen.“ (Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Wien 1871, S. 81, Fußnote.) „Der Wert ist ein Urteil“ (ib., S. 86). Vgl. Wieser, der in seinem Ursprung des Wertes (S. 79), den Wert als ein menschliches Interesse auffaßt, das als Zu stand eines Dinges gedacht wird.

9. Böhm-Bawerk: Grundzüge usw.“, S. 4. Vgl. auch sein Kapital und Kapitalzins, Bd. II, 2. Aufl., Innsbruck 1909, S. 214.

10. Böhm-Bawerk: Grundzüge usw., S. 5.

Eine andere Terminologie gebraucht K. Menger. (Siehe seine Grundsätze, S. 214–15.)

11. Karl Marx: Kapital, Bd. I, S. 39.

12. Hierzu bemerkt Neumann: „Ob in Analogie zum Kauf- und zum Ertragswerte in unserer Wissenschaft auch von Heiz-, Nähr-, Düngwert usw. gesprochen werden darf, ist strittig.“ (Wirtschaftliche Grundbegriffe, Handbuch der Politischen Oekonomie, herausgeg. von Schönberg, IV. Aufl., Bd. I., S. 169.)

Bestimmter drückt sich J. Lehr aus. Er erhebt Widerspruch gegen eine derartige Vermengung und meint, daß man die politische Oekonomie „nicht aus dem Auge verlieren (darf), daß der Wert immer für und durch den Menschen existiert“ (Conrads Jahrbücher für NationalÖkonomie und Statistik, N. F., 19. Bd., 1889, S. 22). Vgl. auch N. Dietzel: Theoretische Sozialökonomik, S. 213–14.

Unter den bürgerlichen Gelehrten und ihrem Anhang zählt es zum guten Ton, darauf hinzuweisen, daß Marx in seiner Werttheorie etwas grob mechanisch-materialistisches zusammengebraut habe. Doch gibt es Materialismus und Materialismus. Sofern der Marxsche Materialismus sich in seinem ökonomischen System äußert, führt er nicht nur zu keinem Warenfetischismus, sondern im Gegenteil, er ermöglicht zum erstenmal seine Ueberwindung. Im besonderen gehört der Wert bei Marx zu den gesellschaftlich gültige(n), also objektive(n) Gedankenformen für die Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten gesellschaftlichen „Produktionsweise“ (Kapital, Bd. I, S. 42). Doch bedeutet hier „objektiv“ nicht „physisch“. Mit demselben Recht könnte man auch die Sprache als etwas Physisches ansehen. Vgl. S. 39 des Bd. I vom Kapital. Ebenso Stolzmann: Der Zweck ..., S. 58.

13. W. Sombart: Zur Kritik des ökonomischen Systems von Karl Marx, Brauns Archiv, Bd. VII, S. 592.

14. Darin war für manche Eklektiker ein Grund für die Annahme, daß die Theorie der Klassiker und die Marxsche nicht etwa im „Widerspruch“ zu der österreichischen Schule stehe, sondern sie nur „vervollständige“. Siehe zum Beispiel Dietzel: Theoretische Sozialökonomik, Leipzig 1895, S. 23. Diese Herrschaften begreifen nicht einmal, daß bei Marx überhaupt kein einziger Begriff vorhanden ist, welcher dem subjektiven Wertbegriff der österreichischen Schule analog wäre. Darüber siehe die ausgezeichnete Broschüre von R. Hilferding: Böhm-Bawerks Marx Kritik, Wien 1904, S. 52 u. 53 ff. Besonders amüsant ist in dieser Beziehung Tugan-Baranowsky, der in seinen Grundzügen ein Gesetz der Proportionalität zwischen dem Arbeitswert, der doch nur Sinn hätte in Relation zu der ganzen Gesellschaft und den man ganz unmöglich auf eine vereinzelte Wirtschaft anwenden kann – und dem Grenznutzen aufstellt, der im Gegenteil sich nur für die Schätzungen des Individuums „eignet“ und jeden Sinn sogar vom Standpunkte Böhm-Bawerks selbst in Relation zur „Volkswirtschaft“ entbehrt.

