N. Bucharin

Die politische Ökonomie des Rentners

* * *

V. Kapitel

Die Profittheorie ( Fortsetzung)

1. Zwei Gründe für die Überschätzung der gegenwärtigen Güter:
a) das verschiedene Verhältnis zwischen den Bedürfnissen
und den Mitteln Ihrer Befriedigung zu verschiedener Zeit;
b) die Systematische Unterschätzung der zukünftigen Güter

Im vorhergehenden Abschnitt sahen wir, daß die Realisierung des Profits beim Verkauf der Ware durch den Kapitalisten erfolgt; potenziell aber entsteht der Profit beim Kauf der Arbeit. In der Regel überwiegen die subjektiven Wertschätzungen der gegenwärtigen Güter diejenigen der zukünftigen Güter. Da aber die subjektiven Wertschätzungen den objektiven Tauschwert und den Preis bestimmen, so überwiegen gewöhnlich die gegenwärtigen Güter die zukünftigen derselben Art nicht nur in ihrem subjektiven Wert, sondern auch im Preise. [1] Der Unterschied zwischen den Preisen, die vom Kapitalisten beim Kauf der zukünftigen Güter, vor allem aber der Arbeit [2] gezahlt werden, und denjeigen, die beim Verkauf der als Ergebnis des Produktionsprozesses entstandenen Ware (die „Heranreifung der zukünftigen Güter zu gegenwärtigen) gelöst werden, bildet den Profit des Kapitals. Wir müssen demnach das Zustandekommen dieses Profits verfolgen und fangen mit der Analyse der subjektiven Wertschätzungen an, aus denen der objektive Wert und in jedem konkreten Fall – der Preis entsteht.

Böhm-Bawerk weist auf drei Gründe hin, weshalb die gegenwärtigen Güter höher als die zukünftigen geschätzt werden: 1. das verschiedene Verhältnis zwischen den Bedürfnissen und den Mitteln zu deren Befriedigung zu verschiedenen Zeiten; 2. die systematische Unterschätzung der zukünftigen Güter; 3. die technische Ueberlegenheit der gegenwärtigen Güter. Wenden wir uns nun der Untersuchung der Böhmschen Argumente zu. Wir beginnen mit dem ersten „Grund“: „Ein erster Hauptgrund, der geeignet ist, eine Verschiedenheit im Werte gegenwärtiger und künftiger Güter herbeizuführen, liegt in der Verschiedenheit des Verhältnisses von Bedarf und Deckung in den verschiedenen Zeiträumen.“ [3] Dieser „Grund“ für die höhere Wertschätzung der gegenwärtigen Güter soll gewöhnlich in zwei typischen Fällen vorkommen: Erstens in allen den Fällen, in denen die Menschen sich in schwieriger Lage befinden; zweitens in den Wertschätzungen all derer, die in der Zukunft mit einer gesicherten Existenz rechnen (anfangende Aerzte, Rechtsanwälte usw.). Für diese beiden Kategorien sind die „gegenwärtigen“ 100 Gulden viel wichtiger als die „zukünftigen“, da in dem zukünftigen „Verhältnis von Bedarf und Deckung“ sich die Chancen für die beiden Kategorien viel günstiger gestalten können. Es gibt jedoch eine Reihe von Personen, für die gerade das umgekehrte Verhältnis zwischen Bedarf und Deckung gilt, nämlich eine relativ gute Lage in der Gegenwart und eine schlechtere in der Zukunft. In diesem Falle – sagt Böhm – muß Folgendes beachtet werden: Das gegenwärtige Gut, z. B. ein Gulden, kann entweder in der Gegenwart oder in der Zukunft verbraucht werden. Dies gilt besonders vom Gelde, da letzteres leicht aufbewahrt werden kann. Dabei stellt sich das Verhältnis zwischen den gegenwärtigen und den zukünftigen Gütern so: Die zukünftigen Güter können nur die zukünftigen Bedürfnisse befriedigen; anders die gegenwärtigen Güter: sie können diese zukünftigen und darüber hinaus die gegenwärtigen Bedürfnisse, die in einem näheren Zeitabschnitt liegen, befriedigen. Dabei sind wiederum zwei Fälle möglich: 1. Die gegenwärtigen und die näher liegenden zukünftigen Bedürfnisse sind weniger wichtig als die zukünftigen, – in diesem Falle wird das gegenwärtige Gut auf gehoben, um die zukünftigen Bedürfnisse zu decken; der Wert dieses Gutes wird durch die Wichtigkeit der letzteren bestimmt; das gegenwärtige Gut wird im Werte dem zukünftigen gleichkommen [4]; 2. die gegenwärtigen Bedürfnisse sind wichtiger, – in diesem Falle überwiegt der Wert des gegenwärtigen Gutes den des zukünftigen, da dieses seinen Wert erst von den zukünftigen Bedürfnissen ableitet, keinesfalls aber von den gegenwärtigen. Daraus folgt, daß die gegenwärtigen Güter den zukünftigen im Werte gleich, keinesfalls aber niedriger als sie sein können. Aber auch ihre Gleichstellung ist nach Böhm Bawerk dadurch vermindert, daß die Möglichkeit der relativen Verschlechterung der materiellen Lage in der nächsten Zukunft immer besteht: Diese Möglichkeit gewährt den gegenwärtigen Gütern einige Chancen mehr für vorteilhaftere Verwendung, was in bezug auf die zukünftigen Güter nicht der Fall sein kann: „Die gegenwärtigen Güter sind also den künftigen im schlimmsten Falle an Wert gleich, in der Regel um die Verwendbarkeit als Reservevorrat im Vorteil.“ [5] Eine Ausnahme bilden nach Böhm-Bawerk nur diejenigen Fälle, in denen die Aufbewahrung der gegenwärtigen Güter mit Schwierigkeiten verbunden oder überhaupt unmöglich ist. Und so ergeben sich drei Kategorien von Personen: 1. Eine sehr große Anzahl derselben ist in der Gegenwart in schlechteren Verhältnissen als in der Zukunft, – sie schätzen demnach die gegenwärtigen Güter höher als die zukünftigen; 2. eine zweite, ebenfalls sehr zahlreiche Gruppe, die die gegenwärtigen Güter als Reservevorrat auf hebt, um sie in der Zukunft verwenden zu können, – sie schätzen die gegenwärtigen Güter entweder gleich den zukünftigen oder etwas höher als diese; und endlich 3. eine geringe Schicht von Personen, bei denen „die Kommunikation von Gegenwart und Zukunft durch besondere Umstände gehindert oder bedroht ist,“ – sie schätzen die gegenwärtigen Güter niedriger ein als die zukünftigen. Im großen ganzen haben aber die subjektiven Wertschätzungen die Tendenz, höher zu sein, wenn es sich um gegenwärtige Güter, und niedriger, wenn es sich um zukünftige Güter handelt.

So der „erste Grund“ der Ueberschätzung der gegenwärtigen Güter.

Wenden wir uns nun der Analyse dieses „Grundes“ zu. Vor allem ist hervorzuheben, daß eine derartige Fragestellung überhaupt geschichtlich beschränkt ist, nämlich sie gilt nur bei einer Tauschwirtschaft und ist bei allen Arten der Naturalwirtschaft ganz und gar unmöglich. Und dabei gilt letztere Behauptung nicht nur für schwer aufzubewahrende Güter, sondern, worauf bereits Pierson und Bortkievitz hinwiesen, auch für andere: „Jemand, dem solche Mengen Kohlen, Wein usw. zur Verfügung gestellt würden, als er voraussichtlich in seinem ganzen Leben nötig haben wird, würde sich dafür schön bedanken, – bemerkt bei der Besprechung der Böhm-Bawerkschen Theorie Pierson, der übrigens dieser Theorie im wesentlichen beipflichtet, – mit dem Geld sei es allerdings eine andere Sache.“ [6]

Wir sahen ferner, daß die Ueberschätzung der gegenwärtigen Güter im Vergleich zu den künftigen nach Böhm-Baw-erk in hohem Maße darauf beruht, daß die gegenwärtigen Güter auch die wichtigeren zukünftigen Bedürfnisse befriedigen können, von denen sie auch ihren Wert ableiten. Angenommen, wir haben mit einer Person zu tun, die in der Gegenwart relativ gut gesichert, für die Zukunft aber weniger sicher gestellt ist. Die 10 Gulden, die sich jetzt in ihrem Besitz finden, befriedigen jetzt ein Bedürfnis von 100 Einheiten; da diese Person in der Zukunft nur über eine geringere Summe verfügen würde, so würde sich auch der Wert der 10 Gulden, sagen wir, auf 150 Gulden erhöhen. Daraus müßte geschlossen werden, daß die zukünftigen 10 Gulden von der besagten Person höher geschätzt werden müssen als die gegenwärtigen 10 Gulden. Indessen zieht Böhm-Bawerk einen anderen Schluß, und zwar meint er: Da die gegenwärtigen 10 Gulden aufgehoben und somit auch in der Zukunft verwendet werden können, so besitzen sie bereits in der Gegenwart den Wert der zukünftigen Gulden. Auf solche Weise wird der zukünftige Wert in die Gegenwart projiziert. Doch widerspricht diese Voraussetzung – die Möglichkeit der Uebertragung des Wertes des künftigen Gutes auf das Gegenwartsgut, dem Böhmschen Grundgedanken der Entstehung des Profits. Was würde sich z. B. ergeben, wenn wir die Böhmsche Annahme auf die Produktionsmittel anwenden?

Jedes Produktionsmittel – Maschinen oder Arbeit – kann in zweierlei Weise betrachtet werden: Als ein gegenwärtiges und als ein zukünftiges Gut (ersteres nur insoweit, als die Möglichkeit besteht, den Wert schon in der Gegenwart zu realisieren, und auch eine stoffliche Form vorhanden ist, wie Maschinen usw.). Wir können den Wert eines gegebenen Produktionsmittels in der Gegenwart realisieren – es verkaufen und beispielsweise 100 Werteinheiten erlösen; wir können es im Produktionsprozeß anwenden und nach Verlauf einer bestimmten Zeit 150 Werteinheiten erhalten. Also ist der zukünftige Wert des Produktionsmittels gleich 150, der gegenwärtige dagegen gleich 100 Werteinheiten. Wenn wir jetzt mit Böhm-Bawerk die Möglichkeit der Wertschätzung der gegenwärtigen Güter nach ihrem zukünftigen Werte annehmen, ergibt sich, daß dies gerade in bezug auf die Produktionsmittel ganz unzulässig ist, denn sonst würde jeder Unterschied zwischen dem, was der Kapitalist selbst bezahlt, und dem, was er später erhält, verschwinden; es würde das Agio verschwinden, das nach Böhm-Bawerk die Basis für den Profit bildet. Der Irrtum Böhm-Bawerks besteht darin, daß er für die zukünftigen Werte die Möglichkeit der gegenwärtigen Anwendung ausschließt. [7] Freilich, die imaginären künftigen Güter können ihren Wert in der Gegenwart nicht realisieren. Doch gerade die Produktionsmittel, die materiell bereits in der Gegenwart vorhanden sind, passen in die Kategorie der „imaginären Gulden“ gar nicht hinein. Eins von beiden: entweder können die gegenwärtigen Güter ihren Wert nicht vom Zukunftsnutzen entlehnen (natürlich in den Grenzen des von uns untersuchten ersten Grundes), dann ist für die Ueberschätzung der gegenwärtigen Güter kein Platz, denn die Gleichheit der Bewertung der gegenwärtigen und künftigen Güter fällt weg; oder die gegenwärtigen Güter können ihren Wert vom zukünftigen Nutzen ableiten, dann bleibt es unerklärt, woraus Böhm-Bawerk den Profit entstehen läßt. (Wiederum vorläufig nur in den Grenzen des ersten Grundes). Sowohl in dem einen wie im anderen Fall ist das Resultat für Böhm-Bawerk nicht gerade tröstlich.

Betrachten wir uns den Gegenstand vom Standpunkte der gegenwärtigen kapitalistischen Wirklichkeit, d. h. von dem Standpunkte der Kapitalisten und der Arbeiter. Wir beginnen mit den letzteren. Die Arbeiter verkaufen ihre Ware – Arbeit, die von den Kapitalisten als ein Produktionsmittel, d. h. als ein zukünftiges Gut, zum Austausch gegen „gegenwärtige“ Gulden gekauft wird. Der Arbeiter verkauft „freiwillig“ seine Arbeit (Zukunftsgut) gegen einen Wert, der geringer ist als derjenige, den das Arbeitsprodukt haben wird. Dies geschieht aber keineswegs deshalb, weil der Arbeiter mit einem besseren Verhältnis von Bedarf und Deckung rechnen kann, sondern vielmehr infolge der relativ schwachen sozialen Position des Arbeiters. [8] Er hat auch keine Hoffnung, sich „heraufzuarbeiten“, und eben dadurch erklärt sich auch die Lage des Proletariats aller Länder. Also: Der „erste Grund“ der Ueberschätzung der gegenwärtigen Güter im Vergleich zu den zukünftigen trifft für die Wertmotive des Arbeiters schon ganz und gar nicht zu. Ebensowenig taugt diese Erklärung aber auch für die Erklärung der Wertschätzungen der kapitalistischen Unternehmer. Darüber sagt kein anderer als Böhm-Bawerk selbst folgendes: „Würden die Kapitalisten ihren ganzen Vermögensstamm als gegenwärtige Güter verwerten, das ist, in gegenwärtigem Genüsse verzehren, so würde augenscheinlich der Bedarf der Gegenwart überfließend versorgt, während der Bedarf der Zukunft ganz ungedeckt bliebe ... Soweit es auf nichts anderes ankommt als auf die Verhältnisse von Bedarf und Deckung in Gegenwart und Zukunft, sind für Besitzer eines den Bedarf der Gegenwart übersteigenden Vermögensstammes gegenwärtige Güter als solche sogar weniger wert als künftige.“ [9]

Für den Kapitalisten sind gegenwärtige Güter, sofern sie seinen eigenen Bedarf übersteigen, in dem Maße nützlich, als er sie produktiv konsumiert, d. h., sofern er sie in Zukunftsgüter verwandelt. Dieser Umstand bringt es mit sich, daß nicht die gegenwärtigen, sondern vielmehr die zukünftigen, das ist in unserem Falle die Arbeit, höher geschätzt werden. Wir sehen also, daß sowohl vom Standpunkte der Nachfrage als auch dem des Angebots der „erste Grund“ absolut unzutreffend ist.

Wenden wir uns nun dem „zweiten Grund“ zu. Böhm-Bawerk sieht ihn im folgenden: „Wir unterschätzen systematisch unsere künftigen Bedürfnisse und die Mittel, die zu ihrer Befriedigung dienen.“ [10] An der Tatsache selbst hegt Böhm-Bawerk keine Zweifel, nur äußert sie sich nach ihm in verschiedenem Grade, und zwar, je nach Nation, nach Alter und Person; ganz kraß tritt sie uns bei Kindern und Wilden entgegen. Drei Gründe sind es, die diese Erscheinung hervorrufen: 1. Die Lückenhaftigkeit der Vorstellungen von den zukünftigen Bedürfnissen; 2. die mangelhafte Beschaffenheit des Willens, der zufolge wir die Gegenwart vorziehen, selbst wenn wir uns der Schädlichkeit eines solchen Handelns bewußt sind; 3. „Die Rücksicht auf die Kürze und Unsicherheit unseres Lebens.“

Unseres Erachtens ist dieser „zweite Grund“ ebenso unzutreffend wie der erste. Sofern es sich um eine Wirtschaft handelt, besteht auch ein bestimmter Wirtschaftsplan, der nicht nur die Bedürfnisse der Gegenwart, sondern auch der Zukunft berücksichtigen muß. Der Böhmsche Hinweis auf Wilde und Kinder kann keinesfalls als Beweis gelten. Welchen Einfluß kann die mangelhafte Beschaffenheit unseres Willens, die Lückenhaftigkeit „der Vorstellung von der Zukunft“ oder auch „die Rücksicht auf die Kürze und Unsicherheit unseres Lebens“ auf die rechnerischen Erwägungen des modernen Großindustriellen ausüben? Die Wirtschaft hat ihre eigene Logik, und die Motive der wirtschaftlichen Tätigkeit, die wirtschaftlichen Erwägungen sind ebenso weit von den Motiven der Kinder und Wilden entfernt, wie der Himmel von der Erde. Geldersparnis, falls sie von Vorteil ist, das Abwarten einer Konjunktur, verwickelte Pläne für die Zukunft usw. –- das sind die charakteristischen Merkmale der kapitalistischen Wirtschaft; wenn der Kapitalist auch manchmal mitunter ein „Kind“ ist, so dies doch nur in bezug auf sein „Taschengeld“, – bei seinen Haupt werten aber, in den rein wirtschaftlichen Operationen, geschieht alles nach genauester Berechnung. Darüber äußert sich Wieser ganz mit Recht: „Es scheint mir ..., daß im Stande der Zivilisation jeder gute Wirtschafter und der Hauptsache nach auch alle mittelmäßigen gelernt haben, in einer gewissen Beziehung dieser Schwäche der menschlichen Natur (der Unterschätzung der künftigen Güter. N. B.) Herr zu werden. .. Die Aufforderung zur Vorsorge ist in dieser Beziehung eine besonders starke, und es dürfte nicht wunder nehmen, wenn sie hier vor allem wirksam geworden wäre.“ [11]

Abgesehen davon geht es sogar vom Böhm-Bawerkschen Standpunkte nicht an, zur Erklärung der Entstehung des Kapitalprofits das mit der „Zukunft“ zusammenhängende Risiko heranzuziehen, denn, wie Bortkievitz sagt, – „bei der Böhm-Bawerkschen Theorie handelt es sich um die Erklärung des Kapitalzinses im eigentlichen Sinne, d. h. des Nettozinses, nicht aber des Bruttozinses, der unter anderen Bestandteilen die Risikoprämie enthält, welch letztere dem Moment der Unsicherheit Rechnung trägt und für die Frage des Nettozinses aus der Betrachtung ausscheidet.“ [12]

Wenden wir uns nun den Arbeitern und Kapitalisten zu. Böhm-Bawerk scheint es, als ob der Arbeiter selbst in der Rolle eines Kapitalisten auftreten und in der Zukunft das Produkt seiner Arbeit erhalten könnte; doch zieht er es vor, wenigstens einen Teil desselben in der Gegenwart zu erhalten, da er die zukünftigen Güter „systematisch unterschätzt“. In Wirklichkeit aber vollzieht sich die Sache ganz anders, als es Böhm-Bawerk dünkt. Der Arbeiter verkauft seine Arbeitskraft nicht etwa, weil er die zukünftigen Güter „unterschätzt“, sondern weil es ihm völlig an Mitteln fehlt, irgendwelche Güter anders als durch Verkauf seiner Arbeitskraft zu bekommen, – eine Wahl zwischen eigener Produktion und der in der Fabrik des Unternehmers gibt es für ihn überhaupt nicht; es fehlt ihm jede Möglichkeit, das zukünftige Gut – „Arbeit“ – in ein gegenwärtiges zu verwandeln; deshalb schätzt er seine Arbeit ganz und gar nicht als ein zukünftiges Gut ein, – ein derartiger Gesichtspunkt ist ihm überhaupt ganz fremd. Diese Sachlage ist so klar, daß sogar bürgerliche Oekonomen sie begreifen, wenn sie nur aus der Apologie des Kapitalismus kein System machen oder daran wenigstens nicht mit derartigem Eifer arbeiten, wie Böhm-Bawerk. „Der industrielle Arbeiter, – schreibt Professor Lexis, – konnte jetzt aus eigenen Mitteln seine Arbeitskraft nicht verwerten, er bedurfte dazu der neuen mächtigen Produktionsmittel, die sich im Besitz des Kapitals befanden und ihm nur unter den vom Kapital gestellten Bedingungen zugänglich waren. Der Arbeiter führt keine eigene Produktions wirtschaft, das Produkt seiner Arbeit gehört ihm nicht und ist ihm gleichgültig, das Wirtschaften besteht für ihn in dem Erwerben und Verausgaben seines Lohnes. (Sperrdruck des Verfassers.) [13]

So verhält sich die Sache auf Seiten des Arbeiters. Nun wollen wir sehen, wie sich der Prozeß auf Seiten des Kapitalisten abspielt. Diesbezüglich gibt Böhm-Bawerk selbst zu, daß, sofern die Kapitalisten eben als solche und nicht etwa als „Verschwender“ handeln, die Ueberschätzung der gegenwärtigen Güter gar keine Rolle spielt. [14] Und so sehen wir, daß, wie der erste, so auch der „zweite Grund“ weder auf Seiten der Nachfrage noch auf der des Angebots irgendeine Geltung hat.