15. Böhm-Bawerk: Grundzüge usw., S. 9. Dies ist für die Oesterreicher besonders wichtig. „Ihr (d. h. der Grenznutzentheorie) Eckstein, ist die Unterscheidung zwischen Nützlichkeit im allgemeinen und demjenigen ganz bestimmten konkreten Nutzen, der in einer gegebenen wirtschaftlichen Sachlage von der Verfügung über das zu schätzende bestimmte Gut abhäng.“" (Böhm-Bawerk: Der letzte Maßstab des Güterwertes, Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd. III, S. 187)

16. Böhm-Bawerk: Grundzüge usw., S. 13. „Alle Güter haben Nützlichkeit, aber nicht alle Güter haben Wert. Damit Wert entstehe, muß sich zur Nützlichkeit auch Seltenheit gesellen, nicht absolute, sondern relative Seltenheit im Vergleich zum Bedarf nach Gütern der betreffenden Art.“ Böhm-Bawerk: Kapital und Kapitalzins, II. Positive Theorie des Kapitals, 3. Aufl., Innsbruck 1912, S. 224. Aehnlich auch Menger: „Ist nämlich der Bedarf an einem Gute größer als die verfügbare Qualität desselben, so steht zugleich fest, daß, nachdem ein Teil der bezüglichen Bedürfnisse ohnehin wird unbefriedigt bleiben müssen, die verfügbare Quantität des in Rede stehenden Gutes um keine irgendwie praktisch beachtenswerte Teilquantität verringert werden kann, ohne daß hierdurch irgendein Bedürfnis, für welches bis dahin vorgesorgt war, nicht, oder doch nur minder vollständig befriedigt werden könnte, als dies ohne den Eintritt der obigen Eventualität der Fall sein würde.“ K. Menger: Grundsätze, S. 77.

Die Urheber der Grenznutzentheorie sind keinesfalls berechtigt, zu behaupten, daß diese These von ihnen stammt. Wir finden sie bereits beim Grafen Verri (Vgl. Comte de Verri: Economie politique etc. Paris, An. VIII) freilich in einer objektivierten Form: „Quels sont donc les éléments qui constituent le prix? Il n’est certainement point basé sur la seule utilité. Pour nous en convaincre, il suffit de réflechir que l’eau, l’air, et la lumière du soleil n’ont aucun prix, et cependent y a-t-il rien de plus utile et de plus nécessaire? ... donc l’utilité simple et pure d’une chose ne suffit pas pour lui en donner. N’éanmoins la seule rareté lui en donne“ (14).

„Deux principes reunis constituent le prix des choses: le besoin et la rareté (15).

Aehnlich auch bei Condillac: Le Commerce et le gouvernement etc., Paris, An. III, 1795, B. I. Doch formuliert Condillac die Frage subjektiv („nous estimons“, „nous jugeons“; cette estime est ce que „nous appelons valeur“ etc.).

„La valeur des choses croît donc dans la rareté et diminue dans l’abon-dance. Elle peut, même dans l’abondance diminuer au point de devenir nulle.“ (pp. 6, 7)

Bei Walras dem Aelteren (M. Auguste Walras: De la nature de la richesse et de l’origine de la valeur, Paris 1831) hängt das Element der Seltenheit mit dem des Eigentums zusammen, was wiederum in Abhängigkeit gebracht ist von der Tauschfähigkeit und dem Werte (objektiven) des Gebrauchsgegenstandes. (Sie „sont naturalement bornés dans leur quantité“.) Leon Walras gibt in seinem Principe d’une théorie mathematique de l’échange eine scharfe Formulierung: „Ce n’est donc pas l’utilité d’une chose qui en fait la valeur, c’est la rareté.“ (Siehe S. 44, 199 u. ff.) Vilfredo Pareto (Cours d’Econ. politique, tome 1, Laus. 1896) wendet statt utilite „den Terminus” ophelimité (vom griechischen Wort ώφἐλιμοςς = nützlich, helfend) an, denn der „Nutzen“ steht im Gegensatz zum „Schaden“, die politische Oekonomie kennt aber auch „schädlichen Nutzen“ (Tabak, Alkohol usw.).