„Von den drei Momenten ... treten also für die Masse der Kapitalisten (wir sahen, daß es auch für die Arbeiter zutrifft. N. B.) die beiden ersten nicht in Wirksamkeit. Dagegen kann hier das uns wohlbekannte dritte Moment wirksam werden; die technische Ueberlegenheit der gegenwärtigen Güter (Sperrdruck des Verfassers) oder das, was man sonst die „Produktivität des Kapitals“ nennt.“ [15]

Somit bleibt uns nur noch übrig, den dritten „Grund“ – die technische Ueberlegenheit der gegenwärtigen Güter – zu untersuchen.
 

2. Der dritte Grund für die Überschätzung der gegenwärtigen Güter:
Ihre technische Überlegenheit

Dieser dritte Grund, dem nach Böhm-Bawerk eine ausschlaggebende Bedeutung zukommt, besteht darin, daß „in aller Regel gegenwärtige Güter aus technischen Gründen vorzüglichere Mittel für unsere Bedürfnisbefriedigung sind und uns daher auch einen höheren Grenznutzen verbürgen als künftige.“ [16] Es sei hier zunächst eine Vorbemerkung gemacht. Bisher wurde bei Böhm-Bawerk überall vorausgesetzt, daß unter den gegenwärtigen Gütern „Genußgüter“, Güter erster Ordnung, verstanden werden oder im schlimmsten Falle die „gegenwärtigen“ Gulden, die sich leicht in Verbrauchsgüter verwandeln lassen, welche wiederum ganz unmittelbar die menschlichen Bedürfnisse befriedigen können. Es waren eben Gulden, die der Kapitalist, gleich einer echten Ware, gegen das „Zukunftsgut“ – die Arbeit – eintauschte. Um ganz etwas anderes handelt es sich dagegen hier. Hier stellt Böhm-Bawerk nicht mehr Produktionsmittel den Konsumtionsmitteln gegenüber, sondern vergleicht die Produktionsmittel, die verschiedenen Kategorien der Produktionsmittel untereinander. Daraus ergeben sich mannigfache Folgen, die weiter unten behandelt werden.

Kehren wir zu unserem Thema zurück. Aus dem vorhergehenden Abschnitt wissen wir bereits, daß der Produktionsprozeß nach Böhm-Bawerk desto erfolgreicher ist, je länger er dauert. Wenn wir irgendeine Produktionsmitteleinheit nehmen, z. B. einen Monat Arbeit, die für technisch ungleiche Produktionsprozesse angewandt wird, so wird das Ergebnis verschieden ausfallen, je nach der Dauer des Produktionsprozesses. Zur Erläuterung dieses Satzes führt Böhm-Bawerk folgende Tabelle an:

Tabelle I
Ein Monat Arbeit im Jahre

bringt für
Wirtschafts-
periode
(d. h. bis
zu Ende
des Jahres)

 

1909

1910

1911

1912

Produkteinheiten

1909

100

1910

200

100

1911

280

200

100

1912

350

280

200

100

1913

400

350

280

200

1914

440

400

350

280

1915

470

440

400

350

1916

500

470

440

400

Für die Befriedigung der Bedürfnisse im Jahre 1909, sagt Böhm-Bawerk, bringt ein Arbeitsmonat im Jahre 1910 oder 1911 noch ganz und gar nichts; der Arbeitsmonat im Jahre 1909 bringt 100 Produktionseinheiten; für die Befriedigung der Bedürfnisse im Jahre 1914 bringt ein Arbeitsmonat im Jahre 1911 = 350, im Jahre 1910 = 400, im Jahre 1909 = 440 Produkteinheiten.

„Mag also der Vergleich vom Standpunkte was immer für eines Zeitraumes aus gezogen werden, so zeigt sich überall die ältere (gegenwärtige) Produktivmittelmenge der gleich großen jüngeren (künftigen) technisch überlegen.“ Diese Ueberlegenheit, meint ferner Böhm-Bawerk, ist nicht nur technischer, sondern auch wirtschaftlicher Art: Das in einem „mehr kapitalistischen“ Zweige, d. h. auf einem längeren Produktionsweg erzeugte Produkt ist dem des „weniger kapitalistischen“ Zweiges nicht nur an Zahl, sondern auch an allgemeinem Wert der erzeugten Einheiten überlegen.

„Ist sie (die ältere Produktivmittelmenge. N. B.) aber auch in der Höhe ihres Grenznutzens und ihres Wertes überlegen? Ganz gewiß ist sie es. Denn wenn sie uns für jeden denkbaren Bedürfniskreis, zu dessen Gunsten wir sie verwenden können oder wollen, mehr Befriedigungsmittel zur Verfügung stellt, so muß sie doch auch eine größere Bedeutung für unsere Wohlfahrt haben.“ [16a]

Für ein und dieselbe Person in einem und demselben Zeitabschnitt, sagt Böhm-Bawerk, wird eine größere Produktmenge auch einen größeren Wert haben. So steht es mit dem Wert des Produkts. Wie stellt sich nun der Wert der Produktionsmittel? Wie wir aus dem entsprechenden Abschnitt über den Wert bereits wissen, wird der Wert der Produktionsmittel bei verschiedenen Gebrauchsarten vom Maximum des Produktenwertes bestimmt, d. h. vom Wert des Produktes, das unter den vorteilhaftesten Bedingungen hergestellt ist.

„Bei Gütern, die alternativ eine verschiedene Verwendung mit verschieden großem Grenznutzen zulassen, ist der höchste Grenznutzen der maßgebende. Also in unserem konkreten Falle dasjenige Produkt, das die höchste Wertsumme darstellt.“ [17]

Daraus hätte doch offenbar der Schluß gezogen werden müssen, daß der Wert der Produktionsmittel von der maximalen Produktenmenge, d. h. der maximalen Verlängerung des Produktionsprozesses abhängt. Doch in Wirklichkeit – und das sei dem Gedächtnis des Lesers noch besonders eingeprägt – erteilt die Böhmsche Theorie eine andere Antwort. Die höchste Wertsumme, sagt unser Autor, „muß nicht mit demjenigen Produkt zusammenfallen, welches die größte Stückanzahl enthält: Im Gegenteil, es fällt selten oder nie damit zusammen. Denn die größte Stückanzahl würden wir durch einen unmäßig langen, vielleicht 100 oder 200 Jahre dauernden Produktionsprozeß erlangen. Güter aber, die erst zu Lebzeiten unserer Urenkel und Ururenkel zur Verfügung gelangen, haben in unserer heutigen Schätzung so gut wie gar keinen Wert.“ [18] Deshalb wird die größte Wertsumme demjenigen Produkt entsprechen, dessen Stückanzahl, multipliziert mit dem Stückwert, eine maximale Größe ergibt, wobei berücksichtigt werden muß „das Verhältnis von Bedarf und Deckung in der betreffenden Wirtschaftsperiode und ... Rücksicht auf die bei künftigen Gütern eintretende perspektivische Reduktion“ [19] (d. h. die Wertverminderung. N. B.).

Angenommen, es ist „der erste Grund“, d. h. „zunehmend – verbessernde Versorgungsverhältnisse“ gegeben; angenommen ferner, daß der entsprechende (abnehmende) Wert einer Produkteinheit, den Böhm-Bawerk den „echten“ Wert nennt, für das Jahrprodukt 1909 = 5; 1910 = 4; 1911 = 3,3; 1912 = 2,5; 1913 = 2,2; 1914 = 2,1; 1915 = 2; 1916 = 1,5. Dann werden die entsprechenden Zahlen bei der Wirksamkeit des zweiten Grundes, d. i. die perspektivische Reduktion sein gleich: 5; 3,8; 3; 2,2; 1,8; 1,5; 1. Wir setzen so mit Böhm-Bawerk die Wertverminderung der „zukünftigen Güter“ im Vergleich zu den „gegenwärtigen“, kraft der beiden vorher untersuchten Gründe, voraus.

Auf Grund dessen stellt Böhm-Bawerk folgende Tabelle auf:

Tabelle II
Ein Arbeitsmonat im Jahre 1909 ergibt

Für die
Wirtschafts-
periode

Die Zahl
der Produkt-
stücke

Der echte
Grenznutzen
eines Stückes

Perspektivische
Reduktion des
Stückwertes

Die Wertsumme
des Gesamt-
produkts

1909

100

5   

5   

500

1910

200

4   

3,8

760

1911

280

3,3

3   

840

1912

350

2,5

2,2

770

1913

400

2,2

2   

800

1914

440

2,1

1,8

792

1915

470

2   

1,5

705

1916

500

1,5

1   

500


Tabelle III
Ein Arbeitsmonat im Jahre 1912 ergibt:

Für die
Wirtschafts-
periode

Die Zahl der
Produkt-
stücke

Der echte
Grenznutzen
eines Stückes

Perspektivische
Reduktion des
Stückwertes

Die Wertsumme
des Gesamt-
produkts

1909

5   

5   

1910

4   

3,8

1911

3,3

3   

1912

100

2,5

2,2

220

1913

200

2,2

2   

400

1914

280

2,1

1,8

504

1915

350

2   

1,5

525

1916

400

1,5

1   

400

Diese Tabellen zeigen, daß das Maximum des Wertes für die im Jahre 1909 verwendete Arbeit (840 Werteinheiten) höher ist, als das des Wertes, der das Ergebnis der späteren Arbeit des Jahres 1912 (525) war. Stellen wir die erforderlichen Berechnungen auch für die Jahre 1910 und 1911 an und fassen alles in einer Tabelle analog der Tabelle I zusammen, so ergeben sich folgende Zahlen [20]:

Tabelle IV
Ein Arbeitsmonat im Jahre

ergibt für die
Wirtschafts-
periode

 

1909

1910

1911

1912

Werteinheiten

1909

500

1910

760

380

1911

840

600

300

1912

770

616

440

220

1913

800

700

560

400

1914

792

720

630

504

1915

705

660

600

525

1916

500

470

440

400

„Es ist also in der Tat der gegenwärtige Arbeitsmonat allen künftigen nicht bloß an technischer Produktivität, sondern auch an Grenznutzen und Wert überlegen.” [21]

Somit gilt es hier nach Böhm-Bawerk als erwiesen, daß die gegenwärtigen Produktivgüter nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich die zukünftigen Produktivgüter überragen. Zu den eigentlich gegenwärtigen Gütern, d. h. den gegenwärtigen Verbrauchsgütern geht Böhm-Bawerk durch folgende Erwägung über: der Besitz eines gewissen Vorrats von gegenwärtigen Verbrauchsgütern gestattet Produktionsmittel in den am meisten produktiven Prozessen zu verbrauchen; besitzt man nur wenig Existenzmittel, so kann man nicht lange auf die Herstellung des Produkts warten. Mit einer gewissen Menge Existenzmittel ist auch eine gewisse Produktionsdauer verknüpft. Dabei verhält es sich so, daß je eher wir die Produktionsmittel haben, desto besser wir sie ausnutzen können. Wenn wir einen Vorrat von gegenwärtigen Konsumtionsgütern für 10 Jahre haben, so kann das gegenwärtige Produktivgut während all dieser 10 Jahre verbraucht werden; dagegen wird jedes künftige Gut im Produktionsprozeß eine geringere Zeit verweilen: Erhalten wir das Produktionsmittel erst nach 3 Jahren, so wird das Maximum des Produktionsprozesses 10 weniger 3, d. h. 7 Jahre alt sein usw. [22] „Der Zusammenhang – sagt Böhm-Bawerk – ist der folgende: Die Verfügung über eine Summe gegenwärtiger Genußmittel deckt unsere Subsistenz in der laufenden Wirtschaftsperiode, macht dadurch unsere in eben dieser Periode verfügbaren Produktionsmittel (Arbeit, Bodenbenutzung, Kapitalgehälter) für den technisch ergiebigeren Dienst der Zukunft frei.“ [23] Mit anderen Worten: Da die gegenwärtigen Produktivgüter einen höheren Wert als die zukünftigen haben, und da ferner das Vorhandensein der gegenwärtigen Konsumtionsgüter dieses Moment begünstigen, so erhalten die letzteren ein gewisses Agio. Der erhöhte Wert der gegenwärtigen Produktivgüter zieht die Erhöhung des Wertes für die gegenwärtigen Konsumtionsgüter nach sich.

Soweit der „dritte Grund“. Ehe wir zur Kritik dieses wichtigsten und, wie wir glauben, am meisten scholastischen Arguments Böhm-Bawerks übergehen, wollen wir nochmals seinen Gedankengang kurz formulieren:

  1. Die gegenwärtigen Produktivgüter ergeben eine größere Produktmenge als die zukünftigen.
     
  2. Der Wert dieses Produkts in jedem gegebenen Moment, ebenso wie das Maximum des Wertes, ist bei den gegenwärtigen Produktivgütern größer.
     
  3. Deshalb ist der Wert der gegenwärtigen Produktionsmittel größer als der der zukünftigen.
     
  4. Da die gegenwärtigen Konsumtionsgüter es ermöglichen, die Produktionsmittel für die produktivsten Operationen zu verwenden, d. h. sie für eine lange Zeitdauer sofort zu verwenden, so haben die gegenwärtigen Konsumtionsgüter einen höheren Wert als die zukünftigen.

Und nun zur kritischen Untersuchung dieser Argumentation. Zu 1: Die gegenwärtigen Produktivgüter, heißt es bei Böhm-Bawerk, ergeben eine größere Produktmenge. Als Beweis figuriert Tabelle I. Wenn die Böhmsche Argumentation überhaupt irgendeinen Sinn gewinnen soll, muß alles ausgeschaltet werden, was mit den oben erörterten ersten zwei „Gründen“ der Ueber-schätzung der gegenwärtigen Güter in Zusammenhang steht. Die gewonnene Produktmenge muß unabhängig davon genommen werden, wann sie gewonnen wird. Indessen brechen die Produktionsreihen in der Böhmschen Tabelle mit ein und demselben Jahre ab. Nehmen wir aber an, daß der Zeitpunkt der Gewinnung des Produktes für uns ohne Belang ist, so kommen wir, wie dies Bortkievitz gezeigt hat, zu wesentlich anderen Ergebnissen:

Tabelle I
Ein Arbeitsmonat im Jahr

ergibt für die
Wirtschafts-
periode

 

1909

1910

1911

1912

Produkteinheiten

1909

100

1910

200

100

1911

280

200

100

1912

350

280

200

100

1913

400

350

280

200

1914

440

400

350

280

1915

470

440

400

350

1916

500

470

440

400


Tabelle Ia
Ein Arbeitsmonat im Jahre

ergibt für die
Wirtschafts-
periode

 

1909

1910

1911

1912

Produkteinheiten

1909

100

1910

200

100

1911

280

200

100

1912

350

280

200

100

1913

400

350

280

200

1914

440

400

350

280

1915

470

440

400

350

1916

500

470

440

400

1917

500

470

440

1918

500

470

1919

500

Wenn wir nun annehmen, daß die Produktionsreihen der Jahre 1909, 1910, 1911 und 1912 von gleicher Dauer sind, so wird auch die Produktenmenge dieselbe wie im Jahre 1909 sein; ein Unterschied in der Menge des Produkts ist nicht vorhanden. Der einzige Unterschied wird dann nur noch der sein, daß diese gleich große Produktmenge nicht zu derselben Zeit erhalten wird, und zwar: je entfernter ein Produktivmittel vom „gegenwärtigen“ ist, desto später würde sich ein nach seiner absoluten Größe gleiches Resultat ergeben. Während ein Arbeitsmonat im Jahre 1909 schon im Jahre 1916 500 Produkteinheiten ergibt, würde ein Arbeitsmonat im Jahre 1910 die gleichen 500 Produkteinheiten nicht im Jahre 1916, sondern erst im Jahre 1917, ein Arbeitsmonat im Jahre 1911 würde dieselbe Menge im Jahre 1918 ergeben usw. Daraus folgt: Wenn wir von der verschiedenen Wertschätzung der früheren und späteren Produkte absehen, so bleibt die Menge des Produkts dieselbe.

Zu 2: Wir kommen nun auf die Frage des Produktenwertes und des Wertmaximums zu sprechen. Oben sahen wir, daß bei konsequenter Durchführung des Böhmschen Gesichtspunktes das Maximum des Wertes sich bei einer materiellen Verlängerung des Produktionsprozesses und folglich auch bei einer maximalen Steigerung der Produktmenge ergeben müßte. Indessen verneint dies Böhm-Bawerk, indem er sich auf die Tatsache beruft, daß die zur Zeit unserer Urenkel hergestellten Produkte für uns fast keinen Wert mehr haben. Diese Voraussetzung, die seinen Berechnungen zugrunde liegt, ist methodologisch unzulässig: Wenn wir schon im voraus auf die Wirkung der Unterschätzung der zukünftigen Güter uns berufen (die entweder vom ersten oder zweiten „Grund“ bedingt wird), so machen wir damit die Analyse des „dritten Grundes“, d. h. eben jener Frage, die uns jetzt interessiert, unmöglich. In Wirklichkeit führt Böhm-Bawerk auf Schleichwegen die Wirkung des ersten oder zweiten Faktors ein und nur allein durch diesen Umstand gelangt er zu Resultaten, die er der Wirkung eines dritten Faktors zuschreibt. In der Tat, wie erhielt er ein verschiedenes Wertmaximum für das Produkt der Produktivmittel verschiedener Produktionsdauer? Doch nur einfach deshalb, weil er den Wert des Produkts in seiner Abhängigkeit von der Zeit zweimal vermindert hat:

1909–5   

1913–2,2

1909–5   

1913–2   

1910–4   

1914–2,1

1910–3,8

1914–1,8

1911–3,3

1915–2,0

1911–3,2

1915–1,5

1912–2,5

1916–1,5

1912–2,2

1916–1,0

Die ersten beiden Kolonnen zeigen die Verminderung des Güterwertes unter dem Einfluß der „zunehmend verbessernden Versorgungsverhältnisse“, die anderen zwei – zeigen die Verminderung des Wertes unter dem Einfluß der Reflexionen über die Unzulänglichkeit des menschlichen Lebens usw., d. h. des zweiten Grundes. Wäre dem nicht so, so würden wir für alle Jahre die gleiche Zahl 5 haben. Wenn wir jetzt eine der Tabelle IV analoge Tabelle zusammenstellen und für alle senkrechten Reihen mit der Steigerung der Produktenmenge eine Verminderung des Wertes annehmen, so ergibt sich folgendes [24]:

Tabelle IV
Ein Monat Arbeit im Jahr

ergibt für die
Wirtschafts-
periode

 

1909

1910

1911

1912

Werteinheiten

1909

500

1910

760

380

1911

840

600

300

1912

770

616

440

220

1913

800

700

560

400

1914

792

720

630

504

1915

705

660

600

525

1916

500

470

400

400


Tabelle IVa
Ein Arbeitsmonat im Jahr

ergibt für die
Wirtschafts-
periode

 

1909

1910

1911

1912

Werteinheiten

1909

500

1910

760

500

1911

840

760

500

1912

770

840

760

500

1913

800

770

840

760

1914

792

800

770

840

1915

705

792

800

770

1916

500

705

792

800

1917

500

705

792

 

500

705

500

Beim Vergleich der Tabellen IV und IVa sieht man, daß das Maximum des „Wertes“ in Tabelle IV verschieden (840, 720, 630, 525), dagegen gleich groß in Tabelle IVa (840) ist. Diese Differenz ergibt sich lediglich dadurch, daß die Verringerung in Tabelle IV in Abhängigkeit von der Zeit genommen wurde, so daß die zweite senkrechte Kolonne mit einer anderen Zahl anfängt (380 statt 500). Die Wertverringerung in Tabelle IVa dagegen ist in Abhängigkeit nur von der Menge der Produkte genommen; die Anfangszahlen aller vier Reihen sind gleich, da auch die Menge der Produkte gleich ist. [25] Und so wird es klar, daß die höheren Resultate für die wirtschaftliche Produktivität der gegenwärtigen Produktionsmittel sich lediglich deshalb ergeben, weil in die Berechnungen die beiden erwähnten Momente einbezogen wurden. Selbstverständlich erhalten wir dasselbe (nur quantitativ etwas schwächere) Resultat, wenn wir eins der beiden Momente, gleich, ob das erste oder zweite, wirken lassen. Jedenfalls ist es klar, daß der berüchtigte „dritte Grund“ als selbständiger Faktor einfach nicht existiert. Damit ist auch die Frage über den Wert der gegenwärtigen und zukünftigen Produktionsmittel (Punkt 3) entschieden.