17. Böhm-Bawerk: Grundzüge usw., S. 21.

18. W. Sombart: Der Bourgeois, S. 19.

19. Ib., S. 150. Sperrdruck vom Verfasser

20. Dies mußte notgedrungen auch Böhm-Bawerk einsehen: in den Grundzügen formuliert er die betreffende Frage ziemlich eigenartig, indem er behauptet, daß bei der Arbeitsteilung die Wertschätzung der Verkäufer „gewöhnlich außerordentlich niedrig steht“. (S. 521, Sperrdruck vom Verfasser) Vgl. auch Positive Theorie: „Heutzutage finden ... die meisten Verkäufe durch berufsmäßige Produzenten und Händler statt, die von ihrer Ware einen für ihre persönlichen Bedürfnisse ganz unverwendbaren Ueberfluß besitzen. Infolgedessen steht für sie der subjektive Gebrauchswert ihrer eigenen Ware meistens ganz nahe an Null: dadurch sinkt weiter ihre ‚Schätzungsziffer‘ ... gleichfalls nahezu auf Null.“ (Kapital und Kapitalzins, Bd. II, 1. Teil, S. 405 u. 406) Doch ist auch diese Formulierung falsch, denn die Schätzung der Verkäufer beruht durchaus nicht auf Nützlichkeit (sie ist nicht „nahezu“, sondern gleich Null).

21. „... andererseits aber ist es gerade die Abstraktion von ihren Gebrauchswerten. was das Austauschverhältnis der Waren augenscheinlich charakterisiert.“ Karl Marx: Kapital, Bd. I, S. 3.

22. R. Hilferding: Böhm-Bawerks Marx-Kritik, S. 5.

23. W. Lexis: Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 1910, S. 8.

24. Böhm-Bawerk: Grundzüge usw., S. 35.

25. Ib., S. 491.

26. Karl Marx: Kapital, Bd. I, S. 122.

Auch Lassalle verspottete geistreich diese Theorie:

„Herr Borsig – sagt er – produziert zunächst Maschinen für seinen Familienbedarf. Die überschüssigen Maschinen verkauft er dann.

Die Trauermodenmagazine arbeiten zunächst vorsorglich für die Todesfälle in der eigenen Familie. Was dann, indem diese zu spärlich ausfallen, an Trauerstoffen noch übrig bleibt, tauschen sie aus.

Herr Wolff, der Eigentümer des hiesigen Telegraphenbureaus, läßt zunächst die Depeschen zu seiner eigenen Belehrung und Vergnügen kommen. Was dann, nachdem er sich hinreichend an ihnen gesättigt, noch übrig bleibt, tauscht er mit den Börsenwölfen und Zeitungsredaktionen aus. die ihm dagegen mit ihren überschüssigen Zeitungskorrespondenzen und Aktien aufwarten.“
F. Lassalle: Reden und Schriften, Verl, des „Vorwärts“, 1893. Bd. III, S. 73.

Bei den Vorläufern der „Mathematiker“ (L. Walras) ist der Austausch der Ueberschüsse ebenfalls der Ausgangspunkt (Principe d’une Théorie mathématique etc.).

27. In seinem Kapital und Kapitalzins sagt Böhm-Bawerk, die ganze Marxsche Argumentation sei in dieser Beziehung „falsch“. Hier liege nach seiner Meinung eine Verwechslung „der Abstraktion von einem Umstand überhaupt mit Abstraktion von den speziellen Modalitäten, unter denen dieser Umstand auftritt, vor”. (1. Aufl., 1884, S. 435.)