Zu IV: Doch angenommen, die ersten, drei „Gründe“ des „dritten Grundes“ bestünden zu Recht, so ist damit für Böhm-Bawerk der Uebergang von den Produktiv- zu den Konsumtionsgütern noch keineswegs gewonnen. Hier stellt er, wie wir wissen, folgende Erwägung an: Da die gegenwärtigen Produktivgüter wertvoller als die zukünftigen sind, so sind somit auch die gegenwärtigen Genußgüter wertvoller als die zukünftigen. Die Genußgüter werden hier also, wenn man so sagen darf, als Produktionsmittel der Produktionsmittel betrachtet, wobei noch die Produktivgüter den bestimmenden, die Genußgüter den zu bestimmenden Faktor bilden. Indessen widerspricht dieser Satz dem grundlegenden Gesichtspunkt der ganzen Schule, für die die Genußgüter primärer Natur sind und die Produktivgüter, als Güter entfernterer Ordnung, ihrem Werte nach abgeleitete Größen sind. Wir sehen also, daß auch in diesem Punkte die Böhmsche Erklärung sich im Kreise bewegt. [26] Der Wert des Produktes bestimmt den Wert der Produktionsmittel, der Wert der Produktionsmittel bestimmt den Wert des Produkts. Dies ist schon an und für sich ein Widerspruch. Doch auch abgesehen davon bleibt das Verhältnis zwischen der Bestimmung des Wertes der gegenwärtigen Güter unter dem Einfluß ihres Grenznutzens und der Bestimmung, die unter der Wirkung der größeren technischen und wirtschaftlichen Produktivität der gegenwärtigen Produktionsmittel zustande kommt, unerklärlich. Angenommen, der Grenznutzen eines gewissen Vorrats an gegenwärtigen Gütern ist 500; wenn die ersten zwei Gründe überhaupt nicht wirksam sind, ebenso die Wirksamkeit des dritten einstweilen nicht in Erscheinung tritt, so wird auch der zukünftige Vorrat an den nämlichen Gütern 500 sein. Angenommen nun, daß als Ergebnis der vorteilhaftesten Produktionsperiode, die ihrerseits ihre Entstehung dem Vorhandensein unseres Vorrats verdankt, wir 800 Werteinheiten, dagegen bei einer Verschiebung um ein Jahr (d. h. bei einem kürzeren Produktionsprozeß) nur 700 Werteinheiten erhalten. Nach Böhm-Bawerk müßte in diesem Falle eine Ueberlegenheit des Wertes der gegenwärtigen Güter über die zukünftigen entstehen. Dies wäre der Fall (wir nehmen die zwei hauptsächlichsten Fälle) entweder dann, wenn der Wert der gegenwärtigen Güter über 500 steigen oder der Wert der zukünftigen unter 500 sinken würde. Der erste Fall kann nicht stattfinden, denn dies würde eine offensichtliche Verletzung des Gesetzes des Grenznutzens bedeuten. Kann sich nun der zweite Fall ergeben? Auch dies nicht. Wie in aller Welt sollten die Güter lediglich deshalb an Wert verlieren, weil man mit ihrer Hilfe etwas nicht machen kann, was absolut in der „Bedürfnisskala“ nicht enthalten ist? Dies ist selbstverständlich Unsinn. Die Sache erklärt sich sehr einfach. Die künstliche Konstruktion von Böhm-Bawerk setzt hier voraus, daß die Konsumtionsgüter in ihrem Werte von den Produktivgütern abhängig seien; die Konsumtionsgüter werden bis zu einem gewissen Grade als Produktionsmittel zur Herstellung von Produktionsmitteln betrachtet. So geht die Festigkeit seiner grundlegenden Konstruktion ganz und gar verloren. Die Grundlagen der Theorie beruhten auf dem Grenznutzen der Konsumtionsgüter, die den primären Grund eines jeden Wertes bildeten. Sofern aber die Konsumtionsgüter selbst nun als Produktionsmittel betrachtet wer den, muß die Grenznutzentheorie überhaupt jeden Sinn verlieren.

Abgesehen davon, fußt die ganze Argumentation Böhm-Bawerks bezüglich des „dritten Grundes“ auf der Voraussetzung, daß es Produktionsprozesse von verschiedener Zeitdauer gebe: Ist es doch gerade in diesem Falle der Vorzug der längeren Produktionsprozesse, von dem der Profit abgeleitet wird. Da aber Böhm-Bawerk, wie wir oben bereits sahen, die Unzulänglichkeit der beiden ersten Gründe zugibt, so erscheint die „technische Ueberlegenheit der gegenwärtigen Güter“ im Grunde genommen als einziger Grund für die Erklärung des Profits. Indessen unterliegt es gar keinem Zweifel, daß, wenn man auch ihrer Zeitdauer nach gleiche Produktionsprozesse annimmt, der Profit doch noch nicht auf hört zu existieren. Wenn (in der Marxschen Terminologie) die organische Zusammensetzung des Kapitals in allen Produktionszweigen gleich ist, oder, anders gesagt, wenn die organische Zusammensetzung des Kapitals in jedem einzelnen Produktionszweig der durchschnittlichen gesellschaftlichen Zusammensetzung des Kapitals gleich ist, so wird dadurch der Profit noch keinesfalls aus der Welt geschafft. Die Abweichung von der konkreten „Wirklichkeit“ besteht nur darin, daß die Durchschnittsnorm des Profits unmittelbar realisiert wird, ohne daß der Abfluß der Kapitale von einem Industriezweig in den andern stattfindet. Andererseits kann aber auch der „Differentialprofit“ oder Surplusprofit, der in einer Einzelunternehmung mit verbesserter Technik entsteht, die aber noch nicht zum Gemeingut aller geworden ist, nicht als Beispiel für den Profit schlechthin gelten; denn dieser entsteht auch bei ganz gleichartiger Technik, nämlich als spezifisches Einkommen nicht eines einzelnen Unternehmers, sondern der gesamten Kapitalistenklasse.

„Wenn alle Kapitalisten – sagt Stolzmann – imstande sind, gleichen Vorteil aus der erhöhten Produktivität zu ziehen, so bleibt kein Mittel des Mehrgewinnes, der ,Mehrwert‘ kann nicht mehr aus der Divergenz der Produktenmenge, die ohne den kapitalistischen Umweg, und der Produktenmengen, die mit seiner Einschlagung hergestellt wird, abgeleitet werden.“ [27]

Wenn wir nun die Motive der Kapitalisten und der Arbeiter ins Auge fassen, so ergibt sich folgender Tatbestand. Für den Arbeiter kommt überhaupt gar keine Wahl zwischen dem einen oder anderen Produktionsweg in Betracht, und dies aus dem sehr einfachen Grunde, weil er als Arbeiter gar keine Möglichkeit hat, selbständig zu produzieren. Schon eine derartige Problemstellung ist in bezug auf den Arbeiter einfach widersinnig. Was nun aber die Kapitalisten anbetrifft, so kann man hier gegen Böhm-Bawerk seine eigene Waffe wenden, und zwar: Die Arbeit als Produktionsmittel erlaubt dem Kapitalisten, jeglichen „Umweg“ einzuschlagen; die gegenwärtigen Gulden würden totes Kapital bleiben, würden sie nicht von der Arbeit befruchtet. Mit anderen Worten: Die „gegenwärtigen Güter“ haben für den Kapitalisten nur insofern Sinn, als er sie in Arbeit verwandeln kann (wir abstrahieren hier von den anderen Produktionsmitteln). Sofern es sich hier also um die Gegenüberstellung von Geld und Arbeit handelt (von den Verbrauchsgütern ganz und gar abgesehen, die als solche für den Kapitalisten absolut überflüssig sind), besitzt die Arbeit vom Gesichtspunkte des Kapitalisten einen höheren subjektiven Wert. Das folgt schon aus dem Tauschakt: Wäre es für den Kapitalisten nicht vorteilhaft, die Arbeit zu kaufen, d. h., hätte er sie subjektiv nicht höher als seine Gulden geschätzt, so würde er sie überhaupt nicht kaufen. Denn der Kapitalist zieht im voraus denjenigen Profit in Betracht, den er haben kann, – ein Umstand, der ihn bei jeder Wertschätzung beeinflußt.

Formulieren wir nun die Frage allgemeiner. Angenommen, es handelt sich um gegenwärtige und zukünftige 1.000 Gulden. Wird nun der Kapitalist die gegenwärtigen 1.000 Gulden höher schätzen als die zukünftigen? Zweifelsohne. Warum? Ja, aus dem einfachen Grunde, weil „Geld Geld heckt“. Die höhere Wertschätzung des Bargeldes beruht auf Kreditoperationen, folglich also in letzter Instanz auf der Profitbasis. Ein derartiger, für die kapitalistische Gesellschaft typischer Fall kann nicht für die Erklärung des „arbeitslosen Einkommens“ herangezogen werden, da dieser Fall letzteres selbst voraussetzt. Andererseits kann auch in anderer Weise bewiesen werden, daß die Ueberlegenheit des Wertes der gegenwärtigen Güter die Profitentstehung nicht erklären kann. Wir sahen, daß bei der Untersuchung des „dritten Grundes“ Böhm-Bawerk als Hauptargument für die Ueberschätzung der gegenwärtigen Güter und der Erklärung des Profitphänomens die Tatsache anführte, daß die gegenwärtigen Güter die Anwendung von produktiven Methoden ermöglichen. Angenommen für einen Augenblick, dieser Vorzug der gegenwärtigen Güter besteht zu Recht. Gesetzt ferner den Fall, daß der Kapitalist über kein Bargeld verfügt, sondern vielmehr, um die längeren Produktionsprozesse zu erzielen, sich Geld gegen Zinsen verschaffen muß. Es ist klar, daß sein Profit nicht durch die Ueberlegenheit der gegenwärtigen Summe über die zukünftige erklärt werden kann. Und so zeigt sich auch der „dritte Grund“ als unzutreffend.

Wir prüften von verschiedenen Seiten aus das Hauptargument Böhm-Bawerks, und alle Wege führten zum selben Ergebnis: Dieses Argument fußt auf gänzlich scholastischen, an den Haaren herbeigezogenen Voraussetzungen, die entweder im Widerspruch zur Wirklichkeit stehen (die Wertschätzung des Arbeiters und des Kapitalisten) oder an innerem Widerspruch leiden (so der „dritte Grund“, der quasi von den ersten zw-ei abhängig ist, die Wertdefinition der Genußgüter durch den Wert der Produktivgüter und umgekehrt usw.). In seinem Bestreben, den Profit auf die Verschiedenartigkeit der Technik in verschiedenen Betrieben zurückzuführen (längere, kürzere Produktionswege) ist offensichtlich der Wunsch verborgen, die allgemeinen Gründe des Profits zu verschleiern, die sich aus der Klassenlage der Bourgeoisie ergeben, – des Profits, dessen Entstehung durch die Anwendung einer eigenartigen Terminologie und einer scholastisch spitzfindigen Art der Argumentation nicht erklärt, sondern vielmehr verhüllt wird.
 

3. Der Subsistenzfonds

Die Nachfrage nach gegenwärtigen Gütern und ihr Angebot
Die Entstehung des Profits

Wir haben nun die Frage zu untersuchen, was denn nun die „gegenwärtigen Güter“ eigentlich sind, deren Umtausch gegen zukünftige Güter – die Arbeit – die Ursache für die Bildung des Profits sein soll? Diese Frage wird von Böhm-Bawerk in seiner Lehre vom “Subsistenzfonds“ beantwortet.

„... das Angebot an Subsistenzvorschüssen in einer Volkswirtschaft wird mit einer geringfügigen Ausnahme repräsentiert durch die Gesamtsumme des – abgesehen von Grund und Boden – in derselben existierenden Vermögensstockes. Die Funktion dieses Vermögensstockes besteht darin, das Volk während der Zwischenzeit, die zwischen dem Einsatz seiner originären Produktivkräfte und der Gewinnung ihrer genußreifen Früchte vergeht, also während der durchschnittlichen gesellschaftlichen Produktionsperiode zu erhalten; und die gesellschaftliche Produktionsperiode kann desto länger gegriffen werden, je größer der angesammelte Vermögensstock ist.“ [28]

„Es wird also in der Tat der ganze aufgesammelte Vermögensstock der Gesellschaft mit der höchst geringfügigen Ausnahme jener Vermögensstämme, die Eigentümer selbst verzehren, als Angebot von Subsistenz Vorschüssen auf den Markt gebracht.“ [29]

„Der ganze Vermögensstock der Volkswirtschaft dient als Subsistenzfonds oder Vorschußfonds, aus dem die Gesellschaft ihre Subsistenz während der gesellschaftlich üblichen Produktionsperiode bezieht.“ [30]

Ungeachtet dessen, daß der gesamte „Vermögensstock“ der Gesellschaft auch Produktionsmittel in sich einschließt, d. h., materielle Elemente des konstanten Kapitals, die für den unmittelbaren Genuß nicht geeignet sind, zählt Böhm-Bawerk dennoch diesen „Vermögensstock“ zum Subsistenzfonds, da in der Gesellschaft ein beständiges „Ausreifen“ der zukünftigen Güter zu gegenwärtigen stattfindet.

Es muß noch die Lage der Parteien, d. h., der Käufer und Verkäufer, klargestellt werden, die Handel mit den verschiedenen gegenwärtigen und zukünftigen Gütern treiben. Auf Seiten des Angebots der gegenwärtigen Güter hebt Böhm-Bawerk folgendes hervor.

Der Umfang des Angebots an Subsistenzmitteln wird repräsentiert durch den gesamten aufgehäuften Vermögensstamm, abgesehen von Grund und Boden und nach Abzug derjenigen Vermögensbeträge, welche „einerseits die verarmenden, andererseits die selbständig produzierenden Vermögensbesitzer selbst definitiv oder vorschußweise verzehren.“ [31]

„Die ‚Intensität‘ des Angebots“ [32] ist derart, daß „für die Kapitalisten der subjektive Gebrauchswert der gegenwärtigen Güter nicht größer ist als der der künftigen Güter. Sie würden daher äußersten Falles bereit sein, für zehn in zwei Jahren verfügbare Gulden, oder, was dasselbe ist, für eine Arbeitswoche, die ihnen zehn Gulden in zwei Jahren einbringt, nahezu volle zehn gegenwärtige Gulden zu geben. [33]

Die Nachfrage nach gegenwärtigen Gütern kommt seitens:

  1. zahlreicher Lohnarbeiter. Ein Teil von ihnen schätzt seine Arbeit auf 5, ein anderer Teil sogar auf 2½ Florin (!!).
     
  2. einer geringen Anzahl von Personen, die Konsumtionskredit suchen und bereit sind, ein gewisses Agio für gegenwärtige Güter zu bezahlen.
     
  3. einer Reihe selbständiger Kleinproduzenten, die Produktivkredit suchen, den sie zur Verlängerung der Produktionsperiode benötigen.

Da alle Verkäufer, meint ferner Böhm-Bawerk, die gegenwärtigen und die zukünftigen Güter annähernd gleichschätzen, die Käufer aber die gegenwärtigen Güter überschätzen, so hängt die Resultante davon ab, auf wessen Seite das numerische Uebergewicht vorhanden ist.

Demnach muß bewiesen werden, „daß das Angebot an Gegenwartsgütern durch die Nachfrage numerisch Überboten werden muß.“ [34]

Dies sucht Böhm-Bawerk in folgender Weise zu beweisen.

„Das Angebot, – sagt er – ist auch in der reichsten Nation begrenzt durch den augenblicklichen Stand des Volksvermögens. Die Nachfrage dagegen ist eine praktisch grenzenlose Größe: sie geht mindestens so weit, als durch Verlängerung des Produktionsprozesses sich das Produktionserträgnis noch steigern läßt, und diese Grenze liegt auch bei den reichsten Nationen noch weit jenseits des augenblicklichen Besitzstandes.” [35]

Das Uebergewicht besteht demnach auf Seiten der Nachfrage. Und da der Marktpreis höher sein muß als der Preis, der von dem vom Konkurrenzkampf ausgeschlossenen Kaufbewerber geboten wurde, und ferner dieser Preis bereits ein gewisses Agio für gegenwärtige Güter enthält (die Ueberschätzung der gegenwärtigen Güter durch die Käufer), so muß auch der Marktpreis in sich ein gewisses Agio für Gegenwartsgüter enthalten. [36] „Zins und Agio, – sagt Böhm-Bawerk – müssen sich einstellen.“ [37]

So weit das endgültige Ergebnis der Böhm-Bawerkschen Profittheorie. Nun zur Kritik derselben.

Vor allem springt das Gekünstelte und der Widerspruch des Begriffs des „Subsistenzfonds“ in die Augen. In den „Subsistenzfonds“, der nur gegenwärtige Güter umfassen soll, geht nach Abzug von Grund und Boden und der Konsumtionsartikel der Kapitalisten alles ein, d. h., er schließt alle Produktionsmittel ein. Böhm-Bawerk glaubt, diese Annahme aus dem Grunde machen zu dürfen, weil die zukünftigen Güter zu gegenwärtigen „heranreifen“, weil die Produktionsmittel sich in Konsumtionsartikel verwandeln. Doch dies ist nur zum Teil richtig, da die Produktionsmittel sich nicht nur in Konsumtionsmittel, sondern in gleicher Weise in Produktionsmittel verwandeln. Im Prozeß der gesellschaftlichen Reproduktion müssen nicht nur Konsumtionsgüter, sondern auch Produktionsmittel hergestellt werden. Noch mehr, bei einer erweiterten Reproduktion steigt beständig der auf die Produktionsmittel entfallende Anteil – berechnet auf die Arbeitsausgaben. Und so ist es absolut unzulässig, das konstante Kapital aus der Analyse zu eliminieren. Im Grunde genommen wiederholt hier Böhm-Bawerk den alten, von Marx im II. Band des Kapital festgestellten Fehler Adam Smiths, der den Warenwert in v (variables Kapital) und m (Mehrwert) auflöste und das c (konstantes Kapital) völlig außer acht ließ.