Darauf erwidert Hilferding mit Recht:

„Wenn ich von der speziellen Modalität, unter der Gebrauchswert erscheinen mag, also vom Gebrauchswert in seiner Konkretheit, abstrahiere, habe ich für mich vom Gebrauchswert überhaupt abstrahiert ... Es hilft nichts, zu sagen, der Gebrauchswert bestände nun in der Fähigkeit dieser Ware, gegen andere Waren ausgetauscht werden zu können. Denn das heißt, daß die Größe des ‚Gebrauchswertes‘ jetzt gegeben ist durch die Größe des Tauschwertes, nicht die Größe des Tauschwertes durch die Größe des Gebrauchswertes.“ (l. c., S. 5)

Ausführlicher darüber weiter unten, bei der Analyse des „Substitutionswertes“.

28. Darin besteht das eigentliche sogenannte „Gesetz Gossen“, der es wie folgt formuliert: I. „Die Größe eines und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit Bereitung des Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwährend ab, bis zuletzt Sättigung eintritt. – II. Eine ähnliche Abnahme der Größe des Genusses tritt ein, wenn wir den früher bereiteten Genuß wiederholen, und nicht bloß, daß bei wiederholter Bereitung die ähnliche Abnahme eintritt, auch die Größe des Genusses bei seinem Beginnen ist eine geringere, und die Dauer, während welcher etwas als Genuß empfunden wird, verkürzt sich bei der Wiederholung, es tritt früher Sättigung ein, und beides, anfängliche Größe sowohl wie Dauer, vermindern sich um so mehr, je rascher die Wiederholung erfolgt“ (Hermann Gossen: Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs und der daraus fließenden Regeln für menschliches Handeln, Braunschweig 1854, S. 5.) Ueber dieses Gesetz sagt Wieser: „Das gilt von allen Regungen, vom Hunger bis zur Liebe“, Wieser: Der natürliche Wert, Wien 1889, S. 9.

29. Die Unterbrechungen in den vertikalen Reihen beziehen sich auf Bedürfnisse, bei denen nacheinander folgende Befriedigung in Teilen nicht ganz oder überhaupt unmöglich ist (Böhm-Bawerk). Es ist an und für sich zulässig, die Ununterbrochenheit der Funktionen der Nützlichkeit vorauszusetzen, da „das, was nur in bezug auf die ununterbrochenen Funktionen richtig ist, auch als Annäherung bezüglich der Funktionen unterbrochenen Charakters richtig ist.“ (N. Schaposchnikow, 1. c., S. 9)

Bei Walras finden wir einen mathematischen Ausdruck des gleichen Gedankens, aber in einer objektivierten Form („Ungerade Preise“, abhängig von dem Verhältnis zwischen Nachfrage und Angebot). Eine noch ausgearbeitetere objektivierte Formulierung der „Abnahme der Dringlichkeit“ eines gegebenen Bedürfnisses in dem Maße seiner Befriedigung finden wir bei den Amerikanern. Carver bezeichnet die Nützlichkeit als die Fähigkeit, Bedürfnisse zu befriedigen, und den Wert als die Fähigkeit, ausgetauscht zu werden. („Utility is the power to satisfy a want or gratify a desire; but value is always and only the power to command other desirable thing in peaceful and voluntary exchanges” – S. 3); der Preis ist nach Carver der Ausdruck des Wertes in Geld. Der Wert variiert je nach der Nützlichkeit (utility) und relativer Seltenheit („scarcity“). Dabei spricht Carver von Bedürfnissen nicht des wertschätzenden Individuums, sondern der Gesellschaft („wants of the community“, S. 13). Das Gesetz der Sättigung heißt bei Carver principle of „diminishing utility“, S. 15. Dabei rückt Carver den sozialen Gesichtspunkt (stand-point) in den Vordergrund (S. 17). Die sinkende Nützlichkeit wird als soziale Kategorie (S. 18) betrachtet. Die Volkswirtschaftslehre des Rentners wird hier sichtbar in eine Volkswirtschaftslehre des Trust-Organisators verwandelt.