„Um so mehr aber – sagt Marx, – hätte A. Smith (Böhm-Bawerk. N. B.) sehen müssen, daß der Wertteil der jährlich erzeugten Produktionsmittel, welcher gleich ist dem Wert der innerhalb dieser Produktionssphäre fungierenden Produktionsmittel – der Produktionsmittel, womit Produktionsmittel gemacht werden – also ein Wertteil gleich dem Wert des hier angewandten konstanten Kapitals, absolut ausgeschlossen ist, nicht nur durch die Naturalform, worin er existiert, sondern durch seine Kapitalfunktion, von jedem Revenue bildenden Wertbestandteil.” [38]

Ein derartiger Begriff des „Subsistenzfonds“ ist noch viel unsinniger, wenn es sich um eine Gegenüberstellung von gegenwärtigen und zukünftigen Gütern handelt. Besteht doch die Aufgabe Böhm-Bawerks darin, das Tauschverhältnis zwischen den gegenwärtigen Gütern einerseits und den zukünftigen (Arbeit) andererseits klarzustellen. Die gegenwärtigen und die zukünftigen Güter mußten hier in ihrem polaren Gegensatz figurieren; unter diesem Gesichtspunkt kann der Subsistenzfonds nur die Gesamtheit der auf dem Markte angebotenen gegenwärtigen Güter sein. (Böhm-Bawerk nannte selbst den entsprechenden Abschnitt: Der allgemeine Subsistenzmittelmarkt. Unter diesem Gesichtspunkte zieht Böhm-Bawerk völlig folgerichtig diejenigen Konsumtionsgüter ab – die „gegenwärtigen Güter“ –, die in die individuelle Konsumtion der Kapitalisten eingehen, denn diese Güter treten nicht als Objekte der Nachfrage seitens der Arbeiter auf den Markt. Doch andererseits schließt er Produktionsmittel in diesen Fonds ein, d. h. offensichtlich zukünftige Güter, und stellt sie dann dem ebenfalls zukünftigen Gute – der Arbeit – gegenüber, obwohl doch diese beiden Güterkategorien in gar keinem Verhältnis zueinander stehen. Außerdem bringt Böhm-Bawerk auf Seiten der Nachfrage Personen, die Produktivkredit suchen, d. h. die nicht nach Genußgütern, sondern nach Produktionsmitteln fragen (der Arbeiter will essen, der Kapitalist „die Produktionsprozesse verlängern“). Die ganze Konstruktion bekommt so den Charakter eines unglaublichen Mischmaschs heterogener Elemente. Andererseits können die Personen, die Produktivkredit suchen, nur insofern auf die gleiche Stufe mit Arbeitern gestellt werden, als die beiden Kategorien das Warenäquivalent in Form des Geldes erhalten. Nur von diesem Gesichtspunkte aus kann gesagt werden:

„Darlehnsmarkt und Arbeitsmarkt sind zwei Märkte, auf denen ... dieselbe Ware feilgeboten und nachgefragt wird: Nämlich gegenwärtige Güter ... Lohnarbeiter und Kreditsuchende bilden so zwei Aeste derselben Nachfrage, die ihre Wirkung gegenseitig unterstützen und gemeinsam die Preisresultante bilden.“ [39]

Nur insoweit wir das Geld ins Auge fassen, können wir diese zwei Kategorien zusammen betrachten. Doch sobald wir die Nachfrage nach „Genußgütern“ oder mit anderen Worten den „Existenzmittelmarkt“ ins Auge fassen, verschwindet jede Aehnlichkeit zwischen dem Arbeiter und der Person, die Produktivkredite sucht.

Wir wenden uns nun der Analyse des Verhältnisses zwischen der Nachfrage nach Gegenwartsgütern und deren Angebot zu Hierin sind bei Böhm-Bawerk zweierlei Töne zu unterscheiden: Einmal beruht anscheinend das ganze theoretische Gebäude auf der Tatsache des Ankaufes von Arbeit, und der Profit wird aus der Unterschätzung der zukünftigen Güter durch die Arbeiter abgeleitet; andererseits aber ist es die Nachfrage nach gegenwärtigen Gütern seitens der Produktivkredit suchenden Personen, die als letzte Instanz für die Erklärung des Profits in Anspruch genommen wird.

Im ersten Falle spielt die Konkurrenz zwischen den Arbeitern, im zweiten – die zwischen den Kapitalisten eine entscheidende Rolle. Der letzte Gesichtspunkt [40] hält schon deshalb keiner Kritik stand, weil er nicht zu erklären vermag, woher denn der Profit der Klasse der Kapitalisten entsteht; der Darlehnsmarkt, die Zinszahlung auf Darlehn – dies alles ist nur die Neuverteilung der Werte zwischen zwei Gruppen derselben Kapitalistenklasse; aber auch diese Neuverteilung vermag die Entstehung des Wertüberschusses nicht zu erklären. Es läßt sich theoretisch eine Gesellschaft denken, in der es überhaupt keinen Darlehnsmarkt gibt, aber dennoch wird in ihr der Profit bestehen bleiben. So bleibt uns nur übrig, die Konkurrenz unter den Arbeitern als Basis für die Bildung des Profits zu betrachten. Hier stellt sich für Böhm-Bawerk der Tatbestand, wie bereits erwähnt, in folgender Weise dar. Die Kapitalisten schießen den Arbeitern die Subsistenzmittel vor (Arbeitskauf), wobei die Arbeiter ihre Arbeit niedriger als den zukünftigen Produktenwert einschätzen; daraus ergibt sich das Agio auf die gegenwärtigen Güter. Das zahlenmäßige Uebergewicht der Arbeiter gestaltet auch die Preise derart, daß das Agio auf die gegenwärtigen Güter auf dem Markte gebildet wird. Daraus könnte man schließen, daß eben die sozial schwache Position der Arbeiterklasse die Ursache der Profitbildung ist. Da aber die leiseste Andeutung dieses Gedankens unseren Herrn Professor aus dem Häuschen bringt, so wird er, ohne Rücksicht auf die sich daraus ergebenden Widersprüche mit den wichtigsten Sätzen seiner eigenen Theorie – nicht müde, immer wieder zu versichern, daß alle Arbeiter beständig Arbeit finden, daß die Arbeitsnachfrage durchaus nicht geringer als das Arbeitsangebot ist und so der Profit nicht von der Konkurrenz unter den Arbeitern abgeleitet werden darf. Hier ein Beispiel für derartige Erörterungen:

„Nur können allerdings die den Käufern ungünstigen Umstände durch einen regen Wettbewerb der Verkäufer wieder wettgemacht werden. Sind die Verkäufer auch wenige, so haben sie dafür desto größere Gegenwartsgüter zu fruktifizieren ... Glücklicherweise bilden diese Fälle im Leben die Regel.“ [41]

Doch lassen wir diese theoretisch sehr wichtigen Mißgriffe beiseite. Nehmen wir an, daß der Profit dennoch aus dem Kaufe des zukünftigen Gutes – der Arbeit – entstehe, und betrachten wir das Geschäft zwischen den Kapitalisten und Arbeitern, wie es in Wirklichkeit abläuft und wie es sich Böhm-Bawerk vorstellt. Und eben hier stoßen wir auf eine Ueberlegung, die alle Böhmschen Erörterungen überhaupt über den Haufen wirft: seine Theorie beruht nämlich auf der Voraussetzung, daß der Kapitalist dem Arbeiter einen Vorschuß gewährt; basieren doch alle seine Hauptideen darauf, daß die Arbeit allmählich ausreift und erst nachdem sie den ausgereiften Zustand erhalten hat, den Profit liefert; die Wertdifferenz zwischen den Kosten und dem Ertrage resultiert eben daraus, daß die Entlohnung der Arbeit vor dem Beginn des Arbeitsprozesses stattfindet, d. h. in Uebereinstimmung mit dem Wert, den die Arbeit als „Zukunftsgut“ besitzt. Doch gerade diese Voraussetzung ist durch nichts begründet und steht im Widerspruch zur Wirklichkeit. Vielmehr ist gerade das Gegenteil der Fall: nicht der Kapitalist schießt dem Arbeiter den Arbeitslohn vor, sondern dieser schießt dem Kapitalisten seine Arbeitskraft vor. Die Entlohnung findet nicht vor dem Arbeitsprozeß, sondern nach ihm statt. Diese Tatsache tritt besonders klar beim Stücklohn zutage, bei dem der Lohn in Abhängigkeit von der Zahl der fertiggestellten Produktstücke ausbezahlt wird.

„Aber das Geld, was der Arbeiter vom Kapitalisten erhält, erhält er erst, nachdem er ihm den Gebrauch seiner Arbeitskraft gegeben hat, nachdem selbe bereits im Wert des Arbeitsproduktes realisiert ist. Der Kapitalist hat diesen Wert in seiner Hand, bevor er ihn zahlt ... Sie (die Arbeitskraft. N. B.) hat bereits in Warenform das dem Arbeiter zu zahlende Aequivalent geliefert, bevor der Kapitalist es dem Arbeiter in Geldform zahlt. Der Arbeiter schafft also selbst den Zahlungsfonds, aus dem ihn der Kapitalist zahlt.“ [42]

Freilich gibt es auch Fälle, in denen im voraus gezahlt wird; doch erstens ist diese Erscheinung für das moderne Wirtschaftsleben ganz und gar nicht typisch, und zweitens spricht sie nicht gegen unsere Behauptung. Denn wenn sich Profit auch in den Fällen ergibt, in denen der Arbeitslohn nach dem Arbeitsprozeß ausgezahlt wird, so ist es klar, daß es irgendeine andere Erscheinung sein muß, die ihn entstehen läßt, nicht aber die Differenz zwischen den gegenwärtigen und den zukünftigen Gütern.

Als eine solche Erscheinung ist die soziale Macht des Kapitals anzusehen, die darauf beruht, daß die Kapitalisten als Klasse die Produktionsmittel monopolisiert haben, wodurch der Arbeiter gezwungen ist, einen Teil seines Produktes abzugeben. Die soziale Ungleichheit, das Vorhandensein von antagonistischen sozialen Gebilden – dies ist die Grundtatsache des modernen Wirtschaftslebens; gerade diese Beziehungen zwischen den Klassen auf dem Gebiete der Wirtschaft, d. h. die Produktionsverhältnisse, bilden die für die kapitalistische Gesellschaft charakteristische „ökonomische Struktur“; jede Theorie, die die Analyse derselben außer acht läßt, ist von vornherein zur Impotenz verurteilt. Doch das Bestreben, den Antagonismus der Klassen zu verschleiern, ist so groß, daß die moderne bürgerliche Wissenschaft es vorzieht, tausend nichtssagende „Erklärungen“ auszubrüten, ein leeres Argument auf das andere zu häufen, ganze „Systeme“ zu schaffen, längst vergessene „Theorien“ auferstehen zu lassen und ganze Berge von Bänden zu schreiben, – alles zum alleinigen Zwecke, uns zu beweisen, daß „im Wesen des Zinses liegt ... nichts, was ihn an sich unbillig oder ungerecht erscheinen ließe.“

* * *

Fußnoten

1. „In aller Regel haben gegenwärtige Güter einen höheren subjektiven Wert als künftige Güter gleicher Art und Zahl. Und da die Resultante der subjektiven Wertschätzungen den objektiven Tauschwert bestimmt, so haben in aller Regel gegenwärtige Güter auch einen höheren Tauschwert und Preis als künftige Güter derselben Art und Zahl“ (Positive Theorie, S. 439).