30. „Die Größe des Bedürfniswertes ... hängt von der Art des Bedürfnisses, sie hängt aber innerhalb der einzelnen Art wieder von dem jeweils erreichten Grade der Sättigung ab.“ Wieser, 1. c., S. 6)

31. Ib., S. 27.

32. Ib., S. 28 u. 29.

33. Die Bezeichnung „Grenznutzen“ hat zuerst Wieser in dem Werk Ueber den Ursprung ... des Wertes eingeführt. Diesem Begriff entspricht bei Gossen der „Wert des letzten Atoms“, bei Jevons „Final degree of utility“, „terminal utility“, bei Walras „intensité du dernier besoin satisfait“ (rareté); vgl. Wieser: Der natürliche Wert. Wieser schlägt vor, nicht die Methode der Einbuße, sondern die Methode des Zuwachses zu benutzen. Ein wesentlicher Unterschied liegt dabei nicht vor.

34. Böhm-Bawerk: Grundzüge usw., S. 15.

35. Ib., S. 52. Wieser ist in diesem Punkte mit Böhm-Bawerk nicht einverstanden. „Ein Vorrat überhaupt hat einen Wert, der gleichkommt dem Produkte der Stückanzahl (oder der Anzahl von Teilmengen) mit dem jeweiligen Grenznutzen.“ (Der natürliche Wert, S. 24.) Das Schema Wieser ist: Angenommen, der höchste Grenznutzen eines Gutes ist gleich 10; durch Erhöhung der Zahl der Güter bis 11 erhalten wir den Wert des Vorrates, und zwar bei einem Besitz von

 

1

2

 

3

4

5

Gütern

gleich

oder

1×10

10

2×9

18

3×8

24

4×7

28

5×6

30

 

Werteinheiten

und bei

6

7

8

9

10

11

Gütern

gleich

oder

6×5

30

7×4

28

8×3

24

9×2

18

10×1

10

11×0

0

 

Werteinheiten

 

(Ibidem, 27)

Von diesem Standpunkt aus hat der Vorrat keinen Wert, wenn er eine bestimmte Menge von Gütern erreicht hat Indes das widerspricht der Theorie und der Definition des subjektiven Wertes. In der Tat, wenn wir die ganze Summe der Güter als eine Einheit betrachten, so sind wir nicht mehr imstande, die mit diesem Gute zusammenhängenden Bedürfnisse zu befriedigen. Vgl. Böhm-Bawerk: Grundzüge, S. 16 ff., sowie Kapital und Kapitalzins, Bd. II, S. 257 u. 258, Fußnote.

36. Siehe über die Unbestimmtheit der Maßeinheit bei G. Cassel: Die Produktionskosten-Theorie Ricardos und die ersten Aufgaben der theoretischen Volkswirtschaftslehre (Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Band 57, S. 95 und 96). Hierher gehört auch die Kritik Karl Wicksells, der versucht hat, diese Frage zu beantworten. Siehe Karl Wicksell, Zur Verteidigung der Grenznutzentheorie, Ebenda, Bd. 56, S. 577–78.

30. Böhm-Bawerk: Grundzüge der Theorie des wirtschaftlichen Güterwerts usw., S. 16.

38. Siehe Wilh. Scharling: Grenznutzentheorie und Grenznutzenlehre, Conrads Jahrbücher, 3. Folge, 27. Band (1904), S. 27. Wir sprechen hier nicht von den „Rabatten“, die auf große Einkäufe gegeben werden; diese beruhen auf ganz anderen psychologischen Voraussetzungen und gehören nicht hierher.

39. Böhm-Bawerk: Grundzüge usw., S. 35.

40. Ib., S. 50.


Zuletzt aktualisiert am 12. Juni 2020