2. In letzter Instanz führt Böhm-Bawerk die Ausgaben für den Kauf der Produktionsmittel auf die Ausgaben für den Erwerb der Bodennutzungen und der Arbeit zurück; von ersteren sieht er „der Einfachheit halber“ ab.

3. Böhm-Bawerk: Positive Theorie, S. 440.

4. „... dann wird das gegenwärtige Gut auch den letzteren (den zukünftigen. N. B.) vorbehalten werden und von ihnen den Wert ableiten; dann steht es also im Wert einem künftigen Gute, das derselben Verfügung dienstbar werden könnte, eben gleich.“ (Positive Theorie, S. 442)

5. Ib., S. 443.

6. L. von Bortkievitz: Der Kardinalfehler der Böhm-Bawerkschen Zinstheorie, Schmollers Jahrbücher, Bd. 30, S. 947.

7. „Das künftige Gut, das den seinigen (Wert N. B.) nur von einer ... künftigen (Sperrdruck des Verfassers) Verwendung herleiten kann ...“ (Böhm-Bawerk: Positive Theorie, S. 442)

8. Stolzmann, l. c.,, S. 306 u. 307.

9. Böhm-Bawerk: Positive Theorie, S. 510.

10. Ib., S. 445.

11. Wieser: Natürlicher Wert, S. 17. Siehe auch Bortkievitz: Kardinalfehler der Böhm-Bawerkschen Zinstheorie, S. 949: „... spricht gegen die Böhm-Bawerksche Behauptung, daß eine Neigung zur Unterschätzung des Wertes künftiger Güter allgemein verbreitet sei, der Umstand, daß Fälle entgegengesetzter Art durchaus nicht zu den Seltenheiten gehören“. Aehnlich auch Stolzmann, l. c.,, S. 308 u. 309.

12. Bortkievitz l. c.,, S. 950.

13. H. Lexis: Allgemeine Volkswirtschaftslehre, S. 72. Vgl. auch Parvus, l. c.,, S. 550: „Der Gegenwartswert der Arbeit für den Arbeiter ist eine Fiktion, man kann höchstens von ihm nur mathematisch sprechen als von einer Größe, die gleich Null ist“.

14. Positive Theorie, S. 520 u. 521.

15. Ib., S. 521.

16. Ib., S. 454. (Sperrdruck vom Verfasser.)

16a. Ib. S. 457.

17. Ib., S. 458.

18. Ib., S. 460.

19. Vgl. auch S. 461 derselben Arbeit Hier bestimmt Böhm-Bawerk unter anderem den Wert der Summe als einen Stückwert, multipliziert mit der Zahl der Stücke, was im Widerspruch zu seiner eigenen Theorie steht. Aus diesem Widerspruch versucht er sich auf S. 461, 462 vergeblich zu befreien. Uebrigens gehört diese Frage in ein anderes Gebiet und wurde von uns an entsprechender Stelle des I. Abschnitts erörtert.

20. Der Unterschied zwischen Tabelle IV und I ist nur der, daß die I. Tabelle die Angaben in Produkten, die IV. in Werten gibt.

21. Positive Theorie, S. 465. Um die Stellung Böhm-Bawerks klar zu machen, sei hervorgehoben, daß sein Begriff der „Produktionsperiode“ von dem üblichen wesentlich abweicht. Sie ist nach ihm nicht etwa die gesamte Zeitdauer, die alle Operationen, die vorbereitenden mit inbegriffen, erfordern, denn „in unserer Zeit, in der die kapitallose Produktion fast ganz verschwunden ist ... würde nach jener strengen Berechnung die Produktionsperiode fast jedes Genußgutes ihren Anfang in lang vergangene Jahrhunderte zurückverlegen dürfen.“ (S. 156)

„Wichtiger und richtiger ist es vielmehr, auf den Zeitraum zu sehen, der durchschnittlich zwischen dem Aufwand der sukzessive in ein Werk verwendeten originären Produktivkräfte, Arbeit und Bodennutzungen und der Fertigstellung der schließlichen Genußgüter vergeht. Diejenige Produktionsmethode ist stärker kapitalistisch, welche den in ihr vollzogenen Aufwand an originären Produktionskräften durchschnittlich später lohnt.“ (S. 157)

Wenn die Produktion einer Gütereinheit durchschnittlich einen Aufwand von 100 Arbeitstagen erfordert und wenn ferner bis zum Abschluß des Prozesses in 10 Jahren ein Arbeitstag verwendet wurde, und jeder folgende in 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2 und 1 Jahr, und alle anderen (90) Tage unmittelbar vor dem Abschluß des ganzen Prozesses, so wird der 1. Arbeitstag in 10 Jahren, der 2. in 9 usw. entlohnt. Die sämtlichen 10 Tage werden durchschnittlich entlohnt

10+9+8+7+6+5+4+3+2+1
100

=  55 
   100

d. h. annähernd nach ½ Jahr. Das ist die Produktionsperiode, d. h. eine Einheit der Produktionsmittel von 100 Tagen wurde im Produktionsprozeß aufgewendet, dessen Produktionsperiode ½ Jahr beträgt. Je länger die Produktionsperiode, desto ergiebiger die Produktion, desto höher die „Produktivität des Kapitals“. Die völlige Verworrenheit und Sinnlosigkeit dieses Begriffs beleuchtet Lewin sehr gut:

„Es ist vor allem unverständlich, wie und warum Böhm-Bawerk bei der Berechnung der Produktionsperiode zu jenem Durchschnitt gelangt. Das Werkzeug, das in obigem Beispiel vor 10 Jahren erzeugt wurde und zur Herstellung des nunmehr fertigen Genußgutes notwendig war, gehört im ganzen und nicht etwa in seinem zehnten Teile zur Produktion dieses Gutes, die weiteren Zwischenprodukte dürfen ebensowenig als Bruchteile in Anrechnung gebracht werden. Für Kostenberechnung kommt nur ein entsprechender Teil der Produktionsmittel in Betracht, für die Bestimmung der Produktionsdauer muß dagegen jedes Produktionsmittel als Ganzes in Anrechnung kommen.“ (l. c., S. 201)

Und so fehlt dem Begriff der Produktionsperiode, auf der die Böhmschen Berechnungen fußen, überhaupt jeder Sinn. Uebrigens hält Böhm-Bawerk selbst diese Definition nicht überall aufrecht.

22. Eine ähnliche Deutung dieses Punktes gibt auch Schaposchnikow, l. c., S. 120. Eigentlich ist der Zusammenhang zwischen der Dauer des Produktionsprozesses und der Vorratsmenge bei Böhm-Bawerk komplizierter (vgl. Positive Theorie, S. 532–536); doch ist es für uns in diesem Falle belanglos.

23. Böhm-Bawerk: Positive Theorie, S. 469.

24. Der Einfachheit halber nehmen wir denselben Grad der Verringerung, den Böhm-Bawerk als Wirkung der beiden ersten Gründe annimmt, das ist die Zahlenreihe: 5; 3,8; 3,3; 2,2 usw.

25. Unter anderem berücksichtigt nicht Böhm-Bawerk in seinen Tabellen die Verringerung des Wertes des Produktes mit der Zunahme seiner Menge, d. h. er abstrahiert vom wichtigsten Satz der Grenznutzentheorie.

26. Vgl. Bortkievitz, l. c.,, S. 957 u. 958: „Ja, die technische Ueberlegenheit der gegenwärtigen Produktivgüter soll indirekt ein Wertagio zugunsten der gegenwärtigen Genußgüter herbeiführen, indem nämlich die Verfügung über die letzteren gewisse Produktivmittel ‚für den technisch ergiebigeren Dienst der Zukunft‘ frei mache. Hier dreht sich die Argumentation im Kreise. Denn in Wirklichkeit kann ein Wertüberschuß gegenwärtiger Produktivgüter über künftige Produktivgüter nicht anders als nach Maßgabe einer verschiedenen Bewertung zeitlich auseinanderliegender Genußgüter bestehen, und nun soll diese Verschiedenheit der Bewertung ihrerseits durch das Wertverhältnis zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Produktivgütern erklärt werden.“

27. Stolzmann, l. c.,, S. 320. Vgl. auch Bortkievitz, l. c., S. 943 ff.

28. Positive Theorie, S. 525.

29. Ib., S. 527.

30. Ib., S. 528.

31. Ib., S. 538.

32. Wie uns bereits aus dem Abschnitt über den Wert bekannt, ist es vom Standpunkte der österreichischen Schule wichtig, nicht nur die Menge der angebotenen und nachgefragten Güter zu kennen („Umfang“ der Nachfrage und des Angebots), sondern auch die subjektiven Wertschätzungen einer Einheit seitens der einen und der anderen Partei („Intensität“). Nur als Resultat des Verhältnisses dieser beiden Größen ergeben sich bestimmte Preise.

33. Ib., S. 538. So gibt hier Böhm-Bawerk zu, daß die Kapitalisten die gegenwärtigen Güter nicht höher als die zukünftigen schätzen.

34. Ib., S. 541.

35. Ib., S. 541. Hier wird also die Konkurrenz unter den Kapitalisten infolge des Produktionskredits als Hauptursache für die Bildung des Profits angesehen.

36. Vgl. S. 540.

37. Ib., S. 541.

38. Karl Marx: Kapital, Bd. II, S. 339. Siehe auch den Abschnitt über Smiths Auflösung des Tauschwertes in v+m, ebenda, S. 343.

39. Positive Theorie, S. 524.

40. Siehe z. B. die S. 541, 542, 543, 544 der Positiven Theorie. Wir lassen die Argumente bezüglich der Personen außer acht, die Konsumtionskredit suchen, denn diesen Argumenten schreibt Böhm-Bawerk selbst so gut wie gar keine Bedeutung zu. Siehe Anmerkung auf S. 296.

41. Ib., S. 575. (Sperrdruck vom Verfasser.)

42. Karl Marx: Kapital, Bd. II, S. 355.


Zuletzt aktualisiert am 12. Juni 2020